Читать книгу Casmilda's Gewinn durch Verlust - Gery Wolfsjäger - Страница 7
Kapitel 4 Schmerz kommt bitte in den privaten Müll!
ОглавлениеDieser Haarschnitt ließ den jungen Bäcker missraten aussehen, zwar war er sauber erarbeitet worden, ließ aber sein rundes Gesicht trotz körperlich schlanker Statur viel zu stark zur Geltung kommen. Ein rundes Gesicht, eine runde Kopfform und ein Haarstyle, der die Rundung betonte – diese Kombination entstellte sein Äußeres definitiv. Gekünstelt stolz zeigte die Friseuse ihrem Kunden den hässlichen Schnitt im Handspiegel. Daniel blickte traurig in die glasklare Fläche.
„Geht es dir jetzt besser?“
Langsam aber sicher erstarb Connys hämisches Grinsen, und ihre straff gespannten Lippen sanken nach unten. Sie ließ den Spiegel sinken, lauter Motive, die ihre Besinnung andeuteten. Cornelia schwieg. Auf diese Frage fiel ihr momentan keine Antwort ein. In Daniels Augen lag eine interessante Mischung aus Verzweiflung, Unsicherheit, und Suche nach Halt, den Cornelia ihm nicht geben wollte.
„Ich wollte dir nicht weh tun!“ sprudelte es aus ihm heraus, lauter als er die Absicht danach hegte. Er schien den Tränen nahe zu sein. Conny behielt ihr Schweigen weiterhin bei, ihr arroganter Blick war jedoch einer klaren Unsicherheit gewichen, als sie mit verdattertem Blick seinen traurigen Augen zu entkommen versuchte. Endlich meinte sie, ihre letzte Energie der Künstlichkeit aufwendend: „Wie gefallen dir deine Haare?“, um abzulenken.
„Das ist mir einerlei, ich sehe aus wie eine Niete, aber du hattest wohl allen Grund, mich zu verunstalten. Ich verstehe das!“ Zwar wusste er, dass diese Aussage nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn derartig grob und zynisch wurde er noch nie behandelt, weder in einem Friseursalon noch in anderen Institutionen der sozialen Dienstleistung, aber er erhoffte sich von diesen Worten, Conny doch noch weichklopfen zu können. Zumindest riss sie nun erstaunt die Augen auf. Mit diesem Satz hatte sie jetzt am wenigsten gerechnet. Warum auch? Sie konnte selbst kaum begreifen, warum sie Daniel so sehr hasste, doch er schien Verständnis für ihre haltlos gesteuerten Emotionen zu haben. Wenn sie nicht so stur gewesen wäre, hätte sie ihn um eine Erklärung gebeten. Sie hatte ihn als einen sensiblen Menschen eingeschätzt, aber dass er in derart hohem Maße gefühlvoll sein konnte, überraschte sie nun doch. Sie starrten sich eine Weile im großen Spiegel an. Schließlich schloss Cornelia kurz die Augen, schüttelte den Kopf, um sich von ihrem Bild seiner verständnisvollen und einfühlsamen Seite zu verabschieden, öffnete sie wieder und sagte mit zitternder Stimme: „Es ist aus zwischen uns, ein für alle Mal, außerdem bin ich nicht bindungsfähig! Casmilda kann das bestätigen, nicht wahr?“ Sie neigte ihr Haupt in Richtung Mitarbeiterraum, doch Casmy schüttelte nur den Kopf. Sie nahm sich vor, über dieses Thema mit Conny nicht mehr zu sprechen, sie würde ihres Erachtens nach schon eines Tages auf die Nase fallen und lernen.
„Es ist irrelevant, was deine Freundin darüber denkt“, kommentierte Daniel plötzlich in saloppem Ton, als er sich samt seines Friseurstuhls mit einer schnellen Körperbewegung in Richtung des Gesichtes seiner Friseurin drehte, um ihr tief in die Augen zu schauen, die sie ihm aufgrund eines überraschten Reflexes zuwandte, dabei kaum merklich erschrak und kurz zusammenzuckte.
