Читать книгу Casmilda's Gewinn durch Verlust - Gery Wolfsjäger - Страница 6
Kapitel 3 Normaler Friseusen - Alltag
ОглавлениеSie traf sich am nächsten Tag mit Cornelia, um einen Kaffee zu trinken, bevor sie zur Arbeit gingen. Sie hatte diesen nach ihrer beinahe schlaflosen Nacht bitter nötig. Schnell war sie unter die Dusche gesprungen und hatte sich angezogen. Die Uhr zeigte 9:00, um 10:00 würden sie ihren Dienst antreten, damit beginnen, nette, lästige hübsche, hässliche, meckernde und anspruchsvolle, sowie anspruchslose Kunden zu bedienen, wobei letztere im 1. Bezirk sehr selten verkehrten. Immerhin besuchten diesen Stadtteil Wiens für ihren Haarstyle nur Leute, die auch die finanziellen Mittel besaßen, um sich dort aufzuhalten: Ein Haarschnitt mit Waschen und Föhnen kostete bei Die fliegende Schere mit allem Drum und Dran 65 Euro für langes Haar, 40 für kurzes und 50 für mittellange Frisuren. Die Gestaltung des Hauptes war für jeden, und besonders für die anspruchsvollen Kunden dieses Salons ein wichtiges Muss, um ihre Persönlichkeit auszudrücken, sei es um weiße Haare zu kaschieren, kahle Stellen zu verdecken, mehr Fülle ins Haar zu zaubern oder die richtige Pflege- und Typberatung zu erhalten.
Oft war es Casmy und Conny durchaus bewusst, wie sinnlos eine reichhaltige Pflegekur oder ein feuchtigkeitsspendendes Shampoo sein konnten, wenn jene Produkte nur im Salon am Kunden angewandt wurden, denn zuhause würden die meisten von ihnen irgendwelche billigen Marken verwenden, von denen die Werbung im Fernsehen versprach, was sie nicht halten konnte. An dieser Stelle spürten sie den Geiz ihrer Besucher, weil sie sich schließlich doch nicht mehr leisten wollten, als sie unbedingt brauchten. Aber Friseure mussten natürlich finanziell tragbar sein, somit ließen die beiden keine Möglichkeit aus, um verschiedenste Dienstleistungen und Produkte zu verkaufen, das gab ihnen nebenbei noch eine große Menge Selbstvertrauen, sofern der Verkauf glückte.
Der Kaffee schmeckte Casmilda nicht, billiges Zeug aus dem Automaten. Eine Brühe aus frisch gemahlenen Bohnen ohne Milch wäre ihr nun sehr angenehm gewesen. Sie saßen unten in der Eingangshalle und starrten jeder für sich gedankenverloren in ihre Plastikbecher. Conny hatte Ringe unter den Augen.
Ihre Fönfrisur saß sehr schlecht. Diese war auch einigermaßen hektisch erstellt worden: die Haare wurden lange vorgetrocknet, bis sie beinahe zu fliegen begannen, dann die Bürsten ungenau im Haar angebracht, wobei dieses stellenweise noch Feuchtigkeit aufwies, um dann eine Viertelstunde lang mit letztendlichem Erfolg zu versuchen, die Mähne aus den Stylinghelfern zu befreien. Ein wenig Haarspray sollte den Look vervollkommnen. Mit dieser missglückten Tortur sah sie nicht sonderlich professionell aus, aber es kümmerte sie nicht. Die ganze Nacht hatte sie an Daniel gedacht. Ihn machte sie auch für das heutige Desaster auf ihrem Kopf verantwortlich. Würde er nicht mit immenser Deutlichkeit in ihrem Kopf herumspuken , hätte sie sich beim Föhnen besser konzentrieren können. Ansonsten saß die Aufmachung ihres Hauptes immer perfekt und glänzend. Doch eines hatte sie von ihm gelernt: eine zwischenmenschliche Beziehung der Liebe konnte zwar zeitlich kurz sein, doch geistig gleichzeitig ewig dauern – letzteres da Conny beschloss, an Kleinigkeiten krampfhaft festzuhalten. Doch wie lange soll ich ihm noch hinterhertrauern?, fragte sie sich traurig, und nippte an ihrem billigen Instantkaffee. All ihre anderen Beziehungen hatten auch nur kurzweilig gehalten, und sie hatte sich schnell von ihrem Kummer erholt, aber Daniel hatte eine besonders sensible natürliche Art an sich, die sie immer noch begeisterte, obwohl sie sich dies in ihrer Ablehnung gegen ihn kaum eingestehen wollte.
Geistesabwesend meinte Casmilda: „ Ach ja, dein Ex-Freund hat einen Termin bei dir, heute Abend. Das hat er mir bei JFM erzählt.“
„Davon hast du mir bereits vor 5 Minuten berichtet. Diese unangenehme Tatsache hatte ich erfolgreich verdrängt. Vielen Dank für die Erinnerung, du aufweckende Glocke!“, schnippte Cornelia und zog entnervt eine Augenbraue hoch. Casmilda zuckte gleichgültig mit den Achseln. Sie zog sich in ihre eigene Welt zurück.
