Читать книгу Ein Leben für die Jagd - Gert G. v. Harling - Страница 22
Wer so schießt, sündigt
ОглавлениеNicht das Gewehr, ob gesichert oder nicht, ist gefährlich, sondern der Mensch, der die Waffe bedient – dies wurde mir schon als Junge eingetrichtert.
Unter meinen alten Tanten kursierte hinter vorgehaltener Hand und nur im Flüsterton vorgetragen, dass der Bruder meiner Mutter, Oberförster Margull, das Holzgewehr seines Sohnes auf dessen Rücken in Teile zerschlagen habe, weil der Sprössling wiederholt mit der Spielzeugwaffe auf Freunde gezielt hatte. Eine drakonische, aber wirksame Strafe.
Auch ich habe von klein auf gelernt, mein Spielzeuggewehr immer so zu behandeln, als sei es geladen, und mich nie auf eine Sicherung zu verlassen. Verhielt ich mich nicht entsprechend, gab es Prügel oder, viel schlimmer, Jagdverbot.
Bedenklich ist, sich auf eine Sicherung zu verlassen. Eine Waffe ist weder mit noch ohne Sicherung gefährlich, solange man fachgerecht mit ihr umgeht.
Schiebesicherungen werden mitunter gefährlicher eingestuft als Flügelsicherungen. Das ist insofern relativ, denn wird eine Waffe stets vorschriftsmäßig geführt, das heißt, wird die Mündung niemals auf Menschen gerichtet und wird die Waffe vor dem Überwinden von Hindernissen, beim Hinaufsteigen auf den Hochsitz bzw. beim Hinabsteigen, beim Besteigen eines Fahrzeugs, Betreten eines Raumes etc. ausnahmslos entladen, spielt es keine entscheidende Rolle, wie sie gesichert ist, dann gäbe es auch kaum Unfälle mit Schusswaffen.
Auch Stecher sind durchaus ein Sicherheitsrisiko. »Könnte ich entscheiden, würde ich Stecher verbieten«, tat mir gegenüber einmal ein Jagdgast kund, »sie sind das Gefährlichste und Nutzloseste, was sich die Waffenindustrie je hat einfallen lassen.«
Ich sah daraufhin meinen alten Stutzen in einem ganz anderen Licht.
Mein Großonkel hat ihn ein ganzes Jägerleben lang geführt, ich bin ebenfalls mit Schussleistung sowie Stecher zufrieden und möchte ihn mit keiner anderen Waffe tauschen.
Ob Deutscher Stecher oder Französischer Stecher, sie sind keinesfalls für disziplinlose oder leichtfertige Jäger geschaffen, in deren Händen ist jedoch ohnehin jede Waffe eine Gefahr für die Umwelt.
Mein Vater war im Krieg gefallen. Meine Mutter heiratete viel später einen pensionierten Offizier. Er war ebenfalls passionierter Jäger und entschuldigte so manche von uns zerschossene Fensterscheibe und Dachrinne, denn schießen taten wir oft und gerne. In einer abgelegenen Kieskuhle hatten wir einen primitiven Tontaubenstand, auf dem wir fleißig übten.
Als erste »größere« Waffe bekam mein Bruder eine einläufige 16er-Hahnflinte russischer Bauart mit Ejektor.
Mit einer einläufigen Flinte wird man, im Gegensatz zu Doppelflinten oder Automaten, zum überlegteren Schießen erzogen. Die verleiten dazu, den ersten Schuss nicht so konzentriert abzugeben und sich auf den zweiten Lauf zu verlassen. Wir setzten all unseren Ehrgeiz darein, mit der Flinte Dubletten zu schießen. Meinem Bruder gelang es mehrfach. Die Wurftaubenmaschine wurde mit zwei Tauben »geladen«, und bevor die zweite Scheibe niederging, hatte mein Bruder längst die Waffe geöffnet, eine im Mund deponierte Schrotpatrone in den Lauf gesteckt und auch diese Taube getroffen.
Von den Leistungen des Marquess of Ripon, wohl eines der besten Flugwildschützen aller Zeiten, der bis zu seinem Tode im Jahr 1923 556.813 Vögel geschossen hatte, waren wir aber weit entfernt. Mit drei Hahnflinten und zwei Ladern schoss er in Sandringham 28 Fasanen in einer Minute.
Ich habe auf großen Flugwildjagden mehrfach über 100 Vögel an einem Tag geschossen, später aber an diesen exklusiven »Schießevents« nicht mehr teilgenommen – heute lehne ich das Schießen auf lebende Zielscheiben ab.
Den Umgang mit der Flinte lernte ich in der Praxis im Revier. Ich musste über jede verschossene Schrotpatrone Rechenschaft ablegen und durfte jeweils nur einen Lauf laden, was ungeheure Erziehungseffekte hatte.
Seit vielen Jahren sorgt der Schießnachweis bei Jägern wie Jagdgegnern für Diskussionsstoff, einige Jäger glauben sogar, regelmäßige Schießstandbesuche seien unnötig. Für mich unverständlich, dass sich manche dagegen sträuben. Wenn auf Ansitzdrückjagden ein Verhältnis von drei oder vier Schüssen pro erlegtes Stück Wild klaglos akzeptiert wird, ist etwas faul im Staat der grünen Gilde.
Es gibt talentierte und weniger talentierte Schützen. Manchen liegt der Büchsenschuss mehr als der mit der Flinte, einer schießt lieber auf stehende, der andere auf flüchtige Ziele. Für jeden aber gilt: Schießen ist Handwerk, jedes Handwerk kann und muss man erlernen, und Übung macht den Meister. Es wird durch Schießstände, Schießschulen, Schießkinos, Schießkurse sowie Schießlehrer erleichtert.
Daher bemühe ich mich, einmal im Monat auf dem Schießstand auf leblose Scheiben und Tontauben zu schießen, der beste Schießlehrer ist eine große Kiste voll Munition. Ich bin es auch dem Wild, den Hunden und den Jagdherren, die mich einladen, schuldig.
Wenn Jagdgäste ins Camp kamen, bat ich sie stets, einen Probeschuss abzugeben – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ich wurde dabei jedoch oftmals mit den abenteuerlichsten Ausreden konfrontiert, die die Jagdgäste ersannen, um sich davor zu drücken. »Ein Probeschuss erübrigt sich. Ich habe den Chauffeur gebeten, die Waffe auf dem Rückweg vom Büchsenmacher auf dem Schießstand zu testen. Alle Schüsse lagen im Schwarzen!« oder ähnliche Ausflüchte musste ich mir des Öfteren anhören.