Читать книгу Augusta und ihr Dichter - Gerd Mjøen Brantenberg - Страница 6

4. Kapitel

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Jon Mjøen spielte mit dem Gedanken, in Kristiania sein juristisches Staatsexamen abzulegen. Bisher hatten alle Examensprüfungen in lateinischer Sprache stattfinden müssen, seit neuestem jedoch war auch Norwegisch erlaubt. Ein neues, liberaleres Strafgesetz wurde ausgearbeitet, große, wichtige Reformen standen bevor, über die er sich informieren mußte. Seine Frau ermunterte ihn zu diesem Entschluß, sie wollte mit ihm in die Hauptstadt gehen. Er behauptete, Zeit für sich zu brauchen, er mußte schließlich büffeln. Ein etwas unangenehmer Wortwechsel endete damit, daß er das erste Jahr dort allein verbringen sollte, im folgenden Herbst würde er seine Familie holen kommen.

„Und dann holst du nicht drei, sondern vier“, sagte Helene. Er starrte sie an. „Bist... bist du in Hoffnung?“ fragte er dumm. „Ja“, antwortete sie. „Und mach jetzt kein Gesicht, als ob du damit nichts zu tun hättest.“ Er machte trotzdem weiterhin ein dummes Gesicht. Er freute sich über die Maßen. „Aber... ich meine... wann ist es denn soweit?“ Sie sagte, vermutlich im September, denn sie glaubte, das Kind um die Weihnachtszeit empfangen zu haben. „Am Heiligen Abend?“ rief er.

Sie tauschten leicht verlegene Blicke. Dann prusteten sie los. Sie wußten noch genau, wie sie die Heilige Nacht begangen hatten, nachdem die Kerzen gelöscht worden waren. Augusta und Hansemann kamen angestürzt. „Warum lacht ihr? Warum lacht ihr?“ Sie erklärten, daß ein neues Kind erwartet werde.

Und das sollte witzig sein? Wunderbar war das. Aber witzig? Wieder lachten die Erwachsenen über etwas sehr, sehr Ernstes. Ein neues Kindchen? Ein Schwesterchen oder ein Brüderchen? Und das war ein Grund zum Grinsen? Augusta mußte fragen. Die Eltern kicherten wie die Backfische und sahen auf ihre Kinder hinab. „Nein, wir haben gelacht... hm... hm, weil... nein... nein, es war am Heiligen Abend, und... nein, das versteht ihr nicht, Kinder, wir erklären es euch, wenn ihr erwachsen seid.“

„Dann müssen wir aber schrecklich lange warten, nur um einmal lachen zu können“, sagte Augusta empört.

Über diese Beschwerde lachten die Erwachsenen noch heftiger. Und zehn Monate später traten alle Bewohner von Oppdal vor ihre Häuser und winkten. Nicht jeden Tag verließen so hochgestellte Personen die Gegend für ein ganzes Jahr. Sie standen am Königsweg und winkten und lächelten. Viele waren von weither gekommen, um sich zu verabschieden. Mjøen war jetzt candidatus juris, und sein Bruder Even vertrat ihn als Lensmann. Alle wünschten ihm eine gute Reise. Die Lensmannsfamilie winkte zurück. Jon Mjøen trug Uniform, die anderen neue Reisekleider. Augusta lächelte allen voller Stolz zu, sie wurde bald sieben, der fünfeinhalbjährige Hansemann saß neben ihr, die neugeborene Fredrikke hatte die Mutter auf dem Schoß. Und alle konnten sehen, daß schon das nächste Kind unterwegs war. Die Rückkehr des Lensmanns um die Weihnachtszeit hatte Früchte getragen.