Conny schwelgte wiederum in ihren Gedanken, als Casmy sie aufforderte zu gehen, sie müssten sich startklar machen, und sie sollten pünktlich sein. Cornelia bewunderte die Strenge ihrer Freundin, doch sie wollte noch ein bisschen träumen, also dachte sie an die letzte Nacht. Sie hatte sich mit ihrem Dildo befriedigt, mit hektischen Bewegungen, die aus ihrer Verzweiflung rührten, um sich von ihrem Liebeskummer abzulenken. Doch es war eben etwas anderes als Daniel’s angenehmer, mit Blut gefüllter, steifer Penis. Dieser überstieg die Qualität eines billigen Imitats aus Gummi oder Latex, er bestand aus purem Fleisch, und strotzte nur so vor Potenz. Sie hatte an ihre gemeinsamen sexuellen Erlebnisse gedacht, als sie den Dildo verwendete. Und an jenem Dienstag sollte sie ihm die Haare schneiden. Was er sich wohl nur dabei gedacht hat?, dachte Conny erbost, und knirschte mit den Zähnen. Dieser gemeine Kerl will ausgerechnet jetzt meine Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, wobei er sich sicher vorstellen kann, wie ich momentan auf ihn zu sprechen bin. Soll Marco doch den Termin für mich übernehmen, spann sie ihre Gedanken erzürnt weiter und drückte wütend auf einem vermeintlichen Pickel auf ihrem Hals herum. Doch Marco würde zur selben Zeit laut Kalender mit dem Wickeln einer Volumenwelle beschäftigt sein, die anstrengende Frau Petschobitz, und Casmy musste die letzten 5 Haare der gnädigen Frau Windigbüst mit all ihrer magischen Friseusen-Zauberkraft in 15 Haare verwandeln. Somit musste sich Cornelia wohl ihrem Schicksal fügen. Sie trank ihren Kaffee aus und ging gemeinsam mit Casmilda zur U-Bahn.
Diese fuhr wenige Minuten später gemächlich in der Station ein und sie wählten einen Platz in einem der hintersten Waggons. Auch Casmilda fiel es wie Cornelia schwer, sich gedanklich auf den bevorstehenden Arbeitstag einzulassen, da sie unentwegt an Valetta dachte. Stirnrunzelnd schob sie sich eine imaginäre Haarsträhne hinters Ohr. Dann beschloss sie, sich selbst ein wenig abzulenken. Immerhin hatten die beiden kein einziges Wort über ihr jeweiliges Empfinden ausgetauscht, wobei dieses Gespräch normalerweise ihr Morgenritual darstellte. Sie sprach ihre Freundin offen und ehrlich auf die Situation mit Daniel an, da sie lieber Conny helfen wollte, anstatt sich um ihre eigene Problematik mit Valy zu kümmern.
„Wie stehst du momentan zu Daniel?“, fragte sie gedankenverloren, als Marco und Valetta abwechselnd in ihrem Kopf herumspukten.
„Er ist ein Mistkerl, wenn du´s genau wissen willst,“ meinte Conny, wobei sie ihrer Stimme ein erzürntes Flüstern verlieh, und ihre Augen zu Schlitzen verzog. „Warum fragst du? Ich habe vorhin nicht sonderlich optimistisch reagiert, als du mich an den Termin erinnert hast. Das sagt doch alles, oder?“
Casmilda nickte beschwichtigend. Conny verschränkte die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster. Der Fahrtwind drang zu ihr herein und tat ihr gut. Sie schwiegen. Dennoch glaubte Casmilda, Conny helfen zu können. Anstatt jedoch Kritik zu üben, begann sie, sie ihr konkrete psychologische Fragen zu stellen, damit hatte ihr Gegenüber vielleicht die Möglichkeit, sich gedankliche Klarheit zu verschaffen.
Casmilda räusperte sich, und wartete, bis Conny ihren Blick auf sie gerichtet hatte.
„Wie intensiv war euer Sexualleben?“
Eine naivere Frage war ihr leider nicht eingefallen. In 3 Wochen konnte sie wohl kein intensives Sexualleben gehabt haben, zumindest keines, das von großartigem Vertrauen begleitet wurde, ging es Casmilda durch den Kopf, sobald sie die Worte ausgesprochen hatte. Cornelia runzelte verständnislos die Stirn.
„Wie bitte? Wie kommst du auf solch eine dumme Frage?“ Jetzt war Conny wirklich gereizt, stemmte empört die Hände in die Hüften.
