Читать книгу Mein Gefängnis - Gernot Schroll - Страница 4

April 22, 2016

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Vorsichtig öffnete ich meine Augen, in der Hoffnung, es würde heute nicht so heiß sein wie an den Tagen zuvor. Ich öffnete den Vorhang und erlebte die erste Enttäuschung an diesem frischen Tag: die Sonne strahlte, der Himmel war blau und draußen war es vermutlich schon warm. Wie sehr hätte ich mir ein Wettertief gewünscht, nur ein paar Tage, an denen ich keine schiefen Blicke ernten würde mit meinen langen Ärmeln.

Widerwillig zog ich eines meiner neuerlich erworbenen Baseballshirts an, deren ¾ Ärmel meine verhassten Tätowierungen gänzlich verdeckten. Sukzessive hatte ich in den vergangenen Wochen meine T-Shirts durch diese Variante mit den längeren Ärmeln ersetzt. Damit war mir nicht so heiß wie mit herkömmlichen Langarmshirts und noch viel wichtiger, fiel es damit nicht zu sehr auf, dass ich keine T-Shirts mehr trug.

Wie schon in den vergangenen Jahren graute mir vor dieser Zeit des Jahres, wo es langsam wärmer und eine zweite Schicht Kleidung über dem T-Shirt überflüssig wurde. Ich versuchte, das Weglassen dieser Schutzhülle immer so lange wie ich konnte hinauszuzögern, wurde oft für meine scheinbare Hitzeresistenz bewundert; unter der schützenden Schicht jedoch verbarg sich Schweiß und Schmerz. Wie gerne hätte ich mir doch auch den Pullover ausgezogen und die warme Sommerbrise auf meinen Armen gespürt, doch meine verunstalteten Arme waren nicht gesellschaftstauglich.

Ich lernte die kalten Monate zu lieben, wo Menschen, nur mit T-Shirt bekleidet, verwunderte Blicke ernteten. In diesen Monaten fühlte ich mich, als würde ich dazugehören, als wäre ich einer von ihnen. Je näher jedoch die warmen Monate rückten und die verwunderten Blicke für hartgesottene Baumwoll-Minimalisten zunehmend seltener wurden, wurde meine Lage immer unangenehmer und ich beneidete und hasste meine Kollegen dafür, vermehrt freizügiger auf dem Campus zu erscheinen. In die neuen Oberteile hatte ich große Hoffnungen gesetzt, sie sollten mir dabei helfen, den Sommer wieder lieb zu gewinnen. Wirklich angenehm waren sie dann aber auch nicht.

Während ich mir die Zähne putzte, fragte ich mich wieder, warum ich mir diese Tätowierungen machen habe lassen, wenn ich sie doch ständig versteckte. Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob ich diese Körperbemalungen jemals mit Stolz getragen hatte oder mich schon immer dafür schämte; dabei musste ich an meine allererste Tätowierung denken und wie ich sie damals, entsetzt meinem Bruder und meiner Mutter präsentierte hatte, in der Hoffnung, sie würden mir meine Zweifel nehmen. Mein Bruder belächelte die bunte Tätowierung jedoch lediglich und sein „Na, ziemlich bunt” wird mir wohl für immer in Erinnerung bleiben. Der Tätowierer, der auch meinen Bruder tätowiert hatte, überredete mich dazu, mir mein gewünschtes Motiv in Farbe stechen zu lassen, das Leben sei grau genug meinte er und seine Worte fanden Anklang: Ich wollte die Farbe in dieser grauen Masse sein, fühlte mich immer schon anders, besonders, bunt. Ein banaler Kommentar, gefolgt von einem schmierigen Lächeln meines Bruders führten jedoch dazu, dass ich meine unfertige Tätowierung schon am ersten Tag hasste.

Es folgten weitere Tätowierungen. Ich dachte, durch diverse Cover-ups und Ergänzungen ein schönes Gesamtbild aus den hässlichen Einzelteilen schaffen zu können, scheiterte jedoch kläglich. Mittlerweile hatte ich einen Punkt erreicht, an welchem ich selbst allein im Haus lange Ärmel trug, um nicht ständig an meine Fehler erinnert zu werden; vermied es sogar, mich mit nacktem Oberkörper oder kurzen Ärmeln in den Spiegel zu sehen - zu sehr hasste ich was ich dort sah. Verbittert beneidete ich die reine Haut meiner Mitbewohner und wie sie diese freizügig präsentierten.