„Wenn du es sagst, wird es schon so sein,“ fuhr er unbeirrt fort, „ doch eine Bindung geschieht von selbst, in dir. Wenn du meinst, du bist nicht bindungsfähig, bin ich wohl auch nicht derjenige, für den du diese Unfähigkeit aufgeben wirst. Ich kann und will dich zu nichts zwingen.“
Diese Worte kamen ihm kälter über die Lippen, als er es geplant hatte. Dann stand er raschen Mutes auf, legte das Geld auf den Bedienungsplatz und ging. Auf provokante Art schloss er bewusst langsam und leise die Türe hinter ihm, als er bemerkte, wie Cornelia ihm offenen Mundes mit großen Augen hinterherstarrte. Sie rang um Fassung, wischte sich eine Träne hinfort. Anschließend ging sie flotten Schrittes in den Mitarbeiterraum, setzte sich auf einen Stuhl, und gab sich, den Kopf in ihre flachen Hände gelegt, den darauffolgenden Tränen hin. Sie fühlte sich alleine und im Stich gelassen, und wusste, dass niemand sie trösten würde, da hierfür die Zeit fehlte. Casmilda hatte ihre kurze Verschnaufpause bereits beendet. Um 19 Uhr hatte Die fliegende Schere eigentlich schon geschlossen, aber langjährige Stammkunden, so wie sie an diesem Abend erschienen, wurden noch bedient.
Conny blickte auf ihre Armbanduhr, dessen Schutzhülle die Tränen abperlen ließ. Die Uhr zeigte fünf nach sieben. Sie wusch sich das Gesicht im Spülbecken des Aufenthaltsraumes und begann, das schmutzige Kaffeegeschirr abzuwaschen, während Marco und Casmilda den letzten Kunden dieses Tages ihre Haare verschönerten. Wenige Minuten später kam Larcy mit seinem Hund zurück. Natürlich hatte er Connys Tränen des Öfteren gesehen, wie sie in dicken Tropfen die Wangen herunterkullerten, er rechnete ihr jedoch hoch an, dass sie sich zumindest weitgehend dahin kontrollieren konnte, nicht vor den Kunden zu weinen, da ihr dementsprechende Traurigkeiten nicht zum ersten Mal zum Verhängnis wurden (von Connys Malheur bezüglich Daniel wusste er Gott sei Dank nichts).
Es war aber weder seine Aufgabe, noch stand es in seiner Macht, sie zu trösten. Hätte er das nur einmal getan, würde sie vielleicht ständig erwarten, seelischen Beistand zu erhalten. Er betrachtete seine Angestellte mit einem mitfühlenden Blick, von dem er wusste, dass er sie niemals erreichen konnte, weil er ihn hinter einer kühlen Fassade verbarg. Das tat ihm ab und zu auch sehr leid, weil er als Chef gegenüber seinen Stylistinnen, die er seit der Lehrzeit an begleitete und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stand, ein gewisses väterliches Gefühl entwickelt hatte. Dennoch ermahnte er sich jedes Mal, speziell Cornelia nicht auf ihre Emotionen anzusprechen, wenn sie bahnbrechend ausarteten. Falls die beiden, wie es laut seiner Ahnung heute den gesamten Tag lang der Fall gewesen war, ihr Privatleben mit in den Salon nahmen und ihre Schwierigkeiten damit hatten, sich innerlich abzugrenzen, war es gerade für ihn als Vorbild wichtig, private Themen oder Gefühlsausbrüche nicht zu besprechen. Und dennoch wusste er um die Wichtigkeit einer eventuell bald folgenden Debatte Bescheid, wenn solche schier offensichtlichen Vermischungen von Berufsleben und jenem außerhalb des Salons auftraten. Schon zu Anbeginn ihrer Lehrzeit hatte er seinen Mädchen beigebracht, wie wichtig es sei, dass ein Friseur die Gabe des Schauspieltalents besaß. Natürlich waren sie keine ausgebildeten Schauspieler, sie mussten es nur schaffen, an Tagen, an denen sie schlecht gelaunt waren, ihre wahren Gefühle, seien es Traurigkeit oder Ähnliches, zurückzuhalten, sowie zu überspielen.