„ Okay, es gibt keine dummen Fragen“, fuhr sie fort, als sie hektisch mit einer Hand in der Luft herumfuchtelte, „ sondern nur dumme Antworten, dieses Sprichwort passt aber in diesem Fall nicht ganz, weil ich dir von dieser Sache bereits ausführlich berichtet habe. Es war sehr intensiver Sex, nur zur Erinnerung. Du solltest bitte in solch einer heiklen Situation keine Fragen stellen, deren Antworten du bereits kennst.“
Mit diesen Worten schlug sie entschlossen die Beine übereinander und verschränkte erneut die Arme vor ihrer prallen Brust. Casmilda blieb ruhig und geduldig, beruhigte auch ihr schlechtes Gewissen, weil sie vergessen hatte, was Conny ihr anvertraut hatte. Ihre Überraschung über die Vorstellung, binnen 3 Wochen sei es möglich, ein intensives Sexualleben zu entwickeln, wenn man einander kaum kannte, verbarg sie. Ich sollte nicht überrascht sein, Conny empfindet Leidenschaft vielleicht sehr schnell und tatsächlich intensiv, egal, wie lange sie die Person kennt, dachte sie, sich selbst tadelnd. Dann wandte sie sich erneut an sie: „Natürlich, du hast Recht. Aber wie hast du dich gefühlt, als er dich angefasst hat?“
Bei diesem Satz zuckte Cornelia mit dem rechten Augenlid. Casmilda schien ihre starre Haltung ein wenig gelockert zu haben, als Conny langsam ihre Arme öffnete und sie neben ihrem Körper auf dem Sitz platzierte.
„ .Nun ja“, begann Conny, und kniff die Augen zusammen, weil sie die richtigen Worte suchte, „ ich fühlte mich bei ihm sehr geborgen und geliebt, als er mich berührte, wie von einem großen Bruder, den ich niemals hatte. Und den wollte ich doch immer haben, wenn du dich erinnern kannst, es war immer mein großer Traum als ich noch klein war. Mir ist schon klar, dass man mit seinen Geschwistern keinen Sex hat, aber sein gesamtes Wesen, unabhängig von der Sexualität, strahlte Geborgenheit und Schutz aus. Seine Umarmungen waren für mich bspw. sehr beschützend. Dennoch konnte ich auf dieser Grundlage unseren Sex hemmungslos genießen und auskosten. Wenn ich diesen Bruder gehabt hätte, wäre es mir sicher erspart geblieben, dass mich die Mädchen aus meiner Klasse immer hänselten und schikanierten, indem sie mir Schnecken in die Schultasche steckten oder mein Jausenbrot aus dem Fenster warfen. Ein Bruder wie Daniel hätte ihnen die Meinung gepfiffen und mich verteidigt!“
Casmilda fühlte sich wie eine wissende Therapeutin. Diese Rolle gefiel ihr. Ihre Augen leuchtete vor Neugierde, als sie die nächste Frage stellte: „Warum hast du den Wunsch nach einem großen Bruder, oder warum hattest du ihn? Es hätte ja auch eine große Schwester sein können!“
„Ja, das ist wahr, aber mit dieser hätte ich mich höchstwahrscheinlich immer gemessen. Ich sehe es ja bei meinen wenigen, ehemaligen Hauptschulfreundinnen. Sie haben sich immer mit ihren großen Schwestern verglichen. Aber um beim Thema zu bleiben: ich glaube, Daniel wird mich noch eine Weile auf Trab halten, es wird dauern, bis ich verkraftet habe, dass er mich verlassen hat.“
Sie hatten noch drei Stationen vor sich, bevor sie aussteigen mussten. Casmy schaltete die innere Therapeutin ab und ersetzte sie durch eine mahnende, dominante Person. Sie entgegnete erhobenen Fingers: „Aber bedenke: lasse deine Wut nicht an den Kunden aus! Larcy hasst das, und das weißt du genau. Er ist ohnehin sehr tolerant zu dir, was deine Launen anbelangt.“
Cornelia verdrehte genervt die Augen.
„Schon gut, schon gut, ich werde mein Privatleben verdrängen, während ich eine tolle Schauspielerin abgebe, okay? Auch, wenn es mich innerlich auffrisst, ich werde meine Gedanken abschalten, sobald ich den Salon betrete, mich quasi nur noch auf die Arbeit konzentrieren. Bist du damit zufrieden?“
Jetzt war es an Casmilda, die Stirn entnervt in Falten zu legen, weil Cornelia wieder einmal Kritik abwehrte und dies mit einem sarkastischen Ton auffällig werden ließ. Deshalb erteilte sie ihr noch einen Rat.
„Bitte höre auf, dich selbst zu bemitleiden. Manchmal müssen wir Friseure eben gewisse Dinge ins Unterbewusstsein abschieben, die uns privat beeinflussen. Die Kunden können nichts dafür, dass du oder ich Probleme haben, sie wollen Wellness erleben. Wir arbeiten in einem entspannten Ambiente, mein Schatz! Ich meine es dir nicht böse!“ Casmildas Stimme und Augen nahmen nun einen weichen Charakter an.
„Ich weiß!“, erwiderte Conny mit treuem Hundeblick und sie umarmten sich, als sie kurz danach die U – Bahn verließen, und im Laufschritt auf ihren Arbeitsplatz zusteuerten.
