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Atmosphäre im Büro

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Im Büro roch es nach „Hausmacher Leberwurst“. Die Kollegin Herta hatte gerade ihr Frühstücksbrot verzehrt. Die Deckenlampen, die auch tagsüber eingeschaltet waren, verbreiteten ein trübes Licht. Auf jedem der sechs zu einem Block zusammengestellten Schreibtische war die Tischlampe eingeschaltet. In deren mattem Lichtkegel sah man die Hände der fünf Kolleginnen wie sie in Aktenordnern blätterten, Belege sortierten oder über die Tastatur ihres Robotron PCs huschten. Durch die schmalen hohen Fenster konnte man die tief hängenden grauen Wolken des Novembertages sehen. Die Fensterscheiben waren durch jahrelanges nachlässiges Putzen fast erblindet, in den Ecken und an den Rändern hatten sich Schmutzränder gebildet.

Ralf Baumann ließ seinen Blick von der Fensterseite über die lange Reihe grauer Stahlblechschränke wandern, die an der Seitenwand standen. Er saß an einem der beiden einander gegenüberstehenden Schreibtische, die am weitesten von der Fensterseite entfernt waren, dafür am nächsten zur Tür standen. Oben auf den Stahlschränken waren Karteikästen aus Holz zu sehen die seit Jahren nicht mehr bewegt worden waren. Ralf Baumann konnte sich vorstellen, dass auf den übermannshohen Schränken dicke Staubschichten lagen und dass sich hinter den Schränken an der Wand alte verstaubte Spinnweben befanden. Wo man die Wand sehen konnte, über den Schränken und in den Ecken, sah man die alte vergilbte Tapete, die an manchen Stellen Blasen geworfen hatte. Er wusste, dass die Putzfrauen die Schränke, ebenso wie die abgenutzten billigen Holzschreibtische schon seit längerer Zeit nicht mehr weggerückt hatten, um den Boden darunter sauber zu machen. Er wusste auch, dass die Reinigungskräfte noch nie daran interessiert gewesen waren, dieses große Büro mit den sechs Schreibtischen und den vielen Schränken richtig sauber zu machen. Sie kehrten und wischten unlustig auf dem abgelaufenen Linoleumboden herum. In den Ecken und Nischen waren so zwangsläufig halbrunde Staub-und Schmutzränder entstanden. Auch in den langen Fluren des großen Bürogebäudes das vor 15 Jahren nach den Normen des Plattenbaus errichtet worden war, ließ die Reinlichkeit sehr zu wünschen übrig.

Am schlimmsten aber war es auf den Toiletten. Neben den Schmutzkrusten In den Ecken, an den Fenstern und unter den Heizkörpern waren da die gelben Ränder in den Kloschüsseln, und über allem schwebte der intensive Geruch von altem Urin. Die DDR-Techniker hatten das Problem eines sicheren Geruchsverschlusses nie lösen können.

Trotzdem fühlte sich Ralf Baumann in seinem Büro wohl. Außen an der Tür stand „Kreditorenkontokorrent“ und neben dem Türrahmen an der Wand waren die Namensschildchen befestigt. An oberster Stelle stand sein Name und hinter diesem das Wort „Leiter“. Zu DDR-Zeiten hatte diese Abteilung zeitweise über 20 Mitarbeiterinnen gehabt. Heute, bei dem schrumpfenden Geschäftsumfang, kam er mit fünf Frauen aus und er rechnete damit, dass weitere Entlassungen notwendig werden würden.

Und welche der Kolleginnen sollte er benennen, wenn er wieder zu Herrn Schmalz gerufen würde, dem Leiter der Finanzbuchhaltung. „Freisetzen“ nannte man das jetzt, nicht mehr „entlassen“. Sollte er eine der verheirateten Frauen nennen? Aber wie lange würden deren Männer noch Arbeit haben. In allen Betrieben wurden Entlassungen vorgenommen. Sollte er eine der älteren entlassen oder eine junge, die keine Familie hatte und möglicherweise leichter einen anderen Arbeitsplatz finden würde? Am liebsten hätte er die Wahl unter Gesichtspunkten der Qualifikation getroffen und die älteste und langsamste Kollegin als nächste entlassen. Aber da regte sich wieder sein soziales Gewissen.

Sie unterhielten sich in der Abteilung und mit den Kollegen aus anderen Abteilungen oft darüber, wie es wohl weitergehen würde. Seit der Privatisierung durch Herrn Egger waren jetzt 4 Monate vergangen. Herr Egger war nicht sehr häufig da. Aber er war wohl unterwegs, um die Zukunft des Betriebes zu sichern. Ganz beachtliche Reisekostenvorschüsse hatte er sich bereits geben lassen, immerhin schon 80.000 DM, wie man von der Kollegin aus der Kassenabteilung wusste. Keiner sprach offen darüber. Sie verhielten sich alle mucksmäuschenstill und waren froh, dass sie noch ihren Arbeitsplatz hatten. Immerhin verdienten sie jetzt harte DM, für die man sich alles kaufen konnte.

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