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Durch nachhaltige Forstwirtschaft entstand in Deutschland seit etwa 200 Jahren der heute dominierende Hochwald.

Die Überwindung des »hölzernen Zeitalters«

Von der Übernutzung des Waldes zur nachhaltigen Forstwirtschaft

Die vorindustrielle und Vorkohlezeit wird auch das »hölzerne Zeitalter« genannt – Holz wurde damals für alles gebraucht. Auch die Landwirtschaft nutzte den Wald, vor allem in der Viehhaltung. Durch Übernutzung waren aber schließlich um 1800 viele Wälder in einem jämmerlichen Zustand, worüber zahlreiche zeitgenössische Beobachter berichten. Seit etwa 200 Jahren gilt in Deutschland das Leitbild der nachhaltigen Forstwirtschaft. Es hat im Wesentlichen zum heutigen Zustand und Wert der Wälder hierzulande geführt. Eine Erfolgsgeschichte, um die uns manche benachbarte Länder wie England oder Irland beneiden.

Die Waldnutzung in Deutschland hat in den letzten 200 Jahren gewaltige Veränderungen erfahren, die durchaus denen in der Landwirtschaft vergleichbar sind. Generell war die ökonomische Nutzung der Wälder um 1800 vielschichtiger, komplizierter und z.T. auch problematischer als heute. Die Nachfrage nach Holz und anderen Waldprodukten war riesengroß. Holz war noch der alleinige Energieträger, ca. 80 % des Holzeinschlags wurden verheizt oder verkohlt, das Stein- und Braunkohlezeitalter begann erst um 1830 bis 1850. Darüber hinaus war Holz ein unverzichtbarer Bauund Werkstoff. Aus Holz war fast alles: Gebäude und Hausrat, landwirtschaftliche Geräte und Werkzeuge, Zäune sowie Transportmittel aller Art. Ein gewaltiger »Holzfresser« war der Schiffbau – für die holländische, englische oder spanische Flotte wurden erhebliche Teile der deutschen Mittelgebirge abgeholzt. Man spricht vom »hölzernen Zeitalter«, das schließlich vom Kohlezeitalter abgelöst wurde.66

Auch die Landwirtschaft war noch stark auf die Nutzung des Waldes angewiesen: Im Vordergrund stand die Schweinemast, aber auch Kühe, Schafe und Ziegen wurden von den Bauern zur Fütterung in den Wald geführt. Man spricht hier von »Waldhude«. Als Futter dienten vor allem Eicheln, Bucheckern, Nüsse, Kastanien, aber auch Blätter, Wurzeln und Pilze. Die bäuerliche Waldnutzung entsprach meist alten und genau festgelegten Rechten, die streng überwacht und nicht selten Anlass zu Streitigkeiten wurden. Die Einkünfte aus der bäuerlichen Viehweide waren für die Waldeigentümer manchmal höher als die Holzeinnahmen. Neben der Viehhude diente der Wald den Bauern zur Plaggenentnahme (in Heiden und Wäldern abgestochene Oberbodenstücke) für die Düngung der Felder, als Holz-, Laubfutter- und Streulieferant (für den Stall) und vielfach auch als periodisches Ackerland. So wurde im Rahmen einer Feld-Wald-Wechselwirtschaft auf abgeholzten Flächen für ein bis zwei Jahre Getreide angebaut. Die Grenzen zwischen Wald(-wirtschaft) und Feld(-wirtschaft) waren vielfach fließend. Die heute meist optisch sichtbaren und scharfen Grenzen zwischen Feld und Wald stellten damals eher eine Ausnahme dar.

Die enge Verquickung von Wald- und Landwirtschaft hatte u.a. zwei wesentliche Nachteile. Intensive Plaggenund Holzentnahme, Viehweide und Streuharken führten zu Zerstörungen der Vegetationsdecke und der Waldböden selbst, sodass eine Wiederaufforstung ehemaliger Waldflächen später oft kaum möglich war. Die bäuerliche Waldmitnutzung stand also der modernen Forstwirtschaft im Wege, wie der Jahresbericht der Landeskulturgesellschaft in Arnsberg von 1856 nüchtern feststellt: »Die Wald-Wirtschaft macht zwar in den sichtbar mehrenden Nadelholz-Culturen erhebliche Fortschritte, kann aber ihre Erbfeinde: den Plaggenhieb, das Streu- und Laubsammeln und die Hude nur nach und nach aus dem Felde schlagen.«67

