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EINE PERLE OHNE GLANZ

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Seit Anfang des Jahres hatte Dana immer wieder Bauchschmerzen. Inzwischen war es schon Mitte Mai und Frau Furler, ihre Mutter, hatte gehofft, dass es nach dem Winter besser werden würde.

Dana stand am Fenster und weinte.

»Noch immer Bauchweh?«, fragte die Mutter.

Dana legte ihre Hände an den Bauch und nickte.

»Du musst noch ein bisschen warten, gleich geht’s dir besser.«

Das Kind zog die Schultern hoch, sagte aber nichts.

»Willst du dich lieber hinsetzten?«

Dana schüttelte den Kopf. »Dann sehe ich ja nichts«, flüsterte sie.

»Noch fünf Minuten, dann kommt das Schiff«, versuchte die Mutter die leidende Dana abzulenken. Ablenkung half manchmal. Immer diese Bauchschmerzen, dachte sie. Und das jetzt schon ein halbes Jahr lang. Kein Arzt kann uns sagen, was sie hat. Hoffentlich hilft die neue Idee!

»Gibt es irgendetwas, das Dana sich sehr wünscht?«, hatte der Kinderarzt gefragt. »Oder etwas, worüber sie sich sehr freuen würde? Gehen Sie doch mal in den Zoo oder auf einen Reithof«, hatte er vorgeschlagen. »Vielleicht ist das die beste Medizin!«

Danas Mutter hatte sofort mit ihrem Mann gesprochen. Schon am nächsten Tag hatte er angerufen und ihr von seiner »sehr guten Idee« erzählt. Sie erinnerte sich noch gut an das Gespräch am Telefon.

»Weißt du, ich glaube, ein Tier könnte ihr helfen. Man hört doch immer wieder, dass Tiere eine heilsame Wirkung auf Kinder haben.«

»Meinst du Delfine?« hatte sie gefragt. »Delfine haben wir nicht in unserem See.«

»Es müssen ja nicht gleich Delfine sein, was ist mit einer Katze, einem Hund, oder …«

»Einem Pferd?«

»Ja, genau, ein Pferd!«

»Es muss natürlich ein kleines Pferd sein, Dana ist ja erst fünfeinhalb.«

»Ja, natürlich … Und Platz haben wir ja in unserem Stall.«

»Aber wie kommen wir zu einem Pferd?«

»Lass das mal meine Sorge sein, ich schicke meine Leute los …«

»Mama, komm«, rief Dana laut, »ich sehe das Schiff.«

Danas Mutter eilte zum Fenster und stellte Dana auf den Fenstersims. Sie konnte jetzt auch das Ufer sehen, wo das Schiff anlegte. Genau im richtigen Augenblick, denn jetzt fuhr ganz langsam ein Auto mit einem Anhänger auf den Hof. Dana bemerkte nichts. Sie beobachtete, was unten am Ufer passierte. Ein paar Leute stiegen aus dem Schiff, andere gingen über den kurzen Steg ins Boot. Es waren immer nur wenige Menschen, die ein- oder ausstiegen. Nach zehn Minuten legte das Schiff wieder ab und fuhr auf die gegenüberliegende Seite des Sees. Oft stand Dana so lange am Fenster, bis sie das Boot nicht mehr sehen konnte. Aber nicht heute.

»Wie geht’s dem Bauch?«, fragte Danas Mutter.

»Besser«, antwortete Dana, ohne sich umzudrehen.

»Komm, ich will dir was zeigen«, sagte die Mutter mit halblauter Stimme.

»Nein, lass mich noch ein bisschen schauen, ich seh das Boot noch.«

Danas Mutter ging auch ans Fenster und legte ihren Arm um Danas Schulter. Sie tat so, als wäre das andere, was sie ihr zeigen wollte, nichts Besonderes. Darum redete sie langsam. »Aah-Ohahaaa«, gähnte sie, »dann schaue ich halt allein ….« Sie ging ein paar Schritte, drehte sich dann aber wieder zurück zu Dana. »Aber vielleicht ist das, was ich dir zeigen will, dann traurig, wenn ich ohne dich komme.«

Dana spürte, dass ihre Mutter nur mit ihr spielte. In ihrer Stimme lag etwas Geheimnisvolles. Sie drehte sich zu ihr und streckte ihre Arme aus. »Maamaaa, was willst du mir zeigen?«, fragte Dana nun voller Erwartung. Ihre Augen glänzten.

