Читать книгу Acht Schritte zum Glück - Neuausgabe - Geshe Kelsang Gyatso - Страница 27
Lernen, andere wertzuschätzen
ОглавлениеMit der Absicht, das endgültige, höchste Ziel zu erreichen,
Das selbst das wunscherfüllende Juwel übertrifft,
Möge ich ohne Unterlass
Alle Lebewesen schätzen.
Was ist das «endgültige, höchste Ziel» menschlichen Lebens? Wir sollten uns fragen, was für uns das Wichtigste ist. Was wünschen wir uns, wonach streben wir, wovon träumen wir? Für manche Menschen ist es materieller Besitz, wie ein großes Haus nach dem neuesten Schrei, ein schnelles Auto oder eine gut bezahlte Arbeit. Für andere ist es ein guter Ruf, gutes Aussehen, Macht, Spannung oder Abenteuer. Für viele liegt der Sinn ihres Lebens in den Beziehungen zu ihrer Familie und ihrem Freundeskreis. All dies kann uns vordergründig eine Weile lang glücklich machen, doch es kann auch zu vielen Sorgen und Leiden führen. Es kann uns nie das reine und immerwährende Glück schenken, nach dem wir uns alle aus tiefstem Herzen sehnen. Da wir nichts von alledem mitnehmen können, wenn wir sterben, werden uns diese Dinge am Ende im Stich lassen, sofern wir sie zur Hauptsache in unserem Leben gemacht haben. Als Selbstzweck sind alle weltlichen Errungenschaften hohl und nicht der wirkliche Sinn menschlichen Lebens.
Es heißt, dass von allem weltlichen Besitz das legendäre wunschgewährende Juwel der kostbarste ist. In diesen degenerierten Zeiten ist es unmöglich, ein solches Juwel zu finden. Einst jedoch, als Menschen Verdienste im Überfluss hatten, gab es magische Juwelen, die die Kraft hatten, Wünsche zu erfüllen. Doch selbst diese Juwelen konnten nur die Wünsche nach verunreinigtem Glück befriedigen, sie konnten nie das reine Glück gewähren, das einem reinen Geist entspringt. Außerdem hatte dieses wunscherfüllende Juwel nur die Kraft, die Wünsche in einem Leben zu erfüllen, es konnte seinen Besitzer nicht in seinen oder ihren zukünftigen Leben beschützen. Deshalb ist letztendlich sogar solch ein wunschgewährendes Juwel trügerisch.
Das Einzige, was uns nie täuschen wird, ist die Erlangung der vollen Erleuchtung. Nur indem wir Erleuchtung erlangen, können wir unseren tiefsten Wunsch nach reinem und anhaltendem Glück erfüllen, denn in dieser unreinen Welt hat nichts die Kraft, diesen Wunsch zu stillen. Erst als voll erleuchteter Buddha erleben wir den tiefen und anhaltenden Frieden, der aus der dauerhaften Beendigung aller Verblendungen und ihrer Prägungen entsteht. Wir werden von allen Fehlern und geistigen Verdunklungen frei sein und über die notwendigen Eigenschaften verfügen, um allen Lebewesen direkt zu helfen. Dann werden wir ein Objekt der Zuflucht für alle Lebewesen sein. Verstehen wir dies, dann erkennen wir klar, dass die Erlangung der Erleuchtung das endgültige, höchste Ziel und der wirkliche Sinn unseres kostbaren menschlichen Lebens ist. Da es unser Hauptwunsch ist, immer glücklich und vollkommen frei von allen Fehlern und Leiden zu sein, müssen wir die feste Absicht entwickeln, Erleuchtung zu erlangen. Wir sollten denken: «Ich muss Erleuchtung erlangen, da es nirgendwo in Samsara, dem Kreislauf unreinen Lebens, wirkliches Glück gibt.» Erleuchtung ist das innere Licht der Weisheit, das vollkommen frei ist von jeder fehlerhaften Erscheinung und dessen Funktion es ist, jedem einzelnen Lebewesen Tag für Tag geistigen Frieden zu schenken. Sie ist die Quelle des Glücks aller Lebewesen.
