Читать книгу Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum: Jahrgang 1896 - Germanisches Nationalmuseum - Страница 11
Das Gedenkbuch des Georg Friedrich Bezold, Pfarrers zu Wildenthierbach im Rothenburgischen.
ОглавлениеDurch Schenkung seitens des Herrn Direktors von Bezold ist das germanische Museum letzthin in den Besitz einer Handschrift gelangt, die, wie eine kurze Charakterisierung des Inhalts zeigen wird, manchen willkommenen Beitrag zur Kenntnis insbesondere der Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts liefert. Viele Eintragungen freilich können nur ein beschränktes, lokalgeschichtliches Interesse erwecken, andere dagegen verdienen auch in weiteren Kreisen ohne Zweifel Beachtung. Diese Doppelnatur unseres (mit Ausschluß des Registers und eines später hinzugebundenen Heftes von 41 Seiten mit allerlei biblischen Zitaten und Nachweisen) 658 nummerierte Quartseiten zählenden Manuskripts erklärt sich leicht aus der Lebensstellung und Sinnesart des Sammlers und Schreibers.
Es ist der reichsstädtisch rothenburgische Pfarrer Georg Friedrich Bezold, welcher den Codex um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, aber gewiß im Laufe mancher Jahre zusammengeschrieben hat. Seine Familie, die seit dem 15. Jahrhundert in Rothenburg nachweisbar ist, gehörte zu den ratsfähigen Geschlechtern und sein Oheim Georg Christoph Bezold stand noch zu Ende des 17. Jahrhunderts dem Rate der freien Reichsstadt als Consul d. h. Bürgermeister vor. Er selbst aber (geb. 1710) hatte, wie sein Vater Johann Albert, der Pfarrer an der Kirche zum heiligen Geist gewesen war, die Theologie zum Lebensberuf erwählt und die Tochter des Pfarrers Johann Michael Stock zur Frau genommen, dessen Geschlecht bereits seit mehreren Menschenaltern der kleinen evangelischen Gemeinde von Wildenthierbach — auch einfach Thierbach genannt — ihre Seelsorger gegeben hatte. 1734 starb der alte Pfarrherr, wie es in den genealogischen Notizen auf S. 67 des Gedenkbuches, aus denen wir unsere Kenntnis schöpfen, heißt: »ex improviso bombardae ictu militis Würzburgensis«, und im Amte folgte ihm sein Schwiegersohn, der die Pfarrei bis zu seinem im Jahre 1771 erfolgten Tode bekleidet zu haben scheint. Wenigstens folgte ihm, wie eine spätere Eintragung a. a. O. ergibt, in diesem Jahre als Pfarrer von Wildenthierbach sein Sohn Ernst Albert Bezold.
Von seinem stillen Erdenwinkel aus hat der Schreiber unserer Handschrift Jahrzehnte lang dem Treiben der Welt zugesehen. An beschaulicher Muße wird es ihm wohl nicht gefehlt haben, sonst würde er schwerlich große Abschnitte seines Gedenkbuches in zierlicher Druckschrift ausgeführt und, wo etwa seine Vorlagen größere oder kleinere Vignetten und Zierleisten aufwiesen, auch diese mit sorgfältiger Feder wiedergegeben haben. Bewunderungswürdig ist in der That die Ausdauer und Hingabe, mit der er selbst umfänglichere Flugschriften bis auf die Form der Buchstaben getreu kopiert hat.