„Ja, ich habe das ja schon damals zu Frau Bjørnson gesagt, als sie Peter erwartete und fast mitten in der Familiengeschichte niedergekommen wäre, daß schwangeres Vieh geschont wird, aber bei Frauenzimmern es ganz anders zugeht“, sagte Helene. Der Lensmann sagte nichts dazu. Sie hatte ja unbedingt mitkommen wollen. Entweder komme sie mit, hatte sie gesagt, oder er solle sich nicht darauf verlassen, sie bei seiner Rückkehr noch vorzufinden. Wenn er allein fuhr, welche Garantie hatte sie dann, daß er sich nicht nach Amerika absetzte? Das schien unter den Mannsbildern doch die neue Mode zu sein. Auch dazu hatte er nichts gesagt. Tatsache war, daß dieser Gedanke ihm schon gekommen war, es war schließlich so häufig von dem grünen Land dort drüben die Rede, aber natürlich würde er solche Gedanken niemals in die Tat umsetzen. Wie sie ihre Drohung, einfach zu verschwinden, ausführen wollte, blieb unklar. Woher sollte sie die nötigen Mittel nehmen? Manchmal sagte sie wirklich ziemlich wirklichkeitsferne Dinge. Aber er wollte sich nicht mit ihr streiten, schon gar nicht, während sie auf der Hauptstraße durch das Dorf fuhren und alle lächelten.

„Ich kann nur sagen, daß du noch nie so schön warst“, sagte er schließlich.

Das wirkte. „Ich komme mir vor wie eine Kuh in Seenot“, sagte sie geschmeichelt.

Augusta trug eine neue Schürze und neue Schuhe und betrachtete die dunkelgelben Kornfelder. Sie wußte nicht immer, ob die Eltern sich stritten oder scherzten. Wichtig war zumeist der Tonfall, nicht die Worte. Sie verstand jetzt die meisten, und sie konnten entsetzliche Dinge bedeuten, doch der Tonfall konnte ihnen auch einen angenehmen Sinn geben. Wie jetzt, wo von der Kuh in Seenot die Rede war. Sie sah die Kuh vor sich. Sie brüllte verzweifelt in den Wellen, während hinter ihr ein Boot unterging. Kam die Mutter sich wirklich so vor? Sie sagte das mit so munterer Stimme.

Augusta vertiefte sich in den Anblick des Korns. Dieses Jahr stehe eine gute Ernte bevor, hatte Guri gesagt. Eine bessere als seit vielen Jahren. Es war ein warmer Sommer gewesen, sie hatten Mitte April mit Pflügen beginnen können, es war fast schade, das alles verlassen zu müssen. Aber sie freute sich auf Kristiania und stellte sich Schlösser mit hohen Türmen und Paraden von Soldaten in roten Uniformen und Damen in Seidenkleidern und einen König und eine Königin mit Goldkronen auf dem Kopf vor, die funkelten, während die Blasmusik erklang.

Der Lensmann fand für sich und seine Familie Unterkunft auf Jacobsens Koppel, in deren Nähe das neue Schloß gebaut wurde. Sie wohnten auf dem Plateau gegenüber von dem Haus, das Grotte genannt wurde, weil es dort im Felshang eine Grotte gab.

Jacobsens Koppel war ein wunderbarer Ort für Kinder. Es gab Felder und Wiesen, nirgendwo stand ein Lattenzaun, sie konnten überall herumtoben, und Augusta, die bald in die Schule kam, hatte nur einen kurzen Weg, den Hang hinab bis zu Fräulein Osterhaug in der Kongens gade. Es war ein schöner Spaziergang, sie konnte rechts weit, weit über den Fjord hinwegblicken, und vor ihr lag die ganze Stadt mit dem Tivoligarten und der Festung Akershus und dahinter dem dunkelgrünen Berg Ekebergåsen und den vielen Häusern unten an den geraden Straßen. Oben vor dem Schloß mußte sie an einer bestimmten Stelle immer stehenbleiben und schauen. Menschen hasteten vorüber. Niemand kannte sie. Niemand sagte guten Tag. Niemand wußte, daß hier Augusta Mjøen kam, oder fragte, wo sie denn hinwolle, wie das zu Hause gewesen war.

