Читать книгу G.F. Barner 1 – Western - G.F. Barner - Страница 27

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Ich könnte ihn umbringen, dachte der Deputysheriff Jim Ford aus Paradise Hill, als er sich umsah. Der Mann hinter ihm hockte zusammengesunken auf seinem Pferd.

Er war Jim Fords Onkel.

»Die Hölle!« schrie Ford voller Grimm, als sich Sam, sein alter Onkel, die Brille blank rieb, damit er wieder sehen konnte. »Ich schwöre dir, wenn diese beiden Halunken einen Unschuldigen erschießen, dann holt dich der Teufel. Du dreimal verrückter Kerl, wie konntest du das tun, he? Wer hat dir erlaubt, in mein Office zu rennen und unter den Steckbriefen zu wühlen? Und welcher Satan hat dich geritten, dann mit dem Steckbrief in den Saloon zu rennen und zu schreien, du hättest Joe Brian Flint gesehen? Sam, hast du denn die beiden Ansons nicht erkannt?«

Sam Ford, ein mickriges, kleines Männchen, Storebesitzer aus Paradise Hill in Nord-Nevada, riß den Steckbrief aus seiner Brusttasche. Dabei flog der Staub eines dreißig Meilen weiten Rittes auf, den er und Jim hinter sich gebracht hatten. Vor ihnen zog eine schwache Spur nach Norden auf den McConnell Peak zu, aber der Berg war noch drei Reitstunden entfernt, und die Dämmerung kam bereits.

»Das ist der Steckbrief, oder nicht?« brüllte der kleine Sam mit fuchtelnden Händen zurück. »Hier steht es, du Affe! Josef Brian Flint… tot oder lebendig. Gesucht wegen Bankraubes, Stagecoachüberfall und Trickdiebstahl. Alter, Haarfarbe, und Kennzeichen. Hörst du? Kennzeichen, du Affe! Flint trägt fast immer sogenannte Stutzerwesten mit Silberknöpfen, Cordanzüge und einen Fünfundvierziger. Dieser Mann, du nachgemachter Sheriff, der Kerl war gestern abend, als es dunkel wurde, in der Stadt und in meinem Store. Es fiel mir jedoch erst ein, als der Bursche schon weg war, daß ich bei dir im Office einen Steckbrief gesehen hatte, auf dem der Kerl genau beschrieben war, wie er dann auch in meinem Store stand. Es war dieser verfluchte Trickdieb Flint. Ich laß mich hängen, wenn er es nicht war, hörst du? Die Beschreibung stimmt genau. Er kam auch erst, als es dunkel war. Er sah sich noch um wie einer, dem jemand auf den Fersen sein muß. Ich bin doch nicht blind, du nachgemachter Sheriffstellvertreter, dem ich erst den Job besorgt habe. Ohne mich wärst du noch dabei, Kühe zu hüten, du Affe. Und jetzt schreit der Kerl mich an, ich hätte einen Fehler gemacht! Das war dieser Flint, der einen ganzen Wagen voll Münzsilber der Hamilton Mine gestohlen und versteckt hat. Es war Flint, verdammt noch mal!«

»Hattest du deine Brille auf, als er im Store war?« erkundigte sich Ford grimmig. »Und als du in den Saloon ranntest – hattest du sie da auf der Nase, he? Du bist verrückt geworden, Sam! Ganz Nevada kennt die beiden Ansons. Das sind die kaltblütigsten Kopfgeldjäger der letzten Jahre. Und was machst du? Du schreist durch den ganzen Saloon, du hättest Flint gesehen. Sie hören es, nehmen dir den Steckbrief weg, dann verschwinden sie – und ich bin nicht in der Stadt. Weißt du, was das hier sind, Sam? Das sind Spuren, Mister. Die eine stammt von deinem angeblich in deinem Store gewesenen Flint, aber die anderen beiden haben die Ansonsbrüder hinterlassen. Tot oder lebendig, wie? Weißt du, wie die Ansons ihre Opfer anbringen? Immer tot! Und nun denke mal etwas nach, du Narr! Wenn der Mann nicht Flint war, dann knallen die Ansons einen Unschuldigen ab. Was dann passiert, Mister, kannst du dir nicht ausrechnen, wette ich.«

Sam Ford holte tief Luft, dann schnappte er bissig:

»Als du noch in die Windeln machtest, du Affe, hatte ich schon Quentin Lodge erschossen. Und warum, he? Weil ich ihn erkannte, ich, verstehst du? Dieser Bandit wurde in ganz Arizona gesucht, aber ich erkannte ihn, ich rief ihn an und schoß schneller.«

»Schneller?« knirschte der Deputy. »Du hattest ein Gewehr, und er nur einen Revolver. Seitdem bist du ein Held, was? Dabei bist du alt, siehst schlecht und tust so, als wärest du noch fünfundzwanzig, Sam. Los, komm weiter, ich will die Ansons einholen, ich muß!«

»Laß dir nur Zeit«, höhnte Sam Ford. »In diesem Steckbrief steht, daß Flint niemals am Tag, sondern nur nachts reitet. Dort vorn ist der McConnell Peak, und ich wette meine Brille, daß der Kerl dort oben den ganzen Tag geschlafen hat und jetzt erst aufbrechen wird.«

Sie ritten an, kamen auf steiniges Gelände und sahen im letzten Tageslicht, daß die eine Spur verschwunden war. Die Doppelfährte der berüchtigten Ansonbrüder aber bog nach Osten ab.

»Verdammt!« zischte der Deputy verstört. »Sieht tatsächlich so aus, als wäre der Bursche zum Berg geritten. Die Ansons sind abgebogen. Alle Teufel, ich glaube fast…«

Er fuhr herum, als Hufschlag hinter ihnen herantrommelte. Aus der Zwielichtigkeit der Dämmerung stob ein Reiter heran, der ein zweites Pferd an der Longe führte.

Der Mann war mittelgroß, stämmig und riß sein Pferd auf die Hacken. An seiner Weste steckte ein Marshalstern.

»Ford?« fragte er scharf. »Deputy, ich komme aus Paradise Hill. Stimmt das, was der Saloon-Keeper mir erzählte? Stammen die beiden Spuren von den Ansons?«

»Marshal Harris!« stieß Ford heraus. Er hatte Harris einmal in Winnemucca gesehen. Harris war Staatenmarshal, zuständig für Nevada. »Yeah, es sind die Ansonsbrüder, und sie sind hinter dem Mann her, den mein Onkel für Flint gehalten hat. Ich war nicht da, als er mit dem Steckbrief in den Saloon…«

»Es war Flint!« fauchte Harris grimmig. »Dann sind Sie Sam Ford, was? Sie sind der verdammteste Narr unter der Sonne, Mann! Ich brauche Flint lebend. Der Halunke hat einen Bruder in Oregon, einen Halbruder, von dem wir nicht wissen, wie er mit Nachnamen heißt. Wir kennen nur seinen Vornamen. Ford, Flint hat Münzsilber im Wert von über dreißigtausend Dollar verschwinden lassen, und nur er weiß, wo das Zeug versteckt ist. Wenn diese verfluchten Kopfgeldjäger den Mann umbringen, dann sieht kein Mensch jemals das Silber wieder. Ich brauche ihn lebend – und Sie Narr hetzen die Ansons auf ihn, die jeden Gesuchten abknallen! Deputy, es gibt nur eine Hoffnung: Flint ist gerissen genug, die beiden Halunken auszutricksen. Er reitet niemals am Tag. Wohin führt seine Spur?«

Jim Ford war bleich geworden.

»Auf den Berg, vermute ich«, stammelte er. »Marshal, wenn er dort oben gewesen ist, dann müßte er jetzt losgeritten sein. Es gibt nur einen Weg nach Norden, den man hier reiten kann, wenn man vom Berg kommt – der Weg führt durch den Einschnitt des Südarmes des Quinn Rivers. Mein Gott, die Ansons haben das erkannt. Sie sind dort abgebogen und sicher im Bogen an die Schlucht geritten, durch die der Bach fließt. Marshal, wir brauchen zwei Stunden, um dort hinzukommen.«

»Gerechter!« ächzte Harris. »Zwei Stunden? Ich kenne die Ansons, dieses Gesindel. Sie schießen erst und fragen dann. Deputy, schnell, wir müssen versuchen, sie zu erreichen. Ich bin seit Monaten hinter Flint her, ich hatte ihn einmal bis nach Arizona gejagt, aber er entwischte. Der Hundesohn ist eiskalt, listig wie ein Fuchs und verwegen wie der Teufel. Aber die Ansons könnten ihn erwischen, die bringen ihn mir um, ehe der verdammte Kerl mir verraten hat, wo er das Silber versteckt hat. Wo müssen wir reiten, Ford?«

»Halbrechts!« antwortete Ford. »Sam, bleib zurück, du kannst uns nicht helfen. Ausgerechnet die Ansons, diese beiden Berufskiller. Los, Marshal!«

Ford jagte sein Pferd an. Er dachte an die dreitausend Dollar Belohnung, die auf Flints Kopf ausgesetzt waren. Die Ansons würden keinen Skrupel kennen. Für dreitausend Dollar brachten die zehn Männer um.

»Hölle und Pest!« fluchte Ford im Losjagen. »Bill Anson ist der verdammteste Strolch, den ich kenne, Marshal, der schießt Flint von hinten ab wie andere Leute einen räudigen Hund. Daß sie auch ausgerechnet im Saloon sein mußten! Sie hausen in der Nähe von Paradise Hill in einer schmutzigen Hütte, sind aber kaum drei Monate im Jahr zu Hause. Ausgerechnet jetzt!«

Harris preßte die Zähne zusammen, dann knurrte er: »Sie könnten sich verrechnen, Mister. Flint ist kein gewöhnlicher Bandit. Man sagt von mir, ich wäre ein menschlicher Bluthund, wie?«

Ford sah weg – er hatte das längst gehört. Harris gab nie etwas auf. Suchte er jemand, dann fand er ihn auch.

»Nun ja…«, machte er lahm. »Ich habe nie gedacht, daß Flint in Paradise Hill auftauchen würde.«

»Das ist sein verdammter Trick«, knirschte Harris. »Er versorgt sich immer für gut eine Woche oder länger mit Verpflegung – und immer nur in kleinen Nestern. Meist erzählt er irgendwelche Geschichten über Partner, die er versorgen müßte. Genauso ist es in Paradise Hill gewesen. Die Frau Ihres Onkels erzählte mir genug. Sie hat ihn bedient, wie? Dieser Hundesohn Flint schläft am Tag und reitet nachts, darum sieht man ihn niemals in derselben Gegend wieder. Versorgt mit Verpflegung legt er manchmal zweihundert, dreihundert Meilen in sieben Tagen zurück.«

*

Steve Anson zog jäh das Gewehr ein. Seine Hand berührte das kühle Schloß der Waffe. Der Hufschlag kam und wurde trommelnd lauter im Schlauch des Bachbettes.

Hölle, dachte Steve und schielte nach links, Billy hat wieder mal recht behalten, da kommt er ja, er kommt, der Kerl! Das ist der einzige Weg nach Norden vom Connell Peak. Na, Mister, dann komm her, dir werde ich eins aufbraten!

Billy hatte es gesagt, sein älterer Bruder, der bullige Billy mit den Wulstlippen und den schnellen Händen. Billy lag jetzt hinter der Biegung, die das Steiltal machte. Vor der Biegung lauerte Steve Anson, das Gegenteil von Billy. Er war hager, klapperdürr, hatte einen ausgemergelten Kopf und klauenartige Finger. Mit denen hatte er Toten die Taschen durchwühlt, wenn sie sie erledigt hatten. Da war oft genug an seinen Finger etwas klebengeblieben.

Jetzt würde noch mehr klebenbleiben, viel mehr. So viel, wie sie noch nie im Leben auf einen Haufen gesehen hatten, dreißigtausend Dollar in Silber!

Steve grinste hämisch und lag ganz still. Der Hufschlag dröhnte jetzt nachhallend durch das enge Tal.

No, dachte Steve beinahe fröhlich, no, Mister Flint! Zuerst schießen wir dich nur an. Danach machen wir dir das Maul auf. Bei uns singt jeder, weißt du? Kein Vogel könnte schöner singen, verlaß dich darauf. Sag uns mal erst, Mister, wo du dein Silber versteckt hast. Danach knallt es – und danach liefern wir dich steif und kalt ab. Sie werden dreitausend Böcke für dich bezahlen, wenn wir dich gebracht haben. Die kassieren wir auch noch. – Ah, jetzt bist du da!

Er streckte jäh den dürren, mageren Hals vor und stierte in das Tal hinab.

In dieser Sekunde sah er das Pferd, aber es lief nicht mitten im Tal, es jagte scharf an der rechten Steilwand entlang, war schon vorbei und preschte auf die Biegung zu.

Steve Anson riß das Gewehr hoch und zielte auf Flints linke Schulter.

Verfluchte Schwärze, dachte er, verdammte Pest, unter der Wand ist es zu dunkel. Nicht in das Kreuz knallen, nur ankratzen, nicht umbringen…

Er drückte ab, als der Gaul nur wenige Meter vor der scharfen Biegung war.

Brüllend stand das Echo im Schlauch des Tales. Dann ein Schrei, die Gestalt schwankte und kippte ab. Das Pferd jagte weiter, der Kerl fiel… oder nicht? Schon war das Pferd um die Biegung. Jetzt mußte Billy es sehen.

»Schieß doch, Billy!« keuchte

Steve, diese verknöcherte Bohnenstange. »Schieß, Bruder, knall ihm den Gaul…«

Billy feuerte – der Gaul wieherte schrill. Dann kam der Aufprall, ein Poltern, Dröhnen – Steine kollerten.

Steve lag still, stierte auf die Biegung, hinter der Billys Kugel das Pferd erwischt und getötet hatte. Dort regte sich nichts, keiner kroch über den Boden, keiner rannte zurück. Nur satte Schwärze war dort unten.

»Steve… Steve…« Billy schrie los.

»Yeah«, brüllte Steve zurück. »Wo ist er?«

»Kann ihn nicht sehen, muß aber unter dem Gaul liegen. Zuviel Staub hochgewirbelt, als der Gaul umkippte. Schmeiß das Zeug runter, Steve, schnell!«

Das Zeug, dachte Steve Anson, richtig, runter damit!

Sie hatten sich vorbereitet und diese Stelle gewählt, weil sie so günstig war. Die Ansons machten das nicht zum erstenmal. Sie suchten sich vorher trockene Büsche. Dann steckten sie sie an und hatten Licht. Wer immer sich verkrochen hatte – er lag plötzlich im Licht und bekam, wenn er nicht aufgab, noch eine heiße Kugel für die Reise auf den langen

Trail.

Steve zog an seinem Lasso, das er um die Büsche gebunden hatte. Er zerrte die Büsche heran, warf einen im Bogen nach unten, den nächsten nach. Den dritten Busch steckte er an und schleuderte ihn auf die anderen.

Sie lagen kurz vor der Biegung und brannten in weniger als einer halben Minute lichterloh. Die verdammte, satte Schwärze, die Steve so gestört hatte, verschwand. Flammenschein loderte durch das enge Tal.

Drüben war Billy, drüben holte Billy Anson aus. Die Büsche flogen brennend hinab, landeten keine zehn Schritte neben dem Pferd. Er grinste teuflisch, der untersetzte Mann mit den dicken Wulstlippen, packte den letzten Busch, stierte vorsichtig auf den toten Gaul, der immer deutlicher zu erkennen war.

Den letzten Busch…, er hob ihn hoch, wollte ihn wegwerfen. In dieser Sekunde kam der Knall – ein Peitschen unter Billy Anson. Aber nicht am Pferd – drüben war es, an der anderen Seite des Talschlauches. Mit dem Peitschen war die Kugel da und traf Billy Anson mitten in den Bauch. Er knickte ein, den Busch noch in den Händen. Plötzlich war der Busch zu schwer für seine Hände. Er zog die Arme herunter. Anson knickte ein und neigte sich nach vorn.

Flint, dachte der Berufskiller noch, Flint – im Staub weggekrochen, drüben hockt er. Ich falle, ich – ich falle, ich…

Er schrie, als ihn der Busch nach vorn zog. Er ließ ihn jetzt los, aber es war zu spät. Billy Anson, der mehr als ein Dutzend Männer von hinten angeschossen hatte, kippte über die Kante und fiel zwanzig Schritte tief. Der Schrei gellte langgezogen durch die Nacht, der Körper überschlug sich, schrammte einmal über die Wand, wurde weggeschleudert und raste auf die zackigen Steine zu.

Im selben Augenblick flog ein Schatten drüben hoch. Der Mann war groß. Er maß mehr als sechs Fuß. Nach dem Steckbrief sogar drei Zoll mehr.

Weg, dachte Flint, rüber jetzt. Der andere liegt hinter der Biegung, der muß auch erst laufen. Mein Arm, verdammt…

Es war nur ein Streifschuß, das wußte Flint. Er rannte wie ein Hase, hörte das dumpfe Dröhnen, mit dem der Mann aufschlug. Dann war er an der steilen Wand, sah die Rinne zwanzig Schritte weiter. Er lief noch schneller, kam an die schräg verlaufende Rille der Wand und begann sie hochzusteigen.

»Billy! – Billy! – Billy!«

Steve war nun da und stierte in die Tiefe. Billy lag unten, den Hals verdreht, die Arme ausgebreitet. Billy war mausetot wie jene, die er einmal umgebracht hatte.

Die Angst war plötzlich in Steve Anson, nackte Furcht überfiel ihn. Er schrie nicht mehr, er warf sich herum. Er wußte nicht, wo Flint war, er wußte aber, daß Flint auch ihn erwischen konnte. Darum rannte er und flog in langen Sätzen nach rechts. Dort waren Felsen, hinter denen sie ihre Pferde abgestellt hatten. Steve Anson kam hin, warf sich auf seinen Gaul und gab dem Tier die Hacken.

Als er hinter den Felsen herausjagte, sah er die Gestalt vierzig Schritte hinter sich auftauchen. Der Feuerstrahl raste durch die Nacht, die Kugel kam und fuhr Steve durch die Rippen. Er knickte ein, warf sich auf den Hals des Pferdes und verlor sein Gewehr.

Festhalten, dachte Steve, festhalten, weg hier, sonst…

Mehr dachte er nicht, denn der zweite Knall war da. Sein Pferd stieg jäh, machte einen wilden Satz und neigte sich dann blitzschnell.

Das war alles, was Anson noch merkte, als er aufschlug. Ein Hieb ging durch seinen Körper, der Gaul krachte über ihm zusammen. Er schrie nicht mal – er lag still…

Als er zu sich kam, begann er zu wimmern. Er spürte das Gewicht des Pferdes über seinen Beinen, den fürchterlichen Schmerz im Rücken. Mühsam drehte er den Kopf.

»Nun, du Narr?« fragte der Mann neben ihm. »Nun – genug für heute?«

»Flint – Flint, hol mich heraus, hol mich… Hilf mir…«

Licht kam plötzlich und blendete ihn. Er blinzelte, stöhnte, sah ihre eigene Laterne, die an Billys Pferd gehangen hatte. Dann stierte er in das Gesicht Flints. Es war ein braungebranntes, kaltes Gesicht. Papier raschelte leise, und er begriff, daß Flint seine Taschen, an die er herankommen konnte, durchwühlt haben mußte.

»So ist das. Mächtig interessant, Anson«, hörte er Flint knurren. »Eine Bescheinigung vom Sheriff in Carson City, eine vom Townmarshal von Elko über empfangenes Kopfgeld, ausgestellt auf Billy und Steve Anson. Kopfgeldjäger, was? Das dreckigste Gesindel, das es gibt. Welcher bist du? Steve oder Billy?«

»Steve – Steve? Flint, hilf mir! Meine Beine… Oh, mein Gott, meine Beine… Mein Rücken!«

Der Mann sagte nichts, der Mann stand auf, der Lichtschein verlor sich wie seine Schritte. Dann tackten Hufe los.

»Flint!« heulte Anson in die Nacht hinein. »Flint…«

Nur das Echo seiner Stimme kam zurück. Flint war fort. Er hatte ihn liegengelassen.

*

Jim Ford stierte auf den halbtoten Kopfgeldjäger hinab, würgte heftig, als er das Seil anzog und der eine Huf des Gaules wackelte.

»Marshal!« ächzte Ford. »Festziehen, Marshal! Der hat sie beide… Was muß das für ein Kerl sein, daß er ihn liegenließ?«

»Ich sagte dir doch, er ist eiskalt, der kennt keine Gnade, wenn es um Berufskiller wie den hier geht«, erwiderte Harris bissig. »Jetzt kann ich den Hundesohn suchen, aber ob ich ihn finde, das weiß der Teufel. Flint versteht es wie kein anderer, seine Spur zu löschen, wenn er sich verfolgt weiß. Von jetzt an kann ich raten, wohin er geritten ist. Der Strolch jagt nie im Leben nach Norden weiter. Vielleicht ist er morgen im Osten, vielleicht auch im Westen. Und wenn ich ganz und gar Pech habe, taucht er wieder im Süden auf. Die Pest, jetzt ist er gewarnt, jetzt wird er vorsichtig sein wie ein Fuchs, der Jäger und Hunde vor seinem Bau weiß.

Er hat genug Vorrat, um sich zehn Tage zu verkriechen, wenn er sich das Essen einteilt. Der reitet nicht nach Oregon weiter, der nicht!«

Er fluchte bissig und ritt an. Der Gaul fiel langsam auf die andere Seite. Steve Anson kam frei. Ford starrte auf Ansons gebrochene Beine. Anson würde ein Jahr lang zu tun haben, um wieder gehen zu können, aber er würde ein Krüppel bleiben, ungefährlich für andere.

Flint war über alle Berge. Wieder mal entwischt. Aber irgendwo mußte er eines Tages auftauchen.

*

Ben Claydon zog jäh die Leinen an und brachte den Wagen zum Stehen. Dann griff er zu seinem Gewehr und sah sich nach seiner Tochter Anne und deren Freundin Caroll Andrews um. Vor ihnen waren Büsche. Der Alte blickte hin und fuhr wieder an.

»Geier«, knurrte der alte Ben Claydon. »Dort kann kein Rind liegen. Zu weit von der Galloway Ranch bis hier herauf. Haltet euch fest!«

Das war alles, was er sagte. Der Grimm steckte immer noch in ihm, seitdem Hank Galloway von Mikel geredet hatte. Mikel war der jüngste von Old Bens beiden Söhnen. Und wollte man Old Ben brüllen hören, brauchte man nur etwas über Mikel zu erzählen. Wann immer ein Mann seine ganzen Hoffnungen in einen Sohn gesetzt hatte – dieser Sohn hatte ihn enttäuscht.

Seit vier Monaten durfte niemand auf der Claydon Ranch Mikels Namen in den Mund nehmen. Der Alte war mit seinem Sohn fertig. Und was fertig bei Ben Claydon hieß, das wußten nur die, die diesen Oldtimer kannten. Für Old Ben war Mikel gestorben. Das hatten sie alle geglaubt, bis Galloway am Vormittag gesagt hatte, daß ihm Mikel in Nampa begegnet wäre. Er hätte am Spieltisch gesessen, und…

Weiter war Gus Galloway nicht gekommen. Old Ben war abrupt aufgestanden und hatte geschrien, er wolle keinen Ton mehr über diesen Halunken hören. Danach hatte er volle vier Stunden getobt. Selbst auf dem Wagen hatte er noch weiter gebrüllt.

Jetzt stockerten die Wagenräder über grobe Steine. Das Geröll bedeckte den Hang bis zum Buschstreifen. Und dann…

»Verdammt – ein Pferd!« stieß der Alte durch die Zähne. »He, ihr bleibt hier, verstanden? Das ist kein Anblick für euch Girls.«

Er hielt an, stieg ab und nahm sein Gewehr mit. Dann feuerte er schräg gegen den Himmel, bis die letzten Geier kreischend davonschwangen.

Old Ben blieb gegen den Wind neben dem toten Pferd stehen. Er warf einen Blick auf den linken Vorderhuf, auf die Rille am Rand der Büsche und sah danach zum Kopf des Pferdes.

Der Mann war von Süden durch die Büsche gekommen, und es mußte noch dunkel gewesen sein, als er jene Bodenrille erreicht hatte.

»Dad – liegt jemand in den Büschen?«

»No, Tochter«, knarrte der Alte mißmutig. »Er ist nur hineingeflogen. Sieht aus, als hätte er dort eine ganze Weile gelegen, ehe er wieder zu sich kam. Der Gaul brach sich den Vorderhuf, und er mußte ihn erschießen.«

Claydon betrachtete die gesplitterten, angebrochenen Buschzweige. Dann ging er ein Stück nach rechts in die Richtung, aus der der Mann heruntergeritten sein mußte, aber er fand keine Fährte. Es gab keine Fußspuren. Nur neben dem Pferd, als Claydon zur anderen Seite ging, waren einige Schleifspuren.

»Das soll der Teufel verstehen«, knurrte Old Ben finster. »Er hat den Sattel und das Zaumzeug mitgenommen – und wahrscheinlich auch einen ziemlich schweren Packen, aber – wohin ist er gegangen?«

Keine achtzig Schritte hinter den Büschen begannen die Ausläufer der Sanddünen der Alvord-Wüste. Claydon glaubte ein paar Eindrücke am Beginn des Sanddünenstreifens zu sehen und drehte sich um.

»Nun, Dad?«

»Entweder bin ich ein Narr – oder der Bursche war einer«, murrte der Alte mißmutig. »Sieht aus, als wäre er mit seinem Packen, dem Sattel und dem Zaumzeug mitten in die Dünen marschiert. Ich muß mich irren, so verrückt könnte kein Mensch sein. Ohne Wasser in den Dünen – und dann bei Tag? Zum Teufel, was soll ich mir über irgendeinen Narren den Kopf zerbrechen? Schon genug, wenn ich einen in der Familie…«

Danach schwieg der Alte verbissen, stieg auf den Bock und fuhr brummelnd an. Sie hatten noch zwei Stunden zu fahren, ehe sie die Ranch erreichen konnten.

»Der verdammte Schurke!« fluchte Old Ben, nachdem sie eine Meile gefahren waren. »Spielen, was? Als wenn ich ihm das beigebracht habe! Ich, he? Keinen Cent wird er bekommen. Soll er doch verrecken, dieser windige Bursche. Nirgendwo kann man noch hingehen, ohne daß einen die Leute anreden und etwas über seine Schurkereien erzählen. Zwei Söhne hat man, und man denkt, daß man alles für sie getan und sie anständig erzogen hat. Da bricht sich der eine Sohn alle Knochen und wird zum Krüppel – und der andere hat nichts als Teufeleien in seinem bißchen Gehirn. Habe ich ihm beigebracht, andere Leute umzureiten, he? Hat er von mir gelernt, jemand die ganze Herde hochzujagen oder Streit zu suchen? Er bringt mich noch ins Grab, der Schurke! Anne, habe ich euch Schlechtigkeiten beigebracht?«

Das letzte schrie er wütend. Dann sah er sich nach seiner Tochter um.

