Читать книгу G.F. Barner 1 – Western - G.F. Barner - Страница 21

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Es knackte einmal, aber es war nicht das Holz des Feuers. Es klang scharf und trocken wie ein Revolver- oder Gewehrhammer im Rücken von Jim Copper, und der Sand zwischen Pedrigosa und El Capitan, irgendwo am Rande der Gila-Wüste, hatte nicht mal geknirscht.

Jim saß ganz still. Er fühlte sich wie ein Hund bei Gewitter, wenn die elektrische Aufladung der Luft die Haare hochstehen ließ.

Wer immer es war, der hinter Jim aus dem mageren Kakteensaum getreten war, er war keine sechs Schritt entfernt, verflucht zu nahe, um Jim eine Chance zu lassen.

Jim starrte auf die Pfanne, die Flammen und den Speck, schönen, durchwachsenen Bauchspeck, leicht angeräuchert und gut abgehangen. Die Speckstreifen schwammen im Fett, die Bohnen garten bereits. Und Jim hielt sein Messer in der Hand. Damit hatte er die Speckstreifen und die Bohnen gewendet.

»Lass fallen!«, sagte der Mann sanft. Er hatte eine verflucht freundliche Stimme – zu freundlich, um wirklich harmlos zu sein. »Aber drüben hin – wirf mal ein bisschen – nur nicht hierher, klar?«

Jim sagte nichts, er hielt das Messer am Heft. Das war schon mal schlecht. Man musste ein Messer an der Spitze fassen, wenn man werfen wollte.

»Na?«

Der sprach nun etwas schärfer, etwas näselnd, etwas lauernd.

»Ja«, sagte Jim. Er hatte einen Kloß im Hals und keinen Hunger mehr.

Dann warf er das Messer über das Feuer und die brutzelnden Speckscheiben in den Sand. Er warf es aus der hohlen Hand, sodass der Stahl kurz im Flammenschein blinkte und die Klinge dann mit der Spitze zuerst in den Sand eindrang. Das Messer blieb so stecken, dass Jim es, wenn er zum Sprung kam, am Griff packen und sich wehren konnte.

»Sitz ganz still, die Hände in den Sand! Streck sie jetzt aus, aber nicht seitlich, nur nach vorn, Junge!«

Verflucht, dachte Jim, der versteht es. Wer ist der Hundesohn? Jim beugte sich vor. Hätte er die Arme seitwärts ausstrecken können, hätte er vielleicht eine Chance bekommen, den Kerl zu packen, wenn er ihm zu nahe kam. Jetzt war es vorbei damit. Er beugte sich nach vorn und legte die Hände auf den groben Sand. Dann wartete er – der Mann musste kommen.

Jim lauschte – der Mann schwieg, er kam nicht, oder?

Er kam doch, aber es gab kein Knirschen von Sand unter Stiefelsohlen. Es gab nur ein leises Scheuergeräusch.

Der ist barfuß, dachte Jim verstört. Warum ist er barfuß? Kein Mensch geht in der Wüste zwischen Vipern, Skorpionen und Gilatieren barfuß. Teufel, er ist gleich hinter mir und wird mir eins über den Schädel knallen, wetten?

Der Feuerschein war zu hell. Der Mond stand hinter Jim, er hätte den Schatten des Mannes sonst an Jim vorbei über den Sand geworfen. So vertrieb das Flammenspiel des Lagerfeuers jenen Schatten, der Jim vor etwas gewarnt hätte.

»Ein feiner Platz«, sagte der Mann näselnd. Er musste kaum zwei Schritt entfernt sein. »Du bist von Pedrigosa gekommen, he? Das ist ein ziemlich weiter Weg bisher, schätze ich. Was hast du in Pedrigosa gemacht?«

Die Stimme, grübelte Jim, wo habe ich die Stimme schon mal gehört?

Da war ein Stück Erinnerung an irgendein Nest drüben in Mexiko, an einen Saloon, aber mehr fiel Jim jetzt nicht ein.

»Na, was hast du da gemacht, Copper?«

Also doch, der Mann kannte ihn, und er fragte, also wusste er etwas von dem, was Jim in Pedrigosa getan hatte. Was hätte es sonst für einen Grund haben sollen, dass er ihm gefolgt war? Dabei hatte Jim mit beiden Pferden einen Tagesritt hinter sich gebracht, der jeden Verfolger abschütteln sollte. Anscheinend war es ihm doch nicht gelungen.

Das Scheuern setzte wieder ein, der Mann kam näher und redete jetzt schneller. Jim hörte das seltsame Gleiten auf dem Sand, obgleich der Bursche immer schneller sprach.

»Bist du stumm, Copper? Lass mich mal raten, was du in Pedrigosa gemacht haben könntest? Dort wohnen ein paar lausige Greaser, ziemlich arme Figuren, wie? Reich ist nur Ignacio, der Pferdehändler. Und dann noch Don Caberas, dessen Hazienda für ihre Bullenzucht berühmt ist. Bist du bei dem gewesen – er soll seinen besten Bullen verloren haben, hörte ich? Wer hat noch gute Zuchtbullen, dein Vater, he? Hast ihm einen Bullen gebracht, vielleicht mit einem seiner Männer, na? Ich wette …«

Die Stimme wurde zu schnell. Und dann hörte Jim das Scheuern nackter Füße auf den Sandkörnern nicht mehr.

Jetzt, dachte Jim, er schlägt zu!

Jim warf sich hintenüber, seine Hand zuckte zum Revolver. Im Wegkippen sah er die Beine des Mannes. Jim hatte mal in Phoenix einen Flohzirkus besucht, der sich irgendwie nach Arizona verirrt hatte. Der eine Floh hatte auch so hüpfen können wie der Mann mit den langen Beinen. Der Mann war auch nicht barfuß, er hatte sich Stoffstreifen um die Füße gewickelt. Nun hüpfte er zur Seite. Er hatte auch keinen richtigen Revolver, er hatte nur einen Derringer. Und den in der linken Hand.

Das alles sah Jim, ehe er begriff, dass der Mann ihn zu dem Versuch gereizt hatte. Er sah auch den Knüppel. Es war ein solider Wagenschwengel von irgendeinem Wagen, der im Mahlsand der Gila-Wüste liegen geblieben sein mochte.

Der Mann mit den dick umwickelten Füßen hielt den Wagenschwengel in der Rechten und schlug zu. Es war verrückt von dem Kerl, dass er Jim eine Chance gelassen hatte. Er hätte Jim längst auf den Schädel schlagen können, doch er tat es jetzt erst, als Jim ihn anzuspringen versuchte.

Und dann sagte der verrückte Bursche noch etwas.

»Tut mir leid, Junge«, sagte er. Es klang richtig bedauernd.