Neben der Landwirtschaft war auch das vorindustrielle Gewerbe bis etwa 1850 in starkem Maße an den Energieträger Holz bzw. Holzkohle und damit an die Waldnutzung geknüpft, weshalb für entsprechende Gründungen häufig Waldstandorte (in den Mittelgebirgen) gewählt wurden. Bis etwa 1850 war die Waldköhlerei zur Herstellung von Holzkohle weit verbreitet. Sehr viel Holz benötigten vor allem die Glashütten und Aschenbrennereien, die sich als »holzfressendes Gewerbe« in den waldreichen deutschen Mittelgebirgen in großer Dichte angesiedelt hatten. Ähnliches gilt für die Eisenhütten. Auch die zahlreichen, an den Solequellen zur Gewinnung von Salz errichteten Salinen brauchten viel Holz. So soll die Lüneburger Heide ihre Entstehung dem »Holzhunger« der Lüneburger Saline verdanken, in der im 17. Jahrhundert jährlich 150.000 m3 Holz verfeuert wurden.68

Der Zustand des Waldes war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern Europas, von Übernutzung und Verfall geprägt. Die Bestände zeigten viele Blößen und schlechte Stammformen der Bäume. Ein Teufelskreis von Waldzerstörung und gleichzeitigem Holzmangel wird in zeitgenössischen Quellen festgestellt. So beschreibt ein Gutachten von 1708 an den preußischen König die Wälder im Sauerland als »dergestalt verhauen, dass überall Mangel an Bauholze und Brandholze vorhanden« ist. Gut hundert Jahre später berichtet ein französischer Minister von einer Inspektionsreise durch das Bergische Land 1810: »Der Boden ist trocken und unfruchtbar; hier und da sind die Berge mit Ginster und Buschwerk bewachsen, die auf einstmals abgeholzte Wälder verweisen, wo die Vegetation aber zu schwach ist, um die ihr von den Landesbewohnern zugefügte Schmach wieder zu heilen.«69 Der abgewirtschaftete Wald war offenbar dermaßen geschädigt, dass er sich aus eigener Kraft nicht erholen konnte. Denn durch Bevölkerungswachstum und die beginnende Industrialisierung war der Holzverbrauch noch einmal sprunghaft angestiegen. Als Betriebsart dominierte seinerzeit der sog. »Niederwald« mit kurzen Umtriebszeiten, sodass sich kaum starkes, ausgewachsenes Nutzholz (wie im sog. »Hochwald«) entwickeln konnte. Ein Beispiel: In Niedersachsen betrug der Holzvorrat in lebenden Bäumen um das Jahr 1800 nur 20 Mio. m3, heute sind es 60 Mio. m3.


Bis ins frühe 20. Jahrhundert nutzte auch die Landwirtschaft den Wald in vielfältiger Weise. Im Vordergrund stand die Schweinemast, hier ein Beispiel der Waldhude aus Braunshausen im Sauerland um 1920.

Die Umgestaltung der herabgewirtschafteten Wälder, mit der man in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert begann, hatte mehrere ökonomische und politische Antriebskräfte. Die permanente Holznot, die in den Quellen immer wieder genannt wird, wurde zum vorrangigen Gründungsmotiv einer modernen Forstwirtschaft. Diese wollte und musste sich zunächst aber von der Bürde der Landwirtschaft befreien, die Waldwirtschaft galt doch als »Filiale der Landwirtschaft«.70 Der Kampf um den Wald war aber auch ein politischer Konflikt: Die vielfachen älteren Nutzungsrechte am Wald standen der neuen Forstpolitik im Wege. Aber zuletzt konnte sich das neue ökonomische Leitbild einer nachhaltigen Forstwirtschaft immer stärker durchsetzen.