»No«, erwiderte sie leise. »Dad, Mikel ist nicht schlecht!«

»Nicht schlecht!« tobte der Alte. »Geht hin und borgt sich auf meinen guten Namen Geld. Das vergesse ich ihm niemals, niemals, hörst du? Treibt sich mit anderen Kerlen herum, denen man die schlimmsten Dinge nachsagt, die dem lieben Gott den Tag stehlen und nur arbeiten, wenn sie anderen Leuten Pferde oder Rinder entführen. Und so was ist mein Sohn.«

Anne Claydon schwieg. Old Ben würde darüber niemals hinwegkommen, das wußte sie.

Damals, als Benjamin Claydon, der älteste Sohn, verunglückte und monatelang im Bett lag, traf den Alten der erste Nackenschlag. Der Älteste war von ihm zu seinem Nachfolger erzogen worden, während es abgemacht schien, daß Mikel, der jüngere Bruder, eines Tages Caroll Andrews zur Frau nehmen sollte. So hatten es Old Ben und Jack Andrews, Carolls Vater, beschlossen gehabt.

Bis zu Benjamins Sturz hatte Mikel immer im Schatten seines Bruders gestanden. Danach mußte er Bens Arbeiten tun, Dinge, für die er sich vorher kaum interessiert hatte. Mikel handelte lieber mit den Händlern die Preise für Maultiere und Pferde aus. Die Claydons’ züchteten Maultiere, Lastpferde und Gespanntiere. An der Zucht hatte Mikel nie Spaß gehabt, nur am Handeln. Dabei kam er viel mit anderen Leuten zusammen.

»Im Saloon treibt er sich herum!« fluchte der Alte weiter. »Saufen, spielen, Girls…«

Er verschluckte sich und sah sich um.

»Mach nur weiter, Ben«, sagte Caroll Andrews. »Mich stört es nicht. Wenn mich etwas stört, dann deine und Dads Idee, Mikel und mich zu Mann und Frau zu machen. Ich hätte ihn nie genommen. Sicher, er ist ein lustiger Bursche gewesen, aber…«

»Yeah, yeah, ich weiß«, schnitt ihr der Alte wütend das Wort ab. »Dann hättest du eher Benjamin genommen, was? Mikel war für euch immer der Spaßmacher, wie? Jetzt ist der Spaß zu wild geworden.«

Er biß die Zähne zusammen und starrte auf die Hügel der Sandwehen rechts. Handeln, dachte der Alte, um Preise feilschen – das hat er nicht von mir, eher vom Vater seiner Mutter. Der konnte das auch, aber der soff nicht und spielte nicht. Das war ein sparsamer Mensch. Und seine Tochter mir eine gute Frau. Geht in die Saloons, schachert um Preise! Gut, wenn er das nur getan hätte, wenn nur gehandelt, gut! Aber sich dann an den Spieltisch setzen, Weibergeschichten… Teufel noch mal!

Die Wut steckte in Old Ben. Vor vier Monaten war Mikel nach Hause gekommen, wieder mal betrunken. Der Alte hatte sich auf seinen Gaul gesetzt, um mit dieser Enttäuschung fertig zu werden. Danach war er in die Stadt geritten, John Toddenham über den Weg gelaufen, der die Bank dort leitete.

»Hallo, Old Ben«, hatte Toddenham gesagt. »So eilig brauchtest du das nun auch nicht zu haben. Die hundertsechzig Dollar hätten warten können.«

»Welche hundertsechzig Dollar, John?«

»Willst du sagen, du weißt nicht, daß Mikel gestern hier war und sie borgte?«

Old Ben war nach Hause gejagt – nicht geritten. Mikel saß beim Abendbrot und grinste zuerst. Nachher grinste er nicht mehr. Der Alte schlug ihm die Faust ins Gesicht.

Und danach prügelte er Mikel aus dem Haus. Der nahm sein Pferd und ritt weg. Eine Woche später kam der Vormann des alten Jake Todenham herüber, den Arm in der Schlinge.

»Mr. Claydon, mein Boß schickt mich. Mikel hat John kurz vor der Ranch erwischt, ihn an einen Baumast gebunden und dann zusammengeschlagen. Er sagte etwas davon, daß dies seine Quittung wäre. Als es vorbei war, band er John auf sein Pferd. Er jagte es mit Schüssen an. Daß unsere Rinder nebenan auf der Weide standen, mußte er wohl nicht gesehen haben. Die Herde hat unsere Weidehütte zertrampelt, eine Meile Zaun zerstört… Wenn Sie mitkommen wollen, Mr. Claydon?«

Ben Claydon knirschte mit den Zähnen. Er hatte den Schaden bezahlt, aber – seitdem kam keiner der Toddenhams mehr auf die Claydon Ranch, auch Suzan Toddenham nicht, die seinen Ältesten ab und zu besucht hatte. Und Mikel? Nun, Mikel ließ sich gar nicht mehr sehen.

»Mein Vater«, knurrte der Alte vor sich hin, aber er sprach doch so laut, daß ihn die Mädchen hören konnten. »Totgeschlagen hätte er mich, wenn ich mir das geleistet hätte – totgeschlagen. Ich hätte diesen Lümmel…«

»Dad!« murmelte Anne. »Dad, ob jener Mister wirklich durch die Sanddünen gegangen ist? Bist du sicher?«

»Verdammt noch mal, was geht mich dieser Bursche an?« knirschte der Alte. »Von mir aus kann er in die Hölle gegangen sein oder zum Satan.«

Er dachte nur an seinen jüngsten Sohn, nicht an jenen Mann, der keine Spur hinterlassen hatte.

Noch wußte er nichts von Joe Flint, dem Mann, der kam und spurlos verschwand, aber er sollte bald etwas von ihm wissen.

Noch an diesem Abend.

*

Flint nahm den Kanten Brot, biß ab und äugte wie ein Fuchs, der sich in einer Hecke versteckt hielt und friedlich gackernde Hühner beobachtete, zu dem Wagen hinüber. Als er das rothaarige Girl absteigen sah, dachte er jäh an das, was sein Bruder früher über rothaarige Frauen zu ihm gesagt hatte. Das Girl war schlank, langbeinig und trat nun auf den Vorbau unter der Laterne. Jetzt sah Flint auch das Gesicht. Er war etwa fünfzig Schritte entfernt, und es war ihm selbst auf dieser Entfernung, als hätte das Girl ein besonders anziehendes Gesicht.

Josef Brian Flint seufzte unhörbar. Er dachte an die Strapazen, die hinter ihm lagen und die noch kommen würden. Zeit für ein Girl wie jenes dort blieb ihm sicher nicht. Dabei hätte Flint von heute auf morgen mit seinem wilden Leben aufgehört, wenn ihm ein Girl wie das auf dem Vorbau gehört hätte.

»Der Teufel, sie sieht gut aus«, stellte Flint leise fest. »Die andere ist auch nicht schlecht, aber…«

»Was für eine seidenweiche Luft heute abend«, sagte das Girl neben der Rothaarigen. »Caroll, man sollte nicht meinen, daß die Wüste so nahe ist. Dieser trockene Wind dort…«

»Anne, die trockene Luft hat mich durstig gemacht«, brummte jetzt der Alte mürrisch. »Geh ins Haus und mach mir einen anständigen Kaffee, nicht so dünnen wie den der Galloways, verstanden? Die Frau lernt es nie, anständigen Kaffee zu kochen.«

»Sicher, Dad.«

Trockene Luft, dachte Flint. Er schielte den beiden Girls nach, dachte an seinen Marsch von siebeneinhalb Stunden durch die Sandwüste und grinste. Trockene Luft hatte er genug geatmet, und auch schwer genug geschleppt. Wenn er nicht den Wasserschlauch voll gehabt hätte, wäre er todsicher liegengeblieben.

Flint begann zu kichern. Dann kroch er unter den Sträuchern zurück, bis er an der Hausecke war. Flint hatte den Rest des Nachmittags friedlich schlafend verbracht, nachdem er sich die Ranch genau angesehen hatte. Jemand wie Flint konnte sich schwer beherrschen, auf eine Ranch zu schleichen, die er sich vorher nicht genau angesehen hatte. So wußte Flint bereits, wo die Küche war, und er spazierte drei Minuten später auf das offene Fenster zu.

»Mein Gott, hätte Galloway doch nur nicht von Mikel angefangen«, klagte das aschblonde Girl innen. »Caroll, er wird wieder die halbe Nacht nicht schlafen können vor Ärger.«

Der Teufel auch, dachte der Wüstenwanderer Josef Flint erschrokken. Wenn der Alte nicht schlafen kann, was wird dann aus meinem vierbeinigen Untersatz, he? Das fehlte noch!

Innen begann das Schnarren einer Kaffeemühle. Flint konnte nichts mehr verstehen. Er hockte sich hinter einen Strauch und wartete. Kurz darauf zog der Duft nach frischem Kaffee aus dem Fenster. Flints Nase schnüffelte wie die eines Ameisenbären. Er hatte zwei Tage keinen Kaffee mehr getrunken, schluckte und wartete.

Das rothaarige Girl verließ jetzt die Küche. Wenig später schlich Flint auf die Fensterbank zu. Zwei Schritte vor dem Fenster richtete er sich langsam auf. Das Girl mit dem aschblonden Haar war dabei, den Kaffee in einen gewaltigen tassenartigen Bottich zu füllen, an dem zwei Henkel waren. Es wandte Flint den Rücken zu, stellte die Kanne fort und…

Joe Flint duckte sich blitzschnell. Das Girl stellte die Kanne auf den Abwaschtisch unter dem Fenster. Danach ging es fort, die Schritte verloren sich im Haus.

Zehn Sekunden später hockte Joe Flint rittlings auf der Fensterbank. Er glitt in die Küche, sah die Becher im Regal und nahm sich einen. Nachdem er ihn sauber gefüllt hatte, stieg Josef Flint wieder aus dem Fenster. Dreißig Schritte von der Küche hockte sich Flint unter einen Baum.

Er trank den Kaffee in kleinen Schlucken, hörte das Girl wiederkommen und irgend etwas murmeln. Flint konnte nicht verstehen, was das Girl sagte, aber er war sich ganz sicher, daß es sich um die plötzlich leichter gewordene Kanne gewundert hatte.

Der seltsame Flint kicherte dünn vor sich hin, bis das Licht in der Küche erlosch. Dann sah er, als er wieder um das Haus schlich, daß in einem Giebelfenster Licht brannte. Joe Flint äugte nach oben, dann kletterte er wie ein Affe an einem der drei Bäume hoch.

Als er weit genug gekommen war, ließ er um ein Haar den dicken Ast los. Sicher hatte das rothaarige Girl noch keinen Gedanken an die Bäume verschwendet. Und ganz bestimmt nicht daran gedacht, daß jemand von einem der Bäume aus in das Zimmer blicken konnte.

»Ouuh, Hölle!« sagte Flint entgeistert. »Man sieht nicht zu, wenn sich andere Leute ausziehen, aber… Teufel auch, die Figur!«

Er blieb sitzen, sah ein paarmal weg und dann das andere Girl in das Zimmer kommen. Die beiden Girls hockten sich auf die Bettkante. Sie waren kaum zehn Schritte von Flint entfernt. Das Fenster stand auf, Flint verstand fast jedes Wort. Es ging um diesen Burschen Mikel, dem das aschblonde Mädchen das ersparte Geld geben wollte.

»Anne, nimm Vernunft an«, beschwor Caroll die andere. »Wenn dein Vater es erfährt, ist die Hölle los. Das duldet er nie im Leben, er jagt dich auch noch davon. Gib Mikel Geld, und er wird es eine Woche später verspielt haben. Ich glaube kein Wort von dem, was er dir geschrieben hat. Himmel, hätte ich dir den Brief doch nicht gebracht. Ich sage dir, Mikel ist es nicht wert. Der hat so wenig Schulden wie du und ich. Zweihundertfünfzig Dollar – Anne!«

»Er ist mein Bruder, Caroll. Ich frage Dad, ob ich mit dir nach Burns fahren kann. Er wird nichts dagegen haben. Mikel weiß genau, daß die Stagecoach übermorgen fährt, also wird er in drei Tagen bei euch auftauchen. Ich muß ihm ins Gewissen reden.«

»Und du glaubst, du erreichst irgend etwas bei Mikel?« warnte sie Caroll. »Niemand kann ihn ändern, ich weiß es. Ich habe ihn fast nicht wiedererkannt, Anne. Er sieht schlecht aus, ist nervös, zuckt bei jedem lauten Geräusch zusammen. Anne, Mikel ist nicht mehr der Mann, der er noch vor vier Monaten war, glaube mir. Aber gut – es ist dein Geld. Irgend etwas stimmt mit Mikel nicht, das wirst du selber bald wissen.«

Übermorgen, dachte Flint. Er lachte leise, ehe er vom Baum glitt. Dann verschwand Flint wieder zu seinem alten Beobachtungsplatz. In der Vorderfront des Hauses zeigte ein anderes Fenster Licht. Dort sah Flint den Schatten des Alten. Der Rancher ging auf und ab.

»Der Teufel soll ihn holen«, brummte Flint bissig. »Drüben ist der Corral, und wiehert eins der Pferde los, rennt er todsicher aus dem Haus. Ich muß warten.«

Flint fluchte leise. Er hatte keine Ahnung, wie lange das Warten dauern konnte. Der Ranchhelp, der einzige Mann, den Flint auf der Ranch während des Nachmittages gesehen hatte, schlief schon. Dennoch war Flint sicher, daß nicht alle Männer hier waren. Er hatte am Maultiercorral Spuren gesehen. Dort hatten zwei Männer ein halbes Dutzend Maultiere herausgetrieben, an eine Longe gebunden und waren davongeritten. Vielleicht wartete der Alte auf diese beiden Männer.

*

Joe Flint steckte jetzt hinter dem Stall und hart am kleinen Bunkhaus. Das Trommeln der Hufe kam durch die Nacht immer näher.

»Zwei Pferde«, sagte Flint kurz.

Dann duckte er sich und wich zur Rückfront des Stalles aus. Hier war das Holzhäuschen, dessen Tür kein Herz, sondern nur ein Viereck hatte. Flint sprang an dieser Einrichtung mit zwei Sätzen vorbei. Er kauerte sich am Stall hinter aufgeschichtetes Holz.

Aus dem Nachtdunkel tauchten die beiden Reiter auf.

Flint preßte sich an die Wand, als sie an ihm vorbei zum links vom Bunkhaus liegenden Corral ritten. Sie konnten ihn nicht sehen, stellten die Pferde ein und kamen mit den Sätteln keine zehn Schritte an Flint vorüber. Der eine Mann war zwar groß, ging aber langsam, das linke Bein nachschleppend und leicht schief, als hätte er eine verwachsene Schulter.

»Benjamin!«

Der Ruf kam über den Hof, kaum daß die beiden Männer zwischen Bunkhaus und Stall durchgegangen waren.

»Yeah, wir, Dad! Shane war zufrieden, hatte aber das Geld nicht im Haus. Er gibt es übermorgen mit der Kutsche mit, sagte er.«

»Ist in Ordnung, Benjamin. Dann kann er es mir gleich geben. Ich muß mit Jack Andrews ohnehin reden und fahre übermorgen mit der Stagecoach nach Burns. Hast du den Weg ausgehalten, Sohn?«

»Ich hab’ keine Schmerzen, Dad.«

»Soso. Der Doc meinte aber…«

»Ich sagte, ich habe keine«, antwortete der große, hinkende Mann düster. »Ich könnte bis Burns reiten, wenn ich müßte. Irgendwann solltest du aufhören…«

»Ben, ich meinte nur…«

»Yeah, yeah«, sagte Ben finster. »Ich weiß, was du denkst. Ich weiß auch, was andere denken. Dies war mein erster langer Ritt, und sie haben mich in der Stadt angesehen – genauso wie du. Dies verfluchte Mitleid! Ich will kein Mitleid, ich bin immer noch ein Mann und niemand, vor dem jemand weglaufen muß, weil er ihn anders in Erinnerung hat.«

Der große Mann mit der schiefen Schulter und dem Schleppfuß blieb vor dem Stall stehen. Der andere trug seinen Sattel hinein. Er machte die Stallaterne an, und Flint, der nun an der linken Stallecke lag, lugte um die Ecke.

Der lahme Mann mochte Mitte der Zwanzig sein. Er hatte volles blondes Haar, ein männliches Gesicht und dunkle düstere Augen. Aus der Stalltür kam jetzt der andere Mister, sah kurz zum Vorbau und brummte dann: »Boß, Ben hat es wirklich leicht geschafft.«

»Verdammt noch mal, ich kann mir doch wohl noch Sorgen machen, was?« knurrte der Alte vom Vorbau herab. »Sohn, was ist passiert – wen hast du getroffen, he?«

»Eine Menge Leute.«

»Dave, antworte, wen hat Ben getroffen?«

»Dave, halte das Maul!« schnappte Ben gereizt. »Das geht nur mich etwas an.«

Der schon ältere Mann senkte den Kopf. Der Alte trat vom Vorbau herunter und knirschte: »Dave!«

»Die – die Toddenhams waren in der Stadt, Boß.«

Es war, als würde der Alte ein Stück kleiner. Er blieb stehen, sah weg und hüstelte. »Und was ist passiert, Dave?«

»Nun, sie saßen alle drei auf dem Wagen – nur John nicht, Boß. Als sie uns sahen…«

»Das brauchst du nicht zu erzählen«, fauchte Ben grimmig. »Ich kann es selber tun, verstehst du? Ich habe sie gegrüßt, wie sich das zwischen Nachbarn gehört. Toddenham hat nur genickt, und seine Frau geradeaus gesehen, als hätte sie mich nicht bemerkt. Suzan Toddenham versuchte ein Lächeln. Dann redete sie auf ihren Vater ein, aber er fuhr nur noch schneller weiter und nahm sogar die Peitsche. Danach sah sich Suzan nach mir um, ich glaube, sie wäre beinahe vom Wagen gesprungen. In ihren Augen war nichts als dieses verdammte Mitleid – nichts als dieses verdammte Mitleid!«

Es klang so bitter, daß Flint wußte, was in diesem großen Mann vorging.

»Ben, es war kein Mitleid«, murmelte Dave leise. »Du hast das falsch gesehen, Ben. Ich sage dir…«

»Hör auf damit!« fauchte Ben scharf. »Ich weiß immer noch, was ich sehe, wenn ich auch auf einem Auge fast blind bin. Jeder Mensch sieht mich an, als müßte er mich bedauern. Wann endlich werdet ihr begreifen, daß ich nicht bedauert werden will?« Er ging ins Haus, und seine Stiefel schlurften über die dicken Holzbohlen.

Einen Augenblick dachte Flint mit der ihm eigenen Gerechtigkeit daran, daß es hart für einen Mann sein mußte, wenn er einen Sohn verloren und in dem anderen einen Krüppel hatte. Wahrscheinlich war diesem Mann nicht viel erspart geblieben. Aber es würde noch viel schlimmer kommen. In dieser Nacht verlor der Alte sein bestes Pferd.

*

Sheriff O’Connor blieb sitzen, als Marshal Brad Harris in sein Office trat. Harris sah jetzt besser aus als am frühen Morgen. Gegen acht Uhr war Harris nach Burns gekommen, ein stoppelbärtiger, blinzelnder Mann, der kaum die Augen aufhalten konnte und mehr in O’Connors Office getorkelt denn gegangen war.

Jetzt war später Nachmittag. Harris hatte sich drüben im Oregon Hotel ein Zimmer genommen. Er war nun rasiert, wirkte frisch und setzte sich seufzend.

»Schon etwas getan?« erkundigte er sich. »O’Connor, ich wette meinen Kopf, daß der verdammte Bursche Flint irgendwo in dieser Ecke seinen Halbbruder sitzen hat. Wenn ich nur den Namen des Mannes wüßte. Es muß ein Mann aus Texas sein, denn dorther stammt Flint.«

»Nur ruhig, Marshal«, meinte

O’Connor gelassen. »Warum fragen Sie nicht in Texas an? Es müßte sich doch feststellen lassen, wer dieser Halbbruder ist, wie sein Vater hieß oder?«

Harris schüttelte bitter den Kopf.

»No, O’Connor«, knurrte er dann.

»Flints Vater zog nach San Angelo, er brachte seine zweite Frau dorthin mit. Alles, was wir erfahren konnten, war, daß die Frau Johnson mit Mädchennamen hieß. Niemand in San Angelo kannte ihren ersten Mann oder wußte, wie er hieß. Angeblich soll sie von Beaumont gekommen sein. Wir fragten in Beaumont an, aber dort waren im Krieg bei den Kämpfen alle Papiere mit der Kirche verbrannt. Wir konnten nur in Erfahrung bringen, daß der erste Mann von Flints Mutter Matrose gewesen sein soll, der oft monatelang von zu Hause fort war. Er brachte seine Frau nach Beaumont, als sie das erste Kind erwartete. Das war Anfang des Krieges. Kaum jemand kannte die Frau. Sie lebte allein in einer Hütte abseits der Stadt. Leute, die sie gekannt haben mögen, gingen nach dem Krieg fort, und schließlich verschwand auch sie. Nur eines ist sicher, wir fanden in Flints Sachen eine alte Fotografie. Auf diesem Bild ist Flint etwa neun Jahre alt, sein Bruder etwa zwölf. Er heißt James… Der Name steht auf der Rückseite des Bildes. Ich fragte Flint einmal, und er sagte, er hätte die Namen selber hingeschrieben. Vater, Mutter, ich – und Jim! Vier Personen, aber keinen Nachnamen dabei. Flint wollte nicht mal zugeben, daß James oder Jim sein Halbbruder war.«

»Ist das so ein hartnäckiger Hundesohn?« brummte O’Connor mürrisch. »Dem würde ich schon das Reden beibringen!«

»Dazu müßten wir ihn erstmal haben«, knurrte Harris bissig. »Ich halte jede Wette, daß der Kerl mich wieder mal ausgetrickst hat. Wie ich ihn kenne, hat er sofort die Richtung geändert. Flint macht das immer so – er geht immer dorthin, wo man ihn nicht vermutet. Ist man ihm auf den Fersen, verwischt er in der ersten Nacht seine Fährte. In der zweiten Nacht reitet er genauso ohne große Spuren weiter, aber in irgendeine Richtung, nur nicht in die, die er ursprünglich nehmen wollte. Danach verkriecht er sich, weil er immer genug Verpflegung bei sich hat.«

»Der Bursche scheint schlau zu sein, was?«

»Schlau?« keuchte Harris. »Gerechter Gott, O’Connor! Das ist der verteufeltste Hundesohn, den ich jemals gejagt habe. Ich bilde mir ein, daß ich beinahe schon wie er denken kann. Danach müßte er erst in ein paar Tagen hier in der Gegend sein. Vielleicht umreitet er sie auch. Er wird sich jetzt, fürchte ich, Zeit lassen. Vielleicht so lange, bis ich ihn sonstwo vermute. Er wird ganz genau wissen, daß ich hinter ihm her bin – und er ist entsprechend vorsichtig.«

O’Connor schüttelte den Kopf, nahm den Steckbrief hoch und las ihn zum zehntenmal an diesem Tag.

»Marshal, soll er wirklich in diese Gegend wollen?«

»Hierher oder nach Prineville, Redmond oder Bend – irgendwo in diese Ecke will er, ich bin sicher, Sheriff. Kennen Sie einen Mann, der so schleppend und etwas singend redet, wie es nur Texaner tun? Bei Flint hört man das kaum, aber sein Halbbruder ist älter, vielleicht hat er diese Sprechweise nicht so abgelegt wie Flint. Sheriff, wenn wir einen Mann finden könnten, der James, also Jim heißt, der dazu noch wie ein Texaner redet, der länger in Texas war als Flint und erst vor etwa zehn Jahren hergekommen ist – das müßte unser Mann sein. Wir brauchten ihn nur zu beobachten.«

O’Connor zuckte die Achseln. Er war in jeden Store gegangen, zum Mietstall, auch in die Saloons und Hotels, aber erfahren hatte er noch nichts.

»Immer langsam«, murmelte

O’Connor träge. »Jack Andrews’

Stagecoachfahrer sind erst am Abend hier, jedenfalls die meisten. Wenn jemand so einem Mann begegnet ist, dann sind es Andrews’ Fahrer. Vielleicht aber auch dessen Holzfäller und Schnittholzfahrer. Andrews gehört das größte Sägewerk auf zweinhundert Meilen in die Runde. Sein Vormann kommt auch erst am Abend aus dem Einschlaggebiet zurück. Ganz ruhig, Marshal, irgendwer wird diesen Jim mit der texanischen Mundart schon kennen.«

»Hoffentlich!« seufzte Harris. »Als ich Flint fragte, wo dieser Jim wäre, wich er wieder aus und brummte nur etwas von Norden. Ich bin sicher, er meinte damit Oregon. Der verdammte Trickser, erwische ich ihn, werde ich ihn keine Stunde mehr aus den Augen lassen. Den transportiere ich nur noch angekettet. Ein zweites Mal entwischt er nicht! He, was ist das für ein Lärm, O’Connor?«

Durch das Office tönte heftiges Gehämmer. Es hörte sich an, als knallten Eisenstücke aneinander.

Sheriff O’Connor erhob sich mit einem Fluch.

»Das sind meine beiden häßlichen Vögel«, brummte er grimmig. »Vor vierzehn Tagen besuchten sechs Halunken das Office von Andrews’ Sägewerk, als Andrews, dessen Buchhalter und zwei Schreiber gerade die Lohngelder abrechneten. Die Strolche stießen ihre Schrotflinten und Revolver durch die Fensterscheiben und drohten Andrews, ihn zu erschießen. Sie kamen nicht an ihn heran, denn alle Fenster des Lohnoffices sind von innen vergittert. Dennoch blieb Andrews nichts anderes übrig, als selber die Tür zu öffnen. Sie kamen herein, banden alle und nahmen das Geld mit. Danach verschwanden alle maskiert – die sechs, die Andrews zu Gesicht bekam.«

Er lachte kurz.

»Well«, fuhr er dann fort. »Dennoch hatten die Kerle Pech. Sie hatten ihre Pferde unten am Bach gelassen. Als sie sie hinstellten, ließen sie zwei Mann als Wache zurück. Keiner bemerkte den alten Buddy Narrows. Der fischt immer im Bach und stellt seine Reusen aus. An dem Abend hatten wir Regen. Narrows wollte seine Reusen herausholen. Er war dabei, als sie kamen. Sie sahen ihn nicht, redeten miteinander, und er hörte, was sie tun wollten. Er war so dicht bei ihnen, daß es ihm nur noch gelang, zwischen die Büsche zu kriechen und sich still zu verhalten. Aber er sah, als die beiden zurückgebliebenen Kerle rauchten, ihre unmaskierten Gesichter. Well, zwei Tage darauf kam er zu mir. Ich hatte ihm eingeschärft, nichts über seine Beobachtungen zu sagen und nur die Augen aufzuhalten. Diese beiden Gauner saßen drüben in Oregon und fraßen für zehn Mann. Old Narrows hatte sie dort erkannt.«

»He, Sheriff! Wasser – bring uns – Wasser, wir verdursten!« brüllte jemand heulend los. »Bedienung – wo bleibt die Bedienung in diesem verdammten Rattenloch? Unschuldig einlochen und sie, dann noch verdursten lassen, was?«

O’Connor stieß die schwere Bohlentür zum Zellengang auf. Die Tür flog herum und donnerte an die Wand.

