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Ein Forsthaus steht im Wald, ein Sägewerk im Dorf

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Zum Wandel der Forst- und Holzwirtschaft

Neben den Feldern und Weiden gehört der Wald zu den Urelementen des ländlichen Lebens- und Wirtschaftsraumes. Schon in früheren Jahrhunderten hat der Wald in vielfältiger Weise die Menschen ernährt. Waldarbei ter und Förster waren wichtige dörfliche Berufe, Forsthäuser und Sägewerke prägten die Dorfbilder. Trotz starken Wandels ist der Wald auch heute noch eine wichtige »Sparkasse« des ländlichen Raumes. Und was manche nicht wissen: Die Forstund Holzwirtschaft beschäftigt in Deutschland mehr Menschen als die Automobilindustrie.

Die Forst- und Holzwirtschaft war und ist – wie die Landwirtschaft – ein ganz typischer Wirtschaftszweig des ländlichen Raumes. Bereits in früheren Jahrhunderten trug der Wald wesentlich zu Einkommen und Wohlstand des Dorfes und vieler ländlicher Regionen bei. In den deutschen Mittelgebirgen gab es bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein zahlreiche »Waldarbeiterdörfer«, in denen die Mehrzahl der örtlichen Erwerbspersonen als Förster oder Waldarbeiter ihren Arbeitsplatz hatte. Auch heute ist die Forst- und Holzwirtschaft besonders in den waldreichen Regionen der Mittelgebirge immer noch ein wichtiger, manchmal sogar der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Sie sorgt dort nicht nur für stabile Erträge und Einkommen, sondern stellt oft auch die Mehrheit der dörflichen Arbeitsplätze.

Knapp ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands – nämlich 32 % bzw. 11,4 Mio. ha – ist heute bewaldet.60a Um 1800 lag die Bewaldung noch bei 24 %, seitdem hat die Waldfläche stetig leicht zugenommen – auch in den letzten Jahrzehnten noch, trotz einer ständigen Ausweitung der Siedlungs- und Industrieflächen. Hier schlagen vor allem die Aufforstungen von Grenzertragsböden in den Mittelgebirgen zu Buche. Generell beschränkt sich der Waldbestand überwiegend auf die für die Landwirtschaft ungünstigen Flächen, besonders auf die steinigen und reliefreichen Standorte der Berg- und Hügelländer und des Mittel- und Hochgebirges sowie auf die leichten Sandböden des Norddeutschen Tieflands. So ist der Bewaldungsanteil in Deutschland regional sehr unterschiedlich: Er bewegt sich zwischen 61 % im Landkreis Regen im Bayerischen Wald und 3 % im Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein.

Hinsichtlich der Verbreitung der Baumarten dominiert in Deutschland heute das Nadelholz (54,2 %) gegenüber dem Laubholz (43,4 %), 2 % sind Lücken oder Blößen.61 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts herrschte eine völlig andere Situation: Deutschland war, mit Ausnahme der höhe ren Gebirgslagen, ein reines Laubwaldgebiet. Die danach folgenden starken Umschichtungen der Waldbestände sind vor allem dem Siegeszug der schnell wachsenden Fichten (heute 26 %) und Kiefern (23 %) zuzuschreiben. Allerdings ist in den letzten 20 Jahren der Laubholzanteil wieder allmählich, aber kontinuierlich angestiegen (Buche heute 16 %, Eiche 10 %). Der gesamte Holzvorrat in den Wäldern beträgt etwa 3,7 Mrd. m3. Damit sind die Holzvorräte in Deutschland höher als in den klassischen Waldländern Schweden und Finnland. Der jährliche Holzeinschlag, d.h. die Holzentnahme, liegt im Durchschnitt der letzten fünf Jahre bei ca. 76 Mio. m3, während der jährliche natürliche Holzzuwachs (durch das Wachstum der Bäume) auf über 122 Mio. m3 geschätzt wird. Der Holzzuwachs ist somit derzeit deutlich höher als der Holzeinschlag.62