Die Hauptursache der Erleuchtung ist Bodhichitta und der Ursprung von Bodhichitta ist Mitgefühl. Da die Entwicklung des Mitgefühls von der Wertschätzung für andere abhängt, ist der erste Schritt zum höchsten Glück der Erleuchtung zu lernen, andere wertzuschätzen. Eine Mutter wertschätzt ihre Kinder und wir können unsere Freunde bis zu einem gewissen Grad wertschätzen, doch diese Wertschätzung ist nicht unvoreingenommen und normalerweise mit Anhaftung vermischt. Wir müssen einen reinen Geist entwickeln, der alle Lebewesen vorurteilslos und unvoreingenommen wertschätzt.
Jedes Lebewesen trägt den Samen oder das Potenzial in sich, ein Buddha zu werden – das ist unsere Buddha Natur. Mit Buddhas Lehren haben wir die beste Methode gefunden, um dieses Potenzial zu verwirklichen. Unsere Aufgabe ist es nun, diese Lehren umzusetzen. Dies ist etwas, das nur Menschen tun können. Tiere können für sich sorgen, ihre Feinde besiegen und ihre Familien beschützen, doch weder können sie den spirituellen Pfad verstehen, noch können sie ihm folgen. Es wäre sehr schade, wenn wir unser menschliches Leben nur dazu nutzen würden, das zu erlangen, was auch Tiere erlangen können und dadurch diese einmalige Gelegenheit vergeuden, eine Quelle des Wohls für alle Lebewesen zu werden.
Wir haben die Wahl: Entweder vergeuden wir weiter unser Leben und laufen weltlichen Vergnügungen hinterher, die keine wirkliche Zufriedenheit geben und verschwinden werden, wenn wir sterben. Oder wir widmen unser Leben dem Ziel, unser volles spirituelles Potenzial zu verwirklichen. Wenn wir uns bemühen, Buddhas Lehren umzusetzen, werden wir mit Sicherheit Erleuchtung erlangen. Bemühen wir uns jedoch nicht, wird sich die Erleuchtung niemals von selbst einstellen, ganz gleich wie lange wir warten. Um dem buddhistischen Pfad zur Erleuchtung zu folgen, müssen wir nicht unsere äußere Lebensweise ändern. Wir müssen nicht unsere Familie, Freunde oder Vergnügen aufgeben und uns in eine Berghöhle zurückziehen. Wir müssen nur eins tun: das Objekt unserer Wertschätzung ändern.
Bisher haben wir unser eigenes Wohl über das Wohl aller anderer gestellt und solange wir damit weitermachen, wird unser Leiden niemals aufhören. Lernen wir aber, alle Lebewesen mehr als uns selbst wertzuschätzen, dann werden wir schon bald die Glückseligkeit der Buddhaschaft genießen. Der Pfad zur Erleuchtung ist wirklich ganz einfach. Wir müssen nur aufhören uns selbst wertzuschätzen und lernen, andere wertzuschätzen. Alle anderen spirituellen Verwirklichungen ergeben sich dann ganz natürlich daraus.
Unsere instinktive Sicht ist, dass wir wichtiger sind als alle anderen. Die Sicht aller erleuchteten Wesen hingegen ist, dass die anderen wichtiger sind. Welche dieser beiden Sichtweisen ist von größerem Nutzen? Seit anfangsloser Zeit waren wir Leben für Leben Sklaven unseres Geistes der Selbstwertschätzung. Wir haben ihm bedingungslos vertraut und jeden seiner Befehle befolgt, weil wir glaubten, dass der Weg, unsere Probleme zu lösen und Glück zu finden, darin besteht, uns an die erste Stelle zu setzen. Wir haben so hart und so lange für unser eigenes Wohl gearbeitet, doch was haben wir jetzt vorzuweisen? Haben wir alle unsere Probleme gelöst und das anhaltende Glück gefunden, nach dem wir uns sehnen? Nein. Es ist offensichtlich, dass es uns in die Irre geführt hat, unsere eigenen, egoistischen Interessen zu verfolgen. Nachdem wir in so vielen Leben unserer Selbstwertschätzung nachgegeben haben, ist es nun an der Zeit zu erkennen, dass dies einfach nicht funktioniert. Jetzt ist es die Zeit, das Objekt unserer Wertschätzung zu wechseln und nicht mehr uns selbst, sondern alle Lebewesen zu schätzen.
