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Oswald und Kaspar Krell.
(Vergl. Dürers Porträt Oswalds in der Münchener Alten Pinakothek.)

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Inhaltsverzeichnis

Wie bei jedem Kunstwerk das Verständnis des Gegenstandes, des Inhalts, dessen, was der Künstler hat ausdrücken wollen, eine der Hauptbedingungen des künstlerischen Genusses ist, so auch beim Porträt: richtig beurteilen und voll würdigen können wir eine Leistung auf diesem Gebiete erst, wenn wir mit dem Gegenstande — hier also der Persönlichkeit des Dargestellten — bekannt gemacht sind. Aus diesem Grunde werden auch einige Aufschlüsse über Oswald Krell, die sich mir bei Gelegenheit anderer Studien in den hiesigen Archiven ergeben haben, vielleicht um so mehr willkommen sein, als bisher über diesen Mann nichts weiter bekannt war, als daß Dürer im Jahre 1499 sein Bildnis gemalt hat[57]. Wohl mit Recht vermutet Thausing (Dürer I, 193), daß es das erste Porträt war, das von dem jugendlichen Meister auf ausdrückliche Bestellung gemalt wurde, denn schon das Aussehen des Mannes ist nicht der Art, daß man sich dadurch hätte angezogen fühlen können. »Es ist keine einnehmende Persönlichkeit«, sagt Thausing, »die hier in aller Herbigkeit ihrer Erscheinung dargestellt ist. Der knochige, bartlose Kopf des jungen Mannes ist etwas nach links gewandt, und ernst, fast mürrisch, blicken die Augen aus den äußersten Winkeln heraus.« Diese von dem in der königl. Pinakothek zu München befindlichen Bilde abgelesene kurze Charakteristik wird durch einen Blick auf die Thatsachen, die wir aus dem Leben Oswald Krells und über seine Familienverhältnisse beibringen können, im wesentlichen bestätigt — gewiß ein Zeichen für die hohe Kunststufe, welche Dürer als Porträtist bereits zu Ausgang des 15. Jahrhunderts erreicht hatte.

Das Geschlecht der Krell oder Kreel gehört zu den Nürnberger Ehrbaren Familien. In einer Urkunde vom 16. August 1490 kommt ein Franz Krell mit dem Zusatz der «Erbar» als Mitglied des größeren Rates vor[58]. Oswald erscheint in den im Kreisarchiv Nürnberg verwahrten Ratsprotokollen zuerst im Jahre 1497, wo über ihn und Wolf Ketzel vom Rat eine Strafe verhängt wird, weil sie einen ehrsamen Bürger[59], den Hans Zamasser, in einem Fastnachtsspiel als Narren verhöhnt haben. Sie sollen dafür einen Monat »auf einen versperrten Turm« wandern, es wird ihnen aber freigestellt, sich von der Hälfte dieser Strafe mit Geld loszukaufen. Alles bittliche Ansuchen hilft dagegen nichts, nur ein Aufschub der Strafe, d. h. ihrer Abbüßung, wird den beiden Übelthätern endlich gewährt[60]. Freilich kommt in den Notizen, die sich auf diesen Fall beziehen, der Name Krell überhaupt nicht vor. Es heißt nur »Oswald, der Gesellschaft von Ravensburg Diener«; da aber nach einer ziemlich gleichzeitigen Urkunde im Nürnberger Stadtarchiv Oswald Krell damals in der That »ein diener vnd handler (an anderer Stelle heißt es: »factor vnd handler«) der gesellschafft zu Rauenspurg« war, so ist an seiner Identität mit jenem losen Spötter nicht zu zweifeln[61].

Viele Jahre hören wir nichts mehr von ihm. Dann taucht sein Name plötzlich wieder auf; aber inzwischen ist aus dem Handlungsdiener, der die Interessen einer fremden kaufmännischen Gesellschaft[62] wahrzunehmen hatte, ein selbständiger Mann, wie es scheint ein angesehener Kaufherr zu Lindau im Bodensee[63] geworden, dessen Bürgschaft in einer Kriminalsache von dem Rat zu Nürnberg gewünscht wird. Wiederum ist es keineswegs ein sauberer und für seine Familie ehrenvoller Handel, in den Oswald hineingezogen wird, wenn diesmal auch nicht er, sondern sein Bruder Kaspar Krell der Schuldige war. Der ziemlich abenteuerliche Hergang dieser Angelegenheit bietet manches sittengeschichtlich Interessante, und so will ich ihn hier in Kürze erzählen, obgleich dabei für das Verständnis des Dürerschen Gemäldes, von dem unsere Betrachtung ausging, nicht mehr viel zu gewinnen ist.

