Читать книгу Der Neujahrsabend - Gerda M. Neumann - Страница 10
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ОглавлениеNicht viel später summte das Teewasser in Amandas weiträumiger Küche. Olivia saß an dem kleinen Tisch im Erker mit einem Stoß Papier vor sich und während Amanda Käse, Lachs und kleine Tomaten auf den Tisch stellte, schrieb sie die Gäste des Neujahrsfestes auf drei leere Blätter Papier: Verwandte, es waren tatsächlich erstaunlich viele; Schriftsteller, dieses Blatt füllte sich am leichtesten, es waren auch weniger; und Verleger, Professoren und Journalisten auf dem dritten, hier blieben einige Lücken. Amanda goss Tee ein, stellte einen Korb mit heißem Toast neben die Kanne und setzte sich der Freundin gegenüber: »Nun, welcher Name lacht dich an?«
»Was soll das heißen?«
»Mit wem sollen wir beginnen? Kann doch sein, dass deine kleinen grauen Zellen unter dem langweiligen Auflisten von Namen schon zu arbeiten begonnen haben.«
Olivia betrachtete die Freundin durch den Dampf, der aus ihrer Teeschale aufstieg: »Deine Gedanken richten sich wieder nach vorn, das ist gut. Ich fühle mich inzwischen auch rätselhaft unternehmungslustig, ein wenig so, als würden wir gemeinsam auf Abenteuer ausziehen.« Prüfend nippte sie an der Teeschale: noch zu heiß. »Wenn wir uns nicht in die Karten gucken lassen wollen, jedenfalls so lange wie möglich nicht, müssen wir die Gunst der Stunde nutzen, nicht wahr?«
»Und die wäre?«
»Morgen, Mittwoch, hat Richard in Cambridge einen Termin mit Beeverell. Wir könnten auch dort sein…«
»Aber wir können uns doch nicht in das offizielle Polizeiverhör drängen!«
»Nein, das wäre ja auch Zeitverschwendung! Richard wird mir später schon erzählen, was war. Wir könnten währenddessen Beeverells Frau besuchen, wird sicher interessant. Anschließend sehen wir weiter…«
»…und man weiß nie, wen man in Cambridge trifft…«
»Also halt morgen die Augen offen! Hier,« Olivia schob die Listen über den Tisch, »wen von diesen Leuten kann man irgendwo ›zufällig‹ treffen, weil er feste Gewohnheiten oder Termine hat?«
Amanda brütete eine Weile über den Kolonnen, schließlich tippte ihr Finger auf einen Namen: »Weinreb hat, soweit ich weiß, ziemlich feste Gewohnheiten. Seine Vormittage verbringt er in der Bibliothek des Britischen Museums. Früher ging er zum Lunch in eine der Sandwichbars in der Nähe des Museums, vielleicht isst er heute im Neubau der Library, du weißt, wie praktisch das ist. Das könnte ich herausfinden, es kostet nur ein bisschen Zeit. Ich schreibe es mir mal für Donnerstag auf für den Fall, dass es nichts Zwingenderes zu tun gibt – Keiths Familie ist ein Fall für sich, mit ihr zu reden sehe ich einstweilen keinerlei Möglichkeiten – außer hier vielleicht,« die Spitze ihres Stiftes umkreiste einen Namen: »Albert Aulton. Er hat eine kleine Buchhandlung, irgendwo. Um das herauszufinden, dürfte das Telefonbuch reichen. Das wäre eine hübsche Unternehmung für Samstag-Vormittag: Wir zwei gehen Arm in Arm bummeln und stehen rein zufällig vor dieser Buchhandlung, gehen hinein wie in jede Buchhandlung und – so eine Überraschung, treffen auf Albert Aulton: ›Kennen wir uns nicht? Woher nur…«
»Amanda! War das nicht dieser kleine Mann am Tisch der Familie, der uns seinen Rücken zuwandte, gebeugt wie ein Abwehrschild? Über den kannst du doch nicht so herfallen!«
»Ich kann auch sehr sanft und mitfühlend sein, wenn die Lage es erfordert, wir werden sehen…«
»Keine Zweifel… Das sind immerhin schon drei bis vier feste Ermittlungsziele, je nachdem, ob man das Ehepaar Beeverell einfach oder doppelt zählt.« Olivias Blick streifte die Küchenuhr: »Ich muss sausen, ich muss mich nämlich noch maskieren.« Auf Amandas überraschten Blick hin stahl sich der Übermut in ihre Augen. »Tödliches Gift organisiere ich lieber nicht als ich selber, nicht mal, wenn ich nur als Begleitperson dabei bin.«