Читать книгу Mein Gefängnis - Gernot Schroll - Страница 7

Seit diesem Tag, wachte ich nun jede Nacht,

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auf die Minute genau um 3 Uhr früh schweißgebadet auf. Zwar konnte ich meistens, nach einiger Zeit, wieder einschlafen, doch mittlerweile machte es mir richtig Angst. Jedes Mal, wenn ich mitten in der Nacht aufwachte, schickte ich ein Stoßgebet in den Himmel, flehte darum, dass es bitte nicht wieder 3 Uhr früh sein würde, doch alle Gebete waren vergebens. Die Uhr auf meinem Handy stieß mich jede Nacht ein Stück weiter in mein Verderben.

Es war nicht so sehr das Aufwachen allein, was mir solch Schrecken einjagte, viel mehr war es die Präzision, mit welcher ich jede Nacht zur selben Zeit aufwachte. Viele Erklärungen gab es für unregelmäßigen Schlaf und nächtliches Aufwachen, doch jede Nacht zur selben Zeit aufzuwachen, hatte etwas Unheimliches an sich, als hätte etwas Übernatürliches seine Hände im Spiel, etwas worauf ich keinen Zugriff hatte.

Das nächtliche Aufwachen ging an die Substanz. Mittlerweile fiel es mir schwer – nach dem obligatorischen Aufwachen – wieder einzuschlafen. Dazu gesellte sich starker Harndrang. Naiv hoffte ich, diesem wäre vielleicht das Aufwachen geschuldet, doch auch wenn ich stundenlang vor dem Schlafengehen nichts mehr trank, wachte ich trotzdem jede Nacht pünktlich um 3:00 Uhr – mit einer, von Gottes Hand gefüllte Blase – auf.

Ich hatte ich die unheimliche Vermutung, dass es mit den Drogen in der besagten Nacht bei meinem Freund zusammenhing. Anders konnte ich es mir nicht erklären.

Der Freitag ging zu Ende und die folgende Nacht wurde wieder durch das nächtliche Wasserlassen unterbrochen. Wie schon einige Tage zuvor, schaffte ich es nicht mehr, meinen Schlaf nach dem Toilettenbesuch fortzusetzen. Zu viele Fragen und Gedanken schossen durch meinen Kopf. Es war, als würde man einem Dutzend Gummibällen dabei zusehen, wie sie kreuz und quer durch einen kleinen Raum hüpften, während mehrere Laserpointer mit verschiedenen Farben versuchten, ihnen zu folgen. Völlig gerädert und kraftlos, erwartete ich das Aufgehen der Sonne, um diesem Horror entfliehen zu können.

Die Morgenstunden verbrachte ich damit, die Thesis zu lesen und nach Fehlern oder Lücken zu suchen, gab jedoch erfolglos damit auf, um sie meinem Bruder zur Korrektur zu schicken. Es war ein komisches Gefühl die Arbeit an meinen Bruder zu übergeben – ich schämte mich für den Inhalt und war mir sicher, er würde sich über mich lustig machen und sogar meine geistige Zurechnungsfähigkeit in Frage stellen.

Den restlichen Tag verbrachte ich mit bangem Warten auf die Korrektur. Zwar freute ich mich schon, diese endlich wieder zurückzubekommen, doch hatte ich Angst vor seinen abfälligen Kommentaren. Er würde mich verschmähen, Freunden und Familie erzählen, er hätte das 60-seitige Manuskript eines Wahnsinnigen gelesen.

Mein Leben fühlte sich plötzlich so sinnlos an ohne die Thesis. Ich wusste nicht mehr, wie ich mich davor beschäftigt hatte. Zwar wusste ich, dass ich mich auf die kommenden Prüfungen vorbereiten hätte sollen, doch die Ungewissheit über das Urteil meines Bruders, sowie die letzten Nächte, machten es mir unmöglich mich zu konzentrieren.

Wie fremdgesteuert, lief ich von Stuhl zu Stuhl und von Sofa zu Sofa, gelegentlich für einige Minuten zum Hühnerstall und wieder zurück ins Haus. So verbrachte ich den gesamten Tag, bis die Nacht wieder hereinbrach und mit ihr mein nächtlicher Albtraum.