»Wenn ihr unschuldig seid, ihr häßlichen schwarzen Krähen«, schnappte O’Connor finster, »will ich nicht mehr Sheriff sein. Du wieder, Greer, du Großmaul? Ich leite den Bach um und lasse ihn durch das Loch fließen, vielleicht ersauft ihr dann und habt endlich den Hals voll, he? Das war eure Ration für den ganzen Tag, verstanden?«

»Du Sklavenhalter, du irischer!« brüllte Greer, ein bulliger Mann. »Wir sind unschuldig, Mann. Bring endlich den Richter her, damit wir eine Verhandlung bekommen.«

»Der kommt noch früh genug

für euch Galgenvögel«, versprach

O’Connor. »Du bist ganz und…«

Er verstummte, denn jemand raste mit seinem Pferd auf das Office zu und warf sich aus dem Sattel. Der Mann stürmte zur Tür herein. Er war vollständig mit Staub bedeckt und lehnte sich keuchend gegen die Wand.

»Sheriff«, stöhnte er dann. »Ben Claydon schickt mich. Er kam zur Station am Tencent. Ich bin zwölf Stunden unterwegs und habe vier Pferde fast zu Tode geritten… Verdammt, das war ein Ritt! Sheriff, ein Mann hat Old Ben das beste Pferd aus dem Corral gestohlen. Jetzt sucht Ben überall. Ich soll dir sagen, daß der Bursche wahrscheinlich am Rand der Alvord Desert seinen eigenen Gaul verlor. Das war ein schwarzbrauner Wallach mit heller Stirn und hellen Hacken. Irgendwie, sagt Old Ben, müßte der verdammte Schurke mitten durch die Wüste marschiert sein. Old Ben sah Spuren neben dem toten Schwarzbraunen, aber dann waren sie auf einmal wie weggeblasen. Dasselbe ist auf Old Bens Ranch passiert.«

O’Connor fuhr herum, als er Brad Harris stöhnen hörte. Harris hatte sich gesetzt gehabt. Jetzt aber sprang er auf und schien ersticken zu wollen, denn er hatte beide Hände am Hals.

»Was – was sagst du da, Mann?« gurgelte Harris dann. »Ein Schwarzbrauner mit hellen Hacken und heller Blesse… Wo? Alvord Desert? Und eine Spur, die sich in Luft auflöste? Wer ist Old Ben – wer ist Old Ben – wo wohnt er, he?«

»Marshal – Mann, du meinst doch nicht…«, stotterte O’Connor verstört. »Old Ben ist Ben Claydon. Ihm gehört die Claydon Ranch. Er ist der beste Freund und Partner von Andrews. Marshal…«

Harris schien sich zu fangen. Der stiere Ausdruck seiner Augen verschwand.

»Ruhig, Sheriff!« stieß Harris hervor. »Mister, der Reihe nach! Ben Claydon fand ein totes Pferd, den Schwarzbraunen. Wo?«

»Am südwestlichen Rand der Alvord-Wüste, Marshal«, erwiderte der Stationshelp schnaufend. »Das war am Nachmittag. Old Ben fuhr dann mit Miß Anne und Miß Andrews nach Hause. Später kam Benjamin Claydon mit Dave, dem Zureiter auch nach Hause. Das war eine Stunde vor Mitternacht. Sie gingen alle schlafen. Dave mußte mal. Als er herauskam, sah er Old Bens Hengst vor dem Corral stehen. Viel mehr sah er nicht. Ein baumlanger Kerl erwischte Dave. Er schlug ihn mit der bloßen Faust nieder. Danach band er ihn wie ein Paket und brachte ihn an den einen Baum über der Ranch auf dem Hügel. Als der Morgen graute, sahen sie, daß Dave nicht im Bunkhaus war. Sie fanden ihn unter dem Baum.«

Der Stationshelp der Tencent-Station am Rand der Steens-Berge schnappte nach Luft.

»Weiter!« knirschte Harris voller Grimm. »Mach weiter, Mann!«

»Yeah, Marshal, yeah. Sheriff, einen Schluck Wasser«, krächzte der Stationshelp. Er trank und hustete, als er sich verschluckte. »Marshal, Dave sagte, der Mann wäre über sechs Fuß groß gewesen. Und eine Stutzerweste mit Silberknöpfen…«

»Flint!« schrie Harris. »Gerechter Gott! Flint, der dreimal verfluchte Hundesohn! Er war es. Mister – weiter, weiter! Schnell, Mister!«

»Dave – Dave sagte, der Mann hätte ihn getragen wie ein Bund Heu. Und – und dann hätte er gesagt, er würde Old Ben den Gaul irgendwann und irgendwo hinstellen zum Abholen, sagte Dave, Marshal. Der Kerl muß unheimliche Kräfte haben, sagt Dave, Marshal. Und… Yeah, da ist noch was, Marshal. Der Bursche hat nicht die kleinste Spur hinterlassen. Sie haben keine gefunden. Nur ein paar Eindrücke hinter dem Haus an der Küche. Sie sagen, der Halunke wäre frech genug gewesen, in die Küche zu steigen und sich Kaffee zu holen. Er hat einen Becher draußen stehengelassen. Old Ben sagte, wenn er ihn erwischt, hängt er ihn auf, Marshal!«

»Becher – Kaffee holen… Allmächtiger«, gurgelte Harris. Er fiel auf den nächsten Stuhl und schlug die Hände immer wieder an den Kopf. »O’Connor, das war Flint – das ist seine Art. Der Hundesohn ist eiskalt, der stiehlt jemand das Bettlaken unter dem Hintern weg, wenn er will. Also doch – die Wüste, die Wüste! Der Sand weht ständig, es gibt keine Spur! Wo ist er jetzt – wohin kann er sein? Die Karte her, Sheriff!«

Flint war aufgetaucht und schon wieder weg.

Der Teufel mochte wissen, wo Flint erneut erschien.

*

Ben Claydon hörte das Wiehern eines Kutschpferdes, und es gab ihm einen Stich mitten durch seine nach außen eisenharte und nach innen viel zu weiche Seele. Das Wiehern brachte die Erinnerung an seinen Hengst zurück, und es war Claydon, als spürte er körperlichen Schmerz bei dem Gedanken. Sein Hengst war verloren, das beste Tier, das er jemals besessen hatte.

Wäre der Hengst gestorben, Ben Claydon hätte es verdaut und

als Schicksalsschlag hingenommen. Aber gestohlen? Welch fürchterlicher, entsetzlicher Gedanke, daß sich irgendein verfluchter Kerl jetzt auf dem Rücken dieses Pferdes befand!

Ich bringe ihn um, wenn ich ihn erwische, dachte Old Ben mit dem Grimm eines ehrlichen Mannes. Säuft meinen Kaffee, stiehlt mein Pferd, schlägt Dave nieder… Ich bringe den Hundesohn um!

Claydon hatte die Suche aufgegeben. Er mußte nach Burns und mit Jack Andrews reden, das war jetzt wichtiger. Es hatte keinen Sinn, wie ein Narr durch die Berge zu reiten und nach einer Fährte des Diebes zu suchen.

Ben Claydon zerrte an seinem Hemdkragen und sah zu seiner Tochter und zu Caroll Andrews hinüber. Sein Blick streifte den dicken Georgie Fatterman, den sie Fatty nannten. Fatty handelte mit Rindern, Schweinen, Ziegen, Schafen und fast allem, was sonst noch vier Beine hatte. Es kam Claydon vor, als blickten ihn die beiden Girls und Fatty geradezu mitleidig an.

»Tencent Lake Station!« hörte Ben den alten Tabe vom Kutschenbock brüllen. »Tencent Lake, Leute! Alles heraus, was einen steifen Kaffee gebrauchen kann. Pferde von der Leine – vertretet euch die Beine, alles aus dem Kasten – zehn Minuten rasten…«

Zum Kotzen, dachte Old Ben. Er könnte sich auch mal einen neuen Spruch einfallen lassen. Wenn man so was siebzehn Jahre lang gehört hat, dann hängt es einem so weit aus dem Hals, daß man drauftritt.

»Nun, steigt aus«, brummte er den Girls zu. »Vertretet euch die Beine, es dauert noch lange genug!«

Er sprang aus dem Kasten, und der erste Mann, den er sah, war Buddy Sharp, den er gestern nach Burns zum Sheriff geschickt hatte.

»Ho, Buddy«, murmelte Old Ben. »Du hast O’Connor doch Bescheid gesagt, oder?«

»Sicher, Mr. Clayton«, versicherte Buddy eilig. Er brachte frische Pferde vor die Kutsche und kratzte sich am Schädel. »Sie hatten ja gesagt, daß Sie heute vorbeikämen. War der Marshal nicht auf der Ranch?«

»Welcher Marshal, Buddy?« fragte Old Ben erstaunt. »Auf der Ranch war er nicht.«

»Yeah, denke, er wird gleich in die Berge geritten sein«, gab Buddy zurück. »Er meinte, wenn sich Flint irgendwo verkrochen hätte, dann nur in den Bergen.«

»Flint…, wer ist denn nun wieder Flint?« knurrte Old Ben.

»Das ist der Kerl, der den Hengst gestohlen hat«, berichtete Benny. »Mister Claydon, das muß ja ein Kerl sein! Der Marshal ist schon Monate hinter diesem Burschen her…«

Old Ben sperrte die Augen auf. Er vergaß seinen Kaffee, ließ sich von Buddy alles erzählen, was der wußte, und ächzte schließlich: »Alle Teufel, Hölle, Pest und Ungewitter! Hat der Marshal wirklich gesagt, ich würde meinen Hengst zurückbekommen?«

»Yeah, hat er!« bestätigte Buddy. »Harris sagte, wenn Flint etwas verspräche, dann könnte man sicher sein, daß er es auch hielte.«

»Ein Bandit…, der hält doch nie sein Wort!« knirschte Claydon grimmig. »Nach dem, was du mir erzählt hast, Buddy, muß das ein widerlicher Schurke sein. Und so ein widerlicher Strolch reitet jetzt meinen besten Hengst. Ich werde noch verrückt bei dem Gedanken. Er ist bestimmt über sechs Fuß groß und trägt immer diese verdammten Stutzerwesten?«

»Der Marshal sagt es – und ich habe den Steckbrief gelesen!« versicherte Buddy. »Der Kerl soll einem mit dem freundlichsten Gesicht die Uhr, das Geld und sogar Fingerringe abnehmen. Und hinterher, sagte der Marshal, bedankt er sich auch noch, ehe er spurlos verschwindet.«

Caroll und Anne brachten Old Ben eine Tasse Kaffee heraus. Sie hatten gehört, was Buddy erzählt hatte. Und auch Georgie Fatterman war in der Tür stehengeblieben, um zuzuhören. »Den sollte ich treffen!« meldete sich Georgie Fatterman gewichtig. »Ehe ich dem Kerl meine Uhr geben würde, würde ich ihm zwei saubere Löcher in das Fell blasen… So!«

Er trug eine dicke goldene Uhrkette vor der Weste. Scheinbar nach der Kette greifend, fuhr seine Hand unter die Weste. Als sie hochzuckte, hielt Georgie einen doppelläufigen Derringer in der Faust und ließ die Mündung genau auf Buddys Kopf deuten.

»Alle Teufel, nehmen Sie das Ding weg, Mr. Fatterman!« kreischte Buddy entsetzt. »Es könnte aus Versehen losgehen!«

»Pah, das geht nur los, wenn ich will!« kicherte Fatty spöttisch. »Und genau das würde dieser Joe Flint sehen, wenn er mir jemals über den Weg laufen sollte.«

Vierzig Schritte weiter wippte der Zweig eines Busches unmerklich.

Der Mann unter dem Busch verzog das Gesicht. In seinen graugrünen Augen schienen tausend Teufel mit hell lodernden Fackeln zu tanzen.

»Soso«, murmelte Josef Brian Flint zwischen den Zähnen. »Du dikker Ochsenfrosch, dir werde ich helfen, verlaß dich darauf! Ah, mein Gott, ist dieses Girl sauber, dieses Haar, diese Augen! Flint, du alter Narr, jemand hat dir mal aus der Hand gelesen und gesagt, eine Frau mit roten Haaren würde dein Schicksal werden. Flint, vergiß die verdammte Warnung nicht.«

Aber er konnte nicht anders – er hatte nur noch Augen für Caroll Andrews!

*

Joe Brian Flint sah auf die Hüte der drei Männer. Er hatte den einen Ast hochgebogen, sah sie nun und ließ sich jäh los. Joe Flint fiel wie ein Stein zweieinhalb Schritte tief. Im Fallen spreizte er die Beine. In seinen Ohren war das Rauschen der Blätter. Dann streifte irgend etwas seinen Leinenkittel vorn. Das knackende Brechen des kleineren Astes folgte. Flint stürzte hart an den letzten dicken Ast vorbei dem mit dem üblichen kleinen Geländer umgebenden Dach der Kutsche entgegen.

Als Flint durch das Blattgewirr sauste, knickte er leicht ein. Er zog die Beine jetzt ein, hatte in der nächsten Sekunde die Sicht frei und wußte es: Sie hatten das Rauschen durch das Mahlen der Räder, das Knarren von Holz und das Prusten der Pferde gehört!

Claydon nahm jäh den Kopf herum, als das Rauschen kam. Einen Moment nur war Claydon verwirrt, aber dann sah er die Beine direkt hinter sich.

Der Baum, dachte Claydon erschrocken, er ist vom Baum gesprungen und…

In derselben Sekunde landete Joe Flint auf dem Dach, ein riesengroßer Schatten, der Claydon so gewaltig vorkam, daß sich Claydon nach vorn warf. Es war Claydon, als stürzte sich ein Riese herunter. Mit diesem Eindruck schrie Claydon los.

»Tabe!« brüllte Claydon. »Tabe, Vorsicht, auf dem Dach…«

Tabe drehte sich mit einem heiseren, verstörten Ausruf um. Sein Ellbogen schoß dabei empor. Es war der Ellbogen, der Claydon genau auf die Zähne knallte. Hätte Claydon stillgesessen, wäre gar nichts passiert. So fuhr ihm der Ellbogen auf den Mund und erstickte seine Schreie. Schmerz schoß durch Bens Lippen – er prallte zurück, griff nach dem Colt. Dann sah er Luke, den Beifahrer, den Arm hochreißen.

Neben Luke hatte die Schrotflinte gestanden. Luke griff in dem Moment nach ihr, als das schwere Poltern beim Aufprall Flints auf dem Kutschendach ertönte.

In diesem Moment kniete Flint bereits. Er war schnell, unheimlich geschickt, flink wie eine Raubkatze trotz seiner Größe. Die ganze Gefährlichkeit Flints zeigte sich in diesen wenigen Sekunden. Neben Flint ein Koffer, zwischen seinen Beinen eine Hutschachtel, die er eingedrückt hatte. Aber in Flints Händen nun das Gewehr.

Es war zu eng auf dem Bock mit drei Mann, jetzt zeigte es sich erst richtig. Der alte Tabe schob beim Herumwerfen Old Ben nach rechts. Der prallte auf Luke. Doch neben Luke war niemand mehr, dort stand die Flinte. Luke schwang sie herum, als der Hieb kam.

»Laß fallen!«

Flints Stimme klang scharf, kalt, befehlend laut. Gleichzeitig fuhr der Lauf seines Gewehres herum. Ein Hieb fegte gegen Lukes Oberarmmuskel. Es war Luke, als bräche ihm der Arm in zwanzig Stücke, als der Gewehrlauf ihn traf. Seine Flinte flog weg und polterte zurück in den Fußkasten.

»Halten – halten!«

Die Stimme Flints fauchte wilder, war direkt hinter Old Ben. Dann kam der Stoß in Ben Claydons Rücken – ein harter Aufprall der Gewehrmündung. Claydon kippte bei dem Stoß um ein Haar vom Bock herunter zwischen die Räder.

»Tabe, anhalten!« klirrte Flint. »Bring sie zum Stehen, sonst…«

In dieser Sekunde sah der alte Tabe, was mit Claydon passiert war. Tabe blickte auf das Gewehr, er hörte Luke stöhnen und sah ihn schief über den Eisenbügel des Bockes hängen.

»Anhalten, Mister, schnell!«

Ehe Tabe an den Zügeln zog, nahm er den Blick hoch. Er sah an dem Gewehrlauf vorbei auf das knallrote Halstuch des Mannes, den schmalen Streifen seines Gesichtes mit dem tief in die Stirn gezogenen Hut.

Die Augen, dachte der Alte, diese Augen! Er erkannte die Kälte in den grüngrauen Augen und lehnte sich zurück.

In diesem Moment rief Anne Claydon aus dem Kasten ängstlich: »Dad? Dad, ist etwas passiert? Dad!«

»Claydon«, sagte Flint kalt, und der Druck der Gewehrmündung wurde stärker. »Sag ihr, daß sie alle im Kasten bleiben sollen. Alle! Ich drücke ab, wenn jemand etwas versucht. Sag ihr, was passiert ist, schnell!«

Das Frieren kam plötzlich über Claydon. Er konnte nichts gegen das verfluchte Frieren tun, das von seinem Rücken ausging. Der schießt, dachte Claydon, Allmächtiger, wenn der abdrückt, wenn der…

»Tochter, bleib ruhig«, keuchte er abgerissen. Sie standen jetzt, nur die Pferde prusteten noch. Claydons Stimme schwang gepreßt in die Stille hinein. »Niemand verläßt den Kasten. Hier – hier oben… Hinter mir ist ein Mann. Ich habe sein Gewehr im Rücken. Macht, was er sagt, sonst schießt er. Er braucht nur abzudrükken, dann…«

»Dann ist er tot, Miss Claydon«, sagte Flint eisig. »Sie bleiben alle im Kasten. Niemand wirft etwas aus den Fenstern. Ich würde es sehen und denjenigen herausfinden. Fenster schließen, schnell, Miss!«

Unter Flint ertönte ein leiser, entsetzter Schrei. Dann flüsterte jemand etwas, und die Fenster schlugen hoch.

»Gut«, murmelte Flint finster. »Tabe, mein Freund, du fährst jetzt weiter. Sieh dich nicht mehr um, mach genau das, was ich dir sage. Claydon, zurücklehnen – Rücken an den Sitz. Weit genug, Mister. Nun, Claydon, sag Luke, was jetzt ist.«

Claydons Stimme klang halberstickt. Er hatte einen winzigen Moment den Druck des Gewehres nicht mehr im Rücken gehabt. Dafür saß ihm die kalte Mündung jetzt genau am Genick. Als er sprach, wurde der alte Tabe langsam blaß.

»Tabe, er – er hat das Gewehr auf mein Genick gesetzt. Tu, was er sagt, Tabe!«

»Yeah, Ben!«

Herrgott, dachte Tabe, ein Mann – ich werde verrückt! Ein Mann hat uns alle. Wenn der abdrückt…

Er wagte es sich nicht vorzustellen.

»Wohin, Mister?«

»Weiter – nur weiter, mein Freund!«

Der Wagen ruckte wieder an, rollte quälend langsam die Steigung hinauf. Dann kam die Gefällstrecke, die Kutsche wurde schneller.

»Langsam, Tabe, Schritt fahren, mein Freund, sonst…«

Er sagte nichts, der alte Tabe. Er hatte den letzten Überfall erst vor sieben Wochen erlebt, aber damals war es ein halbes Dutzend Burschen gewesen, das ihn aufgehalten hatte. Nur ein einziger Mann – wirklich nur einer?

Keine Viertelminute später rollte die Stagecoach auf die breite Rinne zu, durch die im Frühjahr das Schmelzwasser quer über den Weg gurgelte. Rechts führte die Rinne weiter – Geröll lag dort – Bäume gab es hier nicht mehr, das Wasser hatte sie weggespült.

»Tabe, rechts herum!«

»Mister, das – das ist zu steil. Wir werden…«

»Versuch es erst gar nicht«, warnte Flint scharf. »Erzähl mir nicht, daß du dort nicht fahren kannst, Mann! Hundert Schritte weiter kommt die Waldlichtung – fahr hin. Tabe, aber langsam, mein Freund. Läßt du sie rollen, drücke ich ab.«

Tabe lenkte nach rechts, zog die Zügel ganz straff an. Aus den Augenwinkeln sah er genau, wie steif Old Ben saß, daß die Gewehrmündung an Claydons Genick wie angeleimt klebte.

Keine Chance, dachte der Alte voller Grimm. Verflucht noch mal, der hat uns. Ich brauchte nur die Leinen loszulassen, dann würde die Kutsche losjagen, aber der schießt augenblicklich, was?

Die Kutsche schwankte und holperte rumpelnd über dicke Steinbrocken. Dann kam rechter Hand die Lichtung – Grasboden, auf den die Kutsche fuhr.

»Halt, Tabe! Luke, den Gurt auf, nach rechts werfen. Mach schon, Mann!«

Luke biß vor Schmerz die Zähne zusammen. Sein Gurt mit Colt und Messer flog gleich darauf im Bogen ins Gras.

»Tabe – du bist dran!«

»Mister«, knurrte der Alte bissig. »Sie werden dich jagen. Ich sage dir, sie suchen und jagen dich.«

Der Mann hinter ihnen lachte nur leise und spöttisch. Danach ließ er den Lauf seines Gewehres einmal kurz zucken.

»Claydon…«

Auch Claydons Waffengurt segelte nach rechts. Er wußte, was jetzt kam, würgte vor Grimm, als der Mann leise lachte.

»Absteigen, Freunde – alle nach der linken Seite. Dann in einer Reihe aufstellen und die Arme über den Kopf. Tabe, du zuerst vom Bock – fang an, Mister.«

Sie standen wenig später in einer Reihe und sahen zu dem Mann hoch. Er kniete auf dem Kutschendach, den grauen Leinenumhang über seiner Kleidung, das Gewehr im Hüftanschlag. Seine Blicke glitten über sie hinweg, das Gewehr blieb auf Claydon gerichtet.

»Ladies«, sagte der Mann auf dem Dach träge. »Sorry, Miss Anne, Miss Caroll – kommen Sie heraus, bitte. Fatterman – Sie bleiben drin, mein Freund. Miss Caroll?«

Er hatte eine tiefe dunkle Stimme, sie klang ganz ruhig, als hätte er die Kutsche nicht überfallen, sondern sie nur angehalten, um mitgenommen zu werden.

»Komm schon, Anne«, knirschte Ben Claydon grimmig. »Komm heraus, Tochter. Dieser Bandit wird euch nichts tun, sonst – sonst…«

»Claydon«, murmelte der Mann, schüttelte leicht den Kopf. »Nicht drohen, Mister, ich vertrage das schlecht. Eine Lady bleibt eine Lady – auch für mich, Claydon, verstanden? Keine Sorge, Miss Anne – kommen Sie nur.«

Sie stieß den Schlag auf und sah den dicken Georgie Fatterman an. Er kauerte in der Ecke rechts, war blaß und schwitzte. Vielleicht hatte er Angst, der dicke Mann, der keine anderthalb Stunden vorher so große Worte gebraucht hatte.

Als Anne Claydon die Kutsche verließ und zu den anderen hinüberging, hielt sie krampfhaft ihre Tasche fest.

Das Geld! dachte Anne Claydon, das Geld! Wenn er die Tasche nimmt, er findet das Geld. Dad wird es sehen und sofort alles erraten. Mein Gott, er darf mir die Tasche nicht nehmen. Er darf nicht!

Das war ihre Furcht, nicht so sehr, daß sie überfallen worden waren. Aber das wußte Old Ben nicht.

»Miss Caroll, wenn Sie jetzt kommen wollen?«

Caroll Andrews stieg langsam aus. Die Stimme über ihr klang freundlich. Sie hatte das Gefühl, daß dieser Mann nicht schlecht sein konnte. Dann ging sie einige Schritte, bis sie stehenblieb und sich umsah.

»Mister«, sagte sie fest. »Warum tun Sie das? Wenn man Sie erwischt, werden Sie einige Jahre ins Jail gehen müssen. Ist es das wert, Mister?«

Claydon, der sie kannte, wunderte sich nicht. Jack Andrews hatte immer einen Sohn haben wollen, aber nur die eine Tochter bekommen. Sie war mehr seine Tochter und hatte seinen Charakter, als daß sie viel von ihrer kleinen, zierlichen Mutter besaß, die seit ihrer Geburt kränkelte. Caroll Andrews war so gelassen und gradlinig kühl wie ihr Vater.

Der Mann auf dem Kutschendach öffnete die Lider etwas weiter. Es sah aus, als lächelte er unter seinem

Halstuch.

»Lady, manchmal muß man einige Dinge tun«, sagte der Mann von oben sanft. Seine Stimme schleppte jetzt, es war, als sang sie dunkel und gedehnt. »Keine Sorge um mich, Miss Caroll. Gehen Sie jetzt weiter!«

Als sie sich umwandte, sprang er plötzlich ab, stand jäh breitbeinig, ehe Claydon begriff, warum er so blitzschnell und unvorbereitet herangesaust war, neben dem Schlag.

»Fatterman!« peitschte seine Stimme grell und scharf von der Seite her gegen den offenen Schlag der Stagecoach. »Rauskommen, Mister! Hände in den Nacken und raus, Mann. Los, Fatterman, ich warte nicht gern!«

Fatterman kam zaudernd, hielt die Hände im Genick, sah blaß aus, krank, als er die Kutsche verließ. Dann wollte er weiter und kam nur drei Schritte weit.

»Fatterman!«

Die Stimme fauchte jetzt. Fatterman blieb ruckartig stehen.

»Umdrehen, Mister!«

»Ja«, sagte Fattermann dünn und zittrig. »Yeah, Mister.«

Als er sich schnaufend drehte, stierte er auf das Gewehr. Seine Jacke stand offen – die Uhrkette spannte sich über den Bauch.

»Ihre Tasche, Fatterman? Wo ist die Tasche?«

»Im – im Wagen, Mister.«

»So?« murmelte Flint, plötzlich ganz ruhig, ganz kalt. »Im Wagen, wie? Soll ich hingehen und sie holen, Fatterman? Und wenn ich dir den Rücken zudrehe, dann…«

Er sprang im selben Augenblick: vorwärts. Sein Gewehr schoß wie eine Harpune nach vorn und bohrte sich jäh in Fattermans dicken Bauch.