Die Anwesenheitspflicht war für 9:45 festgelegt. Um 9:48 betraten die jungen Friseusen völlig außer Atem den Salon, woraufhin ihr Chef sie nur anlächelte und meinte: „.Guten Morgen. Trinkt noch einen Kaffee, aber beeilt euch, ihr seid ohnehin schon spät dran!“
„Guten Morgen!“, riefen die beiden fröhlich aus, und zeigten eine verlegene Röte auf ihren Gesichtern. Der Sender Musiksüchti ließ fröhliche Lieder im Haarstudio erklingen. Das entspannte die beiden Friseusen ein bisschen. Sie hatten keine Lust mehr, Kaffee zu trinken. Normalerweise konsumierten sie ihn literweise, aber durch ihre momentan angespannte Stimmung fehlte ihnen der entsprechende Gusto. Sie verdrängten die Tatsache, um punkt halb 11 ihre ersten beiden anstrengenden Kunden Frau Tütteltet und Herrn Eisblöcke zu empfangen. Frau Tütteltet, Casmildas Kundin, trug immer ein sehr helles Blond, ohne Gelbstich, aber man durfte laut des vermeintlichen Wissens der Dame ihre Haare nicht blondieren, sondern nur färben, sonst würden sie zu sehr strapaziert. Casmy klatschte ihr regelmäßig Blondierung auf den Ansatz, ohne dass die hochnäsige Emanze darüber Bescheid wusste. Manchmal fragte sie sich, was sie von diesem Beruf halten sollte. Es war ja verständlich, dass jeder Mensch gut aussehen wollte, aber warum dachten die Menschen so selten an ihre innere Werte? Sobald eine Haarfarbe zu hell ausfiel oder ein Schnitt zu kurz, machte sich jeder Kunde gleich in die Hose, scheinbar deshalb, weil er viel zu sehr auf sein Äußeres bedacht war.
Conny und Casmy lenkten sich noch ein wenig mit dem Reinigen der Kaffeemaschine von ihren privaten Sorgen ab. Gott sei Dank war Marco seit 10 Uhr mit Frau Leuchtbeller beschäftigt, somit blieb es Casmilda erspart, ständig in seine wunderschönen Augen zu blicken, was sie vermutlich noch mehr aus dem Konzept gebracht hätte. Sie hatten sich bei der morgendlichen Begrüßung nur kurz zugenickt.
Schließlich war die halbe Stunde vorüber, die Kaffeemaschine glänzte, sodass man beinahe Schutzbrillen brauchte, um nicht im Augenbereich von der Strahlung geschädigt zu werden.
Als hätten sie sich miteinander verabredet, betraten Frau Tüttenleut und Herr Eisblicker gleichzeitig den Laden. Die elegante Dame ließ sich von Casmilda aus ihrem modischen Frühlingsmantel helfen und nahm in der hintersten Ecke des Salons Platz, immerhin könnte sonst jemand sehen, dass ihre Haare gefärbt wurden, und das müsse ein Geheimnis bleiben, hatte sie Casmilda hoch erhobenen Fingers gewarnt.
Wenige Minuten später befand sich Casmy in einem emotionsgeladenen Gespräch mit ihrer Kundin, wobei die junge Friseuse die Fassung wahrte und die heftigen Emotionen von ihrem Gegenüber ausgingen.
„Bedenken Sie bitte, dass nur der Nachwuchs eingestrichen werden darf, sonst brechen mir wieder meine Haare ab, so wie beim letzten Mal!“, erwähnte Frau Tüttenleut, als sie an ihrem schwarzen Kaffee nippte. Dabei fuchtelte sie aufgeregt mit ihrem rechten Arm durch die Gegend und gackerte wie ein Huhn.
Wenn sie nur einen Moment lang verstehen würde, dass ihre Haare brechen, weil sie billige Produkte für die vermeintliche Pflege benützt, dachte Casmy. Die Dame prahlte regelmäßig mit ihren Finanzen, gehörte aber zu der bereits erwähnten Sorte von geizigen Kunden, die sich ein gutes Shampoo sowie eine reichhaltige Haarkur für den Hausgebrauch nicht leisten wollten. Herr Eisblicker war wieder einmal sehr gut gelaunt. Er schnauzte Conny an, dass sie ihm letztes Mal am Oberkopf die Haare zu kurz geschnitten hätte, und jetzt sähe man seine große Nase noch viel deutlicher aus dem Gesicht hervorragen.
„Wie wäre es mit einer Schönheitsoperation?“, hätte Cornelia am liebsten erwidert, doch sie erinnerte sich an die Worte ihrer Freundin, die besagten, wie wichtig es sei, Privatleben und Beruf zu trennen. Also hielt sie ihren Mund und tat, was sie tun konnte. Sie nahm sich vor, die Haare am Oberkopf gar nicht zu schneiden, obwohl sie wusste, dass der gnädige Herr sich das nächste Mal darüber beklagen würde, wie unmöglich lange dieser Bereich doch sei, da die Frisur an diesem Punkt keinen Stand hätte.
Und dennoch, der Ehrlichkeit halber musste sie sich selbst eingestehen, dass Herr Eisblicker mit diesem Kurzhaarschnitt aussah, als würde ihm gerade eine Kartoffel oberhalb des Mundes herauswachsen.
