Читать книгу G.F. Barner 1 – Western - G.F. Barner - Страница 24

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Im Saloon brennen mehr als ein halbes Dutzend Lampen. An den Wänden verteilt werfen sie ihren Schein hell und breit auf Tische und Bänke. Hinter dem Tresen gibt es sogar drei Lampen und Lee Dorlan, der mit einem Riesenschritt hereinkommt, hat sie genau vor sich, das Knallen der Tür aber in den Ohren.

Dieser Knall ist es, der die Männer am Tresen und an den Tischen zusammenzucken läßt. Pattsy Derrek und Joane Wood, beide im Saloon als Amüsiergirls beschäftigt, kraulen gerade einem Freund den Bart. Sie stehen dicht bei ihm und reden von jeder Seite auf ihn ein.

Beim Anblick Lees fahren sie alle sichtbar zusammen. Lees Gesicht sieht aus, als hätten es zwei Rinder überrannt.

Das Gesicht ist geschwollen, in seinem Haar klebt etwas Blut, und einige Strähnen seines schwarzen und wilden Haares hängen ihm in die Stirn.

Überhaupt ist der erste Eindruck, den Lee Dorlan im Saloon hinterläßt, wild genug, um sämtliche Leute erschrecken zu lassen. Jeder erinnert sich an die drei, vier blitzschnellen Schläge, die Lee austeilte und die ­Peale zu Boden schickten. Und wer es nicht gesehen hat, wie der späte Nachmittag den Jungen in Aktion sah, der hat es gehört.

Der Fremde am Tresen dreht sich langsam um, als die beiden Girls schweigsam werden.

Ein großer, hagerer Mann mit braunem Haar, durchdringenden Augen, einer kleinen Narbe hoch an der Stirn und zwei Revolvern.

Der Keeper hinter dem Tresen schenkt gerade ein Bier ein und hält das Glas fest in der Hand, die andere Hand hat er am Zapfhahn, aber er läßt das Bier laufen. Und erst das über den Glasrand rinnende Hopfengebräu mit der natürlichen Kühle macht ihn munter und bringt ihn aus der Starre. Ein hastiger Griff, ein unterdrückter Fluch, und der Hahn ist zu.

»Lee Dorlan sieht nach links, genau in die Ecke. Dort sitzen vier Männer am Tisch, aber für drei von ihnen

hat Lee kein Interesse. Er sieht nur Cole Peale, und seine hellen Augen flammen einmal hell und lodernd

auf.

Dann verengen sich seine Augen, seine Wangenknochen treten scharf hervor, sein Mund ist ein gerader Strich.

»Peale, steht auf!« sagt Lee Dorlan fauchend. »Steh auf und komm hinter dem Tisch hervor. Ich hoffe, du hast deinen Revolver bei der Hand!«

Jemand japst laut und hoch.

Die Köpfe der Leute fahren alle ruckhaft nach rechts oder links, je nachdem, wie sie gerade sitzen. Jeder Mann sieht Peale an, einen fleischigen, dicklichen Mann mit einem Pausbackengesicht, dem niemand seine Hinterlist und Tücke beim Kartenspiel zutrauen würde.

Peale hat leicht rötliche Haare, sehr helle Augenbrauen und einen weichlichen, aber von links im Winkel einen etwas geschwollenen Mund. An seiner Stirn ist ein rotblauer Fleck.

Seine leicht hervorstehenden Kalbsaugen sind auf Lee Dorlan gerichtet. Dann verzieht sich sein sonst gleichmütiges Pokergesicht zu einem schiefen Grinsen, das durch die Schwellung der Lippen noch schiefer wirkt. Er sieht mehr nach einem Frosch aus.

»Geh nach Hause, Junge«, sagt ­Peale heiser. »Du hast mich einmal treffen können, es würde dir nie wieder glücken. Ich war zu überrascht. Geh nach Hause und jammere dich bei deinem Alten aus. Hat er dich ein wenig verprügelt? Es sieht fast danach aus.«

Lee Dorlans Augen funkeln wieder, er atmet durch die Nase aus und sagt dann scharf:

»Ich sagte, daß du aufstehen sollst, Peale. Wenn du es nicht tust, dann schieße ich dir die Ohren ab. Stehst du auf oder willst du dich vor allen Leuten einen Feigling nennen lassen?«

Peales Gesicht zuckt, dann streckt er die linke Hand mit den Karten aus, legt sein Blatt auf den Tisch und zieht die linke Hand wieder bis an die Tischkante zurück. Dort umklammert er das Holz will sich aufstützen, blickt aber an Lee vorbei auf die Tür und atmet erleichtert aus.

In der Saloontür, die leicht klappt, taucht Sheriff Radley auf, den Revolver in der Hand.

Er steht einen Schritt hinter Lee Dorlan.

»Moment, Junge«, sagt Radley heiser. »Hier wird nicht geschossen. Du gibst mir jetzt deinen Revolver und reitest dann wieder nach Hause.«

»Ich bringe ihn nicht gern um, Radley«, meldet sich Peale mit seiner etwas öligen Stimme. »Nimm ihm den Revolver weg und schicke ihn nach Hause. Er ist ja noch grün hinter den Ohren.«

Lee Dorlan zuckt leicht zusammen, beherrscht sich aber meisterhaft. Und einige Leute wundern sich über diese Gabe, die seinem Vater absolut fehlt.

»Gut«, sagt Lee trocken. »Radley, wie du willst. Hast du deinen Revolver…«

Er sieht sich um. Radley hat wirklich einen Revolver in der Faust und zielt auf seinen Rücken. Die Situation ist hoffnungslos.

Müde läßt Lee Dorlan die Schultern hängen und nickt bitter. Dann senkt sich seine Hand. Er zieht wirklich den Revolver aus seinem Halfter und packt ihn am Laufende.

»Nun gut, nun gut«, murmelt er heiser. »Sheriff, da ist der Colt.«

Sheriff Radley streckt die Hand aus, greift nach dem Kolben des Revolvers. Lee Dorlan hält den Kopf gesenkt.

Die Hand Radleys will sich gerade um den Revolver schließen, als sich Lee Dorlan mit ungeahnter Schnelligkeit bewegt.

Niemand im Saloon hat diese Schnelligkeit erwartet, auch Radley nicht.

Lee Dorlan springt jäh vorwärts. Es geht so schnell, daß kaum einer die Bewegung Lees richtig erkennt.

Der Revolver in Lees Hand schießt von unten nach oben und genau unter die Achselhöhle von Radleys rechtem Arm. In der rechten Hand Radleys liegt sein Colt, aber Radley kann schon nichts mehr tun. Der blitzschnelle Sprung Lees jagt den Coltkolben genau unter die Achsel des Sheriffs und drückt den Arm nach hinten hoch. Im gleichen Augenblick zieht der Junge sein rechtes Knie an und rammt den Sheriff. Dann erst zuckt seine Hand mit dem alten Eagle-Colt zurück und fährt hoch.

»Du verdammter Narr«, sagt der Junge fauchend und schlägt zu. »Warum hältst du mich auf?«

Der Sheriff fällt zu Boden und bleibt reglos liegen.

Am Tresen aber sagt jemand kurz und warnend: »Der Spieler, Junge.«

Es sind nur drei Worte, aber Lee wirft sich sofort nach links herum. Der Revolver in seiner Hand glänzt im Lampenlicht.

Hinter dem Tisch schnellt die Hand von Peale unter die bestickte Weste. Dann kommt sie auch schon heraus, und der Bullcolt richtet sich auf Lee Dorlan.

Noch nie hat Lee mitten in die Mündung eines Revolvers gesehen, aber nun passiert es doch.

Was immer Peale zu tun gedenkt, in jedem Fall kann es ein Versuch sein, dem Sheriff zur Hilfe zu kommen.

Lee aber erkennt nur die Mündung, die auf seinen Kopf deutet und wirft sich ohne jede Überlegung, einfach aus einem inneren Antrieb heraus, auf den Boden.

Er ist kaum weggetaucht, als es aus dem Bullcolt aufbrüllt und die Kugel haarscharf über seinen Kopf hinwegstreicht, um in den linken Türbalken zu klatschen.

Dorlan berührt den Boden, sieht von hier aus genau unter dem Tisch her, an dem drei Männer nach den Seiten zu Boden fallen. Er kann auch die Beine des Spielers sehen.

Lee Dorlan drückt ab, als Peale noch einmal feuert und die Kugel kurz und zupfend die Jacke über seiner Schulter durchstößt.

In das kurze und dumpfe Blaffen des Bullcolts mischt sich der dröhnende Hall des alten Revolvers.

Lee schießt, das Eisen zuckt in seiner Hand, und die Warnung des alten Sam ist ihm im Gedächtnis, bei einem unsicheren Schuß gleich einen zweiten nachzuschicken.

Vielleicht drückt Lee darum noch einmal ab.

Während Feuer und Rauch und der seltsam schräge Blick vom Boden aus auf einen Mann Lee noch ver­wirren, hört er den schrecklichen Seufzer ­Peales und sieht ihn langsam den Oberkörper über den Tisch beugen.

Dann fällt Peale auf die Tischplatte, begräbt die Karten unter sich und rutscht dann nach hinten ab. Wirbelnd fallen die Karten auf den Boden. ­Peale landet an der Wand und bleibt regungslos liegen.

Am Boden aber starrt Lee Dorlan entsetzt auf seinen Revolver, nimmt den Blick hoch und zieht das rechte Bein an. Es ist ihm, als könne er nirgendwo anders einen Punkt entdecken, den er zu betrachten in der Lage wäre. Er muß starr und unablässig auf Peale sehen, kniet gleich darauf und steht langsam auf.

»Er ist ein Falschspieler«, sagt Lee Dorlan heiser. »Er hat getrickst, der Bursche. Versteht doch, er hat…«

Es ist erst totenstill, dann kommt seine Stimme krächzend und überschnappend auf.

»So?« fragt der Fremde am Tresen langsam und bewegt sich geschmeidig und schnell auf Peale zu. »Ein Falschspieler, mein Freund? Das werden wir gleich sehen.«

Er ist über ihm, bückt sich und durchsucht Peale kurz.

Dann dreht er sich um, richtet sich auf und hebt die rechte Hand hoch.

»Hier«, sagte er monoton, und jeder weiß nun, daß Lee Dorlan die Wahrheit sagte.

In der Hand des Fremden liegt das Pik-As. Die Todeskarte, wenn auch die höchste des Spieles, hat er von Peale genommen.

»Er hat doppelte Taschen«, sagt der Fremde kühl und ruhig. »Braucht einer noch mehr als diesen Beweis?«

Er klatscht die Karte auf den Tisch, macht einen Schritt über Peale hinweg und kommt gleitend auf Lee zu.

»Nun, du bist ziemlich wild, Freund«, murmelt er, als er bei ihm ist. »Ich würde an deiner Stelle lieber verschwinden und sehen, daß ich einige Meilen zwischen mich und die Stadt legte. Wenn dieser Sheriff aufwacht, dann hast du nicht viel Freude, Mister. Erstens hast du ihn niedergeschlagen, obwohl er noch nett zu dir war. Dann aber hast du diesem Spieler zwei Kugeln gegeben. Und ich meine fast, der Spieler wollte dem Sheriff helfen. Geht da von der Tür weg, Leute!«

Er hat urplötzlich seine beiden Revolver in den Händen und tritt seitlich neben die Tür.

Völlig verwirrt, entsetzt auf den toten Peale starrend, steht Lee vor der Tür und begreift kaum, daß Peale wirklich tot ist. Er schluckt heftig, in seinem Unterbewußtsein aber dämmert ihm plötzlich die Wahrheit dessen, was der Fremde gerade sagte. Lee hat kein zu Hause mehr, sein Vater hat ihn verjagt, weil er beim Spiel viel Geld verloren hat. Und Sheriff Radley wird sich für den Hieb über den Kopf bedanken. Es ist ganz sicher, daß Radley wütend genug ist, Lee einzusperren.

Lees Lage ist nicht gerade rosig.

»Aber er wollte mich erschießen«, sagt Lee keuchend und sieht verstört auf Peale, von dem aber, durch das Stöhnen abgelenkt, auf Radley, der sich bewegt. »Was sollte ich denn tun, er wollte doch…«

Radley wacht in diesem Moment auf, faßt sich an den Kopf und bekommt harte und wilde Augen.

»Warte«, sagt Radley keuchend und so wild, daß Lee nun wirklich überzeugt ist, daß der Sheriff explodieren wird. »Warte, das bezahlst du, Kid, das wirst du…«

Und danach sieht er zum Tisch und muß Peales unnatürlich starre Haltung erkennen können.

»Ah, du hast…«

Seine Augen wandern zum Revolver in Lees Hand, sein Gesicht verzieht sich, in seinen Augen ist die kalte Wut.

»Dafür loche ich dich ein, dafür kommst du vor eine Jury, Junge«, sagt Radley schneidend. »Ganz gleich, was dein Alter sagt, alles schlucke ich nicht. Ich werde ihm Gelegenheit geben, dir zwei Jahre lang in ein Jail Briefe zu schreiben. Du verdammter Hundesohn, mich umzuschlagen, das kostet dich…«

In dieser Sekunde sagt der Mann, der seitlich an der Tür steht und seine beiden Revolver in der Hand

hat:

»Was kostet es ihn, Sheriff?«

Radley hatte ihn bis jetzt nicht sehen können, aber nun bemerkt er ihn und wendet sich um.

»Tut mir leid«, sagt der Fremde eiskalt und seine beiden Revolver wandern etwas. »Sorry, Sheriff, ich bin der Meinung, daß es ihn nicht einen Cent und nicht eine Stunde im Jail kosten wird. Lee, bück dich und heb den Revolver des Sheriffs auf, mach schnell.«

Radley ringt sichtbar nach Worten, Niemand hier wird ihm gegen Steve Dorlans Sohn helfen, das ist sicher. Er ist ganz allein mit dem Jungen und dem Fremden, dessen beide Revolver eine stumme Drohung sind.

»Mann, du willst mich hindern?« fragt er trotzdem bissig. »Ich sperre diesen Jungen ein, ehe er noch mehr Unheil anrichten kann. Ich loche ihn…«

Lee Dorlan hat seinen Revolver erwischt und hält ihn unschlüssig in der Hand.

»Nimm beide und gehe langsam durch die Tür. Lee, wo hast du dein Pferd?«

Der Fremde bewegt beim Sprechen kaum den Mund und sieht sich nicht nach Lee um, sondern beachtet nur den Sheriff und die Männer im Saloon.

»Fünfzig Yards weiter, Mister.«

»Gut, du siehst, es geht dir an den Kragen«, sagt der Fremde kühl. »Willst du ins Jail und gesiebte Luft atmen, dann sage es nur, ich helfe dir dann keinen Schritt weiter.«

»Ich will nicht ins Jail. Radley, du bist verrückt, du kannst mich nicht einlochen!«

»Und ob ich das kann, du verdammter Narr. Bis an dein Lebensende kann ich dich braten lassen!«

»Sheriff«, sagt da der Fremde. »Alles schön und gut, aber ich helfe dem Mister hier ein wenig. Und wenn du schlau bist, dann machst du nichts, um ihn aufzuhalten. Lee, eine Longe hält draußen meinen Schwarzen, er steht gleich neben der Treppenstufe des Gehsteiges. Du gehst hin und nimmst das Pferd, setz dich in den Sattel und wartest. Weg von der Tür! Lee, schieß, wenn sie nicht gehen.«

»Ich lasse dich aufhängen, Kerl!« schreit ihn Radley heulend an. »Ich finde euch beide und gebe euch Gelegenheit, in der Zelle mit Wasser Brüderschaft zu trinken. Lee, ich sage dir…«

»Sei doch still, du Narr, mich bekommst du nicht«, keucht Lee Dorlan schrill und wirbelt, in jeder Hand einen Revolver, auf die Tür zu. »Was weiter, Mister?«

»Nur warten, ich komme gleich nach. Nimm die Zügel, damit du lenkst und wir schnell dein Pferd bekommen. Ist der Gaul gut?«

»Der zweitbeste Gaul in diesem Land.«

»Das ist in Ordnung, dann wird mein Schwarzer die richtige Gesellschaft haben. Sheriff, tut mir leid, ich war auch mal so jung wie Dorlan und hatte keinen, der mir half. Geh jetzt, Lee, ich passe schon auf!«

Draußen trampeln Stiefel auf dem Gehsteig. Alles, was hier herumsteht, ist in irgendeiner Weise mit der Dorlan-Ranch verbunden oder kennt den alten Steve gut. Niemand hält Lee auf, der sich aus der Tür schiebt. Nur Rosy steht mitten auf der Straße und sieht erschrocken aus großen Augen auf Lee.

»Lee, einen Augenblick…«

»Sei still, ich habe keine Zeit für dich. Prächtige Idee von dir, dich mit mir einzulassen, um eines Tages Mrs. Dorlan zu heißen. Ich weiß das alles, Rosy. Bedanke dich bei Peale, aber er wird dich nicht hören, der hört nie mehr etwas. Noch weiter weg von den Pferden dort, Leute, ich möchte nicht schießen müssen!«

Sie weichen noch weiter zurück. Er macht vorsichtig die Longe des Schwarzen los und schwingt sich dann mit einem Ruck in den Sattel. Es ist ein prächtiges Tier, das sofort nervös schnaubt, als es den fremden Reiter im Sattel spürt. Lee kneift die Beine fest an, sieht zur Tür des Saloons und hört den Fremden mit den scharfen Augen innen fragen:

»Lee, bist du soweit?«

»Ja«, erwidert Lee kurz und heiser, hält die Zügel mit der linken Hand, in der er immer noch den Revolver des Sheriffs hat und blickt sich sichernd um.

Im Saloon sagt der Fremde trocken:

»Sheriff, ich würde dir nicht raten, gleich nachzukommen, wenn ich aus der Tür bin. Manchmal tue ich Dinge, über die ich mir selber nicht im klaren bin, aber ich tue sie trotzdem, wenn du das verstehen kannst. Bleib also hier drinnen und versuche nicht deinen Kopf gleich zu zeigen. Ich gehe jetzt. Niemand bewegt sich, sonst schieße ich den Scheriff nieder.«

»Du verdammter Loofer, ich bekomme euch beide!« brüllt Radley voller Zorn. »Laufe, so weit du willst, am Ende bin ich hinter dir und dann…«

Der Mann mit dem schwarzen Gaul ist schon an der Tür und gleitet im nächsten Augenblick, die linke Hand an einem Flügel und diesen aufhaltend, damit er Radley sehen kann, nach draußen.

»Achtung Lee«, sagt er zischend. »Ich komme sehr schnell und springe hinter dir auf. Dieser Narr will uns beide einlochen, ein etwas spaßiger Bursche, der Sheriff. Fertig, Sheriff, rühr dich nicht vom Fleck, sonst…«

Seine Stimme klingt so finster, daß man die Absicht heraushören kann, im Notfall zu schießen.

Im nächsten Augenblick wirbelt er herum, springt mit einem Riesensatz vorm Vorbau ab und landet tatsächlich genau hinter Lee im Sattel, der das Pferd auch schon angehen läßt.

Hinter ihnen ertönt das wütende Gebrüll des Sheriffs, dann jagt Lee in eine Gasse hinein und hört das laute Klappen der Flügeltür.

Er zieht den Schwarzen nach rechts herum und ist Augenblicke später bei seinem Braunen. Sofort wechselt er in den Sattel über, hört Radleys wütendes Gebrüll irgendwo vorn in der Dunkelheit und beugt sich weit vor.

»Nach rechts«, sagt er heiser. »Mann, wir müssen weg. Dieser Narr kann gefährlich werden, wenn er wütend ist. Und genau das, schätze ich, ist er jetzt. Nach rechts, laß mich nach vorn!«

Er treibt den Braunen an. Das Pferd jagt los. Der wilde Hufwirbel tönt von den Hauswänden wider, dann erreichen sie auch schon das freie Land. Der Schwarze des Fremden jagt neben Lees Braunen.

»Laß mich jetzt führen«, sagt der Fremde trocken. »Wenn es darum geht, wegzukommen, dann macht mir das so schnell niemand nach. Nur immer weiter nach rechts, wir lassen jeden Verfolger hinter uns, Lee. Übrigens, mein Name ist Joe Simmons. Du kannst nachher reiten, wohin du willst, auch nach Hause. Ich fürchte nur, der Sheriff kommt dir nach.«

»Was mischte er sich ein«, erwidert Lee wütend. »Ich wäre allein mit ­Peale fertig geworden, so schnell war er nun auch nicht. Verdammter Anblick, Simmons, mir ist ziemlich elend. Hast du nicht zufällig…«

»Whisky?« fragt Simmons knapp und dreht sich leicht im Sattel, um in die rechte Satteltasche zu langen. »Da, Lee, laß mir aber was drin. Wir können ihn vielleicht noch ganz gut unterwegs gebrauchen, wenn du nicht nach Hause willst.«

»Was soll ich denn zu Hause?« fragt Lee bitter und nimmt einen kräftigen Schluck aus der ovalen Blechflasche.

»Hölle… Feuer in meinem Bauch. Was ist das für ein Stoff?«

»Sechzig Prozent, Lee, ich mag ihn sonst nur mit Wasser verdünnt. So, willst du nicht mehr nach Hause?«

»Nein, verdammt, mein Alter hat mich mit einer Latte verprügelt und weggejagt. Außerdem wird Radley mich doch dort zuerst suchen. Hast du ein bestimmtes Ziel, Joe?«

»Eigentlich nicht, aber wenn du willst – meine Richtung ist westlich.«

»Gut, ich komme mit, sie werden doch uns beide suchen.«

»Ja«, sagt Simmons ganz trocken und verstaut die Flasche wieder an ihrem Platz. »Das fürchte ich auch, Lee. Wenn sie diesen Peale erst genau untersuchen und keine zweite Tasche in seiner Hose finden, dann wird es bitter.«

Lee Dorlan begreift es erst, als ihre Pferde schon hundert Schritt weiter sind. Er reißt heftig an den Zügeln, hält trotz der damit verbundenen Gefahr an und sieht in Joe Simmons’ kühle Augen.

»Was hast du da gesagt?« fragt er verblüfft, nachdem Simmons auch angehalten hat. »Aber du hast doch das Pik-As aus seiner zweiten Tasche geholt, Joe?«

»Das sagte ich«, erwidert Simmons seltsam lächelnd, während seine Augen einmal funkeln. »Tatsache aber ist, daß dein Freund Peale gar kein As in der Tasche hatte, denn es gibt keine Tasche. Betrachte dieses Kartenspiel, Lee, du wirst das As nicht finden, fürchte ich. Es liegt auf dem Tisch im Saloon.«

Lee ist es, als wäre sein Magen vol­ler Blei. Er krümmt sich zusammen und atmet keuchend aus.

»Dann hast du… Warum hast du das getan?«

Joe Simmons hebt leicht die Hand, wendet sich um und lauscht nach hinten. Und auch Lee – immer noch das Bild des toten Spielers vor Augen, dessen seltsam steife und unwirklich erscheinende Haltung, die Furcht im Nacken – lauscht in die Nacht hinein.

»Es wird nicht lange dauern«, sagt Joe träge. Seine Stimme ist eine einzige Beruhigung für Lee. »Es wird nicht lange dauern, dann haben wir einige Verfolger hinter uns. Nun, Lee, ich weiß nicht, warum ich es tat. Ich tue oft Dinge, einfach so, ohne mir die Folgen zu überlegen. Du hattest etwas davon gesagt, daß dieser Bursche ein Falschspieler sei, und ich hatte zufällig Karten in der Tasche. Es war nur die Sache eines Augenblicks, das Pik-As zu nehmen und es scheinbar aus seiner Tasche zu holen. Vielleicht wollte ich dir helfen, vielleicht wollte ich auch, daß es dir nicht so ergehen sollte wie mir. Ich war auch einmal jung, und ein Spieler betrog mich um mein ganzes Geld. Ich war leichtsinnig, verspielte mir anvertraute Gelder. Am Ende saß ich dafür im Jail und kam erst heraus, als sich jener Spieler eine Blöße gab und jemand ihn wegen Falschspieles erschoß. Das Lee, war es vielleicht. Und nun nimm das Gesicht nach vorn, da hinten hast du nichts mehr verloren, denn sie werden es bald herausbekommen haben und dich suchen lassen. Natürlich kannst du umdrehen, aber ich würde es an deiner Stelle nicht tun.«

»Was soll ich denn noch dort?« fragt Lee brüchig. »Mein Vater hat mich verprügelt und weggejagt, einen Mann habe ich erschossen und den Sheriff niedergeschlagen. Das alles reicht aus, um mich ins Jail zu bringen. Und ehe ich in ein Jail gehe, da bringe ich mich selber um. Laß uns reiten, Joe.«

Joe Simmons zuckt die Achseln und sagt trocken:

»Es ist deine Sache, was du anfangen willst, aber ich war auch mal ein paar Jahre jünger und verdammt leichtsinnig. Immer, wenn ich einen jungen Burschen sehe, dann erinnere ich mich an meine Jugend und möchte nicht, daß er dieselben Fehler macht. Gut, reiten wir, niemand wird uns einholen, aber wir werden sehen müssen, daß wir aus Utah herauskommen und nach Nevada verschwinden. Ein weiter Weg, Lee.«

Lee Dorlan denkt drei, vier Sekunden nach. Er erinnert sich nur zu gut an die Prügel mit der Zaunlatte, die wilde Wut seines Vaters und die teils schadenfrohen Blicke der Leute. In diesem Land, das weiß er, wird sich jeder Mann an sein verbeultes Gesicht erinnern. Es ist nichts, was ihm gefällt und das Gefühl, die Leute noch länger sehen zu müssen, immer im Schatten Steves zu leben und vielleicht von Radley eingesperrt zu werden, das ist zuviel für ihn.

Gut, denkt Lee bitter, sie wollen mich nicht haben, für sie werde ich immer nur Steve Dorlans Sohn, der Junge, sein. Was habe ich hier noch verloren? Er hat mich weggejagt, dann soll er mich auch nicht sehen, so viel Stolz besitze ich noch. Ich werde niemals kriechen, ich werde ein richtiger Mann werden, so groß, daß er sich meinen Namen merken muß und diese verdammten Krämerseelen nicht mehr Steve allein als einen Mann sehen, dessen Kopf in die Wolken ragt. Gut, ich gehe und wenn ich eines Tages wiederkomme, dann bin ich genauso hart und groß wie Steve oder noch ein Stück größer.

Dies ist die Ursache allen Ärgers, den er nun hat, das weiß er: Immer nur Steve Dorlans Schatten sein, der Junge, der klein und unscheinbar für die Leute hinter Steve steht. Es hat Lee Dorlan nie gefallen, er wollte immer schon zeigen, daß er genausogut ist. Jetzt hat er die einmalige Gelegenheit dazu, denn sein Vater will nichts mehr von ihm wissen, und keine Fessel bindet Lee mehr an den Namen Dorlan und die Riesenranch seines Vaters.

Nun kann er ein richtiger Mann werden.

»Joe«, sagt er heiser und reckt sich ein wenig. »Ich habe genug von der ganzen Sippschaft hinter mir. Ich gehe nicht mehr zurück, also reiten wir. Und wenn du willst, dann kannst du mir Gesellschaft leisten. Steve hat mir ein Bündel Scheine vor die Füße geworfen und gemeint, ich würde es in drei Tagen verspielt haben, aber ich denke, es reicht für uns beide.«

»Du bist mir nichts schuldig, Lee«, erwidert Simmons knapp und etwas abweisend. »Ich habe dir zwar helfen können, aber ich bin sicher, du hättest dir auch allein einen Weg nach draußen gesucht.«

»Werde nicht gleich stolz«, sagt Lee heiser. »Es wäre prächtig von dir, wie sie alle nichts tun konnten und Radley nur ein paar Flüche herausbrachte. Außerdem kenne ich viele Dinge nicht, ich brauche für einige Zeit einen Partner. Hast du Zeit, dann hindert dich nichts mehr, mir einige Dinge beizubringen. Nun, wie ist es?«

»Ich reite nur so, Lee«, erwidert Simmons schleppend. »Und ich habe selber Geld genug, um auf deines verzichten zu können. Well, Lee, wenn du mir nicht gefallen würdest, rührte ich keinen Finger, um dir zu helfen. Laß uns eine Zeit zusammenbleiben, wenn du meinst. Ich werde gehen, wenn du mich nicht mehr brauchst. Also los, ich höre Pferde.«

Wirklich ertönt das Getrappel von Hufen. Jähe Panik ist in den Augen Lee Dorlans.

»Nur ruhig«, sagt Joe sanft. »Diese Narren müßten bessere Pferde haben. Los jetzt, Lee, wir wollen ihnen die Hacken zeigen, denn ehrlich, ich sitze auch nicht gern im Jail. Ab geht die Post, Junge!«

Er beugt sich vor. Seine unheimliche Kühle und Ruhe wirkt sich auf Lee aus. Dann gehen ihre Pferde an, die Hufe trommeln los.