Von ihm selbst rührt in dem Codex nur wenig her. Es sind da vor Allem Aufzeichnungen über Wind und Wetter, Beobachtungen, wie sie dem Landgeistlichen besonders nahe liegen mußten, zu nennen. Die Einkleidung ist zuweilen originell genug und verrät uns bereits die ausgesprochene Vorliebe des Pfarrers für absonderliche, »curieuse« Gegenstände und Geschichten. So zählt er auf Seite 85 in seinen »Anmerkungen über das 1766ste Jahr« »der Nachwelt zum unvergeßlichen Angedenken« acht »Merkwürdigkeiten« des Winters 1766 auf 67, die sich alle lediglich auf die Witterung beziehen, auf. Daß er aber zugleich mit feinem Sinn für Witz und Humor begabt war, zeigen sogar seine »Dicta quaedam breviter explicata« (S. 377 ff.), teils eigene teils fremde Auslegungen von Bibelstellen, in welchen ein schalkhafter Humor nicht selten das theologische Element überwiegt. Da notiert er sich beispielsweise:
»1. Tim. VI, 9: Denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und in Viele thörigte und Schädliche Begierden, welche die Menschen Versenken ins Verderben und Verdammniß; den der Geitz sey eine Wurtzel alles Übels, und durchstechen sich selbst mit Vielen todes Schmertzen«
und bemerkt dazu:
»Aus diesem Dicto hat eine nachsinnende Feder, Von denen See-Würmern in Holland und deren Vermuthender ursach folgende courieuxe Observation gezogen: .... Der heil. Geist Brauche durch den Apostel das Wort »Schädliche«, und dieses Wort heiße nach dem Grund Text βλαβερὸς, deßen derivation von βλίπτω oder ἐάπτω und ἴπτω, noceo, ich schade, DaVon dan herkomme ἴψ, ἰπὸς vermis cornua corrodens, ein Wurm der Hörner durchnaget, mit Hörnern armiret. — Weilen nun in Holland in sonderheit die Geldgierigkeit und Begierde reich zu werden durch die Handlung zu waßer und zu land, wie bekandt herschet, so hat Gott zur straffe, wie sie selbst bekennen, .... diese schädliche Würmer ... gesandt, welche ihre hornharte Pfähle an den Teichen durch-Brechen und das Land in äußerste Gefahr der überschwemmung und des Verderbens setzen.«
Man hört förmlich bei dieser an den Haaren herbeigezogenen, umständlichen Erklärung den wackeren Pfarrherrn von Wildenthierbach hinter seinem Buche leise lachen.
Im Übrigen besteht der Inhalt so gut wie ausschließlich in Abschriften, deren Vorlagen nicht immer leicht festzustellen sind. Es wurde bereits erwähnt, daß ihm mehrfach Flugblätter und Flugschriften als solche gedient haben, die heute teilweise zu den Seltenheiten zählen. Vieles auch entnahm er der »Frankfurter gelehrten Zeitung«, die er sich gehalten zu haben scheint, oder der »Erlanger Realzeitung«, der »Berliner Zeitung« etc., anderes ist aus Chroniken zusammengetragen, aus den Werken gleichzeitiger Dichter, wie Gellert, Gleim, Gottsched u. a. abgeschrieben. Es verrät keinen besonders entwickelten historisch-wissenschaftlichen Sinn, daß Angaben über das Woher den einzelnen Abschnitten und Gedichten nur selten hinzugefügt sind.
Gleich der erste umfängliche Eintrag in sein Gedenkbuch (S. 1 ff.) zeigt ihn zwar als guten Rothenburger Patrioten und überzeugten, glaubenseifrigen Protestanten, aber als schlechten Historiker, denn zu einer Sammlung von Nachrichten »von der geseegneten Reformation allhier in Rotenburg hätten ihm wohl bessere Quellen zu Gebote gestanden als die ziemlich wertlose Kompilation Albrechts[66] aus der er seine Weisheit geschöpft hat. In einer anderen ähnlichen »Sammlung allerhand merkwürdiger Sachen«, die sich auf Franken, insbesondere aber wieder auf Rothenburg beziehen (S. 397 ff.), wird ein Lobgedicht auf Rothenburg angeführt, welches folgendermaßen beginnt:
»Rotenburg die Edel Berühmte Stadt
Von Schloß und Burg den Nahmen hat.«
Ich kenne dies Gedicht auch aus einem dem 16. und 17. Jahrhundert angehörenden Sammelbande, Ms. 153 fol. der großherzogl. Hofbibliothek zu Darmstadt, wo es auf Bl. 39 f. jedoch in sehr veränderter und bedeutend erweiterter Fassung erscheint und sich für ein Werk Hans Sachsens ausgibt, der in den Schlußversen als Dichter genannt wird. (»Dz wunscht von Nurmberg Hans Sachs, Gott geb dz sein kirch darinnen wachs«). Wenn nun auch das Gedicht in der Form, wie es uns heute vorliegt, alle Zeichen des Apokryphen an sich trägt und keine Spur von dem Geist des Nürnberger Dichters erkennen läßt, so wäre doch immerhin möglich, daß es in Erinnerung und unter Zugrundelegung eines verloren gegangenen Hans Sachsischen Poems entstanden wäre. Und selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wäre das in der Darmstädter Handschrift enthaltene Gedicht als eine frühe Unterschiebung — die Hand, welche es schrieb, gehört der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an — nicht uninteressant und ein Gegenstück zu dem bekannteren Lobspruch auf die Stadt Rostock, der gleichfalls Hans Sachs fälschlicherweise zugeschrieben ist[67].