Danach fiel Jim der alte Deichselschwengel auf den Kopf. Der schwachgelbe Mond über der Gila-Wüste platzte wie eine Rakete, die jemand bei einer Fiesta gegen den Himmel gejagt hatte. Und dann kam das Feuer. Es war ein riesenhaftes, hochloderndes Feuer.

Jim Copper fiel mitten in die Flammen …

*

Zuerst kam der Schmerz. Er meldete sich in Jims Hinterkopf und lief in kleinen Wellen bis in seinen Nacken. Dann machte Jim die Augen auf. Er sah alles verschwommen, und es dauerte eine Minute, ehe er den Mann am Feuer sitzen sah. Danach versuchte Jim die Hände zu bewegen, merkte aber, dass sie auf dem Rücken gebunden waren.

Der Mann aß mit einer Hast, die nur ein Halbverhungerter zeigen konnte. Er wendete Jim die Seite zu, und als Jim sein Profil studierte, schwieg und nur zusah, wie der Bursche Bohnen und den Schinkenspeck in sich schaufelte, kam die Erinnerung zurück.

Jim erinnerte sich an El Cantara, das Nest in der Nähe von Pedrigosa, an die Bodega, den Spieltisch.

In diesem Augenblick wusste Jim, dass er den Mann am Spieltisch gesehen hatte. Es war Wochen her, und der Bursche hatte mit einigen Amerikanern gepokert, die in El Cantara mit Schmuggelware oder sonstwelchen Dingen auf einen günstigen Zeitpunkt zur Überquerung der Grenze gewartet hatten.

Jim zog die Beine an. Dann sah er den Strick und seine Socken. Jetzt erst blickte er auf die Füße des Mannes. Der Kerl trug nun seine Stiefel, er hatte ihm auch das Halfter und den Colt abgenommen. Selbst das Gewehr Jims lag neben ihm am Boden.

Der Spieler, dachte Jim bestürzt, wie kommt der Spieler in die Wüste? Er hat sich drei Tage nicht rasiert, er ist barfuß unterwegs gewesen – ohne Pferd, oder?

Jim sah sich nach seinen Pferden um. Der Wallach stand neben dem Schecken, sonst gab es kein Pferd. Es gab nur den Mann und das Feuer, das Essen, das Jim beinahe fertig gehabt hatte und das der Bursche nun wie ein Wolf in sich schlang.

»Bist du fertig, hast du genug gesehen?«, fragte der Spieler kühl. Er wendete langsam den Kopf. Der Feuerschein traf nun voll sein Gesicht, die hellen Augen, den schmalen Mund und die etwas zu kräftige Nase. Er saß so am Feuer, dass er Jim keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte.

»Ja«, sagte Jim. Er hatte das Gefühl, dass ihm ein Gummiband die Kiefer zusammenhielt, und er hatte Mühe, die Worte zu formen, weil der Schmerz ihm die Muskeln lähmte. »Kartenhai, weißt du, was es kosten kann, wenn man jemand in der Wüste überfällt, ihm die Stiefel auszieht und ihm vielleicht auch noch die Pferde nimmt? Das hast du doch vor, eh?«

»Vielleicht?«, erwiderte der Spieler träge. Er nahm Jims Wasserflasche, trank durstig und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Ich leihe mir alles nur aus, du bekommst es wieder zurück, Copper, klar?«

Er sprach so ruhig wie jemand, der keine Furcht kannte und sich seiner Sache sicher war. Er hatte Jim erwischt, und er stand jetzt auf, nahm die Pfanne mit und setzte sich neben Jim hin.

»Du hast meine Stiefel. Hattest du keine mehr?«, fragte Jim, als der Kartenhai den Löffel voll Bohnen auf seinen Mund zuführte. »Sieht aus, als hättest du El Cantara verdammt eilig verlassen müssen – ohne Pferd?«

»Ich habe eins gehabt«, sagte der Kartenhai. Er stopfte Jim den Löffel zwischen die Lippen und zwang ihn zu essen. »Du kannst kauen, Copper, du musst hungrig sein. War El Toro hinter dir her?«

Jim sperrte verwundert die Augen auf. Erst in diesem Moment begriff er, dass der Spieler alles über ihn wusste. Jim hatte Quinton, einen der rauesten Burschen El Toros, des mexikanischen Banditen, unterwegs getroffen. Quinton hatte ihn und Valdez, den Zureiter, mit dem Bullen gesehen, war ihnen ein Stück gefolgt und hatte dann den Weg nach Südosten eingeschlagen. Er musste also nach El Cantara geritten sein.

»Ja«, gab Jim zurück, nachdem er die Bohnen herabgewürgt hatte. »So ist das, Quinton hat El Toro in El Cantara getroffen, wie? Ja, sie sind hinter mir her gewesen, aber ich habe sie abgehängt, nachdem sie mir in die Wüste gefolgt waren. Du bist in El Cantara gewesen?«

»Kann sein«, brummte der Kartenhai mürrisch. »El Toro hat dein Geld haben wollen – den Preis für den Bullen, was? Du hast ihn abgehängt, als der Sandsturm losgebrochen ist, denke ich. Ich dachte mir gleich, dass du den kürzesten Weg zu eurer Ranch nehmen würdest. El Toro ist kein Narr, er ist dir nicht gefolgt. So nahe an der Ranch wagt er nichts mehr. Er hat Angst vor Buster Tom, deinem Vater, was?«

Er lachte leise, schob Jim die nächste Ladung Bohnen in den Mund und sah, wie Jim sich bemühte, seine Jacke herumzuzerren, um an die Brusttasche zu kommen.

»Gib dir keine Mühe, du hast das Geld nicht mehr.«

»Waas?«, keuchte Jim. »Mensch, du hast die siebenhundert Dollar gestohlen? Das kostet dich den Hals, du Lump! Was El Toro nicht gewagt hat, hast du gestohlen. Denkst du, mein Vater schluckt das?«

»Ich habe es mir nur geliehen«, kicherte der Spieler. »Keine Aufregung, Copper! Dein Vater wird dich morgen suchen, wahrscheinlich findet er dich gegen Abend, weil er sich ausrechnen kann, dass du diesen Weg genommen hast. Neben dem Feuer liegt dein Messer. Du wirst so gebunden, dass du es nach einigen Stunden erreichen kannst. Dann schneide dich los.«

Der Spieler lachte spöttisch, als er Jims verstörtes Gesicht sah. Er stand auf, brachte die Pfanne zum Feuer zurück, hob das Messer auf und schleuderte es geschickt in den dicken Stamm einer Organpipe-Kaktee, in den er bis zum Heftsteg eindrang. Der Kartenhai war etwa so groß wie Jim, schlank und sehnig, aber einige Jahre älter. Er wirkte trotz seines Lachens eiskalt und hart, wenngleich er Jim nicht unsympathisch war, aber er war ein Dieb.