Der dicke Mann wurde leichenblaß, seine Ohren sahen aus wie weißer, durchsichtiger Marmor. Die Augen Fattermans zuckten, stierten auf das Gewehr, auf die Delle in seiner Weste. Druck im Bauch, eine Kugel im Lauf, die wartete…

»Ich – ich…«

»Eine schöne Kette«, sagte der Mann vor Georgie Fatterman ganz leise, aber es war laut genug, so daß sie es alle hörten. »Auch eine schöne Uhr, Fatterman? Ich mußte meine Uhr verkaufen – ich hatte kein Geld mehr, Mr. Fatterman. Du schenkst mir doch deine Uhr, wie? Gibst du sie mir, mein Freund, die schöne Uhr? Na, Fatterrnann…«

»Ich… Yeah, Mister, ich…«

»Mach sie los, Fatterman. Nun mach doch, hast du Angst? Warum hast du Angst, Fatterman?«

»Ich – ich…«

Fattermans dicke Hand kroch herab, nestelte an dem Kettenbügel, zog den Schnäpper zurück. Dann nahm er die Hand langsam hoch und streckte sie aus. Die Uhr hing an der dicken Kette und pendelte.

»Du schenkst sie mir, Fatterman? Laut sagen, was du willst! Willst du sie mir schenken oder…«

»Ich – ich schenke sie dir, Mister!«

Der Mann lachte leise, gefährlich, kalt, drohend… und auch irgendwie spottend.

»Sieh mal an, Mister, du schenkst sie mir also. Oder sagst du das nur, weil du jetzt Angst hast, na?«

»No, no, ich schenke sie dir wirklich!«

»Danke, mein Freund, vielen Dank! Und nun…«

Flint nahm die Uhr an und hielt sie in der Linken. Die Rechte lag am Kolbenhals des Gewehres, der Mittelfinger am Abzug.

»Und nun, Fatterman – gib mir das Ding, mit dem du mir zwei Löcher in das Fell machen wolltest. Du verdammter Narr, den Derringer heraus, eins zwei – dr…«

»Hier!« kreischte Fatterman, als hätte sich plötzlich der Teufel vor ihm aufgepflanzt. »Hier, ich tue nichts, ich versuche nichts, Mister. Nicht schießen, nicht schießen…«

Er zerrte den Derringer heraus, warf ihn fort, als hätte er ihn aus einer glühenden Schmiede-Esse fischen müssen. Der Schweiß lief ihm in dichten Perlen über das Gesicht, seine Knie schlotterten.

Dann kam der Stoß, ließ ihn rückwärts torkeln. Er taumelte bis neben den alten Tabe und blieb keuchend liegen.

»So ist das«, sagte Flint kühl. »Fatterman, versprich nie etwas, was du nicht halten kannst. Nicht soviel reden, mein Freund – es könnte dir sonst jemand begegnen, der sich über deine Großmäuligkeit zu mächtig ärgert. Danke für die Uhr, mein Freund, sie wird sich hier ganz gut machen.«

Er hielt das Gewehr in der Rechten. Die Linke schlug den Kittel zurück. In diesem Augenblick sahen sie alle die Cordjacke und unter ihr die bestickte Weste aus schwerer Samtseide mit den Silberknöpfen.

Es war zu schnell gekommen, sie hatten es alle nicht begriffen, als er von den zwei Löchern in seinem Fell sprach. Jetzt erst, als sie die Weste sahen…

»Flint!« röchelte Ben Claydon. »Flint, du – du Pferdedieb! Du verdammter…«

»Claydon, stehenbleiben, sonst drücke ich ab!« fauchte Flint scharf, als Claydon die Röte der Wut in das Gesicht schoß und seine Fäuste jäh herabsanken. »Ganz ruhig, Claydon, nur nicht die Nerven verlieren. Ich habe mir Ihr Pferd nur geborgt, Mister. Sie bekommen es wieder. Grade der richtige Gaul für mich, schätze ich.«

»Der richtige… Mein Hengst für dich Banditen, für dich Wegelagerer?« gurgelte Claydon. »Du – du Dieb, du gemeiner Pferdedieb. Wo ist mein Hengst?«

»Irgendwo«, sagte Flint träge. Er machte bedächtig die Uhr fest, dann seufzte er. »Verdammte Hitze, was? Well, Freunde, da ihr nun doch schon wißt, wer ich bin…«

Claydon sperrte den Mund vor Staunen auf, als sich Flint das Halstuch herabzerrte, und tief Luft holte.

»Alle Teufel!« ächzte Flint erleichtert. »So leicht ist das gar nicht, Bandit zu sein, Claydon, glaube mir. Man erstickt fast unter einem Halstuch. Ruhig, Mister, ganz friedlich. Ich will nicht schießen müssen.«

Claydon stierte den plötzlich lächelnden Flint völlig verstört an. Er hatte erwartet, ein brutales, gemeines Gesicht zu sehen. Statt dessen glich dieser Halunke plötzlich jemand, der friedlich über den Gehsteig spazierte, einen anständigen Anzug trug und höflich vor den Ladies den Hut abnahm.

Anne Claydon blickte auf Flints braungebranntes Gesicht, die gerade Nase, die kräftigen Brauen und den festen Mund. Flints Kinn war leicht eckig, und als er lächelte, tauchte in ihm eine kleine Falte auf.

»Well«, sagte Flint im Tonfall eines Mannes, der jemand etwas erklären will. »Ladies – Gentlemen, wir werden jetzt eine kleine Sammlung vornehmen. Sie müssen verstehen, ich bin nicht gerade reich, auch wenn mir dieser freundliche Mr. Fatterman eine goldene Uhr geschenkt hat. Gentlemen, ich schlage vor, daß Sie Ihre Taschen ausräumen, die Hüte vorher abnehmen und alles, was Sie in den Taschen haben, in die Hüte legen. Ich hoffe, jeder Mann ist mit meinem Vorschlag einverstanden. Wenn nicht – ich wende nicht gern Gewalt an. Geben ist seliger denn nehmen, so steht es geschrieben. Bruder Tabe, da du fast so arm bist wie ich, schließ ich dich mit deinem Partner Luke von der Hergabe irdischer Dinge aus. Nur Sie, Mr. Claydon – und Sie ganz sicher, mein lieber Freund Fatterman, die Taschen ordentlich leeren.«

»Mensch!« keuchte Claydon. »Mensch, du Bandit, ich habe keinen Cent für dich!«

»Nicht doch, nicht doch«, lächelte Flint. »Das Geld für die Tiere, die Mr. Shane bekommen hat, Sir? Miss Anne, ich denke nicht, daß Sie Ihren Vater mit Löchern in der Hosentasche umherlaufen lassen – oder?«

»No«, sagte Anne errötend. »Woher… Mr. Flint, woher wissen Sie…«

Flint lächelte unschuldig.

»Nun«, murmelte er. »Vielleicht erinnern Sie sich, Miss Anne? Sie saßen auf einer Bettkante und sprachen mit Miss Caroll über die Reise nach Burns.«

»Großer Gott!« lispelte Caroll Andrews. »Das ist – der Baum! Flint, Sie haben – auf – dem Baum… Sonst hätten Sie uns nicht auf der Bettkante… Flint!«

Das Blut schoß ihr ins Gesicht, bestürzt sah sie zu Boden.

»Sorry«, antwortete Flint kurz. »Ich mußte wissen, in welchen Zimmern geschlafen wurde, Miss Andrews, wie? Ich saß nicht sehr lange auf diesem Baum, Miss Caroll. Und nun, Claydon – die Taschen umdrehen, mein Freund. Ich habe eine weite Reise vor mir, tut mir leid.«

»Hoffentlich in die Hölle!« gurgelte Old Ben halberstickt. »Halunke, ich habe hundertneunzig Dollar bei mir. Sie sollen dich für jeden Dollar einmal hängen.«

Er riß sich den Hut herunter und nahm alles aus seinen Taschen. Auch Fatterman schien sich mit der größten Hast aller Dinge entledigen zu wollen, die er bei sich trug.

»Wenig, mächtig mager«, stellte Flint murrend fest. »Und jetzt zu den Ladies – Miss Caroll, wollen Sie mir Ihre Tasche geben?«

Caroll Andrews hob den Kopf. Sie blickte Flint ins Gesicht. Seine grüngrauen Augen funkelten, und um seinen Mund lag ein kleines, dünnes Lächeln.

»Ich habe nur zwölf Dollar und einige Cent bei mir – und eine Kette.«

»Gold?« fragte Flint langsam. »Sicher Gold – oder?«

»Ja, Gold. Hier ist die Tasche, sehen Sie nach, Flint.«

Er griff nach Carolls Tasche, fand die Kette, an der ein Medaillon hing, und sah das Mädchen an.

»Sind Bilder in dem Medaillon, Miss Caroll?«

»Die meiner Eltern«, antwortete sie. »Aber das wird Sie wenig stören, Flint, fürchte ich.«

»Glauben Sie? Nun gut!«

Flint ließ die Kette zurückfallen, fand dafür aber einen Ring mit einem roten Stein. Er nahm den Colt heraus, steckte sich den Ring an den kleinen Finger der linken Hand und lächelte.

»Wie Ihr Haar«, murmelte er leise. »Er leuchtet wie Ihr Haar, Miss Caroll. Jemand sagte mir einmal, daß eine rothaarige Frau mein Schicksal werden würde. Es war auf einem Jahrmarkt in Socorro. Es war eine Zigeunerin, und wir waren zwei, die ihr die – Hand hinhielten für zwanzig Cents.«

Seine Stimme war so leise geworden und seine Augen ganz dunkel, als er den Blick hob und an Caroll Andrews vorbeisah. Flint, der Bandit, wirkte plötzlich düster.

»Der andere«, murmelte er, »der andere lachte wie ich über diese alte Frau. Er lachte noch, als sie ihm sagte, daß er nur noch vier Jahre leben würde. Er lachte gern und war ein guter Mann, aber er starb, wie sie es gesagt hatte, einunddreißig Jahre alt. Seitdem glaube ich daran. Eine rothaarige Frau… Ich möchte den Ring behalten, nur behalten!«

Sie starrten ihn alle an – ungläubig der alte Claydon, fröstelnd Tabe und Luke, die wie viele Männer an Spuk, Geister und andere unerklärliche Dinge glaubten. Auch Fatterman war überzeugt, daß Flints Partner wirklich tot war und Flint die ganze Geschichte nicht erfunden hatte. Abergläubisch waren sie alle.

Flint wirkte so düster, daß Caroll Andrews plötzlich ein bedrückendes, beängstigendes Gefühl überkam.

»Sie – Sie können ihn behalten, Flint«, stammelte sie verwirrt. »Er – er ist ein Geschenk, aber kein erzwungenes wie die Uhr. Flint, warum sind Sie ein Bandit geworden, warum, Mister?«

»Warum?« murmelte er und sah sie an. »Ich mußte. Ich hatte keine andere Wahl. Eines Tages werden Sie es vielleicht wissen. Eines Tages, Miss Caroll. Es fing an, als ich Sie sah. Damit fing alles an… Ich mußte die Kutsche überfallen, weil ich Sie sehen wollte… Vielleicht war es ein Fehler, vielleicht bin ich verrückt. Ich weiß es nicht, Caroll Andrews. Vielleicht ist es nur, weil Sie rothaarig sind, Miss… Miss Anne, kann ich die Tasche haben?«

»No – no!« keuchte Anne entsetzt und umklammerte ihre Tasche. »Meine Tasche geht Sie nichts an, Flint.«

»Warum nicht?« fragte Flint düster. »Was ist in der Tasche, Miss Anne? Geben Sie her!«

»Nein, nein, niemals. Wenn Sie Gewalt anwenden wollen, dann tun Sie es doch, Sie – Sie Bandit, Sie Pferdedieb. Niemand bekommt meine Tasche!«

»Tochter«, knurrte Claydon. »Gib sie ihm, er findet doch nichts. Gib sie diesem verrückten Kerl.«

»No, Dad!«

»Sie will nicht?« murmelte Flint finster. »Nun gut, Sie sind eine Lady – nun gut! Sie gehen jetzt hier rechts am Rand der Lichtung vorbei und zum Weg hoch. Gehen Sie – alle! Gehen Sie, sage ich!«

Er trat zurück, in einer Hand den Revolver, in der anderen das Gewehr.

Als sie sich nicht rührten, hob er den Colt an.

»Geht!« knirschte er finster. »Los, geht schon!«

Claydon wandte sich um und ging fluchend los. Fatterman lief ihm auf seinen kurzen, dicken Beinen hinterher. Die beiden Fahrer schlossen sich an. Schließlich folgte auch Anne den Männern. Nur Caroll Andrews blieb noch stehen.

»Gehen Sie, Miss«, murmelte Flint. »Nun gehen Sie endlich!«

»Flint«, gab sie leise zurück. »Warum ändern Sie Ihr Leben nicht, Flint? Es ist nie zu spät, glaube ich.«

Dann drehte sie sich um und lief davon. Flint sah ihr nach, er senkte den Kopf, ging zur Kutsche, schlug den Schlag zu und sprang auf den Bock. Das letzte, was sie von ihm sahen, waren seine breiten Schultern, die über dem Bock aufragten. Josef Brian Flint jagte die Kutsche wenig später bis in die Senke hinunter. Dort sprang er ab, schirrte die Pferde aus und ritt mit ihnen davon.

Joe Brian Flint dachte an die Zigeunerin im Bahncamp von Socorro, an den Mann, mit dem er über den Jahrmarkt für die Bahnarbeiter geschlendert war. An diesem Abend hatten sie getrunken, gelacht, bis sie am Karren der Zigeunerin gelandet waren. Flint hatte niemals etwas vom Handlinienlesen gehalten oder an sonst welchen Unsinn geblaubt. Sie hatten sogar darauf getrunken, daß der andere nur noch vier Jahre leben sollte.

Dann war er gestorben – mit sechs Unzen Blei im Rücken – getroffen von mehr als einem halben Dutzend Kugeln. Damals hatte es begonnen – und Flint glaubte jetzt daran.

Er hatte seine rothaarige Frau getroffen.

Sein Schicksal war nicht mehr zu ändern.

*

Die Dämmerung fiel, als Flint sein Pferd verließ und sich hinter den einen Schuppen drückte. Von hier aus sah Juntura noch kümmerlicher aus, als es auf den ersten Blick von der Berghöhe herab auf Flint gewirkt hatte. Eine Straße, sieben Häuser. Ein Saloon, neben dem der einzige Store gleich im selben Gebäude untergebracht war. Das mittlere Haus auf der rechten Straßenseite zum Malheur River hin war die Stage-Station. Dort brannte Licht. In zwei anderen Häusern linker Hand steckte man gerade die Lampen an.

»Nicht gut«, murmelte Flint. »Licht ist immer schlecht. Ich muß noch warten.«

Er lehnte sich an die Schuppenwand und dachte an sein Pferd. Das stand unten am Malheur River, weit genug entfernt.

Aus dem Store kam der Mann, stieg auf sein Pferd und ritt wieder davon. Eine Viertelstunde darauf fuhr auch der junge Bursche ab. Sein Wagen verschwand in der stockdunklen Nacht.

Flint ging los, bog um die Rückseite des Schuppens und kam am ersten Haus vorbei. Aus den Augenwinkeln sah er den Mann und die Frau von der Bank aufstehen und im Haus verschwinden.

Langsam, dachte Flint, nur langsam gehen. Verdammt, jemand macht die Tür auf…

Ein Mann trat aus dem Haus vor Flint und sah sich um. Flints Blick zuckte blitzschnell zu dem Schild über der Tür hoch. Er las die Schrift, sah den Mann an, der in der Tür stehenblieb.

»Hallo, Mr. Lane!«

»Hallo«, sagte Lane, der Sattler. »Nun, mein Freund?«

Flint blieb stehen und lächelte. Er trug keine Cordjacke mehr, er hatte auch die Weste im Packen. Sein Hemd war kariert, die Jacke offen – eine graue Stoffjacke.

»Aufgehört zu arbeiten, Mr. Lane?« lächelte Flint.

»Einmal muß man Schluß machen, mein Freund. Muß zum Saloon, wir haben unseren Abend heute.«

»Well«, antwortete Flint. »Einmal in der Woche muß ein Mann seine Freunde sehen, denke ich. Na, diesmal haben wir keinen Ärger mit unserem Schleppgeschirr, Mr. Lane.«

Flint hatte sie gesehen. Sie schlugen vierzehn Meilen weiter westlich Koniferen ein. Es waren dreißig Mann, und er hatte keine drei Meilen weiter die Einschlagspuren eines etwa zwei Jahre alten Kahlschlages gesehen.

»Ah«, machte Lane, kam an seine Seite und ging mit ihm weiter auf den Store zu. »Daher bist du also? Wußte doch die ganze Zeit, daß wir uns schon mal gesehen hatten, mein Freund. Was macht denn Floyd?«

»Immer dasselbe mit ihm«, grinste Flint. »Er arbeitet sich auch noch mal tot, fürchte ich, Mr. Lane. Well, will in den Store. Na, viel Spaß noch, Mr. Lane.«

»Auch so, mein Freund.«

Lane ging fort. Flint trat in den Store.

Er hob den Kopf und tippte an den Hut. Hinter dem Tresen stand eine Frau auf einer kleinen Trittleiter. Sie legte Hemden in das Regal oben.

»Hallo, Madam«, sagte Flint freundlich. »Geben Sie die Hemden gleich wieder her, wenn Sie meine Größe haben. Das hier ist mein letztes. So ist das, wenn man Bäume fällt und dabei die Jacke auszieht. Soll man nicht machen, glaube ich. Ein abbrechender Ast zerreißt ein Hemd eher als eine Jacke, wie?«

Es war eine jüngere Frau, kaum dreißig Jahre alt mit braunem Haar und lustigen Augen.

»Oh, hallo, Mister«, meinte sie, nach einem Blick auf Flint. »Diese Hemden passen Ihnen bestimmt nicht, die hat der Junge gerade ausgesucht gehabt. Er wollte unbedingt ein rotes Hemd haben, ganz rot. Dabei haben sie zu Hause hundertdreißig wilde Stiere, aber er ließ nicht mit sich reden. Nun, ohne Hemd soll man keinen Mann lassen. – Der Stapel dort drüben hat Ihre Größe, Mister. Kommt ihr Männer am Wochenende wieder her?«

»Hoffe ich doch«, gab Flint zurück. »Etwas Spaß muß ein armer Holzwurm auch mal haben, denke ich. Gerade traf ich Lane. Die Männer haben wohl heute ihren Tag, wie?«

Die Frau lachte, stieg von der Leiter, schob sie ein Stück weiter und holte die Hemden herunter.

»Was soll man machen«, lachte sie. »Sie teilen die Woche, sagen sie. Nun ja, außer der Arbeit müssen sie auch etwas haben. Wie wäre es mit diesem grünen Hemd, Mister?«

»Grün habe ich den ganzen Tag – die Baumwipfel«, grinste Flint. »No, Lady, ich würde eher sagen… gemustert. Hier, grau und schwarz mit roten Streifen. Sieht bunt aus, fällt aber im Wald mehr auf.«

Er nahm das Hemd, redete wie ein Mann; der wochenlang nur Männer um sich gehabt hatte und froh war, nun eine Frau zu sehen. Danach kaufte er Rauchfleisch ein, Mehl, Kaffee… Er sagte, er und einige andere in den Bergen wären es satt, das Hundefutter des Kolonnenkochs verschlingen zu müssen.

Es kam niemand in den Store, Flint hatte sein Paket zusammen. Er bezahlte und zwinkerte der Lady zu.

»Madam, das wird eine lange Nacht für Ihren Mann, was? Nur nicht in seinem Bett!«

Die Frau kicherte, als er hinausging, sein Paket auf beiden Armen.

Der Mann ging nach links in die Dunkelheit dort hinein, denn rechts war der Saloon. Und dort brannte die nächste Laterne zu hell.

Der Mann Flint – und die Frau hörte es – machte nur drei Schritte.

Dann sah er den Schatten hinter der Hausecke heraustreten.

»Hallo«, sagte Brad Harris, der Marshal kalt. »Bleib so stehen, Joe! Ich wußte doch, daß du niemals nach Nordwesten in die Richtung reiten würdest, in der ich deinen Halbbruder finden könnte. Du mußtest nach Nordosten, weil das nun gar nicht deine Richtung war. Nicht rühren, Flint, sonst drücke ich ab!«

So ist das, dachte Flint, sah den Colt in Harris’ Faust, dachte an den Mehlbeutel…

Noch nicht, Harris, du Narr!

Und dann schleuderte er mit einem so blitzschnellen Zucken, wie Harris es niemals erwartet hatte, die ganze Verpflegungsladung Harris entgegen.

Das ganze Zeug, das Flint auf den Armen trug, flog plötzlich auf Harris zu. Der duckte sich und schoß sofort.

Mit dem, was danach passierte, hatte auch Harris nicht gerechnet. Harris bekam den Mehlbeutel, in den seine Kugel ein sauberes Loch gestanzt hatte, genau vor den Kopf. Zwar flog Harris kein Mehl ins Gesicht, aber der Anprall des Beutels war fast zuviel. Marshal Brad Harris sah eine Sekunde nichts mehr. Als er wieder sehen konnte, sauste Flint, dessen Hand den Fünfundvierziger herausriß, bereits mit einem Riesensatz auf die Storetür zu.

»Halt!« brüllte Harris, riß die Waffe hoch, sah Flint nach der Tür greifen und feuerte blitzschnell. Flint hatte den Türflügel bereits von der Wand weggebracht, aber dann traf die Kugel aus Harris’ Revolver die Tür. Der Flügel bekam einen Hieb. Er sauste nach vorn, knallte Flint in die Seite und…

Flint stieß einen kurzen, heiseren Schrei aus. Die Tür prallte ihm so unglücklich gegen die Hüfte und sein rechtes Bein, daß er plötzlich strauchelte. Ehe sich Flint festhalten konnte, knickte er ein. Und dann flog Joe Brian Flint quer über den Vorbau. Er glitt an der Kante aus, kippte jäh nach vorn, verlor den letzten Halt und schlug schwer gegen den Haltebalken. Sein Arm traf den Balken, der Colt flog aus seiner Faust. Im Laternenschein wirbelte die Waffe zwei Schritte weiter. Sie landete im Staub der Fahrbahn, in den nun auch Flint krachte. Ohne Besinnen hechtete Flint sofort wieder hoch. Er streckte sich, sauste auf die Waffe zu und…

In dieser Sekunde feuerte Harris wieder. Weder er noch Flint sahen, daß jemand aus dem Saloon gekommen war. Der Mann blieb entsetzt beim Brüllen der Schüsse stehen. Im Store schrie die Frau gellend. Über die Straße kam das irre Heulen eines Querschlägers. Harris’ Kugel packte Flints Colt. Sie schleuderte die Waffe gut drei Schritte weiter. Flint landete genau dort, wo der Colt gerade noch gelegen hatte.

»Bleib unten!« brüllte Harris voller Wut. »Liegenbleiben, Flint, sonst hast du ein Loch im Fell! Liegenbleiben, Flint!«

Joe Brian Flint lag still. Er hatte den Kopf hochgenommen und sah genug. Es war aus, er wußte es. Joe Flint hatte keine Chance mehr. Kein Mann wäre noch an den Revolver gekommen. Es wäre Selbstmord gewesen, auch nur ein Bein anzuziehen. Harris schoß verteufelt genau.

»Ah, du verdammter Spürhund!« knirschte Flint. Er hatte den Mund voll Dreck und spuckte ihn wütend aus. »Das hat dir der Satan ins Gehirn gepflanzt, daß ich hier auftauchen könnte. Harris, hätte ich doch diesmal das getan, was ich sonst nie getan hätte.«

»Sei ruhig, Bandit!« knurrte Harris ihn scharf an. »Keine Bewegung. Leute – zurückbleiben – zurück! Das ist Joe Flint – ich habe ihn erwischt, diesen gerissenen Schurken. Versteht sich jemand auf Handschellen?«

Aus dem Saloon waren nun alle Männer gestürzt. Andere liefen aus den Häusern heran.

»Ich«, meldete sich einer der Männer verstört. Er sah den Marshalstern, hatte den Namen gehört und hob die Hand. »Ich bin Schmied, Marshal. He, ist das wirklich Joe Flint?«

»Darauf kannst du wetten!« erwiderte Harris bissig. »Mann, paß auf. Ich werfe dir die Handschellen zu. Leg sie ihm um, wenn ich neben ihm bin, aber sieh dich vor! Dieser Satansbraten bekommt es fertig und springt dich plötzlich an.«

Er ging los, die Mündung seines Revolvers auf Flint gerichtet. Als er neben ihm war, zielte er auf Flints breiten Rücken.

»Flint, siehst du das?«

»Yeah«, knurrte Flint voller ohnmächtigem Grimm. »Und du knallst mich auch ab, wette ich, was?«

»Dein Glück, wenn du das begriffen hast«, fauchte Harris. »Arme auf den Rücken, los! Und zuckst du Hundesohn, hörst du noch einen Knall, danach eine Weile nichts mehr.«

Harris warf dem Schmied die Handschellen hinüber. Der näherte sich mit aller Vorsicht Flint, legte sie ihm um und richtete sich dann mit einem erleichterten Schnaufen wieder auf.

»Mister«, fuhr Harris jetzt fort und winkte dem Schmied. »Lauf hinter den Schuppen drüben. Ich habe sein Pferd dorthin gebracht. Schaff es her – und laß niemand heran. Well, Mr. Flint, so viel verspreche ich dir: Ich werde dir auch die Beine anketten. Und dann bringe ich dich nach Burns ins Jail. Solltest du die verrückte Idee haben, mir entwischen zu können, laß ich dir noch etwas gesagt sein: Ich werde dich kaltblütig niederschießen, sobald du mir den leisesten Ärger machst. Hast du gehört, Flint?«

»Du hast laut genug palavert«, spottete Flint. »Du weißt doch, daß ich ein Vogel bin, Marshal. Mal sehen, was daraus wird, wenn ich in einem Käfig sitze, vielleicht fliege ich dir doch davon!«

»Niemals!« entgegnete Harris eiskalt. »Zwanzig Jahre, Flint, das ist alles, was noch auf dich wartet.«

Flint lächelte nur seltsam. Und es war dieses Lächeln, das den Leuten unheimlich erschien.

Aus, dachte Flint, vorläufig aus, du Narr, aber…

Er sah in den Staub der Fahrbahn. Irgendwo hinter ihm sagte die Frau dünn und verstört: »Das – das ist wirklich Joe Flint, Marshal? So ein netter Mann Joe Flint?«

»So ein netter Mann«, knurrte Harris wütend. »Das haben alle Ladies bis heute gesagt. So ein netter, verdammter Galgenvogel!«

*

Slim Greer warf seinem Partner Charlie Stapleton einen kurzen Blick zu. Dann wandte er den Kopf, denn Marshal Harris fauchte grimmig: »Aufstehen, Flint! Los, komm schon hoch, du Galgenvogel!«

Greer blinzelte zu dem Mann hin, der mit ihnen noch kein einziges Wort gewechselt hatte. Sie hatten versucht, mit ihm zu reden, aber sie hätten genausogut versuchen können, die Wände zum Sprechen zu bringen.