Weiter unten kam sie an großen Grundstücken und Gärten vorbei. Auf einem namens Rosenkrantzgarten befand sich eine Gärtnerei, wo auch Obst und Gemüse verkauft wurden. Gleich dahinter lag die Arche Noah, in der Tante Christense wohnte. Gerade das war übrigens eine Enttäuschung gewesen. Augusta hatte ihr Leben lang von der „Arche Noah“ gehört, in der ihre Mutter als Kind gewohnt hatte, und sie hatte sich ein Schiff vorgestellt. Aber es war nur ein ganz normales altes Haus mit zwei Stockwerken und Laubengängen, wie es hier in der Stadt viele gab. Es war zwar ziemlich groß und lag an einer Ecke, aber auch sein Inhalt entsprach nicht ihren Vorstellungen, es gab dort keine Giraffen oder Nashörner oder andere Tiere, auf die sie sich so sehr gefreut hatte. – „Aber warum heißt es denn Arche Noah?“ hatte sie ihre Mutter gefragt. Die lachte und sagte, weil Mikkelsens eben Zimmer vermieteten, an allerlei seltsame Menschen, Südländer mit auffälligen Kleidern, Betrüger und Barone. Augusta betrachtete einen Mann, der mit seinem Hund aus dem Haus kam, und der sah dermaßen aus wie ein Mann mit einem Hund, und sie begriff das alles nicht. Das war sicher eins der vielen Dinge, die sie erst als Erwachsene verstehen würde.

Der Arche Noah gegenüber lag ein gelbes Häuschen. Dort verkaufte eine Frau Obst und Zigarren und selbstgebackenen Kuchen. Sie saß mit ihren Waren vor dem Haus. Augusta bekam ab und zu ein paar kleine Münzen, um etwas einzukaufen. In der Stadt gab es immer viel zu sehen, immer war etwas los, elegant gekleidete Menschen gingen spazieren, mit Reitpeitschen in der Hand, obwohl weit und breit kein Pferd zu sehen war, ein Mädchen trieb Kühe über die Straße, Händler priesen ihre Waren an, Wagen schepperten. Und überall gab es schrecklich viel Dreck. Bisweilen wurden die weiten Röcke der Damen bespritzt, sie trugen viele Röcke übereinander und drohten, den Kutscher bei der Polizei anzuzeigen, und dann würde er ins Arbeitshaus gesteckt werden, bis er alle Kleider ersetzt hätte.

Fräulein Osterhaugs Schule lag in dem Haus, in dem Frau Bjørnsons Schwester ihren Laden hatte. Sie hieß Frau Jackwitz und verkaufte alle möglichen Gegenstände, die die Häftlinge in Arbeitshaus und Zuchthaus hergestellt hatten. Frau Jackwitz hatte zwei kleine Töchter, Thea und Mina, die mit Augusta die Schule besuchten. Die beiden waren munter und lachten fast immer. Sie lachten schon, wenn sie an einer Straßenecke einen Herrn entdeckten. Augusta lachte dann auch und fand die Stadt plötzlich wunderschön.

In der Schule erhielten sie Tafeln, auf die sie Zahlen und Buchstaben schreiben sollten. Das machte fast soviel Spaß wie Spielen, und Augusta lernte rasch. Daß A – zwei Schrägstriche mit einem kleinen geraden Strich wie ein Brett, damit sie nicht übereinanderpurzelten – dasselbe war wie der Laut, der entstand, wenn sie den Mund weit aufriß, war wirklich seltsam. Die Buchstaben erschienen ihr wie Figuren mit einer eigenen Seele. Und schon nach wenigen Tagen schrieb sie: A – U – G – U – S – T – A. Daß sie selber damit gemeint war, war ein Wunder.

Bald nach ihrem Eintreffen in Kristiania brachte Helene eine Tochter zur Welt. Das Kind wurde in der Arche Noah geboren, weil sie noch keine eigene Wohnung hatten, derweil lärmten die Zecher in der Schankstube, und Tante Mikkelsens drei lustige Töchter unterhielten die restliche Familie mit Klavierspiel und Gesang. Die Kleine war so schwarzhaarig und braunäugig wie ihre Großmutter und hatte eine so lange Nase, wie sie in dieser Familie noch nie gesehen worden war. Sie wurde Josefine Helene getauft, nach der geliebten Gemahlin Josefine des Kronprinzen Oscar, und – auf Wunsch des Gatten – nach ihrer Mutter.