»Du verdammter Schurke!«, schrie Jim wütend, als der Spieler sich an seinem Packen zu schaffen machte und sich ein Hemd nahm. »Weißt du, was mit jemandem passiert, der einen anderen hilflos zurücklässt und mit seinen Pferden verschwindet? Du hängst, wenn wir dich erwischen. Und das werden wir, ich schwöre dir, wir finden dich.«

»Glaubst du?«, fragte der Kartenhai spöttisch. »Ich habe dir gesagt, dass du alles zurückbekommen wirst. Ich gehe kein Risiko ein, Copper-Junge, ich habe etwas zu viel von dir und deiner Wildheit gehört, verstehst du? Du würdest mir folgen, was?«

»Darauf kannst du Gift nehmen«, erwiderte Jim bissig. »Du verdammter Hundesohn, niemand schlägt mich nieder und nimmt mir meine Sachen weg! Ich glaube dir kein Wort, du hast das Geld und die Pferde, und du müsstest verrückt sein, wenn du es zurückgeben würdest.«

»Vielleicht bin ich verrückt?« Der Kartenhai lachte. »Junge, vielleicht bist du mir noch dankbar, dass ich dir alles weggenommen habe, wer weiß.«

»Dankbar?«, brüllte Jim voller Wut. »In die Hölle werde ich dich blasen, du Halunke! Ich wette, du hast mich schon am Nachmittag ausgemacht. Du musst auf den Bergen drüben gesessen haben, was?«

»Stimmt«, sagte der Spieler trocken, »genauso ist es gewesen, Copper. Ich kann dir die Sache nicht erklären, es ist besser, wenn du nichts weißt.«

»Ich weiß verdammt genug«, antwortete Jim giftig. »Wetten, dass du höllisch schnell aus El Cantara verschwunden bist? Wahrscheinlich hast du jemand im Spiel betrogen, und dein Aufbruch muss so schnell erfolgt sein, dass du nicht mal deine Stiefel angezogen hast. Burschen wie du kommen garantiert eines Tages an den falschen Mann, ich kenne das! Na, wer ist hinter dir her, he?«

Der Spieler grinste nicht mehr. Er sah Jim finster an, kam dann auf ihn zu und stieß ihn mit dem Stiefel an.

»Ich habe schon gehört, dass ihr Coppers nicht gerade dumm sein sollt«, sagte er mürrisch. »Nun gut, vielleicht ist jemand hinter mir her. Vielleicht habe ich auch ohne Stiefel und ohne Sattel aus El Cantara verschwinden müssen. Kann schon sein, Copper, aber es ist besser, du rätst nicht weiter herum. Auf den Bauch mit dir!«

Er stieß Jim die Stiefel unter die Rippen, wollte ihn anheben und schrie in der nächsten Sekunde auf. Jim hatte die Hände in den Sand gekrallt gehabt. Als der Spieler ihn herumstoßen wollte, fuhren Jims gebundene Hände jäh in die Höhe. Der Sand prasselte dem Spieler ins Gesicht, und er schrie erschrocken los.

Im selben Moment warf sich Jim nach links herum. Er hatte nach rechts auf den Bauch fallen sollen, stieß sich durch geschicktes Anziehen der Beine ab und warf sich sofort nach links.

Der Kartenhai hatte beide Hände vor das Gesicht gerissen. Er sah nichts mehr, taumelte aber zur Seite, sodass Jim ins Leere kollerte und ihn nicht mehr erreichen konnte. Ehe Jim noch einmal herumkommen konnte, sprang der Spieler mit zwei Sätzen fort, blieb stehen, orientierte sich nach dem Knacken des Feuerholzes und rannte blindlings auf die Flammen zu.

Verzweifelt stemmte sich Jim ab. Er kam seitwärts herum, versuchte dem Spieler zu folgen und sah dann, dass er es mit einem verdammt geschickten Burschen zu tun hatte.

Der Spieler ließ sich neben dem Feuer auf die Knie nieder, er tastete den Boden ab, bis er die Wasserflasche fand, schraubte sie auf und goss sich das Wasser in die Augen.

Jim blieb drei Schritt vor dem Feuer liegen. Der Spieler sah jetzt genug, er fluchte laut, zog Jims Revolver und knirschte: »Noch einmal legst du mich nicht herein, Copper! Das war kein guter Trick, Mister. Die Pest, beinahe hättest du mich überrascht.«

»Nur beinahe, hol’s der Teufel!«, schnaubte Jim wütend. »Na, was willst du jetzt tun, schießen?«

Der Spieler sprang auf ihn zu, kam diesmal von der Kopfseite heran und setzte Jim den Coltlauf an den Hals.

»Auf den Bauch!«, befahl er grimmig. »Und versuche es nicht wieder. Diesmal halte ich dir mein Gesicht nicht so blödsinnig hin, Freundchen.«

Er packte Jims linken Oberarm, riss Jim herum und trat dann zurück.

»Bleib so liegen!«, fauchte er. »Schade um dein Lasso, aber ich brauche es nicht, und dich bindet es fest genug. Jetzt wirst du noch mehr Zeit brauchen, um an das Messer zu kommen.«

Nach wenigen Schritten hatte er das Lasso geholt, kniete sich auf Jims Rücken und band ihm die Beine angewinkelt an die Handgelenke, sodass Jim krumm wie ein Indianerbogen am Feuer liegen blieb.

»Bist du jetzt zufrieden?«, erkundigte er sich danach finster. »Deine Schuld, Copper. Sieh zu, dass du bald frei bist, sonst kommt die Sonne zu früh für dich. Deinen Packen brauche ich nicht, nur etwas Vorrat und Wasser. Du hast mein Versprechen, dass du alles zurückbekommst.«

»Scheißversprechen – von einem Kartenhai, was?«, stieß Jim verbissen hervor. »Wohin du auch reitest, du siehst mich bald wieder. Der Wallach und der Schecke sind noch mal siebenhundert Dollar wert, und du wirst sie in dieser Gegend nirgendwo los, weil hier jeder unser Brandzeichen kennt, also wirst du ziemlich weit reiten müssen, Hundesohn, doch nicht weit genug für mich.«

»Das habe ich mir gedacht«, sagte der Spieler düster. »Für dich gilt das Versprechen eines Spielers nichts, was? Copper, ich sagte dir, es geht um meinen Kopf, ich habe keine Wahl. Das muss dir genügen, Mister.«

Er wendete sich ab, ging zu den Pferden und saß auf. Als er anritt, blickte er sich noch einmal um. Dann verschwand er hinter dem ersten Kakteensaum über den nächsten Hügel, und der Hufschlag verlor sich gleich darauf.