Während ich noch immer meine Zähne putzte – natürlich in langen Ärmeln – sagte ich es mir wieder gedanklich vor: „Nur noch ein paar Monate in dieser Kleinstadt und dann gehst du mit deinem Abschluss in eine Weltmetropole, wirst ein Tattoo-Model und steinreich. In einer Stadt, in der dich keiner wegen deiner Tattoos anstarrt. Irgendwo, wo deine Großartigkeit, deine Besonderheit, deine Extravaganz geschätzt und bewundert wird und du dich und deine Tätowierungen endlich lieben kannst. Wo alle anderen Frauen um dich herum deine Model Freundin beneiden, sie aber das Glück hat, dass du zu diesem Zeitpunkt schon genug von all den zukünftigen One-Night-Stands haben wirst und nur noch Augen für sie hast.” Aber bis dahin hatte ich noch einige lästige Dinge - wie die heutige Präsidentschaftswahl - zu erledigen.

Nach der Wahl würden meine Mutter und mein Stiefvater zu mir in die Wohnung kommen. Mit im Gepäck eine neue Autobatterie, welche er mir dann, während ich wählen ging, einbauen würde. Jemand wie ich brauchte Leute wie ihn, die mir so lästige, unwichtige Aufgaben abnahmen. Welcher Star kümmerte sich denn auch schon um sein Auto. Bald würde ich ohnehin eine Flotte und einen dazugehörigen Mechaniker besitzen, aber bis dahin übernahm das mein Stiefvater.

Bei gefühlten 35 Grad und in meinen ¾ Ärmeln verließ ich das Haus, schwang mich auf mein Rad und machte mich auf den Weg zum Wahllokal. Mir war heiß und ich schwitzte. Bei der Vorstellung, den kühlen Fahrtwind auf meinen textilfreien Armen bis in meine offenen Achseln zu spüren, wurde ich wehmütig und erinnerte mich daran, wie der Sommer früher meine Lieblingsjahreszeit war. Ein richtiges Sonnenkind war ich damals und nun, beraubt dieser Liebe, durch diese hässlichen Tätowierungen, hasste ich meine einstige Liebe und ihren ständigen Begleiter.

Selbst wenn ich mich einmal dazu überwunden hatte, ein kurzes Shirt zu tragen und meine Tätowierungen herzuzeigen – es war nur teilweise die Scham ob der misslungenen Motive, ein großer Teil, welcher die letzten Sommer zur Hölle machte, war das letzte Cover-Up – heizte die Sonne so stark auf den riesigen schwarzen Farbklecks, dass ich Angst bekam, die Farbpartikel würden innerlich platzen und Krebs auslösen.

Mir war klar, dass schwarze Kleidung und auch Autos mehr Sonne absorbierten, ich dachte jedoch nicht daran, dass das auch für schwarze Tattoos gelten würde. Während ich an den dafür verantwortlichen Tätowierer dachte, überkamen mich Wut und Zorn; darüber, dass er mich nicht vor diesem Nebeneffekt warnte, bevor er mir das antat.

Er war es, der mich meiner Lieblingsjahreszeit, der Sonne und meiner wahren Natur beraubt hatte, er allein trug die Schuld.

Vor dem Wahllokal angekommen, stieg ich von meinem Fahrrad ab. Ich bemerkte einen Jungen, welcher gerade mit seinen Eltern in das Wahllokal spazierte. Ich schaute ihm sehnsüchtig hinterher und wusste in diesem Moment nicht, worum ich ihn mehr beneidete: Sein kurzes T-Shirt, seine, von Tattoos verschonte, reine Haut oder die Tatsache, dass er einen Vater und eine Mutter hatte.