Joe Flint lag seit einem Tag in der Zelle, aber er schlief am Tag. Dafür war er nachts munter.

Wenn Greer an die Prozedur dachte, die Harris, Sheriff O’Connor und dessen Deputy Ed Williams mit Flint vorgenommen hatten, dann gruselte ihn leicht. Flint hatte sich ausziehen müssen, und Harris hatte ihn betrachtet, wie ein Viehhändler vielleicht einen Gaul ansehen mochte. Nicht nur, daß Harris jeden Saum, jede Naht von Flints Kleidung abgetastet hatte – no, der Marshal hatte auch Flints Socken und Stiefel untersucht.

Schließlich hatte er sogar Flints Haare eigenhändig durchgekämmt und ihm endlich in die Ohren gestiert, als hätte Flint einen Revolver dort verstecken können. Während der stundenlangen Prozedur waren O’Connor und Williams in der Zelle gewesen – beide mit gezogenen Revolvern.

Doch das war noch nicht alles. Harris kam alle zwei Stunden in die Zelle, um nachzusehen, ob Flint noch da war. Der Mann schien eine höllische Angst zu haben, daß sich Flint in Luft auflösen könnte. Und Flint? Nun, Flint hatte immer nur gegrinst.

Jetzt wachte Flint auf, er hatte tatsächlich schon wieder am hellen Tag geschlafen.

Während Harris rechts an das Gitter trat, marschierte Ed Williams nach links. Dann erst machte O’Connor die Tür auf. Als Jack Andrews hereinkam, kniff Greer leicht die Lider zusammen. Hinter Andrews erschien Ben Claydon. Danach tauchte Anne Claydon auf, und den Schluß machte Caroll Andrews.

Claydon trat dicht an das Gitter, aber Harris hob sofort den Revolver.

»Nicht an das Gitter, Claydon!« brummte Harris warnend. »Der Bursche könnte irgend etwas versuchen.«

»Zum Teufel, bei drei Mann mit gespannten Revolvern?« stieß Claydon durch die Zähne.

Er war immer noch wütend, dabei waren seit dem Überfall vier Tage vergangen. Es war auch weniger der Überfall, der Ben Claydon rasend gemacht hatte. Als er Anne nach dem Grund für ihre Weigerung gefragt hatte, hatte er eine ausweichende Antwort bekommen. Dann verlangte er, mißtrauisch geworden, daß sie ihm die Tasche geben sollte, doch auch ihm gab sie sie nicht, bis er sie ihr voller Zorn entriß. Danach fand er das Geld – und schließlich erfuhr er auch, warum sie ihr erspartes Geld in der Tasche hatte.

Seitdem wartete Ben Claydon darauf, daß Mikel sich bei Caroll meldete. Mikel sollte die Hölle erleben, so viel stand für Old Ben fest. Jetzt brachte dieser verdammte Taugenichts auch noch seine Schwester um das ersparte Geld. Und sie war gutmütig genug gewesen, an die verdammten Lügengeschichten Mikels zu glauben.

»So sieht der Bursche also aus«, ließ sich Jack Andrews hören. Er war ein großer rothaariger Mann mit einem hochgedrehten Schnurrbart und hellen, scharfen Augen. »Nun, du Bandit, deine Zigeunerin hat rechtbehalten, was?«

Flint sah an ihm vorbei, er lächelte wieder, als er Caroll Andrews ansah.

»Vielleicht, Mr. Andrews.«

»Nicht vielleicht!« schrie Claydon wütend. »Habe ich dir nicht gesagt, daß der Marshal dich erwischen würde, du Pferdedieb?«

»Richtig«, murmelte Flint sanft. »Und Sie haben Ihren Hengst wieder, Mr. Claydon.«

»Yeah, weil der Marshal dich erwischte, ehe du mit ihm über alle Berge verschwinden konntest, du Schurke!« brüllte Claydon. »Weißt du, was mit dir passieren wird, du Pferdedieb? Zuerst werden wir hier eine Jury bilden und dich einmal verurteilen. Dann bringen sie dich nach Nevada. Dort bekommst du die nächsten zehn Jahre aufgedonnert. Und schließlich landest du in Arizona. Dies wird deine letzte Station sein und dir noch mal zehn Jahre einbringen. Dreißig Jahre, Pferdedieb, wenn nicht mehr. Weißt du, wie alt du dann bist?«

Flint schwieg, er sah an allen vorbei und nur Caroll Andrews an.

»Er hat mir den Ring abgenommen«, sagte Flint leise mit einer Kopfbewegung zu Harris hinüber. »Vielleicht dachte er, ich würde mir daraus einen Revolver oder eine richtige Kanone bauen können. Tut mir leid, Miss Andrews, ich konnte mein Versprechen nicht halten.«

»Mensch!« donnerte Jack Andrews und lief rot an vor Zorn. »Du Bandit wagst es, meine Tochter anzureden? Du verdammter Schurke hast ihr nichts als verrückte Ideen in den Kopf gesetzt. Sie will niemand glauben, daß du ein abgefeimter Halunke bist. Stagecoachüberfall und Pferdediebstahl – das reicht für zehn Jahre. Tochter, halte den Mund, das ist ein Befehl!«

Er fuhr zu ihr herum und sah sie voller Zorn an.

»Dad, er ist kein schlechter Mensch, ich weiß es«, erwiderte Caroll Andrews, ohne sich um seinen barschen Befehl zu kümmern. »Wer weiß, was ihn dazu getrieben hat, ein Bandit zu werden, aber er ist kein schlechter Mensch.«

»Hinaus!« schrie Andrews zornbebend. »Jetzt habe ich genug! Sie schenkt diesem Kerl einen Ring, einem Banditen! Hinaus mit dir! Hätte ich dich nur nicht mitgenommen! Aber du hast mir stundenlang in den Ohren gelegen. Hinaus!«

»Yeah, fort mit diesen beiden langhaarigen Verrücktenl« brüllte der genauso wütende Ben Claydon grimmig. »Der und ein armer, durch irgendwelche Umstände auf die schiefe Bahn gebrachte Mensch, was? Du bist still, Tochter! Man soll niemals auf dieses langhaarige Volk hören! Das hat sogar noch Mitleid mit einem Viehdieb und Halunken, der Postkutschen überfällt und anderen Leuten ein Gewehr an den Kopf drückt. Aussage – und dann fort mit dir! Wollen ihn sehen, finden ihn gar nicht so übel… Hol’s der Teufel, ich platze, ich explodiere. Das verrückte Volk!«

Gemeinsam mit dem fluchenden Jack Andrews schob er die Girls aus dem Jailanbau ins Office. Dort fluchte er weiter, während Harris zu Flint sah, der sich, als ging es ihn nichts mehr an, wieder auf die Pritsche legte.

»Du gerissener Satansbraten!« knurrte Harris grimmig. »Am Tag schlafen und nachts wach liegen, was? Das treibe ich dir schon noch aus, warte, du Hundesohn. Von jetzt an komme ich jede halbe Stunde und schreie dich munter!«

»Idiot!« sagte Flint träge.

Harris verfärbte sich. Er sah aus, als wollte er sich den Schlüssel nehmen, die Zelle aufschließen und sich auf Flint stürzen. Keuchend blieb Harris an der Gittertür stehen, er schnappte nach Luft.

»Sag das noch mal!« forderte er Flint dann auf. »Was bin ich?«

»Ein Idiot!« zischte Flint. Er legte sich hin und verschränkte die Arme unter dem Nacken. »Du wolltest es hören.«

»Ah…, Hölle!« stieß Harris laut durch die Zähne. »Keine Verpflegung mehr heute, du Schurke! Wie gefällt dir das, he, du Weiberkopfverdreher?«

»Ich bin ohnehin zu fett geworden.«

Drüben begann Greer bullernd und tosend zu lachen. Charlie

Stapleton kicherte wie eine hungrige Hyäne, und Harris fuhr zu ihnen herum.

»Lacht ihr über mich?« schrie er wütend. »He, ihr Halunken, was gibt es zu lachen?«

»N… nichts«, antwortete Greer mit wackelndem Bauch. »Kann man hier nicht mal mehr lachen, Marshal?«

»Euch bekomme ich auch noch klein!« versprach ihnen Harris wütend. »Flint, die passen zu dir – das richtige Gesindel zusammen, was?«

*

Greer schnarchte wie ein Walroß. Er hatte einen tiefen gesunden Schlaf wie die meisten großen, schweren Männer. Charlie Stapleton aber brachte es nicht fertig zu schlafen, wenn Harris gerade hereingekommen war und nach Flint gesehen hatte.

Die letzten drei Tage hatte Harris seine Nachtkontrollen anders eingeteilt. Dafür kam er jede Stunde am Tage. Und tatsächlich war es ihm durch das dauernde Anbrüllen Flints gelungen, den Banditen nicht richtig zum Schlaf kommen zu lassen. Flint hatte gestern bereits einige Stunden der Nacht schlafend verbracht. Harris war grinsend zu den Nachtkontrollen erschienen. Und als er Flint schlafend vorgefunden hatte, hatte er ihn mit seinem höhnischen Gelächter munter gemacht.

»Na, Flint – was ist denn? He, ich bin das nur. Was denn, du hast doch nicht etwa geschlafen, du neunmalkluger Halunke? Du siehst ja aus, als klebte Müdigkeit dir die Augen zu. Gutes Gefühl, endlich mal die richtige Zeit zum Schlafen gefunden zu haben, he?«

»Du verfluchter Sklavenbändiger!«

Das war alles gewesen, was der schlaftrunkene Flint knirschend herausgebracht hatte. Er hatte auch an diesem Tag keine Ruhe gefunden. Und als der Abend kam, schlief er wie ein Toter, denn Harris hatte ihm alle Decken am Tag genommen und ihn auf der kahlen Pritsche liegen lassen. Um die Gemeinheit voll zu machen, war Harris dann noch mit dem Ascher aus dem Office erschienen. Er hatte ihn in Flints Zelle gekippt, einen Handfeger und eine Schaufel nachgeworfen und giftig geknurrt:

»Auffegen, Mister! Bewegung macht müde, also beweg dich!«

Das Spiel hatte sich fast jede Stunde wiederholt. Greer und Stapleton waren sicher, daß Flint Harris umgebracht hätte, wenn er an Harris herangekommen wäre.

Die erste Abendkontrolle von Harris war vorbei, und Stapleton fragte sich, ob der Marshal mit dem wenigen Schlaf eigentlich auskam. Es schien Harris gleich zu sein, daß er selber keine Ruhe fand. Flint hatte Harris einen sturen Hundesohn genannt, den stursten, den er jemals kennengelernt hatte. Er hatte sich vorgenommen, Flint das Tagschlafen abzugewöhnen – und er hatte es fast geschafft.

Charlie Stapleton, der nur mittelgroße, schmächtige Bursche, versuchte vergeblich einzuschlafen. Als ihm endlich wieder die Augen zufielen, machte ihn ein leises Knarren aus Flints Zelle jäh munter. Stapleton lag auf der Seite. Er blinzelte zu Flint hinüber.

Charlie Stapleton öffnete mit einem Ruck die Lider, als er Flint auf der Pritsche sitzen sah.

Verflucht, dachte Stapleton verstört, was – was hat der da? Was macht er?

Joe Brian Flint nahm jetzt den einen Stiefel hoch. Er setzte sich auf den kahlen Boden und klemmte den Stiefel zwischen seine hochgezogenen Knie.

Flints Hand fuhr mit dem Ding in den Stiefel hinein. Einige Bewegungen Flints, dann ein leises, knirschendes Geräusch, als wenn Leder aufgerissen wurde. Sekunden vergingen, bis Flint die vom Schweiß verformte dunkelbraune Innensohle des Stiefels herausgezerrt hatte. Flint schien von einer Art Raserei befallen worden zu sein. Er legte die Sohle achtlos neben sich.

Wieder tauchte Flints Hand in den Stiefel. Er hielt ihn nicht gegen das trübe brennende Licht der Kerosinlampe im Gang – Flint schien nur im Stiefel herumzutasten. Dann drückte sich sein Arm jäh tiefer. Wieder glaubte Stapleton ein leises Klicken zu hören.

Flint schnaufte jetzt. Es klang erleichtert, als er die Hand aus dem Stiefel nahm. Kaum hatte er das getan, als er den Stiefel umdrehte und die Beine zusammennahm. Aus dem Stiefelschaft kollerte etwas. Es klickerte metallisch. Flint drückte erschrocken den Schaft fest auf seine Schenkel, sein Kopf flog jäh herum und…

Im nächsten Augenblick blieb Flint stocksteif sitzen. Er hatte das Zucken von Stapletons Lidern erkannt. Es sah aus, als verfärbte er sich. Länger als eine halbe Minute rührte er sich nicht, bis er plötzlich leise zischte: »Stapleton!«

Stapleton öffnete die Augen. Er wußte, Flint hatte gemerkt, daß er zugesehen hatte.

»Bleib liegen und rühr dich nicht«, flüsterte Flint. »Laß Greer schlafen und schnarchen – das ist gut für uns alle. Keine Fragen jetzt. Ich habe nicht viel Zeit. Der Hundesohn Harris kommt in zwei Stunden wieder. Nur zwei Stunden, so knapp war die Zeit noch nie! Halt den Mund, wenn du klug bist.«

»Was hast du vor, Flint?« zischelte Stapleton dennoch. »Flint, willst du – raus?«

»Was sonst? Halt das Maul,

Stapleton, oder du verdirbst alles.«

Stapleton stierte auf den Stiefel, Flint nahm ihn jetzt vorsichtig hoch. Dann schnappte seine Linke zu. Er stellte den Stiefel ab, und Stapleton sah ein kaum drei Finger langes und breites braunes, etwa einen dreiviertel Zoll dickes Päckchen. Flint zerrte an ihm, rupfte – und Stapleton erkannte, daß es Watte war, aus der jetzt mehrere glänzende, gefettete Eisenstücke auftauchten. Als Flint sie auf der flachen Hand Stapleton hinhielt, sperrte der die Augen so weit wie niemals zuvor auf.

In Flints Handfläche lagen zwei Schlüsselbärte. Daneben glänzten drei kaum zollange Stiftstücke und ein Schlüsselöhr. Alle hatten abgesetzte Enden mit Gewinde.

»Sssst!« zischte Flint. »Nicht rühren, Mann!«

»Allmächtiger!«

Das war alles, was Charlie Stapleton herausbringen konnte. Im nächsten Moment legte Flint alles neben den Stiefel. Es lag nun so, daß Flint es blitzschnell in den Stiefelschacht werfen konnte. Mit den beiden Schlüsselbärten erhob sich Flint lautlos. Er glitt auf die Tür zu, nahm den einen Bart, hielt ihn an das Schlüsselloch und verzog schmerzhaft das Gesicht. Erst als er den zweiten Schlüsselbart an das Schloß hielt, schien ein grimmiges, aber frohlockendes Zucken über sein Gesicht zu laufen. Flint nickte.

Binnen zehn Sekunden hatte Flint die drei Teile eines Eisenschlüssels zusammengeschraubt. Als er ihn kurz hochhielt, sah Stapleton, daß aus den verschiedenen Teilen ein völlig normal wirkender Schlüssel geworden war. Er war lediglich etwas kürzer im Schaft als jener, mit dem sie sonst die Zelle aufschlossen.

»Mensch!« flüsterte Stapleton, während Greer friedlich schnarchte. »Ich fall um! Das ist ein Ding!«

»Sei ruhig, Junge!« zischte Flint.

*

Harris schloß die Tür zum Jail auf. Dann stieß er sie zurück. Müde, mit brennenden Augen, aber die Rechte am Kolben seines Revolvers, sah Harris die schwere Tür nach innen schwingen.

Und dann sah Harris den Mann.

Anders als Harris – hellwach und mit weit geöffneten Augen, lagen

Stapleton und Greer auf ihren Pritschen. Beide waren so wach wie selten zuvor in ihrem Leben. Dennoch schnarchte Greer lauthals, weil er es tun mußte, denn er wurde nie munter, wenn Harris in das Jail nachsehen kam.

Gerechter Manitu, dachte Stapleton, als die Tür aufschwang, das geht nicht gut, das schafft er niemals. Drei gegen einen.

Stapletons Mund war pulvertrokken vor Erregung. Er sah, wie Flint die Faust nach hinten nahm, und sein Atem stockte in dieser Sekunde. An der aufschwingenden Tür vorbei konnte Stapleton nun Harris sehen. Harris schien vor Schreck steif wie eine Mumie zu werden. Seine Augen weiteten sich, sein Mund öffnete sich jäh.

Er schreit, er schreit, dachte

Stapleton, und Greers Geschnarche verstummte mit einem Schlag. Slim Greer packte die nackte Furcht.

In derselben Sekunde flog Flints rechte Faust los. Hinter dem Hieb saß eine derartige Gewalt, daß Harris wie eine Puppe zur Seite flog. Der Marshal kam nicht mehr zu einem Schrei. Er stieß nur einen dumpfen, ächzenden Laut aus, als sein Kopf gegen das rechte Türfutter donnerte.

Stapleton glaubte noch zu sehen, daß Flints Linke dem Marshal voll unter die Rippen in den Bauch schoß. Dann knickte der Marshal Brad Harris haltlos in sich zusammen. Ehe er jedoch den Boden berührte, fuhr Flints linke Hand nach seinem Gurt. Indem sich Flints Finger in Harris’ Gurt festkrallten, schnappte die andere Hand Flints nach dem Revolver des Marshals. Dann erst gab Flint Harris einen Stoß, und der Marshal fiel schlaff in das Office.

Er blieb mit dem Gesicht zum Boden liegen.

Über ihn hinweg fegte Flint mit einem Riesensatz in das Office hinein. Die Tür zum Nebenraum, in dem Harris auf einem Feldbett geschlafen hatte, stand sperrangelweit auf. An der Stirnwand stand das Bett von Sheriff O’Connor, während Ed Williams, der Deputy, im Office auf einem mit einer Pferdedecke bezogenen Chaiselongue lag.

Bei dem schweren Gepolter, mit dem Harris zu Boden stürzte, fuhr Williams von seiner Liege hoch. Der Deputy kam gerade zum Sitzen. Sein Kopf ruckte herum, seine schlaftrunkenen Augen blickten zur Jailtür, aber er sah nur den Mann auf sich zufegen.

Joe Brian Flint flog mit einem Satz am Tisch vorbei. Und ehe Williams wußte, was passiert war, rammte ihm Flint den Colt unter das Kinn, während sich seine Linke in Williams’ Hemd verkrallte.

In diesem Moment richtete sich Sheriff O’Connor drüben in seinem Bett auf.

»He – was ist?« fragte O’Connor verstört. »Was, zum Teufel…? Wer macht da…«

Zur selben Sekunde riß Flint den erst halbwachen Williams mit einem einzigen, wilden Ruck von seiner Liege herunter am Tisch vorbei. Er drehte sich mit seinem Mann, der nun über den Boden flog, im Halbkreis, stemmte ihn aber dabei in die Höhe. Williams kam auf die Beine, er schwankte heftig, stierte Flint wie den Teufel an und brachte keinen Ton über die Lippen.

Joe Flint duckte sich etwas. Seine Linke stemmte den Deputy so hoch, daß Williams ihn vollständig deckte. Dann stieß er Williams vor sich her auf die Tür des Nebenraumes zu.

»O’Connor!« fauchte Flint messerscharf. »Weg mit der Hand vom Stuhl – die Hand weg, sonst drücke ich ab, und Williams hat keinen Kopf mehr! Sheriff, weg mit der Hand!«

O’Connors Waffengurt hing über dem Stuhl. Der Sheriff saß aufrecht im Bett.

»Flint«, gurgelte O’Connor verstört. »Flint, du ver…«

»Rauskommen! Raus mit dir, sonst jage ich dem hier eine Kugel durch den Kopf. Die zweite erwischt dich – und die dritte befördert diesen verfluchten Spürhund und Menschenjäger Harris über den Jordan!« zischte Flint eisig. »Sheriff, schnell, ich habe keine Zeit. Eins – zwei…«

»Du – du Hundesohn!« ächzte O’Connor. Er stieg aus dem Bett, schielte nach seinem Gurt, ging aber dann los und reckte die Arme empor. So kam er durch die Tür in sein Office.

»An die Wand!« befahl Flint kalt. »Hinknien und die Hände erhoben gegen die Wand legen. Schnell, Mann!«

»Das wirst du mit einem Strick um den Hals bezahlen!« knirschte

O’Connor halberstickt. »Du Schurke, jetzt werden dich alle Sheriffs in diesem Land suchen, wenn du jemals unbemerkt aus der Stadt kommen solltest. Williams, wie hat er…«

»Halt deinen Mund!« fuhr Flint ihn an. »Hinknien, los! Und jetzt du, Williams – Gesicht zur Wand, runter mit dir!«

Er trat, als sie knieten, zurück, griff nach der Tür und nahm die Schlüssel mit der Linken.

»Rührt euch nicht, keinen Laut!« fauchte er O’Connor und Williams an. Dann zog er die Schlüssel, die Harris in der Jailtür hatte stecken lassen, ab und holte aus. Die Schlüssel flogen klirrend und scheppernd durch den Gang und landeten vor der Zellentür vor Greer und Stapleton.

In derselben Sekunde bewegte sich Harris plötzlich. Der Marshal schien schon vor einigen Augenblicken munter geworden zu sein. Harris stieß sich von der Wand zum Jail ab. Seine Hände schossen nach vorn, Stapleton, der schon durch das Gitter langte, um nach den Schlüsseln zu greifen, stieß einen grellen Warnschrei aus. Der kleine Bursche riß die Augen vor Furcht auf, als Harris herumschnellte.

»Hund!« knurrte Flint. Er sprang blitzschnell weg, zuckte nach unten und entging den zuschnappenden Händen von Harris, die nach seinen Stiefeln packen wollten. Im nächsten Moment sauste Harris der eigene Revolver auf den Kopf. Der Marshal fiel zurück, sein rechtes Bein zuckte ein paarmal, dann rührte sich Harris nicht mehr.

Flint aber fuhr wie ein Tiger herum. Sein Fuß traf Williams in den Rücken. Der Deputy hatte sich abstoßen wollen, flog aber nun gegen die Wand zurück.

»Das habt ihr euch gedacht, was?« knirschte Flint, während Stapleton jetzt in fieberhafter Hast den richtigen Zellenschlüssel in das Schloß der Gittertür steckte und die Zelle öffnete. »Bleibst du verdammter Sklavenhalter sitzen – oder?«

Williams stöhnte, fiel fast in sich zusammen und hatte Mühe, auf den Knien zu bleiben.

Der kleine Stapleton kam mit der Geschwindigkeit einer Ratte, die man angesengt hatte, aus dem Jail geschossen. Der Bandit packte sich sofort Williams’ Revolver, und Greer, der ihm nachstürmte, hetzte in den Nebenraum. Binnen einer halben Minute waren die beiden Burschen bewaffnet.

»Hölle und Pest, nie im Leben habe ich so eine Angst gehabt«, ächzte Stapleton. »Na, O’Connor, du Hundesohn, was sagst du jetzt, he?«

Er trat hinter den Sheriff, nahm den Revolver hoch und hörte Flint scharf knurren: »Laß das – wozu niederschlagen, wir haben sie doch sicher, du Narr! Handschellen her, schnell. Und dann in das Loch mit den Kerlen. Sie dürfen mal selber gesiebte Luft atmen. Macht schnell, verdammt!«

Nach wenigen Minuten hatten sie den Marshal, O’Connor und Williams in die Zellen geschleift. Jeder bekam einen Knebel. O’Connor gurgelte voller Wut, als er mit seinen eigenen Schellen angeschlossen wurde und Flint grinsend neben ihn trat.

»Hier könnt ihr bleiben«, sagte Flint voller Hohn. »Mich seht ihr niemals wieder.«

Er ging hinaus, schloß ab und machte auch die Jailtür zu. Dann sah er zu Stapleton, der bereits die Hintertür des Office geöffnet hatte und in die Nacht hinausstarrte.

»Alles ruhig«, meldete Stapleton zischend. »Flint, komm schnell!«

Sie kannten sich im Hof des Office aus. Greer hatte schon den Stall aufgemacht, in dem vier Pferde standen. Die Laterne im Stall brannte nur schwach, aber dennoch sah Flint sofort seinen Sattel über der Boxwand liegen und hastete auf ihn zu.

»Ich werde Harris den Gaul nehmen«, grinste Flint. »Der verdammte Schurke wird sich schwarz ärgern. He, Stapleton, paß draußen auf, wir machen das hier schon. Alles ganz ruhig?«

»Pah, nichts rührt sich, das Nest schläft«, erwiderte der kleine Bandit von draußen leise. »Macht weiter, niemand wird euch stören.«

Flint sattelte hastig. Er hatte seine Waffen wieder und war sicher, daß Harris ihn nicht mehr finden würde. Diesmal konnte Harris sich jede Suche nach ihm sparen, und Harris würde das auch wissen. Flint machte einen Fehler immer nur einmal.

Es dauerte keine zwei Minuten, dann hatten sie gesattelt und führten die Pferde hinaus. Flints Blick flog über die dunkle Straße. Er sah die Einmündung der Querstraße und blickte sich nach Stapleton um.

»He, Stapleton, willst du dorthin oder nehmen wir einen anderen Weg?«

»Laß mich führen«, zischelte

Stapleton. »Das Nest kenne ich wie meine Westentasche. Verlaß dich nur auf uns, Mann. Deine Arbeit hast du getan, jetzt kommt unsere. Mensch, wenn dich Harris an den Beinen gepackt hätte.«

»Er hat nicht«, flüsterte Flint kühl. »Hör zu, Mann, ich muß mich noch in dieser Nacht mit Verpflegung versorgen. Gibt es hier einen abseits gelegenen Store?«

»Teufel, muß das sein?« entsetzte sich Stapleton. »Ich weiß einen, aber…«

»Bringt mich hin, das ist alles, was ihr für mich tun könnt, Freunde«, murmelte Flint. »Gut, reite vor.«

Sie saßen auf und ritten im Schritt bis zum Beginn der Seitenstraße. Niemand sah sie, als sie die Seitenstraße hinaufritten und schneller wurden. Hinter Flint ritt Greer, während Stapleton vor Flint nach links abbog. Es ging zwischen Schuppen durch, und der Geruch von Holzmehl drang Flint in die Nase. Dann tauchten Bäume auf, noch ein Haus lag linker Hand, und Stapleton ritt bis hinter einige Bäume, die zwischen Büschen am Rand eines Bacharmes lagen. Sie hatten sich kaum sechzig Schritte von der Stadt entfernt.

»Flint«, schnaufte Stapleton. Er blickte sich sichernd um, als ein Hund rechts von ihnen bellte, aber das Gebell verstummte gleich wieder. »Teufel, ich dachte schon, da wäre jemand. He, Flint, paß auf. Du hast gesagt, du wolltest allein reiten, nun gut, aber du könntest auch – unsere Hilfe annehmen. Wir wissen, wo du für hundert Tage Verpflegung bekommen könntest ohne Risiko für dich. Denk nach, Mann, lohnt es sich jetzt, in einen Store einzusteigen?«

»Ich muß weiter«, murmelte Flint. »Stapleton, ich bin es gewohnt, allein zu sein. Partner sind nichts für mich, verstehst du? Wo liegt der Store, Mann?«

Der kleine Bandit zuckte die Achseln.