»Verdammter Hundesohn!«, stieß Jim durch die Zähne. »Irgendwer muss dir auf den Fersen sein. Wahrscheinlich hast du ihn im Sandsturm genauso abgehängt wie ich El Toro, den elenden Bravadochief. Ich hoffe, der Bursche holt dich nicht ein, ehe ich dich habe. Hölle und Pest, wie soll ich an das Messer kommen?«

Er sah zu der Kaktee, schaukelte auf dem Bauch, bis er auf die Seite kippte und versuchte dann seinen Körper mit den Händen seitlich herumzuschieben. Es gelang nur zollweise, er kam kaum voran. Für die zwölf Schritt bis zur Kaktee und dem Messer würde er einige Stunden brauchen.

»Kartenhai, das bezahlst du!«, sagte Jim nach zehn Minuten. Er hatte kaum einen halben Schritt geschafft und schwitzte heftig von der Anstrengung. »Hol’s der Satan, ich werde mit den Fetzen der Unterhose, die sich der Schurke um die Füße gewickelt hatte, marschieren müssen. Großer Geist, Geld und Pferde weg, und Unterhosenfetzen an den Füßen. Wenn mich Buster Tom so sieht, lacht er zuerst, aber dann bricht die Hölle los. Spieler, so wahr ich Jim Copper heiße, ich werde dich erwischen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«

Jim kochte vor Grimm. In Gedanken verfolgte er den Spieler bereits. Dabei war er noch nicht mal frei, geschweige denn im Besitz eines Pferdes. Dass es noch schlimmer kommen sollte, ahnte Jim in dieser Minute nicht.

*

Jim spürte, wie der Sand nachgab. Sein rechtes Knie war beim Herumwuchten zu weit nach außen gerutscht. Jim hatte sich nur durch das Zusammenziehen aller Muskeln aus der Seitenlage auf die Knie werfen können, doch es war ihm nicht gelungen, den herumstürzenden Körper rechtzeitig abzufangen, da er sich nicht mit den Händen aufstützen konnte.

Mit einem heiseren Schrei fiel Jim auf die rechte Seite. Er streifte im Fallen einige der handlangen Kakteenstacheln. Sie drangen durch seine Jacke und das Hemd in seine Schulterkugel ein, und er brach sie beim Aufschlagen ab. Der brennende Schmerz ließ ihn fluchen. Einige Minuten lag er schnaufend still. Dann schob er sich erneut herum. Er hatte es dreimal versucht und wusste nun, dass er nicht zu wenig und auch nicht zu viel Schwung haben durfte, wenn er genau auf den Knien liegen bleiben sollte.

»Dieser Menschenfresser, wenn ich den erwische, mache ich ihn um ein Pfund Blei schwerer«, fluchte Jim, indem er sich auf die Seite wälzte und leicht schräg zum Hang und den Kakteen liegen blieb. »In drei Stunden wird es hell, der Hund kann schon zwanzig Meilen geritten sein, was? Die Pest, nicht zu viel Schwung und die Knie nicht zu weit auseinandernehmen, was?«

Der Mond stand am westlichen Hang zwischen den Kakteen und kargen Dornbüschen. Er beschien das längst erloschene Feuer, die Spuren im Sand und Jim, der sich zusammenkrümmte. In der nächsten Sekunde warf sich Jim herum. Sein Körper – zusammengehalten durch die Fesselung – schnellte von der rechten Seite in die Höhe, und es gelang. Der vierte Versuch glückte. Jim kam auf die Knie zu liegen. Einen Moment schwankte sein Oberkörper hin und her, dann kauerte Jim sicher auf den Knien. Er konnte sie nur wenig bewegen, schob sich aber herum und rutschte nun rückwärts den schrägen Hang hinauf. Er hatte vorher einige Male versucht, den Hang emporzukriechen, doch er war jedes Mal zurückgeglitten, da der Sand wie eine Rutschbahn wirkte.

Erst in dieser Höhe war die Steigung geringer. Jim glitt zollweise an die Kaktee heran. Das Messer steckte etwa einen halben Schritt über dem Boden im Stamm fest. Jim konnte das Messer erfassen, zog es heraus und ließ sich dann zur Seite fallen.

Nachdem er lag, drehte er die Klinge um, sodass das Heft zwischen seine Füße geriet. So gut er konnte, klemmte er das Heft fest. Er stemmte dabei die Zehen gegen den Sand, und dann führte er den Strick, der ihm die Hände band, über die Schneide. Jim lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Er verfluchte den Spieler und dessen verdammte Geschicklichkeit. Schließlich erlahmten Jims Oberarmmuskeln. Das Zittern überfiel seine Arme, und er musste den Versuch, schon beim ersten Schneiden die Fesseln zu durchtrennen, erschöpft aufgeben. Als er danach die Schnittstelle ertastete, merkte er, dass er gar nicht die Handfessel, sondern den Strick, der Hände und Füße miteinander verband, angeschnitten hatte.

»Dieser Höllenhund, der Satan soll ihn fressen!«, sagte Jim enttäuscht. »Schlingt der Bursche den Strick um die Handfesseln. Weiter, weiter, sonst komme ich nicht mehr weit. Ich muss versuchen, vor Sonnenaufgang einige Meilen zu laufen. Wenn der Sand erst heiß wird, kommt man doch nur langsam voran. Dieser Dreckskerl.«

Er schob die Arme über die Schneide, begann zu säbeln und zuckte im nächsten Augenblick zusammen.

Sein lautes Schnaufen und sein Gefluche hatte ihn einige Dinge überhören lassen. Rechts von Jim schnaubte ein Pferd, und als er den Kopf herumwarf, sagte der Mann links von ihm mit näselnder, spöttischer Stimme: »Wen haben wir denn da, he? Luke, unser Freund Conrads war schon hier, fürchte ich, und er ist längst wieder weg.«

Jim erstarrte. Er ließ das Messer los, spürte, dass der Strick etwas nachgab und wendete den Kopf zur linken Seite. Im selben Moment sah er den Mann. Und dann wusste er, warum der Spieler Conrads geflohen war. Links von Jim tauchte Jake Ballard zwischen den Kakteen auf. Ballard war Skalpjäger gewesen, ehe er eine Stagecoach ausgeraubt und dabei einen Mann niedergeschossen hatte.

Das Mondlicht ließ Ballards Gewehrlauf blinken. Der hagere, dürre Mann, dem die Hosen wie bei einer Vogelscheuche um die mageren Beine schlotterten, hatte Jim noch nicht erkannt. Jim lag im Schatten der Kaktee, und er betrachtete Ballard wie ein wildes, bösartiges Tier, denn genau das war Ballard.

In diesem Moment erinnerte sich Jim an die Steckbriefe, die sein Bruder Cliff im Office von Tucson hatte. Ballard wurde in drei Staaten gesucht. Er hatte erst vor wenigen Wochen den Geldtransport für die Gloria Mine überfallen, war von Cliff Copper gejagt worden und mit seinen Partnern über die Grenze entwischt. Doch er hatte ein Andenken mitgenommen – eine Kugel in seinem Oberschenkel, die Cliff hinter ihm hergejagt hatte.