Doch zurück zu dem Gedenkbuch des G. F. Bezold! Was dasselbe sonst über Ereignisse und Verhältnisse im Rothenburger Ländchen enthält, ist von keinem besonderen Belang. Allenfalls dürfte die Aufzählung sämtlicher Landpfarrer der Rothenburger Diöcese von den Zeiten der Reformation bis zu Lebzeiten des Schreibers (S. 45 ff.) für die Rothenburger Lokalgeschichte hin und wieder als Quelle benutzt werden können. Zuweilen wird auch ein Gelegenheitsgedicht oder ein Spottlied, wie das auf den bestraften Nachtigallenfänger und deutschen Schulmeister Vester in Rothenburg (S. 35 f.) wiedergegeben, aber von dem eigentlichen Leben und Treiben in und um Rothenburg oder von der Politik der freien Reichsstadt während des 18. Jahrhunderts erfahren wir nichts. Wir wissen freilich zur Genüge aus Bensens vortrefflicher Schilderung (a. a. O. S. 383 ff.), wie traurig es in dieser Beziehung seit lange, ja eigentlich seit dem Ausgang des Mittelalters, um das Rothenburger Gemeinwesen bestellt war, wo sich im Kleinen wiederholt, was zur selben Zeit auch größere Reichsstädte allmählich in eine ganz unhaltbare Lage geraten ließ: rücksichtslose Interessenpolitik, Protektionswesen und finanzieller Verfall im Innern, kraftlose, feige Nachgiebigkeit nach außen. Man erinnere sich nur an die Geschichte von dem preußischen Lieutenant Stirzenbecher aus dem Jahre 1762, die Bensen erzählt, oder an jene andere Episode von 1800. Siebzehn französische Soldaten waren damals auf einem Beutezuge in die Stadt eingedrungen und verlangten eine Brandschatzung von 40,000 fl. Bereits saßen die geängstigten Räte beieinander, um über die Aufbringung der Summe zu beraten, als eine kleine Anzahl beherzter Bürger, über solche Schmach erbittert, sich erhob und die Franzosen mit Heugabeln aus der Stadt hinaustrieb[68]. Zwei Jahre später wurde bekanntlich die Stadt vom Reichstage dem Kurfürsten von Bayern übergeben.
Es ist kein Wunder, wenn unter solchen Umständen die Blicke der Nachdenklicheren, tiefer Angelegten über die engen Grenzen ihres kleinen in Verfall geratenen Freistaates hinüberschweiften, die großen Weltereignisse mit Spannung und lebhaftestem Anteil verfolgend, als könne fremde Größe ihnen einen Ersatz bieten für die Ärmlichkeit der kleinlichen Verhältnisse, welche sie umgaben.
Zu starkem eigenen Denken freilich oder auch nur zu überlegtem, verstandesmäßigem Politisieren konnte man sich schwer erheben, und so ist es denn auch hier wieder in erster Linie der Treppenwitz der Weltgeschichte, das Anekdotenhafte und Absonderliche an den großen Ereignissen und Persönlichkeiten der Zeit, das den Schreiber unseres Codex interessiert. Kleine Charakterzüge, satirische und witzige Exkurse aller Art finden sich in Menge in sein Gedenkbuch eingezeichnet, und da es sich dabei großenteils um Dinge von allgemeinerem Interesse handelt, so mögen einige Proben solcher Eintragungen hier folgen:
S. 506 notiert er sich: