Читать книгу Theater in Bresel - Gerhard Gemke - Страница 8
Hefezopf
Оглавление„Was riecht hier so?“ Jan drehte sich um. „Ich meine, so gut.“
Er und Freddie standen eingeklemmt zwischen Oma Sievers' braunem Kamelhaarmantel, Jans Geschwistern Lotte (8) und Johnny (5) und weiteren dreißig bis vierzig Breselnern, die durch die Klosterpforte drängelten.
„Das duftet nach frisch Gebackenem.“ Elfriede Sievers schlang den Mantel enger um die klapprigen Glieder und blinzelte zu Freddie hinüber. „Lecker, lecker.“
Jan folgte ihrem Blick. „Was versteckst du da?“
Freddie zog verlegen eine Papiertüte hinter dem Rücken hervor. Bäckerei Blume stand in der aufgedruckten Margeritenblüte.
„Nur 'n Hefezopf“, nuschelte er.
„Mmh“, machte Jan. Seit wann stand Freddie auf Hefezöpfe? Manchmal hatte sein Freund seltsame Ideen.
„Ob Lisa wohl noch kommt.“ Freddie stellte sich auf Zehenspitzen und versuchte den schwatzenden Haufen Breselner zu überblicken. Dafür musste er allerdings noch ein paar Zentimeter wachsen.
Mittlerweile hatte sich der Pulk bis in den Eingangsflur vorgeschoben. Am Ende des Flurs führte eine steile Treppe hinab zu den Kellergewölben. Heinrich II. von Kalkstein und Breselberg hatte sie 1832 erbaut, als er sich im Kloster eine Zweitwohnung einrichten ließ. Dort unten befand sich seit der Zeit ein Schwimmbad, das die Breselner, nachdem wieder Mönche das Kloster besiedelten, als Zöli-Bad verspotteten.
Vor der Treppe hatte sich die Oberen Zehntausend von Bresel versammelt: Neben Bürgermeister Müller-Pfuhr schnippelte gerade seine Frau Agathe mit einer Riesenschere die Luft in Scheiben. Doktor Jorgonson war sichtlich bemüht, sie zu beruhigen, ohne verletzt zu werden. Baron Eduard von Knittelstein und Elvira führten ein angeregtes Gespräch mit Bauunternehmer Spreißelmeier. Jans Eltern suchten sich mit Vater und Mutter Haustenbeck und Freddies Bruder Robert einen günstigen Platz, um diese Zehntausend im Blick zu behalten.
Und natürlich Rubens Bogdanov, Freddies Klavierlehrer. Er steuerte gleich auf die Jungs zu. „Na, wollt ihr buddeln helfen?“ Seine schwarze Mähne wallte ihm beim Lachen um die Ohren.
„Mal schaun“, antwortete Jan ausweichend.
„Links neben der Treppe ist ein Stand mit Infozetteln.“ Der lange Musikus konnte die Versammlung spielend überblicken.
„Sehen Sie irgendwo Lisa?“, nutzte Freddie die guten Beziehungen zu einem Aussichtsturm. Die Mähne wallte verneinend, stockte, dann nickte sie. „Kommt gerade durchs Tor.“
Die Bäckertüte raschelte in Freddies Hand, und Rubens Bogdanov schnupperte genießerisch. Aber Freddie ließ sich auch durch dessen neugierige Blicke nicht zu einer Erklärung hinreißen.
In diesem Moment bimmelte Radolf Müller-Pfuhr mit der Rathausglocke, die er praktischerweise gleich mitgebracht hatte. Als der letzte Breselner das Läuten richtig gedeutet hatte und es still wurde, ließ der Bürgermeister den Arm sinken.
„Meine lieben Breselnerinnen und Breselner. Es ist mir eine große Ehre und Freude, dass wir hier und heute dank meiner umsichtigen Politik die einmalige Gelegenheit beim Schopfe packen dürfen …“
Ohja, es wurde ein Rede von der Sorte, die man von dem neuen Bürgermeister erwartete. Nachdem eingehend seine persönlichen Verdienste hervorgehoben wurden, unterstrich Radolf die überregionale Bedeutung des Bauunternehmers Spreißelmeier als größten Arbeitgeber im Umkreis, und verkündete der interessierten Bürgerschaft, dass in die Hände und die Verantwortung dieser Firma die Umgestaltung des Klosters gelegt worden sei. Spreißelmeier würde zunächst die Außenfassaden in Angriff nehmen, da – und hier wuchs Radolf noch einige Zentimeter – da dank seiner umsichtigen Politik das Team des Historischen Museums zwei volle Monate lang in den Fundamenten des Klosters graben dürfe. Und so weiter.
Jan und Freddie klingelten bald die Ohren vor lauter Zukunft und Event-Center, Jugend und Kultur. Am liebsten hätte Freddie vor Langeweile schon in den Hefezopf gebissen. Wo blieb eigentlich Lisa?
„Mit einem kleinen Scherenschnitt durchtrenne ich nun das Band vor diesen Stufen – doch es ist ein großer Schnitt für die Kultur unserer geliebten Stadt Bresel. Meine Damen und Herren, besichtigen Sie mit mir und meiner Frau die Unterwelt des Klosters Sankt Florian. Ich danke Ihnen!“
Radolf nahm mit würdevollem Kopfnicken den Applaus entgegen und stieg mit Agathe huldvoll wie ein Fürstenpaar die Treppe hinunter. Das Volk folgte schwatzend. Freddie und Jan schoben sich an Doktor Jorgonson vorbei.