Marcos Kunden, diejenigen, die er sich innerhalb der kurzen Zeit, die er im Salon beschäftigt war, durch Weiterempfehlungen geangelt hatte, waren dagegen sehr locker und freundlich. Sie fragten ihn, wie es ihm bei der Arbeit erginge, wie es um sein Liebesleben bestellt sei, usw.. Eine junge Dame meinte sogar, sie verstünde gar nicht, wie so ein hübscher junger Mann sein Dasein als Single fristen würde, woraufhin er aufs Dunkelste errötete. Ein wenig neidisch hatten Conny und Casmy sich die Gespräche zwischen Marco und seinen Kunden angehört. Was hat dieser Mensch nur an sich?, fragten sie sich, obwohl sie die Antwort genau kannten. Die Frauen lagen ihm zu Füßen, und die Männer empfanden ihn als Kumpel. Sein Charme, sowie sein Aussehen begeisterten das weibliche Geschlecht des Klientelles. Die Herren mochten sein sichtbar eitles Styling, in dem sie sich selbst spiegelten, oder mit dem sie sich verglichen. Casmilda und Conny beruhigten sich des Öfteren mit dem Gedanken, Marco habe seinen Erfolg einzig und allein seinem Geschlecht zu verdanken. Trotzdem wussten sie über den Vorwand dieses Gedankens Bescheid, der einzig und alleine darauf abzielte, ihren persönlichen Neid zu verdrängen.
Gegen Mittag herrschte ein reges Treiben im Geschäft. Die Kundschaften forderten von ihren Stylisten Höchstleistungen, was ihre Friseurkunst anbelangte, verhielten sich an diesem Tag wieder einmal ganz besonders heikel, und kommandierten das Personal herum. Der Vormittag schien nur die „Ruhe vor dem Sturm“ gewesen zu sein. Die unausgeschlafene Conny wurde von den Kunden beinahe regelrecht schikaniert, was auch mit ihrem Mangel an Konzentration zu tun hatte. Casmilda dagegen spürte ihren fehlenden Schlaf der letzten Nacht kaum. Um 11:30 spielte es im Radio einen Song, der Cornelia an Daniel erinnerte. Zu diesem Lied hatten sie bei ihrem zweiten Treffen getanzt. Ein verträumtes Lächeln zierte ihre Lippen und sie schmolz dahin, als ihre Kundin, Frau Mutschmay, rief: „Vorsicht, nur die Spitzen schneiden, Sie junges, törichtes Ding!“
„Ähm, Verzeihung Frau Mutschmay, ja, nur die Spitzen, kein bisschen mehr!“ Conny gestand sich ein, beinahe ein wenig zu viel als „ein Bisschen“ abgeschnitten zu haben, zumindest war sie ziemlich knapp davor gewesen, es zu tun.
Sexuell orientierte Gedanken waren in diesem Moment überhaupt nicht angebracht, doch Marco starrte Casmy unentwegt an, sooft er das nur konnte, während er seinem Kunden, Herrn Langkrämser, blonde Strähnen ins Haar strich.
„Vorsicht, nicht zu breit, Sie Träumer!“, meckerte dieser, „wenn die Strähnen zu breit sind, könnte jemand die künstliche Nachhilfe bemerken.“
Herr Langkrämser war immer schlecht gelaunt, einer der wenigen Kunden, die auf Marcos charmante Art nicht reagierten. Er war auch einer der wenigen, dem Marcos weibliche Gesten auf die Nerven gingen, aber er wollte trotzdem bereits zum zweiten Mal von ihm bedient werden, weil er sehr gut beraten, schneiden und färben konnte. Manch anstrengender Besucher des Salons jammerte natürlich nur, um seinen Frust loszulassen.
„Nein, mein Teuerster, ganz bestimmt nicht, versprochen!“, meinte der junge Stylist mit einer balett-ähnlichen Handbewegung dazu schweifend, worauf Casmilda wie erstarrt in die andere Richtung schaute. Ist mein Herzallerliebster nun doch homo – oder bisexuell?, fragte sie sich.
Eine gewisse Neugierde ergriff von ihrer Konzentration Besitz. Doch blitzschnell besann sie sich eines Besseren und lenkte ihre Gedanken wieder auf die Arbeit. Frau Tüttenleut hielt ausnahmsweise ihren Mund, weil sie sich am Waschbecken entspannte, während Casmy ihr eine wohltuende Kopfmassage genehmigte. Sie dachte wieder an ihren Sex mit Valetta. War sie selbst lesbisch? War das wichtig? Wenn sie das Cornelia erzählen würde, was würde diese davon halten? Casmy blickte kurz zu ihr hinüber.
Diese schien sich vollkommen auf den Kopf ihrer Kundin zu konzentrieren, als Frau Semmelbrack rief: „Wenn Sie sich bitte ein wenig mit meiner Dauerwelle beeilen würden, ich habe nicht den ganzen Tag für diesen Salonbesuch reserviert!“ Conny nickte nur lächelnd und verständnisvoll. Sie hatte sich so sehr beeilt, die Frisur von Frau Mutschmay fertigzustellen, da diese ebenfalls nicht unbedingt viel Zeit für ihren Salonbesuch mitgebracht hatte, und nun folgte schon wieder eine Ohrfeige.