»Well, wie du willst«, brummte er. »Wir hatten damit gerechnet, bis nach der Verhandlung O’Connors dämliches Gesicht ertragen zu müssen. Unsere Freunde wollten uns auf dem Transport nach Eugene aus der Transportkutsche holen. Jetzt sind wir einige Tage früher frei, und es war der beste Spaß, den ich jemals erlebt habe. In Ordnung, Flint, mach, was du willst. Also, hör zu: Chandlers Store liegt dort drüben. Siehst du das Licht hinten und die Bäume? Links neben den Bäumen, Flint.«

Flint reckte sich im Sattel hoch. Er nahm das Pferd etwas herum und sah den Lichtfleck hinter hohen, schlanken Koniferen.

»Das ist das Haus vom Doc, Flint«, erklärte Stapleton leise. »Rechts vom Haus geht ein Weg vorbei. Reite den lang, dann bist du nach sechzig Schritten neben der Schmiede. Sie liegt links – rechts ist Chandlers Store. Das ist ein alter, widerlicher Bursche. Er lebt allein und…«

Stapletons Augenlider zuckten einmal, und Flint hatte noch das Gefühl, daß Stapleton nicht mehr ihn ansah, sondern an ihm vorbeiblickte.

Greer, dachte Flint entsetzt, Greer ist hinter mir!

Das war sein letzter Gedanke.

Etwas traf seinen Kopf, mit einem Hieb, der Feuer vor seinen Augen aufspringen ließ.

Joe Brian Flint rutschte haltlos zusammen.

*

Das wilde Getrappel der Hufe endete jäh. Pferde schnaubten, und Flint versuchte, während sein Mund eine Flut stöhnender Laute ausstieß, nach seinem Hinterkopf zu fassen. Im nächsten Moment merkte er, daß er gebunden war. Er öffnete die Augen, aber schon diese kleine Bewegung jagte ihm stechende Schmerzen durch den Hinterkopf.

»Ah, munter, was?« fragte Stapleton neben ihm hämisch. »Well, Mister, versuch erst gar nicht, dich zu befreien – du kommst doch nicht los. Aus deinem Alleinritt wird nichts mehr – Pech für dich, Flint!«

»Was… Oaaah, mein Kopf, mein Kopf«, stöhnte Flint. »Was – was soll das? Greer – warum…« Er lallte schwer und hatte Mühe, die Worte zu formen. »Greer, warum – hast du mich – niedergeschlagen?«

»Frag Charlie«, knarrte der bullige Greer mürrisch. »Der kann dir das besser sagen. Sicher hat er recht.«

Er hielt rechts von Flint, und das Mondlicht beleuchtete sein verdrossenes, mürrisches Gesicht.

»Sicher habe ich recht«, meldete sich Stapleton kichernd, und sein verdammtes Lachen ließ Flint fast den Schädel platzen. »Bei einem Kerl wie dir kann man kein Risiko eingehen, verstehst du, Flint? Bist zu gefährlich, Mann. Wir nehmen dich mit, Mister. Zuerst dachte ich daran, daß wir mit dir eine Ecke reiten sollten nach Nevada, klar?

Aber da sind unsere Partner, und die wissen morgen, daß du mit uns ausgebrochen bist. Weit kämen wir nicht, denn sie würden uns suchen. Lieber fiele ich wieder einem Sheriff in die Hände, als meinem Boß, Mann. Der würde uns nicht schnell umbringen, sondern sich was für uns ausdenken. Hätte dein verdammtes Silber ganz gern mit dir und Greer geteilt, aber ich trau dir nicht, du Bursche. Ist besser, wenn ein halbes Dutzend Burschen auf dich achten. Und sicher ist es auch klüger, erstmal eine Weile zu verschwinden und sich nicht sehen zu lassen. Kapierst du, was ich meine, Flint?«

Der stechende Schmerz in Flints Kopf stieg an und hämmerte gegen seine Schläfen.

»Das Silber – das Silber!« stotterte Flint verstört. »Ich hole euch aus dem Jail, und ihr – ihr verdammten Halunken… Das ist eure Dankbarkeit!«

»Yeah, so sieht sie aus«, kicherte der kleine Stapleton höhnisch. »Ich hab’ nie gebetet im Leben, Flint, aber als dieser verdammte Marshal auftauchte und dem Irenhund O’Connor von dir erzählte, da hab’ ich es mal ausprobiert. Jetzt brauchst du deinen Halbbruder nicht mehr, Mensch, hast nun Freunde. Wir sind deine Freunde – und wir helfen dir schon, das Zeug wegzuschaffen. Mußt uns nur hinbringen und…, he, verflucht!«

Flint gab dem Pferd des Marshals jäh die Hacken. Der Gaul sprang mit einem Riesensatz an. Er schoß zwischen den beiden Halunken durch, aber…

Plötzlich gab es einen Ruck. Das Pferd stieg schrill wiehernd, und Flint schlug mit dem Gesicht hart gegen seinen Hals.

»He!« brüllte Greer heiser vor Wut. »He, du verdammter Affe, das hast du dir gedacht, was? Den haben wir gleich an zwei Longen genommen.«

Er warf sich halb auf Flints Rücken und drückte Flint mit Bärenkräften herab.

»Siehst du, du Schlaukopf?« schrie Stapleton voller Hohn. »Bald sind wir bei unserem Boß, mein Freund. Und dann kannst du ihm erzählen, wo das Silber liegt, hähä!«

Sein Lachen und der Aufprall gegen den Pferdehals ließen Flints Kopf fast platzen.

»Ihr werdet nichts aus mir herausholen«, keuchte Flint abgerissen. »Und wenn ihr mich umbringt! – Sucht euch nur tot!«

»Du redest«, schwor Greer zornig. »Verlaß dich darauf, du redest!«

*

Der Raum konnte nicht breiter als zweieinhalb Schritte sein. Und Flint wußte nun auch, daß er etwa drei Yards lang war. In der rechten Ecke hatten sie einen Strohsack hingeworfen, auf dem Flint etwa zwei Stunden gelegen haben mochte.

Die Schmerzen hatten nachgelassen. Flint war trotz der gebundenen Arme und Beine herumgerollt, um herauszufinden, ob er in einem Keller oder in einem Haus lag. Da er nichts sehen konnte, weil es stockfinster hier drinnen war, war Flint auf seine Finger und das Gehör angewiesen. Was er für Stein gehalten hatte, war ein dicker Dielenboden, auf dem fingerdick der Staub lag. Die Wände bestanden aus behauenen Baumstämmen. Es schien kein Fenster in diesem Raum zu geben.

So schnell Flint konnte, rutschte er zurück zum Strohsack. Er lag kaum, als die Schritte kamen, und er sah nun einen dünnen Lichtstreifen vor sich. Dann knallte etwas, es schurrte schwer. Ein Schlüssel rasselte, und die Tür flog auf.

Das erste, was Flint sah, waren zwei Revolver. Die beiden Männer – der eine war Greer, standen zwei Schritte vor der Tür.

»Er liegt noch dort«, sagte jemand aus dem Hintergrund. »Vorsicht, einer erst zu ihm. Sieh nach seinen Fesseln, Slim. Aber paß auf!«

Greer kam mit dem anderen Burschen herein. Ein dritter Mann hielt die Laterne.

»In Ordnung«, berichtete Greer, nachdem er Flint auf den Bauch geworfen hatte. »Na, mein Freund, hast du dich gerollt? Hier kommst du doch nicht heraus, nur immer ruhig.«

Sie packten ihn an Armen und Beinen. Dann trugen sie ihn aus dem Raum durch einen Gang von kaum vier Schritten Länge. Die Außentür flog auf, und die klare, kühle Nachtluft umgab Flint. Er hing zwischen den beiden Männern, sah nicht viel, erkannte aber die Umrisse eines Hauses. Licht fiel plötzlich aus einer Tür und blendete ihn. Danach schleppten sie ihn in das Haus. Ehe das Trampeln ihrer Stiefel im Haus die Dielen dröhnen ließ, hörte Flint, daß Vieh brüllte.

Eine Ranch, dachte Flint verwundert, eine Ranch?

Die Lampe an der Wand beleuchtete einen breiten Flur. Rechts stand Stapleton grinsend neben einer Tür. Er trat zur Seite, Greer trug Flint an ihm vorbei in ein Zimmer, das völlig leer bis auf einen Stuhl war.

»Setzt ihn hin!«

Es war die Stimme des Mannes, der drüben im anderen Haus gewesen war. Greer packte Flint, wuchtete ihn hoch, schnaufte etwas und stieß ihn auf den Stuhl.

Flint saß nun mit dem Rücken zur Tür, und er hörte jemand grimmig sagen: »Das ist der Halunke? He, du Pferdedieb, laß dich mal anschauen!«

An der Wand hinter Flint regte es sich. Es mußten noch zwei oder drei Männer hier gewartet haben.

»Wozu das?« knurrte der Mann mit der tiefen, schnarrenden Stimme finster. »Was soll das?«

»Ich muß mir diesen dreckigen Pferdedieb ansehen, Keith!«

Keith, dachte Flint, Keith – wer ist Keith? Der Boß dieser Burschen?

Einen Moment später tauchte der Mann vor Flint auf. Greer stand hinter Flint, die Hände auf seiner Schulter. Der Mann ging herum, bis er Flint ins Gesicht sah. Er konnte nicht älter als dreiundzwanzig sein, hatte den Hut nach hinten geschoben und sah verschwitzt aus. Das blonde Haar hing ihm verklebt in die Stirn. Er hatte die Daumen in den Waffengurt gehakt, starrte Flint an und spuckte dann aus. Sein Gesicht wirkte hager, die Augen lagen ihm tief in den Höhlen, und er war mindestens drei Tage nicht rasiert.

»So siehst du also aus«, stellte er giftig fest. »Wenn du mir noch mal was verdirbst, erlebst du was, du Trickser! Der soll gefährlich sein, Slim? Das ist doch nur ein Gauner.«

»Mikel, laß das!« knarrte der Mann mit der dunklen Stimme scharf. »Er hat dir nichts verdorben, was du dir nicht selber eingebrockt hättest.«

»Er hat mich um mein Geld gebracht!« fluchte Mikel, und Flint starrte ihn jäh und verstört an. »Dieser verdammte Schleicher, er muß gewußt haben, was in Annes Tasche war. Sie sagte, er müßte gehört haben, daß sie mit Caroll über das Geld sprach und…«

»Du sollst den Mund halten!« knurrte Keith hinten an der Wand scharf. »Es ist nicht nötig, daß er zuviel weiß.«

»Keith, ich hätte…«

»Was du hättest, interessiert hier keinen!« fuhr ihn Keith an. »Die zweihundertfünfzig Böcke hätten dich auch nicht gerettet!«

»Die Hölle, nur durch ihn kam der Alte auf die verdammte Idee, Anne die Tasche zu nehmen und nachzusehen!« schrie Mikel Claydon voller Wut. »Ich hätte spielen und vielleicht genug gewinnen können, um…«

»Du wirst nie gewinnen, weil du keine Nerven hast!« fauchte Keith eiskalt. »Ich habe dich dauernd gewarnt, Junge, jetzt ist es genug. Halt das Maul und laß ihn in Ruhe.«

»Der verdammte, dreckige Pferdedieb!«

Flint hob den Kopf und lächelte dünn. »Und was bist du?« fragte er langsam. »Du bist also Mikel Claydon, ein Mann, der seinen Vater bestohlen und seiner Schwester das ersparte Geld aus der Tasche gezogen hat? Weiß sie, was aus dir geworden ist, du Großmaul?«

Mikel Claydon wurde weiß wie eine frischgekalkte Wand. Dann lief er knallrot an.

»Was bin ich?« keuchte er. »Sag das noch mal, du Pferdedieb!«

»Ein Großmaul, das nichts taugt«, antwortete Flint kühl. »Wer seinen Vater bestiehlt, der ist noch weniger wert als ein Pferdedieb, denn kein Pferdedieb würde jemals seine eigenen Leute bestehlen. Du taugst nicht für einen Ce…«

Weiter kam er nicht. Mikel stieß einen hellen, grellen Wutschrei aus, riß die Hand hoch und schlug zu, obgleich der Mann Keith losbrüllte.

»Das hast du…!«

Aber auch er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden.

Flint riß blitzartig die gebundenen Beine an, warf sich nach hinten und wußte, daß Greer ihn halten würde. Dennoch reichte der jähe Schwung aus, um Greer nach hinten zu drükken. Der Stuhl stand plötzlich auf zwei Beinen. Flints Füße hatten neben den Vorderstollen des Stuhles gestanden, und Mikel Claydon war dicht vor ihnen gewesen.

Als Joe Flint die Stiefel wegstieß, trafen sie Mikel Claydon unter den Rippen. Claydon flog mit einem gurgelnden, erstickten Laut nach hinten. Er sauste unter der in der Mitte des Raumes an der Decke hängenden Petroleumlampe durch. Dann knallte er an die Wand und rutschte an ihr herunter, um liegenzubleiben. Einige stoßartige Bewegungen seiner Beine kamen noch, dann streckte er sich und lag so still wie ein Toter.

Slim Greer fluchte lauthals. Er hatte Mühe, den Stuhl festzuhalten und nicht selber umzukippen. So hielt er keuchend Flint fest und brüllte: »Schnell, Jake, schnell!«

Flint hörte, wie einer der anderen Männer heransprang. Dann packten sie ihn an den Schultern und schoben den Stuhl wieder gerade.

»Was hatte ich dir gesagt, Slim, du Narr!« fauchte Keith Slim Greer an. »Er ist gefährlich wie eine Klapperschlange. Seht euch gefälligst vor!«

Der Mann kam mit schnellen Schritten von hinten und trat an Flint vorbei. Er war groß, glattrasiert, hatte ein leicht aufgeschwemmtes Gesicht und wirkte massig und schwer.

»Ich möchte wetten, ich habe dich irgendwann in Texas gesehen«, knurrte er Flint an. »Warst du mal vor Jahren in El Paso?«

»Vor fünf«, antwortete Flint kalt. »Du bist also der Boß von diesem Verein. Ihr habt mich – und was jetzt?«

Keith lächelte ölig. Er war ein Mann, hinter dessen Lächeln man alles oder auch nichts lesen konnte.

»Das weißt du doch«, knarrte er. »Flint, wo ist das Silber?«

Irgendwer kam von hinten. Der Mann warf Flint ein Ende Strick um die Beine und riß sie an die Stollen des Stuhles. Flint konnte nicht mehr austreten.

»Frag den Mond, Mann«, gab Flint zurück. »Er hat gesehen, wo ich es hinbrachte.«

In der nächsten Sekunde flog ihm die Hand ins Gesicht, und sein Kopf zuckte nach links hinüber.

»So kann es weitergehen, Flint«, knurrte Keith düster. »Wir können dir auch Holzspäne unter die Nägel treiben oder dich systematisch zerschlagen, aber ich will es nicht unbedingt. Du wirst uns sagen, wo das Silber ist, du wirst uns auch hinführen. Wir geben dir den doppelten Anteil, den jeder von uns erhält. Flint – du kannst es dir aussuchen. Reden oder…«

»So ist das«, ächzte Flint. »Ihr wißt alles über mich, was? Ich brauche nicht mehr zu meinem Halbbruder, um mir Lastpferde zu besorgen. Ihr beschafft sie für mich. Und dann kassiert ihr meine Beute. Verdammt, ich habe keine Chance mehr. Ich blöder Narr – und ich hole diese beiden Galgenvögel auch noch aus dem Jail! Den doppelten Anteil? Wieviel Anteile werden es sein, he? Vielleicht zwanzig?«

»Wir sind acht«, sagte Keith kurz. »Mit mir neun. Du bekommst sechstausend, wenn du redest und uns hinbringst. Wenn nicht…«

Er zog sein Messer und begann sich mit der Klingenspitze am Hals zu kratzen.

»Sechstausend? Ihr müßt verrückt sein«, keuchte Flint. »Ich habe die Arbeit und das Risiko gehabt. Sechstausend? Dafür würde ich nicht mal den Mund aufmachen, geschweige denn reden und euch…«

Die Faust Keiths schoß vor. Sie traf Flint unter den Rippen, und er sank stöhnend zusammen, aber Greer und der andere Bursche rissen ihn wieder in die Höhe.

»Sechstausend – oder…«

»Es – ist – genug«, lallte Flint. »Ich werde euch hinbringen. Dann nehmt es – und geht damit zur Hölle. Das verdammte Zeug ist es nicht wert, daß ich mich zum Krüppel schlagen lasse. Vielleicht mache ich aus den sechstausend eines Tages sechzigtausend. Acht Mann, das ist die verflucht kleinste Chance, die ich jemals hatte.«

»Yeah, du bist klug genug, das einzusehen, was?« höhnte Keith. »Wir könnten dich auch umblasen, aber – niemand will das, solange du nicht versuchst, uns hereinzulegen. Flint, du bleibst gebunden, du kommst wieder in das Loch zurück. Wir werden dir die Stiefel ausziehen und dich bewachen. Türmst du, schaffst du vielleicht zwei oder drei von uns, aber niemals alle. Wo liegt das Zeug?«

»In den Sulphur Springs Bergen in Nevada«, antwortete Flint langsam. »Aber zwei Dinge müßt ihr erstmal hinter euch bringen, ihr Burschen. Zuerst müßt ihr euch vorsehen, daß Marshal Harris mich nicht findet, denn dann hätte er auch euch. Und zum zweiten müßt ihr Lastpferde oder gute Maultiere haben. Maultiere wären wegen der Berge besser. Besorgt ihr sie euch in Nevada, dazu noch Packsättel, habt ihr sofort den nächsten Sheriff auf dem Hals. Halb Nevada sucht nach dem Silber – und jeder Mann, der dort Maultiere, Lastpferde oder Packsättel kauft, wird verdächtigt werden, von mir geschickt zu sein. Stellt es euch nicht so einfach vor. Warum wollte ich zu meinem Halbbruder und mir von ihm Maultiere besorgen, he? Weil es nicht aufgefallen wäre. Ihr aber…«

Mikel Claydon regte sich, kam stöhnend auf die Beine, schnappte nach Luft und stürzte sich dann wutbrüllend auf Flint zu. Ehe er ihn jedoch erreichen konnte, fuhr der massige Keith so blitzschnell herum, daß Flint plötzlich wußte, wie sehr er sich in diesem behäbig wirkenden Mann getäuscht hatte.

»Zurück, du Narr!« schrie Keith grimmig. Er schlug Claydon die Faust mit einem kurzen Hieb unter die Rippen, und Claydon sackte ächzend zusammen. »Fang hier nie wieder etwas an, ohne daß du einen Befehl von mir bekommen hast, du Kartenzinker. Halt ihn fest, Jeff. Und nun zu dir, Flint: Harris wird dich nicht finden. In den Augen des Sheriffs bin ich ein anständiger Mann – mir gehört eine Ranch. Ich habe es nicht nötig, Überfälle auf Stagecoaches oder Lohnoffices zu machen. Deine Spur und die von Slim und Stapleton ist tot. So – meinst du, wir sollten besser Maultiere nehmen? Nun gut, wir haben Maultiere genug, Mister, auch Packsättel. Stimmt es, Mikel, mein Freund?«

Mikel Claydon kauerte am Boden. Jeff, ein hagerer, sehniger Mann, stand hinter ihm und hielt ihn an den Armen fest.

»Das – das ist – Wahnsinn«, ächzte Claydon. Er war kreidebleich geworden. »Wenn du das tust, dann… dann…«

»Was dann, du Kartenhai?« fauchte Keith grimmig. »Dein Vater hat Maultiere und Packsättel. Du kannst wählen, du Narr: Maultiere oder Schuldscheine über dreitausend Dollar. Ich kann sie deinem Vater unter die Nase halten, damit er weiß, was sein Sohn in seinem Namen unterschrieben hat. Dann wird er dich enterben, Mister, und ich sehe keinen Cent wieder. Du hast in meinem Saloon in Burns nicht nur gespielt, du hast auch falschgespielt. Ich kann nicht an mein Geld kommen, also hole ich mir, was mir zusteht. Oder soll ich deinem Alten erzählen, daß du dabei warst, als die Stagecoach nach Nampu überfallen wurde? Ich kann ihm auch von Andrews Lohnoffice und dem sechsten Mann erzählen. Na, was willst du haben?«

»Du – du Teufel«, stotterte Claydon zitternd. »Und ich sag dir auch noch, wann mein Vater Pferde nach Burns liefert und niemand außer meiner Schwester und dem Stallhelp auf der Ranch ist. Hätte ich gewußt, daß dir der Saloon gehört! Du hast mir Geld geborgt, das ich wieder an deinen Mann verlor – und dafür muß ich doppelt zahlen. Keith, du bist ein Teufel!«

»Vielleicht«, höhnte Keith. »Kann sein, mein Freund. Ich will das Silber haben, sonst kommen wir nie zu etwas.«

*

Sie banden ihm jetzt die Arme los. Das machten sie jeden Abend, wenn sie ihn aus dem dunklen Loch führten. Seine Arme waren steif, da man sie ihm immer fest auf den Rücken band. Nur zweimal am Tag ließen sie ihn aus dem Loch.

Flint hatte sechs Tage hinter sich gebracht, und bereits am ersten Tag war ihm Mikel Claydon aufgefallen. Der Junge saß die meiste Zeit vor dem Haus und zeichnete mit einem Stock Figuren in den Sand. Keinem der anderen schien das aufzufallen, und doch war Claydon schlauer als die vier Mann, die Keith zu Flints Bewachung zurückgelassen hatte.

Zuerst hatte Flint nur gleichgültig über die Sandmalereien Mikel Claydons hinweggesehen. Dann aber hatte ihn Claydons Blinzeln aufmerksam werden lassen – und nun wartete Flint mit schmerzenden Muskeln darauf, daß sie ihn wieder hinausbrachten. Er konnte sich dann die Beine vertreten.

Als die Schritte durch den Gang kamen, lag Flint still. Die Tür flog auf, Licht fiel in den dunklen Raum, und Flint schloß die Augen.

»Na, nichts versucht, Flint?« fragte Greer kurz. »Dann komm, Mister, hoch mit dir!«

Er zog Flint hoch. Stapleton trat hinter Flint, lockerte ihm die Beinfesseln, so daß er kleine Schritte machen konnte, und stieß ihn an. Es war das übliche Zeichen loszugehen, und Flint tat es mit leisem Stöhnen. Seine Augen gewöhnten sich jetzt an das Licht draußen. Er sah blinzelnd in den Hof.

Mikel Claydon kauerte neben der Küchentür wie immer. Er hielt einen Stock zwischen den Händen und hatte wieder irgend etwas in den Sand gezeichnet. Drüben lehnte Delmont, ein rothaariger, untersetzter Mann, an der Hauswand. Der vierte Mann, Dan Sluyter, war nicht zu sehen.

Als Flint die erste Zeichnung Claydons gesehen hatte, hatte Claydon ein Gitter gemalt, das kreuzweise durchgestrichen war. Claydon hatte Flint blitzschnell angesehen und das eine Auge zugekniffen. Am zweiten Tag hatte der Sand zwei Männer gezeigt, über denen sich ein Fragezeichen befand, und Flint hatte begriffen, was Claydon damit sagen wollte. Der dritte Ausgang Flints hatte an dem Wort Donnerstag vorbeigeführt, und Flint hatte gewußt, daß Claydon etwas für den Donnerstag geplant hatte.

Der Tag war gekommen – und niemand schien sich Gedanken über Claydons Sandkritzeleien gemacht zu haben. Flint sah hinüber zu Mikel Claydon. Dessen Gesicht war mürrisch. Ein Eimer mit Kartoffelschalen stand neben Claydon. Sie hatten Claydon die Waffen abgenommen, das wußte Flint. Der Junge war zwar nicht gebunden, aber genauso Gefangener wie Flint. Keiths Furcht, daß Claydon verschwinden und seinen Vater benachrichtigen könnte, ehe sie ihm die Maultiere aus dem Corral holten, war sicher nicht ganz unbegründet gewesen.

»Delmont«, murrte Claydon. »Was ist mit dem Essen? Die Kartoffeln sind fertig.«

»Dann setz sie auf, du Idiot!« knurrte Delmont von drüben. Er kochte für die Männer, war aber zu faul und überließ die meiste Arbeit Claydon. »Mach schon, oder denkst du, wir wollen erst essen, wenn es dunkel ist? Los, beeil dich!«

Flint warf einen Blick auf Claydons Zeichnung. Sie zeigte vier Punkte vor dem Grundriß des Hauses und des alten Salzschuppens, in den die Banditen Flint gesperrt hatten. Mit einem Blick erkannte Flint, was die Zeichnung zu bedeuten hatte. Er sah, daß Claydon die Küche gezeichnet hatte und aus ihr Wellenlinien wie Flammen schlugen.

Während sich Claydon jetzt erhob, deutete sein Stock auf den Platz der Zeichnung, an dem sich die alte, halbverfallene Toilette befand. Dann wanderte er weiter zu der Küche und jenen Flammen, zuckte hinüber zu den zwei Punkten, die Männer darstellen sollten. Von den Männern aus malte Claydon ohne aufzusehen Pfeile in Richtung der Küche. Claydon hatte sogar Delmonts Standpunkt eingezeichnet, und er zog einen Strich durch bis zu den Wellenlinien, die Flammen darstellen sollten.

Als Claydon damit fertig war, wußte Flint alles. Claydon sah nun zu ihm hin, dann verwischte er die Zeichnung und ging los. Er verschwand in der Küche, und Flint hörte ihn nach Delmont schreien.

»Delmont – es ist nicht genug Holz da!«

»Dann hack etwas, du verdammtes Faultier!« schrie Delmont zurück. »Stell dich nicht so an – du hast ein Beil und einen Hauklotz in der Küche, tu mal was, Mensch!«

»Immer ich – immer ich«, protestierte Claydon lahm.

Es klapperte in der Küche – Claydon schien einen der alten Balken entzweizuschlagen.

Flint erreichte mit seinen Trippelschritten den halbverfallenen Lokus, der keine Türen mehr besaß.

»Halt schon an, Mann«, knurrte Greer. »Los, Arme stillhalten!«

Stapleton trat grinsend vor Flint und steckte ihm den Colt in den Bauch. Sie machten es wie immer. Greer lockerte die Handfesseln. Dann schob er die steifen Arme Flints nach vorn und band sie wieder zusammen.