Dies ist der letzte Tag Lee Dorlans im Utah-County des Staates Utah.

Und ehe er seine Heimat wiedersieht, da werden viele Tage vergehen. Es ist Lee, als würden alle Fesseln, die ihn an seinen Namen binden, mit diesem Entschluß zerbrechen.

Er hat sich entschieden und will ein Mann werden, ein Mann von der Art Steve Dorlans.

Die Hufe trommeln durch die Nacht. Und die Nacht ist lang.

*

Lee Dorlan ist noch ein Stück gewachsen und etwas größer als Joe Simmons. Er erinnert sich manchmal noch an die bitteren Tage des Herbstes, das Zusmmentreffen mit einer in Stampede geratenen Herde eines Kansas-Rindermannes, der mit seinen Boys von Kansas nach Oregon unterwegs war und bei dem sie beide den Trail von dreieinhalbtausend Rindern, Hausrat, Wagen und drei Dutzend Auswandererfamilien mitmachten.

Sie lagen über Winter im östlichen Oregon fest, kamen wegen des meterhohen Schnees nicht weiter und benutzten die ersten Frühjahrswinde, um den Trail fortzusetzen. Ein halbes Jahr harter Arbeit für Lee und Joe, aber auch eine Zeit der Sammlung, des Lernens und neuer Eindrücke von der unendlichen Weite des Landes.

Inzwischen ist es Juni, der Wind lau und die Arbeit liegt hinter ihnen. Ihr Job bei dem Rancher aus Kansas ist seit Tagen beendet, und ihre Pferde trotten südöstlich durch den Thousand Creek in Nevada.

Wochenlang freier Himmel über ihnen, manchmal eine Trapperhütte in den Bergen, ein Blockhaus oder eine schnell von ihnen errichtete Schutzhütte aus Zweigen und einigen dünnen Baumstämmen. Manchmal klirrender Frost, ein mühsam unterhaltenes Feuer, Wild, das in ihren Schüssen zusammenbricht und dann bruzzelnd in den Gabeln über dem Feuer gewendet wird und aromatischen Fleischgeruch verbreitet.

Längst hat sich Lee aus eigenem Antrieb einen zweiten Revolver gekauft und aus beiden Schießeisen nicht weniger als zehntausend Schuß abgefeuert.

Joe beobachtet ihn meist ruhig, kühl, wie es seine Art ist, erklärt ihm nur manchmal etwas und hält an diesem Tag unterhalb der Slumbering Hills, um auf die Paradies Hill-Station herabzusehen.

Einige Häuser stehen dort, den Rauch eines offenen Schmiedefeuers drückt der Wind nach unten und treibt ihn zwischen die harten Stengel des Fettholzes, das dort meilenweit den Boden bedeckt.

Unwillkürlich greift Lee in die Tasche, zieht seinen Geldbeutel heraus und löst den Knoten in der Schnur.

»Na?« fragt Joe schleppend und sieht ihn kurz von der Seite an. »Lee, das ist keine richtige Stadt. Früher, als ich vor ein paar Jahren hier war, gab es nur zwei Häuser und die Station dort. Ich fürchte, du wirst nicht viel kaufen können, Bruder. Wir brauchen Tabak und Kaffee, etwas Mehl und auch Speck. Wieviel Geld hast du noch?«

»Sechzig Dollar und ein paar Cents«, sagt Lee und grinst schwach. »Joe, das reicht nicht mehr lange, wir müssen uns nach einem Job umsehen. Dieser Kansasmister konnte uns nicht mehr gebrauchen.«

Er macht eine kleine Pause, sieht auf seine beiden Revolver und grinst dann stärker.

»Vielleicht waren wir ihm auch zu rauh, was, Joe?«

Joe Simmons streicht sich über sein stoppeliges Kinn und lächelt leicht.

»Das wird es gewesen sein«, sagt er trocken. »Immerhin hast du seinen Vormann ziemlich verprügelt, Lee. Und als dieser Turkey schießen wollte, nun, er wird jetzt noch an seinem Daumen lutschen, hast du ihm den Revolver verdammt sicher aus der Hand geschossen. Manchmal denke ich, du wirst zu schnell mit deinen Colts.«

Lee blickt ihn überrascht an und schüttelt dann den Kopf.

»Hör mal zu, Joe, dreißig Dollar hatten wir abgemacht, denke ich. Wenn uns der Schnee auch aufhielt, es war trotzdem eine verdammt harte Arbeit, seine Rinder durchzubringen. Er mußte uns den versprochenen Lohn zahlen.«

»Nun ja, das mußte er wohl, aber du brauchtest nicht gleich so wild zu werden, Lee. Manchmal geht dein Zorn mit dir durch, dabei solltest du nun langsam begriffen haben, daß man sich beherrschen muß. Du bist für diese Treiberboys zu schnell gewesen, Lee, ich hoffe, du weißt das.«

Lee Dorlan wird schon wieder wütend. Als sie bei diesem Kansasmann in den Sattel stiegen, weil der einige Treiber brauchte und sie gerade seinen Weg kreuzten, machten sie dreißig Dollar Monatslohn aus. Nach dem Ende des Trails aber wollte jener Rancher aus Kansas nur für die Zeit bezahlen, in der sie wirklich auf dem Trail waren und hatte die Absicht, die Überwinterungszeit abzurechnen. Das war etwas, was Lee zornig machte, denn

es gab auch während der Überwinterungszeit Arbeit genug für sie alle.

»Du hättest ihm ja auch etwas sagen können«, brummt Lee nach einem mürrischen Seitenblick. »Schließlich hast du so gut gearbeitet wie ich und jede Arbeit muß bezahlt werden. Joe, ich treibe nie mehr für einen Kansasmann!«

Joe Simmons lacht leise und stopft sich seine Pfeife. Er blickt Lee an und grinst kurz.

»Hör mal, du bist explodiert wie eine Pulverladung«, stellt er trocken fest. »Ehe ich etwas sagen konnte, gingst du schon auf seinen Vormann los, Lee. Der Bursche lag am Boden, ehe er auch nur husten konnte. Junge, dich reitet manchmal wirklich der Teufel.«

»Ich kann Ungerechtigkeit nicht vertragen«, sagt Lee bitter. »Selber war dieser Kansasbursche einfach zu feige, um es uns zu sagen, da schickt er seinen Vormann. Nun gut, das ist überhaupt keine Arbeit für mich – Rinder treiben. Joe, ich suche mir einen anderen Job.«

»Und was für einen?« fragt Joe. »Du redest davon, daß man sein Geld leichter verdienen kann, aber du sagst nie, auf welche Weise das geschehen soll.«

Lee Dorlan knotet seinen Geldbeutel zu, steckt ihn ein und schielt auf seine Revolver. Dann hebt er entschlossen den Kopf und sagt hart:

»Du hast mir selber gesagt, daß man seine Revolver vermieten kann, Joe. Einige Zeit bist du auch Revolvermann gewesen, wie? Meinst du,

ich wäre zu langsam für diese Arbeit?«

»He«, erwidert Joe Simmons heiser und richtet sich kerzengerade auf. »He, was hast du für Gedanken, Lee? Das ist ein verdammt hartes Brot und gefährlich ist es auch, Junge, ich kann verstehen, daß du nicht mit leeren Händen nach Hause zurückreiten willst, aber auf diese Art…«

Er blickt zu Boden und schüttelt stumm den Kopf.

»Was ist denn dabei?« fragt Lee heftig. »Als uns diese Bande Paiutes in den Weg kam, da mußten wir auch schießen. Und niemand sonst als du und ich standen vorn in der ersten Reihe. Es war eine gute Sache, absolut ehrlich und gerecht. Joe, es gibt noch mehr Leute, die Schwierigkeiten haben und ein paar schnelle Hände brauchen. Wenn die Sache ehrlich ist, dann…«

»Manchmal ist sie nicht ehrlich, Lee. Ich habe auch einmal meine Revolver vermietet und erst zuletzt gemerkt, daß die Sache nicht ehrlich war. Es war zu spät wegzulaufen. Und um nicht feige zu sein, bin ich stehengeblieben. Ich glaube, ich habe es dir schon einmal erzählt.«

»Ja, das hast du, aber du konntest es nicht wissen. Bist du eigentlich darum aus Nevada weggegangen, Joe?«

Joe Simmons sieht müde aus. »Ja«, erwiderte er dann düster. »Ich war damals so jung wie du und verdammt schnell mit meinem Revolver. Da war ein Mädchen, Lee…«

»Ein Mädchen?« fragt Lee hastig. »Davon hast du noch nie etwas gesagt, Joe.«

»Wozu auch. Das ist eine alte Geschichte, ich habe sie längst vergessen.«

»Du hast sie nicht vergessen, ich sehe es dir doch an, Joe. Hör zu, wir sind Partner, wir haben über ein halbes Jahr alles geteilt und du bist in Ordnung. Wenn die Rede auf Nevada kam, dann bist du mir ausgewichen, du wolltest nicht lange in Nevada bleiben, du hast dich auch diesmal geweigert, mit mir herzureiten. Es ist, als hättest du Angst. Warum sprichst du dich nicht aus, Joe?«

Joe steigt wortlos ab und setzt sich auf einen Stein. Dort hockt er still, stützt den Kopf auf die Arme und sagt nichts.

»Ach, zum Teufel, Joe, ich wollte dich nicht kränken, nun sage doch wenigstens was«, bohrt Lee und bindet auch sein Pferd an. »Du hast mir eine ganze Menge beigebracht, ich habe von dir lernen können, wie man einen Revolver schneller als der Gegner zieht. Und nun steckst du deinen Kopf in den Sand und schweigst dich aus. Was war damals wirklich los?«

»Ich habe dir was beibringen können?« fragt Joe heiser. »Du hast eine Begabung für den Revolver, Lee, das ist es. Manchmal fürchte ich sogar, daß du zu schnell bist. Du bist schon mindestens so schnell wie ich zu meiner besten Zeit. No, was ich dir beibringen konnte, das war schon immer in dir. Gut, wir sind Partner, aber eines Tages reitest du nach Norden oder Osten und ich nach Süden oder Westen. Irgendwo im Leben jedes Mannes gibt es einen Punkt, über den er nicht gern redet.«

»Ich dachte wir wären wirklich Partner«, sagt Lee bitter. »Nun gut, wenn du kein Vertrauen hast…«

»Verdammt, du bist mir wie ein Bruder«, sagt Joe bissig. »Gut, ich rede. Da war ein Mädchen, ihr Vater hatte eine mächtige Ranch. Wir kannten uns viele Jahre, denn wir waren Nachbarn. Auch mein Vater besaß eine Menge Land, Rinder und Cowboys. Eines Tages kam es zu einem Weidekrieg zwischen drei Ranchern, dem Vater dieses Mädchens, meinem Vater und einem anderen, großen Burschen. Der alte Narr, der gegen uns losging, hatte sich eine rauhe Mannschaft geholt und jagte uns in die Flucht, er besetzte unser Land und wollte nun gegen den Vater dieses Girls losgehen. Well, ich stieg in den Sattel dieses

Girls, es war ein Fehler.«

»Warum war das ein Fehler?« fragt Lee kurz. »Der alte Bursche, der gegen euch losging, war doch sicher nicht im Recht.«

»Das dachte ich auch«, sagt Joe düster. »Und dieses Girl versprach mir den Himmel auf Erden, in persönlicher Beziehung. Ich war gerade unterwegs gewesen, als jener alte Narr über meinen Vater herfiel, ich kam also zu spät nach Hause. Mein Vater war tot, unsere Weide besetzt und die Boys alle verschwunden. Well, ich kletterte also in den Sattel des Girls, glaubte ihr, daß sie mich liebte und sammelte ein paar Männer um mich, die hart waren. Zuerst jagte ich jenem alten Narren seine Rinder hoch, dann schoß ich mich mit seinem besten Mann und konnte ihn erledigen.«

»Tot?« fragt Lee Dorlan.

»Ja«, sagt Joe Simmons knapp. »Er forderte mich, aber er war nicht schnell genug. Als Antwort fielen die rauhen Burschen des alten Narren nachts über die Ranch meines Nachbarn her, erschossen vorher den Alten des Girls und einigten sich darauf, daß ich den Alten erschossen haben sollte.«

»Was ist das?« fragt Lee und reißt die Augen auf. »Joe, ich denke, du warst im Sattel des Alten, was für einen Grund solltest du dann gehabt haben, ihn zu erschießen? Das klingt zu verrückt, um glaubhaft zu sein.«

Joe Simmons lächelt bitter und greift nach seiner erloschenen Pfeife, steckt sie wieder an.

»Sie hatten einen guten Grund für das Girl ausgesucht«, sagt er dann gallenbitter. »Angeblich war der Alte mir bei meinen ehrgeizigen Plänen im Weg und nicht damit einverstanden, daß ich mit seiner Tochter etwas hatte. Den wahren Mörder des Alten hat man nie entdeckt. So behaupteten sie, ich sei der Schuldige, nur weil sie einen Knopf meiner Jacke bei ihm fanden. Das war Beweis genug. Den Knopf aber hatte ich einen Tag vorher verloren, als ich nachts auf der Ranch des Burschen herumschlich, der meinen Vater erschießen und die Weide besetzen ließ. Es war ihnen bekannt, daß der Vater des Girls und ich uns nicht sehr mochten. Unser Bündnis entstand nur durch die verdammte Situation. Nun, und das Girl hat ihnen geglaubt.«

»Dann liebte sie dich sicher nicht«, sagt Lee Dorlan nachdenklich. »Und du, was hast du gemacht?«

»Was sollte ich denn nun schon viel machen«, sagt Joe Simmons heiser. »Sie hatten nun den Sheriff auf ihrer Seite und jagten mich mit fast zehn Mann in eine Falle. Dort blieb mir keine Wahl, als zu sterben oder mich zu ergeben. Ich ergab mich und hörte dann erst, was ich verbrochen haben sollte. Damit aber noch nicht genug, jetzt beschuldigten sie mich auch noch des Rinderdiebstahls. Sie lieferten dafür zwar keinen richtigen Beweis, aber sie behaupteten, daß ich mit meinem Vater zusammen und mit der Hilfe einiger Boys die Rinder der beiden Nachbarranchen zu den Mormonen getrieben haben sollte. Sie brachten sogar einen Mann, der beschwor, daß unter der Herde, die ich gerade weggetrieben hatte, ungebrannte Rinder waren, deren Brand nicht zu lesen war. Das genügte dem Sheriff und genügte allen anderen. Sie jagten mich wie einen Hund, ein Wunder, daß sie mich nicht erschossen.«

»Und warst du an die Rinder deiner Nachbarn gegangen?«

»Warum sollte ich?« fragte Joe hart. »Wir hatten selber genug Rinder. Es stimmte, daß ungebrannte Rinder in der Herde waren, die ich zu den Mormonen trieb, aber wir hatten diese Rinder kurz vorher gekauft. Sie hatten alle keine Beweise, aber sie ließen mir keine Chance. Ich war der Besitzer des Landes, auf dem sie nun saßen. Das Girl verkaufte an einen Mann aus Texas, unser Land blieb im Besitz jenes alten Burschen. Und als ich schließlich mit dem Girl zu sprechen versuchte, da kam sie nicht einmal zum Jail, sie reiste ab. Ich aber saß im Jail und wußte, daß sie mich einfach aufhängen wollten. Zu meinem Glück hatte ich wenigstens noch einen Freund auf meiner Seite und der Sheriff hatte Angst, daß die Boys das Of­fice stürmen könnten, die laut nach meinem Skalp schrien. Nun, eines Nachts warf mir mein Freund einen Colt in die Zelle. Ich lockte den Sheriff herein und überwältigte ihn. Er ergab sich freiwillig und war froh daß ich verschwand, weil er selber Angst hatte. Ich bin nie wieder hingegangen.«

»Du bist nicht…«

Lee Dorlan sieht Joe Simmons erstaunt an und begreift es nicht. Teufel, er würde so lange um seinen Besitz kämpfen, bis er seine Gegner am Boden gesehen hätte.

»Joe, sie sitzen also noch immer auf deinem Land, was? Wie lange ist das her?«

»Über zehn Jahre«, erwidert Joe Simmons ruhig. »Die Zeit läßt einen viele Dinge vergessen. Ich lebe ja auch so ganz gut. Es war die blutigste Gemeinheit, die jemals aufgezogen wurde, aber man muß sich mit den Dingen abfinden können.«

»Ich hätte mich nie damit abgefunden, Joe, niemals. Zehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit, aber ich hätte das Unrecht nie vergessen, nie, Joe. Hast du nie daran gedacht, wieder umzukehren? Es ist doch dein Land, Joe!«

»Womit? Mit einem oder zwei Revolvern? Mir gehört der ganze Oberlauf des Stillwater-Creek, der den Carson-Rive speist. Darum ging es. Und darum haben sie mich fertiggemacht, Lee. Ich besitze eine Hütte oben am Stillwater. Und hingehen wollte ich oft, aber dann sagte ich mir, daß sie mich wieder vertreiben würden. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Ich kann nicht gegen eine Übermacht kämpfen.«

»Du kannst es, Joe, wenn du nur willst. Ist das Land gut?«

»Es ist das beste Land, das es in der Gegend gibt, Lee, aber ich würde dort keine vier Wochen bleiben können, dann wäre ich entweder tot, oder sie hätten mich weggejagt. No, Junge, keine Chance. Allerdings sollen sich diese Texaner und der alte Ben Walker in die Haare geraten sein, hörte ich vor Wochen. Walker ist der Bursche, der mir damals alles in die Schuhe geschoben hat.«

»Und dann gehst du nicht hin? Sieh zu, wie die beiden sich gegenseitig umbringen oder hilf diesem Texaner gegen Walker. Du hast die Chance, dein Eigentum zurückzubekommen.«

»Oder eine Kugel, Lee.«

»Weil du keinen Mut hast, Joe. Du bist über dreißig und willst kein Risiko mehr eingehen, das ist es. Wenn wir beide zusammen…«

Joe Simmons winkt bitter ab und schüttelt den Kopf.

»Wir haben auch mit zwei Mann keine Chance, Lee. So rauh kannst du nicht spielen, dazu bist du noch zu jung.«

»Zu jung?« fragt Lee Dorlan grimmig. »Vielleicht aber nicht zu langsam, was? Überlege es dir, wir haben doch kein Ziel und brauchen einen neuen Job. Bist du sicher, daß dich noch einer erkennt, wenn du hinreitest?«

Joe zuckt die Achseln und schüttelt den Kopf.

»Es hat keinen Sinn, Lee, reite zu diesem Nest und hole uns Proviant. Du weißt, was wir alles brauchen. Ich möchte schon das alles wiedersehen, was ich einmal verloren habe, aber es ist dasselbe, als würdest du den Kopf in den Rachen eines Löwen stecken und meinen, daß der Löwe einmal freundlich ist und nicht zubeißt. Laß mich damit in Ruhe.«

»Du hast doch aber das Recht auf deiner Seite, Mann.«

»Recht hat nur der, der die Macht besitzt, sonst niemand. Besorge uns erst Proviant, Lee, du bist heute dran. Ich war vor Jahren mal in dem Nest da unten. Damals lebten dort ein paar Brüder, die vier Stars, wie man sie nannte. Sicher sind sie nicht mehr dort, aber wenn, dann laß dich mit ihnen nicht ein. Sie sind wie Klapperschlangen, immer zu einem Kampf bereit und meist betrunken. Eine Sorte von Schießern, die mal hier und mal da arbeitet und die Revolver an jeden vermietet, der welche nötig hat. Sie fragen nie nach Recht oder Unrecht, nur nach der Summe für ihre Arbeit. Kaufe ein und komm wieder zurück, ich warte hier oben.«

*

Lee Dorlan hält aus dem Ritt heraus an, ohne Grund. Keine dreißig Meilen mehr bis Ely in Nevada.

»Was ist denn los, Junge?« fragt Joe Simmons erstaunt und reißt auch seinen Schwarzen zurück. »Warum hältst du denn an, Junge?«

Lee wendet langsam den Kopf und blickt Joe scharf an.

»Du kannst jetzt weiterreiten«, sagt er kühl und fest. »Reite nur immer weiter und sieh dir Arizona an. Ich habe andere Pläne.«

»Was, zum Teufel, soll das denn nun schon wieder«, brummt Joe unwirsch. »Erst sagst du, daß du mich für einen Feigling hältst, der allem Ärger aus dem Wege geht und der kneift wie ein Krebs, der rückwärts geht, und nun hast du eigene Pläne? Darf man fragen, was das für Pläne sind, Junge?«

»Das darfst du«, erwidert Lee Dorlan grimmig. »Joe, ich hatte eine Menge Achtung vor dir, aber das ist beinahe vorbei. Mein Alter sagte immer, daß man sich nie ducken soll. Ich denke, das ist ein gutes Wort von ihm. Well, und weil es ein gutes Wort ist, werde ich nach Westen reiten. In drei Tagen, denke ich, bin ich dann im Stillwater, um mich dort mal umzusehen. Langsam bin ich neugierig, was für eine Gegend das dort ist, und wie die Burschen dort leben. Ich will diesem Ben Walker mal unter den Hut sehen.«

Joe starrt ihn groß an, furcht dann die Brauen und streckt die Hand nach den Zügeln des Braunen aus.

»Junge«, sagt er gefährlich ruhig. »Du willst mich zwingen, eine alte Sache wieder von vorn anzufangen? Aber den Gefallen tue ich dir nicht. Wir bleiben auf unserer Route, damit du es weißt. Reite doch, wenn du willst, aber nicht mit mir.«

Einen Augenblick zaudert Lee Dorlan, blickt an Joe Simmons vorbei. Dann aber sagt er wild:

»Du bist ein schmutziger Feigling! Hör zu: Du hast mich zum Partner, Mann. Wir beide können den Teufel am Schwanz aus der Hölle ziehen. Hell and devil, ich dachte, du wärest ein mutiger Bursche, und was sehe ich? Du zitterst ja vor Feigheit, daß dir fast die Zähne herausfallen. Der große Joe Simmons, der grault sich, der verkriecht sich in der Erde und streckt nicht mal seine große Zehe heraus. Sei weiter ein verfluchter Feigling, ich will nichts mehr von dir wissen. Ich reite mit niemandem zusammen, der noch weniger wert ist als ich. Scher dich zum Teufel und geh nach deinem Arizona. Du kannst mich, du kannst mich…«

»Hör auf«, brüllt Joe auf einmal mit überschnappender Stimme los. »Sagst du noch einmal, daß ich ein Feigling bin, dann erlebst du was, Junge. Jetzt habe ich genug von dir. Du kannst mich nicht zwingen, du kannst mich nicht…«

»Feigling!« brüllt Lee zurück. »Du hast das Recht auf deiner Seite, aber du bist zu feige, du stinkst ja vor Feigheit. Ich werde dir ins Gesicht spucken, Feigling!«

Und da treibt Joe seinen Schwarzen jäh an. Das Tier dreht sich und rammt den Braunen.

Lee Dorlan wird im Sattel nach links geschleudert. Er kann sich nicht halten und sieht Joes Faust auf einmal angeschossen kommen. Dann kracht ihm auch schon die Faust an den Kopf, Joes wildes Gesicht ist über ihm.

»Das bringst du nicht noch einmal über deine Lippen«, schreit Joe schrill und schlägt erneut zu. »Da hast du es, da hast du es, Junge. Ich habe dich gewarnt!«

Lee kippt halbbenommen aus dem Sattel und fällt auf den Boden. Dort prallt sein Kopf an die harten Wurzeln des Fettholzes. Er verliert die Besinnung und bleibt reglos liegen…

Nach einer Weile erwacht er wieder, sieht hoch, kann aber Joe nicht erkennen. Erst als er den Kopf weit genug dreht, erkennt er den Schatten auf dem Boden, hebt den Blick und hat nun Joe vor sich, der etwa 30 Yards entfernt hält und mit dem Gewehr in der Hand auf dem Pferd sitzt.

»Bleib nur liegen, du Narr«, sagt Joe grimmig. »Dein Brauner steht da links. Ehe du an dein Gewehr kommst, bin ich ein ganzes Stück weiter. Jetzt sage ich dir etwas, du Narr: Ich glaubte wirklich, daß ich in dir einen Partner gefunden hätte, aber du bist einfach verrückt. Reite zum Stillwater und sieh dich um, sie werden dich durchlöchert in eine Grube senken, denn in Stillwater liegen sich der Texaner und Ben Walker in den Haaren. Jeden Mann, der nach Revolverschnelligkeit stinkt, greifen sie sich.

Keiner kann unbeschadet aus der Stadt kommen, das habe ich erfahren. Wenn du dich absolut umbringen willst, verdammt, dann tue es. Ich habe dich vom Pferd geschlagen, Junge, aber es nützt sicher nichts. Du bist ein verfluchter Dickschädel. Reite hin, Junge, reite doch. Und wenn dir die erste Kugel im Bauch sitzt, dann verschenke deine letzten Gedanken an mich, ich habe dich gewarnt. Geh du zur Hölle, aber laß mich draußen. Das ist alles. Sieh zu, wie du fertig wirst!«

»Und ich gehe doch hin«, keucht Lee Dorlan wild. »Ich gehe und ich werde meine Revolver an diesen Texaner vermieten, genau das werde ich. Einmal wird mir Ben Walker mit seinen Burschen schon vor die Läufe kommen, dann bestelle ich ihm einen Gruß von dir und werde ihm sagen, daß du zu feige gewesen bist, selber zu kommen. Hau ab, reite nach Arizona und laß andere auf deinem Land mit deinen Rindern sitzen. Hau ab, Joe, ich schaffe es auch allein!«

»Du größenwahnsinniger Narr, ich wollte, ich könnte dich zurückhalten. Dann reite hin und laß dich umbringen. Heule aber nicht nach mir, denn ich werde niemals kommen. Daß du so ein verdammter Narr sein mußt… Ach, geh zum Teufel!«

Er zieht sein Pferd herum und reitet los. Lee aber bleibt dumm glotzend am Boden sitzen und sieht der Staubwolke nach. Vor seinen Augen verschwindet Joe Simmons in der Bodenwelle auf die Butte-Berge zu.

Der kommt zurück, denkt Lee grimmig. Teufel, der hat einen Schlag wie ein Schmiedehammer. Der kommt zurück, wetten? Von drüben kann er mich sehen, er kommt, wenn ich stur bleibe. Wetten, daß er mich sehen kann und mir folgt?

Er steht ächzend auf und reibt sich sein angeschlagenes Kinn. Der Kopf brummt ein wenig, aber die letzten drei Tage waren hart genug. Er hat dauernd mit Joe von nichts anderem als dem Stillwater gesprochen, von den Aussichten, die eine gute Ranch dort haben muß und von dem Recht auf Joes Seite.

Stolpernd erreicht er sein Pferd, zieht sich mühsam in den Sattel und sieht sich um. Von Joe ist schon nichts mehr zu entdecken.

Und ich reite doch nach Stillwater, denkt Lee Dorlan bissig. Wenn ich dich gut genug kenne, dann kommst du mir nach, weil du mich nicht als Sieb in eine Grube sinken sehen willst. Joe, ich bekomme dich noch. Bis zum nächsten Morgen sehe ich dich wieder.

Er reitet gleich darauf an, aber sooft er sich umsieht, von Joe ist nichts zu erkennen.

Es wird Mittag. Er rastet kurz an dem einzigen Saloon, den das Nest Strawberry hat, bricht dann wieder auf und legt bis zum späten Nachmittag die Strecke bis zur Antelope Peak-Station zurück. Niemand folgt ihm, so weit er blicken kann, ist niemand auf seiner Spur.

Warte mal ab, es wird noch dunkel, denkt er verbissen. Du holst mich in der Dunkelheit ein, das weiß ich. Du läßt mich nicht allein zum Stillwater reiten, wetten?

In der beginnenden Dunkelheit ist er am Hickinson Summit und schlägt rechts oberhalb des Engpasses sein Nachtlager auf. Lee macht ein Feuer, hockt am Boden, brät sich einige Scheiben Speck und ißt Sauerteigbrot dazu, trinkt ein wenig Kaffee und rollt sich schließlich in die Decken. Er wartet, aber es kommt niemand, nur

die Warterei macht müde. Und so schläft er schließlich ein und träumt, daß Joe ein halbes Pferd von den Füßen an aufwärts bis zum Bauchnabel ist. Joe hat schreckliche Hufe, keilt aus und knallt sie ihm an den Kopf.

Davon wacht er auf, blinzelt, sieht in die Morgensonne und das Tageslicht und reibt sich die Augen.