„Was würde ich dafür geben, mit ihm tauschen zu können?“, doch bevor ich diesen Gedanken beenden konnte, unterbrach ich mich, denn eigentlich wollte ich ja auf keinen Fall auch nur irgendetwas mit diesem Jungen tauschen. Seine Eintönigkeit und Einfachheit, sein banales Dasein und Erscheinungsbild, seine ach so heile Familie ekelten mich an. „Nicht zu viel über diesen Mitläufer nachdenken, eines Tages werden dich solche Leute um ein Autogramm bitten”, sagte ich mir, während ich mein Fahrrad ankettete und das Wahllokal betrat.

Das Wahllokal war voll von furchtbar ordinären Menschen, welche sich ehrenamtlich engagierten, in der verzweifelten Hoffnung ihrem bedauerlichen Dasein dadurch einen Hauch Sinnhaftigkeit zu verleihen. Diese armseligen Systemerhalter frustrierten mich und ich versuchte, so schnell wie möglich wieder rauszukommen aus dieser bedrückenden Umgebung und dem Pöbel; aber raus aus dem Lokal reichte nicht, ich musste raus aus dieser Stadt, raus aus diesem Land, einem zu kleinen und einfachen Land für einen Menschen wie mich.

Wenn ich dann im Ausland lebe, werde ich mit Stolz erzählen, woher ich bin. Ich werde Fotos von den Alpen herzeigen und meine Lederhosen tragen, denn dort würde ich etwas Besonderes sein – ein Exote. Viele Freunde werde ich dort haben, intelligente Kosmopoliten wie ich es war, mit denen ich über Weltpolitik und Reisen diskutieren könnte. Meine bisherigen Freunde waren einfach alle viel zu gewöhnlich, deshalb musste ich mich von ihnen abgrenzen. Wir waren nicht auf einer Wellenlänge, ich hatte einfach schon zu viel gesehen von dieser Welt. Sie konnten nicht mehr verstehen, was und wie ich dachte, wie viel mehr ich diese Welt verstand, als sie es je tun würden. Ich war kein gewöhnlicher Mensch so wie sie es waren. Wenn ich dann reich bin, dürften sie mich aber trotzdem im Ausland besuchen kommen, obwohl ich sie von meinen neuen Freunden fernhalten müsste; was würden die nur von mir denken, wenn sie erfahren, dass ich mich mit solchen Leuten abgegeben hatte?

Erleichtert darüber, wieder in der Wohnung angekommen zu sein, in Sicherheit vor diesen so widerlich gewöhnlichen Menschen, machte ich mich bereit für die wöchentliche Heimreise in das Haus meiner Eltern. Angespannt wartete ich auf den Anruf meiner Mutter, dass sie und ihr Lebensgefährte bereits am Parkplatz meiner Wohnanlage waren und mein Stiefvater die Batterie wechselte.

Als ich bei der Türe hinaus ging und diese abscheuliche Wohnung hinter mir ließ, sah ich schon von weitem meine Mutter und fühlte wieder dieses warme, schöne Gefühl der Sicherheit welches mich immer überkam, wenn ich sie sah. Nur sie verstand mich wirklich, war meine Zuflucht und Vertraute.

Plötzlich musste ich daran denken, wie mich meine Mitbewohner oft fragten, was ich immer an den Wochenenden im Elternhaus machen würde. Sie fanden es seltsam, dass ich ein Wochenende in einem kleinen Dorf im Nirgendwo einem Wochenende mit ihnen vorzog. Diese Fragen empfand ich sehr unangenehm und reagierte gereizt. Immer öfters zog ich mich auch deswegen in mein Zimmer zurück und verließ, sobald das Wochenende begann, blitzschnell das Haus, während sich meine Mitbewohner teilweise noch austauschten oder Pläne für das Wochenende schmiedeten.

Ein seltsames Gefühl überkam mich überfallartig, als ich mir selbst die Frage stellte, welcher ich ständig versuchte auszuweichen: Was bewegte mich tatsächlich dazu, einem Wochenende mit Gleichaltrigen, in der eigenen Wohnung in einer mittelgroßen Stadt mit jungen Studenten, ein Wochenende in totaler Isolation, in einem kleinen Dorf im Nirgendwo mit regelmäßigen Mahlzeiten mit meiner Mutter und meinem Stiefvater, vorzuziehen? Wochenenden, an welchen ich meiner Mutter alle meine Probleme schildere und mich darüber beschwere, wie unmöglich alle anderen Leute waren, worauf sie mich bekräftigte in meiner Meinung und mich bestätigte. Wochenenden, an welchen ich das Haus nicht verließ und irgendwelche irrelevanten Fußballspiele mit meinem Stiefvater schaute und mein Highlight darin bestand, dass vielleicht eines meiner beiden Geschwister mit Lebensgefährten kurz zu Besuch kamen.