Ballard war ein eiskalter Killer, dem ein Menschenleben weniger bedeutete als ein gutes Pferd oder zwei Flaschen Brandy. Er war rachsüchtig und nachtragend, er vergaß nie etwas. Und er hatte die Kugel Cliffs auch nicht vergessen, denn er hatte Cliff etwas ausrichten lassen. Er wollte ihm die Kugel zurückgeben, eine tödliche Kugel.

Für einen Mann, der noch vor wenigen Wochen im Bett gelegen hatte, bewegte sich Ballard nun schnell wie ein Schlange. Er glitt zwischen den Kakteen durch, senkte das Gewehr und stieß es Jim in die Seite. Dann wuchtete er Jim mit einem einzigen Ruck hoch und warf ihn aus dem Schatten der Kaktee.

Jim blieb nach einem Überschlag am Hang liegen. Der Mond beschien ihn jetzt. Er sah, wie Ballards hageres, ausgemergeltes Totenschädelgesicht sich verzerrte. Die schweren Lider über Ballards kalten Knopfaugen weiteten sich jäh. Der Bandit stieß einen zischenden Laut aus.

»Sieh mal an«, sagte er danach voller Hass. »Luke, unser Freund Conrads hat uns jemand zurückgelassen, einen Copper. Na, mein Freund?«

Und dann trat er mit voller Wucht zu.

*

Der Tritt schleuderte Jim noch ein Stück den Hang herunter. Schmerz raste durch seine Rippen, er bekam keine Luft mehr, blieb zusammengekrümmt liegen und glaubte ersticken zu müssen. Sein Magen krampfte sich zusammen, er streckte sich und begriff dann erst, dass er die Beine lang machen konnte. Der Strick, der seine Hände und Beine zusammengehalten hatte, musste gerissen sein, als Ballard ihn den Hang hinabgestoßen hatte.

Während Jim noch nach Luft rang, näherte sich das dumpfe Klopfen über den Sand wandernder Hufe. Jemand kicherte, aber das Kichern kam aus einer anderen Richtung. Das Pferd tauchte jetzt neben Jim auf, und dann sah Jim den Mann im Sattel des Pferdes.

Jim schloss die Lider, ihm wurde langsam schlecht. Er hatte nicht geahnt, dass Luke Cardona und Ballard gemeinsame Sache machten. Cardona war Mischling. Er hatte zwar eine mexikanische Mutter, mochte jedoch keine Mexikaner. Seine Grausamkeit war berüchtigt.

Das Kichern gehörte zu Patingly, und Jim hörte nun die schlurfenden Schritte des kleinen und o-beinigen Burschen näher kommen. Der Sand knirschte, als der kleine, aber stämmige Mann von der Hügelseite herabkam. Patingly kicherte immer, wenn er bis unter die Haare voll Wut steckte. Diese verrückte Art, sich spaßhaft zu geben, hatte schon manchen Mann getrickst. Wenngleich Patingly auch klein war, er besaß ungeheure Kräfte und konnte einem Mann die Rippen eindrücken, wenn er ihn in die Armzange nahm.

»Ein Freund«, kicherte Patingly fröhlich, »ein lieber Freund, sehe ich, was, Luke? Wo war es doch, dass er so freundlich zu uns war, erinnerst du dich?«

»In Fort Mason«, sagte Cardona finster. »Ich erinnere mich, Al, dass die Leute lachten, als er und dieser rothaarige Hundesohn Waller uns davonjagten. Ich mag es nicht, wenn jemand über mich lacht – du vielleicht, Al?«

»Ich?«, fragte Al Patingly. Er kicherte noch heftiger.

Er war ein hundsgemeiner Satan, nicht weniger brutal als Cardona, vielleicht aber einige Grade verschlagener. Der kleine, stämmige Mann stieß den Gewehrkolben blitzschnell herunter, mitten in Jims Bauch. Jims Oberkörper zuckte von selbst in die Höhe. Er sperrte den Mund auf, lief rot an und bekam schon wieder keine Luft mehr. Dann fiel er schlaff in den Sand zurück.

Al Patingly blieb neben ihm stehen, er kicherte jetzt wie ein Satan, der auf eine arme Seele wartete und sich frohlockend die Hände rieb.

»Siehst du, Luke, gleich lacht er«, gluckste Patingly. »Er wird schon rot, und das Maul sperrt er schön weit auf. He, lach doch endlich, Copper!«

Der Schmerz hatte Jim die Tränen in die Augen getrieben. Jake Ballard beugte sich über ihn, lachte hohl und sagte dann, während er sich an Luke Cardona wendete: »Er lacht Tränen, ich schwöre es. Sieh es dir an, Luke, er hat mächtigen Spaß!«

»Und siebenhundert Dollar für den Zuchtbullen bei sich«, erwiderte Cardona, »wenn der Hundesohn Conrads sie ihm nicht abgenommen hat, aber so was macht Conrads sicher nicht. Sieh nach, Al!«

»Verflucht, ja, die siebenhundert Böcke!«, stieß Patingly hervor. »Wo hat dieser Copper-Ableger die schönen Scheine denn gelassen?«

Er hatte es plötzlich verdammt eilig. Die Macheta, die er immer trug, schlug gegen sein krummes Bein, als er sich blitzschnell bückte.

Jim wollte etwas sagen, bekam jedoch keinen Ton hervor und wurde auf die linke Seite geworfen. Patingly hatte sein Gewehr niedergelegt, riss Jim die Jacke auf und griff mit flinken, teuflisch geschickten Fingern in sämtliche Rocktaschen. Als er auch in den Hosentaschen nichts fand, schleuderte er Jim auf den Bauch und tastete seinen Hosenbund ab.

»Na?«, fragte Luke Cardona ungeduldig. Er suckelte an seinem Zigarrenstummel wie ein Kind an seinem Schnuller, spie dann aus dem anderen Mundwinkel einige zerriebene, durchfeuchtete Zigarrenblattreste aus und kam näher.

»Nichts, verflucht!«, knurrte Patingly.

»Vielleicht hat er die Greenbacks in einem Beutel zwischen seinen Beinen, was?«

Ballard meldete sich mit einem nur zu ihm passenden hämischen Grinsen. Patingly packte Jim, warf ihn auf den Rücken und griff dann tastend zu.

»Da hat er ihn auch nicht«, stellte er bissig fest. Er hatte Jim hin und her geworfen, und Jim bekam wieder Luft. Es ging ihm so weit gut, dass er fühlte, wie ihn die Wut bei Patinglys rauer Behandlung packte. »He, du Missgeburt, wo ist das Geld?«

Jim schwieg. Er hätte reden können, aber er sah etwas. Luke Cardona war näher gekommen. Er stand nun etwas unterhalb von Patingly, der sich breitbeinig über Jim gestellt hatte.