»He, Joe«, sagt er laut. »Joe, du Hundesohn, komm heraus, ich weiß genau, daß du hier bist. Joe, hör mit dem Versteckspiel auf!«

Nichts rührt sich. Weit und breit ist auch niemand zu sehen, nur auf der Auswandererstraße nach Westen rollen ein paar Wagen. Das kann er von hier oben gut ausmachen. Von Joe zeigt sich nicht einmal ein Schwanzhaar seines Pferdes.

»Hundesohn, und ich reite doch nach Stillwater«, brummte Lee giftig. »Ich will doch mal sehen, ob ich nicht den härteren Kopf habe. Esse ich allein, was?«

Er hat nicht viel Hunger, kaut deshalb langsam und reitet bald darauf weiter. In einer der Stationen am Weg nach Westen ißt er zu Mittag. Er bleibt fast unbeachtet, nur manch seltsamer Blick trifft sein junges und hartes Gesicht, und die beiden Revolver an seinen Schenkeln. Joe kommt noch immer nicht. Lee wird langsam wütend.

Der verdammte Schuft, denkt er, als er am Nachmittag rechts den Emigrant Peak vor sich liegen sieht und ihn absucht, weil Joe vielleicht dort oben liegen und auf die Straße blicken könnte. Er kommt einfach nicht, er läßt mich am ausgestreckten Arm verhungern, was? Kommst du nicht, Partner, dann reite ich eben allein weiter. Ich will doch, zum Teufel noch mal, genau wissen, wer von uns den dickeren Schädel hat. Los, weiter, Brauner.

Am Abend ist er, ohne etwas von Joe gesehen zu haben, auf der Höhe der Campbell-Creek-Ranch und schlägt in der Nähe sein zweites Nachtlager seit der Trennung von Joe Simmons auf. Mürrisch und gereizt hockt am am Feuer, lauscht, aber in der Umgebung rührt sich nichts.

Wieder schläft er über sein Warten ein. Und seine Laune am Morgen ist so übel, daß er sich selber fressen könnte. Auf jeden Fall, das sagt er sich, kann er bis zum Abend noch in Stillwater sein, vielleicht sogar in Fallon, wenn er den Braunen etwas zügiger laufen läßt. Sechzig Meilen an einem Tag müßte der Braune schaffen können, ohne hinterher zusammenzubrechen.

Lee Dorlan reitet deshalb nicht gerade langsam und tränkt sein Pferd nicht zu häufig. Es ist ein heißer Tag, der Wind steht von Westen und bringt die heiße und trockene Luft von den trockenen Seen mit.

Zweimal rastet er kurz am Vormittag, legt alle fünfzehn Meilen eine Pause von einer halben Stunde ein und schwingt sich dann wieder in den Sattel.

»Well«, denkt er schließlich am Nachmittag wütend. Joe, du bist wirklich ein vedammter Feigling. Aber eins weiß ich sicher, einholen kannst du mich jetzt nicht mehr, wenn deinem Schwarzen nicht die Zunge so weit aus dem Hals hängen soll, daß er mit den Vorderhufen drauftritt.

Er ändert seine Richtung in der beginnenden Dämmerung etwas südwestlicher und sieht im ersten Licht der Nacht vor sich einige Lichter blinken.

Sein Pferd ist nicht zu müde. Der Braune geht immer noch im leichten Trab, der ihn in der Stunde etwa sechs Meilen voranträgt.

Auf dem letzten Stück seines Weges kreuzt er einen schmalen und fast ausgetrockneten Bachlauf, erreicht dann die ersten Häuser und sieht sich suchend um.

Dies ist Fallon, die Stadt, in der Joe Simmons im Jail saß, aus dem er dann flüchtete. Die Overland hat hier noch eine große Niederlassung. Die Bahn führt nicht bis an die Stadt und soll, das hat er gehört, erst in den nächsten Jahren gebaut werden.

Vor ihm recken die Gebäude der Overland ihre spitzen Giebel in den Nachthimmel, die Flachdächer der Schuppen und Ställe liegen rechts, und die Laternen vor der Einfahrt zum ausgedehnten Hof der Overland werfen ein schwankendes und mattes Licht über die Straße.

»Müde, Brauner, was?« fragt er halblaut und klopft seinem Pferd den Hals. »Nun, gleich haben wir einen Stall und prächtiges Futter für dich. Ruhig hier, aber das täuscht oft, wie? Nun, wir werden es sehen.«

Die Straße läuft fast genau in westöstlicher Richtung durch die Stadt. Eine Menge Häuser, der erste Saloon. Eine Frachtwagenfahrerkneipe, wie er schätzt, denn wilder Gesang rollt aus den offenen Fenstern über die Straße. Und dann ein kleiner, bebrillter Mann, der quer über die Straße laufen will und ihm fast vor das Pferd rennt.

»He, Mister«, sagt Lee hastig. Der Kleine macht einen erschrockenen Luftsprung nach rechts. »Vorsichtig, nicht unter den Gaul. Wo ist hier ein guter Mietstall?«

»Was, wie? Mietstall? Da vorn ist er doch, neben dem Saloon von Lewis, da ist das… Sie haben die Laterne noch nicht aufgehängt, sehe ich. Also, Mister, vor dem Saloon dort, durch das Tor in den Hof. Der Mietstall gehört zum Saloon.«

Er hastet weiter. Lee tippt an seinen Hut und nimmt die Zügel wieder hoch.

Irgendwo in der Dunkelheit pfeift jemand schrill auf zwei Fingern. Der Pfiff bricht sich an den Häusern. Links gehen eine Lady und ein Mister Arm in Arm über den Gehsteig und bleiben vor einem erleuchteten Fenster stehen, in dem Lee einen Ladyhut erkennen kann. »Ach, Jimmy, ist der Hut nicht süß?«

Lee grinst und betrachtet einen Augenblick das rötliche Haar der Frau. Eine flüchtige Erinnerung an Rosy steigt in ihm auf. Der Teufel mag wissen, wo sie jetzt ist. Diese Sorte Ladies wechselt die Städte wie andere ihre Hemden.

Rechts liegt ein Store. Zwei Männer kommen heraus und schleppen einen Sack, den sie auf einen Wagen werfen. Ein kleiner, dürrer Mann tritt in die Tür des Stores und redet mit ihnen. Vor dem Saloon sind etwa ein Dutzend Pferde angebunden, einige Männer lehnen auf dem Vorbau und sehen einer Lady nach, die mit einem Stockschirm über die ausgefahrene Straße stolpert.

Nun erkennt Lee das Schild über dem Zaun und dem offenen Tor und sieht einen krummbeinigen Mann mit einer Laterne und einer Stange ankommen.

»Wann endlich wirst du nicht vergessen, abends die Laterne aufzuhängen, Noel«, sagt jemand aus dem hellen Rechteck der Haustür zum Hof nörgelnd. »Wie soll man genug Pferde für den Stall bekommen, wenn das Schild nicht beleuchtet ist. Hast du wieder zuviel getrunken, Mensch?«

»Fa… fast gar nichts, Boß«, lallt der krummbeinige Mister leiernd und verschluckt sich dreimal rülpsend. »Ich mu… mußte doch die Pfe… Pferde striegeln!«

»Mensch, du stinkst ja bis hierher nach Pferdewhisky! Damit sollst du die Gäule einreiben, aber nicht von ihm trinken. Sollte mich nicht wundern, wenn du nächstens nur noch Spiritus in deine Gurgel rinnen läßt. Vergiß es nicht wieder, sonst fliegst du raus, Noel!«

»Ja – aa, Mr. Lewis.«

»Kerl, du bringst mich noch um meinen Verstand!«

Die Tür donnert zu. Lee ist im Hof und an der Seite des Mannes, der sich vergeblich bemüht, die Laterne an den Haken zu hängen, der am Schild angebracht ist. Sein Stock, an dem die Laterne baumelt, zielt regelmäßig am Haken vorbei.

Lee greift schweigend zu, nimmt dem rülpsenden Mr. Noel die Stange einfach weg und sieht den Mann sich krampfhaft am Sattel seines Braunen anlehnen. Dann hängt die Laterne oben, und Noel stolpert neben dem Braunen her in den Hof. Er muß sich drei Liter Whisky über die Jacke gegossen haben, denn er stinkt abscheulich nach gemeinem Fusel.

»He, du, laß meinen Gaul los, der wird noch von deinem Fuselgestank besoffen«, sagt Lee rauh. »Hast du ’ne Box für mein Pferd?«

»Lauter Boxen, rechts sind vierundzwanzig und links noch mal soviel, Freund. Hast du ’n Dollar?«

»Wozu denn den?«

»Für Whisky, auf Ehre, hast du nicht einen?«

»Nein, ich will nicht an deinem Begräbnis schuld sein«, brummt Lee und steigt ab. »Da hinein?«

Er sieht den Stall, führt sein Pferd hinein und kann nur zwölf Boxen auf jeder Seite ausmachen.

»Dies sind aber keine vierundzwanzig an einer Seite, Mann.«

»Sind nicht? Sind doch. Eins, zwei…«

Noels Hand fuchtelt durch die Luft. Er schwankt schlimm und muß doppelt sehen. Auf einmal macht er den Deckel der Futterkiste auf, die ziemlich groß ist, setzt sich auf die Kante und langt tief in Hächsel und Spreu.

»Wenn du mir keinen Dollar geben willst«, sagt er leiernd, »dann muß ich mir den Rest aus dieser Flasche nehmen. Tut mir leid um die Flasche, wirklich, mag keine leeren Flaschen. Prost Mann!«

»He, wohin…«

Er trinkt, rutscht nach hinten und verschwindet in der Kiste, ist einfach weg. Lee geht hin, rüttelt ihn, bekommt aber nur einige grunzende Laute zur Antwort.

»Verrückt«, brummt Lee und klappt den Deckel zu. »Ob der da immer schläft? Nun gut, der Deckel hat Ritzen genug. Stelle ich eben meinen Braunen allein unter.«

Er stellt das Pferd in die zweite Box links, holt sich aus der einen Tonne Hafer und aus der anderen Wasser, füllt die Raufe, reibt den Braunen ab und wirft sich schließlich Sattel und Packen über den Rücken.

In der Spreukiste schnarcht Noel so gewaltig, daß aus den Ritzen der Staub der Spreu herauswirbelt. Kopfschüttelnd geht Lee Dorlan los, dreht den Docht in der Wandlampe kleiner und erreicht die Tür. Er macht einen Schritt nach draußen, sieht aber zur selben Sekunde rechts einen Schatten und hört das scharfe Knirschen auf dem Hofsand, das ein Stiefel verursacht. Seine Augen erfassen das Tor, er weiß genug.

Das Tor ist geschlossen, und der Mann rechts neben ihm sagt in derselben Sekunde ziemlich leise und zischend:

»Keine Bwegung, Mister. Du bist gedeckt!«

Lee Dorlan blickt blitzschnell nach rechts, dann nach links und zum Tor.

Aus dem Schatten des Hauses treten nun zwei Männer, zwei weitere kommen von links und rechts auf ihn zu.

Und sie alle tragen ihre Revolver auf eine verdammt lockere Art in den Händen.

Der Mann rechts ist groß und wuchtig, sein Haar schon leicht grau. Er trägt keinen Hut, hat seinen Revolver tief an der Hüfte und hält mit dem Daumen den Hammer fest.

»Spring nicht in den Stall zurück, Dorlan«, sagt der grauhaarige Mann warnend, nachdem er Lee Zeit gelassen hat, sich umzublicken. »Wir stehen nicht zum Spaß hier, Junge.«

»Das merke ich«, erwidert Lee. Sein Mund ist mit einem Schlag trocken, die Zunge kratzt am Gaumen. »Und was, Freunde, soll das bedeuten? Woher kennt ihr mich überhaupt?«

»Viele Fragen, Junge, viele Fragen. Mach zwei Schritte nach vorn und laß den Sattel und den Packen fallen. Behalte aber die rechte Hand oben und laß die Linke vom Eisen, es bekommt dir sonst schlecht.«

Lee blickt nach links, die Männer haben ihn, es gibt keinen Ausweg, sie stehen zu gut.

»Nun gut«, sagt er und bemüht sich, ruhig zu sprechen, obwohl er alles andere als ruhig ist. »Ich gehe zwei Schritte und werfe Packen und Sattel hin. Keine Angst, ich versuche keinen Trick.«

»Einen so guten Trick, daß du hier herauskommst, kann dir auch Joe Simmons nicht beigebracht haben. Geh jetzt und versuche nichts.«

Joe, denkt Lee erschrocken, was wissen sie von Joe und mir? Woher wissen sie überhaupt etwas von uns? Sollten sie einen Nachrichtendienst besitzen, der uns bereits gemeldet hat? Dann müssen sie auch wissen, wo Joe ist.

Er macht die beiden Schritte und läßt zuerst langsam den Packen und dann den Sattel gleiten. Sein Gewehr schlägt dumpf auf den Boden, im Packen klappern die beiden Töpfe.

»Gut«, sagt der Grauhaarige hinter ihm zufrieden, wenn auch sehr kühl und leicht grimmig. »Du bist vernünftiger als ich dachte. Nun zurück an die Wand links neben der Tür. Geh rückwärts schräg nach rechts, halte die Hände oben. Tust du es nicht, dann hast du dir die Folgen selber zuzuschreiben.«

»Wer, zum Teufel, gibt euch das Recht, über mich herzufallen?« fragt Lee scharf. »Ich kenne euch nicht, ich habe euch nichts getan. Leute, wenn ich mit euch fertig bin, dann werdet ihr euch noch lange an mich erinnern.«

Einer lacht leise und grimmig, der Bursche links von ihm grinst. Er geht rückwärts und stößt gleich darauf mit dem rechten Stiefel gegen die Wand des Stalles. Die Tür ist nun links von ihm.

Nun kommen die beiden Männer vom Tor heran und treten links und rechts neben ihn. Der Grauhaarige sagt trocken und so grimmig, daß Lee irgendeine Absicht ahnt:

»Halte deine Arme nach den Seiten und tritt nicht aus, es wird sonst noch rauher, Junge!«

Dann tritt er einen Schritt vor, schiebt die Hand mit dem Revolver vorwärts und drückt die Mündung in Lees Magen.

Lee Dorlan blickt nach unten, genau auf den Daumen des Grauhaarigen, der den Hammer immer noch festhält. Es ist ein Gefühl plötzlicher Übelkeit, das sich in seinem Magen ausbreitet. Der Grauhaarige braucht nur loszulassen, dann hat er die volle Ladung im Magen. Auf einmal fällt ihm Joes Ausspruch ein, und er fühlt sich tatsächlich wie ein Sieb.

Gehorsam, denn etwas anderes kann er nicht sein, streckt er die Arme seitlich aus. Sofort greifen die beiden Burschen rechts und links zu. Sie packen hart an seine Handgelenke, und der vierte Mann tritt nun neben den Grauhaarigen. Sie verstehen das Spiel zu gut, um Lee eine Chance zu lassen. Der vierte Mann greift zu, reißt ihm die beiden Revolver aus den Halftern und tritt dann etwas seitlich zurück. Nun zieht auch der Grauhaarige seinen Revolver zurück, blickt Lee durchbohrend an und dreht den Revolver um.

Seine Augen sind ausdruckslos und kalt. Es stört sie anscheinend nicht, daß sie hier mitten in der Stadt sind und immerhin Leute in den Hof kommen können.

»Ich frage jetzt, Junge«, sagt der Graukopf mit dem lederartigen Gesicht schleppend. »Auf jede Frage bekomme ich genau die richtige Antwort, sonst wird es schlimm. Du kannst schweigen, dann hast du dir die Folgen selber zuzuschreiben. Du kannst reden, dann mußt du schon die Wahrheit sagen, wenn du nicht umfallen willst. Paß auf, Junge, die erste Frage.«

»Moment, Mister«, keucht Lee schnell und wild. »Ich sage noch einmal, ich habe euch nichts getan. Woher wißt ihr von mir und Joe Simmons? Ich warne euch, ihr könnt das mit mir nicht machen.«

»Nein?« fragt der Graukopf seltsam tonlos. »Wir zeigen dir schon, was wir mit dir machen können. Du stellst hier keine Fragen, Junge, die stelle ich. Die erste Frage, überlege dir die Antwort haargenau: Wo ist Joe Simmons jetzt? Wir wollen es ganz genau wissen.«

Lee schließt eine Sekunde die Augen. Seine Wut kommt, dieselbe Wut, die ihn so wild auf Peale gemacht hatte. Er ist wehrlos, das macht ihn noch wilder. Keine Chance zu haben, ist für ihn schlimme Medizin.

»Sucht ihn euch, ihr werdet ihn nicht finden!«

Der Grauhaarige zuckt nur einmal mit seinen Augenlidern, dann hebt er den Revolver an, hält ihn am Lauf und läßt die Hand jäh fallen.

Lee Dorlan knickt etwas ein, wird von den beiden anderen aber gehalten und sieht den vierten Mann mit dem Revolver auf seinen Kopf zielen.

»Wyatt, mach keine langen Sprüche mit ihm. Er muß reden. Weiß der Teufel, wo Joe steckt, vielleicht kommt er jetzt gerade in die Stadt?«

»Er schafft es nicht, an unseren Leuten vorbeizukommen, Colbert. Junge, dies war erst ein Vorgeschmack auf die Hölle, die dich erwartet. Ich frage noch einmal: Wo ist Joe Simmons jetzt?«

»Mann, wenn ich jemals hier herauskomme, dann…«, sagt Lee mühsam. »Diese rauhe Art zieht bei mir nicht. Ich weiß nicht, wo Joe steckt.«

»Du weißt es also nicht, wie? Du willst es nicht wissen. Wo hast du ihn zuletzt gesehen? Antworte, Junge, das ist die nächste Frage.«

»Dreißig Meilen westlich von Ely, vor drei Tagen, Mister!«

Sie sehen sich kurz an, dann sagt der Mann rechts, den der Grauhaarige mit Colbert anredete:

»Verdammt, der lügt, das sieht man doch, Wyatt, er ist genauso schlimm wie Joe damals, eine wilde, blutrünstige Raubkatze. Laß mich es machen, ich bringe ihn in einer Minute zum Reden. Wir müssen Joe schnappen, ehe er etwas anrichten kann.«

»Ich weiß das selber. Sei ruhig, Colbert. Junge, du willst uns erzählen, daß Joe dich zuletzt so weit im Osten gesehen hat und du ihn auch?«

»Ich kann nicht mehr sagen, Mr. Totschläger!«

»Du verdammter Narr, wie du willst. Dann sollst du es ganz rauh bekommen!«

Er holt wieder aus, Lee aber läßt sich mit einem jähen Ruck fallen und reißt die beiden Männer an sich heran, die nun über ihm zusammenprallen. Dann stößt er sich auch schon ab, hat die Linke frei und sieht genau vor sich die Stiefel des Grauhaarigen.

Ehe er ihn anspringen kann, trifft etwas seinen Kopf. Er sieht einen wilden Strudel von Sternen und Funken und fällt ächzend nach vorn.

»Vorsichtig, Leute, nur vorsichtig«, sagt der Grauhaarige warnend. »Er ist wirklich so schlimm wie Joe damals, vielleicht noch eine Idee wilder, denn er versucht selbst aussichtslose Dinge. Hebt ihn auf und stellt ihn hin, es geht weiter. Sicher haben sie das so besprochen, es sieht ganz nach Joes verdammter Schlauheit aus. Wetten, daß Joe irgendwo in der Nähe ist?«

»Anzunehmen, denn Joe wird keinen Fehler zweimal machen«, brummt Colbert. »Na los doch, Lew, hast du dir den Kopf gestoßen?«

»Ja, verdammt, ich bin von ihm an die Wand gerissen worden. Wyatt, wir holen es aus ihm heraus. So hart ist kein Mann, daß er nicht redet.«

»Natürlich, was sonst?«

Der Graukopf tritt wieder zurück, die beiden anderen heben Lee Dorlan auf, und der vierte Mann fächelt ihm mit seinem Hut Luft ins Gesicht.

Lee kommt wirklich zu sich, macht ächzend und stöhnend einige lahme Bewegungen und bläst dann scharf den Atem durch die Nase.

»Versuche es besser nicht noch einmal«, sagt der Graukopf bissig. »Es wird nur immer schlimmer für dich. Junge, sage die Wahrheit, wir bekommen es doch heraus. Es ist ganz sinnlos, daß du versuchst Joe zu helfen. Wo ist Joe nun wirklich?«

»Ich habe mich von ihm westlich von Ely getrennt, Mann«, erwidert Lee keuchend. »Du kannst mich totschlagen, aber es ist die Wahrheit. Joe will nicht herkommen, er ist zu feige. Ich kann dir nichts anderes sagen.«

»Der verdammte Junge lügt schon wieder«, meldet sich Colbert wild. »Bildet er sich ein, daß wir ihm die Geschichte glauben? Er ist Joes Partner, sie halten zusammen. Joe würde ihn niemals allein geschickt haben. Da steckt ein Trick hinter, ich sage es dir, Wyatt, schließlich kennen wir Joe und seine verdammten Tricks ganz genau. Rede, Junge, sonst nehme ich meinen Revolver und drehe ihn um.«

»Ich kann nichts anderes sagen, ihr Narren, wir haben uns wirklich bei Ely…«

Der Graukopf bewegt sich blitzschnell. Lee stößt einen heiseren Laut aus und kippt nach links. Schwer sackt er auf die linke Seite. Feuerräder tanzen vor seinen Augen. Der Mann links kann ihn nicht halten.

»Jetzt reicht es, Junge«, knurrt der Grauhaarige wütend und springt auf ihn zu, reißt ihn hoch und stößt ihn hart zurück gegen die Wand. »Wir bringen es aus dir heraus. Und wenn du am Ende so fertig bist, daß du dich nicht mehr bewegen kannst, aber wir schaffen es. Lew, pack ihn schon.«

Lew ist an die Tür getaumelt und steht steif und seltsam erstarrt da mit kreideweiß gewordenem Gesicht.

Dann hebt er langsam die Arme.

Und zugleich sagt in seinem Rücken die eiskalte Stimme Joe Simmons:

»Wyatt, ich lasse den Revolverhammer los, wenn du nicht augenblicklich dein Eisen auf den Boden wirfst. Weg mit den Revolvern, ich erschieße Lew sonst!«

Lee hört in das Sausen und Rauschen, das in seinen Ohren ist, Joes Stimme und streckt, obwohl er noch halb benommen ist, blitzschnell die linke Hand aus. Schon hat er den rechts sitzenden Revolver Lews erwischt, zieht ihn unheimlich schnell heraus und ist sicher – er weiß nicht, warum er so sicher ist, hat aber keine Zeit, darüber nachzudenken – daß keiner der anderen drei Männer etwas versuchen wird.

Der Grauhaarige wird genauso blaß. Colbert will seinen Revolver auf Lee richten, sieht aber schon in den Colt Lews, den Lee kaltblütig auf seinen Bauch gerichtet hat.

»Halt, Fred«, japst Wyatt schrill. »Fred, zieh nicht, du kennst Joe nicht so gut wie wir, er drückt ab und erschießt Lew. Nicht ziehen, Fred!«

»Laß ihn nur ziehen«, sagt Joe Simmons eisig. »Er kann bei der Beerdigung von Lew den meisten Kuchen essen, wenn der ihm schmeckt, aber Narren schmeckt es immer. Weg mit den Revolvern, ihr Burschen, aber verflucht schnell. Los, Wyatt, schnell, sagte ich!«

Es ist für Lee Dorlan unfaßbar, aber sie gehorchen alle, und der große und grauköpfige Wyatt ist der erste Mann, der seinen Colt nach hinten wirft, dabei aber einen Blick auf das Tor riskiert.

»Pech«, sagt da Joe auch schon so trocken, daß es fast gar nicht wahr ist. »Dein Aufpasser am Tor liegt hinter mir im Stall. Es dauerte darum etwas länger, Lee, tut mir leid. Nun, Fred, weg mit dem Colt.«

Fred schleudert den Colt weg und flucht unterdrückt. Colbert starrt auf den Revolver in der Hand Lees und wirft seine Waffe denen der anderen nach.

Lee Dorlan schwenkt seinen Revolver nach rechts und schiebt Fred zur Seite. Dann duckt er sich, atmet keuchend, als er den Schmerz in seiner linken Schulter spürt und gleitet geduckt unterhalb der Schußlinie nach rechts zwischen den Männern durch. Er macht es geschickt genug, um keinen zu verdecken und niemandem eine Chance zu lassen.

Dann taucht er unvermutet hinter Wyatt herum und bleibt zwei Schritte hinter ihm stehen.

In seinem Kopf sticht es, aber noch wilder kommt nun seine aufgespeicherte Wut zum Durchbruch. Die Schläge hat er nicht vergessen.

»Joe«, sagt er kurz und stoßweise. »Wie heißt dieser Mister mit vollem Namen?«

»Wyatt Thornton, Lee, er ist Walkers Vormann und rechte Hand. Warum fragst du?«

»Ich will immer wissen, bei wem ich mich bedanken muß«, erwidert Lee Dorlan kalt. »Mr. Wyatt Thornton, ich hatte dich gewarnt. Und damit du dir merkst, daß ich niemals jemanden umsonst warne…«

Er holt blitzschnell aus und schlägt zu.

Thornton versucht noch eine Bewegung zu machen, aber er fällt mitten in den Hieb hinein und danach zu Boden.

»Lee, laß das sein!« ruft Joe Simmons scharf. »Die Burschen hier führen nur Walkers Befehle aus. Ich habe dir gesagt, daß ich nicht her wollte, aber du mußtest mit deinem dicken Schädel durch die Wand. Nun gut, Junge, wir brechen gleich auf und verlassen dieses Land, um nie mehr wiederzukommen. Hast du verstanden?«

»Jetzt kannst du mir sagen, was immer du willst, Joe«, sagt Lee Dorlan grimmig. »Diese Narren sind über mich hergefallen, sie haben angefangen, obwohl ich ihnen nichts getan hatte. No, Joe, ich bleibe hier. Niemand bringt mich hier fort, auch du nicht.«

»Sei kein Narr, es sind zu viele, die uns hetzen werden. Junge, nun gut, ich habe auch noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Hol dein Pferd aus dem Stall, wenn ich es dir sage. Und dann paß auf sie auf, ich muß nur meinen Schwarzen holen. Lew, du hast drei Sekunden, antwortest du dann nicht, passiert dir etwas. Wo sind deine anderen Partner? Wer wartet bei meiner Hütte, und wer ist bei Ben? Sage es schnell! Ich bin sicher, er hat seine Mannschaft sofort geteilt, als er erst wußte, daß ich kam.«

»Ja, Joe«, sagt Lew kratzend. »Man hat euch in der Nähe der Pardise-Hill-Station gesehen und uns gewarnt. Sechs Mann warten auf euch am Blockhaus, die anderen sind auf der Ranch und drei warten vor der Stadt.«

»Die warten doch noch eine ganze Weile, mein Freund, ich habe sie gesehen und umritten. Du kannst deinem Boß bestellen, daß ich das Land verlasse. Ich wollte nur diesen Narren hier holen, der unbedingt sterben wollte, obwohl ich ihn gewarnt hatte. Lew, sollte Ben sich rühren, werde ich zuerst schießen und dann erst fragen. Das ist kein Bluff!«

»Ich weiß, ich weiß. Du verschwindest also wirklich wieder?«

»Ich sagte es!«

»Er hat nur für sich gesprochen«, erwidert Lee hart. »Mit euch bin ich noch nicht fertig. Wie groß ist euer verrückter Boß, daß er einen Mann wie einen Hund fangen kann? Joe, ich gehe nicht eher weg, bis ich diesem Ben Walker nicht die Meinung gesagt habe. Das ist mein letztes Wort!«

»Du Narr, mit dem kannst du nicht reden, niemals! Du gehst mit mir weg!«

»Irrst du dich auch nicht, Joe? Ich denke, du hast ein Recht hier zu sein.«

»Er hat kein Recht«, knurrt Colbert heiser. »Er ist ein verdammter Mörder.«

»Colbert sage das noch einmal, dann hast du eine Kugel im Kopf«, zischt Joe grimmig. »Ich bin so wenig ein Mörder wie du. Sagst du noch ein Wort, dann…«

»Du hast Morley erschossen, das weiß jeder von…«

Joe bewegt sich so blitzschnell, daß selbst Lee völlig überascht ist. Ein Satz, und Lew fällt zu Boden. Joe ist schon bei Colbert und holt kurz mit dem Revolver aus.

Einen Augenblick später liegt auch Colbert am Boden, Fred lehnt mit entsetztem Gesicht an der Wand.

»Niemand nennt mich einen Mörder«, sagt Joe Simmons fauchend und wirbelt wieder herum.