Wem gehört eigentlich der Wald in Deutschland? Etwa 48 % der Waldfläche sind Privatwald. 33 % bestehen aus Staatswald, wovon 29 % den Bundesländern gehören und 4 % dem Bund. 19 % der gesamten Waldfläche sind Körperschaftswald, d.h. im Besitz von Städten und Gemeinden, von Zweckverbänden und anderen Körperschaften öffentlichen Rechts. Der weitaus größte Teil des Körperschaftswaldes gehört dabei den Städten und Gemeinden, weshalb er meist auch als Kommunalwald bezeichnet wird. Ein sehr kleiner Teil der deutschen Waldfläche ist derzeit noch im Besitz der Treuhand. Dieser war im Zuge der Bodenreform 1945 bis 1949 im Gebiet der ehemaligen DDR enteignet und in Volkseigentum überführt worden und wird nun nach und nach privatisiert.


Flächennutzung in Deutschland durch Land- und Forstwirtschaft sowie Bebauung und Verkehr 2012/201363c

Statistisches Jahrbuch 2014 des Bundesministeriumsf. Ernährung u. Landwirtschaft

http://berichte.bmel-statistik.de/SJT-3070100-0000.pdf

http://berichte.bmel-statistik.de/SJT-3070200-2012.pdf

http://berichte.bmel-statistik.de/SJT-3070400-0000.pdf

http://berichte.bmel-statistik.de/SJT-7010300-2012.pdf

Wie in der Landwirtschaft ist auch in der Forstwirtschaft die Anzahl der Betriebe in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen. Immerhin bestehen heute noch etwa 180.000 forstwirtschaftliche Betriebe, inklusive der Nebenerwerbsbetriebe.63 Ein Merkmal der Bewirtschaftung des Waldes in Deutschland ist die häufige betriebliche Verknüpfung von Land- und Forstwirtschaft. Etwa 81 % aller Betriebe mit Wald haben zugleich Landwirtschaft. Reine Forstbetriebe, die somit nur 19 % aller Betriebe mit Wald ausmachen, bewirtschaften allerdings insgesamt 88 % der Waldfläche. Die durchschnittlichen Waldflächen je Betrieb betragen bei den Gemischtbetrieben 9 ha, bei den reinen Forstbetrieben hingegen 296 ha.63a Einer großen Zahl von »Waldbauern« mit kleinen Waldflächen steht somit eine geringe Zahl von reinen Forstbetrieben mit großen Besitzungen gegenüber. Dass so viele land- und forstwirtschaftliche Gemischtbetriebe ihre oft kleinen Waldflächen nicht aufgeben, hat vorsorgende ökonomische Gründe: Man betrachtet den Wald als Produktionsreserve für besondere Investitionen (z.B. einen Traktor für die Landwirtschaft), für Erbgänge oder unvorhergesehene Krisen, was traditionell als »Sparkasse« für Notzeiten bezeichnet wurde. Da viele der rund 2 Mio. Waldeigentümer in Deutschland nur ein sehr kleines Waldstück besitzen, verzichten sie auf eine eigene Bewirtschaftung und bilden forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse.

Die Zahl der Arbeitskräfte in der Forstwirtschaft ist seit 1955 durch Rationalisierung und Mechanisierung ständig zurückgegangen. Durch die seit etwa zehn Jahren eingesetzten Vollerntemaschinen, auch Harvester genannt, hat der Schrumpfungsprozess noch einmal einen deutlichen Schub bekommen. Diese modernen Maschinen sind mit ihren bis zu 15 m langen Greifarmen in der Lage, vom Baumfällen, Entasten, Entrinden bis zum Auf-Länge-Schneiden und Wegtransport der Stämme praktisch die gesamte Produktionskette der klassischen Waldarbeit in kürzester Zeit auszuführen. Sie enthalten Bordcomputer und GPS-Technik – wie die modernen Mähdrescher –, die alle wichtigen Produktionsdaten und zusätzlich die genaue Position der einzelnen Lagerplätze erfassen und überwachen. Viele Forstbetriebe verzichten heute mehr und mehr auf festangestellte Waldarbeiter. Sie lassen die anfallenden Arbeiten zunehmend von forstlichen Dienstleistungsbetrieben durchführen, die die ganze Palette der modernen Forsttechnik anbieten.


Neben dem Feld ist der Wald der elementare Lebens- und Wirtschaftsraum des Dorfes.