Mittlerweile fiel es mir nicht nur schwer, wieder einzuschlafen, viel mehr wurde es zu einer riesigen Herausforderung, überhaupt jemals einzuschlafen. Die Gummibälle und Laserpointer wurden immer schneller und vermehrten sich und ich wälzte mich von einer Seite zur anderen, in der Hoffnung, die jeweils andere Seite würde frei von imaginären Objekten sein. Irgendwann musste ich dann doch eingeschlafen sein, nur um wieder akkurat um 3 Uhr aufzuwachen. Ich konnte es nicht mehr hinnehmen.

Zermürbt setzte ich mich auf und drückte mir die Hände fest vor mein Gesicht, in der Hoffnung, der Realität, in der ich mich befand, dadurch entfliehen zu können. Ich versuchte es gar nicht mehr weiter zu schlafen und setzte mich stattdessen, nachdem ich mich erleichtert hatte, auf das Sofa. Mit meinen Gedanken drehte ich mich im Kreis; abwechselnd saß ich einmal am Sofa und dann wieder auf dem Bett. Wie sehr wünschte ich mir, einfach schlafen zu können, nur eine Nacht nicht aufgeweckt zu werden.

Ich musste die Stunden bis zum Mittagessen irgendwie überstehen; nachmittags könnte mein Bruder jederzeit mit der korrigierten Thesis auftauchen und ich würde endlich wieder meine Beschäftigung haben und die Arbeit endgültig fertigstellen können. Doch bis dahin hatte ich noch einige Stunden zu überstehen.

Im Laufe des Vormittags spürte ich die körperlichen Folgen des massiven Schlafmangels der letzten Nächte: Ich hatte einen getriebenen Gang entwickelt, als würde ich ständig vor etwas auf der Flucht sein. Ich murmelte mit jeder schlaflosen Nacht mehr und meine Stimme wurde leiser, wodurch ich mich mehrmals wiederholen musste. Bei näherer Betrachtung meines Spiegelbilds registrierte ich weit geöffnete Augen, welche aussahen, als hätten sie etwas Furchtbares gesehen, etwas, das sie nicht mehr vergessen konnten. Meine Mundwinkel zeigten so stark nach unten, dass ich das Gefühl hatte, diese nicht einmal mit Gewalt in die entgegengesetzte Richtung lenken zu können. Ich begann mich vermehrt auf meinem Kopf zu kratzen und mir die Haare zu raufen. Meine eigene Reflexion im Spiegel erschien mir fremd. Auch das Essen war mir während der letzten beiden Wochen zunehmend schwergefallen. Ständig hatte ich dieses flaue Gefühl im Magen. Ich musste mich förmlich zwingen, zu essen; doch mittlerweile löste schon die alleinige Vorstellung etwas zu Essen, Übelkeit aus.

Die Tage zuvor fiel es noch nicht so sehr auf, dass ich Probleme hatte zu essen, es war nicht ungewöhnlich für mich, an manchen Tagen weniger als an anderen zu essen und somit schöpfte meine Mutter auch keinen Verdacht, als ich den Großteil des gemeinsamen Mittagessens damit verbrachte, mein Essen vor mich herzuschieben. Das konnte ich jedoch nicht zu oft tun und so zwang ich mich an jenem Tag dazu, einen ganzen Teller zu verspeisen. Ich brauchte lange, bei jedem Bissen ekelte es mich mehr, doch ich konnte den Schein wahren. Da es mir obendrein zunehmend schwerer fiel ruhig zu sitzen, ohne ständig Position zu wechseln und mich an Körper und Kopf zu kratzen, beschloss ich, dass es das Beste wäre, sich gleich nach dem Essen zu entschuldigen und im Zimmer auf die korrigierte Thesis meines Bruders zu warten.

Wenige Stunden später, hörte ich endlich die erlösende Stimme – mein Bruder war gekommen und mit ihm meine geliebte Arbeit. Ehrfürchtig wartete ich auf irgendeinen Kommentar, doch er überreichte mir die Zettel, ohne sich über deren Inhalt zu äußern. Da ich wissen musste, wo ich stand, immerhin war er der erste Mensch außer mir, welcher die gesamte Arbeit gelesen hatte, fragte ich ihn, wie er das Korrigieren empfunden hatte. Dass ich damit eigentlich wissen wollte, was er von der Arbeit an sich hielt, verstand er. Er nahm sich wie auch sonst kein Blatt vor den Mund und sagte mir, dass es schmerzhaft war und er es nicht genossen hatte, er aber auch schon Schlimmeres gelesen hätte. Erleichtert darüber, dass er es lediglich schlecht, jedoch nicht grenzwertig labil fand, stürzte ich mich erneut auf meine geliebte und doch gehasste Arbeit und die hinzugefügten Verbesserungsvorschläge meines Bruders.