»Nicht einmal Annabell Morley hat gegen mich etwas unternommen. Niemand hat Anklage gegen mich erhoben, weil die ganze Sache unklar und gestellt war. Lee, nimm ihre Colts und schleudere sie in die Regentonne dort. Dann holst du dein Pferd. Laß keinen dieser Narren hier aufstehen. Zum Teufel, wenn sie es nicht anders wollen – ich bin kein Hase, den sie hetzen können. Junge, hast du jetzt erlebt, wie sie arbeiten? Laß uns verschwinden, solange wir noch Zeit dazu haben.«

»Du wirst nichts davon tun«, erwidert Lee fest. »Wir wollen doch sehen, ob du dein Eigentum bekommst oder nicht. Wollen sie Kampf, so können sie ihn haben. Wir beide werden mit ihnen fertig. Einen Augenblick, Joe!«

Er schleudert die Revolver der Männer Walkers zielsicher in die Regentonne und holt dann hastig sein Pferd. Innerhalb von zwei Minuten hat er gesattelt, schleift auf Joes Geheiß den fünften Mann aus dem Stall in den Hof und löst ihm die Handfesseln und den Strick, den ihm Joe um die Beine gebunden hatte. Auch nimmt er ihm den Knebel aus dem Mund und stellt sich dann an sein Pferd.

»Ich habe meinen Schwarzen in der Gasse«, sagt Joe kühl. »Warte hier einen Moment und paß auf. Wir jagen sie die Straße hoch und lassen sie laufen. Der alte Sheriff ist zwar nicht mehr hier, aber sein Nachfolger soll ruhig sehen, wie Walkers rauhe Burschen laufen können.«

Er verschwindet durch das schmale Hintertor und kommt gleich danach auf seinem Schwarzen wieder.

»Hoch mit euch«, sagt Joe Simmons eiskalt. »Wyatt, du kannst nun ein wenig laufen. Und sicher wird es niemand sonst als diesen Texaner Olbright freuen, daß ihr so prächtig laufen könnt. Hoch mit euch, ich mache euch sonst Beine!«

Wyatt Thornton knirscht einen Augenblick mit den Zähnen, dann sagt er stockheiser:

»Joe, diesmal werden dir keine Tricks helfen. Jetzt weiß ich, daß du nur gekommen bist, um Olbright zu helfen, du schlauer Halunke. Irre dich nur nicht, du setzt wieder auf die falsche Karte.«

»In diesem Spiel stechen nur meine eigenen Karten, Wyatt. Das begreifst du immer noch nicht ganz, wie? Steht auf, die Stadt soll ihren Spaß haben. Mach das Tor auf, Lee.«

»Sie müssen sehr schnell laufen«, sagt Lee hart. »Thornton, wenn du das nächste Mal auf mich losgehst, dann tue es fair und mit dem Revolver in deiner Hand, ich schieße sonst auch von hinten und spiele nicht mehr fair. Das Tor ist offen, Joe!«

Joe Simmons sitzt mit starrem Gesicht im Sattel und wartet, bis die Männer am Tor sind. Sie trotten an Lee vorbei, und ihre Flüche allein würden sie bei der entsprechenden Wirkung in die Hölle oder zur einer gestreift geschnittenen Haut bringen.

»Jetzt lauft«, sagt Joe Simmons grimmig. »Und hört nicht damit auf, ehe ihr die Main Street hinter euch habt, es sind zu viele Augen, die euch sehen können. Lauft nur schnell, Freunde. Los jetzt!«

Er reitet scharf an und rammt Colbert, der im Bogen hinfliegt und sich fluchend aufrafft.

Auf dem Vorbau des Saloons erstarren die Menschen, beim Store drüben wird der kleine, dürre Mister steif wie ein Brett, eine Frau hastet entsetzt auf den sicheren Gehsteig zurück.

Irgendwer ruft heiser:

»Das sind ja Walkers Reiter. Verdammt, wer treibt sie da vor sich her?«

»Schneller«, faucht Joe Simmons gallig. »Lauft ihr oder soll ich euch erst alle umreiten?«

Er reitet direkt unter der Laterne her. Der Lichtschein fällt auf sein kantiges Gesicht, und jemand sagt zuerst keuchend und dann mit nacktem Entsetzen:

»Joe Simmons ist in der Stadt. Es ist Joe Simmons, gerechter Moses! Von der Straße weg, Leute, von der Straße weg! Da reitet Joe Simmons, der Mörder!«

Und Lee Dorlan, der von der Seite in Joes Gesicht blicken kann, erkennt den düsteren und bitteren Ausdruck von Joes Augen.

Dort reitet Joe und jemand schreit, daß er ein Mörder ist. Rufe ertönen, Schritte sind auf den Gehsteigen zu hören. Männer springen in die Nischen und verschwinden in Türen.

Lee sieht Joes bitter verzogene Mundwinkel. Und nie zuvor hat er ihn mehr bedauert, als in diesem Augenblick. Joe, sein großer Freund Joe, er ist niemals ein gemeiner Mörder.

Und doch ist die Straße wie leergefegt, ehe zwei Minuten herum sind.

Er erkennt die Furcht dieser Leute, aber er weiß, daß Joe nie und nimmer ein Mörder ist.

Die Furcht vor Joe, die offensichtlich zutage tritt, macht Lee Dorlan eher stolz darauf, Joes Partner sein zu dürfen.

Er sieht die Hacken der laufenden Männer vor sich und lächelt wild und trotzig.

Joe und er sind Partner. Und was immer geschieht, sie werden Partner bleiben. Sie sind beide hart genug, um auch mit zwei Dutzend rauher Burschen fertig zu werden.

Er hat sie vor sich, sieht sie laufen und hält in jeder Hand einen Revolver.

Joe Simmons ist zurückgekehrt und mit ihm Lee Dorlan. Dies ist die Fährte eines harten Mannes. Und der Mann heißt Lee Dorlan. Er hat einen Beweis erbracht, daß er wirklich ein Mann geworden ist.

Und die Männer vor ihm laufen.

*

Wyatt Thornton geht in die Knie, zwei andere Männer taumeln und fluchen verbissen.

Sie sind mindestens sechs Meilen von der Stadt entfernt und können nicht mehr.

Stur wie ein Büffel bleibt Thornton am Boden sitzen und blickt aus verschwommenen Augen hoch.

»Ich kann nicht mehr, du verdammter Bandit, ich kann nicht mehr. Und wenn du mich niederschießt!«

»Das ist weit genug«, erwidert Joe Simmons kalt. »Von nun an könnt ihr zu Fuß auf die Ranch Bens schleichen. Wyatt, sage ihm, daß ich mit seinem Ärger mit Olbright nichts zu tun haben will, das sage ihm nur. Ich bin nicht gekommen, um die alte Sache neu aufleben zu lassen, sondern…«

In diesem Augenblick stößt Lee Dorlan einen heiseren Laut aus und wirft sich sofort herum.

»Vorsicht, Joe, zwei Reiter und…«

Er kommt nicht weiter. Zwischen den Büschen auf dem Kamm tauchen jäh zwei Reiter auf. In der nächsten Sekunde erhellt ein Feuerstrahl oben die Büsche, und die erste Kugel faucht haarscharf zwischen ihnen durch.

Einer der fünf Reiter Walkers stößt einen heiseren Schrei aus und wirft sich zu Boden, die anderen liegen in einem Augenblick neben ihm.

»Schießt«, brüllt Wyatt Thornton trotz der Nähe, in der sich Joe befindet, »Luke, Curly, erschießt ihn.«

Joe Simmons zieht sein Pferd nach rechts herum und jagt los, hat aber sein Gewehr mit einem Griff erwischt und bringt es im vollen Jagen hoch.

»Lee, in Deckung!« brüllt er scharf und grollend. »Sie schießen, diese Schufte.«

Auch Lee hat nun sein Gewehr hoch. Jaulend streicht eine Kugel an seiner Seite vorbei. Er treibt den Braunen hart an und fegt auf die Büsche zu, als er vor sich Joe das Gewehr an die Wange reißen sieht.

Joe feuert auch schon im gleichen Augenblick, Lee schießt den Bruchteil einer Sekunde später. Jene wertvollen Sekunden, in denen er seine Revolver in die Halfter bringen mußte, haben den beiden Reitern auf dem Kamm einen Vorteil gegeben.

Die beiden Schüsse aber, die kurz nacheinander fallen, dröhnen dumpf aus der Senke hoch. Dann steigt auch schon das eine Pferd oben schrill trompetend und kracht zusammen. Der Reiter fliegt im Bogen weg, taucht als Schatten zwischen den Büschen auf und rennt wie ein Hase davon.

Da reißt der zweite sein Pferd herum und verschwindet im Hall des nächsten Schusses, den ihm Joe Simmons nachjagt, hinter dem Saum der Büsche. Sie sind beide fort. Joe reckt sich in den Steigbügel und schlägt dann seine Zügelenden von rechts nach links an den Hals des Schwarzen.

»Paß auf diese Burschen auf, Lee, ich werde versuchen, die Halunken zu stellen.«

Er duckt sich tief über den Hals seines Pferdes und jagt los. Lee aber sagt bitter, indem er sein Gewehr auf Wyatt Thornton richtet:

»Mister, ihr könnt nur aus dem Hinterhalt kommen, wie? Wenn du noch einmal schreist, daß uns jemand erschießen soll, dann schieße ich zuerst, aber auf dich. Was hast du für ein Glück, daß du keine Waffe trägst.«

Thornton wirft ihm einen wilden Blick zu, beißt sich auf die Lippen und schweigt. Colbert aber sagt grollend:

»Was glaubst du gewinnen zu können? Du hast dir den richtigen Partner ausgesucht. Dieser Mörder wird…«

Er schweigt abrupt, denn Joe Simmons kommt schon zurück und reißt seinen Schwarzen vorn hoch, daß der Sand fliegt.

»Sie sind weg«, sagt er heiser. »Curly Jones ist also auch noch da, was, Wyatt? Und sicher liebt er mich immer noch so, daß er gleich feuert. Well, mein Freund, nun sage ich dir etwas. Merke es dir gut und sage es auch Ben. Ich wollte nur Lee Dorlan holen, aber die alte Sache scheint für euch noch nicht vergessen zu sein. Wenn ihr es nicht anders haben wollt, werde ich bleiben. Und für jede Kugel wird es eine Antwort geben.«

»Du Viehdieb«, knurrt der Graukopf grimmig. »Ich weiß genau, was du willst, aber verlasse dich nicht darauf, daß dir Olbright hilft. In diesem Land bist du ein Geächteter. Joe, es kommt der Tag, an dem wir dich erwischen. Und diesmal warten wir nicht auf den Sheriff, diesmal hängen wir dich gleich auf.«

Joe Simmons blickt ihn kalt an und zuckt die Achseln.

»Wyatt, ich werde nur stillsitzen und zusehen, wie ihr euch gegenseitig umbringt. Mehr brauche ich nicht zu tun, weißt du das? Greift mich nicht an, das ist eine Warnung. Und jetzt verschwindet. Der Gaul oben ist tot, nehmt den Sattel mit!«

Er dreht sein Pferd und winkt Lee. Hinter ihnen fluchen die Reiter Walkers bissig los, aber Joe Simmons sieht sich nicht mehr um.

Er reitet scharf an und hockt seltsam zusmmengekauert im Sattel. So kommen sie über den Kamm. Hier liegt das Pferd des einen Heckenschützen tot auf der Seite.

»Was jetzt, Joe?« fragt Lee Dorlan düster. »Diese Burschen schießen ohne Anruf. Willst du wirklich bleiben?«

»Natürlich nicht, ich wollte ihnen nur einen Schrecken einjagen, denn sie rechnen fest damit, daß Olbright mich anwirbt. Es ist genau das eingetreten, Lee, was ich immer befürchtet habe. Olbrights Weide ist schlechter als die Walkers. Ben Walker hat meine Weide in Besitz und Wasser genug, auch in einem trockenen Jahr. Ich bin sicher, daß Olbright dasselbe Recht auf meine Weide geltend macht wie Walker, und daß nur um die Wasserrechte der Streit ausgebrochen ist. Bei dieser Trockenheit muß Olbright Wasser haben, wenn seine Rinder nicht verdursten sollen. Und Walker ist nicht der Mann, der einen einmal gewonnenen Landstreifen abgibt. Sie sollen sich streiten, wenn sie unbedingt wollen, ich passe, obwohl ich…«

»Obwohl?« fragt Lee schnell und sieht Joes merkwürdiges Lächeln.

»Ach, nichts«, murmelt Joe Simmons und lächelt immer noch. »Früher war es üblich, daß sich jede Ranch ihr Land nahm, es war ja freies Land. Darum hat es immer Kämpfe gegeben. Als Walker meinen Vater angriff, da wußte er eine Kleinigkeit nicht gut genug. Wir kauften das Gebiet um die Sweetwaterquelle wenige Wochen vor dem Streit in Carson City. Und die Kaufurkunde besitzt nur ein Mann – ich! Ben Walker sitzt seit Jahren auf einem Stück Land, von dem ich ihn mit Hilfe des Sheriffs zu jeder Zeit vertreiben kann.«

Lee Dorlan dreht sich scharf im Sattel und starrt Joe groß an.

»Willst du sagen, daß du die Kaufurkunde noch besitzt, Joe? Dann würde Walker… Teufel, du kannst dann wirklich mit dem Sheriff…«

Joe Simmons hält an und macht sich an seinem alten Sattel zu schaffen. Er rutscht hinter ihn, nimmt sein Messer und trennt den breiten Ansatz der Gurtlasche ein Stück auf.

Dann greift er mit spitzen Fingern hinein, bringt ein kleines Lederviereck zum Vorschein und wickelt das dünne Leder auf.

»Junge«, sagt er trocken. Dabei hält er ein Streichholz in der anderen Hand, das er an seinem Gesäß anreißt, »sieh dir das Papier gut an. Ich bin sicher, Ben Walker würde für dieses Stück Papier fünfzigtausend Dollar zahlen. Aber ich bin genauso sicher, daß Olbright dasselbe zu zahlen bereit sein wird, wenn er davon erfährt. Aber ich denke nicht daran, auch nur ein Stück zu verkaufen. Wir verlassen die Weide heute noch und reiten nach Arizona.«

»Zeig her«, sagt Lee neugierig und liest im Schein der Streichholzflamme die Urkunde durch. »Joe, du kannst doch nicht so ein Narr sein. Damit schlägst du Walker, du brauchst nur Olbright diese Urkunde zu zeigen, dann wird er…«

»Kämpfen«, sagt Joe bitter. »Das ist es, was ich nicht will. Walker glaubt fest daran, daß ich mich mit Olbright verbünden muß, weil der harte Männer braucht und ich eine Chance sehe, mein Eigentum zurückzubekommen. Stell dir vor, dieser Olbrihgt erfährt von dem Papier hier. Was wird er tun? Nun, ich kann es dir sagen, Junge: er wird mich erschießen und die Urkunde in seinen Besitz bringen. Er hetzt mir seine Mannschaft auf den Hals, aber ich habe schon Ben Walkers rauhen Verein im Nacken. Zwei rauhe Rudel, das verträgt selbst der härteste Mann nicht. Keine Chance, Lee, keine!«

Lee denkt einen Augenblick nach, dann faßt er Joes Schwarzen in die Zügel und hält das Pferd zurück.

»Warte doch«, sagt er keuchend. »Joe, du siehst nur lauter Gegner für dich, es kann gar nicht anders sein, aber hast du schon einmal anders gedacht? Was ist, wenn du mit diesem Olbright ein Abkommen schließt? Er kann dein Wasser benutzen, aber er muß dir helfen, Walker zu vertreiben. Mit seiner Mannschaft im Rücken schaffst du es. Joe, ist das keine Idee?«

»Junge, dann gibt es den prächtigsten Weidekrieg. Ich habe genug von wilden Kämpfen, du kennst mich doch. Fange ich eine Sache an, dann mache ich sie ganz rauh. No, ich will nicht mehr. Es kostet zuviel, vielleicht sogar mein Leben. Das Spiel ist zu hoch für mich, Junge.«

»Für dich oder für uns beide, Joe? Glaubst du, daß Walker mit uns beiden fertig werden kann, wenn ich dir helfe?«

»Zum Teufel, du hast nichts mit meinen Plänen zu tun, dich gehen meine alten Geschichten nichts an. Nein, Lee, irgendwo eine gute Arbeit und Ruhe, viel Ruhe – das brauche ich.«

»Sie haben mich angegriffen, ich bleibe also«, erwidert Lee Dorlan fest.

»Lauf doch wieder weg und lasse dich einen Feigling nennen, Joe. Überlege doch, wir beide…«

»Wir beide könnten es schaffen, ich weiß das selber. Aber es ist nicht deine Sache, du könntest dabei verletzt werden. Ich würde mir ewig Vorwürfe machen.«

Lee Dorlan blickt ihn offen an und packt ihn an beiden Schultern.

»Joe, du hast eine große Chance, dein Eigentum zu erhalten. Geh nicht an ihr vorbei. Ich bin nun mal dein Partner. Faß doch endlich neuen Mut, du kannst doch kämpfen, Mann! Versuchen wir es zusammen, wir schaffen es, Joe.«

»Du redest mit zehn Teufelszungen«, sagt Joe seufzend. »Nur, du weißt, daß ich auf meine Art kämpfe und es verdammt rauh werden kann, vielleicht sogar zu rauh für dich. Nein, ich reite besser weiter. Es hat keinen Zweck anzufangen, man muß dann immer weitermachen, immer rauher und wilder. Männer werden sich an uns hängen, die ihre Revolver für jede Summe vermieten, wenn sie nur hoch genug ist. Und wir werden sie vielleicht kaufen müssen. Nein, Junge, du weißt nicht, wo das endet, du ahnst es nicht.«

Lee rüttelt ihn leicht und sieht in Joes bitter verzogenes Gesicht.

»Um dein Recht zu finden, mußt du oft Mittel anwenden, die nicht jedem gefallen werden, Joe«, sagt er beschörend. »Du mußt hierbleiben und kämpfen. Laß Walker drei Revolverschießer schicken, wir werden mit ihnen fertig. Laß er uns Feuer über den Kopf entfachen, wir werden Wasser haben, um es zu löschen. Joe, jetzt oder nie! Wir beide haben eine gute Chance.«

»Das weiß ich alles, aber ich möchte dich nicht hineinziehen. Wenn ich allein wäre…«

»Wie oft hast du mir schon geholfen, Joe? Ich bin dein Partner und muß auch dir helfen, sieh es so. Also, bleiben wir?«

»Junge…«

Verzweifelt hebt Joe Simmons die Schultern.

»Los, Joe, du mußt es versuchen. Wir beide werden mit allem fertig. Los, fangen wir an!«

»Ja«, sagt Joe düster. »Mach mir nie einen Vorwurf, Junge, wenn es ganz hart wird. Ich muß es wohl tun, denn du würdest doch bleiben. Und allein lassen kann ich dich nicht. Gut, wir müssen uns überlegen, was wir anfangen wollen. In der Hütte sind wir nicht sicher, in der Stadt auch nicht. Trotzdem, ich müßte zuerst zum Sheriff.«

»Dann reiten wir hin, Joe. Und was wirst du ihm sagen?«

»Das, was gesagt werden muß. Wir sind vielleicht nur auf Olbrights Ranch sicher, aber ich würde lieber allein mit dir kämpfen. Lee, es wird nötig sein, daß wir uns mit Olbright einigen, obwohl mir das nicht gefällt.«

Sie reiten scharf an und erreichen kaum eine halbe Stunde später wieder die Stadt.

Joe hält hinter den Häusern an und blickt über einen Hofzaun hinweg auf die Straße. Deutlich können sie einige Männer ausmachen, die auf dem Gehsteig vor dem Saloon stehen und anscheinend eine angeregte Unterhaltung führen.

»Wetten, daß sie über mich reden?« fragt Joe dunkel. »Sie werden alle über mich reden und mich wie damals einen Mörder nennen. Lee, wir müssen zum Office kommen. Der Sheriff wird dort zu finden sein. Ich will das Gesetz in meinem Rücken haben.«

»Sicher, Joe, sicher. Wo ist das Of­fice?«

»Noch ein Stück weiter, wir kommen durch eine Gasse von hinten heran.«

Nach wenigen Augenblicken erreichen sie die Gasse. Joe reitet voraus und hält neben einem kleinen Tor in einem Bretterzaun an.

»Kein Licht. Der Bau hier ist es. Warte, wir sind gleich im Hof. Paß auf, ob jemand kommt.«

Lee Dorlan blickt sich sichernd um, aber es kommt niemand durch die Gasse. Joe Simmons steigt blitzschnell über den Zaun, verschwindet an der anderen Seite und macht das schmale Tor auf.

»Hinein«, zischelt er leise. »Wir stellen die Pferde in den Hof und warten. Schlafen wird er sicher nicht, dazu haben die Leute zuviel zu reden. Komm weiter, steig ab.«

Lee steigt ab. Sie bringen ihre Pferde in den Schatten des Schuppens und lauschen. Auf der Straße gehen einige Männer laut redend von rechts nach links, das Gehämmer eines Walzenklaviers kommt aus irgendeinem Saloon in Fetzen zu ihnen hergeweht.

»Tabe Colony ist jetzt Sheriff«, sagt Joe unterdrückt. »Früher gehörte er zu Walkers Mannschaft, aber er verstand sich nie richtig mit ihm, ich kenne ihn ganz gut. Gehen wir zum Haus, vielleicht ist die Tür offen.«

Sie gehen beide hastig über den Hof und steigen die beiden Stufen zur Hintertür des Offices hoch. Joe legt die Hand auf die Türklinke und drückt sie leicht nach unten.

»Offen«, sagt er überrascht. »Ich habe es beinahe erwartet. Wenn keiner im Jail sitzt, ist hier immer auf. Los, rein, Junge.«

»Können wir das denn so einfach?«

»Willst du jetzt noch fragen, was erlaubt ist?« fragt Joe. »Hinein, wir können aus den Vorderfenstern die Straße überblicken. Warte, ich gehe voraus.«

Sie sind gleich darauf im Office. Mattes Licht fällt durch zwei Vorderfenster und ein schmales Seitenfenster in den Raum. Undeutlich sind ein Tisch zu erkennen, ein Regal und ein Schrank, drei Stühle und ein Gewehrständer mit einer Kette, die durch die Bügel der Gewehre läuft.

Joe tritt an das Vorderfenster und blickt hinaus.

»Er wird in Lewis’ Saloon sein. Soviel ich weiß, ißt er da immer. Lewis versorgt auch die Burschen, die mal hier im Jail steckten. Teufel, wer ist das?«

»Wer, Joe?«

»Da drüben, ein halbes Dutzend Reiter. Sie kommen die Straße von rechts hoch, Lee.«

Lee steht am anderen Fenster und blickt hinaus. Dort kommen sieben Mann angeritten, ziemlich scharf, halten auf das Office zu und reißen ihre Pferde zurück.

»Da ist Tabe Colony nicht bei«, sagt Joe schnaufend und verschwindet vom Fenster. »Ich möchte wissen, wer das ist, sieht nach einer Mannschaft aus. Hinter den Schrank, schnell, schnell, Junge. Einer kommt her.«

Sie hasten hinter den Schrank, pressen sich in die Ecke und hören die harten Tritte des Mannes kommen. Dann pocht es an die Tür, die Tür geht auf und ein Streichholz wird angerissen. Licht fällt flackernd in den leeren Raum.

»Er ist nicht da, Boß«, sagt der Mann in der Tür kurz, dann erlischt das Licht, die Tür knallt zu.

Schon ist Joe wieder aus der Ecke heraus und blickt vorsichtig durch das Fenster auf die Reiter.

»Lee, das wird Stuart Olbright sein. Ich kenne ihn zwar nicht, habe ihn auch nie gesehen. Teufel, ein großer, bulliger Bursche und ziemlich rauhe Männer hinter sich. Sie reiten zu Lewis hinüber. Tatsächlich, nun steigt er ab. Seine Burschen bilden einen Halbkreis. Ah, es scheint, als seien die Dinge zwischen ihm und Ben Walker zu weit gelaufen. Junge, siehst du alles?«

Lee Dorlan kann die Männer gut sehen, aber er starrt an ihnen vorbei auf den Mann, der aus dem rechten Eingang des Saloons kommt und dem eine Frau folgt.

»Was ist?« fragt Joe forschend. »Hast du was?«

»Der Mann und die Frau«, sagt Lee nur. »Rosy Boulder. Erinnere dich an Payson, sie sang in der Stadt. Und jetzt ist sie hier. Wie, zum Teufel, kommt sie ausgerechnet… Ah, er hat eine Reisetasche und die Kutsche…«

Von rechts kommt die Mitternachtskutsche. Lee strengt seine Augen an und kann auf dem Dach Rosys großen Reisekorb erkennen. Anscheinend hat sie hier nur Station gemacht, aber er ist nicht sicher, ob sie nichts von ihm erfahren haben wird.

»Die Kutsche macht hier eine Stunde Station, Lee«, sagt Joe ruhig. »Aber glaubst du, daß sie Steve etwas sagen wird, falls sie von dir gehört haben sollte?«

»Ich bin nicht sicher. Da, sie blickt sich um, als wenn sie jemanden sucht, Joe, ist es so?«

»Ja, es sieht so aus, aber was ändert das?«

»Natürlich nichts.«

Sie können nun die sieben Männer in den Saloon gehen sehen. Drei bleiben an der Tür stehen, drei gehen voraus und stellen sich jenseits der Tür im Saloon auf.

Dann geht Stuart Olbright groß und wuchtig durch die Tür, gedeckt durch seine Männer gegen jede Überraschung.

»Ein vorsichtiger Bursche, Lee. Bestimmt will er zu Tabe Colony. Warten wir ab, wir haben Zeit. Im Office wird uns keiner suchen. Und ich bin sicher, daß Ben Walker die Hölle losläßt, um uns zu erwischen. Sie kommen nicht wieder heraus, also ist Tabe da drinnen. Warten wir.«

Es vergehen kaum zehn Minuten, dann kommen die Männer wieder heraus. Nun aber geht neben Olbright ein schlanker leicht humpelnder Mann, dessen Orden im Licht der Laterne aufblitzt.

»Das ist Tabe Colony, Junge. Sie reden ziemlich heftig miteinander, aber es sieht aus, als wenn Olbright nicht mitkommen will. Da, Tabe geht los, Olbright ruft ihm noch etwas nach. Er kommt her. Lassen wir ihn hereinkommen und stellen wir uns wieder hinter den Schrank.«

Sie huschen beide zurück, stehen reglos an der Wand und hören den Sheriff kommen. Die Tür klappt. Tabe Colony murmelt etwas vor sich hin und geht dann auf den Tisch zu. Ein Lampenzylinder klirrt leise, ein Streichholz ratscht und Licht flackert auf. Es wird hell im Office. Lee blickt Joe kurz an.

Im gleichen Augenblick hüstelt Joe Simmons und stößt sich von der Wand weg.

Mitten vor dem Tisch, gerade den Zylinder wieder auf die Lampenfassung balancierend, steht Sheriff Colony und wird steif.

»Nur keine Aufregung, Tabe«, sagt Joe trocken. »Das bin nur ich mit meinem Partner. Ich dachte… Mach erst die Laden zu, Mann.«

»Was fällt dir ein, Joe, bist du irr?«

Colony wendet sich langsam um. Er hat ein hageres, faltiges Gesicht und graue Augen, die sich durchbohrend auf Lee und Joe richten. Seine magere Brust scheint vom Gewicht des Sterns nach vorn gezogen zu werden. Sekundenlang starrt er Joe an, dann irren seine Augen ab, und seine schmalen und blutleeren Lippen bewegen sich kaum, als er tonlos sagt:

»Daran dachte ich nicht, Joe. Nun gut, ich mache die Laden vor. Curly ist euch mit Luke nachgeritten. Hm, gab es Ärger?«

»Sie schossen, aber Lee sah sie rechtzeitig, Tabe. Ich habe Curlys Pferd getroffen. Er ist auf Lukes Gaul gesprungen und mit dem entkommen.«

Tabe Colony seufzt einmal, macht die inneren Blendladen vor und tritt dann an den Tisch. In seinen Augen flackert es unruhig und seine rechte Hand spielt nervös mit einem Kartuschenboden, der hier wohl als Aschenbecher oder Briefbeschwerer dient. »Also, Joe, was willst du bei mir? Wenn du dich wieder hier niederlassen willst… Weiß dein Partner alles?«

»Ja«, sgt Joe kurz und seltsam träge. »Er glaubt mir meine Geschichte und nicht die Lügereien, die Walker über mich verbreitet hat. Tabe, besteht irgendein Grund für dich, mich einzusperren?«

»Soviel ich weiß, gibt es keinen Grund Joe, aber das kann sich ändern. Walker hatte damals eine Anzeige wegen Viehdiebstahles gegen dich erstattet.«

»Hatte man mich mit einem Rind gefunden, das seinen Brand trug, ­Tabe? Du warst damals in seinem Sattel und mußt es wissen. Ich erwarte von dir nur, daß du die Wahrheit sagst. Also, hatte man jemals ein Rind mit eurem Brand…«

»Nein«, sagt Tabe Colony mürrisch. »Keinen Beweis dafür. Bekannt ist nur, daß Ben in jener Nacht fast dreihundert Rinder gestohlen wurden und er die Diebe über euer Land verfolgen wollte. Dort stieß er auf eure Mannschaft, die ihm den Weg verlegte. Es kam zur Schießerei, während der dein Vater den Tod fand.«

»Niemand«, fährt Joe hoch, »weiß so gut wie du, daß alles nur ein Vorwand für Ben war, um sich in den Besitz unserer Wasserstellen zu setzen. Gut, die Spuren liefen über unser Land, aber sage mir, wo die Banditen einen besseren Weg finden sollten, wenn nicht den. Jedem wird einleuchten müssen, daß mein Vater, als er das Muhen von Rindern hörte, mit der Mannschaft hinausritt. Hat man diese dreihundert Rinder gefunden, Tabe?«

»Nein«, erwidert der Sheriff düster.