Casmilda schweifte in Gedanken. Sie war die einzige, die sich Träumerei zu diesem Zeitpunkt erlauben durfte, da Frau Tüttenleut gerade eine Handmassage erhielt, während ihre Haarpflegepackung einwirkte. Ihre Kollegen war alle beschäftigt. „Reiß dich zusammen, Casmy,“ führte sie einen inneren Monolog, während sie die Hände ihrer Dame knetete, sodass diese mit offenem Munde dahindösend beinahe zu schnarchen begann, „es ist in diesem Moment nicht relevant, ob Marco sich zu Männern hingezogen fühlt oder inwiefern Valettas sexuelles Interesse das deinige vielleicht verändern wird“. Die jungen Stylistinnen arbeiteten in einem Haarstudio erster Klasse und dachten an ihre privaten Problemchen. Es grenzte an ein Wunder, dass noch keine von den anwesenden Kunden verschnitten, verfärbt, oder „verwickelt“ war.
Casmilda beendete die Massage, legte die Hand der Kundin zurück auf deren Schoß und merkte erst jetzt, dass diese richtiggehend eingenickt war. Sie lag entspannt auf dem Handtuch, das ihren Hals auf dem Waschbecken stützte. Casmy nutzte die kurze, von ihr selbst so definierte Verschnaufpause und ging schnell nach draußen vor den Laden, um sich eine Zigarette zu genehmigen, wobei sie die Packung und das Feuerzeug immer in der untersten Lade ihres Arbeitswagens verstaut hatte. Sie zog hastig an ihrem Glimmstängel, und warf zwischenzeitlich einen Blick in Frau Tüttenleuts Richtung. Zwei Minuten später musste sie ausdämpfen, weil ihre Kundin nach ihr rief und mit bösen Blicken und starr ausgestrecktem Finger auf ihre Armbanduhr deutete. Casmilda steckte sich schnell ein Pfefferminzbonbon in den Mund und betrat wieder den Laden. Larcy warf ihr ebenfalls einen vielsagenden Blick der Dominanz zu, so als würde er sagen: „Beeil' dich, wir haben noch einiges zu tun!“ Casmilda spülte die Pflege ab, trocknete das kaputte Haar ihrer Kundin vorsichtig ab, wobei diese wie immer Rufe des Leidens von sich gab, unabhängig davon, wie vorsichtig sie mit dem Handtuch abgetupft wurde, und schnappte sich ihre Schere, um einen erstklassigen Schnitt zu kreieren, wie sie sich fest vornahm.
Herrn Larcy Biskmer blieben die Klagen der Kunden nicht verborgen. Er kannte sie wie seine Westentasche, da er ein guter Beobachter war, und obwohl er wusste, wie snobistisch und pingelig die Gesellschaft des ersten Bezirks sein konnte, merkte er, dass sie sich an diesem Tag teilweise wirklich unruhiger als sonst verhielten. Trotz seines männlichen Geschlechts besaß er eine zu bewundernde, stark ausgeprägte Multitasking-Fähigkeit. Er konnte am Geschäftstelefon hängen und gleichzeitig Farbe auftragen, sowie nebenbei registrieren, was im Salon vor sich ging, um ein Beispiel zu nennen.
Sein Geduldsfaden riss schließlich, er hatte sich dieses Gezeter seit 10 Uhr morgens zu Gemüte geführt.
„Was ist heute nur mit meinem Personal los?“, fragte er mit friedlichem Ton aufgrund der Kundenanwesenheit, jedoch ernteten Conny und Casmy durchdringende, klare Blicke. Die beiden Stylistinnen verstummten blitzartig, und trauten sich nicht einmal mehr mit den Kunden über das Wetter zu plaudern.
Ich habe meine Mitarbeiter unter Kontrolle, dachte Herr Larcy zufrieden, womit er Recht hatte. Sein strenger Mund verzog sich zu einem Grinsen, als er die langen Haare von Frau Nümsenschleus weiter zu einer exakten Banane aufsteckte. Letztendlich verließen alle Besucher zufrieden den Salon, das hohe Trinkgeld ließ an dieser Zufriedenheit keinen Zweifel aufkommen.
Der Nachmittag verlief ziemlich rasch. Dann war der große Moment für Cornelia gekommen. Pünktlich um 18:30 betrat Daniel den Salon.
Sie hatte ihn schon durch die glasklare Scheibe des Schaufensters hindurch bemerkt, als er etwa zwei Meter von der Eingangstüre des Geschäftes entfernt war, und fühlte sich, als würde ihr die Galle aufsteigen, sobald ihre geweiteten Augen seine Präsenz wahrnahmen. Zorn machte sich in ihrem Magen breit. Dann atmete sie tief durch, ging zu ihm, begrüßte ihn mit einem kurzen Handschlag und einem kühlen Lächeln.
Sie bot ihm einen Fensterplatz an, als er sich errötend setzte.
„Möchtest du gerne etwas trinken?“, fragte sie mit zuckersüßem Unterton.
„Ja bitte, einen Kaffee mit Milch und Zucker, und ein Glas Wasser dazu!“ stammelte Daniel verlegen und schuldbewusst, als er sich verlegen am Hinterkopf kratzte. Immerhin hatte er sie vor kurzem sitzen gelassen.