Im Februar des Jahres 1511 wurde Kaspar Krell von Lindau wegen mancherlei Diebereien plötzlich festgenommen und unter Androhung der Folter verhört. Welcher Art seine Diebstähle gewesen sind, geht aus den Ratsprotokollen nicht mit Sicherheit hervor. Er gestand sie aber ein und würde auf dem für ihn angesetzten »ernstlichen Rechtstag« vermutlich zum Tode durch den Strang verurteilt worden sein, wenn sich nicht hochgestellte Persönlichkeiten: der Bischof von Regensburg, Kurfürst Friedrich von Sachsen, die kaiserliche Majestät selbst für ihn verwendet hätten. Die Wichtigkeit, welche der Sache beigelegt worden zu sein scheint, dann der Umstand, daß wir Kaspar Krell einmal im Verein mit einer ganzen Anzahl anderer Häftlinge erwähnt finden, läßt vermuten, daß wir es in ihm mit keinem gewöhnlichen Diebe, sondern eher mit einem Strauchritter, sogenanntem Placker, oder etwas Ähnlichem zu thun haben, der sich vielleicht guter Beziehungen zu den verschiedenen fürstlichen Höfen erfreute. Kaiser Maximilian befürwortete sogar seine Freilassung. Darauf aber konnte sich der Rat nicht einlassen. Er sicherte ihm zwar auf das Drängen der Fürsten das Leben zu, ließ aber Kaspar Krell bis auf Weiteres im Loch liegen. Der Probst von St. Sebald wurde beauftragt, der kaiserlichen Majestät die Gründe für dieses Verhalten des Rates auseinander zu setzen und sein Schreiben gleich so einzurichten, daß »Ir Mt an ainen Rate ainich weitter Mandata nit außgeen lass, denselben Caspar frey ledig zu geben, in ansehung was sich ain Rate bey Ime besorgen müß.« Aber im Grunde wäre man doch — gegen die nötige Sicherheit — des gefährlichen Menschen gern ledig gewesen, zumal man nicht recht wußte, was man nun mit ihm anfangen sollte. Man ließ ihn Urfehde schwören, glaubte sich aber dadurch noch keineswegs genügend gegen neue Schädigung und Anfeindung von seiner Seite gedeckt und trat daher gleichzeitig in Unterhandlungen mit den von Kaspar Krell selbst vorgeschlagenen Bürgen. Seiner »Freundschaft«, die sich wohl gleichzeitig für ihn verwendet hatte, ward angesagt, man sei geneigt, falls außer ihnen noch Kaspars Eltern, sowie sein Bruder Oswald Krell in Lindau zur Stellung der nötigen Sicherheit zu bewegen sein würden, solche Bürgschaft gelten zu lassen. Das aber machte Schwierigkeiten. Die Krellen in Lindau konnten sich mit dem Rat nicht so bald über die als Bürgschaft zu zahlende Summe einigen, und während die Verhandlungen noch schwebten, geschah etwas, das eine wesentliche Verschlechterung der Lage Kaspars im Gefolge haben sollte. Die Maid des alten Lochhüters — gemeint ist wohl seine Tochter — hatte sich in den Gefangenen verliebt, und mit ihrer Hilfe machte Kaspar einen Fluchtversuch, der aber mißlang. Gebunden ward er in das Loch zurückgeschafft, dort in Ketten gelegt und aufs Neue mit der Folter bedroht. Vielleicht hat man sie ihm auch zu kosten gegeben, doch reichte wahrscheinlich die Beschaffenheit des Lochgefängnisses allein hin, auch einen starken Mann mürbe und den gesundesten krank zu machen; das können wir aus einigen Andeutungen schließen.

Inzwischen war es wieder Winter geworden. Zu Anfang des neuen Jahres 1512 bat der Gefangene, beichten und das heilige Sakrament empfangen zu dürfen. Beides wurde ihm gewährt und außerdem zugelassen, daß er alle Samstag ein Licht in seinem Kerker brennen möge, ein Gnadengesuch seiner Geliebten jedoch, von der es hieß, daß Kaspar sie im Loch zur Ehe genommen habe, abschlägig beschieden. Zugleich ließ der Rat unter der Hand und durch allerlei Mittelspersonen erneute Versuche machen, namentlich Oswald Krell zu den gewünschten, volle Sicherheit verbürgenden Zugeständnissen zu bewegen. Sogar dem Lochhüter ward einmal ein Wink gegeben, Gelegenheit zu bieten und zu verstatten, daß Kaspar Krell wieder an seine Freundschaft schreibe. Aber Oswald blieb hart. Im September erkrankte Kaspar; so dürfen wir wohl aus der Mitteilung schließen, daß ihm eine Hauptwaschung und Aderlaß erlaubt wurde. Ein Schermesser, besagte die Verordnung, dürfe aber nicht an ihn kommen. Vermutlich wollte man ihn in recht verwahrlostem, bejammernswürdigem Zustand seinen Verwandten gegenübertreten lassen, deren Ankunft man erwartete. Aber noch bis zum November blieben diese aus. Dann erst, als die Brüder Kaspars — ob Oswald darunter war, wird nicht gesagt — eingetroffen waren und im Beisein Nikolaus Hallers eine Unterredung mit ihrem elenden Bruder gehabt hatten, kamen endlich die Unterhandlungen über die zu leistende Bürgschaft in rascheren Fluß. Die nächste Folge davon war, daß Kaspar aus dem Loch in »das obere Stübchen« umquartiert wurde; doch blieb er auch hier noch mit einer Kette an die Wand geschlossen. Immerhin fehlte nicht viel und es wäre unter vergeblichen Hin- und Herschreibereien zwischen Nürnberg und Lindau auch dieses Jahr zu Ende gegangen. Da kam kurz vor Jahresschluß die Befreiung. Auf Grund welcher Vereinbarung sich der Rat dazu verstand, ist uns nicht überliefert. Wir hören nur, daß am 29. Dezember dem Kaspar Krell sein Geld und seine Kleider, die ihm bei seiner Einlieferung ins Gefängnis abgenommen worden waren, wieder ausgehändigt wurden. Nur ein Becher, der vermutlich zu den ehemals geraubten Gegenständen gehörte, verblieb zunächst in den Händen des Rats, »ob sich vielleicht jemand finde, dem er zustehe.« Das ist die letzte Notiz über Kaspar Krell, und auch Oswalds Name kommt seitdem in den Nürnberger Ratsprotokollen nicht wieder vor[64].

Nürnberg.

Th. Hampe.

Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum: Jahrgang 1896

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