»Die Spuren hörten auf den Steinen auf. Gut, man hatte dich damals vedächtigt, aber keinen Beweiß gefunden. Aber der Knopf neben Morley, Joe?«

»Glaube mir, ich hatte ihn auf Bens Ranch verloren, als ich dort herumgekrochen bin. Wer immer den Knopf neben Morley gelegt haben mag, ich hatte Morley seit vierundzwanzig Stunden nicht gesehen. Gut, ich war allein, aber stand jemand dabei, als Morley starb? Sah man vielleicht mich? Zum Teufel, Tabe, jemand hat mir alles in die Schuhe geschoben, um mich aus dem Land und an einen Strick zu bringen. Und du weißt genau, wen ich meine.«

»Hör mal, Joe, Ben war die ganze Zeit zu Hause, nur sein Revolvermann war fort. Er kam dann auch nicht mehr, er hatte dich getroffen. Joe, was willst du jetzt? Soll die alte Sache wieder anfangen? Du hast sicher Olbright gesehen, wie? Nun gut, er ist hergekommen, um dich zu treffen. Weißt du, was er will?«

Joe Simmons lächelt kühl und steckt sich eine von Tabe Colonys Zigarren an.

»Ich denke, er wird mich und Lee Dorlan kaufen wollen, was?«

»Genau das, Joe. Er rechnet sich aus, daß er mit zwei Männern, die fünf von Walkers Leuten binden können, einen glatten Vorteil hat. Aber er fragt sich, ob du nicht hergekommen bist, um deine alte Weide zu erkämpfen. Joe, er meint, du könntest jede Hilfe haben, wenn du ihm genug Wasser ließest.«

Joe wechselt einen stummen Blick mit Lee und räuspert sich dann.

»Lee, habe ich es dir nicht gesagt? Wir werden Olbright einen Besuch machen und mit ihm ein Abkommen schließen. Tabe…«

Er wendet sich ruckhaft um. Alle Unsicherheit scheint nun von ihm

abgefallen zu sein. Olbright bietet

ihm also seine Hilfe an und Lee ist sicher, daß Joe bleiben und kämpfen wird.

»Tabe«, sagt Joe Simmons scharf, »hat Ben die Weide oben besetzt?«

»Ja, Joe, er hat dort genug Männer, die Olbright hat zweimal abgewiesen haben, als er seine Herde an das Wasser treiben wollte. Erinnerst du dich an Slim Cleydon?«

Lee entgeht das leichte Zusammenzucken Joes nicht. Plötzlich sind Joes Augen eiskalt und seine Lippen pressen sich heftig zusammen.

»Ist er etwa hier?«

»Ja, er hat Linky und Bob Hill mitgebracht und arbeitet seit fast einem Monat für Ben. Wenn du ihn triffst, dann wird nur einer von euch beiden die Sache überleben.«

Joe Simmons starrt einige Sekunden unbeweglich auf den Tisch. Als er dann den Kopf hebt, ist sein Gesicht wieder ausdruckslos und glatt.

»Gut«, sagt er schleppend. »Ich werde mich um Dan Erskin kümmern. Wo kann ich ihn finden?«

»Du willst…«

Der Sheriff sieht Joe verstört an und schluckt krampfhaft.

»Was hast du erwartet, Tabe? Wenn ich schon kämpfen muß, dann tue ich es auf meine Art. Nur keine Angst, du wirst keinen Ärger bekommen. Wo finde ich Dan?«

»Er wohnt immer noch bei den Clements. Joe, wenn du dein eigenes Spiel…«

»Du kannst ihm Bescheid schicken, Tabe, hast du verstanden?«

Joes Mundwinkel ziehen sich nach unten. Tabe Colony senkt langsam den Kopf.

»Well«, brummt Joe Simmons träge und wedelt Lee mit der Hand zu. »Lee, hole unsere Pferde, es ist eilig. Mach schon.«

»Sicher Joe, am Ende hast du deine Weide wieder.«

Lee Dorlan geht aus der Tür und schließt sie hinter sich. Seine Schritte verlieren sich auf dem Hof. Joe Simmons tritt mit zwei Schritten dicht an Tabe Colony heran.

»Tabe«, sagt er leise, aber mit eindringlicher Stimme. »Tabe, mein Freund, du wirst genau das tun, was ich dir sage, sonst unterhalte ich mich mit dir auf meine Art, hast du es jetzt begriffen? Du wirst Dan Erskin und seinen Freunden sagen, daß ich ihre Hilfe brauche. Es liegt nichts gegen mich vor, nur ein paar Verdächtigungen. Redest du zuviel nach meiner Meinung, dann hilft dir gar nichts mehr. Hast du mich auch genau verstanden?«

»Ja«, sagt Sheriff Colony würgend. »Ich habe dich immer verstanden. Du bist ein eiskalter, gnadenloser…«

»Freund«, vollendet Joe Simmons eisig seinen Satz. »Dies ist mein Spiel. Ich habe es begonnen und werde es auf meine Art beenden. Und du wirst noch in zwanzig Jahren hier Sheriff sein, wenn du vernünftig bist. Sonst, Tabe, könnte ich mich daran erinnern, daß mir jemand einen Revolver in dieses Jail hier schmuggelte. Und vielleicht noch an einige Dinge mehr. Verlasse dich nicht auf deinen Orden, er könnte sehr schnell in der Mitte ein Loch haben, wenn du mich von hinten anredest. Gute Nacht, mein Freund.«

Er geht zur Tür und wendet sich dort noch einmal um.

»Seltsam, Tabe«, sagt er in hämischem Ton. »Seltsam, daß man von jenen dreihundert Rindern, um die mein Vater sterben mußte, nie eine Spur fand. Und noch seltsamer, daß bei der Zählung von Old Ben Walkers Herde nicht ein einziges Hornpaar fehlte, wie? Ich könnte mir denken, daß jemand die Rinder im Bogen auf Bens Weide zurückgetrieben hat. Kann ich das, Tabe? Verzeihung, Sheriff Tabe Colony.«

Tabe Colony ist kreidebleich und stiert entsetzt auf die Tür, die hinter Joe Simmons so sacht zugeht, als wenn Simmons einen Krankenbesuch hinter sich hätte und ein lautes Türklappen den Kranken erregen könnte. Als Joe kam, gab es keinen kranken Mann in diesem Office.

Tabe Colony sinkt auf den nächsten Stuhl. Seine Knie sind plötzlich weich und sein Atem geht so keuchend, als bekäme er nur mühsam Luft. Er ist sterbenskrank.

»Du Teufel«, sagt Tabe Colony mit zitternden Lippen und stiert auf die Tür, als wenn dort der Teufel in leibhaftiger Gestalt abgefahren wäre. »Du Teufel! Du weißt viel mehr, als jeder ahnt, aber ich weiß auch einige Dinge.«

Draußen klappt das Tor zur Gasse leise, und Tabe Colony lacht laut auf.

Er lacht immer wilder und hysterischer. Und ihm ist es, als würde er an seinem eigenen Lachen ersticken.

Nach einiger Zeit reibt er verzweifelt an seinem Stern. Er macht es fahrig und immer schneller, aber anscheinend wird der Orden immer stumpfer, der Glanz auf dem Sheriffstern immer matter.

Für Tabe Colony ist der Stern auf einmal schmutzig.

*

»Was hast du mit diesem Dan Erskin gemeint?« fragt Lee Dorlan und sieht auf die schwachen Lichter voraus. »Was ist das für ein Mann?«

»Dan?« fragt Joe nachdenklich. »Nun ja, er ist ein Lump, aber er hat eine Menge Leute an der Hand, die so rauh sind, daß sie dem Teufel mitten in den Rachen springen. Mancher sagt, sie seien Banditen, aber ein paar von ihnen kenne ich. Sie sind keine. Lee, ich muß ganz sicher arbeiten können, und wenn es mit einem Haufen übler Burschen ist. Ist dir das klar?«

»Meinst du, daß wir es nicht schaffen, wenn wir Olbrights Mannschaft haben?«

»Du kennst das Rudel um Ben Walker zu wenig, Junge. Du hast doch gehört, daß Walker Slim Cleydon mit Linky und Bob Hill eingestellt hat. Das sind so ziemlich die übelsten Revolverschießer, die du zwischen Reno und Las Vegas auftreiben kannst. Slim und ich haben einmal aufeinander geschossen. Es ist lange her, aber seit der Zeit hinkt er ein wenig. Er kann das nicht vergessen, denn er ist ziemlich eitel. Wenn du ihn siehst, wirst du ihn kaum für einen der schnellsten Männer halten, die dir jemals begegnet sind.«

»Du brauchst also ein Gegengewicht«, stellt Lee gelassen fest. »Sicher ist es richtig so. Wirst du mit diesem Slim Cleydon fertig?«

»Er ist so schnell wie ich, Junge, wir stehen uns in nichts nach. Nun, es gefällt mir selber nicht, daß man alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat. Du brauchst nichts von Dan Erskin zu sagen, niemandem. Ich will diese Burschen im Hintergrund behalten, verstehst du?«

»Natürlich, Joe, du willst sie nur holen, wenn du nicht anders kannst, wie?«

»Genau das, Lee, genau das. Werden wir ohne sie fertig, dann ist es gut. Schließlich muß man sie bezahlen, aber wir haben nicht genug Geld. Es ist nur für den Notfall, Junge.«

Die Lichter vor ihnen werden größer, in der Nacht bellt eine Meute von Hunden blaffend los. Joe hält sein Pferd etwas zurück.

»Lee, laß ihn reden, verstanden?«

Lee nickt nur und sagt sich, daß Joe es genau richtig macht. Wie immer ein Kampf mit Ben Walker ausgehen mag, es ist immer besser, noch ein Rudel Männer im Rücken zu haben.

Aus der Dunkelheit vor ihnen, in der schwach das Viereck von Schuppen zu erkennen ist, kommt eine laute und grollende Stimme, die die Hunde beruhigt. Dann ruft diese Stimme, als Joe und Lee dicht am Gatter des Zaunes sind:

»Haltet an! Wer seid ihr?«

»Joe«, sagt Lee schnell und besorgt. »Bist du sicher, daß dieser Olbright nicht schießt?«

»Er wird keinen Trick versuchen, Junge. Hallo, Rancher, hier ist Joe Simmons mit seinem Partner. Wir kommen in friedlicher Absicht.«

Einen Augenblick bleibt es still, dann tauchen zwei, drei Männer auf und nähern sich dem Gatter.

»Kommt in den Hof«, bellt die grollende Stimme. »Mark, das Licht wieder an!«

Die Lampe über dem Vorbau, die erloschen war, flammt wieder auf. Ein Mann steht dort breitbeinig, ein anderer kommt unter dem Vorbaudach auf den Haltebalken zu.

Ruhig hebt Joe das Gatter an, reitet durch und hält genau auf den großen und wuchtigen Mann am Balken zu.

»Hallo, Olbright«, sagt Joe kühl. »Ich dachte, wir sollten einen Besuch machen. Vielleicht stehen da noch ein paar Dinge an, wie?«

Olbright steht unter der Laterne. Er hat leicht ergrautes Haar, ist breit und groß und sieht sie aus harten Augen an.

»Das ist also Simmons«, sagt er tief. »Nun, Mister, was soll dieser Dorlan hier? Ist er dein Partner? Ich dachte, du hättest ihn nur angeworben?«

»Er ist mein Partner, Olbright, und er bleibt auch. Kann ich absteigen?«

»Von mir aus.«

Olbright starrt ihn aufmerksam an, blickt dann zu Lee und tritt zur Seite. Drei seiner Männer stehen so, daß sie zu jeder Zeit Lee und Joe erwischen können.

Ruhig steigt Joe ab, gibt Lee die Zügel, der beide Pferde anbindet und Joe dann auf den Vorbau folgt.

»Du kennst dich hier ja aus«, sagt Olbright mit einem gewissen Unterton. »Ich habe nicht viel an diesem Haus verändert.«

»Kann sein«, erwidert Joe kalt und geht an ihm vorbei auf die Haustür zu. »Olbright, wollen wir nun reden oder willst du alte Dinge zur Sprache bringen?«

»So meine ich das nicht, Simmons. Gehen wir ins Haus.«

Er läßt Joe vorgehen, biegt im Flur nach links ab und stößt die Tür zu einem Zimmer auf. Ein schwerer Schreibtisch, ein paar Stühle und ein Lehnsessel, wenige Regale mit Büchern und ein breiter Schrank. An der Wand lehnt ein schlanker und schwarzhaariger Mann mit kalten Augen und blickt ausdruckslos an Lee vorbei auf Joe.

»Das ist Don Bennet, Simmons, kennt ihr euch?« fragt Olbright kurz und läßt sich in seinen Lehnsessel fallen. »Seitdem dieser Narr da drüben Cleydon hat, mußte ich mich auch etwas vorsehen.«

»Hallo, Bennet, habe von dir gehört«, sagt Joe schleppend, und der Revolvermann an der Wand hebt lässig die Hand.

»Ich auch von dir, Simmons. Bist du immer noch so schnell?«

»Es reichte, um fünf Mann in Schach zu halten.«

»Das sagt nicht viel. Und der Junge dort?«

»Ich würde ihn besser nicht so nennen«, erwidert Joe warnend. »Bennet, gegen ihn bist du zu langsam, sieh dich vor.«

»Keinen Streit«, sagt Olbright hastig. »Daß unter Revolvermännern ewig Streit darüber sein muß, wer von ihnen schneller sterben will. Sei friedlich, Bennet. Setzt euch doch, Leute. Also, Simmons, du bist wiedergekommen. Es war schon ein paar Tage ziemlich unruhig, wir wußten nur nicht, weshalb Walker seine Männer durch die Gegend jagte. Nun gut, jetzt wissen wir es.

Simmons, machen wir es kurz. Wenn du in diesem Land bleiben willst, dann wärest du ein Narr, zu glauben, daß du irgendwo sicher bist – außer hier auf der Ranch. Außerdem haben wir dieselben Interessen. Hast du mit Colony gesprochen?«

»Ja, Olbright, ich hatte denselben Gedanken. Mit uns kannst du Ben Walker von den Wasserstellen jagen. Wir arbeiten beide ohne Lohn. Müssen wir noch lange darüber reden?«

Olbright lehnt sich zurück und sieht Joe unter den dichten Brauen hervor forschend an.

»Das brauchen wir nicht, Simmons«, sagt er kurz. »Ich möchte nur sicher sein, daß ich, wenn wir Walker dort vertreiben können und du wieder auf deinem Land sitzt, von dir genug Wasser bekomme. Kannst du das versprechen?«

»Absolut«, bestätigt Joe knapp. »Du bekommst Wasser genug. Wie willst du Walker angreifen?«

»Ich werde ihn mit all meinen Männern packen und hinter die Quellen zurückjagen. Leistet er Widerstand, dann muß ich ihn brechen. Ich warte nur noch auf einige Burschen aus Tonopah, die mit einigen Rindern von mir dorthin unterwegs sind. Sie müssen jeden Tag zurückkommen. Bis dahin halten wir still.«

»Gut«, erwidert Joe. »Olbright, ich habe noch einige Dinge zu erledigen und muß vielleicht zwei oder drei Tage unterwegs sein. Es gibt hier einen Mann, der genau weiß, wer damals Morley umgebracht hat. Diesen Mann will ich finden.«

Olbright, der sich bedächtig eine Zigarre anschneidet, erstarrt und hält das Federmesser still. Don Bennet an der Wand richtet sich steil auf und sieht Joe bestürzt an. Selbst für Lee ist es eine Überraschung.

»Joe, was ist das?« fragt Lee Dorlan erstaunt. »Du behauptest, daß es einen Mann gibt, der den wahren Mörder Morleys kennt? Warum hast du nie darüber gesprochen?«

Joe Simmons steht langsam auf und schiebt den Stuhl zurück. Seine brennenden Blicke erfassen zuerst Lee und wandern dann zu Olbright weiter.

»Mir ist das erst vorhin eingefallen«, sagt er ruhig. »Damals arbeitete Linky Hill auch schon für Walker. Er und seine Freunde müssen gewußt haben, mit welchem Auftrag Walker seinen besten Mann hinter Morley herschickte. Es war der Mann, den ich später erschoß, aber er hatte eine Menge Freunde. Einer von ihnen muß etwas wissen, das fiel mir vorhin ein. Vielleicht sollte ich mich nach ihm umsehen.«

»Wen meinst du? Kenne ich ihn?« fragt Olbright hastig.

»Ich glaube«, sagt Simmons kühl. »Sicher, ich glaube schon. In zwei Tagen bin ich wieder zurück, Lee. Du bleibst hier und achtest mit den anderen auf Walker. Tut mir leid, Lee, aber ich kann dich dabei nicht gebrauchen, das ist ganz allein meine Sache.«

»Joe, zwei Mann sehen mehr als einer. Warst du darum auf dem Weg hierher so nachdenklich? Wer ist

es?«

»Denke nach, dann wirst du es wissen, Junge, aber wenn du es weißt, dann halte den Mund. Ich muß schnell weg, der Bursche weiß, daß ich hier bin und verschwindet vielleicht.

Olbright, wenn du in die Stadt reitest, dann nimm Lee Dorlan mit. Er ist so schnell, daß du mit ihm allein reiten kannst. Leute, ich habe es eilig, tut mir leid.«

»He, und wenn sie dich unterwegs erwischen? Mann, du kannst doch nicht einfach durch die Gegend reiten«, sagt Olbright. »Ich dachte immer, du hättest Morley…«

Joe Simmons wendet sich um und blickt ihn düster an.

»Das glauben fast alle«, sagt er tonlos. »Und darum wird es Zeit, daß ich einige Dinge aufkläre. Verdächtigt ist jemand schnell, so ist das nun mal, Olbright.«

Er dreht sich der Tür zu und geht hastig hinaus. Lee steht auf, rennt ihm nach und sieht ihn schon draußen auf den Schwarzen springen.

»Joe, sieh dich vor. Soll ich nicht doch lieber…«

»Bleibe hier und warte. Niemand erwischt mich, Junge. Paß auf, wenn ich wiederkomme, dann…«

Und sein Pferd stürmt an.

Lee Dorlan sieht ihn durch das offene Gatter preschen und in Richtung auf die Stadt zu verschwinden.

Großer Lord, denkt Lee bestürzt, wen kann er meinen? Wir haben es nur mit Walkers wildem Rudel zu tun gehabt, mit niemandem sonst – mit niemandem? Er sieht plötzlich das Gesicht des Sheriffs vor sich, die Unsicherheit und die verstohlene Angst, die Lee nicht verborgen blieb.

Tabe Colony, sagt sich Lee Dorlan bestürzt. Er hatte Angst vor Joe, und er war bei Walkers Mannschaft, als der Mord an Morley geschah. Nun weiß ich es. Joe hat es auch bemerkt und ist hin. Er wird einige Fragen an den Sheriff haben. Warum sollte Colony nicht wissen, was Walker seinem Revolvermann gab, damit Morley verschwand? Alle Teufel, Joe hat doch gesagt, die Idee sei ihm erst vorhin gekommen, dann ist es also bei Colony gewesen.

Er beschließt, den Mund zu halten und dreht langsam um. Schleppend geht er ins Haus zurück und bemerkt Don Bennet, der an der Tür zu Olbrights Zimmer lehnt und sie mit seinem Körper beinahe versperrt. Der Revolvermann zieht grinsend die Oberlippe hoch und starrt ihn aus seinen kalten Augen an.

»Bist du wirklich so schnell?« fragt er monoton.

Lee sieht ihn nur an und läßt dann seine rechte Hand fallen. Bennet bewegt sich rasend schnell. Olbright im Zimmer stößt einen heiseren Ruf aus und springt auf.

Lee Dorlan aber hat seinen Revolver schon hoch und die Hammerspitze mit dem Daumen zurückgezogen.

Er blickt kalt und ruhig mitten in Bennets Augen und sieht aus den Augenwinkeln, daß Bennet seinen Revolver noch nicht halb gezogen hat.

»Geh da rein, Mister«, sagt Lee sanft. »Und versuche das nicht wieder, du könntest sonst erleben, daß ein Revolver aus Versehen losgeht. Weißt du es jetzt?«

Bennet sagt keinen Ton, er blickt nur in die harten und hellen Augen Lees und dreht sich schweigend um.

»Nun?« fragt Olbright. Lee begreift plötzlich, daß Bennet nur auf Olbrights Anweisung gehandelt hat. »Wie schnell ist er, Don?«

»Schnell«, erwidert Don Bennet, und nun klingt seine Stimme nicht mehr monoton und gleichgültig, sie kratzt leicht. »Zu schnell für jeden Mann, den ich gesehen habe, Boß. Dieser Junge ist das reinste Gift.«

»Er wird es sein«, murmelt Lee trocken, »wenn du mich weiter einen Jungen nennst, Bennet. Kann ich etwas zu essen bekommen, Olbright? Und dann würde ich Bennet niemals wieder eine Probe dieser Art machen lassen, mein Freund.«

Olbright kaut auf seinem kurzgeschnittenen Schnurrbart und nickt.

»Zeige ihm sein Zimmer«, sagt

er zu Bennet. »Dorlan, du kannst oben essen, du mußt nur zur Stelle sein, wenn ich dich brauche. Willst du nicht doch ganz für mich arbeiten?«

»Ich habe einen Partner, Mister. Reicht das?«

Der Rancher zuckt die Achseln und Bennet geht an Lee vorbei die Flurtreppe hoch. Er bringt ihn zu einem Zimmer, starrt eine halbe Minute von der Tür aus auf Lees Revolver und geht dann schweigend hinaus.

Lee ist allein und setzt sich auf den Stuhl am Fenster. Von hier aus kann er auf den Hof sehen. Jemand raucht drüben an der Stallecke, ein anderer geht zu den Schuppen und verschwindet in der Dunkelheit.

Erst die Schritte auf dem Flur und der Treppe erinnern ihn an sein Essen. Ein kleiner, magerer Mann kommt herein. Er bringt nur kaltes Fleisch und Brot, aber der Kaffee dampft in der Kanne. Lee beachtet er gar nicht, schlurft zum Tisch, stellt das Tablett hin, dreht sich um und schlurft wieder zurück.

»Moment, Alter«, sagt Lee plötzlich. »Bist du stumm oder bist du der Koch hier?«

»Der Koch, Dorlan.«

»Schon lange hier?«

»Zwanzig und ein paar Jahre.«

Lee hebt rasch die Hand. Der Alte hält vor der Tür an und wendet seinen raubvogelartigen Kopf zurück. »Warst du auch unter Morley hier Koch?«

»Ich denke so, Dorlan.«

»Nun, dann bist du also auf der Ranch gewesen, als Morley erschossen wurde. Und wer, mein Freund, hat es deiner Meinung nach getan? Joe Simmons, wie die Leute sagen?«

»Joe Simmons? Was sollte er für einen Grund besessen haben, Dorlan? Nein, ich glaube nicht.«

»Wer dann, Alter?«

»Weiß ich das? Ich war immer nur der Koch hier. Die Morleys haben Joe nicht gut behandelt, das Mädel auch nicht. Ich weiß nicht, wer Morley erschossen haben soll. Kann ich jetzt gehen? Mich kümmert hier nichts, ich gehe meiner Arbeit nach.«

»Gleich, Alter, gleich. Weshalb hat das Mäddel Joe schlecht behandelt?«

»Er hat wohl annehmen müssen, daß sie ihn liebte, aber es war nicht so, Dorlan.«

Er bewegt sich unruhig und sieht an Lee vorbei.

»Das hat Joe mir schon gesagt. Und du hast keinen Verdacht?«

»Man hat viel geredet, Dorlan. Was immer Joe getan hat, aber er besaß keinen Grund, Morley zu erschießen. Von hinten schoß Joe niemals. Genügt dir das?«

»Vielleicht, mein Freund, was hat Joe denn sonst getan?«

»Joe – ich weiß nichts.«

Lee steht langsam auf und geht auf ihn zu. Der Alte weicht an die Tür zurück und sieht ängstlich an ihm vorbei auf das Fenster.

»Nun, was hat Joe Simmons sonst getan?«

»Ich weiß nichts, Dorlan, die Leute reden. Ich kann nur sagen, was die Leute reden.«

»Und was reden sie?«

»Ich habe es vergessen, wirklich, ich…«

Lee streckt langsam die Hand aus und packt ihn vorn an seinem kragenlosen Hemd.

»Vielleicht fällt es dir doch noch ein. Hast du Angst, daß ich es Joe erzähle?«

Der Alte nickt heftig und sieht zu Boden.

»Mister, du sagst ihm nichts?«

»Nein, Alter. Also, was hat er sonst getan?«

»Er war allein, als sie ihn stellten, aber er kann nie allein gewesen sein, wenn er ritt. Sie fanden eine Menge Spuren im Tal, nachdem sie ihn gestellt hatten. Und er blieb dabei, daß er allein war, trotz der Spuren. Dorlan, mancher hier meint, daß er auch heute noch eine Menge Freunde hat. Es gibt immer noch Viediebe hier…«

Er verstummt erschrocken und zittert vor Schreck über seine zu hastig ausgestoßenen Worte.

»Du meinst also, daß Joe mit Viehdieben zusammengearbeitet hat? Rede Mann, ich erzähle es Joe nicht.«

»Ich weiß es nicht, Dorlan, ich weiß es wirklich nicht. Die Leute reden viel. Ich habe Joe auch nie mit den Leuten aus den Bergen zusammen gesehen. Erzähle ihm nichts, er wird sonst wild und dann kennt er sich selbst nicht mehr. Nichts erzählen, Dorlan, bitte…«

»Schon gut«, sagt Lee bitter und läßt ihn los. »Geh jetzt, ich habe dich nichts gefragt.«

Der Alte torkelt hinaus, Lee geht zum Tisch zurück. Dort setzt er sich hin und muß plötzlich an jenen Dan Erskin und Joes eigene Worte denken. Was ist, wenn Joe damals die Viehdiebe kannte und sich mit ihnen gegen Walker verbündete? Es ist dieselbe Situation wie heute. Joe und Viehdiebe, er hat es nicht ganz zugegeben, aber ungefähr.

Lee Dorlan ißt mißmutig und beschließt, Joe offen zu fragen, sobald er wieder zurück ist.

*

»Ich verstehe das nicht«, sagt Stuart Olbright bissig und sieht Lee Dorlan an. »Dorlan, außer eine Nachricht, daß er erst in zwei Tagen kommen könnte, hat Joe nichts von sich hören lassen. Keiner hat ihn gesehen und niemand weiß, wo er steckt. Erwischt können sie ihn auch nicht haben, Walker würde sonst seinen Triumph in alle Welt schreien, daß er ihn endlich hat. Wo, zum Teufel, treibt sich dein Partner herum?«

»Weiß ich das?« fragt Lee und blickt auf die Stadt unter ihnen, von der sie keine Meile mehr entfernt sind. »Stuart, was immer Joe macht, er wird genau wissen, was für ihn richtig ist. Erwischt haben sie ihn nicht, da bin ich sicher.«

»Zum Teufel, was für ihn richtig ist, hast du genau getroffen, Dorlan«, knurrt der Rancher. »Ich habe meine Männer zusammen, ich brauche nur auf Joe zu warten. Und wer nicht kommt, ist er. Sucht nach zehn Jahren nach dem Mister, der ihm den Mord an Morley in die Schuhe geschoben hat. Das ist doch Wahnsinn. He, Bennet, was sagst du?«

Bennet, der am Vormittag die siebzehn Meilen mit drei Mann und Lee zur Stadt aufgebrochen ist, in der der Rancher wegen seiner Rinder verhandeln will, zuckt die Achseln.