»Willst du nicht quaken, Frosch?«, fragte Patingly giftig, als Jim nicht antwortete. »Hör zu, Mister, ich mag einige Dinge nicht. Zuerst Marshals, Sheriffs und alle sonstigen dummen Hunde, die es im Leben zu nichts weiter gebracht haben, als zu einem billigen Blechorden. Dann mag ich großkotzige Rancher nicht. Ferner habe ich nichts für deren Ableger übrig, weil sie immer ein gemachtes Bett vorfinden, wenn der Alte mal die Löffel abgibt. Bei dir kommt alles zusammen, verstehst du? Du redest jetzt, sonst zeige ich dir, wie man singt. Also, wo ist das Geld?«

Jetzt, dachte Jim und spannte sich unmerklich, macht der Halunke seinen Fehler. Dir werde ich helfen, mich wie ein Bund schmutziger Lumpen hin und her zu werfen und mich in den Bauch zu stoßen!

Patingly packte Jim am Hemdlatz, drehte ihn zusammen und holte mit der Rechten aus.

»Wie du willst, Copper-Bastard!«, fauchte er. »Da hast du die erste Lektion und …«

Und dann schwieg er.

Jim riss blitzschnell die Beine an, zog die Knie bis an die Brust und stieß die Beine dann steil nach oben. Seine Füße trafen Al Patingly in der Leistengegend. Der kleine Mann wurde hochgestoßen, flog dann mit weit aufgerissenem Mund hintenüber und verdrehte die Augen, dass nur noch das Weiße zu sehen war, ehe er Cardona vor die Brust krachte. Patinglys Hinterkopf knallte Luke Cardona mitten ins Gesicht.

Cardona stieß einen dumpfen, gurgelnden Laut aus. Sein Zigarrenstummel schoss ihm zwischen den Zähnen durch und steckte plötzlich in seiner Kehle. Danach kippte Cardona um. Patingly flog mit ihm den Hang ganz herunter. Sie landeten beide in der tiefsten Stelle der Senke.

Patingly blieb zusammengekrümmt und schrill wimmernd liegen, hielt sich mit beiden Händen den Unterleib, und sein Gesicht sah im Mondlicht grünlich verfärbt aus.

Luke Cardona rollte sich gurgelnd herum. Er blieb auf den Knien liegen, steckte sich, während er tiefrot anlief, zwei Finger in den Hals und spie dann den Rest seines noch nicht ganz verdauten Abendessens samt dem Zigarrenstummel aus, an dem er um ein Haar erstickt wäre. Danach hob Cardona langsam den Kopf.

Ballard war mit zwei Sprüngen seiner langen Storchenbeine neben Jim gelandet, hielt ihm das Gewehr an den Kopf und hatte den Finger am Abzug. Der Mann mit dem Totenkopfgesicht und den kalten Knopfaugen sagte kein Wort. Er sah Jim nur an, und Jim las in seinen kalten Augen nun doch etwas. Ballard schien sich zu freuen. Es war wirklich etwas wie Schadenfreude in seinen Augen.

»Ver…, verflucht!«, gurgelte Cardona. Er fuhr sich mit dem schon fleckigen, Fettspuren zeigenden Rockärmel über den dicklippigen Mund und stand schwankend auf. Dann starrte er angewidert auf die stinkende Brühe herunter, die er gerade ausgespien hatte. Sein nächster Blick traf Al Patingly. »Al, was ist mit dir? Konntest du elender Narr nicht aufpassen?«

Patingly stöhnte nur noch, er wimmerte nicht mehr wie ein Weib mit eingebildeter Migräne. Sein Gesicht war kreideweiß. Er hielt sich die Leisten, würgte und sagte dann mit einem pfeifenden Nebengeräusch in der Stimme: »Der – der hinterlistige Schweinehirte, er hat mich da getreten, wo es besonders schmerzt, Luke. He, warte, lass ihn mir!«

Er brachte die Worte nur mühsam heraus, und Cardona, der losgegangen war, blieb jäh stehen.

Selbst Ballard – roh bis ins Mark und eiskalt, wenn es galt, jemand umzubringen – selbst Ballard erstarrte nun und blickte auf den kleinen, aber breitbrüstigen Al Patingly, dessen lange Arme sich gegen den Sand stemmten.

Danach stand er auf. Dann griff Patingly mit der linken Hand die Lederscheide, packte mit der rechten den gekrümmten Griff der Macheta und riss die Klinge heraus. Es gab ein hohes und singendes Geräusch, als sie durch die Luft pfiff.

Jim sah in Patinglys Augen und wusste, dass der kleine Mann keinen Spaß machte.

Das Mondlicht traf die flirrende, blitzende Klinge. Patingly schwang sie hin und her in Streichen, als wenn er sich einen Weg durch eine Menschenmenge bahnen musste. Einen Schritt neben Jim blieb er stehen und hielt die Klinge still.

»Bring ihn hoch, er soll sitzen!«, befahl er Ballard. Seine kräftigen Hände hielten die Macheta wie ein Schwert, während er Jim wie ein blutgieriges Raubtier anstarrte. »Copper, du kannst dich gleich von unten betrachten, wenn dir dein Kopf zwischen den Beinen liegt.«

Ballard schluckte, und sein Adamsapfel verursachte beim heftigen Würgen ein knackendes Geräusch.

»Drück die Hände in den Sand!«, ächzte Ballard dann. »Setz dich auf, Copper!«

Jim biss die Zähne zusammen. Er hatte einmal gehört, dass jemand, dem der Kopf abgeschlagen wurde, gar nichts merken sollte – keinen Schmerz, nichts.

Vielleicht, dachte Jim, während er einsah, dass er keine Chance mehr hatte, stimmt es. Vielleicht erfahre ich es jetzt, wenn mein Gehirn noch eine Sekunde weiterlebt, wie?

Ihm war, als hörte er die Klinge hell singen und das Knirschen von sich spannendem Stoff über den Oberarmkugeln Patinglys.

Und dann sagte der Mann klar, knapp und eisig: »Wie schnell willst du tot sein, Al?«

*

Das scharfe Klicken eines Gewehrschlosses war das nächste Geräusch.

Al Patingly zuckte zusammen, als hätte ihn ein Peitschenhieb getroffen. Jim riss die Augen wieder auf, er sah Patingly mit hoch erhobener Macheta neben sich stehen. Patinglys Kopf war herumgefahren. Der kleine, stämmige Mann mit den langen Armen und dem Brustkasten eines Gorillas starrte zum Hang empor. Ballard hielt sein Gewehr gesenkt, und Cardona sperrte den Mund vor Schreck auf.