Er hatte beide Hände gesenkten Hauptes in den Schoß gelegt, so als wäre er ein kleiner Junge, dem man vor kurzem erklärt hatte, dass er bei Rot nicht über die Straße gehen dürfe. Sie brachte den Kaffee und das Wasser, während sie ihn mit einem bösen Blick auf seinen Hinterkopf bedachte. „Rein zufällig“ verschüttete sie dabei das Wasser auf Daniels Hose. Dieser schreckte kurz auf. Er sah aus, als hätte er sich angepinkelt. Das unterstrich natürlich den Eindruck des kleinen Jungen um ein Weiteres.. Cornelia führte einen inneren Freudentanz der Rache auf.
„Oh nein, wie ungeschickt von mir, tut mir leid!“ beteuerte sie mit theatralischer Stimme ihr aufgesetztes Mitgefühl, und setzte dabei wieder ihr künstliches Lächeln auf, wobei ihre Augen ihren Hass nicht zu kaschieren vermochten. Ihr Kunde und Exfreund verzog enttäuscht und verletzt den Mund, als er traurig in den Spiegel blickte und ein leises „macht nichts“ hinzufügte. Sie scheint wirklich wütend zu sein, dachte er bei sich. So hatte er sie in den 3 Wochen ihrer Bekanntschaft nie erlebt. Nun, was lässt sich schon in drei Wochen großartig ausrichten? Sie wussten schließlich nicht viel voneinander.
„Wollen wir die Haare vor dem Schneiden waschen?“, fragte sie. „Eine Kopfmassage tut jedem gut.“
Ihr tiefer Ausschnitt verleitete Daniel einen kurzen Moment lang dazu, lüsterne Blicke zu erzeugen, woraufhin Conny nur noch wütender wurde. Als er ihr Gesicht im Spiegel sah, die hochgezogenen Brauen und Lippen, die eine schmale Linie bildeten, blickte er sofort mit großen Augen wieder zu ihr auf.
Und so jemand hätte mein großer Bruder sein können?, fragte sich Conny belustigend. Ihre psychologische Analyse über Daniel war wohl nach hinten losgegangen. Die Sache hatte jedoch auch ihr Gutes, denn der junge Mann würde fortan, wenn er klug war, stets mit dem Gesicht einer Frau sprechen, wenn Gespräche die passende Thematik beschrieben, statt mit ihrem Busen, zumindest wünschte Conny ihm das Verständnis dieser Lektion. Natürlich hatte sie sich an diesem Tag ganz bewusst ein Top ausgesucht, das ihre pralle Oberweite gut zur Geltung kommen ließ, um Daniel zu testen. Sie fragte sich, ob er in ihr vielleicht doch nur ein Sexobjekt gesehen hatte. Der Bäcker konzentrierte sich verkrampft auf die einfache Frage, die ihm gestellt worden war, doch für ihn gab es in diesem Moment weit wichtigere Dinge zu besprechen als eine Haarwäsche. Er war gekommen, um Conny zurückzuerobern.
„Äh, ja, aber, was ich gerne sagen wollte…“, doch da ging Cornelia schon koketten Schrittes zum Waschplatz und wartete auf ihn. Er ließ nicht viel Zeit vergehen. Es gefiel ihr, dass sie ihn in der Hand hatte.
Mit lässigen Körperbewegungen drehte sie den Wasserhahn auf, testete jedoch die unangenehme Temperatur bewusst nicht an ihrem Handgelenk.
„Au, ist das heiß!“
Daniel warf den Kopf nach vorne, sodass das Wasser auf den Boden plätscherte .Conny hatte ihn absichtlich verbrüht. Ein vorsichtiges „Entschuldige, bitte“ kam ihr über die Lippen. Daniel war knapp davor, aufzuspringen, und den Laden zu verlassen, doch dann dachte er wieder an das Gespräch, das er mit Conny führen wollte. Zu diesem Zeitpunkt war Herr Larcy gerade mit seinem Hund spazieren gegangen, damit dieser sein Geschäft verrichten konnte. Gott sei Dank, hätte er erlebt, wie die junge Friseuse mit ihrem Kunden umging, hätte er sie wohl entlassen.
„Bitte nicht so kalt!“
Auch für die eisige Temperatur sorgte Conny mit Absicht. Sie bediente den Regler, wie es ihr gerade in den Sinn kam. Dabei dachte sie keinen Moment lang an Daniels Gefühle, weder an seine körperlichen noch seine seelischen Empfindungen, auch seine Prioritäten als Kunde waren ihr völlig einerlei. Als die grobe, bewusst unangenehme Kopfmassage beendet war, und sie den Schaum des Shampoos abgespült hatte, fühlte sich Daniel wie neu geboren – in der Hölle der Rache seiner Ex-Freundin. Während der Massage hatte sie sich genau durch den Kopf gehen lassen, wie es sich angefühlt hatte, als Danny mit ihr am Telefon Schluss gemacht hatte. Sie empfand diese Art von Beendigung eines Kontaktes als ziemlich unreif, obwohl sie tief in ihrem Inneren wusste, wie unüberlegt und dumm sie selbst in diesem Moment handelte. Casmilda beobachtete ihre Kollegin mit kaum merklichem Kopfschütteln, versuchte jedoch, die Beiden zu ignorieren und konzentrierte sich wieder auf die Föhnfrisur ihrer Kundin. Ich habe sie heute Morgen davor gewarnt, ihre Launen nicht an den Kunden auszulassen, dachte sie. Im Nachhinein erschien es ihr sinnvoller, sie hätte Daniel vor Cornelia gewarnt.
