Читать книгу Tantrische Ebenen und Pfade - Geshe Kelsang Gyatso - Страница 21

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Während die Zuschreibung eines Ich auf einen gewöhnlichen Körper oder Geist dazu führt, dass wir die Unwissenheit des Festhaltens am Selbst entwickeln und dadurch in Samsara bleiben, führt die Zuschreibung des Ich auf Leerheit dazu, dass wir aus Samsara befreit werden. Es ist sehr wichtig für Praktizierende des Geheimen Mantra zu lernen, den Gedanken «Ich» zu entwickeln, indem sie Leerheit als Grundlage der Zuschreibung nehmen. Wir sollten uns nach Möglichkeit die eigentliche Leerheit vergegenwärtigen, die bloße Abwesenheit von inhärenter Existenz, und den Gedanken „Ich“ entwickeln, während wir diese Leerheit betrachten. Verstehen wir Leerheit nicht, sollten wir uns einfach eine Leere vorstellen und, indem wir diese betrachten, «Ich» denken. Soll unsere Meditation jedoch als ein eigentliches Gegenmittel gegen das Festhalten am Selbst dienen, dann müssen wir das Fehlen inhärenter Existenz erkennen und Ich darauf zuschreiben. Ein Ich, das auf die Leerheit oder endgültige Natur von uns selbst und unserem Yidam zugeschrieben wird, ist die Gottheit der Leerheit oder die endgültige Gottheit.

DIE GOTTHEIT DES KLANGS

Nachdem wir eine Weile über die Gottheit der Leerheit meditiert haben, stellen wir uns vor, dass aus dem Zustand der Leerheit der Klang von Avalokiteshvaras Mantra OM MANI PÄME HUM entsteht, so wie das Grollen eines fernen Donners in einem leeren Himmel. Wir visualisieren die Buchstaben nicht in geschriebener Form, sondern hören einfach mit unserem Geist den Klang des Mantra. Der Klang kommt nicht aus einer bestimmten Richtung, sondern durchdringt den ganzen Raum. Wir erkennen den Klang des Mantra als unseren Geist, der im Aspekt des Klangs erscheint, und schreiben darauf Ich zu. Dieses Ich, das dem Klang des Mantra zugeschrieben wird, ist die Gottheit des Klangs. Nach dem System der Madhyamika-Prasangikas widersprechen sich das zugeschriebene Objekt und die Grundlage der Zuschreibung, was bedeutet, dass die Grundlage der Zuschreibung des Ich zwangsläufig nicht das Ich ist. So wie gegenwärtig unsere fünf verunreinigten Anhäufungen die Grundlage der Zuschreibung für unser Ich sind, nicht jedoch unser Ich selbst, so ist der Klang des Mantra die Grundlage für die Zuschreibung der Gottheit des Klangs, aber nicht diese Gottheit.

DIE GOTTHEIT DER BUCHSTABEN

Nachdem wir eine Weile über unseren Geist im Aspekt des Klangs des Mantra meditiert haben, stellen wir uns vor, dass sich unser Geist in ein weißes, durchscheinendes Mondmandala umwandelt. Der Klang des Mantra ­sammelt sich oberhalb des Mondes und nimmt die physische Form der Buchstaben OM MANI PÄME HUM an, die im Uhrzeigersinn am Rande des Mondmandalas stehen. Wir denken, dass diese Buchstaben und das Mondmandala in ihrer Essenz unser eigener Geist sind, und auf dieser Grundlage entwickeln wir den Gedanken «Ich». Dieses Ich, das auf die Buchstaben des Mantra zugeschrieben wird, ist die Gottheit der Buchstaben.

DIE GOTTHEIT DER FORM

Nachdem wir eine Weile über die Gottheit der Buchstaben meditiert haben, stellen wir uns vor, dass die Buchstaben des Mondmandalas Licht in alle zehn Richtungen ausstrahlen. An der Spitze eines jeden Lichtstrahls ist Avalokiteshvara. Diese Strahlen erreichen den Scheitel jedes einzelnen Lebewesens, segnen sie und reinigen all ihr negatives Karma von Körper, Rede und Geist. Die sechs Bereiche von Samsara werden gereinigt und in das Reine Land von Avalokiteshvara umgewandelt und alle Lebewesen werden zu Avalokiteshvara. Dann schmelzen die gereinigte Umgebung und die gereinigten Wesen zu weißem Licht und lösen sich in den Mantrakranz und das Mondmandala auf, die sich dann in den Körper Avalokiteshvaras umwandeln. Wir können Avalokiteshvara mit einem Gesicht und zwei Armen, einem Gesicht und vier Armen oder mit elf Gesichtern und tausend Armen visualisieren. Indem wir die körperliche Form Avalokiteshvaras betrachten, entwickeln wir den Gedanken «Ich». Dieses Ich, das auf die körperliche Form Avalokiteshvaras zugeschrieben wird, ist die Gottheit der Form.