Das Prinzip einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung ist erstmals im Jahr 1713 vom sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz formuliert worden. Es entwickelte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum Leitbild der nun enstehenden modernen Forstwirtschaft und Forstwissenschaft in Deutschland. Einer ihrer Mitbegründer war Georg Ludwig Hartig, dessen zeitlose Definition von 1795 bis heute gültig ist: »Unter Nachhaltigkeit ist das Streben nach Dauer, Stetigkeit und Gleichmaß der Holzerträge zu verstehen.«71 Die wesentlichen Zielsetzungen der nachhaltigen Forstwirtschaft bestehen also darin, dem Zuwachs und der Nutzung des Holzaufkommens stets die Waage zu halten (»nur so viel Holz schlagen wie nachwächst«). Zugleich sollen die natürlichen Standortbedingungen gefördert sowie die Flächengröße des Waldes gesichert werden. Nicht das kurzfristige Betriebsergebnis steht im Vordergrund, sondern die langfristige Bestandssicherung. Keine Generation darf sich auf Kosten der folgenden aus dem Wald bereichern. Das Prinzip der nachhaltigen Forstwirtschaft war zunächst rein ökonomisch gedacht, sowohl für den einzelnen Betrieb als auch für die Volkswirtschaft. Heute versteht man es mehr und mehr auch im ökologischen Sinne. In Deutschland ist die Nachhaltigkeit der Forstwirtschaft im Bundeswaldgesetz von 1975 sowie in den Landeswaldgesetzen verankert. Inzwischen ist das Prinzip der Nachhaltigkeit von der Forstwirtschaft auf fast alle Politik- und Wirtschaftsbereiche übertragen worden. So unterscheidet man heute zwischen ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit und spricht von nachhaltiger Landwirtschaft, Medizin, Architektur usw.

Ein grundlegender Baustein für den Wiederaufbau der Wälder im Sinne der modernen Forstwirtschaft waren die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts mit der Auflösung der grundherrschaftlichen Lehensverhältnisse und damit auch der komplexen Besitzstrukturen. Die zahlreichen Waldrechte der Bauern, z.B. Holz-, Weide- und Sammelrechte, wurden durch Grundabtretung oder Geldzahlungen »bereinigt« und durch klare Eigentumsregelungen ersetzt. Die Folge war, dass sich die Zahl der Waldbesitzer stark reduzierte und dass kleinere Waldstücke zu größeren Flächen arrondiert wurden. Außerdem wurde die sog. »Feld-Wald-Wirtschaft«, die wechselnde Nutzung einer Fläche als Wald oder Feld, mehr und mehr zurückgedrängt und schließlich ganz beseitigt.


Traditionelle Nutzungen des Waldes vom 17. bis 19. Jahrhundert in Deutschland


Ein schönes Kalenderblatt für den Monat Januar aus dem frühen 19. Jahrhundert zeigt, wie und wann Waldnutzung und Waldarbeit vor 200 Jahren ausgeübt wurden. Holz war sehr kostbar, und wie man sieht, nutzte man auch die Zweige.

In forstwirtschaftlicher Hinsicht begann seit etwa 1800 der Umbau der bis dahin vorherrschenden, überwiegend kurz- bis mittelfristig genutzten Mittel- und Niederwälder in sog. »Hochwälder«. Diese sind auf längere Produktionszeiträume (ca. 80–200 Jahre) ausgerichtet und verfolgen als Wirtschaftsziel die Erzeugung von starkem, ausgewachsenem Nutzholz. Der Hochwald macht in Deutschland heute ca. 98 % der Bestände aus. In der ökonomischen Bilanz konnten Ertragsleistung und Produktionskraft des Waldes durch den Umbau zum Hochwald wesentlich gesteigert werden. Die Übergänge vom Nieder- und Mittelwald zum Hochwald wurden sicherlich dadurch erleichtert, dass mit dem beginnenden Kohlezeitalter die Wälder als Energieträger entlastet wurden.

Den Wandel vom multifunktionalen Wald vor 200 Jahren zum heutigen Forstwald beschreibt Gerhard Mitscherlich sehr anschaulich, wobei offensichtlich auch ein Stück Wehmut oder Nostalgie mitschwingt: »Im Walde, in dem es Jahrhunderte hindurch vom Hundegebell und Hörnerklang der höfischen Jagden, von dem Geschrei der Viehhirten, dem Blöken, Wiehern, Muhen, Meckern und Grunzen des Viehs, dem Axthieb der Felgen- und Bohlenhauer und dem Pochen der Eisenhämmer geschallt hatte, wo allenthalben die Kohlenmeiler, die Teer- und Aschengruben geraucht, die Schmelzöfen gequalmt hatten, wurde es nach und nach still. Er war nun nicht mehr Lebensraum, wie bisher, sondern wurde Stätte einer planmäßigen, systematischen Holzproduktion, die nur noch möglichst wertvolles Holz liefern sollte.«72

Das Dorf

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