Jim wandte langsam den Kopf, er blickte zum Hang und sah den Mann zwischen den Kakteen mit angeschlagenem Gewehr stehen. Der Mann war groß, breitschultrig und trug einen Texanerhut. Es war der Hut, an dem Jim ihn erkannte, und es war die kühle und beherrschte Sprechweise, die Jim an den Tag erinnerte, der den Mann auf die Red Rock Ranch gebracht hatte. Damals war Clay Robin am Ende gewesen, doch er hatte klare und kühle Antworten auf die Fragen Buster Toms gegeben.

Robin hielt sein Gewehr auf Patingly gerichtet. Der kleine Mann mit der Macheta schien vor Schreck stumm zu sein, er sagte nichts, aber er senkte auch die Macheta nicht.

»Na, was ist?«, fragte Robin. Seine Stimme fiel wie das Wasser eines eiskalten Wasserfalls in die Senke herab. »Al, schlag zu, dann drücke ich ab! Weg mit dem Haumesser!«

Patingly schnappte jetzt nach Luft. Dann stieß er einen wütenden Laut aus.

»Verflucht noch mal, Clay, misch dich nicht ein!«

»Du siehst, dass ich es tue«, erwiderte Robin kalt. »Wer bestimmt hier?«

»Nicht du!«, zischte Patingly. »Das hier ist unsere Sache, Clay.«

»Nicht mehr, denke ich!«, gab Robin zurück. »Die Macheta weg, Al, das ist ein Befehl!«

Jim sah wie Patinglys Gesicht sich mit Schweißperlen bedeckte. Der kleine Mann fluchte wild, aber er gehorchte jetzt. Die Macheta senkte sich.

»Das ist eine verdammte Narrheit!«, giftete er dann. Sein Widerstand brach zusammen. »Wer weiß, wohin Conrads geritten ist, Clay. Weißt du es? Wenn dieser Copperbursche seinem Bruder eine Nachricht bringen kann und wir dann immer noch nach Conrads suchen, findet uns der Marshal vielleicht. Hast du dir das genau überlegt?«

»Ja«, sagte Clay Robin scharf. »Kein Mord, solange ich dabei bin. Ich habe euch gewarnt gehabt, mit Conrads zu spielen. Was immer passiert ist, es ist eure Schuld gewesen.«

Jim beobachtete Robin und bemerkte, dass Robin einen Bart trug. Damals war er bartlos gewesen, ein hilfloser Mann, verwundet und ohne Pferd beinahe in der Wüste verreckt. Robin hatte behauptet, dass ihn ein paar Mexikaner überfallen hätten und er sich dann weitergeschleppt hätte, bis er zusammenbrach und Buster Tom ihn fand, weil die Geier Robin bereits Gesellschaft geleistet hatten.

Sie hatten erst später erfahren, dass Robin vom Sheriff aus Apache Wells gesucht worden war. Er hatte mit zwei Partnern einen Viehhändler überfallen, war jedoch angeschossen und von seinen Freunden hilflos zurückgelassen worden, nachdem sie in der Wüste kein Wasser mehr gehabt hatten und er ihnen eine Last geworden war.

Clay Robin war ein seltsamer Mann. Er war damals verschwunden und hatte für Buster Tom einen selbst geflochtenen Wasserflaschenriemen zurückgelassen, eine kunstvolle Arbeit, die wohl eine Art Dankeschön gewesen war. Einige Tage darauf war dann Cliff mit einem Aufgebot erschienen, und sie hatten die Wahrheit über den »verrückten Texaner« erfahren.

»Du musst wirklich verrückt sein, Tex«, sagte Cardona mürrisch. Er steckte sich eine Zigarre zwischen die Lippen und schüttelte den Kopf. »Wir sind verdammt nahe an der Weidegrenze der Coppers, Mann. Kommt der Bursche frei, rennt er zu Fuß nach Hause. Den Rest, denke ich, kannst du dir ausrechnen, was?«

»Keinen Mord«, wiederholte Robin grimmig. Jim erinnerte sich, dass der Sheriff aus Apache Wells damals erzählt hatte, dass Robin ein ausgezeichneter Gewehrschütze sein sollte. Vielleicht gehorchten ihm die Burschen darum. Robin blieb oben stehen, und er war weit genug entfernt, um gegen ihre Revolver im Vorteil zu sein. Wie er zu diesen drei Halunken gekommen war, konnte Jim sich kaum vorstellen.

»Wir können ihn ja festbinden«, schlug Ballard vor. Er schielte zu Robin empor und schien froh zu sein, dass es nicht zu der »Hinrichtung« gekommen war. »Clay, er darf nicht zu früh die Ranch erreichen.«

»Das weiß ich selbst«, meinte Robin. »Mit euch Narren hat man nichts als Ärger. Es wird John nicht gefallen, fürchte ich.«

Jim hatte den Eindruck, dass die Erwähnung des Namens die drei Halunken noch unsicherer werden ließ. Wer immer dieser John war, sie schienen ihn zu fürchten.

»John muss es nicht unbedingt erfahren, was?«, sagte Patingly nervös. »Clay, sei vernünftig, wir bringen die Sache auf unsere Art in Ordnung.«

»Das habe ich gesehen, eine verdammte Art«, fuhr ihn Robin schroff an. »Nun gut, bindet ihn an. Tut mir leid, Copper, jetzt sind wir quitt.«

»Quitt?«, fragte Cardona, ehe Jim antworten konnte. »Was heißt das, Clay?«

»Buster Tom Copper hat mich mal aufgelesen, ehe die Geier mir die Knochen blankschnäbeln konnten«, brummte Robin. »Es ist einige Zeit her, aber ich vergesse nie etwas, nichts Gutes oder Böses. Niemand soll sagen, Clay Robin wäre undankbar. Nun macht schon, sonst holt ihr Conrads nie mehr ein. Diese verdammte Narrheit, fremdes Geld zu verspielen. Wenn man sich schon mal auf euch verlässt, dann ist man verlassen.«

Patingly fluchte leise vor sich hin. Er trat neben Jim, starrte ihn finster an und knurrte: »Da hast du Glück gehabt, du Bastard. Wenn du noch mal austrittst, hält mich auch Clay nicht zurück. Helft mir mal!«

Er riss Jims Beine steil nach oben und warf Jim dann auf den Bauch. Cardona und Ballard packten Jims Oberarme, und sie schleiften ihn zu den Kakteen.

»He, was habt ihr vor?«, fragte Robin misstrauisch. »Al, keine Quälerei, verstanden?«

»Er wird ganz bequem liegen, niemand quält ihn«, antwortete der kleine Giftpilz Patingly. »Mach dir keine Sorgen, ich will sicher sein, dass er nicht loskommen kann.«

Patingly ließ Ballard und Cardona neben Jim zurück. Dann schlug er in rasender Eile einige kleinere Kakteenschösslinge ab und schuf einen freien Platz zwischen den großen Orgelpfeifenkakteen. Robin kam näher, er sah finster zu und schwieg, während Cardona, Patinglys Busenfreund, breit und höhnisch grinste.