DIE GOTTHEIT DER MUDRA

Nachdem wir uns als Avalokiteshvara erzeugt haben, müssen wir nun die fünf Hauptstellen von Avalokiteshvaras Körper mit einer besonderen Mudra segnen. Dazu bringen wir unsere Hand­flächen in der Mudra der Verbeugung zusammen, doch sind die Fingerspitzen wie die Blüten­blätter eines sich öffnenden Lotos etwas voneinander getrennt, unsere Daumen krümmen wir nach innen, wie um ein kostbares Juwel darzustellen, das innerhalb der Lotosblüte verborgen ist. Dies ist die «Verpflichtungs­mudra der Lotos Familie». Während wir das Mantra OM PÄME UBHAWAYE SÖHA rezitieren, berühren wir mit unseren Händen, die wir in dieser Mudra halten, unser Herz, den Punkt zwischen unseren Augenbrauen, unseren Hals, unsere rechte Schulter und unsere linke Schulter. Wenn wir unser Herz berühren, visualisieren wir Akshobya. Wenn wir den Punkt zwischen unseren Augenbrauen berühren, visualisieren wir Vairochana. Wenn wir unseren Hals berühren, visualisieren wir Amitabha. Wenn wir die rechte Schulter berühren, visualisieren wir Ratnasambhava und berühren wir unsere linke Schulter, visualisieren wir Amogasiddhi. Obwohl die Gottheiten auf unserem Körper gekennzeichnet sind, ist dies kein Körpermandala, denn die substanzielle Ursache der fünf Gottheiten ist unser Geist, nicht die Teile unseres Körpers. Diese Gottheiten sind die Gottheiten der Mudra. Wir sind davon überzeugt, dass diese fünf Gottheiten in ihrer Essenz unser eigener Geist sind und meditieren darüber.

DIE GOTTHEIT DER ZEICHEN

Hier bezieht sich «Zeichen» auf die außergewöhnlichen Zeichen oder Eigenschaften des Körpers von Avalokiteshvara. Um über die Gottheit der Zeichen zu meditieren, untersuchen wir den Körper von Avalokiteshvara von Kopf bis Fuß, um die Klarheit ­unserer Visualisierung zu verbessern. Dies verbessert sowohl unsere klare Erscheinung als auch den göttlichen Stolz, Avalokiteshvara zu sein. Ein Ich, das nach der analytischen Meditation über die außergewöhnlichen Zeichen Avalokiteshvaras auf seinen Körper zugeschrieben wird, ist die Gottheit der Zeichen.

Das Ziel der Meditation über die Gottheit der Leerheit ist, den Geist der Gottheit zu erlangen. Das Ziel der Meditation über die Gottheit des Klangs und die Gott­heit der Buchstaben ist, die Rede der Gottheit zu erlangen. Und das Ziel der Meditation über die Gottheit der Form, die Gottheit der Mudra und die Gottheit der Zeichen ist, den Gottheitskörper zu erlangen. Über die Yogas der sechs Gottheiten in dieser Reihenfolge zu meditieren hilft uns, gewöhnliche Erscheinungen und Vorstellungen zu überwinden und die klare Erscheinung und den starken göttlichen Stolz zu entwickeln, die Gottheit zu sein. Üben wir jedoch die Meditationen über diese Gottheiten nicht in der richtigen Reihenfolge, sondern versuchen uns gleich als tantrische Gottheit zu erzeugen, dann wird es fast unmöglich sein, gewöhnliche Erscheinungen und Vorstellungen zu überwinden.

Um uns statt als Avalokiteshvara als eine andere Gottheit des Handlungstantra zu erzeugen, meditieren wir über die gleiche Reihenfolge der sechs Gottheiten, allerdings mit einigen kleinen Abänderungen. Haben wir zum Beispiel den Wunsch, uns als Manjushri zu erzeugen, stellen wir uns in der Meditation über die Gottheit des Klangs vor, dass der ganze Raum statt mit OM MANI PÄME HUM mit Manjushris Mantra OM AH RA PA TSA NA DHI gefüllt ist. Und wenn wir über die Gottheit der Form und die Gottheit der Zeichen meditieren, visualisieren wir uns selbst als Manjushri mit einem orangefarbigen Körper, einem Gesicht und zwei Armen, die ein Schwert und eine Schrift halten. Die Art und Weise, über die Gottheit der Mudra zu meditieren, ist ebenfalls anders. Anstatt die fünf Stellen unseres Körpers mit der Verpflichtungsmudra der Lotos Familie zu berühren, visualisieren wir in unserem Scheitel den Buchstaben OM, in unserem Hals den Buchstaben AH und in unserem Herzen den Buchstaben HUM und erkennen, dass diese Buchstaben jeweils die Natur von Vairochana, Amitabha und Akshobya sind. Dann laden wir die Weisheitswesen ein in uns einzutreten, während wir DZA HUM BAM HO rezitieren, und führen die entsprechenden Handmudras so aus, wie sie im Buch Führer ins Dakiniland erläutert werden.