»Ich habe genug von Joe gehört, um mich über nichts, was er macht, zu wundern«, erwidert er monoton. »Er wird schon kommen, wenn es an der Zeit ist.«

»Das sagst du«, brüllt der Rancher wütend. »Ich kann gegen Walker losschlagen, meine Männer stehen und warten, nur Joe kommt nicht. Dabei muß ich ihn haben, wenn Slim Cleydon auf Walkers Seite kämpft. Slim ist mindestens so gut wie Joe. Sie sagen, daß er verbissen geübt haben soll, um Joe eines Tages das lahme Bein zurückzuzahlen. Verdammt, ich explodiere noch. Dorlan, kennst du Cleydon?«

»Keine Ahnung, wer das sein soll«, erwidert Lee träge. »Vielleicht ist er schnell, aber es wird immer wieder jemand geben, der noch schneller ist als er. Mach dir um Joe keine Sorgen, Olbright, er wird schon kommen.«

Stuart Olbright flucht heiser vor sich hin. Sie lassen ihn fluchen und haben ihn wie immer zwischen sich. Sie kommen an der Schmiede vorbei, dann erreichen sie den ersten Store, und Bennet sagt schleppend und gleichmütig:

»Boß, die Leute starren uns verdammt seltsam an und bleiben stehen. Hat das etwas mit Joe zu tun?«

Nun fällt es auch den anderen auf, daß alle Leute stehenbleiben. Einige laufen sogar, als brächten die fünf Reiter um Stuart Olbright die Pest in die Stadt, in Toreinfahrten und Hausflure.

Unter den Gehsteigdächern halten Männer an, aber erst am General­Store von Humph Massoni bekommt die Bewegung der Menge eindeutig Fluchtcharakter.

Alles, was dicht am Store ist, hastet weg und gibt den Blick auf einen Wagen frei, neben dem ein Pferd angebunden ist.

Stuart Olbright zieht sein Pferd jäh zurück und hält so ruckhaft an, daß einer seiner Männer hinter ihm beinahe auf sein Pferd prallt und leise flucht.

Und dann sagt Stuart Olbright nur ein Wort:

»Cleydon!«

Aber dieses Wort allein genügt, um bei allen Männern andere Wirkungen zu erzielen.

Bennet sitzt jäh erstarrt und tödlich erschrocken im Sattel. Die anderen sehen sich bestürzt und mit einem furchtsamen Ausdruck an.

Nur Lee Dorlan fühlt sich in jene Ruhe, die ihm eine gewisse Gleichgültigkeit verleiht.

»Na und?« fragt er ruhig.

»Teufel, er wird nicht allein sein«, keucht der Rancher erschrocken. »Bennet, was ist, wenn er auf uns losgeht?«

Bennets Gesicht ist voller Unruhe. Er versucht sich zu beherrschen, aber er schafft es nicht. Einmal hat er Slim Cleydon schießen sehen. Und seit dem Tag weiß er ganz genau, daß er um Sekundenbruchteile zu langsam gegen ihn ist.

»Er wird gegen mehrere Männer nichts versuchen«, sagt er heiser und nicht mehr ganz so monoton. »Boß, wenn…«

Danach sagt er nichts mehr, sondern blickt nach links. Sein plötzliches Schweigen sagt genug, denn dort und nicht vor dem Store steht Slim Cleydon auf dem Vorbau von Lewis Saloon und schiebt sich langsam den Hut in die Stirn.

Vor und neben ihm aber laufen die Leute weg, wie von panischer Angst getrieben. In den Gesichtern der Begleiter von Olbright liest Lee Dorlan eine Menge Furcht. Er muß lächeln und sagt trocken:

»Wenn er etwas will, dann wird er sich schon melden, Vielleicht reiten wir weiter, wie? Es ist doch nicht mehr weit bis zum Viehverkaufsof­fice.«

»Gerechter Himmel, der eiskalte Halunke«, keucht der Rancher zwischen den Zähnen. »Reitet weiter, seht nicht hin. Er grinst, dieser…«

Lee dreht als einziger den Kopf zu ihm und betrachtet Slim Cleydon neugierig. Ein großer, hagerer Mann mit einer scharfen Raubvogelnase, stechenden, dunklen Augen und in der Mitte über der Nasenwurzel zusammengewachsenen Brauen. Das Gesicht gewinnt dadurch einen geteilten Eindruck, als gehörte die Stirn nicht mehr zu Wangen und Kinnpartie.

Cleydon bleckt seine Zähne und Lee sagt sich, daß er selten so kräftige und weiße Zähne gesehen hat. Dann trifft ihn Cleydons Blick und die ganze Stadt hält den Atem an, als Lee Dorlan mit zwei Fingern an seinen Hut tippt und niemand sonst als Cleydon grüßt. Daß er dabei auch noch grinst, das ist eine andere Sache.

Und daß Cleydon sein Lächeln verliert, als er Lee Dorlan grinsen sieht, das ist wieder eine andere Sache.

Cleydons Augenbrauen ziehen sich zusammen, sein Blick ist stechend scharf.

»Reiz ihn nicht«, sagt Stuart Olbright leicht schrill. »Er ist ein wandelndes Pulverfaß. Und wenn er einmal losgelassen ist, dann hält ihn keiner mehr auf. Joe hat das einmal tun können, aber er besaß mehr Glück als Verstand. Dorlan, bist du irr?«

Lee Dorlan blickt sich nach dem gefürchteten Revolvermann um und grinst immer noch.

»Tatsächlich«, sagt er dann – und Steve Dorlan würde es niemals besser und gleichmütiger sagen können – »ich fürchte, wenn er den Hut abnimmt, dann bleibt seine Stirn und alles, was dazugehört, im Hutinnern kleben. Du hast doch nicht etwa Angst vor diesem Burschen, Stuart?«

Sie sind schon am Rinderoffice und müssen absteigen. Und genau das ist der Augenblick, in dem sich drüben Slim Cleydon in Bewegung setzt und schräg über die Straße auf sie zukommt.

»Er kommt«, sagt Bennet mit einem Kloß in der Kehle. »Alle guten Geister, Boß, er kommt.«

»Das sehe ich«, sagt Lee trocken.

»Nun, Held, nimm deine Revolver und zeige ihm, daß er auch auf dem anderen Fuß humpeln kann. Willst du etwa nicht? Du wirst doch für deinen Job bezahlt.«

»Ich habe ihn einmal schießen sehen«, sagt Bennet und bleibt dicht an Olbrights Seite, der nun auch abgestiegen ist. »Lee, er ist zu schnell für mich. Ich habe keine Chance, er erwischt mich einen Atemzug früher.«

»Dann werde ich ihm antworten, wenn es dir recht ist, Stuart.«

Lee sieht Olbright kurz an, grinst immer noch und sieht die Blässe in Olbrights Gesicht.

»Ja, ja, aber verteilt euch besser, er kommt genau her«, japst Stuart mühsam. »Gegen alle wagt er es nicht, aber gegen einen. Er fordet immer nur einen, das ist seine Gewohnheit. Lee, er erschießt dich, paß auf, laß dich in nichts ein.«

Lee Dorlan blickt über die Straße auf Cleydons lange Beine, die durch den Staub gleiten. Cleydon zieht das linke Bein tatsächlich schwerfällig nach. Er geht darum etwas ruckhaft und wie aufgezogen. Lee erinnert sich in dieser Sekunde an die Spieluhr auf dem Kamin Steves, deren Figuren jede volle Stunde aus einer Tür marschieren und sich auch so ruckhaft bewegen.

Hinter ihm ziehen sich die Männer auseinander, Bennet ist links von ihm. Sie haben Stuart zwischen sich, wie es sich für Aufpasser gehört.

Cleydon ist noch etwa vierzig Yards entfernt und geht staksig und fest auf sie zu, als am Store, dessen Gehsteig­ende menschenleer ist, eine heftige Bewegung an der Tür entsteht.

Sofort dreht Lee den Kopf herum und lächelt nun nicht mehr so auf die grinsende Tour.

Aus der Tür kommt ein Mädchen mit platinblonden Haaren und einer Tasche unter dem Arm. Sie mag zwanzig Jahre alt sein. Ihr Haar ist hochgesteckt, sie trägt eine sattgrüne Bluse und einen rotschwarzen gemusterten Rock, dazu halbhohe Stiefel, die verziert sind.

Dann kommt auch schon ihre Stimme auf und schwingt glasklar über die Straße hinweg.

»Cleydon!«

Slim Cleydon bleibt wirklich stehen und wendet sich ihr langsam zu. Hinter Lee sagt Olbright schneidend:

»Liz Walker, aber sie wird ihn nicht aufhalten können.«

»Lady?« fragt Cleydon kurz.

»Cleydon, keine Schießerei, verstanden?«

»Ich habe es gehört, Lady, aber verstanden…«

Cleydon dreht sich wieder um und geht weiter, als wäre sie gar nicht da.

»Cleydon, mein Vater schmeißt dich raus, wenn du nicht augenblicklich gehorchst!«

Nun bleibt Cleydon doch stehen und sieht sie kühl und mit bleckenden Zähnen an.

»Lady«, erwidert er leicht spöttisch. »Ben wird sich lieber aufhängen, als mich zu entlassen. Ich habe mit diesem Jungen da zu reden. Und das tue ich auch. Außerdem nehme ich nur Befehle von Ben an. Das ist alles, wenn Sie sich das merken wollen.«

Damit hat er genug gesagt. Die Lady stampft wütend mit dem Fuß auf, stellt ihren Korb hin und will los, als Lee zwei Schritte macht und mit seinem immer noch jungenhaften Lächeln ruhig sagt:

»Miss Walker, einen Augenblick. Mischen Sie sich da nicht ein. Wenn ein Narr sich schießen will, dann macht er es. Ich werde ihm nur sein anderes Bein noch ankratzen.«

In Cleydons Augen ist jäh ein wildes und bösartiges Flimmern. Mit nichts kann man ihn mehr ärgern, als mit der Erwähnung seines linken Beines.

»Du Greenhorn«, sagt er grollend. »Ich werde dich hinter die Schürze deiner Mutter jagen. Jetzt habe ich genug. Erst grinst du mich höhnisch an und dann – ich komme schon, warte.«

»Cleydon, wenn ihr euch schießt…«

»Ach, halten Sie doch den Mund!« knurrt Cleycon wütend.

Und damit geht er weiter.

Lee Dorlan schüttelt sanft den Kopf und winkt einmal mit der Hand nach hinten, damit Olbright und Bennet aus der Schußlinie gehen. Er macht noch drei Schritte, bleibt dann stehen und lächelt entschuldigend das Girl an, das ihm sogar gefällt, obwohl er an ihren Vater und dessen Gemeinheiten Joe gegenüber denken muß.

»Lady, dafür entschuldigt er sich gleich noch.«

»Mensch, du Zwerg, ich blase dich auf den Mond!«

Cleydron kocht, Lee Dorlan lächelt schmal und gefährlich.

»Mister«, sagt er träge und spricht nun genau wie Joe. »Wenn du dich weiter so aufbläst, wirst du noch eher auf dem Mond landen, als du dir träumen läßt. Ich habe keine Lust, mich mit dir zu schießen, aber wenn du es nicht anders haben willst, dann gut. Ich bin noch nie weggelaufen.«

»Dorlan, mach keinen Fehler«, sagt Stuart hinten. »Er ist wütend, dann schießt er auch ohne lange Vorrede. Junge, laß das sein, du kennst ihn nicht.«

Sicher hört Cleydon ihn auch, vielleicht grinst er darum etwas selbstgefällig.

»Ich kenne diesen Hinkefuß ganz genau«, eriwdert Lee trocken. »Auf eine Art erinnert er mich an ein Pferd, so prächtig große Zähne hat er. He, Cleydon, nimm einen Rat an: schwing dich auf dein Pferd und reite schnell weg, du wirst sonst ganz lahm sein und auf Krücken gehen müssen.«

Cleydon wird kreideweiß und beißt die Zähne zusammen. Und es gibt Leute, die seine Zähne knirschen hören wollen.

»Junge, ich schieße dich tot«, sagt er mit fürchterlichem Ernst. »Das hat mir noch niemand gesagt. Zieh, ich warte!«

»Soll ich einen Vorteil nehmen, wenn du einen brauchst?« erkundigt sich Lee gedehnt. Seine linke Hand schwebt dabei über dem linken Revolver, während die rechte etwas höher sitzt, und er sicher ist, daß Cleydon ihn nun für einen Trickser hält, der rechts schießen wird, links aber trickst. »Wenn du nicht zu feige bist, dann ziehst du zuerst. Du bist doch hergekommen, wie? Ich sehe schon die Leute lachen, wenn du zu langsam…«

Genau das hat ihm der alte Sam Hondo und später auch Joe immer wieder gesagt: Merkst du, daß dein Gegner wütend ist, dann reize ihn noch mehr. Und dann schnappe mit der Hand herunter, als ob du ziehen willst. Es muß aussehen, als wenn du bluffst, aber du darfst nicht bluffen. Du mußt sofort nachgreifen und den Revolver ziehen, so schnell du kannst.

Jetzt bewegt er die linke Hand einmal schnappend und sieht Cleydon keine 15 Yards vor sich.

Cleydon zuckt nun auch, aber als seine Hand nach unten klatscht, ist Lee Dorlans Bewegung schon ein Stück weiter. Nach dem kurzen Zucken kommt der Bruchteil einer Sekunde, in dem die rechte Hand zuzugreifen scheint. Aber dann ist es doch die Linke, die rasend schnell den Colt erreicht, während die Rechte quer über die Hüfte schießt und flach ausgestreckt in der Luft stehenbleibt.

Lee Dorlan, dessen Begabung für einen Schuß von der Hüfte aus Joe genau erkannte, scheint rechts schießen zu wollen und trickst nun Cleydon aus.

Blitzschnell drückte Lee den Kolben seines alten Eagle-Revolvers nach hinten, seine rechte Hand aber schlägt einmal von vorn nach hinten über den Hammer des Revolvers hinweg.

Und dies ist die Sekunde für Lee, in der er genau weiß, daß er niemals so schnell gewesen ist.

Cleydon hat seinen Colt knapp aus dem Halfter, als Lees Revolver brüllend kracht und Cleydon zugleich einen wilden und schmerzhaften Schrei ausstößt.

»Das rechte Bein, du Narr«, sagt Lee fauchend und dreht sich leicht nach links. »Hatte ich es gesagt?«

Slim Cleydon stürzt wie von einem Axthieb gefällt zu Boden und rollt sich sofort herum. Sein Bein ist getroffen worden. Er hat keine Chance aufzustehen, aber kauern kann er. Aus seiner Rolle nach rechts reißt er das linke Knie hoch. Der Schwung befördert ihn hoch, er kniet und hat den Colt hoch.

Der Staub ist vor ihm wie ein Schleier. Lee sieht ihn trotzdem gut genug und schlägt mit der Rechten noch einmal über den Hammer.

Die beiden Schüsse fallen fast zugleich und jedem, der den Kampf sieht, ist mit einem Schlage klar, daß Lee Dorlan Cleydon glatt erschießen konnte, ehe er ganz kniete.

Haarscharf über Lee hinweg, so daß er den Luftzug zu spüren glaubt, zischt die Kugel fauchend in das Blau des Himmels.

Drüben aber kommt Cleydons rechte Hand immer höher, der Colt zeigt in den Himmel, Cleydons rechte Schulter färbt sich. Dann ächzt der Revolvermann einmal hörbar und fällt um. Seltsam verdreht bleibt er am Boden liegen.

Lee Dorlan aber steht leicht zusammengeduckt da und dreht sich von rechts nach links.

»Ist da noch jemand?« fragt er eiskalt. Dabei gleiten seine hellen Augen über die Gehsteige hinweg, erfassen jeden Mann. »Dieser Narr, ich wollte ihn nicht umbringen. Bennet, geh hin und sieh nach, die zweite Kugel muß in seiner Schulter sitzen.«

Bennet stiert ihn wie einen höllischen Geist an, bewegt die Lippen und endlich auch die Beine. Dann stolpert er los, kommt laufend bei Cleydon an und bückt sich nach dessen Colt, der einen Fuß vor Cleydons Hand liegt.

»In die rechte Schulter«, sagt Bennet. »Und das rechte Bein, du hast ihn mitten durch den Unterschenkel geschossen, Dorlan.«

Lee Dorlan sagt gar nichts, er klappt seinen Colt auf, stößt die beiden leeren Hülsen aus und steckt zwei neue Patronen in die Trommel. Nun geht er los, erreicht Cleydon und behält den Colt in der linken Hand.

Von rechts kommt Tabe Colony angerannt, bleibt aber stehen, als Lee leicht den Colt hebt und kurz zu ihm hinsieht.

Auf den Gesichtern der Leute spiegelt sich nackte Furcht. War Joe Simmons schon ein schlimmer Schießer zu seiner Zeit, dann ist Cleydon noch wilder. Und dieser Junge hat Cleydon glatt niedergschossen, etwas, was niemand für möglich gehalten hat. Sie alle haben Lee Dorlan für einen Maulhelden gehalten.

Leichenblaß steht Liz Walker vor dem Store. Sie starrt auf den besten Mann ihres Vaters und auf Lee.

Dann stöhnt Cleydon auch schon, zieht das linke Bein an und wimmert leise. Er ist aber augenblicklich still, nachdem er die Augen aufmacht und Lee über sich erkennen muß.

»Mister«, sagt Lee singend. »Es fehlt noch etwas. Du mußt dich jetzt entschuldigen. Tust du es nicht, dann bekommst du deinen Colt zurück und eine Kugel dazu. Willst du dich jetzt bei der Lady entschuldigen, Cleydon?«

»Ich werde… Verdammter Junge, ich werde…«

»Gib den Revolver her, Bennet, er möchte sterben.«

»Also gut, ich entschuldige mich, Lady und…« fällt zusammen und Lee dreht sich langsam um. Sein Colt wirbelt einmal um den Zeigefinger und landet dann im Halfter. Dann greift er an seinen Hut, nimmt ihn kurz ab und sagt träge:

»Lady, er hat sich entschuldigt. Tut mir leid, daß er nicht besser war.«

Er dreht sich um und geht los. Niemand sagt etwas.

Und der Mann, der auf seinem schwarzen Pferd hinter dem Schuppen der Overland hält, denkt mit funkelnden Augen:

Das wußte ich, aber für so schnell habe ich dich nicht gehalten, Lee. Junge, jetzt wollen wir sehen, was dieser Narr Olbright macht. Ich wette, er verliert seinen Kopf.

Dann zieht Joe Simmons sein Pferd zurück, denkt noch eine Sekunde daran, daß der Reiter Olbrights, den er traf, ihm von dem heutigen Besuchstermin erzählte. Er denkt weiter an jemanden auf der Walker-Ranch, der einen Zettel für Slim Cleydon mit auf den Weg nahm.

So ist das, denkt Joe Simmons nachdenklich, und sein Lächeln danach kommt zufrieden und breit. Da hat Cleydon ganz umsonst auf mich gewartet. Seltsam, wie man alles tun kann. Als hätte ich ihnen Fäden um die Beine gebunden und brauchte nur zu ziehen, um sie hampeln zu sehen. Das hat mein Vater auch schon immer gesagt. Joe, hat er gesagt, du hast einen zu schlauen Kopf, du denkst für mich und alle anderen. Sei nie zu schlau, Junge.

Joe Simmons verschwindet zwischen den wenigen Bäumen und Büschen in der Senke und lenkt sein Pferd dann nach Osten hin.

Hier biegt er in das Tal des Stillwater ein und stößt wenig später auf die frische Fährte von sechs Pferden.

Er schlägt den nächsten Haken und prescht in ein Tal.

Dort halten sechs Pferde. Sechs Männer sitzen rauchend in den Sätteln.

»Nun?« fragt Dan Erskin und wechselt seine Zigarre von der linken in die rechte Mundseite. »Ist jemand umgefallen?«

»Freunde«, ruft Joe und nimmt seinen Hut ab. »Soeben hat Lee Dorlan dem prächtigen Mr. Cleydon das rechte Bein und die rechte Schulter zerschossen. Er wird nie mehr einen Colt richtig halten können, wenn ich mich nicht irre. Friede sei mit ihm, dann treffe ich ihn noch einmal, dann ist er tot.«

»Willst du nicht weiter?« erkundigt sich Erskin. »Auf was wartest du, Joe?«

Joe kratzt sich ausdauernd am Hinterkopf und nimmt Erskin die Zigarre weg.

»Laßt mich nachdenken, Freunde«, spricht Joe Simmons salbungsvoll. »Wenn mich nicht alle guten Geister verlassen haben, dann müßte sich Olbright nun sagen, daß Cleydon Ben schrecklich fehlen wird. Was würdest du an seiner Stelle mit einem Mann tun, der Cleydon glatt erwischt, Frankiejunge?«

Frankieboy, der ein so schmales Gesicht hat, daß man ihn schon einmal im Pferdecorral mit einem Pferd verwechselte und ihn mit einem Lasso einfing, legt den Kopf schief und sagt trocken:

»Ich würde mir sagen, daß ich Walker auch ohne Joe Simmons in die Wüste jagen kann. Und ich würde sehr schnell machen, um Walker ja nichts von Cleydons Ausfall zu Ohren kommen lassen. So ungefähr, ist das richtig, Joe?«

»Du solltest in die Schule gegangen sein, dann würdest du heute Doc sein«, murmelt Joe Simmons und nickt ihm zu. »Freunde, warten wir ein wenig. Geh mal auf den Hügel, Frankie. Wollen wir wetten, daß…«

Niemand will wetten. Und nachdem Frankie oben fünf Minuten gesessen und in die Ferne die Straße nach dem Stillwateroberlauf betrachtet hat, sagt er von oben:

»Joe, ich sehe fünf Mann und in der Mitte einen Tex’. Sie reiten mächtig schnell nach Osten. Und jetzt?«

Er kommt herunter. Die Männer sehen Joe alle abwartend an. Joe Simmons setzt seinen Hut wieder nachlässig auf und macht ein düsteres Gesicht.

»Jetzt werden wir helfen müssen«, sagt er dunkel. »Ich reite mit Dan, Nat und Frankie zum Weg und ihr drei jagt zur Quelle. Helft so gut ihr könnt, verstanden? Aber kommt mir ja nicht zu spät, sonst…«

»Du wirst alles in Ordnung finden, Joe. Also dann!«

Drei Mann reiten an und Joe hat die anderen bei sich. Sie schweigen, sehen den anderen nach und reiten dann auch an, aber mehr nördlich.

»Joe, hast du dir alles genau überlegt, gibt es keinen Fehler?«

»Man macht einen Fehler nie zweimal, Freund Allan«, murmelt Joe Simmons. »Diesmal läuft es, wie ich es will. Vorwärts, der Wagen muß bald kommen.«

Und die Staubwolke verdeckt die vier Mann, als sie über den Hang preschen. Als sich der Staub senkt und die Sicht wieder frei ist, sieht man nichts mehr von ihnen.

Joe Simmons ist dabei, sein Spiel zu machen.

Die Regeln bestimmt er selber.

*

Die Dämmerung fällt. Sie kommen über den Hang und halten. Vierzehn Männer, darunter Don Bennet und Lee Dorlan.

Von vorn nähert sich rasch ein Reiter, wird im Näherkommen deutlicher und reißt sein Pferd vor Stuart Olbright herum.

»Boß«, meldet er schnaufend und wischt sich Staub aus dem Gesicht. »Sie haben ein Feuer an und lagern neben der alten Hütte. Links von ihnen stehen die Rinder, genauso wie gegen Mittag.«

Stuart Olbright lächelt grimmig und wendet sich an seine Männer.

»Ihr habt es gehört«, erklärt er laut. »Wir greifen sie von zwei Seiten an und jagen die Rinder über ihr Camp hinweg. Der rechte Flügel hindert sie daran, in die Hütte zu kommen, zieht sich aber auf den Hang zurück, wenn die Rinder heran sind. Bennet, du hast die rechte Seite. Paß mir auf, Mann. Ohne Cleydon sind die Burschen noch nicht mal die Hälfte wert. Was willst du, Lee?«

»Stuart, wir sind wie Narren geritten«, sagt Lee hastig. »Unsere Pferde sind abgetrieben, Joe ist nicht da. Er wollte heute kommen, Mister, ich bin dafür, zu warten. Eine Stunde, Mann, eine Stunde, es kommt nicht so darauf an.«

»Da unten liegen genau dreizehn Mann«, weist ihn Olbright zurecht. »Sie haben keine Ahnung, daß wir kommen. Ich habe keine Zeit mehr, auf Joe zu warten, Mister. Wenn ich die Wasserstellen so bekommen kann, dann brauche ich später nicht…«

Er stockt und Lee hebt hastig den Kopf. Durchbohrend sieht er Stuart Olbright an.

»Was wolltest du sagen, Stuart?«

»Ich wollte sagen, daß ich ihm später nicht ewig dankbar sein muß«, knurrt der Rancher. »Wenn er sich an sein Versprechen hält, dann ist es gut. Ich traue ihm nur nicht ganz.«

»Joe wird sich daran halten, Mister. Wolltest du vielleicht sagen, daß du ihn später nicht an sein Wasser zu lassen brauchst, das du dir allein erobert hast?«

»Mann, was hast du für krumme Gedanken? Hält er sich an unsere Absprache, nun gut, hält er sich nich daran, dann muß ich mir mein Wasser nehmen.«

»Ihr traut ihm alle nicht, was? Stuart, willst du dir merken, daß ich sein Partner bin? Ich bin nicht dafür, sie von dieser Seite aus zu jagen. Wir müssen erst durch das Wasser. Wenn sie uns bemerken, dann…«

»Sie können uns nicht bemerken. Die Rinder stehen zu dicht in der Senke, und der Posten reitet immer in die Runde. In seinem Rücken kommen wir heran. Dorlan, es geht auch ohne Joe, du wirst es sehen.«

»Nun gut, wie du willst, Stuart.«

Er schweigt. Die Kolonne teilt sich. Eine Gruppe mit Bennet schwenkt nach rechts, um weiter im Osten über den Einschnitt des zum Teil ausgetrockneten Stillwater zu setzen und dann nach einer Schwenkung um neunzig Grad sich dem Camp der Weidereiter Walkers zu nähern.

Die andere Gruppe mit Olbright und Lee reitet im Tal weiter und stößt auf einen Hügelkamm vor dem Bachlauf des Stillwater, an dem es links herum zum Wasser geht.

Zehn Minuten vergehen. Die Pferde stehen in einer Reihe, über ihnen die Dunkelheit.

»Jake, was ist?« fragt Olbright leise einen seiner Männer, der auf dem Bauch ganz links um den Hügel gekrochen ist. »Wo ist der Posten?«

Unmittelbar unter dem Beobachter Olbrights weiden die Rinder, stehen zum Teil im Wasser. Andere lagern, manche wandern zum Wasser, saufen und kehren wieder in die Menge der anderen zurück.

Rechts glüht das Auge des Campfeuers. Der Mann blickt starr auf den Schatten des Reiters, der sich nun gegen das Feuer abhebt, einen Augenblick hält und dann weiterzieht.

»Boß, er ist am Feuer und kommt nach links herum zurück. Keine zwei Minuten mehr, dann ist er am Ende auf unserer Seite.«

Olbright wirft Lee die Zügel zu, hastet los und kauert sich neben seinem Lauscher hin. Undeutlich erkennt er den Herdenwächter. Der Mann kommt langsam um die Westecke der vielleicht zweitausend Kopf starken Herde, reitet nun in das seichte Wasser und nähert sich dem etwa 200 Yard entfernten Feuer. Er ist deutlich gegen den Feuerschein auszumachen. Olbright hastet zu seinem Pferd zurück.

»Los, fertigmachen, Leute«, sagt er keuchend. »Alle nach links, sehen kann er uns nicht mehr. Wenn er am Feuer ist… Jake, paß genau auf!«

Sie halten wenig später in einem Pulk hinter den ersten Büschen und ziehen die Gewehre. Hier und da klickt leise ein Schloß, jemand legt seinem Pferd, das prusten will, die Hand hastig auf die Nüstern.

»Boß, er hält am Feuer, er redet mit ihnen. Schnell, Boß.«

Jake schnellt sich auf sein Pferd, das einer der anderen hält, dann reiten sie im Schritt los und sind nach kaum 50 Yards hinter den Uferbüschen des Bachlaufes am Rande der tiefgelegenen Mulde, in der sich auch bei größter Hitze das Wasser hält. Nun kann sie kein Posten mehr sehen.

Hier reiten sie wieder zur Kette auseinander, ducken sich tief über die Hälse der Pferde. Sie sind nun von dem Posten, der über die Rücken der Stiere hinwegsehen muß, nicht mehr von den Stieren zu unterscheiden, die etwas abgewandert sind. Rücken ist an Rücken. Es ist unmöglich, auf 200 Yards einen Reiter, der auf dem Pferd liegt, von einem Rind zu unterscheiden.

Langsam nähern sie sich der Herde und halten dann.