Bodhisattva Langri Tangpa und zahllose andere erleuchtete Wesen haben herausgefunden, dass sie wahren Frieden und Glück erlebten, indem sie Selbstwertschätzung aufgaben und ausschließlich andere wertschätzten. Wenn wir die Methoden umsetzen, die sie lehrten, gibt es keinen Grund, warum wir nicht in der Lage sein sollten, es ihnen gleichzutun. Wir können nicht erwarten, unseren Geist über Nacht zu ändern. Doch indem wir geduldig und konsequent die Anleitungen der Acht Verse umsetzen und gleichzeitig Verdienste ansammeln, Negativität reinigen und Segnungen erhalten, können wir allmählich unsere gewöhnliche selbstwertschätzende Haltung durch die höchste Gesinnung ersetzen, die alle Lebewesen wertschätzt.
Um dies zu erlangen, müssen wir nicht unsere Lebensweise ändern, doch wir müssen unsere Sichtweisen und Absichten ändern. Unsere gewöhnliche Sicht ist, dass wir der Mittelpunkt des Universums sind und dass andere Menschen und Dinge ihre Bedeutung hauptsächlich daraus erhalten, wie sie uns betreffen. Zum Beispiel ist unser Auto wichtig, weil es eben uns gehört, und unsere Freunde sind wichtig, weil sie uns glücklich machen. Fremde hingegen scheinen nicht so wichtig zu sein, weil sie unser Glück nicht direkt betreffen und wenn das Auto eines Fremden kaputt geht oder gestohlen wird, macht uns das nichts aus. Wie wir in späteren Kapiteln sehen werden, beruht diese ichbezogene Sicht der Welt auf Unwissenheit und stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein. Diese Sichtweise ist die Quelle all unserer gewöhnlichen egoistischen Absichten. Gerade weil wir denken: «Ich bin wichtig, ich brauche das, ich habe das verdient», begehen wir negative Handlungen, die zu einer endlosen Flut von Problemen für uns und andere führen.
Indem wir die Anleitungen der Acht Verse umsetzen, können wir eine realistische Sicht von der Welt entwickeln, die auf dem Verständnis der Gleichheit und gegenseitigen Abhängigkeit aller Lebewesen beruht. Sobald wir jedes einzelne Lebewesen als wichtig ansehen, werden wir allen gegenüber ganz natürlich gute Absichten entwickeln. Während der Geist, der nur sich selbst wertschätzt, die Grundlage aller unreinen samsarischen Erfahrungen ist, ist der Geist, der andere wertschätzt, die Grundlage aller guten Eigenschaften der Erleuchtung.
Andere wertzuschätzen ist nicht so schwer. Wir müssen nur verstehen, warum wir andere wertschätzen sollten und dann den klaren Entschluss fassen, genau dies zu tun. Meditieren wir über diesen Entschluss, dann werden wir ein tiefes und starkes Gefühl der Wertschätzung für alle Lebewesen entwickeln. Dieses besondere Gefühl tragen wir dann in unseren Alltag mit.
Es gibt zwei Hauptgründe, warum wir alle Lebewesen wertschätzen müssen: Erstens haben sie uns unermessliche Güte erwiesen und zweitens hat es ungeheure Vorteile, sie wertzuschätzen. Dies wird nun erklärt.