Читать книгу Der gehetzte Rentner - Gerhard Gruner - Страница 9
Die Verteidigungsschlacht zum Fasching
ОглавлениеWie schön ist es, wenn man Freunde in der Welt hat. Wir ebenfalls. Ein befreundetes Ehepaar, aus Thüringen, luden uns schon mehrmals zum Fasching ein. Gerade in dieser Gegend wird noch Fasnacht ausgiebig gefeiert. In jenem Jahr kamen wir der Einladung nach.
„Kinderfasching“, stand an diesem Nachmittag gut lesbar auf den ausgehängten Plakaten. Wie ein altes Sprichwort sagt: „Zeitiges Kommen sichert gute Plätze.“
Unsere beiden Kinder zogen sich als Musketiere an. Jeder besaß einen blauen Umhang mit einem Degen an der Seite. Sie warteten abmarschbereit in der Veranda. Nur Gunters Frau bastelte im Zimmer wie selbstvergessen an den Kostümen ihrer Kleinen. Wird ja langsam Zeit, dachte ich so bei mir.
Gunter, der im Elferrat mitwirkte, musste derweil etwas für die Faschingsfeier erledigen. Seiner Gattin legte er ans Herz, sie möge unbedingt vor 14.00 Uhr im Saal sein. Der Beginn war auf 14.30 Uhr festgelegt.
In freudiger Erwartung des Spektakels eilte ich zeitig voraus, um gute Plätze zu ergattern. Man will ja optimal schauen können. Dort angekommen, beeindruckte mich die Ausstattung für die Fastnachtsveranstaltung. Die Tische mit den dazugehörigen Sitzmöglichkeiten standen in Reih und Glied. Es saßen nicht viele Faschingsgäste an den Zwölfertischen, sondern es bestand zu diesem Zeitpunkt eine reichliche Platzauswahl. Schnell kippte ich an einem der vorderen Tische sechs Stühle an. Dadurch ist für jeden deutlich zu sehen, dass diese besetzt sind. Die siebende Sitzgelegenheit gegenüber war meine. Damit gehörte uns eine halbe Seite der Tafel. Gunter brauchte keinen Platz. Er hatte seinen auf der Bühne bei dem Elferrat.
Der Raum füllte sich zusehends. Im Nu belegten die Teilnehmer alle Sitze. Die später Ankommenden sahen die große Lücke im Saal, schoss auf unseren Tisch zu und schielten auf die sechs freien Stühle. Am Anfang fiel es mir noch leicht nach deren Anfrage, ob der freien Plätze, ein „Besetzt“ von mir zu schmettern. Es gab Leute, die wollten einfach ein, zwei Stühle nehmen, obwohl alle angekantet standen. Das wusste ich zu verhindern. Manche versuchten sich sogar hinzusetzen.
Ich verteidigte die Stühle heroisch. Schließlich, und davon ging ich aus, musste der Rest in Bälde anrücken.
Inzwischen wurde der Saal brechend voll. Jeder der stand, stierte auf die sechs freien Plätze.
Mit meiner Ruhe ging es bergab. Mein mutiges, vollmundiges „Besetzt“ holperte nahezu in ein krächzendes „Besetzt“ über.
In mir kochte es. Wutwallungen wechselten sich mit der aufsteigenden Hitze in mir ab.
Ich schielte hilflos auf die Armbanduhr. 14.00 Uhr, jetzt sollten sie aber kommen, dachte ich verzweifelt. Gunter hatte es seiner Frau fest an das Herz gelegt, pünktlich zu sein. Nur die Uhr schob ihren Zeiger schleichend vorwärts. Jede Minute verstrich, wie Stunden. In mir lief der Angstschweiß die Brust hinunter.
Es setzte sich langsam in mir ein Egalgefühl durch. Ich sah in mir einen knurrenden Pinscher vor den zu verteidigenden Plätzen. Mich packte ein Gefühl, als beobachtete der Saal meine Verteidigungsschlacht, wie die denn ausginge und vor allem, wann ich endgültig aufgebe. Der Mut sank schrittweise.
Der nächsten Anfrage würde ich nicht mehr widerstehen. Zehn quälende Minuten vergingen noch. Immer wieder sandte ich erwartungsvolle Blicke zur Tür. Endlich der erlösende Augenblick. Vergnügt kam der Rest anmarschiert. Ich musste maximal an mich halten, um nicht zu explodieren.
Wie selbstverständlich setzten sich unsere besseren Hälften mit den Kindern auf die von mir so zäh verteidigten Stühle, als wäre nichts in der Welt geschehen. Klein Claudia, die Tochter von Schneiders, sollte besonders hübsch an diesem Nachmittag aussehen. Das erfordert eben Zeit. Sogleich durfte ich natürlich die Frage nach den gelungenen Kostümen beantworten.
Nur keiner fragte mich nach meinem Kostüm, nämlich meinem Nervenkostüm.
So schön kann der Fasching in Thüringen sein.