»Na, nun beweg mal deine Flügel, du häßlicher Vogel«, sagte Stapleton hämisch. »Danach machen wir unseren Rundgang. Sollst nicht klagen können, daß wir dich verkommen ließen.«

Er lachte meckernd, als Greer ein paarmal Flints Arme wie Pumpenschwengel auf und nieder stieß. Danach trat er zur Seite. Er setzte sich etwa drei Schritte weiter auf einen dicken Balken und starrte vor sich hin. Greer gab Flint einen Stoß. Flint stolperte durch die schiefstehende Türöffnung in den Lokus und machte sich daran, seinen Hosenriemen stöhnend aufzuziehen.

»Stell dich nicht so an«, sagte

Greer barsch, der ihn beobachtete. »So steif können deine Flossen auch nicht sein, was? Mach da ja keine Dauersitzung, Freundchen?«

»Ihr hättet mir die Hände auch losbinden können«, erwiderte Flint ächzend. »Greer, ich kenne meine Chancen zu gut. Tot sein ist schäbig, glaub mir. Wenn ich meinen Anteil bekomme, bin ich zufrieden, aber das werdet ihr nie begreifen, was?«

»Dir trau der Satan!« brummte Stapleton bissig. »Ich hab’ gesehen, wie verflucht sauber du Harris und die anderen erwischt hast. No, Mister, mit uns nicht. Los, setz dich hin und fang an.«

Sie lachten beide, als Flint sich hinhockte. Stapleton konnte Flint nicht sehen. Dafür blieb Greer so stehen, daß er Flint im Blickfeld behielt.

Flint bewegte die Arme. Das Blut schoß in sie zurück, und er brauchte keine drei Minuten, um sie so beweglich zu bekommen, daß er vor sich niedergreifen konnte. Immer noch kam das Knallen des Beiles zu ihm herüber, mit dem Mikel Claydon in der Küche Holz hackte.

Großer Gott, es muß unter dieser Brille sein, dachte Flint und schielte zu Greer, der ihn nicht aus den Augen ließ. Wie herankommen, wie nur? Er hat ein Messer gezeichnet, und das Wort Brille in den Sand geschrieben. Linker Hand nach seiner Zeichnung von gestern – links…

Er sah hin, aber er hätte die Arme nicht mal so weit zur Seite bringen können, daß er neben sich greifen konnte, ohne daß Greer es sah.

Claydon, dachte Flint beklommen, Claydon, mach was – mach es jetzt, sonst ist es zu spät. Mann, mach etwas!

*

Mikel Claydon starrte auf die Lampe über dem Herd. Es war eine richtige Petroleumlampe mit einem dicken grünlich schimmernden Glasballon, in dem das Petroleum fast bis an den oberen Rand stand. Claydon hatte sie vor zwei Tagen gefüllt.

Der nächste Blick Claydons ging zu dem Herd und dem dort offen brennenden Feuer. Der alte Herd hatte keine Mittelplatte mehr. Das Feuerloch war offen, die Ringe verbogen, und zwischen ihnen konnte man die Flammen sehen. Der Topf mit den Kartoffeln stand bereits im Feuerloch.

Claydon nahm die Lampe blitzschnell herab, schraubte den Dochthalter los und goß sich etwas Petroleum über seinen linken Rockärmel. Danach stellte er die Lampe direkt auf die heiße Platte neben den Topf. Er trat zurück, sah kurz aus der Tür und blickte zum verfallenen Lokus hinüber.

Im nächsten Moment packte Claydon ein vorher bereitgelegtes Holzstück an. Er holte aus, sprang zum Herd und ließ das Holzscheit heruntersausen.

Der wuchtige Hieb zertrümmerte den Zylinder der Lampe. Dann traf das Scheit auf den Glasballon, und Claydon stieß einen gellenden, fürchterlichen Schrei aus. Der Glasballon zerplatzte in tausend Scherben. Das Petroleum spritzte über die gesamte Herdplatte.

Und dann schoß eine blaurote Flammengarbe mit einem gewaltigen, puffenden Knall bis unter die Decke empor.

Mikel Claydon duckte sich, er sprang weg, wirbelte dann schreiend herum und hielt seinen Jackenärmel in die brausende, lodernde Flamme. Augenblicklich fing der Ärmel Feuer.

Claydons Schreie verwandelten sich in ein entsetzliches Geheul. Die brennende Masse des Petroleums lief über den Herd auf den Fußboden. Ein Teil brannte flackernd und Rauch aufwirbelnd an der Wand. Der Fußboden geriet in Brand, und die Rauchwolke wälzte sich aus der Tür. Claydon torkelte heulend, sich drehend und sich dann auf den Boden vor dem Haus werfend, ins Freie.

Drüben stieß Delmont einen wütenden, erschrockenen Fluch aus. Stapleton war von seinem Balken hochgesprungen, während Greer herumgefahren war. Sie sahen, daß sich Claydon nun schrecklich kreischend am Boden wälzte und versuchte, sich die Jacke herabzureißen.

»Feuer! Feuer!« kreischte Claydon. »Ich verbrenne! Hilfe! Hilfe, ich brenne! Aaah, ich brenne! Feuer – Feuer!«

In diesem Augenblick rannte Delmont los. Ehe er jedoch an der Küche war, schlugen die Flammen bereits aus der Tür. Claydon wälzte sich heulend Delmont entgegen. Es gelang ihm nun, seine Jacke herunterzureißen, und er brüllte wie besessen weiter, indem er Delmont vor die Beine rollte. Delmont stolperte über ihn. Der Mann schlug der Länge nach hin.

»Lauf!« schrie Stapleton schrill vor Furcht. »Lauf, Slim, lauf hin! Hilf Delmont! Lauf, schnell doch, Mann, lauf!«

Aus der Haustür taumelte in diesem Moment Dan Sluyter. Der hagere Mann blieb stocksteif stehen, als er den Rauch und die Flammen sah.

Greer rannte in Riesensätzen herbei. Er stürzte auf die Wassertonne zu, die neben der Küche stand, und brüllte Sluyter an: »Den Wassereimer, du Narr, hol den Eimer, schnell, Mann!«

Sluyter rannte völlig verstört los, während sich Greer in die Küche warf. Er verschwand brüllend in den Flammen und im Rauch. Delmont war hochgesprungen, packte den heulenden Claydon am Kragen und schrie mit vor Wut überkippender Stimme: »Was hast du Idiot angestellt, he? Was hast du gemacht?«

»Holz – Holz«, kreischte Claydon. »Holz gespalten. Ein Stück flog gegen die Lampe. Sie fiel vom Regal auf den Herd. Ich wollte sie noch wegreißen, aber… Aah, mein Arm, mein Arm!«

»Verfluchter Idiot!« brüllte Delmont. Er trat Claydon in die Rippen, und Claydon fiel wimmernd wieder zu Boden. »Slim! – Slim!«

Slim Greer kam hustend und torkelnd aus der Tür gewankt. Er hatte den in der Küche stehenden Wasserbottich umgegossen, aber es war zu wenig Wasser im Bottich gewesen – und es brannte fast noch schlimmer weiter.

»Das Hinterfenster«, röchelte Greer. »Einschlagen, Delmont. Dekken holen und naßmachen. Schaufel nehmen und Sand auf die Flammen schütten.«

Er erholte sich schnell und stürzte ins Haus, aus dem Sluyter rannte und den anderen Eimer brachte.

»Verflucht noch mal, Charlie, komm her!« rief Delmont voller Furcht, daß das Feuer alles erreichen und Haus und Schuppen verbrennen konnte. »Charlie, komm her, du Narr. Der kann dort nicht wegrennen, wir sehen ihn doch. Charlie, schnell, komm!«

Stapleton stand vier Schritte von Flint entfernt und fluchte lauthals. Dann starrte er Flint drohend an und knirschte: »Versuchst du was, du Hundesohn, knall ich dir in die Beine. Ich schieß dich zusammen, daß du zwar lebst, aber die Hölle durchmachen wirst, wenn wir mit dir unterwegs sind. Bleib hier sitzen und rühr dich nicht vom Fleck, sonst…«

Claydon kam jetzt auf die Beine. Greer aus der Haustür mit einigen Decken.

»Gib her, gib her!« schrie Claydon. Sein Hemdsärmel war angesengt, aber er griff nach einer Decke und tauchte sie in den Wasserbehälter. »Das war deine Schuld, Delmont, das war deine Schuld. Bloß weil du zu faul warst, das Holz drüben zu hacken und es in die Küche zu tragen, mußte ich den Hauklotz in die Küche schleppen. Da mußte ja mal was passieren. Gestern zwei Teller und ’ne Tasse entzwei durch das verdammte, durch die Gegend fliegende Holz, heute die Lampe. Das war deine Schuld, und du trittst mich noch, du gemeiner Kerl!«

»Halt das Maul, sonst hau’ ich dir die Zähne ein!« heulte Delmont wütend. »Du hast nicht aufgepaßt, du Hundesohn!«

Greer hatte seine Decke naßgemacht und schlug auf die Flammen ein, Stapleton rannte hinter das Haus und zerschlug das hintere Küchenfenster.

Während Mikel Claydon hinter Greer in die Küche eindrang, huschte ein spöttisches Lächeln um seinen Mund. Er wußte, daß sie jetzt keine Zeit hatten, auf Flint zu achten. Sie würden das Feuer schnell gelöscht haben, aber Flint gewann so viel Zeit, daß er unter die Sitzbrille greifen konnte. Weglaufen konnte Flint nicht, doch er hatte ein Messer. Und er würde es zu benutzen wissen.

Fluchend gelang es den fünf Männern, das Feuer zu löschen. Dann starrte Delmont voller Wut in den Kochtopf und auf die verbrannten Steaks in der Pfanne. Auf dem Wasser, das die Kartoffeln bedeckte, schwamm Petroleum.

»Du verdammter Hundesohn!« brüllte Delmont voller Grimm. »Claydon, du Mißgeburt, wer soll das fressen, he? Da hast du was, du Satansbraten!«

Er warf den Topf nach Claydon, aber der duckte sich und sprang aus der Küche.

»Slim«, heulte Claydon draußen angstvoll. »Slim, sei gerecht! Ich konnte nichts dafür, aber er war zu faul. Jetzt schiebt er mir seinen Mist in die Schuhe, Slim! Slim…«

»He, laß das!« fuhr Greer Delmont bissig an. »Er hat recht, er hat den Hauklotz in die Küche tragen müssen. Verdammt noch mal, jetzt mach voran, daß wir unser Essen bekommen, sonst werde ich wild, Delmont. Statt zu kochen, hast du gepennt. Beschwer dich nicht über seine Faulheit, wenn du selber stinkend faul bist, Mann!«

Er trat Delmont in den Weg und fluchte. Das Essen war verdorben. Es würde eine Stunde dauern, bis sie endlich ihre Bäuche stopfen konnten.

Vor dem Haus ging Stapleton auf den Lokus zu und sah Flint auf der Brille sitzen.

»Du willst wohl anwachsen, was?« knurrte Stapleton giftig. »Los, steh auf, wir drehen unsere Runde. Heute gibt es den Fraß später. Stecken uns diese Narren noch die Bude über dem Kopf an. He, du – hast – du nicht daran gedacht, zu türmen?«

»Hätte ich eine Chance gehabt?« fragte Flint kurz. »Ich hab’ verdammt was dagegen, deine Zielscheibe zu spielen, Charlie.«

»Dein Glück, daß du schlau bist, aber versuch nie zu schlau zu sein, Langer«, grinste Stapleton. »Lüfte dich an, Mister – he, Slim, der Vogel wollte nicht wegfliegen.«

»Wär ihm auch schlecht bekommen«, meinte Greer, der herankam. »Bewegung, Flint, die Nacht ist lang!«

Flint erhob sich. Er hatte sich den Riemen zugeschnallt und das Messer an seinem Platz gefunden. Jetzt steckte es auf seiner nackten Haut unterm Hemd auf seinem Bauch. Er brauchte nur einmal den Bauch einziehen, dann mußte das Messer durch das Hosenbein herabfallen.

*

Flints Rücken schob sich an der Wand immer höher. Sie hatten ihm die Hände auf dem Rücken gebunden, aber Flint konnte sich abstemmen und stand schließlich. Als er den Bauch mit einem Zucken einzog, spürte er, wie das Messer herabfiel. Es sauste an seinem Bein entlang, ritzte seine Wade und ließ ein kurzes, scharfes Brennen zurück. Dann fiel es unten aus der Hose neben Flints nackten Füßen gegen den Boden.

Flint trug keine Stiefel. Sie hatten sie ihm genommen, weil sie nicht sicher gewesen waren, ob er nicht im anderen Stiefel ein Messer versteckt hatte. Jetzt gab es die Stiefel nicht mehr – sie hatten sie zerschnitten und nur jene Feile und den Schlüssel in dem einen ausgehöhlten Absatz entdeckt. Der andere Stiefel war nicht präpariert gewesen.

Flint ließ sich sinken. Er kauerte gleich darauf am Boden, schob sich weiter und ertastete das Messer. Die Klinge war sechs Zoll lang, spitz und scharf geschliffen. Hart an der Wand drückte er die Klinge des Messers in die Ritze. Dann schob er sich etwas zur Seite. Seine Arme hoben sich, die Klinge glitt in den Strick seiner Handfesseln.

Es dauerte keine drei Minuten, dann hatte Flint die Hände frei. Er stand wenig später auf, und da er barfuß war, konnte er sich bewegen, ohne daß man ihn hörte. Mehrere Minuten lang dehnte und streckte Flint seine Glieder. Er gewann schnell die alte Beweglichkeit zurück. Dann tastete er nach den zerschnittenen Stricken, legte sie um seine Fußgelenke und saß wieder an der Wand, die Arme auf dem Rücken.

Die Zeit verging, bis sich Greers Stimme hören ließ und sein schwerer Tritt den Boden erschütterte.

Joe Brian Flint lehnte sich an der Wand und blinzelte leicht. Stapleton hob die Laterne, leuchtete in den Raum. Er sah Flint sitzen und grinste wieder mal.

»Na!« fragte er spöttisch. »Du bist nicht hungrig, was? Dann komm mal, Slim, fütter den Vogel, den häßlichen.«

Er stellte die Laterne auf den Boden. Sein Schatten fiel lang gegen die Decke des Raumes. Daneben nun Greers Schatten – gewaltig, mächtig. Greer trat herein, den Teller in der Hand, auf dem das Fleisch schon zerschnitten lag. Er kam, ging in die Knie, kauerte, während Charlie

Stapleton links an die Wand trat, die Hand am Revolver, zwei Schritte von Flint entfernt.

»Maul auf!« kommandierte Greer brummig. »Na, mach schon. Füttern muß man den auch noch.«

Joe Brian Flint öffnete den Mund, sah die Gabel kommen, die Bratkartoffeln, das aufgespießte Stück Fleisch. Greer schob ihm die Ladung zwischen die Zähne.

Jetzt nicht, dachte Flint eiskalt, wenn er auf den Teller sehen muß, dann…

Er schielte zu Stapleton, der stand etwas zu weit entfernt. Dann kam die Idee, nach der Flint gesucht hatte.

Warten, dachte er, die zweite Ladung nehmen. Dann…

Sie war schon da – fuhr ihm in den Mund. Er schluckte, bis er plötzlich hustete, würgte, jäh zu röcheln begann, als müßte er ersticken.

»He, he!« keuchte Greer erschrokken, als Flint die Augen verdrehte, sein Kopf sich nach hinten bog, die Kehle zuckte vor lauter Gewürge. »He, Mensch, was schlingst du denn wie ein Geier, was? He – he, raus damit oder herunter! Was machst du denn, Mann? Mensch, du kannst uns doch nicht wegbleiben. Wer soll uns denn zeigen, wo das Silber liegt? Charlie, der erstickt, der wird doch nicht…«

Er stellte den Teller hastig hin, griff nach Flints Schultern. Flint hielt den Kopf schief, war rot angelaufen, sah, wie Stapleton einen Schritt machte, sich bückte und zugreifen wollte.

»Klopf ihm auf den Rücken«, schnaufte Stapleton. »Mach doch, ma… aah!«

Stapleton sah nicht viel, nur die Hand kam plötzlich hochgeschossen. Die Hand war über ihm. Und dann kam der Griff, der seine Haare erwischte und sich in ihnen festkrallte.

Er schrie jetzt, der kleine Gauner Stapleton, denn der Schmerz war da. Er hatte das Gefühl, daß ihm etwas die Kopfhaut abriß. Danach flog er mit jäher Gewalt nach vorn, das Gesicht dem Boden entgegengedreht.

»Slim!« kreischte Stapleton.

Slim Greer schrie nicht, er bekam keinen Ton heraus, weil die andere Hand von unten her zu seiner Kehle gezuckt war.

Es war Flint gleich, wohin seine Fingernägel fuhren, wenn sie nur zupacken und festhalten konnten. Und sie hielten fest, hatten Greers Kehle umklammert, drückten sich tief in Greers Hals. Flint blieb sitzen, den Mann Greer an der rechten, den kleinen Gauner Charlie Stapleton links.

Dann schwang Flint blitzschnell die Arme zusammen. Er riß sie gegeneinander und hielt dabei den einen Halunken an den Haaren und den anderen an der Kehle fest. Sie flogen beide nach vorn und beinahe kreuzweise über ihn hinweg, bis ihre Köpfe sich berührten und es sich anhörte, als hätte jemand auf einen hohlen Kürbis geschlagen.

»Slim«, gurgelte Stapleton nur noch einmal matt, ehe sein Kopf zu explodieren schien. »Slim…«

Das Krachen war da, Feuer raste vor Stapletons Augen hoch. Seine Hand griff nach dem Colt, aber sie erreichte ihn nicht mehr. Flint riß die Hände zurück, spürte, wie Greers Fäuste nach seiner Brust griffen. Nur ein pfeifendes, sausendes Geräusch drang aus Greers Mund, aber seine Fäuste stießen zu, trafen, keilten aus. Doch er flog zurück, schoß wieder nach vorn.

Feuer, dachte Greer. Er sah nur Sterne, Funken, einen Regenbogen, Feuer…

Der andere dachte gar nichts mehr. Charlie Stapleton fiel haltlos in sich zusammen, und Flint ließ seine Haare los. Jetzt kam Flints andere Hand, erwischte mit einem würgenden Griff Greers Hemdkragen von hinten.

In derselben Sekunde warf sich Joe Brian Flint herum. Dabei riß er Greer ein Stück höher und stieß ihn dennoch seitlich weg.

Die Wand, dachte Flint, als er sich mit aller Gewalt herumwarf und den Mann mitriß, die Wand, Mister. Dein dicker Kopf und die Wand, was? Da hast du den Rest!

Es war der Rest. Die Wand war zu hart für den Kopf von Slim Greer. Er prallte gegen sie, und hörte nur noch einen Knall, als ginge die Welt in einer fürchterlichen Explosion unter. Dann rutschte er nach vorn, er sackte zusammen.

Die Laterne am Boden warf den jäh hochspringenden Schatten Flints gegen die Decke. Flint flog auf die Beine, packte im nächsten Moment den kleinen Gauner Stapleton. Mit einem Griff drehte er ihn um, riß

Stapletons Revolver aus dem Halfter, Sluyter, dachte Flint – Sluyter, er hat geschrien, der kleine Halunke, und sie müssen es gehört haben!

Flint hechtete vorwärts, packte Greer, der auf dem Bauch lag, und nahm auch ihm die Waffe. Dann wirbelte er herum, den einen Colt im Hosenbund, den anderen in der Faust. Mit der Linken erwischte er die Laterne. So fegte Flint aus der Tür.

In diesem Moment hörte er, daß Sluyter schrie. Der Schrei brach sich an der Hauswand.

»Greer? Slim? Charlie, was ist passiert – Charlie, antworte! Charlie!«

Flint hielt noch einmal an. Er wußte, es gab nur den einen Weg aus diesem Loch. Er mußte aus der Tür. Flint drückte die schwere Tür zu dem Raum zurück, in dem er gesteckt hatte. Dann legte er den Riegel vor und sprang vorwärts..

»Charlie! Slim!«

Sluyter schrie – und Flint lief, aber dicht vor der Außentür hielt er an – im dritten Schrei Sluyters, der nun hoch und schrill, von der Furcht gezeichnet, durch die beginnende Nacht gellte: »Slim? Charlie?«

Die Lampe, dachte Flint, als er ausholte und sie wegschleuderte. Die Lampe in den Hof! Und dann…

Die Laterne flog, wirbelte aus der Tür, sauste im Bogen in den Hof. Dann schlug sie auf, zerknallte mit einem Blaffen. In das Zerknallen der Lampe kam der Schuß, brüllte durch die Nacht. Aber die Dunkelheit war jäh nach dem Zerplatzen der Lampe da – Dunkelheit, in die Flint aus der Tür hechtete. Er flog flach nach draußen und hatte den anderen Colt aus dem Hosenbund gezogen.

Als er aufschlug und sich sofort zu rollen begann, sah er den Blitz rechts, hörte Sluyters gellenden, kreischenden, die Panik dieses Mannes widerspiegelnden Schrei: »Delmont – Delmont! Flint – Flint!«

Ein Heulen neben ihm, ein Klatschen, als die Kugel in den Boden schlug. Er riß die rechte Hand empor, feuerte, sah hinter dem zweiten Blitz den Mann wie von einem Gewitterblenden angestrahlt den Bruchteil einer Sekunde lang stehen.

In derselben Sekunde traf der Hieb sein linkes Bein. Ein Schlag wie mit einem Hammer, ein Schmerz, der bis in die Hüfte hochfuhr.

Flint schoß, stieß sich mit dem rechten Fuß ab, feuerte noch einmal, zielte dann seitlich neben den Blitz, der von der Nacht gefressen worden war.

Ein Schrei, spitz und gellend.

Getroffen, dachte Flint, wollte herum, sah die Küchentür, das Licht jäh erlöschen, den Schatten gerade noch ins Freie springen.

Delmont kam!

Delmont sprang hinaus, den Colt in der Hand, die Furcht jäh in sich. Angst hatten sie alle gehabt, wenn sie über Flint sprachen, Angst vor seinen Tricks, seinem unheimlichen Verstand, der immer noch einen Ausweg gefunden hatte.

Flint war frei, Flint war im Hof.

Delmont wußte es, wußte auch, daß Greer nicht mehr kam, daß Charlie Stapleton erwischt worden war. Flint war losgelassen. In die Nacht hinein gellte der Todesschrei von Dan Sluyter.

Raus hier, dachte Delmont, nicht in der Küche bleiben, der kommt her, der legt mich auch noch um. Ich muß ihn erwischen!

Er flog aus der Tür, hatte die Lampe ausgeblasen. Sein Schatten huschte neben der Tür, kam tiefgeduckt herum. Dann sah er Flint, aber nur einen kleinen Fleck, der Flint sein konnte. Delmont schoß, feuerte auf den Fleck. Er war noch halb geblendet von der Helligkeit der Küche, vom Lampenlicht. Seine Augen gewöhnten sich nicht so schnell an die Nachtschwärze draußen.

Schießen, dachte Delmont, zog noch einmal durch, als der Blitz von der Mitte des Hofes kam und etwas seine Seite packte. Er schrie gellend, spürte den Schmerz, wirbelte weg, nur noch einen Gedanken in sich, daß er zurück in die Küche mußte. Zurück – Deckung finden. Dann schießen. Flint treffen.

Er stolperte los, er rannte mit schiefgehaltenem Leib, auf den sich seine Linke preßte, dann sprang er und flog in die Küche hinein. Neben ihm der Einschlag einer Kugel in die Wand. Das Klatschen der Kugel trieb Delmont an, jagte die Panik in ihm hoch. Er erreichte die Küche, stolperte laut keuchend um die Tür, fuhr wieder herum und riß sofort den Arm hoch.

Einen hatte er vergessen – Mikel Claydon.

Claydon kauerte an der Wand, hatte keine Waffe, nur ein Messer aus der Küche, mit dem sie das Fleisch schnitten.

Claydon sah den Schatten hereinwanken und sich drehen. Dann brüllte Delmonts nächster Schuß durch die Nacht.

In diesem Moment machte Claydon einen Satz, sprang vorwärts, das Messer in der Faust. Er stieß zu, aber der Schatten bewegte sich zu plötzlich. Das Messer fuhr nur durch Delmonts linken Oberarm.

Delmont brüllte auf wie ein Stier, dem man ein Brandeisen auf das Fell preßte. Er schrie und drehte sich. Es ging blitzschnell, schneller, als Mikel Claydon noch einmal zustechen konnte.

»Du Hund!« brüllte Delmont.

Er riß den Colt herum und sah die Klinge im matten Schein des Herdfeuers, das an der Raumdecke seltsame flackernde Zeichnungen schuf. Er sah Mikel Claydons schmales Gesicht und schoß. Er fiel, spürte nur ein Brennen, das durch seinen Leib lief. Irgendwann, als er schrie und fiel, glaubte er den Knall draußen zu hören. Plötzlich fand sich Mikel am Boden wieder, die Hand leer, das Messer irgendwo auf den Dielen. Schmerz lief nun in Wellen durch seinen Leib.

Delmont, dachte Mikel, Delmont, du Hund. Wo bist du? Wo?

Der Knall war vorbei, das Echo hatte sich verlaufen. Er sah Delmont liegen – mitten in der Tür. Delmont lag da, die Arme ausgebreitet, den Kopf zur Seite gedreht, die Hand geöffnet. Vor der Hand der Colt – und hinter Delmont die offene Küchentür. Delmont hatte nur an Mikel gedacht. Dabei hatte er sich zu weit aus der Deckung neben der Tür gewagt. Die Kugel hatte ihn im Rücken getroffen.

Flint kam herein und stieg über Delmont hinweg. Er trat dessen Revolver fort, hörte Mikel stöhnen, aber er ging zum Herd, nahm ein Stück Holz und brannte erst die Lampe an. Als er Licht hatte, sah er auf Mikel hinab. Der lag am Boden, die Hände auf den Bauch.

»Flint – Flint«, lallte Mikel. »Flint…, hilf mir. Ich – ich habe dir auch – geholfen. Jetzt – brauchst du nicht mehr zu teilen, Flint. Gib mir – etwas ab. Ich kann – kann nicht mehr nach – Hause. Etwas Silber – muß weggehen, kann nicht mehr – nach Hause, Flint. Flint…«

»Ja«, sagte Flint leise. Er setzte sich auf die Bank, zerrte sein Hemd aus der Hose und riß zwei Streifen ab. »Yeah, Junge, nun brauche ich nicht mehr zu teilen. Du bekommst genug von meinem Silber, hast schon recht. Warte, ich verbinde dich nur. Dann helfe ich dir.«

»Flint«, flüsterte Mikel. »Flint – genug Geld – für mich. Alles hat – seinen Preis – dachte ich. Es brennt so, Flint.«

Flint verband sich, wußte, daß die Wunde zwar gefährlich war, aber jetzt nicht mehr bluten würde. Er wußte noch mehr: Der Junge da, der hatte nur Silber haben wollen. Da war etwas Hoffnung in Flint gewesen, etwas, woran Flint immer geglaubt hatte: an den Anstand eines Sohnes, der noch einen Vater hatte.