„Wie hättest du sie denn gerne?“, fragte Cornelia, und klopfte genervt mit ihrem Kamm gegen ihre rechte Hüfte, um ihrem Kunden ein wenig Entschlussfreudigkeit zu vermitteln, während sie die andere Hand starr in die andere Hüfte gestemmt hatte. Für gewöhnlich besprach sie die Anliegen eines Kunden bezüglich seines Schnittes im trockenen Zustand, damit sie den Haar fall im ursprünglichen Sinne deuten konnte, doch sie wollte Daniel so schnell als möglich wieder loswerden. Du wirst fantastisch aussehen, wie auch immer deine Wünsche lauten mögen, dachte sie gehässig.
„Am Oberkopf hätte ich sie gerne etwas kürzer, und an den Seiten kannst du ein wenig mehr abschneiden.“ Die junge Stylistin nickte enthusiastisch und nahm die ersten Strähnen zwischen ihre Finger, um sie entsprechend zu kürzen. Daniel hatte in den letzten zwei Tagen oft versucht, Conny telefonisch zu erreichen. Doch sie hatte alle seine Anrufe ignoriert. Er musste also persönlich mit ihr sprechen, um die Dinge zu regeln, die ihn bezüglich seiner Herzensdame beschäftigten. Als sie zu schneiden begann, wurde ihm das Ausmaß seiner Dummheit bewusst, während er seufzend einen Punkt am Rand des Spiegels fixierte. Schließlich kratzte er all seinen Mut zusammen, seine Lippen öffnete sich langsam.
„Conny, es tut mir leid. Ich habe mich wie ein Idiot verhalten, als ich dich in knappen Worten am Telefon von mir wies. Bitte lass' uns diesen Freitag gemeinsam zu Abend essen, bei einem Glas Rotwein will ich dir meine Beweggründe für mein Verhalten erklären, das heißt, insofern du zu dieser Zeit noch keine anderen Pläne geschmiedet hast“, stammelte er schüchtern. Während seiner wohl bedachten Worte hatte er zwischenzeitlich die Augen seiner Ex-Freundin im Spiegel vor ihm gesucht, doch es war vergebene Liebesmüh'. Cornelia musste sich ein Lachen verkneifen, als sie diese Sätze des ihres Erachtens nach aufgesetzten Selbstmitleides vernahm. So viel Anstand und Stolz wollte sie nun besitzen, sich nicht von diesem Möchtegern-Casanova einwickeln zu lassen. Sie schwang ihre Schere mit adretten Bewegungen, tänzelte dabei locker um Daniel herum, ohne jedoch auf seine Bitte zu reagieren. Diese kokettierte sie nur mit einem angespannten Lächeln der Herablassung. Sie empfand es als dreist und respektlos von ihm zu glauben, ein romantisches Abendessen könne sie eventuell umstimmen, um mit ihm einen Neuanfang zu wagen. Conny interessierte sich in ihrem momentanen Zorn nicht für die Beweggründe des Schlussstriches ihres Exfreundes, insofern man ihn als jenen bezeichnen konnte, binnen der kurzen Zeit ihres Beisammenseins. Daniel fuhr fort, deutete an, wie sehr er ihre kurze gemeinsame Bindung genossen habe, wie sehr er seine Entscheidung bereue, verschwendete jedoch in Wirklichkeit seine Zeit. Nach wenigen Minuten gab er auf, ließ die Schultern hängen, und fragte sich, was Cornelia für Unfug auf seinem Haupt verrichtete. Er zuckte kurz mit dem rechten Augenlid, zeigte jedoch ansonsten keinerlei Reaktion. Sie schnitt ihm am Oberkopf drei Zentimeter ab, missachtete die starke Rundung seines Kopfes und setzte ihm einen optischen Ballon auf. An den Seiten raspelte sie seine Haare kurz ab. Casmy wollte sich dieses Desaster nicht länger ansehen. Nachdem ihre Kundin an der Kassa bezahlt hatte, ging sie schnurstracks zu ihrer Kollegin, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte: „Was machst du da? Soll Daniel etwa Antiwerbung für unseren Salon verbreiten? “ Doch Cornelia tat, als hätte sie nichts gehört. Der junge Bäcker hatte mittlerweile die Augen geschlossen, weil er dieses Desaster nicht länger mit ansehen wollte, somit entging ihm auch Casmys Anwesenheit. Diese ärgerte sich über die typische Arroganz ihrer besten Freundin und machte eine Kaffeepause.Binnen zehn Minuten hatte Conny ihr „Meisterwerk“ zu Ende gebracht. Schnelligkeit war zwar in der Friseurbranche ein wichtiges Thema, aber man sollte auch auf die Wünsche des Kunden eingehen, und sich eine gewisse Zeit für ihn nehmen, erst recht in einem snobistischen Salon. Im „Normalfall“ tat Cornelia das ja auch.