Jon Mjøen war abends oft unterwegs. Er ging zum Bostonspielen in die Grotte oder machte Besuche. Helene wußte nicht immer, wo. Bemerkungen, die Tante Christense fallenließ, ließen jedoch keinen Zweifel daran, daß er sich mit den Damen aus der Arche Noah amüsierte. Dort hatte er im ersten Jahr gewohnt, hatte in fröhlicher Runde den Becher geschwungen und war danach in „Häusern“ gelandet. Er wollte sich über das neue Strafgesetz informieren, hatte er gesagt, aber daß er die Verhältnisse so sorgfältig untersuchen würde, hätte sie nicht erwartet. Das neue Gesetz sah vor, die öffentlichen Frauenzimmer zu kontrollieren. Helene war darüber durchaus orientiert. Es bedeutete, Staat und Polizei sorgten dafür, daß sie nicht an ansteckenden Krankheiten litten, so daß ihre Kunden sich sicher fühlen konnten. Es ging dabei nicht um das Wohl der armen Frauen. Diese neue Maßnahme wurde „Reglementierung“ genannt. Helene fand es abscheulich, aus einem so argen Mißstand eine gesetzestreue Handlung zu machen, aber ihr Mann war offenbar anderer Ansicht. Allerdings hatten sie nie über dieses Thema diskutiert. Andere taten das auch nicht. Die Reglementierung betraf einen Lebensbereich, über den nicht gesprochen wurde.

Helene schwieg und machte sich ihre Gedanken. Sie hatte geglaubt, ihm zu geben, was er brauchte. Aber Hurerei war offenbar ein Bestandteil der männlichen Natur. Die Männer brachen ein Gebot nach dem anderen und baten den Herrn um Vergebung. Aber ob sie wohl je die, an denen sie sich vergangen hatten, um Vergebung baten?

Jon Mjøen lernte konzentriert und informierte sich über die Hintergründe des neuen Strafgesetzes, das bald vom Parlament abgesegnet werden würde. Dieses Gesetz sollte in jeder Hinsicht liberaler sein als das bisherige, die Todesstrafe sollte nur noch in Fällen von Landesverrat ausgesprochen werden können. Er selbst hatte noch niemanden zum Tode verurteilt, und in Zukunft würde ihm das erspart bleiben. Noch waren viele Vergehen mit Todesstrafe belegt, sogar einfacher Diebstahl. Der sogenannte Konventikelerlaß, der öffentliche Ansammlungen verbot, sollte ebenfalls aufgehoben werden. Auch das war eine Erleichterung, er hatte sich schon oft geschämt und Gott für seinen Vater um Verzeihung angefleht, denn der Vater hatte zusammen mit dem alten Lensmann Gøttem im Jahre 1801 – dem Jahr, in dem Jon geboren worden war – den Prediger Hans Nielsen Hauge festgenommen. Der Vater und er selbst waren große Anhänger religiöser Erweckung und hielten den Erlaß deshalb für eine Schande, doch eingehalten werden mußte er nun mal. Und nachher bat man dann Gott um Vergebung. Gott tadelte ihn deshalb oft. Und das machte ihm dermaßen zu schaffen, daß er bisweilen auf die Knie fiel und den Herrn fragte, ob er sein Lensmannsamt nicht lieber aufgeben sollte. Gott antwortete darauf ganz klar, das solle er nicht, er solle sich an seinen gesunden Menschenverstand und sein frommes Gemüt halten, dann würde er auch weiterhin Seine Zeichen richtig deuten.

Aber nun sollte dieser seelische Zwiespalt endlich ein Ende nehmen. Und ein neuer sollte sich einstellen. Was die Reglementierung der Prostitution anging, hatte er doch arge Zweifel. Und darüber konnte er mit niemandem sprechen. Wie der Herr die Sache sah, wußte er. Dieses Gewerbe sollte jetzt wie auch vorher verboten sein, aber die Öffentlichkeit würde keine Anklage mehr erheben dürfen, wenn es nicht von einer empörten Ehefrau verlangt wurde. Wenn ein Mann ins Bordell ging, mußte seine Frau mit ihrer Beschwerde zum Lensmann gehen...