Es dauerte wesentlich länger als erwartet, doch nach einigen Stunden – draußen war es schon finster geworden – war ich fertig mit den Verbesserungen. Mittlerweile war es Sonntagabend, theoretisch war meine Arbeit fertig, doch nur theoretisch. Es war zwar alles enthalten: Die vernünftige Schlussfolgerung, das lupenreine Quellenverzeichnis, ja sogar einen roten Faden konnte man erkennen, korrigiert und überarbeitet war sie auch.

Und obwohl mir bewusst war, dass sich die letzten Nächte stark auf mein Urteilsvermögen ausgewirkt hatten, vieles wohl nicht so war, wie es momentan schien, war ich mir, trotz meiner, durch den Schlafmangel stark verzerrten, Selbstwahrnehmung, über eines völlig im Klaren: egal wie fehlerfrei und perfekt formuliert diese Arbeit war, ich konnte sie auf keinen Fall heute in die Druckerei schicken. Die Deadline war zwar erst in ein paar Stunden, aber das würde an meinem Entschluss nichts ändern: Die Arbeit war nicht bereit. Ich war nicht bereit.

Dennoch konnte ich den Einfall, ob dieser ganze Druck, diese Angst und meine Unfähigkeit zu schlafen oder mittlerweile sogar klar zu denken, weg wären, sobald ich die Arbeit abschicken würde, nicht unterdrücken. „Einfach mailen und all deine Probleme sind mit einem Schlag weg“, doch so verlockend der Gedanke klang, ich konnte es nicht. Diese 60 Seiten waren so fürchterlich unprofessionell, ihre Schlussfolgerungen wahnsinnig weit hergeholt und substanzlos – ja teilweise sogar erfunden. Ich war davon überzeugt, würde man meine Arbeit endlich genau lesen, anstatt sie lediglich zu überfliegen, würde der Schwindel auffliegen. Wenn ich Glück hätte, dürfte ich eine neue Arbeit schreiben, was der reinste Albtraum für mich wäre. Wenn ich Pech hätte, würde ich der FH verwiesen wegen Betrugs und hätte somit drei Jahre meines Lebens umsonst studiert.

Die Leute würden sich die Mäuler zerreißen, darüber wie ich es so knapp vor dem Abschluss nicht schaffte und scheiterte; es war etwas, was nur ich zustande bringen konnte, mit einer vollendeten Thesis durch das Studium zu rasseln. Sie würden spotten, dass ich mir einfach zu viel angemaßt hatte, bei der Versicherung hätte bleibe sollen. So gut hätte ich es dort gehabt, würden sie sagen, doch ich hätte gedacht, ich wäre etwas Besseres, müsste studieren, doch nicht jeder wäre intelligent genug für ein Studium. Sie würden mich dafür belächeln, dass ich versuchte, der Arbeiterklasse, der Mittelschicht zu entfliehen und doch so kläglich gescheitert war. Und meine Mutter erst, sie hielt so viel von mir und schließlich würde ich sie so bitterlich enttäuschen. Sie würde es mir nie sagen, aber ich würde es wissen.

Die letzten Tage hatte ich schon vorgebaut für den Fall der Fälle, hatte hin und wieder deponiert, dass ich mit dem Studium nie glücklich gewesen wäre und seit dem ersten Semester abbrechen wollte. Lauter mehr oder weniger subtile Hinweise für sie, damit es ihr leichter fallen würde, über mein Scheitern hinwegzusehen. Doch es brachte nichts, immer derselbe Blick in ihrem Gesicht, wenn ich ihr davon erzählte, wie sehr ich dieses Studium hasste und eigentlich doch gar nicht in diesem Bereich arbeiten wollte. Der Blick, den ich so quälend empfand. Der Blick, der sagte: „Da musst du jetzt durch, da kann ich dir nicht dabei helfen – du bist auf dich allein gestellt. Kopf hoch, du schaffst das schon, wir glauben alle an dich!“. Ach, wie ich diesen Blick hasste. Und dennoch – wenn Themen ernst wurden, war meine Mutter meine erste und einzige Anlaufstelle. Nichts war mir unangenehm vor ihr. Seit ich mich erinnern konnte, war das schon so.