Ehemalige Forsthäuser stehen noch an vielen Dorf- und Waldrändern. Sie werden heute meist als reine Wohngebäude genutzt, wie die Oberförsterei Wilflingen in Oberschwaben lange Jahre durch Ernst Jünger.

Um 1950 war das klassische (und oft gemalte) Bild, das viele bis heute im Kopf haben, noch Wirklichkeit: In den waldreichen Regionen wimmelte es geradezu von Forsthäusern, die den zahlreichen Forstbeamten als Wohn- und Betriebsgebäude dienten. Sie lagen an den Dorf- und Waldrändern, aber auch weiter abgelegen innerhalb der Wälder auf Waldlichtungen oder in Wiesentälern. Die Forsthäuser waren meist leicht erkennbar an ihrer gediegenen Architektur, an Fensterläden und Brettverschalungen der Giebel, am obligatorischen Hirschgeweih über dem Eingang. Sie waren meist umgeben von Holzschuppen und kleineren Nebengebäuden. Die zahlreichen Waldarbeiterhäuser lagen, oft in Sichtweite zu den Forsthäusern, meist in lockeren kleinen Gruppen zusammengefasst. Manchmal gehörte sogar eine einklassige Volksschule zu diesen kleinen Waldsiedlungen.

Neben den Forst- und Waldarbeiterhäusern gehörten die Sägewerke zum normalen Dorfbild. Hier wurde das in den Wäldern geschlagene Holz geschält und zu Brettern und Balken gesägt – nicht selten erfolgte die Weiterverarbeitung des zugeschnittenen Rohholzes direkt in eigenen Zimmereien. Die Sägewerke lagen meist an der dem Wald zugewandten Dorfseite und waren leicht erkennbar an den langen Sägehallen sowie den in Reihen zum Trocknen aufgeschichteten Bretterstapeln.

Der rasante Rationalisierungs- und Konzentrationsprozess in der Forst- und Holzwirtschaft seit etwa 1960 hat nicht nur die Zahl der Betriebe und der Beschäftigten in diesen dorftypischen Branchen drastisch schrumpfen lassen. Auch anhand des Dorfbildes lässt sich dieser Wandel ablesen: So sind die meisten der früheren Sägewerke inzwischen aus den Dörfern verschwunden. Nur wenige haben sich halten und vergrößern können oder sind zu Zimmereibetrieben geworden. Auch in den Forst- und Waldarbeiterhäusern wohnen heute in der Regel keine Förster oder Waldarbeiter mehr, da die unmittelbare Nähe der Wohnung zum Wald durch die Motorisierung der Waldarbeiter nicht mehr notwendig ist. Die weit abgelegenen Forst- und Waldarbeiterhäuser werden heute häufig nur noch als Wochenendhäuser oder Freizeitwohnsitze genutzt.

Das von der Forstwirtschaft bereitgestellte Holz wird von der sog. »nachgelagerten« Holzwirtschaft verarbeitet und verbraucht. Durch ihre Abhängigkeit von der Rohstoff basis Wald besitzt die Holzwirtschaft nach wie vor eine quasi natürliche Standortlage im ländlichen Raum. Vor allem in den waldreichen Mittelgebirgsregionen hat sich die Holzwirtschaft als traditionelles ländliches Gewerbe bis heute behaupten können. Das wichtigste Bindeglied zwischen der Forst- und der Holzwirtschaft ist die Sägeindustrie. Ihre Betriebe bilden die erste Bearbeitungsstufe des im Wald geernteten Rundholzes, das im Wesentlichen zu Schnittholz verarbeitet wird.

Ein Beispiel ist das Holzwerk Rötenbach im waldreichen Südschwarzwald. Das ursprünglich am Dorfrand gelegene Sägewerk war 1981 durch einen Großbrand zerstört und daraufhin auf eine Waldinsel »ausgesiedelt« worden (S. 65). Dass dies eine gute Entscheidung war, bestätigt heute Betriebsleiter Roth: »Hier konnten wir uns platzmäßig ausbreiten und vergrößern und haben nun betriebswirtschaftlich und standortmäßig eine optimale Lage. Wir verarbeiten überwiegend Holz aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Unser Standort lässt Möglichkeiten der Erweiterung zu, die wir am alten Standort im Dorf nie gehabt hätten.« Das Holzwerk produziert heute Schnitthölzer aller Art aus den gängigen, heimischen Nadelholzarten. Es beschäftigt derzeit etwa 35 Mitarbeiter und hat einen durchschnittlichen Jahresdurchsatz von rund 100.000 Festmetern Holz.