War es denn normal, sich als erwachsener Mann, sehnsüchtig auf ein Wochenende mit seiner Mutter zu freuen oder stimmte etwas nicht mit mir? Der Gedanke beschämte mich, doch ich erinnerte mich daran, dass es einfach keine Leute mit ähnlichen Interessen und schon gar nicht ähnlichen Ambitionen gab. Nicht in so einem kleinen, primitiven Dorf, und überhaupt nirgendwo in diesem Land und ich daher selbstverständlich die Gegenwart meiner Mutter bevorzugte. Und schließlich war sie es auch, die mir das Leben geschenkt hatte, da kam es mir nur fair vor, auch dementsprechend viel Zeit mit ihr zu verbringen; ob ich meine Wochenenden in diesem Dorf oder in jener Stadt verbrachte, machte daher wenig Unterschied, passte ich doch hier und da nicht hinein. Ich war einfach zu besonders, das ganze Dorf würde in ein paar Jahren von mir erzählen, wie es einer von „ihnen“ in die große Welt geschafft hat und eine Berühmtheit wurde. Touristen werden in Scharen anstürmen um das Dorf, in welchem ich aufwuchs, zu besuchen. Die Fachhochschule wird ihren berühmtesten Alumni als Werbefigur verwenden und mir ständig Interviewanfragen zuschicken. Bald war es so weit, vielleicht Hong Kong, oder doch New York, überall würde man mich mit offenen Händen empfangen. Aber bis es so weit war, würde ich die Zeit in diesem Dorf totschlagen und ungeduldig auf meinen Abschluss warten, bis ich endlich alles hinter mir lassen konnte. All diese Leute widerten mich an, ihre gewöhnlichen Probleme und ihre normalen Leben. Hausbauen, Kinderkriegen und den Rest ihres Lebens im Hamsterrad runterspulen.

Aber nicht ich, ich würde es allen zeigen und sie mich bewundern, wenn sie mein Gesicht im Internet und Fernsehen sehen. Hin und wieder würde ich zurückkommen und mich völlig bodenständig präsentieren, ihnen einreden, dass ich sie beneiden würde, um ihr geregeltes Leben, ihre Kinder und Häuser. Danach würden sie sich besser fühlen mit ihren jämmerlichen Leben. Wenn die nur wüssten, wie sehr ich sie verabscheute.

Die Batterie war schnell gewechselt und wir machten uns auf den Weg; irgendwie hatte ich mir erwartet, meine Mutter würde nun mit mir im Auto heimfahren, hatte sie ihren geliebten Sohn doch schon fast eine Woche nicht mehr gesehen. Doch zu meinem Entsetzen stieg sie in dasselbe Auto, mit welchem sie auch gekommen war und ich fuhr den beiden allein hinterher. „Wahrscheinlich auch normal, er war ja immerhin ihr Partner und nicht ich“, dachte ich mir, während ich ihnen, tief in Gedanken versunken, folgte und mich trotz dieser Einsicht, noch immer darüber ärgerte, dass sie mich als Fahrer nicht wollte. Ohne dem Verkehr Aufmerksamkeit zu schenken, fuhr ich hinterher.

Zeit im Auto verbrachte ich neuerdings oft damit, nachzudenken. Musik hörte ich schon länger nicht mehr in meinem Auto, denn so wie in der Wohnung aus dem Küchenradio, ertrug ich Musik auch in meinem Auto nicht mehr. Es war Lärm; egal wie leise ich es machte, es irritierte mich, bis ich es ganz ausmachte. Allein mit dem Geräusch des Motors reflektierte ich die Ereignisse und Eindrücke der letzten Tage und Wochen.

Die letzten Wochen waren wahnsinnig anstrengend für mich gewesen, die Bachelorarbeit hatte ich eigentlich schon in Rekordzeit mehr oder weniger fertig, doch irgendwie zehrten die letzten fünf Seiten so an meinen Kräften, dass ich fast schon den Eindruck bekommen hatte, dass ich gar nicht fertig werden wollte.