Abermals schilderte ich ihr, wie schlecht die Thesis war und dass ich diese unmöglich in die Druckerei schicken konnte. Wie immer sah sie mich fragend an und antwortete in standardisierten Phrasen. Ich fuhr fort und fragte sie, ob es sein könnte, dass all meine Probleme gelöst wären, würde ich doch nur diese Arbeit absenden. Wieder dieser nichtssagende Blick, doch nach einigen Minuten hatte ich sie endlich so weit: sie bestätigte mir, dass ich die Arbeit abschicken und einfach darauf warten sollte, was passieren würde; dass sich, mit Einreichen der Arbeit, vielleicht all meine Probleme lösen würden.

Obwohl ich wusste, dass – sobald ich die Arbeit abgeschickt hätte – mich auf Economics vorbereiten müsste, war ich für einen Moment euphorisch. „Eines nach dem anderen“, sagte ich mir und begab mich zurück zu meinem Laptop mit der sendebereiten E-Mail für die Druckerei. „Sobald du diese Arbeit abgeschickt hast, wirst du sehen, dass sich alles ändert. Dein Kopf wird klar und du wirst wieder ganz der Alte, der dem die Welt offensteht. Der, der bald von den Frauen geliebt wird und seine Verwandten in seine Luxusvilla im Ausland einlädt. Nur noch ein Mausklick und ich du bist deinem Ziel einen Riesenschritt näher. Deine Mutter hatte es dir doch erst soeben bestätigt, wenn du es dir nicht selbst glaubst, dann vertraue doch zumindest auf ihren Rat”, predigte ich.

Doch ich saß erstarrt vor meinem Laptop und mir wurde bewusst, wie sehr ich mir eine Person in meinem Leben wünschte, welche mir praktischen Rat statt leerer nichtssagender Anfeuerungen geben würde. Ich wünschte mir einen Vater.

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Sie hatte mir noch nie einen Ratschlag gegeben und ich erkannte ein immer wiederkehrendes Muster in unserer Beziehung. Wenn ich mir wobei unsicher war, redete ich ihr für gewöhnlich so lange ein, was ich gerne von ihr hören wollte, bis sie so weit war, es zu wiederholen. Diese Bestätigung war dann mein Ratschlag. Egal ob es eine neue Frisur, ein neues Fahrrad oder eine Beziehung zu einer Frau war. Was immer ich hören wollte redete ich ihr so lange ein, bis sie mich bestätigte, denn ich war unfähig, ohne ihre Bestätigung etwas zu entscheiden. Ich fühlte mich so heuchlerisch, hatte ich sie doch nie um ihre aufrichtige Meinung gefragt. Jahrelang hatte ich sie somit manipuliert und zu meinem persönlichen Ja-Sager geformt.

Ich schämte mich zutiefst, da ich nun sah, wie ich sie jahrelang für meine Zwecke benutzt und manipuliert hatte. Den einzigen Menschen, der mir je etwas bedeutet hatte. Voller Reue peinigte ich mich für mein Fehlverhalten und schwor mir, es in irgendeiner Form wieder gut zu machen: Der Sohn zu sein, welchen sie verdiente.

Ich könnte mein Erspartes nehmen und ein Grundstück neben ihrem Haus kaufen. Wir könnten den Hühnerstall ausbauen und ich, den Rest meiner Tage als Bauer verbringen – natürlich kein gewöhnlicher Bauer, sondern Bio-Bauer, das würde meiner Mutter gefallen, denn sie liebte regionale, nachhaltige Produkte. Diese Leidenschaft für Nachhaltigkeit und bewusste Ernährung verband mich mit meiner Mutter. So könnte ich meine Fehler gut machen und wir alle glücklich werden. Für einen Moment war ich entspannt.