Conny nahm ein Kleenex aus der Box neben der Kaffeemaschine und beobachtete Larcy, als er den Laden verließ. Mit einem tiefen Seufzer atmete sie auf und setzte sich auf einen Stuhl. Pure Erleichterung strömte bei jedem Atemzug durch ihre Lungen, weil ihr die Peinlichkeit erspart blieb, ihrem dominanten Arbeitgeber ihre Schwäche zeigen zu müssen. Könnte ich doch nur ohne Männer glücklich werden, dachte sie still bei einem schwarzen Kaffee. Am liebsten hätte sie sich eine Zigarette genehmigt, aber so weit würde sie es nicht kommen lassen. Die Nacht im Dance for Chance war ihr eine Lehre, in der nächsten Zeit wenig bis gar nicht zu rauchen, da sie an diesem Abend beinahe zwei Packungen genossen hatte. Sie nippte an ihrem Kaffee, dann öffnete sie träge und mutlos den Kühlschrank, um aus dem Eisfach ein wenig Vanilleeis in ihr Heißgetränk zu geben. Gedankenverloren ertränkte sie die cremige Substanz im heißen Kaffee, so, wie sie ihr eigenes Dasein in Selbstmitleid suhlte. Sie starrte traurig in ihre Tasse, und ließ sich von dem beruhigenden Muster des weißen Vanilleschaums auf der braunen Unterlage ablenken. Ihre Fönfrisur sah nun noch zerzauster als in den Morgenstunden aus, sie konnte es förmlich spüren. Für den nächsten Tag nahm sie sich vor, sich mehr Mühe für ihr Styling zu geben, und eine gute Schauspielerin ohne professionelle Ausbildung zu verkörpern, wie Larcy so schön zu sagen pflegte.
Sie stellte die Tasse ins Spülbecken und fasste den Gedanken, den Laden zu kehren, als sie plötzlich innehielt und ihre Arme fest um den Körper schlang. Die Augen geschlossen fragte sie sich, inwiefern Daniel seine Worte der Reue und Versöhnung ernst gemeint hatte. In ihrem Herzen entstand dabei ein Gefühl der Wertlosigkeit. Vielleicht konnte sie ihm gar nichts vorwerfen, was seine heutigen Sätze anbelangte, sondern musste sich eingestehen, seinen Worten keinen Glauben geschenkt zu haben, weil sie nicht davon überzeugt gewesen war, sie verdient zu haben. Der Gedanke vermittelte ihr einen ehrlichen, aufrichtigen Stich in ihrem Herzen. In solchen Zeiten des traurigen Daseins dachte Conny oft einfach nur an ihr Bett. Sie wollte darin liegen und schlafen, am liebsten gleich den lieben, langen Tag. Doch was hätte das für einen Sinn? Selbstmitleid hatte die trügerische Eigenschaft, die Gefühle des Menschen in Sphären zu bringen, die er selbst nur noch schwer einschätzen konnte. Der Verstand wurde dabei ausgeschaltet, andererseits hörte sie nicht auf die innere Stimme des Herzens, die ihr riet, positiv zu denken und zu fühlen. Das einzige, was sie als selbst definiertes Opfer in diesem Moment wahrnahm, war die von ihr persönlich einsuggerierte Haltung, machtlos zu sein. Hatte Daniel, der zurückhaltende Junge mit dem kühlen Blick doch ein Herz? War sie nur zu hart zu ihm gewesen? Sie kannte die Antwort nicht.
In meinem Bett kann ich diesen fordernden Fragen entfliehen, deren Antworten ich nicht kenne, dachte sie still bei sich, als sie den Besen aus der hintersten Ecke des Salons holte, und durch den Laden schwang. Bei einem alkoholischen Rausch könnte ich ebenfalls vergessen, fügte sie noch gedanklich hinzu, aber sie nahm sich vor, dieses sinnlose Ritual doch lieber bleiben zu lassen. Plötzlich hielt sie inne und betrachtete Casmildas überzeugtes Lächeln, als sie ihrer zufrieden wirkenden Kundin den Rückspiegel zeigte. Conny drückte den Stiel des Besens, sodass die Knöchel weiß hervortraten und biss wütend die Zähne zusammen. „Manche Frauen haben doch einfach alles, nicht wahr?“, sprach der Neid zu ihr.
Casmilda und Marco verabschiedeten sich höflich von ihren letzten Kunden und halfen Ihnen beim Anziehen. Wenige Sekunden später waren sie verschwunden. Beinahe gleichzeitig stießen die beiden einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, da ihnen die Ruhe nach dem Sturm gut tat. Sie lachten einander kurz an, während Conny einen Haufen Haare in den Mülleimer neben dem Waschbecken warf und nun hilfesuchend neben ihm stand. Sie fühlte sich wie ein Kind, das nach Aufmerksamkeit rief, als Casmy ihren Blick auffing und ihr mitfühlend von der Kasse aus zublinzelte. Marco ging in den Mitarbeiterraum, um seine Tasche zu holen. Conny konnte ihr inneres Kleinod nur schwer unter Kontrolle bringen. Casmilda kam auf sie zu und nahm sie in die Arme. Sie weinte still vor sich hin. Conny hinterließ auf Casmildas Top eine Pfütze aus Tränen. Nach wenigen Minuten hob sie ihren Kopf von Casmildas Schulter, wobei jene sie fest an den Unterarmen hielt und ihr tief in die Augen blickte. Aus dem toten Winkel erhaschte Conny einen Blick auf Marco, der gerade seine Farbschüsseln auswusch. Neutral und konzentriert wirkend vermittelte er nicht den Eindruck, sich in die Angelegenheit zwischen Casmy und Conny einmischen zu wollen. Sie drehte ihren Kopf kurz in seine Richtung und fand Gefallen an seinen beschützend wirkenden Muskeln, wie sie sich im leichten Strudel des Wassers hin - und herwiegten. Ich hätte ihn jetzt gerne an meiner Seite, dachte sie bei sich und schüttelte dann den Kopf.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Casmilda besorgt.