Napoleon hatte die gesundheitliche Kontrolle der öffentlichen Frauenzimmer eingeführt, um die Kampfkraft seiner Truppen und die Gesundheit seiner Soldaten zu schützen. Das war klug von ihm, fand Lensmann Mjøen, und nun wurde diese Ordnung auch in Norwegen eingeführt. Er wußte allerdings nur wenig darüber, wie dieses Gewerbe in der Hauptstadt beschaffen war, obwohl es ihm seit seiner Zeit in Trondheim nicht unbekannt sein konnte. Dort trieben sich vor allem arme, zerlumpte Mädchen mit geringem Verstand auf den Straßen herum und boten sich an, es steckte jedoch keinerlei Organisation dahinter und ging ganz offen vor sich. Ehe er seine Familie geholt hatte, hatte er einige Male ein sogenanntes Haus im Osten der Stadt besucht, um sich umzusehen. Dort herrschte schlimmeres Elend, als er geahnt hatte, überall stank es, die Menschen verrichteten ihre Notdurft, wo es ihnen gerade paßte, Abfälle und schmutziges Wasser wurden aus den Fenstern gekippt, selbst mitten im Winter liefen die Menschen barfuß und in Lumpen umher, und Betrunkene torkelten durch die Gassen und gaben Dinge von sich, die von der Bibel so weit entfernt waren, daß man nur froh sein konnte, wenn man aus dem Norden kam und deshalb nicht alles verstand. Hier schien alles, was Menschen überhaupt tun, sich zu verdichten und zu vermischen, ein einziger Windstoß brachte den Gestank von Heringen und Suppentöpfen und Exkrementen, kein Geruch ließ sich vom anderen trennen.

Er endete in einer Schankstube und hatte bald eine Frau auf den Knien hängen, er wußte, daß jemand sie gestoßen hatte. Sie bat um Entschuldigung, blieb aber sitzen, und als er ihre Wärme und ihren weichen Körper an seinem spürte, erwachte seine Lust, und er ging mit ihr in ein Zimmer oben im Laubengang. Er gehorchte dem Befehl seines Körpers, und alles war gut. Aber als die Frau danach sagte, sie sei achtzehn Jahre alt, schämte er sich. Er hatte sie für über dreißig gehalten, für etwas jünger als sich selber. Sie erzählte ihm ihre Geschichte. Darin kam alles vor, was ein Leben zerstören kann. Ihr Vater war unbekannt, ihre Mutter im Kindbett gestorben. Die Frau war zu einer Tante gegeben worden. Die Tante schlug sie jeden Tag und nannte sie häßlich, weil sie ihrem Vater ähnlich sah. Der Onkel vergewaltigte sie. Sie verliebte sich in einen Jungen vom Nachbarhof und wurde schwanger. Sie waren zwar verlobt, aber der Junge setzte sich ab und ging zur See. Sie mußte vor der Schande davonlaufen, gebar ihr Kind in aller Heimlichkeit, es starb, und nun saß sie hier.

Ich muß dieses Mädchen mit nach Oppdal nehmen, dachte Jon Mjøen. Alles hat seine Geschichte. Alle Menschen haben ihre Geschichte. Manchmal ist es besser, diese Geschichte nicht zu kennen. Sie zerreißt uns sonst das Herz. Elise hieß das Mädchen. Er ging wieder zu ihr. Und sie gewann ihn lieb.

Jon Mjøen bestand sein Examen, noch dazu mit den besten Noten. Jetzt war er fertiger Jurist, und Helene wurde fortan „gnädige Frau“ genannt. Als sie wieder gen Norden aufbrachen, wußte man das schon auf sämtlichen Posthaltereien und Höfen der ganzen Strecke – bei Lensmann Kaasen in Eidsvold, beim alten Gudbrand in Ringebu, in Laurgård, Dovre, Hauen, bei Iver Tofte auf Toftemoen, in Dombås, in der Fokstue, in Hjerkinn und Kongsvoll. Überall wurden sie herzlich aufgenommen und beglückwünscht, nirgends mußten sie bezahlen. Und in einer Bruchbude in einer Gasse, auf der die Abwässer frei herumschwammen, hoffte eine Frau, daß der Trønder mit dem guten Herzen zurückkommen und ihr helfen würde, wie er es versprochen hatte.

Augusta und ihr Dichter

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