DIE ANDERE GRUNDLAGE VOLLENDEN

«Andere Grundlage» bezieht sich auf die Gottheit, die vor uns erzeugt wird. Ist unsere Praxis Avalokiteshvara, visualisieren wir Avalokiteshvara und sein Gefolge vor uns. Sie sind die Verpflichtungswesen. Wir laden die eigentlichen Gottheiten, die Weisheitswesen, ein, sich in die Verpflichtungswesen aufzulösen. Dann folgen Verbeugungen, Darbringungen, Bekenntnis, Bitten um Erlangungen und Tormadarbringungen. Haben wir Zeit, dann können wir im Herzen der vor uns erzeugten Gottheit einen Mantrakranz visualisieren und das Mantra rezitieren. Diese Übungen werden «die Vollendung der anderen Grundlage» genannt.

DIE GEISTGRUNDLAGE VOLLENDEN

Um die Geistgrundlage zu vollenden, meditieren wir zuerst über die Gottheit der Zeichen und visualisieren dann unseren Geist im Aspekt einer winzigen weißen Mondscheibe, die horizontal in unserem Herzen liegt. Dieser Mond wird die «Geistgrundlage » genannt, weil er ein Aspekt unseres Ursprungsgeistes ist. Mit der starken Überzeugung, dass der Mond unser Geist ist, versuchen wir ihn so klar wie möglich wahrzunehmen. Dann sammeln wir unsere inneren Winde nach innen und lösen sie in den Mond auf. Es gibt neun «Tore», durch die die Winde in unseren Körper eintreten oder ihn verlassen: die Nasenlöcher, der Mund, der Scheitel des Kopfes, der Punkt zwischen den Augenbrauen, die zwei Augen, die zwei Ohren, der Nabel, das Geschlechtsorgan und der After. Über diese neun Tore hinaus können die Winde auch durch jede Pore in der Haut in den Körper eintreten. Ein Grund, warum uns geraten wird uns des Öfteren zu waschen, ist, dass sonst unsere Poren verstopfen und unsere Gesundheit dadurch Schaden nehmen könnte.

So wie eine Schildkröte Kopf und Glieder in ihren Körper zurückzieht und regungslos verweilt, sogar wenn sie gestört wird, so stellen wir uns vor, dass sich unsere inneren Winde durch die neun Tore und die Poren der Haut in unseren Körper zurückziehen und sich in die Mondscheibe in unserem Herzen auflösen. Während wir unseren Atem anhalten, verweilen wir für kurze Zeit einsgerichtet darauf. Mit einem Teil unseres Geistes erinnern wir uns daran, dass sich unsere Winde in den Mond aufgelöst haben, und mit einem anderen Teil meditieren wir über die außergewöhnlichen Zeichen der Gottheit, damit wir sowohl die klare Erscheinung als auch den göttlichen Stolz verbessern können. Haben wir ein relativ klares geistiges Bild des Körpers der Gottheit, meditieren wir einsgerichtet darüber. Dies ist die eigentliche Meditation über Selbsterzeugung.

Da grobe begriffliche Gedanken, die äußere Objekte beobachten, nur funktionieren können, wenn die Winde nach außen fließen, verringern wir ablenkende Vorstellungen und entwickeln ganz natürlich eine stabile Konzentration, indem wir die Winde in unserem Herzen sammeln. Ohne durch gewöhnliche Erscheinungen und Vorstellungen gestört zu sein, fällt es uns viel leichter, uns auf den Gottheitskörper zu konzentrieren, diesen klar wahrzunehmen und stabilen göttlichen Stolz zu entwickeln.

Im Allgemeinen erachten Dharma Praktizierende die Erlangung des ruhigen Verweilens als wichtig und für Übende des Handlungstantra ist diese Erlangung von besonderer Bedeutung. Die oben beschriebene Meditation über den Atem ähnelt der Vasenatmung, wie sie im Höchsten Yoga Tantra erklärt wird, sie dient jedoch einem anderen Zweck. Das Hauptziel der Vasenatmung ist, die Winde in den Zentralkanal zu bringen, während es das Hauptziel der Meditation über die Geistgrundlage ist, die Erlangung des ruhigen Verweilens zu erleichtern.

Tantrische Ebenen und Pfade

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