„Na, wie geht's ihrem Herzen, Herr Baron?“, fragte der Arzt gerade. Baron Eduard murmelte ein „Danke soweit“ und beeilte sich, von dem unangenehmen Thema (und dem dazugehörigen Arzt) fortzukommen. Er zwängte sich hinter Elvira durch den schwitzenden Haufen. Jan und Freddie nutzten die Verdrängung des beleibten Barons und schlossen sich ihm an.
Das Kellergewölbe bot für den Besucherandrang mehr als genug Platz rings um das Badebecken. Es roch nach zweihundert Jahre schlecht gelüftet, und an der gewölbten Decke blätterte die Farbe von den Gemälden. Spärlich bekleidete Menschengrüppchen streiften darauf durch Wälder und Wiesen und hatten sicher schon das Auge Heinrich II. erfreut. Und die Augen der Mönche in späteren Jahren ebenfalls.
An den Seiten hatten Angestellte des Museums Tische mit reichlich Informationsmaterial aufgestellt. Hier fand man Schriften zur Entstehung des Klosters, sowie zur Geschichte der Stadt Bresel. Kinder durften das Bilderbuch Wie Kunibald Burg Knittelstein erbaute bemalen. Die Erwachsen waren fasziniert von den verschiedenen Baustilen, in denen das Gebäude erweitert und ausgebaut worden war. Das größte Gedränge herrschte jeweils an dem Stand, den Herr und Frau Bürgermeister ansteuerten. Aber auch die Stellwand mit dem Aufruf für die Grabungshelfer fand reges Interesse.
Dort entdeckte Freddie sie endlich. Lisa blätterte versunken in einer Broschüre. Freddie näherte sich zögernd.
„Ähäm.“
„Was willst du?“, fragte Lisa freundlich, aber ohne aufzublicken.
„Ja, ich …“ Freddie raschelte verlegen mit der Papiertüte. „Also … tja … ich hab dir was …“ Freddie wusste beim besten Willen nicht weiter.
Lisa hob den Kopf und sah ihm gerade ins Gesicht. „Ist okay, Freddie“, sagte sie, „schon vergessen.“ Sie nahm die Tüte, die Freddie ihr hinhielt, und wandte sich wieder ihrer Lektüre zu.
„Willst du nicht …“ Freddie zeigte unsicher auf die Bäckerblume.
„Später.“ Lisa ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
Freddie nickte und nahm sich ebenfalls eine Broschüre mit der Aufschrift Grabungshelfer gesucht. Langsam ging er zu Jan zurück.
„Ich glaube, Lisa ist stinksauer.“
Jan der gerade in der Welt der Florian-Mönche blätterte, linste an Freddie vorbei zur Grabungshelfer-Stellwand. „Quatsch“, sagte er, „Lisa lässt dich nur schmoren.“
Lisa hatte inzwischen den Hefezopf ausgepackt und biss herzhaft hinein. Dann wandte sie sich, ohne die Jungs eines Blickes zu würdigen, dem Pappmodel des Florian-Klosters zu.
„Was ist das für ein rotes Band da um den Hefezopf?“, fragte Jan, der aus dem Staunen über Freddies Wiedergutmachungsaktion nicht herauskam.
Freddie blickte verlegen auf seine Fußspitzen. „Ich hatte noch 'n gammeligen Osterhasen mit rotem Band und zwei Glöckchen. Den musste ich sowieso entsorgen. Und da dachte ich …“
„Mensch Freddie!“ Jan verdrehte die Augen. „Wenn du so weitermachst, wird dir Lisa täglich ihre Zöpfe zum Kauen überlassen. Das lohnt sich ja richtig.“
Jan duckte sich blitzschnell, und Freddies Boxhieb ging ins Leere.
Eine gute Stunde später verließen die Breselner das Kloster. Wohl informiert und davon überzeugt, dass ihr Bürgermeister das Beste für sie wollte. Jan und Freddie hatten schon die Klosterpforte erreicht, als Lisa sie einholte.
„Hat gut geschmeckt, Freddie“, sagte sie mit einem kaum wahrnehmbaren Hauch eines Lächelns.
„Hunger?“ Lisa hielt ihren Kopf ein wenig schief und zog ihren linken Zopf in Freddies Richtung. Jan sah Freddie mit zusammengebissenen Zähnen und weit aufgerissenen Augen an, aus denen bereits die Tränen traten. Freddie holte aus, und Jan prustete los. Lisa fing geistesgegenwärtig Freddies Arm auf. An ihrem Handgelenk baumelte ein rotes Band mit zwei Glöckchen, die leise dazu bimmelte.
„Frieden!“ Lisa stellte sich zwischen die beiden. „Ich hab übrigens 'ne Anmeldung ausgefüllt. Ihr auch?“
Die Jungs sahen sich an. Dann nickten sie einträchtig.
„Am Montag vor Weihnachten geht's los.“
Und als wäre nie ein Wässerchen getrübt worden, zockelten die drei durch das Schneetreiben davon.