»Ihr nach links. Schießt dem Posten das Pferd unter dem Sattel weg, aber laßt ihn erst so nahe wie möglich herankommen. Wir verteilen uns zu beiden Seiten der Herde. Rückt soweit vor, wie ihr es unbemerkt tun könnt. Los, Leute!«

Zweimal sind sie abgeschlagen worden, zweimal hat es blutige Köpfe, einen Schwerverletzten und ein halbes Dutzend anderer gegeben, die eine Kugel verwundete.

Olbrights Reiter ducken sich. Langsam ziehen sie an der Herde rechts und links vorbei. Lee ist immer hinter Olbright und hält sein Gewehr schußbereit. Sie bilden eine lange Kette, die den westlichen Teil der Herde umfaßt. Wenn nur der Herdenwächter nicht so schnell kommt, dann erreichen sie die Feuerzone des Camps bis auf 100 Yards.

»Wo ist der Wächter, Lee?« fragt Olbright leise.

Lee reckt sich hoch.

»Ich kann ihn nicht sehen. Am Feuer nicht mehr, Stuart.«

»Dann haltet an, paßt auf. Wenn ich schieße, geht es auch von Bennets Seite los. Achtung!«

Er zieht sein Gewehr hoch, hält den Lauf schräg über die dicht bei dicht stehenden Leiber der Rinder.

Einige Kühe muhen. Der Hahn an seinem Unterlader klickt leise.

»Jetzt, paßt auf, jetzt.«

Er hat noch nicht geschossen, aber von links her, vom Hang über der Mulde, blitzt es auf.

Krachend fallen sieben, acht Schüsse nacheinander. Rinder blöken erschreckt, ein Pferd wiehert, ein anderes galoppiert wie wild zwischen die Rinder und schleudert seinen Reiter mit unter sie. Um Olbrights Kopf schwirren böse jaulende Geschosse und klatschen in das Wasser.

»Verdammt«, flucht Olbright heiser.

»Da oben liegen zwei. Zwei Mündungsfeuer, nicht mehr. Vorwärts, reitet sie nieder. – Treibt sie, jagt sie über das Camp weg.«

Von allen Seiten kracht es nun. Männer laufen vom Feuer weg, eine Decke fliegt segelnd auf die Flammen, die schlagartig verlöschen.

Dort am Feuer, rennt Wyatt Thornton und feuert von der Hüfte aus auf die Reiter, die rechts und links aus der Senke auftauchen. Colbet ist neben ihm. Gemeinsam springen sie auf die Hütte zu.

»Hinein!« brüllt Thornton grollend. »Nach links, Colbert. Hierher, Lew, schnell!«

Colbert ist zehn Yards vor der Hütte, als er strauchelt und der Länge nach hinfällt. In das belfernde Gewehr- und Revolverfeuer kommt das wilde Brüllen der Herde. Rinder rasen los, genau auf das Feuer zu. Männer rennen nach den Seiten weg. Anderen gelingt es, in den toten Winkel an der Hütte zu kommen. Dort ist ein schmales Fenster. Thornton erreicht es und wirft sich mit einem Ruck gegen die Streben. Es splittert und kracht, dann ist er drin und sürmt sofort zur anderen Seite. Er sieht vor sich drei, vier Pferde. Hinter ihm kommt Lew hinein und kauert sich neben ihm hin.

»Schieß, Mensch, sie lassen die anderen nicht heran. Die Rinder trampeln über sie hinweg. Schieß schnell, Lew!«

Ein Pferd bricht im Feuerstrahl seines Gewehres zusammen, ein anderes scheut und geht mit seinem Reiter durch. Männer springen durch das Fenster in die Hütte. Drei, vier, acht sind drin, einer zieht Colbert nach und rutscht dann stöhnend an der Wand herunter. Wyatt Thornton feuert wie wild aus dem Fenster, bekommt dann einen Schlag gegen die Schulter und geht keuchend zu Boden.

Lew fällt wie ein Klotz um, als ihm eine Kugel durch die Haare fährt und schlimmer als ein Hieb mit dem Kolben über den Kopf wirkt.

Sie feuern wie irr, aber die Rinder kommen, donnern gegen die Hütte, die in allen Fugen ächzt. Draußen schreit einer, aber der Schrei geht im Gebrüll unter. Staub dringt in die Hütte. Keiner kann richtig sehen, was draußen ist. Rinderrücken an Rinderrücken, dazwischen einige Reiter. Belferndes Revolverfeuer auf die Tür und Fenster der Hütte. Ein Reiter kippt aus dem Sattel, aber die Hölle ist noch nicht zu Ende, denn die Rinder müssen erst alle vorbei.

Thornton stemmt sich mühsam hoch und sagt zu Colbert, der neben ihn gekrochen ist:

»Das müssen Linky und Bob Hill gewesen sein. Sie haben keine Sekunde zu früh geschossen. Die Halunken waren beinahe heran, Colbert. Ein Glück, daß uns so viel Zeit blieb, in die Hütte zu kommen, wir würden von der Herde überrannt worden sein. Schießt, Partner, schießt!«

Sie schießen und sehen einige Reiter angefegt kommen, die Fackeln schwenken und sie wegschleudern.

»Verdammt, schießt doch!«

»Die räuchern uns aus«, schreit einer gellend.

Rasendes Abwehrfeuer knattert aus der Hütte los, Pulverdampf läßt die Männer husten. Aber sie schlagen den Ansturm ab, der am Bachlauf zusammenbricht, in dem die restlichen Pferde und Männer davonhasten.

Rinder blöken. Thornton schickt einen Mann nach draußen und läßt nachsehen. Ganz links verschwinden zwei Pferde, auf denen vier Männer hocken.

»Wieviel Mann sind heil?« fragt Thornton mühsam und läßt sich die Schulter verbinden. »Raus mit euch, auf die Pferde und nachsetzen!«

Er will hoch, aber seine Beine geben nach.

Und er verflucht die Angreifer, die sie nur mit Mühe und Not abschlagen konnten.

Irgendwo werden sie reiten und haben sich das dritte Mal blutige Köpfe geholt.

*

Olbright hängt schief im Sattel, seine Schulter schmerzt irrsinnig. Vier seiner Männer jammern laut und stöhnen. Drei liegen auf den Pferden und stöhnen leise. Bennet aber fehlt.

Bennet und sein Gaul liegen bei der Hütte, und in Bennets Tasche steckt der Rest von seinem Revolverlohn.

Er wird ihn nie mehr ausgeben können.

Lee wickelt sich den zerrissenen linken Ärmel um den linken Unterarm und flucht verbissen.

»Jake«, keucht Olbright schmerzvoll. »Jake, warum habt ihr die beiden Schufte auf dem Hügel nicht vorher gesehen? Sagst du bald was, du Narr? Ohne ihre blödsinnige Schießerei hätten wir sie überrannt. Warum nicht, Mann?«

»Sie müssen erst in letzter Minute gekommen sein«, erwidert Jake jammernd und betastet sein Bein. »Ich weiß auch nicht, woher die beiden auf einmal gekommen sind, Boß.«

Lee kommt von links heran, zieht sich das Hemd über den Kopf und holt sich ein neues aus der Satteltasche. Die Kugel hat seinen Arm nur gestreift, aber es blutet ganz prächtig.

»Olbright«, sagt er wild und knöpft das Hemd zu. »Der Narr bei der Sache bist du. Wir hätten auf Joe warten sollen. Dein Angriffsplan war gut, aber Joe fehlte uns. Du Narr, du hast die Hälfte deiner Mannschaft für Tage und Wochen nicht mehr im Sattel. Ich könnte dich…«

Von vorn kommt ein wilder Ruf. Jemand fegt im irrsinnigen Galopp heran. Das Pferd ist schwarz und der Schaum vor seinen Nüstern leuchtet weiß.

»Joe!« brüllt Lee ihm entgegen. »Joe, du kommst zu spät! Sie kamen in die Hütte und schlugen uns ab. Wir konnten sie nicht überrennen, es ging nicht.«

Joe Simmons prescht heran, seinen Revolver in der Hand. Er reitet Olbright fast über den Haufen. Er sieht den Rancher fürchterlich an, sein Revolver ruckt, aber dann steckt er ihn in das Halfter.

»Du Narr, konntest du nicht warten?« fragt er rauchend und packt ihn an der heilen Schulter. »Habe ich nicht gesagt, daß ich heute kommen würde? Ich hatte ein paar Freunde mitgebracht, aber jetzt – ich hörte schon an der Schießerei, was sich an den Wasserstellen abspielte. Mann, was bist du für ein Trottel. Die Hälfte verwundet, bunkhausreif für Wochen. Habt ihr wenigstens Walker auch eins ausgewischt?«

»Sechs oder sieben Mann, ich habe nicht genau gezählt«, meldet sich Lee und legt Joe die Hand auf den Arm. »Nun sei friedlich, er ist genauso geschwächt wie wir, Joe, ich habe Cleydon…«

»Das weiß ich, Junge, das weiß ich. Es war ein prächtiger Kampf. Nur dieser Idiot hier, der nicht warten konnte. Olbright, du taugst nicht zum Kämpfer. Wo ist dieser farblose Bennet?«

»Tot«, murmelt einer. »Er ritt genau in zwei Schüsse hinein. Nun ja – Revolvermann.«

»Auch das noch!« knurrt Joe Olbright an. »Mann, jetzt werde ich mir Leute besorgen und mit ihnen Walker den Rest geben. Du kannst mir deine heilen Burschen dazu borgen. In drei Tagen sind wir mit ihnen fertig, Lee, du kommst mit, ich habe einige Neuigkeiten, die uns beide angehen. Und du, Stuart, hörst von uns, wenn die Zeit dafür reif ist. Fange nicht wieder etwas an, wenn ich nicht dabei bin. Lee kann mir erzählen, wie du es getan hat, aber ich ahne schon deine Narrheit. Die Hütte mußte zuerst angesteckt werden, damit sie keinen Unterschlupf hatten. Ah, du Narr, du kannst nicht kämpfen!«

Er zieht seinen Schwarzen herum und reitet scharf an. Lee folgt ihm, denkt an seinen Packen bei Olbright und sagt es nach kaum hundert Pferdelängen.

»Du wirst alles finden, was du brauchst, Junge, keine Sorge. Himmel, dieser Narr, ich hätte ihn umbringen können. Mit sechs Mann war ich unterwegs hierher, als wir das Geknalle hörten. Die Ranch war verlassen, obwohl ich dachte, daß ihr bestimmt noch dort sein würdet. Nachdem du Cleydon auf die richtige Größe gebracht hattest, wußte ich bereits, daß Stuart gegen Walkers Weidemannschaft losschlagen würde, aber ich rechnete doch nicht mit so viel Verrücktheit. Uns kam etwas dazwischen, sonst wären wir eher gekommen.«

»Und wo sind die anderen, Joe?« fragt Lee leise.

»Ich hab’ sie vorgeschickt, von jetzt an nehme ich die Sache in die Hand. Lee, morgen reiten wir zu Walker.«

»Was willst du tun?«

»Du hörst es doch, Junge. Ich werde ihn ohne einen Schuß friedlich machen können.«

»Joe, das schaffst du nicht.«

Joe Simmons beugt sich im Sattel vor und beginnt zu lachen. Als er endlich aufhört, wischt er sich die Tränen aus den Augen.

»Lee, ich sage nie etwas so daher, ich bekomme mein Land ohne einen Schuß zurück. Du wirst es sehen, ehe der Morgen graut.«

»Willst du mir das Geheimnis nicht verraten, Joe? Ich möchte dich etwas fragen.«

»Ja«, sagt Joe Simmons ruhig. »Lee, merke dir eines, ich wünschte mein ganzes Leben noch einmal beginnen zu können. Aber es ist mit mir wie mit einem Stein, der in die Tiefe fällt. Man kann ihn nicht aufhalten. Nun, frage.«

»Joe«, murmelt Lee lauernd und sieht ihn starr an. »In den vier Tagen habe ich einige Dinge gehört. Wie war das damals, als sie dich stellten, warst du vorher ganz allein?«

Joe Simmons nickt leicht, hält dann an und greift in seine Brusttasche. Er steckt sich eine Zigarre an, bläst den Rauch aus und lächelt.

»Als sie mich stellten, war ich allein.«

»Vorher, Joe.«

»Ein paar Leute waren bei mir. Ich legte mich dem Sheriff und dem Aufgebot in den Weg. Es war die einzige Möglichkeit, um die anderen entkommen zu lassen. Weißt du jetzt genug?«

»Nicht ganz, Joe. Die anderen, wer war das?«

»Einige Leute, über deren Geschäft ich manches wußte. Sie hatten mir geholfen, weil ich sonst geschwiegen hatte. Und ich wollte nicht, daß sie erwischt wurden. Wenn du es genau wissen willst, es waren Viehdiebe.«

Lee Dorlan sagt nichts, er blickt nur weg und lächelt dann doch.

»Hast du mit ihnen jemals zu Lebzeiten deines Vaters Geschäfte gemacht, Joe?«

»Manchmal, Junge. Ich kaufte ein paar Rinder und fragte nicht, woher sie kamen. Es ging mich nichts an. Deshalb aber war ich noch lange kein Viehdieb.«

»Du wußtest aber, daß sie gestohlen waren?«

»Ich dachte es mir. Einige der Burschen waren wirklich Viehdiebe. Aber ich habe noch nie jemanden verraten. Darauf bin ich sogar stolz.«

»Gut, Joe, das ist erledigt. Was früher war… Du hast doch Walker nie selber Rinder gestohlen?«

»Ich? Hatte ich das nötig? Nein, Lee, selber hatte ich damit nichts zu schaffen.«

Er sieht Lee kurz an und schüttelt den Kopf.

»Du hast verdammt seltsame Fragen, Junge, das muß ich sagen. Warte ab, was morgen ist. Ich denke, du wirst mir erst an den Hals fahren wollen, aber nun, manchmal hat man keine große Auswahl unter bestimmten Mitteln, wie?«

»Das ist richtig, Joe. Ist dir die Idee zu diesem unblutigen Mittel gekommen, ehe ich mit Cleydon die Schießerei hatte.«

»Die Idee schon, aber ich hatte keine Möglichkeit, sie auszuführen. Lee, ich muß dir etwas sagen.«

»Du mir? Nun, Joe, was soll es sein?« Joe blickt auf die Wolken und schweigt einige Zeit düster.

»Lee«, sagt er dann bitter. »Ich habe vorhin Stuart belogen, belügen müssen, ich hatte keine Wahl. Du mußt mir glauben, daß ich wie ein Irrer mit meinen Leuten hergejagt bin, um es zu verhindern, aber ich kam zu spät. Der Angriff wäre nicht mehr nötig gewesen, denn ich habe das Mittel schon, das mir meine Quellen wiedergibt.

Ich bekam es nur zu spät. Was sollte ich Stuart sagen, nachdem seine Männer zur Hälfte verletzt sind? Die Wahrheit?«

Lee ruckt herum und sieht ihn groß an.

»Darum bist du so gejagt, was? Du willst also gar nicht mehr kämpfen?«

»Ich brauche keinen Schuß mehr abzugeben, wenn alles nach meinem Plan verläuft. Die Idee kam mir blitzschnell, die Ausführung wäre einfach. Ich werde gewinnen und meine Weide bekommen. Vertraust du mir bis morgen früh, Lee?«

»Anständig von dir, daß du Stuart nicht gleich den Schock verpaßtest«, murmelt Lee nachdenklich. »Ich kann mir nicht denken, wie du Ben Walker zur Aufgabe zwingen willst, aber du mußt es schließlich wissen.«

»Ich weiß es ganz sicher, Lee. Hoffentlich ist er kein verdammter Narr. Man weiß bei ihm nie genau woran man ist. Komm schneller, ich war einige Tage auf den Beinen und muß schlafen, wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

Lee blickt ihn von der Seite an. Es pocht in seinem Arm, aber der Schmerz ist auszuhalten.

Joes Gesicht drückt Zuversicht und Kühle aus.

Hinter den Bergen kommt der Mond hoch und bescheint ihren Weg.

Es ist gut, denkt Lee Dorlan, so einen Partner zu haben. Es tut ihm leid, daß Stuart umsonst angegriffen hat. Er weiß etwas und wird es mir morgen sagen.

Nun gut, ich kann warten, ich vertraue ihm.

*

Als Lee Dorlan die Augen aufschlägt und blinzelnd in die Sonnenbahn blickt, lacht jemand leise.

Er richtet sich auf. Joe steht neben dem einfachen Bett und hat einen Kaffeetopf in der Hand.

»Na, Junge«, sagt er lachend. »Du hast geschlafen wie ein Murmeltier. Heller Tag, Lee. Wir haben einen Ritt vor uns und wollen jemanden treffen. Aufstehen, los.«

»Ah«, gähnt Lee und schleudert die Decke weg. »Wenn du mich fragst, wo ich bin, dann kann ich es dir nicht sagen. Ich habe einige Häuser gesehen, aber sonst nicht viel, es war zu dunkel, Mann. Ist das eine Luft.«

»Siebentausend Fuß hoch, Lee. Wie kann die Luft da wohl anders sein. Well, in den Bergen hier findet sich kaum einer zurecht. Die Häuser, die du in der Nacht gesehen hast – eine tote Stadt, Lee. Ein paar Verrückte fanden hier Silber und bauten sich Häuser. Nach einem Jahr war alles vorbei. Es gab kein Silber mehr, keinen Spaß, nur ein paar halbwilde Hunde und Katzen. Dies ist der richtige Ort für meinen Plan. Raus mit dir, Junge.«

Lee steht auf und sieht sich um. Jemand kommt herein, ein Mann mit einem stoppeligen Bart, unrasiert, aber mit Augen wie ein Falke. In Kreuzgurten zwei Revolver und noch einen Patronengurt quer über der Brust.

Er bringt auf einem Torbrett, von dem nur die Klinkenaussparung den ehemaligen Zweck verdeutlicht, eine Kanne herein, Brot, Speck und Rührei.

»Hallo, Lee, ausgeschlafen?« fragt er kurz. »Iß ordentlich, hier oben bekommt man eine Menge Löcher im Magen, die Luft ist dünner als im Tal.«

Er geht grinsend wieder hinaus und Lee zieht sich die Stiefel an.

»Joe, wer war das?«

»Er heißt Slate, er ist weiter nicht wichtig. Du wirst noch mehr von seiner Sorte sehen. Iß jetzt, ich muß noch was erledigen.«

Lee tritt an die halbblinden Scheiben des schiefen Fensters und blickt hinaus. Drüben hängt von einem Bretterpalast schief ein Schild herunter.

Saloon and Gambling-Hall.

Das nächste Haus hat ein pompöses Schild, aus dem eines der Bretter herausgebrochen ist. Das Dach des Hauses hängt schief und ein Fensterladen klappt im Wind auf und zu.

»Salomon Farrows All-Store«, liest Lee halblaut und macht sich über das Rührei und den Kaffee her, nachdem er die Straße mit den neun oder zehn Häusern hochgeblickt hat und Joe gehen sieht.

Joe verschwindet in dem Haus schräg rechts, das neben dem alten Saloon liegt. Ein Mann tritt dort gähnend in die Tür, der einen schwarzen Bart trägt und gleich zwei Patronengurte kreuzweise über der Brust liegen hat.

Ein anderer streckt den Kopf aus dem Fenster und packt den losen Laden, um ihn mit einem Ruck abzureißen und in den Staub einer völlig verödeten und von Trümmern übersäten Straße zu schleudern.

Das ist vielleicht ein Nest, denkt Lee. Wo mag es liegen?

Er gibt seine Grübelei auf. Joe kommt drüben wieder heraus und winkt einem Mann, der weiter vorn auf einer Bank vor einem Haus in der Sonne sitzt und raucht.

»Mach die Pferde fertig, Lees und meinen Schwarzen. Aber beeile dich, Frankie.«

Die Sonne fällt auf das rote Hemd Joes und läßt es wie Blut leuchten.

Lee ist fertig, zieht seine gelbe Jacke an, die er in der Nacht überwarf, als ihn fröstelte und stülpt seinen hellen Hut auf.

Dann öffnet er die Tür, angelt noch einmal nach der Kanne und trinkt aus ihr noch einen langen Zug.

Unten sagt Joe:

»Fertig, Junge? Na, dann komm herunter, wir müssen uns beeilen.«

Lee geht nach unten. Die Treppe bricht fast zusammen, das Holz knarrt scheußlich, das Geländer fehlt am unteren Ende.

Draußen stehen schon ihre Pferde. Joe schwingt sich wortlos auf seinen Schwarzen und wartet, bis Lee im Sattel ist. Dann erst dreht er sich nach jenem Frankie um, der drüben am Haus wieder auf der Bank sitzt, und sagt scharf:

»Frankie, jeder geht auf seinen Posten. Es kann sein, daß Ben eine Spur hat und herkommt. Dann laßt ihn herein, aber nicht wieder hinaus, verstanden?«

Lee blickt sich um. Er kann das ganze Tal überblicken und weiß augenblicklich, daß zwei Mann am Eingang genügen, um jeden Angreifer abzuwehren. Wer hier einmal hereinkommt, der sitzt mitten in einer Falle.

»Ich weiß Bescheid«, erwidert Frank kurz und Joe reitet an.

»Was machen sie hier?« fragt Lee halblaut, als sie aus dem Tal sind und vor ihnen ein steiler Weg bergab führt. »Sie helfen dir, Lee?«

»Ja, Junge, sie müssen mir schon helfen. Es geht nicht anders. Wir wollen hier mit Walker reden, ich habe es mir übelegt. In diesem Tal bin ich nicht zu packen. Die einzige Art, um eine Schießerei zu verhindern, denn es ist aussichtslos für ihn. Dann los, laß den Braunen laufen, wir treffen jemanden etwa vier Meilen von hier unten in den Tälern.«

Er treibt seinen Schwarzen an. Sie fegen den Weg hinunter, der um ein Dutzend Kehren in die Tiefe führt.

Manchmal wird er so schmal, daß sie hintereinander reiten müssen. Geröllmassen sind von den steilen Wänden abgebröckelt und bedecken den Weg fast ganz, der einmal breiter war. Man kann seine ursprünglichen Abmessungen noch erkennen.

Endlich sind sie unten. Joe Simmons lenkt nach rechts und hält auf eines der Täler zu, als es vor ihnen eine knappe Bewegung gibt und hinter der Biegung jemand herausreitet.

»Das ist ja Tabe Colony«, sagt Lee erstaunt. »Joe, deine Spur nach dem Mörder Morleys, führt sie über Colony?«

Joe sieht ihn überrascht an und nickt dann kurz.

»Sieh einer an, hast du es also doch gefunden, Lee? Nun ja, es ist schon richtig. Ich fürchte nur, ich kann keinen einwandfreien Zeugen dafür bringen. Well, warte hier einen Augenblick, ich muß mit Tabe einige Sachen besprechen. Du verstehst schon, es könnte ihm peinlich sein, wenn er als Sheriff…«

»Er hat Angst vor dir, was?«

»Die hatte er, jetzt nicht mehr. Bleibe zurück, Lee, es hängt von ihm ab, ob wir weiterreiten.«

Lee zügelt den Braunen, lenkt ihn hinter die Felsnase und sieht vor sich ein Loch im Felsen, einen Spalt, dessen Ende er nicht sehen kann.

Er lenkt den Braunen ganz heran, sieht links etwas zwischen den Felsen glitzern und steigt ab. Nach drei Klimmzügen erreicht er den Punkt, an dem das Glitzern im Fels ist und entdeckt eine dünne und von einem Gesteinsrutsch freigelegte Silberader, kaum einen Finger stark und etwa einen halben Fuß lang. Unter ihm ist lockeres Geröll. Er nimmt sein Messer, reckt sich ein wenig, weil die Ader hoch im Fels liegt und will sein Messer gerade ansetzen, als Joe neben ihm sagt:

»Warum bist du Narr selber gekommen? Hatte ich dir nicht gesagt, daß du Dans Vetter schicken solltest?«

Lee verliert um ein Haar sein Messer, so heftig ist er erschrocken. Aber als er sich umblickt, ist Joe nirgends zu sehen. Nur die Stimme Tabe Colonys kommt etwas leiser von rechts. Er starrt verblüfft auf das düstere Loch im Felsen. Hohl und doch gut verständlich kommen die Worte aus dem Spalt, der bis zu der anderen Ecke laufen muß, hinter der Joe mit Tabe Colony hält.

»Joe, der alte Ben sucht überall wie ein Irrer«, sagt der Sheriff ängstlich. »Bring mich nicht gleich um, ich habe getan, was ich tun konnte. Walker ist bei Dan gewesen und hat nur seinen Vetter gefunden. Der wußte nichts, er hat ihn trotzdem halbtot schlagen lassen, um es zu erfahren. Ich sah es aus der Ferne, bin dann los und habe mich zum Doc geschlichen. Cleydon lag in seinem Bett und schlief. Er wurde verdammt schnell munter, als ich ihm den Stein auf die Brust warf. Gleichzeitig brüllte er nach dem Doc. Er hat den Zettel also gelesen. In drei Stunden kann Ben hier sein, nicht eher. Sie müssen ihn erst suchen. Es dauert vielleicht noch länger. Was sollte ich denn machen, Joe?«

»Schon gut, wenigstens hast du es richtig gemacht«, brummt Joe tief. »Du reitest nun zum Nest hoch und richtest dich im Saloon ein. Niemand zwingt dich, mitzumachen. Ich werde nur hinterher deine Aussage brauchen, hast du verstanden?«

»Joe, so hör doch, ich bin Sheriff, ich kann nicht. Er hat neun Mann, Joe!«

»Na und, du Narr? Er kann mit hundert Mann in dem Loch sein, herauskommen kann er nie mehr. Und du wirst bezeugen, daß er anfing zu schießen!«

»Ich – ich…«

Tabe gurgelt hilflos und Joe sagt grollend:

»Paß auf, du Narr, paß gut auf, sonst erzähle ich mal, daß du dreihundert Rinder auf einen Schlag an die Burschen da hinten verkauft hast und sie später schnell wieder auf seine Weide zurückbrachtest. Dann bist du genauso tot. Machst du mir jetzt Schwierigkeiten, dann bist du gleich fertig.«

»Ja, Joe, ich tue ja schon, was du sagst. Mein Gott, wie willst du es anfangen? Er ist verrückt nach seiner Tochter, er reißt die Welt auseinander, um sie zu bekommen. Du lockst ihn in eine Falle.«

»Aus der er nicht mehr herauskommt, wenn er ein Narr ist und schießt«, sagt Joe Simmons eiskalt. »Ich werde mit Lee auf ihn und die beiden Hills warten, sie kommen mit ihm. Entweder unterschreibt er, daß er mich für die Benutzung meines Landes entschädigt oder ich blase ihn auf den Mond. Und du bist Zeuge, mein Zeuge, verstanden, du Viehdieb?«

»Aber das war einmal, Joe.«

»Deshalb bist du doch in meinen Augen immer noch einer. Verschwinde, und laß dich nicht von dem Girl sehen, sie steckt im Bau rechts neben dem Saloon. Gibt es Ärger, dann bist du durch die Schießerei angelockt worden. Weg mit dir, du elender Derwisch.«

Hufe klappern, ein Pferd rast los und unter Lee vorbei, der sich still verhält und dann Joe rufen hört:

»Lee, wo steckst du? He, ach, da oben. Was hast du da gefunden?«

»Eine kleine Silberader«, erwidert Lee ruhig und klettert wieder nach unten. »Joe, wo ist Tabe hin?«

»Nach rechts, er soll nur etwas bestellen. Hast du was?«

Lee steigt auf und blickt starr auf den Boden. Sicher, dies ist eine Möglichkeit, denkt er bitter. Joe hat den alten Burschen in der Falle. Walker wird das tun müssen, was Joe verlangt. Aber das Girl, er kann so nicht spielen. Keine Frau in Männersachen ziehen, das hat sein Vater immer gesagt.

»Joe, du läßt das Girl laufen, hast du mich verstanden?«

Joe zuckt zusammen und wird steif vor Schreck. Dann wendet er ganz langsam den Kopf und blickt Lee seltsam verwirrt an.

»Was redest du da?«

»Du läßt das Girl frei, Joe. Ein Girl hat nichts damit zu tun. Sie kann verletzt werden, wenn der Alte verrückt spielt, ich will das nicht.«

Joe Simmons blickt hoch auf die Felsen und kneift die Augen zusammen.

»Das Loch?« fragt er dann. »Auf andere Weise kannst du es nicht gehört haben, Lee. Du hast es also gehört und weißt, was Tabe früher war?«

»Ja«, sagt Lee leise. »Ich habe es gehört, Joe. Und nun sage ich dir etwas, paß gut auf, Joe: Ich verdanke dir eine Menge, wahrscheinlich sogar mein Leben. Aber ich werde nicht damit einverstanden sein, daß du das Girl in dem Talkessel behältst, in dem eine Schießerei die Kugeln durch die morschen und dünnen Bretter wie durch Papier jagen läßt. Joe, stelle einen Posten aus, der Walkers Kommen rechtzeitig meldet. Ich werde mit dem Girl aus dem Talkessel gehen und mich nicht einmischen. Ist der alte Narr verrückt genug, dann soll er schießen. Du wirst auch so mit ihm fertig, ist das klar?«

Joe starrt ihn an und regt sich nicht. Nur in seinen Augen ist ein seltsam düsteres Feuer.