Immer weniger Waldarbeiter werden heute in den Wäldern gebraucht. Moderne Vollernter erledigen mit ihren langen Greifarmen das Fällen, Entasten, Auf-Länge-Schneiden und den Wegtransport der Stämme in kürzester Zeit.

Die wichtigsten Zweige der Holzwirtschaft sind die Holzbearbeitung, die Holzverarbeitung und der Holzhandel. Die Holzbearbeitung erfolgt vor allem durch Sperrholz-, Furnier- und Spanplattenwerke, die weitere Holzverarbeitung wird dann u.a. durch die Papierindustrie, die Möbelindustrie und das holzverarbeitende Handwerk vorgenommen. Der Holzhandel sorgt schließlich für den Güteraustausch von Holz und Holzprodukten zwischen holzreichen und holzarmen Regionen sowie zwischen den verschiedenen Stufen der Verarbeitung und des Verbrauchs.

Der Selbstversorgungsgrad mit Holz und Holzprodukten liegt in Deutschland heute bei über 100 %. Es werden zwar relativ viel Rohholz und Holzhalbwaren importiert. Durch den hohen Standard der Veredlungswirtschaft, z.B. in der Papier- und Möbelindustrie, gehört Deutschland gleichwohl zu den bedeutendsten Holzexporteuren der Welt. Sowohl mengenmäßig als auch wertmäßig kann die deutsche Forst- und Holzindustrie einen Ausfuhrüberschuss bilanzieren.

In jüngerer Zeit hat die Verwertungskette Forst und Holz ein wachsendes Absatz- und damit auch Arbeitsfeld entwickelt. Holzabfälle aller Art, die bei der Holzgewinnung und Holzverarbeitung anfallen, werden als erneuerbare Energien genutzt: als Holzschnitzel, Holzrinde, Holzpellets oder Holzbriketts. In Deutschland entfallen derzeit rund die Hälfte der Holzverwendung jeweils auf die stoffliche und die energetische Nutzung.


In Baruth in Brandenburg steht das größte Kiefern-Sägewerk Europas, das vor allem Massivholz für die Bauindustrie und die Heimwerkermärkte, aber auch Dachstühle produziert.

Die Wertschöpfungskette (modern: Cluster) Forst und Holz trägt mit 55 Euro pro Jahr erheblich zur Wertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft bei. Dies wird manchen erstaunen, weil doch in den Medien und in der Wahrnehmung der Bevölkerung meist andere Branchen dominieren. Die deutsche Forst- und Holzwirtschaft zählt heute etwa 1,1 Mio. Beschäftigte. Sie ist hierzulande überwiegend mittelständig bzw. kleingewerblich strukturiert. Ingesamt erzielt der Cluster Forst und Holz einen jährlichen Umsatz von etwa 180 Mrd. Euro.64 Damit hat die deutsche Forst- und Holzwirtschaft mehr Beschäftigte als die Automobilindustrie und erzielt einen höheren Umsatz als die Elektroindustrie oder der Maschinen- und Anlagenbau. Die Forst- und Holzwirtschaft ist also ein unterschätzter Riese. »Ein arbeitsmarktpolitischer Gigant, aber in der Wahrnehmung der Bevölkerung und Politik ein Zwerg«, so beschreibt Prof. Andreas Schulte, Professor für Waldökonomie, Forst- und Holzwirtschaft an der Universität Münster, diesen Wirtschaftszweig in Deutschland.65 Für den ländlichen Raum ist der »Wert« der Forst- und Holzwirtschaft noch höher zu veranschlagen als für den Gesamtstaat, weil dieser unterschätzte Wirtschaftsriese weitestgehend hier und häufig gerade in strukturschwachen ländlichen Regionen angesiedelt ist.

Das Dorf

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