Falsch gedacht, grübelte Flint, falsch, Alter. Der Junge half mir nur, weil er das Silber haben und damit verschwinden wollte. Er wollte gar nicht, daß ich zu seinem Vater ritt mit ihm, damit sie seinen Vater nicht bestehlen konnten. Der dachte nur an Silber, an Geld, an das Weglaufen vor dem, was er getan hatte. So ist das – er hat an sich, aber nicht an seinen Vater gedacht. Und ich glaubte schon, er hätte mir deshalb geholfen.

»Flint, hilf mir!«

Die Stimme klang so schwach, Mikel Claydon war totenblaß.

Flint nahm irgend etwas, irgendein Stück Tuch, stopfte es unter Mikels Hemd und sah das Loch.

»Flint…«

»Bleib liegen, ganz ruhig, Junge. Wo haben sie die Pferde, Mikel? Wir müssen reiten.«

»Pferde«, flüsterte Mikel. »Pferde – sechshundert Schritte – der Weg nach Norden – ein alter Schuppen – ihre Pferde.«

Ich hab’s gewußt, dachte Flint. Das war ein Bluff. Sie sagten, es gäbe keine Pferde hier. Sie mußten welche haben, ich wußte es.

Er sah auf den Jungen hinab und nickte ihm zu.

»Ich muß nur Greer und Stapleton binden, Junge. Lieg still, dann hol ich dich und wir reiten.«

»Yeah – Flint. Ich liege – ganz still.«

Yeah, er liegt still, dachte Flint, er wird in zehn Minuten für immer still liegen und nie mehr aufstehen.

Dann ging er hinaus, kam zur Haustür und holte sich ein Gewehr. Flint lud durch, als er den Schuppen betrat. Es war totenstill im Schuppen. Flint hängte die Laterne an einen Nagel im Gang, dann ging er zur Tür jenes Raumes, in dem er gelegen hatte. Mit dem Gewehrlauf schob er den Riegel fort, trat zurück und ging rückwärts aus dem Gang.

»Greer!« sagte er eisig. »Komm heraus, du zuerst! Hände hinter dem Nacken verschränkt, Greer. Komm raus, Mister, sonst schieße ich auf die Lampe. Und danach setze ich mich vor die Tür und warte, bis das Feuer eure Stiefel und die Haare verbrennt, bis ihr hinausrennt, um nicht zu verbrennen. Greer, ich zähle bis drei! Eins – zwei…«

Die Tür ging auf. Er sah Greer kommen, die nackte Furcht in Greers Gesicht.

»Komm schneller! Was ist mit Charlie?«

»Der – der rührt sich nicht«, kreischte Greer furchtsam. »Flint, tu mir nichts, das war doch nur ein Spaß, Flint. Flint, nicht schießen, nicht…«

Er kam ins Freie und heulte um Gnade, als er in das Gewehr sah.

»Umdrehen, du Hundesohn!«

Greer drehte sich um, krümmte den Rücken, wartete auf die Kugel, die kommen mußte. Aber statt der Kugel kam der Hieb und schleuderte ihn gegen die Schuppenwand. Er sah nichts mehr, nur ein dunkles Loch, in das er kopfüber fiel. Dann lag er still, wurde angestoßen und umgedreht.

»Gut«, sagte Flint voller Grimm, ehe er an ihm vorbei in den Schuppen ging und Stapleton fand. Der war immer noch besinnungslos. »Na, du kleiner, verdammter, doppelzüngiger Narr?«

Nach zehn Minuten hatte Flint Greer so gebunden, daß Greer niemals loskommen konnte. Greer blieb im Schuppen, der kleine Charlie im Haus, in das ihn Flint geschleift hatte. Charlie lag im Haus auf einem Bett, alle viere von sich gestreckt, jedes Glied einzeln angebunden.

Flint ging über den Hof, er kam in die Küche zurück.

»Mikel?« fragte er. »Mikel?«

Claydon lag ganz still, die Augen geschlossen, die Hände auf dem Leib. Sein Gesicht wirkte so friedlich, aber er antwortete nicht mehr.

Das Silber, dachte Flint, verfluchtes Zeug. Es hat sie alle verrückt gemacht. Und nun haben sie bezahlt. Sie werden noch mehr bezahlen müssen.

Irgendwann ging er los, das Gewehr über dem Rücken, das linke Bein nachziehend.

*

Licht im Ranchhaus. Irgendwo das Schreien eines Maultieres in der Nachtstille.

»Los«, zischte Keith, glitt aus dem Bacheinschnitt und kam geduckt vor den anderen Burschen an die Büsche. »Vorwärts jetzt, es ist dunkel genug.«

Er sah zu Jeff Cargham hinüber. Der hielt das Gewehr in der Faust, rannte geduckt links vor ihm auf den Corral zu. Dahinter kamen die anderen beiden, liefen schnell, näherten sich wie Keith und Cargham dem Corral, an dem sie sich alle duckten.

Stille vor ihnen, Lichtschein aus dem flachen Bau des Bunkhauses.

»Ssst«, zischelte Keith. Er hob die Hand und winkte Cargham zu sich heran. »Jeff – den Stallhelp, hörst du? Bleibt neben der Tür. Wenn er etwas hört, wird er herausrennen. Macht es kurz, verstanden?«

Cargham nickte und grinste schief. »Keine Sorge, Keith.«

Cargham holte durch eine Handbewegung Murphy heran, den einen Mann. Der kroch mit ihm los und schob sich an die Giebelfront des Bunkhauses. Murphy sah zum Haus hinüber. Licht hinter zwei Fenstern, der Schatten des einen Girls zeichnete sich sekundenlang ab.

Das wird leicht, dachte Murphy und verzog den Mund kurz. Das Claydongirl und Andrews’ Tochter…, gleich zwei Weiber. Das wird ein Spaß. Die werden kreischen wie die Indianerweiber, he? Wann das Girl von Andrews wohl gekommen sein mag? Heute früh sahen wir den alten Claydon mit seinem Sohn und dem Zureiter die Lastpferde wegbringen. Die sind schon auf halbem Weg nach Burns, die Narren. Nur der alte Stallhelp noch hier und die beiden Girls. Das wird ein Spaß…

»Komm, Murphy!«

Cargham flüsterte ungeduldig, Murphy kroch weiter, kauerte gleich darauf an der Wand des Bunkhauses und war dicht neben der Tür. Murphy sah nach links und fuhr dann zusammen. Das Licht im Bunkhaus erlosch, um sie wurde es dunkel. Kein Lichtschein fiel mehr vom Bunkhaus aus in den Hof. Im Bunkhaus das Tappen der Schritte eines Mannes, ein Gebrummel, das Knarren eines Bettes.

Der schläft, der Narr, dachte Murphy.

Drüben lief jetzt Keith los. Keith rannte tief geduckt auf den Vorbau des Ranchhauses zu. Er schickte einen kurzen Blick zu den Fenstern empor, aus denen das Licht fiel. Das eine Fenster stand offen – das Mädchen sagte etwas. Die helle Stimme drang in die laue Nacht hinaus. Eine andere Stimme antwortete.

Keith erreichte den Vorbau und sah sich um. Hinten im Stall kauerte Holbrock, der vierte Mann. Als Holbrock das Winken von Keith bemerkte, erhob er sich und huschte vorwärts. Er lief quer über den Hof, stierte auf die Fenster, mußte durch den Lichtschein.

Gleich, dachte Holbrock, gleich…

Er war mitten im Lichtschein.

Und dann kam das Brüllen!

Es war Holbrock, als schnitt ihm ein Schwerthieb unter den Rippen in das Fleisch. Er stolperte einen Schritt weiter, drehte sich seltsam unbeholfen und sah in der Drehung, daß es links aufblitzte. Dann packte ihn die zweite Kugel, während es direkt vor ihm unter dem Vorbau aufraste und eine Feuerzunge die Nacht und die Dunkelheit unter dem Dach des Vorbaues spaltete.

Die zweite Kugel warf Holbrock nach hinten. Er fiel mit zuckenden Beinen und nach einem Halt greifenden Händen auf den Rücken. Über sich sah er die Sterne – Milliarden Sterne, die sich verwischten. Dann lag er und hörte Keith schreien: »Jeff – Jeff, weg hier!«

Keith, dachte Holbrock, Keith, eine Falle, eine Falle. Sie schießen…

Das Dröhnen kam, das Peitschen von Schüssen, das wimmern der Detonationen vermischte sich mit dem Heulen und Kreischen der Querschläger.

Keith rannte wie ein Hase. Er sah kein Licht mehr aus den Fenstern fallen. Schlagartig war die Lampe oben erloschen. Dafür raste eine Feuerzunge nach ihm. Keith sprang im Zickzack an der Wand entlang und schrie, als ihm eine Kugel in die linke Schulter fuhr. Er sah, wie vor ihm ein anderes Geschoß den Boden aufriß. An seinem Kopf vorbei winselte etwas heulend und knallte in die Wand.

Die Ecke, dachte Keith und rannte schreiend auf die Hausecke zu – um die Ecke, schnell!

Er stürzte, spürte Schmerz am Bein, kam aber wieder in die Höhe und warf sich mit einem verzweifelten Satz nach vorn um die Ecke. Hinter ihm krachten, klatschten und jaulten einige Kugeln in die Hausecke. Keith fiel erneut, sein Bein gab nach. Er schlug schwer hin, sah jemand angerannt kommen. Der Mann tauchte aus dem Häuschen am Garten auf, und Keith feuerte aus dem Liegen auf ihn. Ein Schrei in der Nacht, eine wegtaumelnde, zu Boden stürzende Gestalt. Keith kam erneut hoch, er rannte an dem in die Büsche zurückgekippten Mann vorbei.

Dann war er im Garten und sprang in langen, hinkenden Sätzen auf den kleinen Zaun zu. Als er sich über ihn warf, fauchte es bereits hinter ihm her. Eine Stimme schrie gellend auf dem Hof der Claydon-Ranch. Laute Schüsse peitschten drüben in der Nähe des Bunkhauses durch die Nacht.

Jeff, dachte Keith, während er über den Zaun hechtete, aufprallte, sich rollte und wegrannte, die nackte Angst in der Seele. Jeff hat es erwischt. Jeff ist tot. Verflucht, sie haben auf uns gewartet, sie haben gewartet. Warum, warum?

Er stöhnte, aber er rannte gleich darauf weiter. Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich, der Schmerz fraß sich in die Schulter.

Flint!

Plötzlich wußte Keith, daß Flint sich befreit haben mußte. Und doch – es konnte nicht möglich sein. Dort schoß nicht nur ein Mann, dort waren mehrere, die feuerten, was aus den Läufen ging. Flint konnte nicht frei sein, unmöglich! Wer aber schoß dort, wer hatte auf sie gewartet? Wer?

»Halt! Halt!«

Keith hörte den brüllenden Warnschrei, als er am Bachufer war.

Er torkelte weiter, er mußte sein Pferd haben. Einmal strauchelte er an Steinen und schlug schwer hin. Mühsam stemmte er sich auf, wollte hoch, war nur noch zehn Schritte von den Pferden entfernt.

Als er kniete, sah er den Mann neben den Pferden stehen. Der Mann trat langsam aus dem Schatten.

Über die Kante des Einschnittes fiel jäh Laternenlicht. Es war noch weit entfernt, vielleicht dreißig Schritte, aber das Licht genügte. Der Mann stand dort – Licht fiel auf ihn…

Das Licht schuf Schatten, veränderte das Gesicht plötzlich. Irgendwo rechts liefen Männer und näherten sich.

Flint, dachte Keith entsetzt.

Das Licht veränderte das Gesicht Flints, über die Wange Flints fiel ein Schatten. Es war ein Schatten, der Flints Kinn dunkel machte, die Wange jedoch hell. Flint trug einen Bart, einen Bart!

Flint war nicht mehr Flint. Flint war der andere – der andere, den Keith einmal erschossen hatte von hinten. Der andere – der Name…

»Langley!« schrie Keith gellend auf. »John Langley, der Marshal…«

»Langley«, sagte Flint eiskalt. »John Langley – nicht John Langley, Sam Sullivan. Ich bin Trevor Langley, der kleine Bruder. Ich bin Trevor Langley.«

Wahnsinn, dachte Sam Sullivan, der sich jahrelang Al Keith genannt hatte, der ein Mörder und verschwunden gewesen war. Langley ist tot, ich habe ihn erschossen, und als er lag, habe ich das ganze Magazin in seinen Rücken gefeuert, das ganze Magazin. Ich bringe ihn um, ich muß ihn noch mal umbringen. Er hat es überlebt. Er hat sich nur den Bart abgenommen.

Keiths Hand zuckte hoch, als der Knall kam und die Kugel seinen Arm wegriß. Aus seiner Hand flog der Revolver im wirbelnden Bogen auf die Steine im Bachbett.

Dann fiel Keith auf die Seite, der Schmerz fraß ihn auf – und der Mann kam auf ihn zu. Es war John Langley, der Marshal aus El Paso in Texas, den Keith vor Jahren zum Sieb geschossen hatte.

»Langley«, gurgelte Keith. »Langley – Hund – du Hund – Langley…«

Er verstand die Welt nicht mehr, es ging über sein Begriffsvermögen, Flint war Langley. Langley war längst tot. Flint war ein Bandit.

Langley ein Marshal – und tot, tot, tot!

»Trevor – Trevor?«

»Hier«, sagte Flint leise. Das Licht fiel in den ganzen Einschnitt. Männer sprangen über die Kante herab. Das Licht beschien nun Flints Gesicht voll. Keith stierte zu diesem Gesicht empor. Der Mann war wieder Flint, Joe Brian Flint. Aber die Ähnlichkeit blieb, die Keith schon einmal aufgefallen war, als er ihn in der Salzmine sah.

Von rechts kam Harris den Hang heruntergerutscht und starrte Flint an.

»Himmel, wo kommst du her, Trevor?«

»Aus der alten Salzmine«, sagte Flint träge. »Sie liegt auf seinem Land.«

Er deutete mit dem Colt auf Keith hinab. Sein Mund verzog sich kurz, er stellte sein linkes Bein auf einen Stein.

»Keith – Keith!« keuchte jemand und hob die Laterne über Keith empor. »Auf Keith wäre ich nie gekommen. Wie heißt er in Wirklichkeit, Marshal?«

Es war O’Connor, der leuchtete und Keith anstarrte.

»Sam Sullivan«, murmelte Flint. »Sein Vetter liegt dort hinten, sieh nach, ob er noch eine Waffe hat und lebt. Sie hatten einmal einen Saloon in der Nähe von El Paso. Mein Bruder war damals Marshal. Irgendwer überfiel Stagecoaches in jener Ecke. Der Sheriff von El Paso hatte Mexikaner in Verdacht, die über die Grenze kamen und in Texas Überfälle machten. Als der Sheriff nicht weiter kam und niemals jemand fand, holten sie meinen Bruder. Eines Tages überfiel man wieder eine Stagecoach, die einige tausend Dollar nach El Paso bringen sollte. Mein Bruder fand eine Spur, er ritt den Burschen nach, die nach Mexiko verschwunden waren. Kurz vorher waren wir noch zusammen gewesen, und er hatte jemanden verdächtigt – den Saloonbesitzer Sam Sullivan. Sullivan besaß eine kleine, verkommene Ranch in der Nähe von El Grande, und mein Bruder sagte, von dort aus könnten Banditen ihre Streifzüge unternehmen. Nach dem Überfall verfolgte mein Bruder John die Fährte bis zum Rio Grande. Am anderen Ufer verlor er sie jedoch. Darum drehte er um und ritt zu jener kleinen, verkommenen Ranch.«

Er sah auf Keith hinab, auf Sam Sullivan, der ihn anstierte, Haß in den Augen, Wut.

»Es gab Spuren dort«, fuhr Flint, der Mann aus El Paso, leise fort. »Mein Bruder wartete, bis es dunkel war. Dann erst wagte er sich auf die Ranch. Er wußte nicht, daß man ihn beobachtet hatte. Er kam auf die Ranch, aber hinter ihm schlich sich jemand her – nun, Sullivan, wer?«

»Das weißt du doch!« giftete Sullivan-Keith. »Ich war es, ich! Ah, er dachte, daß er schlau war, aber ich war hinter ihm. Und dann schoß ich… Ich schoß, bis das Gewehr leer war. Ich hatte keine Wahl – er oder wir…«

»Du lügst«, sagte Flint langsam. »Wir, das war nicht nur dein Vetter, der dir geholfen hatte. Du hattest noch zwei Freunde auf der Ranch. Sie kamen heraus, als mein Bruder tot war. Du nahmst meinem Bruder den Colt ab. Und dann hast du sie erschossen, deine beiden Freunde, Sullivan. Sie kannten euch zu gut, sie hätten reden können, wie? Sie waren völlig ahnungslos, als du sie umbrachtest.«

»Du Hund! Woher weißt du das?«

»Woher schon?« murmelte Flint. »Die Spuren, Mister. Ich kam einen Tag später auf die Ranch und fand meinen Bruder, die beiden Männer, aber dich nicht mehr. Du warst fort mit deinem Vetter. Und du bliebst verschwunden, Sullivan. Ich habe dich gesucht. Jahrelang bin ich geritten, um dich zu finden. Ich konnte den Anblick nie vergessen. Er hatte die Kugeln alle in den Rücken bekommen. Eines Tages, das wußte ich, würdest du wieder dein altes Leben anfangen. Ich schrieb jedem Marshal im Westen und Norden, ich wurde selbst Marshal in Texas. Immer wieder schrieb ich Briefe, bis ich vor Wochen Nachricht aus Oregon bekam. Fast gleichzeitig meldete sich Marshal Harris bei mir. Du hattest Marshal Roebuck, der wegen der Überfälle auf die Andrewslinien einen Transport von Lohngeldern nach

Prineville begleitete, angeschossen. Er war in der Stagecoach, als du sie mit deinen Burschen stopptest. Roebuck eröffnete das Feuer und bekam eine Kugel in den Rücken. Er liegt heute noch im Bett.«

»Hätte ich ihn nur umgebracht!« gurgelte Sam Sullivan. »Der verfluchte Kerl!«

Sie sahen, wie sich sein Gesicht vor Haß verzerrte.

»Umbringen – du wirst niemand mehr umbringen«, sagte Flint kalt. »Ich bin sein Nachfolger geworden, Sullivan. Er hatte mir kurz vorher geschrieben, daß es hier jemand gab, der Überfälle ausführt und dann spurlos verschwindet. Er schrieb, diese Sache hätte Ähnlichkeit mit der Geschichte meines Bruders. Ehe ich nach Oregon kommen konnte, erwischte es ihn. Auch Harris hatte von euren Überfällen gehört, er schrieb mir zur selben Zeit. Er kannte

Roebuck gut, sie waren Freunde. Well, du Lump, so kam ich nach Nevada, ich suchte Harris und fand ihn auch. Harris hat einen Schwager, dem in Hamilton zwei Silberminen gehören. Wir erfanden den Überfall, wir ließen Steckbriefe drucken, daß man Flint suchte. Es gab nie einen Flint, verstehst du? Es gab auch niemals einen verschwundenen Silbertransport. Es gab nur mich und meine Beschreibung auf dem Steckbrief. Und es gab nur eine Ranch hier, auf der genügend Maultiere standen, mit denen man Silber wegschaffen konnte: die Claydon-Ranch. Es war Zufall, daß Mikel Claydon auf die schiefe Bahn gekommen war. Das war der einzige Zufall in unserer ganzen Rechnung. Alles andere war geplant. Ich war immer nur so weit von Brad Harris entfernt, daß er mich zu jeder Zeit erreichen konnte. Harris jagte Flint – aber Flint war ich.«

»Du Satan!« zischte Sullivan. »Du verfluchter Satan!«

»Ja«, sagte Flint eisig. »Satan für dich, wie? Wir hatten nicht damit gerechnet, daß sich zwei Kopfgeldjäger die Belohnung verdienen wollten, wir glaubten auch nicht, daß man jemanden aus deiner Bande greifen würde. Dann passierte es doch.

O’Connor erwischte Greer und Stapleton. Wir ritten sofort los. Ich mußte erst nach Nevada und dort die Spur anfangen, damit sie echt aussah. Harris war immer hinter mir. Aber als die Ansonsbrüder mich jagten, wäre er zu spät gekommen. Ich mußte mich wehren. Am Ende machte es die Geschichte um Joe Flint noch echter – zu deinem Pech, denn du hast diese Geschichte geglaubt, so fest wie andere. Irgendwie mußte ich dich dazu bringen, auf die Claydon Ranch aufmerksam zu werden, also stahl ich hier Ben Claydons Hengst. Dann ließ ich mich an der Stagecoach sehen.«

»Die Pest!« knirschte Brad Harris. »Das war nicht vorgesehen, du alter Affe. Das war deine Idee. Jetzt glaubten sie alle an Joe Brian Flint, den Einzelgänger und Banditen.«

»Das war nicht der Grund«, sagte Flint leise und sah weg. »Tut mir leid, Brad, ich wollte keinen Überfall nach Flints Manier machen, aber…«

»Ich bring dich um«, stöhnte Sullivan. »Dein Bruder war ein Satan, aber du – du bist der Obersatan, du hast den Teufel im Kopf, du Hundesohn!«

Die Männer standen um ihn und sahen, wie er sich aufbäumte, nach Flints Beinen greifen wollte, aber er fiel wieder zurück.

»Mein Plan war etwas anders«, murmelte Flint. »Ich hätte weder den Überfall auf die Kutsche noch den Zufall, daß O’Connor Greer und

Stapleton erwischte, gebraucht. Ich wollte selber einen Lohntransport von Andrews überfallen. Danach sollte mich Harris erwischen, aber ohne das Geld. Wir hätten Andrews eingeweiht. Ich wette, du hättest mich aus dem Jail geholt, Sullivan, denn ich hätte mindestens zwanzigtausend Dollar gestohlen und sie versteckt. Du hättest mich herausgeholt, um das Geld zu bekommen. Niemand wußte, daß du der Banditenboß warst. Ich hätte dich auch nicht erkannt, obwohl ich deinen alten Steckbrief tausendmal gelesen hatte. Du hast dich zu sehr verändert in den Jahren, Sullivan. Damals warst du schlank, heute bist du fett, fast kahlköpfig. Ein anderer Mann – ein anderes Gesicht. Erst als du mich fragtest, ob ich in El Paso gewesen wäre, da erst wußte ich, daß du der Mann warst, der einmal aus El Paso in dieses Land gekommen war – da erst, du Narr!«

»Ich erwürge dich!« kreischte Sullivan, als müßte er den Verstand verlieren. »Nach so vielen Jahren! Zufall, nichts als Zufall, du hast nur Glück gehabt, du Teufel!«

»No«, erwiderte Flint düster. »Kein Glück – kein Zufall. Mörder werden immer wieder morden, wenn sie so sind wie du. Du hast es aus Geldgier getan, Sullivan. Das war dein Fehler – und für den wirst du hängen.«

Er wandte sich ab und sah Brad Harris an.

»Mikel Claydon?« fragte Harris gepreßt. »Flint – verdammt noch mal, ich glaube, ich werde dich weiter Flint nennen, was? Trevor, was ist aus Mikel geworden?«

Trevor Langley blieb stehen, sah fort, über die Männer hinweg, vorbei an dem alten Ben Claydon, den Harris abgefangen und wieder zur Ranch zurückgebracht hatte. Er sah das hagere Gesicht Benjamin Claydons, die Narbe des Mannes, die schiefstehende Schulter.

»Er war nur leichtsinnig«, sagte Trevor Langley leise – und er war zum letztenmal Joe Brian Flint, der Mann, der Lügengeschichten erzählen konnte, ohne rot zu werden. »Er half mir, als er wußte, daß sie seinen Vater bestehlen wollten. Er riskierte sein Leben, damit ich mit ihm herreiten und den Überfall verhindern konnte. Er riskierte zuviel, der Junge. Er starb, und er sagte, er wäre so gern zu Hause gestorben, Mr. Claydon. Das sagte er – er wollte seinen Vater nicht bestehlen lassen.«

»Der – der Junge«, hörte er den Alten tonlos flüstern. »Der gute Junge.«

Fort, dachte Langley, nur weg hier. Mein Bein schmerzt, ich kann kaum noch stehen. Dieser alte Mann – jetzt ist er ruhig und hat eine gute Erinnerung an Mikel. Manchmal muß man lügen, damit ein Vater nicht vor Gram stirbt. Er soll es ruhig denken und in Mikel einen Helden sehen.

Langley ging fort, vorbei an den Corrals. Einen Moment noch dachte er an Sullivan, der dorthin geritten war, wo Brad Harris auf ihn wartete, an den einzigen Platz, an dem er Maultiere stehlen konnte, um das Silber zu holen. Die Falle war zugeklappt, das Spiel war vorbei.

Licht schien in den Hof – Helligkeit, in der sich einige Schatten bewegten. Licht fiel aus der Tür des Hauses. Das Mädchen stand neben der Tür. Vorhin hatte es oben am Rand des Bacheinschnittes gestanden und gehört, was Flint Sullivan zu sagen hatte. Jetzt stand es hier und sah den Mann kommen. Der Mann zog sein linkes Bein nach und blieb vor der Tür stehen.

»Hallo«, sagte Trevor Langley matt. »Miss Caroll…«

Sie sah ihn an und schluckte schwer.

»Marshal! Wenn es einen Flint gegeben hätte – er hätte sich selber niemals besser spielen können. Flint, der Bandit, Flint, der Mann mit den hundert Geschichten. Eine von diesen hundert Geschichten, Marshal Langley, eine hätte wahr sein können, nur diese eine. Was war der Grund, die Kutsche zu überfallen, Marshal? Was war der wahre Grund?«

»Socorro«, murmelte Langley. »Socorro – die Zigeunerin, Miss Caroll. In Socorro las eine Zigeunerin zwei Brüdern das Schicksal aus der Hand. Das war keine Geschichte Joe Brian Flints. Ich wollte, es wäre eine gewesen, dann lebte mein Bruder John heute noch. Er starb, wie es die Zigeunerin gesagt hatte – genauso. Und ich – ich traf mein Schicksal, nicht Flint, Caroll. Wenn du willst, kannst du mir diesen Ring geben. Ich denke, dein Vater hat ihn genommen – oder? Es war kein Spaß, als ich sagte, daß ich ihn tragen würde, wo immer ich sei und den Rest meines Lebens. Du hast ihn hier, wie?«

»Hier«, flüsterte sie. »Hier, an meiner Hand, Trevor. Ich werde niemals Trevor zu dir sagen, Marshal. Du bleibst Joe, Joe Brian Flint für mich. Hier ist der Ring – und wenn ich dein Schicksal bin, dann bist du meins, Joe. Ich habe mich nicht in Trevor Langley verliebt, verstehst du? Der Mann hieß Joe Brian Flint, den Mann liebe ich, wenn du verstehst, was ich meine, oder muß ich Trevor zu dir sagen?«

»No«, sagte er, er lächelte, als sie auf ihn zukam und sich an ihn lehnte. »No, Caroll. Für dich werde ich Joe Brian Flint sein.«

– E N D E –

G.F. Barner 1 – Western

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