Die Mutter öffnete ihre Arme: »Spring!« Sie stellte Dana auf den Boden und machte eine wegwischende Handbewegung: »Ich verrate nichts, du musst schon mitkommen.«

»Dann los«, lachte Dana, »ich will’s jetzt sehen.« Sie fasste die Hand der Mutter und riss sie mit zur Tür.

Der Wagen mit dem Anhänger war inzwischen wieder vom Hof gefahren. Dana sah nichts Auffälliges, als sie aus der Tür trat. Als ahnte sie etwas, zog sie ihre Mutter zum Stall. Im Vorderteil waren allerlei Geräte abgestellt: Rasenmäher, Leitern, Baumscheren und ein alter Pflug vom früheren Besitzer. Der hintere Teil war leer. Bis heute.

Dana zog ihre Mutter zur hinteren Tür und öffnete sie vorsichtig einen Spaltbreit. Ein besonderer Geruch schlug ihr entgegen. Links bewegte sich etwas. Dana hielt den Atem an und öffnete die Tür etwas weiter. Langsam drehte sie ihren Kopf nach links und guckte um die Ecke: »Ein Pferd!«, prustete sie laut. »Mama, ein Pferd!« Sie war so aus dem Häuschen, dass sie die Tür wieder zuschlug, ihre Mutter ansprang, sie drückte, wieder losließ und sich erneut auf die Tür stürzte, so als wollte sie nachprüfen, ob sie wirklich richtig gesehen hatte. »Mama, ist das mein Pferd?«

»Ja, mein Schatz, das ist dein Pferd.«

Die Mutter hatte Tränen in den Augen, weil Dana sich so freute. Die schien erst jetzt zu begreifen, dass da ein Pferd im Stall stand, das ihr gehörte. Sie drückte die Tür wieder zu, hüpfte um ihre Mutter herum, klatschte in ihre Hände, jauchzte und lachte. Die Freude war zu groß, sie konnte einfach nicht ruhig sein und still stehen.

Danas Mutter wurde von dieser Freude angesteckt und konnte jetzt auch nicht mehr ruhig dastehen. Sie hatte ihr Kind schon lange nicht mehr so fröhlich erlebt. Sie schnappte ihre tanzende Tochter, drückte sie fest an ihr Herz und drehte sich im Kreis mit ihr. Bis ihr schwindlig wurde. Hurtig lehnte sie sich an die Tür und atmete zweimal tief durch. Auch Dana wurde jetzt wieder ruhiger.

»Komm, wir gehen jetzt zusammen in den Stall«, sagte die Mutter. Sie fasste die Hand ihrer Tochter, die leicht zitterte, und öffnete langsam die Tür. Schritt um Schritt näherten sie sich dem Pferd.

»Es ist schwarz«, stellte Dana fest. »Wie heißt es?«

»Lia«, sagte die Mutter leise, »dein Pferd ist ein Mädchen und es heißt Lia.«

»Lia«, hauchte Dana verliebt und streckte ihre Hand nach ihr aus, um sie am Kopf zu streicheln. Lia wich etwas zurück.

»Weißt du, Dana«, erklärte die Mutter, »Lia ist noch ein bisschen aufgeregt von der Reise zu uns. Du wirst sehen, bald wird sie sich von dir streicheln lassen. Schau doch, sie fühlt sich bei uns schon ein bisschen zu Hause, sie frisst ja schon«.

Dana und ihre Mutter blieben noch eine Zeit lang vor dem Trog stehen und schauten, wie Lia ihr Maul in den Trog steckte, etwas Korn mit ihren Lippen aufnahm und geräuschvoll zerkaute.

Dana ging an diesem Tag später ins Bett als sonst. Sie war einfach zu aufgeregt, um schlafen zu können. Sie hatte auch schon mit ihrem Vater telefoniert und ihm von Lia erzählt. Aber dann kam doch die Müdigkeit und Dana wollte ins Bett. Wie jeden Abend betete ihre Mutter mit ihr, bevor sie einschlief. Auch Dana sprach oft ein kurzes Gebet. Meist hatte sie darum gebeten, dass die Bauchschmerzen aufhörten. Diesmal dankte sie Gott für Lia und schlief mit einem Lächeln ein. Mit Tränen der Dankbarkeit ging Frau Furler leise aus dem Zimmer und dachte: Dana ist wieder froh.

Perlen ohne Glanz

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