Sie behielt ihr inneres Versprechen bei, Conny nicht zu tadeln, weil sie Daniel so abwertend behandelt hatte, wollte ihr aber dennoch den Trost und das Gehör geben, das sie brauchte. Conny wandte sich wieder ihrer Freundin zu.
„Ja, danke, es geht mir einigermaßen gut“.
Sie wusste nicht, ob diese Aussage der Wahrheit entsprach, wollte aber nicht weiter über ihren emotionalen Zustand sprechen. Die Stylistinnen vereinbarten mit Marco eine entsprechende Einteilung, was die Nacharbeiten angelangte, und er nickte mit einem kollegialen Lächeln auf den Lippen.
Conny ließ das Wasser in den Putzeimer laufen, den sie aus dem Mitarbeiterraum geholt hatte. Marco und Casmilda lehnten wenige Meter von ihr entfernt lässig am Tresen. „Dein Top gefällt mir gut, es betont deine schmalen Hüften!“, durchbrach Marcos motivierte Stimme die Abendruhe. Langsam wandte Cornelia den Kopf in Casmildas Richtung, und ließ anschließend den Blick zu deren Hüften hinabgleiten. Casmy streifte kurz mit ihren ellenlangen Fingern über besagte Körperpartie. „Marco, du bist und bleibst ein Charmeur“, erwiderte Casmilda und entblößte bei einem breiten Lächeln ihre wunderschönen Perlenreihen perfekt gepflegter Zähne.
„Haben die gnädigen Anwesenden die Muße, ihr Tête á Tête zu verschieben und sich zu erniedrigen, mir behilflich zu sein?“
Cornelias Stimme überraschte sie selbst. Doch auch Casmy und Marco gaben mit weit aufgerissenen Augen zu verstehen, wie aufrüttelnd die Lautstärke und wütende Emotion ihres Organs durch den Raum hallte. Sie nickten stumm, während Conny ein verlegenes „Bitte“ hinzufügte, als ihr Gesicht die Farbe einer Tomate annahm. Marco half Cornelia, während Casmilda die Kassenabrechnung durchführte. Wenige Minuten später war die Arbeit getan. Marco schnappte seine Tasche und nahm nach einem kurzen Abschied Reißaus.
Casmilda bedachte Cornelia mit einem strengen Blick, die Arme vor der Brust verschränkt, als sie bei der Eingangstür auf sie wartete.
„Ich weiß, meine Launen passen wieder einmal so gar nicht in dein optimistisches Weltbild“, rief Conny ihr aus dem Mitarbeiterraum zu, während sie ihre Handtasche einräumte, „doch um ehrlich zu sein, möchte ich heute nicht über unsere unterschiedlichen Ansichten sprechen. Du brauchst nicht auf mich zu warten.“ Casmilda verzog verständnislos das Gesicht. „Nun gut, dann sehen wir uns morgen, ich wünsch' dir einen schönen Abend.“
„Danke, gleichfalls“, erwiderte Conny geistesabwesend. Casmilda machte auf dem Absatz kehrt, verließ den Laden und ging zur U-Bahn. Conny blieb noch eine Weile im Aufenthaltsraum sitzen. Nein, ich werde mich nicht vor dir entblößen, Casmy, dachte sie bei sich, während sie sich nervös am Hinterkopf kratzte, der Stress mit Daniel wühlte meine Gefühle bereits zur Genüge auf, von meinem Neid dir gegenüber will ich schon gar nichts wissen.
Entschlossen stand sie mit hektischen Bewegungen auf, schwang ihre Handtasche über die rechte Schulter und ging ihres Weges.