Mein Stiefvater sah fern auf der Couch, irgendein belangloses Fußballspiel. In jenem Moment blickte ich auf sein Leben herab, es kam mir vor, als würde der Mittelpunkt seines Daseins Fußball und Bienen sein. Schuldgefühle überkamen mich. „Du darfst so etwas Gemeines nicht denken; niemals, er war immer gut zu dir“, rügte ich mich. Ich dachte an den Tod. Meine innere Stimme fragte mich: „Und, wenn er jetzt stirbt? Was, wenn ihn deine bösartigen Gedanken töten, so wie damals deinen leiblichen Vater? Wie sollte deine Mutter das je verkraften, einen zweiten Mann zu verlieren? Deine Gedanken sind stark und können sehr viel Schaden anrichten, das solltest du doch schon wissen!”

Ich wurde panisch, nicht schon wieder diese Gedanken, ständig sprachen sie davon, dass ein geliebter Mensch sterben könnte. Ich konnte nichts gegen sie machen, wusste nicht, wie ich sie abstellen konnte, konnte sie lediglich entschärfen, indem ich jedes Mal unzählige Gebete in den Himmel, Gott anflehte, diese Gedanken nicht real zu machen. Denn ich war davon überzeugt, dass Gedanken Wirklichkeit werden und Menschen töten konnten. Ich hatte solche Gedanken auch damals, als Papa verschollen war.

Oft nächtigte er auswärts, arbeitete sehr viel. Einmal hatte ich mir dann gewünscht, dass er für eine Nacht nicht nach Hause käme, damit ich mit meiner Schwester bei meiner Mutter im Bett schlafen könnte. Mein Wunsch wurde erhört; er kam jedoch nie wieder nach Hause.

Damals bekämpfte ich diese Dämonen noch nicht, hinderte sie nicht mit Gottes Hilfe daran, in den Kosmos zu gelangen. Wie so oft zuvor, fühlte ich mich schuldig für den Tod meines Vaters. Hätte ich nur diesen Gedanken in den Griff bekommen, so wie ich es jetzt tat. Wäre ich nur ein besserer Sohn gewesen, ein Sohn, der ihn zum Lachen brachte, auf den er stolz war und auf den er sich freute, wenn er spätabends heimkam.

Vielleicht hätte er nicht getrunken in dieser Nacht, vielleicht hätte er sich nur gefreut auf seine Kinder, auf mich, und daher versucht, noch in derselben Nacht wieder nach Hause zu kommen, um mit mir und meinen Geschwistern und meiner Mutter einen Film zu sehen. Dann wäre er nie ertrunken. Dann wäre er noch am Leben. Dann würde er statt meinem Stiefvater jetzt auf der Couch sitzen, welcher dann bloß irgendein Fremder wäre.

Schuldgefühle überkamen mich abermals und ich bat Gott, auch diesen Gedanken nicht zu erhören. Meine Mutter brauchte ihn, ich konnte nicht immer für sie da sein, auch wenn ich es versuchte. Er gab ihr die Dinge, die ich ihr als Sohn nicht geben konnte; er war meine Ergänzung. Ohne sie konnte ich nicht leben; ohne mich konnte sie nicht leben.

Ständig versuchte mein Stiefvater meine Aufmerksamkeit zu erlangen, indem er jede einzelne Aktion am Spielfeld lautstark kommentierte, während ich vorm Computer saß und den „Senden-Knopf“ anstarrte. Plötzlich wurde ich so rasend vor Wut, hatte er denn keine Ahnung, wie wichtig dieser Moment in meinem Leben gerade war?! Immerhin war ich kurz davor, die Arbeit zur Erlangung eines akademischen Titels abzusenden und er belästigte mich mit seinem dämlichen Fußballspiel; ja hatte dieser Mensch eigentlich eine Ahnung davon, wieviel aufregender und bedeutender mein Leben war. Ich hatte keine Zeit für solch primitive Fernsehabende, viel zu bedeutend war das Leben, welches ich mir momentan aufbaute!

Wie immer unterdrückte ich meine furchtbare Wut, man konnte seine Aggressionen ja schließlich nicht zeigen. Einfach den Raum zu wechseln, um seinem nervigen Gelaber nicht mehr ausgesetzt zu sein, kam jedoch nicht in Frage. Immerhin war ich doch gerne hier, im Haus meiner Eltern, bei meiner Mutter und schätzte die Gesellschaft meines Stiefvaters. Den beiden wichtigsten Personen in meinem Leben. Sie wussten fast alles über mich, hier konnte ich ganz ich selbst sein, musste niemandem etwas vorspielen.

Mein Gefängnis

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