»Ich brauche dich aber, Lee«, sagt Joe Simmons gedehnt. »Die beiden Hills sind schnell. Dem Girl passiert nichts, das garantiere ich dir. Mach mir jetzt keinen Ärger, ich kann ihn nicht gebrauchen.«

»Du brauchst mich nicht mehr, Joe«, antwortet Lee bitter. »Das Girl bleibt heraus, das ist mein letztes Wort. Ich will nicht, daß sie in Gefahr kommt. Oder du müßtest mich daran hindern, das Mädel mitzunehmen.

Joe, ich weiß nicht mehr, was ich dir glauben soll. Der Sheriff ist ein ehemaliger Viehdieb. Er möchte ehrlich bleiben, aber du erpreßt ihn. Das Girl hast du eingefangen und wirst Ben Walker auch noch erwischen. Joe, ich mische mich nicht ein, aber du läßt mich mit dem Girl weggehen, sonst…«

Joe sieht ihn an und nickt traurig vor sich hin. Dann senkt er den Kopf und sagt gallenbitter:

»Ich kann mich nicht mit dir schießen, ich bin zu langsam für dich. Ich will auch keinen Ärger. Gut, Lee.«

Er reitet an und winkt Lee mit der Hand an seine rechte Seite.

»Lee, dann wollen wir schneller reiten. Du mußt mir aber versprechen, daß ich das Girl in Reichweite behalte. Ich beanspruche von Walker eine Entschädigung für die ganzen Jahre. Bekomme ich sie nicht und weigert er sich, dann soll er kämpfen. Du mußt es mir versprechen. Ach, zum Teufel, ich wollte es dir ja sagen, aber langsam.

Lee, ich mag dich wirklich. Dieser verdammte Narr Tabe. Was reitet er denn nach links, er wird doch nicht ausbrechen wollen? Sieh dir das an, Lee, er macht mir…«

Lee blickt nach rechts und hört den Stoff neben sich knirschen und den Sattel janken. Seine Hand fährt automatisch zum rechten Colt, aber ehe er zugreifen kann, bekommt er einen Hieb über den Kopf, der ihn lähmt. Er sieht noch Joe Simmons’ wildes Gesicht über sich und das Blinken des Revolvers.

Seine Hand gleitet vom Revolver ab. Er neigt sich nach vorn und bekommt den zweiten Schlag, der ihn in tiefste Bewußtlosigkeit fallen läßt.

Über ihm aber wirft sich Joe aus dem Sattel und sagt fauchend:

»Du Narr, niemand hält mich auf. Was stellst du dich mir in den Weg? Den Trick kanntest du nicht, wie?«

Lee Dorlan liegt am Boden.

Er wußte nie, mit wem er ritt, aber er wird es bald wissen.

Joe Simmons bindet ihn zu einem Paket zusammen.

*

Er schlägt die Augen auf und glaubt, daß sein Kopf platzt.

Jemand sagt schrill:

»Er kommt zu sich, Joe, er wacht auf!«

»Dann schert euch raus!« sagt Joes wilde Stimme hart. »Du zuerst, Tabe. Raus mit euch, ich will mit ihm allein sein.«

Stiefel trampeln, dann fällt grelles Licht auf Lees Gesicht und Joe atmet direkt vor ihm.

»Mach die Augen auf, Lee, hörst du nicht?«

»Ja«, sagt Lee heiser und glaubt, daß ihm die Augen herausfallen würden, als er sie öffnet. Das Stechen bringt ihn fast um. »Joe, was wird nun?«

Er kann sehen, ihm wird besser, aber bewegen kann er sich nicht. Er liegt festgebunden an einem schweren, eisernen Herd am Boden. Das Fenster rechts ist auf und die Sonne scheint ihm mitten ins Gesicht.

Joe hockt vor ihm auf einer alten Wasserbank, hat seine Pfeife gerade gestopft und brennt den Tabak

an.

»Du bist neugierig, wie? Nun ja, du bist noch jung, Lee. Die besten Burschen sterben immer jung, das ist eine alte Weisheit. Schade um dich, aber es geht nicht anders. Du wirst die Sonne des neuen Tages nicht mehr aufsteigen sehen.«

»Gute Aussichten, Joe. Darf ich fragen, warum? Du bist also ein Bandit, du warst wohl immer einer. Nur die Zeit, in der du mit mir geritten bist, war anders.«

»Anders?«

Joe nimmt die Pfeife aus dem Mund und beginnt zu lachen.

»Ach«, sagt er schließlich keuchend.

»Soso, ich war anders? Junge, irrst du dich da nicht? Stell dir vor, ich brauchte so einen Burschen wie dich, ich sah dich schießen und hatte vorher von dir gehört. Und da fiel mir blitzschnell ein, daß ich dich noch schneller machen könnte, gerade schnell genug als rechte Hand. Darum verhalf ich dir zur Flucht, stell dir das vor. Und die Karte, die ich diesem Peale aus der Tasche zog, sie steckte wirklich in ihr. Ich hatte ein Paket Karten in der Hand, erinnerst du dich? Hättest du nachgesehen, das Pik-As war noch immer drin. So glaubtest du, daß man dich suchen würde, daß ich dir geholfen hatte – mit der Karte. Du bist mir blindlings nachgeritten. Absichtlich ritt ich zu dem Auswandererweg, absichtlich lenkte ich dich in die Trailmannschaft. Junge, du hast geglaubt, ich hätte gute Absichten gehabt?«

Lee Dorlan liegt da, als habe ihn jemand mit einem Hammer bearbeitet. Die Karte von Peale… Peale doch ein Falschspieler. Joes Gerede von einer Verfolgung… Großer Lord!

»Na, staunst du, Junge? Ich redete mit dir von Schießern. Ich brauchte dir nur immer das Gegenteil vorzuschlagen. Du bist nämlich ein Typ, der genau das macht, was er nicht soll. Na, denke mal nach, du bist das doch, wie? Ich sagte dir, es sei Zeitverschwendung, Patronen zu verballern, da hast du mir beweisen wollen, daß es keine ist. Wußte ich vorher, du Narr, wußte ich alles. Von dieser prächtigen Gegend fing ich an zu reden, ich wollte nicht hin, nein, ich wollte nicht. Und was machtest du? Du bist vorgeritten, ich fing sogar Streit an, ich schlug dich vom Pferd. Hast du gedacht, meine Wut wäre echt gewesen?«

Er lacht leise und saugt heftig an seiner Pfeife. Seine Augen funkeln und seine Stimme wird traurig und salbungsvoll, als würde er eine Leichenrede halten.

Lee starrt ihn an wie ein Gespenst, wie einen bösen Geist. Er sieht in das Gesicht Joes und weiß, daß Joe nicht lügt. Jetzt ist Joe erst der richtige Joe Simmons. Alles andere vorher war Berechnung und Verstellung.

»Erinnerst du dich an Coopers Bruder?« fragt Joe, als zähle er die Verdienste eines längst Verblichenen auf. »Du erinnerst dich doch an den Mann, der beschwor, daß ich eine umgebrannte Herde trieb. Er ist tot, der arme Mensch. Seine Pferde gingen ihm durch, ein Unfall. Der Wagen stürzte einen Steilhang herab, hatte Cooper es so erzählt? Wenn nicht, Junge, dann muß ich dir die traurige Wahrheit sagen. Ich hatte ein Gewehr und traf ihn. Dann habe ich das Gewehr umgedreht und ihn an seinen Wagen gelegt. Und dann bin ich in die Schlucht gefahren – mit dem Wagen. Er ist gestorben, der arme Busche. Schade um ihn, aber was erzählt er Dinge, die ihn nichts angehen? Habe ich dir mal erzählt, daß mein Vater immer sagte: Junge, sagte er, du bist sehr schlau. Paß auf, daß du nie zu schlau wirst? Das hatte er gesagt, mein Vater, der ein Viehdieb war. War er, war er Junge. Es macht Freude, einmal alles erzählen zu können.«

»Du bist ja ein Teufel«, sagt Lee Dorlan entsetzt bis ins Mark. »Du bist ja verrückt, Joe!«

»Ja! Nun, ich bin nur schlau. Leider war Morley es nicht, als er mir sagte, daß seine Tochter mich nicht liebte und er mit einem verdammten Viehdieb nichts zu tun haben wollte. Er ließ mich stehen, der Narr. Mich, verstehst du? Dabei war ich viel schlauer als er. Ich hatte mir schon ausgerechnet, daß ich mit seiner Ranch den größten Teil der ganzen Weide haben würde. Und da sagte er mir so was vor den Kopf? Er ritt davon, der stolze, dumme – na ja. Und er machte noch eine Bewegung, die seine Verachtung ausdrücken sollte. Dem ging es so wie dir. Er saß am Stillwater, und ich hatte ihn nicht gesehen, als ich mit Tabe sprach. Es war wieder mal Tabe. Der Kerl ist noch mal mein Unglück, glaubst du? Na, Tabe und ich hatten uns über gestohlene Rinder unterhalten. Und das hatte er gehört. Wollte seiner Tochter die Augen öffnen und was der Dinge mehr von seinen Lippen kamen. Ich ließ ihn zwanzig Yards reiten und dann…«

»Du hast ihn umgebracht?«

»Aber wer denn sonst? Ich konnte doch nicht das Risiko eingehen, entdeckt zu werden. Dann würde ja alles herausgekommen sein. Sagte ich dir das von dem Stein, der fällt? Aha, ich sagte es dir. Siehst du, Tabe, dieser Lump, mußte uns außer der Aufstellung über die Herdenwachen Bens auch noch das Versprechen geben, mit Dan Erskin und den anderen Geschäfte zu machen. Und als wir das merkten, da blieb meinem ehrbaren Vater nichts anderes übrig, als sich Ben

Walker in den Weg zu legen, denn würde er die Banditen eingeholt haben, hätten sie natürlich geredet. Das ging nicht. Darum kam es zu einem kleinen Krieg, den mein Vater nicht überlebte. Schöne Geschichte, Lee, was?«

»Ja«, sagt Lee leichenblaß. »Die Geschichte ist gut, schade, daß ich keinen Revolver habe.«

»Du bekommst alle beide, wenn du tot bist, Junge, keine Sorge. Was wollte ich doch noch sagen? Richtig, Junge, war ich nicht geschickt? Habe ich nicht Cleydon genau auf den Tag in die Stadt bestellt? Ich wußte, an diesem Tag fuhr das Girl regelmäßig einkaufen. Und zufällig mußte Stuart auch hin. Da schrieb ich Cleydon, ich würde allein auf ihn warten. Hat der dumme Hund gewartet, was? Und dann kamst du, und der Kerl war wirklich schneller als ich. Ich sterbe so ungern, weißt du?«

»Du hattest ihn bestellt? Ah, er mußte weg und Stuart sollte auf die Idee kommen, ohne dich Walker anzugreifen?«

»Ah, er bekommt Ideen, der Junge. Richtig, ganz richtig. Er tat es und ich lag mit meinen Leuten oben auf dem Hang und ballerte früher los. Schade, daß sie sich nicht alle gegenseitig umbrachten, aber geschwächt reicht es mir ja auch. Stell dir vor, nun haben sie beide keine große Mannschaft mehr. Und Tabe hat doch wieder was geahnt, der Kerl.

Der wird mein Sheriff, ich sage es dir. Da muß er springen, wie ich es will. Zuerst muß er mir den Tod Walkers bestätigen. Kommt keiner raus hier, Lee, das ahnt auch Tabe, aber er kann nichts sagen, siehst du? Dann habe ich Walkers Herde und meinen Besitztitel auf die Wasserstellen. Ich werde behaupten, daß Walker es erfahren hat und mich hier umbringen wollte. Die Sache mit dem Girl wird mir keiner übelnehmen, ich wollte doch ganz ehrlich mit ihm verhandeln. Und der Narr muß schießen, stell dir das vor, Junge.

Von der Herde verkaufe ich ein paar hundert Rinder und bezahle eine harte Mannschaft. Und dann mache ich Stuart ein Angebot, dreh ihm alles Wasser ab und zwinge ihn aufzugeben oder zu kämpfen. Weißt du, wer dann als einziger Rancher hier sitzt? Der liebe, schlaue Joe!«

»Du bist irrsinnig, Mann. Du drehst ja durch, du warst die ganze Zeit irr.«

»Glaubst du? Nun, ich will mich nicht mit dir streiten, denn du bist bald tot. Weißt du, wie du sterben wirst? Walker wird dich erschießen. Sie werden dich so finden, gestorben für deinen besten Freund, den armen, unschuldigen Joe Simmons. Ich werde einige Tränen um dich vergießen, aber sagen werde ich ihnen nicht, daß ich dich herausschleppen ließ, als alles vorbei war und du noch gebunden warst, als du… Hast du verstanden?«

»Joe, komm zu dir, du redest irr, Mann!«

»Ich? Ich war nie normaler. Hatte mein Vater immer gesagt, daß ich ein Schlaukopf sei? Er sagte es!«

*

»Ja«, erwidert Lee Dorlan stockheiser. »Du hast es erzählt.«

Joe Simmons lacht und steht auf. »Laß dir die Zeit nicht lang werden. Du kommst nicht los, bemühe dich nicht. Vielen Dank, Lee, du warst ganz brauchbar!«

Und dann geht er hinaus und lacht im Flur, als hätte er seinen Verstand verloren.

Lee aber liegt still, versucht dann, nachdem er sein Entsetzen überwunden hat, an den Fesseln zu zerren, aber sie sind fest.

Großer Lord, denkt er ergrimmt. Er ist verrückt, ein normaler Mensch kann nicht so reden und handeln. Er ist verrückt. Ich muß los, ich muß es verhindern. Dann hat ihn Walker zu Recht beschuldigt, dann hat ihn der Sheriff als gemeinen Mörder damals wirklich eingesperrt.

Er zerrt, schneidet sich die Handgelenke ein, aber er kommt nicht los. Die Zeit verrinnt. Er hört draußen jemand rufen, daß sie auf ihre Posten gehen sollen.

Und kurz darauf schreit Joe heiser und fauchend: »Sie kommen, sie

kommen! Frankie, zieh schnell Lees Jacke an, setze seinen Hut auf! Sie werden dich für Lee halten und es

zu spät merken. Laß sie ruhig herein.«

Dann raschelt es am Fenster, Joe blickt in den Raum und lacht leise:

»Siehst du, Junge«, sagt er zufrieden. »Gute Dinge wollen ihre Zeit haben. Jetzt ist die Zeit reif. Wünsche mir Glück, Lee.«

»Den Teufel werde ich tun, du Narr! Laß es sein, Joe, ich bitte dich. Laß es sein!«

»Das geht nicht.«

Und Joe ist fort.

*

Hinter Lee klappt es leicht. Schritte huschen heran und Tabe Colony sagt flüsternd und voller Furcht:

»Junge, du kannst es schaffen, du kannst, wenn du willst. Ich habe deinen Gurt hier und mein Messer. Ganz still, sie sind fast am Eingang. Ich kann nicht zusehen. Lee, halte still. Joe ist wahnsinnig, er hat schon immer so verrückte Reden geführt.«

Mit dem Messer schneidet der Sheriff die Stricke entzwei. Lee kommt hoch und greift nach seinem Gurt, den Tabe Colony ihm hinhält. Er blickt den hageren und gebeugt stehenden Mann kurz an und erkennt das Gewehr in seiner Hand.

»Die beiden am Eingang, die übernehme ich. Das Mädel ist am nächsten Haus. Lee, ich kann nicht mitmachen, ich werde verrückt. Einmal habe ich Vieh gestohlen, ich gebe es ja zu. Dann wollte ich nur noch ehrlich sein, aber es geht nicht. Ich habe ihm immer berichten müssen, wo immer er auch war. Lee, schnell!«

Lee hat den Gurt zu und blickt Tabe finster an.

»Ja«, sagt er dann bitter. »Ich gehe jetzt und bringe ihn um. Ich werde nie glauben können, daß mein Partner Joe ein Teufel sein soll, mit dem ich geritten bin. Ich gehe ja schon.«

Er geht hinaus und jenes jungenhafte Lächeln ist dahin. War er bis jetzt noch ein Junge, nun ist er keiner mehr.

Er steht im Flur, sieht nach beiden Revolvern und dann aus der Tür. Vorn, etwa 150 Yards entfernt, kommen einige Reiter durch den engen Schlauch in die Schlucht hinein. Über ihnen ist nichts von zwei versteckt liegenden Schützen zu sehen. Aber rechts sieht Lee nun jenen Frankie. Links taucht Joe Simmons, keine 20 Yards entfernt, aus der Tür des nächsten Hauses auf.

Die beiden Männer gehen auf die Mitte der Straße zu. Und es sieht aus, als wären sie ganz allein in einem verlassenen Silberminennest.

Von vorn kommen nun die Reiter, ziehen sich etwas auseinander und reiten schneller. Allen voran ein großer weißhaariger Mann.

Wie Steve, denkt Lee Dorlan bestürzt. Wie Steve, mein Vater. Wäre ich doch nie von zu Hause weggegangen, wäre ich doch nur auf der Ranch.

»Lee«, wispert Tabe, von dem Joe sagte, daß er noch einmal sein Unglück wäre, und er ist es. »Lee, da oben sind zwei, Dan Erskin und sein Schwager Brown. Links im Haus steht Goddard und rechts drüben ist Slate, zwei Häuser weiter vorn wartet Burrows. Das sind alle mit Frankie. Vorsicht, Junge, und viel Glück.«

Vorsicht, denkt Lee, Glück? Sechs Mann ohne Joe. Das wird hart.

»Simmons, wo ist meine Tochter? Du Bandit, wo hast du meine Tochter versteckt? Gib sie heraus, sonst hänge ich dich auf!«

Der alte Weißkopf brüllt. Und Joe geht nun wieder zurück. Das ist der Trick, das ist Joes Trick. Er hat sie nahe genug herangelockt, mitten in die Falle.

Der alte Mann ist drin, kann nicht mehr heraus.

»Du bekommst sie nicht. Erst unterschreibst du, daß du deine Herde an mich abtrittst. Mein Vater wartet noch auf dich, Ben. Willst du… Achtung, er bricht los!«

Und da macht Lee, in jeder Hand einen Revolver, einen Satz nach draußen und sagt scharf und peitschend:

»Hinter dir, Walker! Deckung! Joe, zu spät, mein Freund, ich bin hier!«

Er sieht Joe herumwirbeln, den Colt in der Faust. Und dann drückt er ab.

Joe Simmons dreht sich immer weiter, kracht gegen das morsche Holzgeländer am Vorbau des nächsten Hauses und fällt mit ihm zu Boden. Drüben wirft sich Frankie herum. Er hat Lees Hut und Jacke an.

Lee feuert noch einmal, aber da kracht es aus dem Haus links. Die Kugel packt Lee und schleudet ihn von der Tür weg an die Wand. Er geht in die Knie und hört das brüllende Echo der Gewehrschüsse. Ein Pferd bricht zusammen, ein Mann kippt aus dem Sattel, und ein anderer schreit gellend:

»Linky… Linky… Bruder!«

Der eine Mann liegt, der andere läuft und bleibt plötzlich stehen.

Über Lee brüllt der Karabiner Tabes los, dann faucht es wieder aus dem Haus links. Tabe erscheint halb am Fenster und bleibt über dem Fensterbrett liegen. Sein Gewehr fällt nach außen neben Lee.

Keuchend dreht sich Lee herum, sieht den Mann verschwinden und stemmt sich hoch. Rechts von ihm kracht es, eine Kugel jagt Staub und Dreck von der Wand hoch. Er steht in der Tür des nächsten Hauses und hört das Mädchen schreien.

Langsam und schwerfällig wankt er auf die Ecke zu. Die Tür zum Nebenzimmer fliegt auf und der Mann mit dem Bart und den Patronengurten kommt rückwärts heraus, im linken Arm das gebundene Mädchen, in der rechten Hand den rauchenden Colt.

»Schrei«, sagt er keuchend. »Schrei nur. Entweder lassen sie mich heraus oder du…«

»Genug, Goddard«, sagt Lee eisig. Goddard fährt herum, reißt das Mädchen vor sich. »Laß sie los, du Narr, du sollst…«

Goddards Revolver taucht herunter auf ihn. Er sieht von Goddard nur die rechte Schulter und drückt ab.

Es kracht ohrenbetäubend im Raum, dann wankt Goddard, das Mädchen aber fällt zu Boden. Goddard lehnt an der Wand. Langsam kommt sein Colt hoch.

Lee Dorlan sieht Feuerräder vor den Augen, ächzt schwer und drückt ab. Dann ist alles schwarz um ihn. Er sinkt nach links.

Dort schlägt er die Augen wieder auf, blickt auf die Wand und den Mann am Boden und lächelt müde.

Das Mädchen sieht ihn an und Lee Dorlan lächelt. »Gut«, sagt er leer. »Gut, Mädel, nun stirbt keiner mehr.«

Es ist ihm, als falle er immer tiefer, rasend schnell. Neben ihm saust Joe herunter und lacht scheußlich. Und ihm ist, als lache Joe in einer engen Röhre, so hohl, so schrill und nervenzerreißend schrillt es in seinen Ohren.

Dann ist alles still.

Draußen liegt Joe still und steif auf der Seite, den Colt in der Faust.

Er wird nie mehr mit Lee auf einen Ritt gehen, es wird keinen mehr geben, keinen…

Ritt mit dem Teufel!

*

Ich bin zu Hause, denkt Lee Dorlan und lauscht. Ich bin wahrhaftig da, aber verdammt, warum kann ich mich denn nicht bewegen?

Er brüllt schon wieder, er muß immer brüllen. Steve, wann endlich gewöhnst du dir das ab?

»Ich will zu meinem Jungen, habt ihr nicht gehört? Geht mir aus dem Weg, ihr haarigen Affen, ich werfe euch auf den Mond, wenn ihr nicht gleich… He, Lady!«

»Er ist noch so schwach, Mr. Dorlan, er ist doch noch so schwach. Seit sechs Tagen geht es ihm besser, aber Fieber hat er immer noch. So viel Blut verloren, der arme Lee.«

»Was? Der arme Lee, der arme. Ah, wie hört sich denn das an, wie denn? Der Lümmel, der soll mich kennenlernen. Rückt einfach aus, rückt einfach aus!«

»Haben Sie ihn mit einer Latte geschlagen, Mr. Dorlan?«

»Wie, ich? Na ja, kann sein, ich werde leicht wütend. Und überhaupt, woher wissen Sie das, Lady?«

»In seinem Fieber hat er geschrien. Vater, hat er geschrien, nimm die Latte weg, die Latte, nicht schlagen, Vater.«

Auf einmal ist es still.

Wo bin ich denn bloß? denkt Lee Dorlan.

»Hat er Vater gerufen?«

»Das hat er. Sind Sie denn nicht sein Vater?«

»Und ob ich das bin, jawohl, das bin ich! Und das ist ein richtiger Dorlan und nun will ich… zum Teufel, ich will zu meinem Jungen!«

»Mr. Dorlan…«

»Geht mir aus dem Weg, ihr Heuschrecken, sonst hole ich meine Mannschaft, die räumt euch ab, daß ihr im Abfalleimer landet. Lady, du kannst mitkommen. So, ein armer Junge – armer Lee.«

»Ja, er hat sich für uns beinahe totschießen lassen, als er erst wußte, was für ein Mensch Joe Simmons war. Und er ist prächtig.«

»Soso? Wie alt bist du denn, Lady?«

»Neunzehn, vorigen Monat geworden, Mr. Dorlan.«

»Soso, neunzehn. Und er ist prächtig? Du bist anscheinend auch prächtig, Lady. Da hinein?«

»Da hinein!«

»Bleibe gefälligst draußen, verstanden?«

Oha, was er grollen kann. Aber die Tür macht er leise auf.

Wo bin ich bloß, denkt Lee.

Die Dielen knarren, jemand hockt sich auf die Bettkante. Und Lee liegt ganz still, atmet ruhig.

»Sohn, was machst du denn für Sachen? Wenn dieses verrückte Frauenzimmer Rosy mir nicht geschrieben hätte, würde ich dich ja nie gefunden haben, Sohn. Hört mich nicht, der Junge, hört mich nicht. Ach, du lieber Gott, ich bin ein alter Narr. Aber ich hatte doch nie jemand. Meine Frau hat nie verstanden, daß zuerst die Arbeit im Leben eines Mannes kommt, Pflicht, Aufopferung und Arbeit. Den Jungen hat sie mir weggenommen. Und darum habe ich sie gehaßt, richtig gehaßt. Und doch wieder geliebt, obwohl sie mich nicht mehr ansah. Als sie tot war, da war alles entzwei in mir, aber gezeigt habe ich das nicht. Ich bin ja ein Dorlan, der läßt sich nichts merken. Nun liegt er da und ist verflucht blaß. Und hören kann er mich nicht.

Ich möchte ihm ja sagen, daß mir mein verfluchter Jähzorn leid tut, aber wenn er aufwacht, dann kann ich es doch nicht. Ich kann nie sagen, was ich denke.«

Da hat er Lees Hand und streichelt sie unbeholfen wie ein riesenhafter Bär.

Schnuffeln muß er, nach seinem

Taschentuch angeln und schnauben.

»Sohn«, sagt er leise. »Wenn du wieder gesund bist, dann leitest du die Ranch mit mir zusammen. Und zehn Dollar die Woche – ich war ziemlich verrückt, aber du hast mich immer Steve genannt – wie einen verdammten Fremden. Dabei wäre ich so froh gewesen, wenn du mal Vater zu mir gesagt hättest, nur ein einziges Mal und ganz leise, aber sagen hättest du es müssen, Sohn.«

»Vater!«

»Junge, he, mach mal die Augen auf!«

»Ja, Vater!«

»Ei, da sieht er mich, da sieht er mich. Alles in Ordnung, Junge, alles in Ordnung. Du hast die verfluchten Banditen alle erschossen. Wacker, wacker, richtiger Dorlan. Bist auf der Ranch von dem alten Walker. Der sitzt im Rollstuhl, hat eine Kugel im Bein. Junge, wenn du mit mir nach Hause fährst, dann leiten wir zusammen die Ranch, ja?«

»Ich war wach, als du herein kamst, Vater.«

»So, na ja. Ich rede manchmal so dummes Zeug, weißt du?«

»Das war kein dummes Zeug, Vater.«

»Nicht, na ja.«

Und er steht auf, geht zum Fenster und trommelt mit den Fingern auf der Fensterbank.

»Ein hübsches Girl.«

»Wer?«

»Dieses Walker-Mädel.«

»Hm.«

»Gefällt sie dir, Sohn? Da ist so was in ihren Aguen. Na, wenn du willst, ich meine, wenn du Lust hast, rede ich dir nicht rein, bist alt genug. Verstanden?«

»Aber ich denke doch gar nicht…«

»Idiot, wenn ich jünger wäre… So ein Girl, taufrisch, absolut taufrisch. Übrigens haben sich dieser Olbright und Walker auf einmal geeinigt. Sie benutzen die Wasserstellen zusammen.«

»Gut, das ist gut. Ein paar alte Narren.«

»He, bin ich auch, alt.«

»Aber mein Vater!«

»Besser konnte ich es auch nicht sagen, Sohn. Der Sheriff hat noch lange genug gelebt, um alles zu sagen, war nicht gleich tot. Und überhaupt, das mit den zwei Revolvern hört auf, ich will nicht jede Nacht im Bett vor Angst totschwitzen, daß dich einer umbringen könnte. Du bist friedlich und hilfst mir. Und dann kümmere dich mal um dieses Girl, das gefällt mir. Sonst heirate ich sie.«

»So weit kommt das noch.«

»Dann weißt du ja, was du zu tun hast, Junge. In vierzehn Tagen, meint der Doc, bist du reisefähig. Dann geht es nach Hause. Aber vielleicht hängen wir noch eine Woche dran, habe nie Urlaub gemacht, nie richtig. Du hast gesund zu werden, verstanden?«

Keine Antwort. Lee Dorlan schläft fest. Der alte Mann hockt sich neben ihn und hält seine Hand. Er erinnert sich an viele Dinge, an einen Zaun, einen Spieler und eine Latte.

Und die Sonne scheint auf ihre Hände durch das Fenster.

Eine alte, grobe und schwielige Hand.

Und eine schlanke und feste, hart wie Stahl, nur im Augenblick etwas durchsichtig.

Sicher kommt eine dritte Hand eines Tages dazu. Noch schmaler, noch schlanker.

Wäre das nichts?

Na, Amigos?

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-86377-496-7

G.F. Barner 1 – Western

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