Es fehlte lediglich die Zusammenfassung der wichtigsten Punkte. Den Hauptteil hatte ich schon vor Wochen fertiggestellt, wofür mich viele meiner Mitstudenten beneideten und mir sagten, dass ich mich doch freuen sollte, immerhin hätte ich den schlimmsten Teil ja schon hinter mir. Denn vor der Prüfung, welche nach der Arbeit folgte, hatten die wenigsten Angst. Die Thesis war wichtig, würde diese passen, wäre auch die Prüfung kein Stolperstein, wurde uns oft vermittelt.

Doch aus mir unbekannten Gründen konnte ich mich nicht darüber freuen, vor allen anderen fast schon fertig gewesen zu sein. Und nun, wenige Tage vor dem endgültigen Abgabetermin waren plötzlich alle fertig und mir fehlte noch immer der letzte Feinschliff. Was hieß schon Feinschliff, eigentlich fand ich meine ganze Arbeit katastrophal und war überzeugt, dass sobald meine Betreuerin diese lesen würde, sie mich sowieso durchfallen lassen würde, denn es konnte nicht sein, dass ich eine gute Arbeit in so kurzer Zeit zusammengestellt hatte. Ich musste mich getäuscht haben.

Woher kamen nur diese ständigen Zweifel? Vor einer Woche erst versicherte mir meine Betreuerin, dass, wenn ich mit einem Genügend zufrieden sei, ich meine Arbeit jetzt schon abgeben könnte, vorausgesetzt, ich würde die Zusammenfassung hinzufügen, was nicht länger als ein paar Stunden hätte dauern sollen. Doch weder vor einer Woche noch jetzt konnte ich ihr glauben, sie musste die Arbeit sehr ungenau überflogen haben und wenn sie diese genauer lesen würde, würde sie endlich realisieren, was für grotesken Müll ich geschrieben hatte und mich durchfallen lassen.

Zwar hatte ich in den letzten Tagen unter größten Mühen die fehlende Zusammenfassung fertiggestellt - aus ein paar Stunden wurden fast fünf Tage - das war aber auch der Punkt, an welchem ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmte mit mir. Zu Beginn der Arbeit hatte ich in fünf Tagen mehrere Seiten inklusiver Quellenrecherche geschafft und nun brauchte ich so lange um auf ein paar Seiten die, ohnehin wenigen wichtigen Punkte zusammenzufassen. Irgendetwas in mir dachte sich, dass ich nicht loslassen konnte, diese Arbeit nicht fertigstellen wollte.

War es die Angst vor der Leere danach? Der Gedanke versetze mich in Schrecken. Im Gegensatz zu meinen Kommilitonen war ich froh darüber, meine Wochenenden mit dieser Arbeit verbringen zu müssen. So musste ich mich vor niemandem rechtfertigen, warum ich nichts unternahm und das Haus nicht verließ. Mit einer gehörigen Portion Galgenhumor musste ich schmunzeln, als ich darüber nachdachte, dass, während sich alle meine Kollegen beklagten, dass sie momentan nur mit der Arbeit beschäftigt waren und kein Leben hatten, ich so froh war, dass ich die Thesis hatte. Denn ich liebte es, stundenlang davor zu sitzen; auch wenn ich eigentlich nichts mehr zu tun hatte. Sie war mein Leben; endlich hatte ich auch eines.

Natürlich war mir bewusst, wie armselig es war, die Leere in meinem Leben mit dieser Arbeit zu füllen und so versetzte es mir jedes Mal einen Stich, wenn ich jemanden darüber klagen hörte, dass er momentan keine Zeit für Freunde oder Hobbys hätte. Und auch wenn ich mir dann wieder klarmachte, dass ich ja nur kein Leben hatte, weil das erst nach meinem Studium beginnen würde, wurde ich mir dennoch mit jedem dieser Kommentare der qualvollen Leere meines Daseins bewusster.

Nachdem ich mein Auto neben der Garage abgestellt hatte, schüttelte ich erschrocken den Kopf.

Mein Gefängnis

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