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EIN PRÄSIDENTEN-PFERD
ОглавлениеAm zweiten Sonntag im Mai bog ein großes Auto auf seinen Hof. Gleich darauf folgten ein zweites und ein drittes. Langsam rollte das große Auto bis kurz vor die Haustür. Die beiden anderen blieben kurz nach der Einfahrt stehen. Bauer Erwin zog sich schnell die schönste Jacke über und ging nach draußen. Das sind ganz reiche Leute, dachte er, zum Glück habe ich mein starkes Pferd Boo und die schnelle Sina noch nicht verkauft. Jetzt kriege ich viel Geld.
Zuerst öffnete sich die linke Tür des grossen Wagens. Ein sportlicher Mann mit Pistole im Gurt stieg aus: »Sind Sie Bauer Erwin?«, fragte er, ohne zu grüßen.
»Ja, der bin ich, was kann ich für Sie tun?«
»Guten Tag, erst mal. Mein Chef möchte Sie sprechen.«
Jetzt erst öffnete sich die hintere rechte Tür des Wagens. Bauer Erwin war sehr aufgeregt, er merkte gar nicht, dass seine Hose flatterte. Als er sah, wer da auf seinen Hof gefahren war, wusste er nicht, was er tun sollte. »Gu… Gu… Guten Tag, Herr Präsident«, stotterte er. Zuerst ging er einen Schritt auf den Präsidenten zu, dann fiel ihm ein, dass er vielleicht doch lieber stehen bleiben sollte. Also trat er wieder einen Schritt zurück.
»Guten Tag, Herr Erwin«, grüßte ihn der Präsident so freundlich, als hätte er einen alten Bekannten getroffen.
Bauer Erwin wurde jetzt locker und fing an zu plappern wie ein Marktverkäufer: »Ich nehme an, Sie wollen ein starkes Pferd kaufen, da sind Sie bei mir genau richtig.« Dann dachte er an Sina und fügte schnell an: »Natürlich kann ich Ihnen auch ein schnelles Pferd verkaufen, Herr Präsident. Sagen Sie einfach, welches Pferd Sie wollen, Ihnen verkaufe ich es ganz bestimmt.«
Der Präsident hob den Arm, wie er es immer tat, wenn er wollte, dass die anderen ihm zuhörten. Bauer Erwin verstand und sagte sich: Vielleicht sollte ich einfach mal den Mund halten und hören, was der Präsident wirklich von mir will.
»Herr Erwin«, ergriff der Präsident nun das Wort. »Wie heißen Sie eigentlich mit Nachnamen?«
»Bauer – nein, natürlich nicht Bauer – das ist ja mein Beruf, ich heiße Hanke, Erwin Hanke.«
»Gut, Herr Hanke, ich bin heute zu Ihnen gekommen, weil ich ein Pferd von Ihnen kaufen will.«
Sofort holte Bauer Erwin Luft, um seine beiden Rösser, das starke und das schnelle, anzupreisen, aber der Präsident hob wieder seine Hand. Bauer Erwin machte den Mund wieder zu und kratzte sich vor Verlegenheit am Bauch.
»Herr Erwin, nein, Hanke sagten Sie, Herr Hanke, ich suche ein kleines ruhiges Pferd für meine kleine kranke Tochter. Haben Sie so ein Pferd?«
Bauer Erwin hörte erst mal kurz auf zu atmen, so überrascht war er. »Ja, ja, natürlich, aber …«
Wieder hob der Präsident seine Hand und Bauer Erwin schwieg. »Zeigen Sie mir das Pferd«, bat der Präsident. Er schaute seinen Leibwächter an und machte eine kaum sichtbare Kopfbewegung.
Der Mann mit der Pistole ging auf Bauer Erwin zu und bat ihn, nun sofort loszugehen. »Der Präsident hat wenig Zeit, wissen Sie«, tuschelte er ihm leise ins Ohr.
Bauer Erwin verstand, er war ja nicht dumm, und trottete sofort los. Dabei stolperte er über seine eigenen Füße und wäre auf dem Boden gelandet, wenn der Leibwächter ihn nicht aufgefangen hätte. Erst jetzt bemerkte er, dass er mit seinen alten kaputten Latschen vor dem Präsidenten gestanden hatte. Die beiden großen Zehen guckten vorn heraus. Und die Zehennägel hatte er auch schon lange nicht mehr geschnitten! Seine Wangen wurden heiß und rot, so sehr schämte er sich.
Der Präsident war begeistert von dem kleinen schwarzen Pferd. »Genau das richtige Pferd für meine kranke Tochter«, rief er seinem Leibwächter zu. »Sie liebt schwarze Pferde über alles. Wie heißt es denn?«
»Lia.«
»Und wie alt ist Lia?«
»Noch nicht alt, vielleicht drei Jahre.«
»Wie viel wollen Sie denn für Lia haben?«
Bauer Erwin überlegte rasch, was er jetzt sagen sollte. Der Präsident konnte sicher ein bisschen mehr zahlen als andere. Aber wenn er einen zu hohen Preis verlangte, würde der Präsident vielleicht nein sagen. Er war ja froh, Lia überhaupt loszuwerden. Dann nannte er eine Summe, die ein bisschen höher war, als die, die der Schlachthof ihm geben würde.
»Waaaas …?«, sagte der Präsident, als er die Summe hörte.
Bauer Erwin setze wieder zum Reden an, um ein bisschen weniger zu verlangen, aber der Präsident hatte seinen Arm nach oben bewegt und Bauer Erwin hatte inzwischen verstanden, dass er jetzt zuhören sollte, anstatt zu reden.
Der Präsident wandte sich an seine Begleiter mit der Pistole und machte eine winkende Handbewegung. Der griff sofort an den Gürtel und kramte ein ledernes Etui heraus. »Geben Sie ihm das Doppelte«, befahl er.
Bauer Erwin hatte vergessen, seinen Mund zuzumachen. Und jetzt riss er ihn noch weiter auf, so überrascht war er.
»Das Pferd wird morgen abgeholt«, sagte der Präsident. Mit einer Kopfbewegung deutete er in Richtung Auto. Er gab Bauer Erwin die Hand, bedankte sich und redete davon, wie glücklich seine Tochter sein würde und dass er hoffe, dass das Pferd ihr helfen werde, wieder gesund zu werden.
Aber von all dem bekam Bauer Erwin nicht mehr viel mit. Erst, als die Autos vom Hof brausten, kam er wieder zu sich. Habe ich dem Präsidenten eigentlich danke gesagt?, fragt er sich.
Noch ziemlich verwirrt eilte er in seine Küche, füllte ein Glas mit Wasser, warf eine Tablette in den Mund und trank mit großen Schlucken alles aus. So was!, dachte er, nein, so was hatte er noch nie erlebt.
Lia! Ja, Lia durfte weiterleben. Er musste sie nicht schlachten lassen. Sie war nun ein »Präsidenten-Pferdchen«, kein Schweine-Pferdchen mehr. Und so eine schöne Aufgabe, dachte er sich. Lia darf der Präsidententochter helfen, wieder gesund zu werden.
Bauer Erwin schüttelte nachdenklich den Kopf und kratzte sich am Bauch. »Schade eigentlich, dass ich das nicht miterleben darf«, sagte er leise.