Es dauerte keine zwei Minuten, dann holte Patingly einen Strick, band ihn um Jims Beinfesseln und legte den Strick dann sehr hoch um eine Orgelpfeifenkaktee. Das zweite Strickende führte er unter Jims Armen durch, knotete es an der Handfessel fest und legte es um die nächststehende Kaktee hinter Jims Kopf. Er tat es auf die gleiche Weise, hoch und straff gespannt.

»Was wird das, wenn es fertig ist?«, fragte Robin düster. Er sah, dass Jim keinen Spielraum hatte, sich vor- und zurückzuschieben.

»Das siehst du gleich«, erwiderte Patingly. Er stieß wieder sein übliches Höllenfürstgekicher aus, zog die Macheta und hieb eine tiefe Kerbe in die eine Kaktee unterhalb des Stricks. »Was meinst du, was passiert, wenn er die Beine anzieht, he? Noch ein bisschen mehr Fleisch herausschlagen, was, Luke?«

»Ja«, stimmte Luke Cardona zu. »Schade, dass es keine giftigen Ochochillas oder Mescalinkakteen sind. Kennst du sie, Clay?«

»Sicher«, antwortete Robin. »Teufel, jetzt begreife ich. Copper, du wirst nicht loskommen. Verdammt, wie lange soll er so liegen?«

»Bis sie ihn finden«, sagte Cardona, während Patingly kicherte und eine Kerbe in die andere Kaktee schlug. »So, Mister, nun zieh mal die Beine an oder versuch dich zur Seite zu werfen, aber sieh dir vorher die langen Stacheln genau an.«

Jim biss die Zähne zusammen. Er sah, wie Patingly, der kleine Satan, mit der flachen Machetaklinge gegen die Kakteen drückte. Augenblicklich begann die Orgelpfeife zu schwanken, obgleich Patingly nur leicht drückte. Beide Kakteen waren so angehauen worden, dass sie nur nach einer Seite, also gegeneinander umstürzen konnten.

Jeder Versuch Jims die Kakteen umzureißen, musste dazu führen, dass die über ihn stürzten. Ihre langen Stacheln würden sich dann in seinen Körper bohren, die Widerhaken festsitzen und ihn nicht loslassen. Je mehr er sich dann bewegte, umso schlimmer würden die Haken festhalten.

Es war eine teuflische Falle.

»Verdammte Teufelei!«, fauchte Robin. »Hast du das auch von den Guerilleros in Mexiko gelernt, Patingly?«

»Das und einige andere Dinge«, erwiderte der kleine Mann kichernd. »Ich sage dir, die kennen Sachen, die gibt es gar nicht. Na, Copper, wie findest du das?«

»Genauso beschissen wie dich«, sagte Jim zähneknirschend. »Unsere Leute werden mich suchen, aber erst morgen. Wie soll ich es einen Tag, eine Nacht und vielleicht noch einen Tag aushalten?«

»Indem du still liegst und nicht an Wasser denkst«, lachte Cardona höhnisch. »He, Clay, was soll das?«

Robin war einige Schritte gegangen, hatte die von Conrads zurückgelassene Decke Jims aufgehoben und griff schweigend nach den Resten der herumliegenden Stricke.

»Der verrückte Texaner spinnt!«, fluchte Patingly. »Die Pest, du willst ihm doch wohl kein Sonnendach machen?«

»Genau das«, sagte Robin eisig. »Und nenn mich besser nicht noch mal verrückt!«

»Du bist verrückt, er … Aaah!«

Patingly brachte seinen Satz nie zu Ende. Obwohl Clay Robin beide Hände voll hatte, fuhr er blitzartig herum und trat zu. Patingly bekam den Stiefel Robins in den Bauch, fiel hintenüber und wälzte sich wimmernd am Boden.

»Noch jemand?«, fragte Robin eiskalt. »Du vielleicht, Cardona?«

Cardona wich angstvoll zurück. »Ich sagte nichts«, beteuerte er.

»Clay, Al hat es gar nicht so gemeint.«

»Nicht?«, murmelte Robin. »Ich stelle zwar manchmal verrückte Dinge an, aber ich lasse mich von euch nicht verrückt nennen. Patingly, du zweibeinige Ratte, geh mir aus den Augen, sonst schlage ich sie dir zu!«

Er machte die Decke an den anderen Kakteen fest, sodass sie wie ein Sonnensegel über Jim schwebte. Währenddessen kam Patingly wieder auf die Beine. Der kleine Mann warf Robin giftige Blicke zu. Ballard und Cardona zerrten ihn fort, und als sie verschwanden, sagte der seltsame Texaner mürrisch: »Freu dich nicht zu früh, Copper, es wird die Hölle, wenn die Sonne kommt. Ich kann dich nicht losbinden, das ist alles, was ich für dich tun kann.«

»Also hilfst du ihnen«, sagte Jim. »Warum, Robin? Du passt nicht zu ihnen.«

»Was weißt du davon, zu wem ich passe«, antwortete Clay Robin. »Ich muss ihnen helfen, aber frage nicht, warum ich es tue.«

»Einen Grund wirst du schon haben«, gab Jim zurück. »Ohne dich wäre ich tot, Mann.«

»Vielleicht«, sagte Robin brummig. »Wissen deine Leute, wann du zurückkommen wolltest?«

»Ja, und sie werden vielleicht etwas früher nach mir suchen, weil mich der Wüstensturm gezwungen hat, in eine andere Richtung zu reiten und Schutz zu suchen. Zudem ist El Toro hinter mir her gewesen, ich habe Verspätung.«

»Gut für dich, aber folge uns besser nicht«, warnte ihn Robin. »Du wirst es tun müssen, wenn du deine Pferde und das Geld zurückbekommen willst, dennoch wäre es nicht klug von dir. Noch einmal könnte ich dir nicht helfen.«

Er warf Jim einen mürrischen Blick zu, nahm sein Gewehr und ging davon. Jim starrte ihm nach, sah dann auf die Decke und fragte sich, ob sie das Gewicht der beiden riesengroßen und von Patingly angeschlagenen Orgelpfeifenkakteen aushalten würde, wenn er doch den Versuch unternahm, sich zu befreien. Das Mondlicht beschien die vier Deckenzipfel, an denen Robin die Stricke festgemacht hatte.

Es hat keinen Sinn, dachte Jim, die Decke trägt das Gewicht der beiden großen Kakteen niemals, und die Stacheln dringen dann wie Spieße durch die Wolle. Verdammte Geschichte, ich lebe noch, aber wenn sie mich nicht schnell finden, kann ich hier verdursten.

*

Der Geier hatte drei magere, nackte Hälse, drei gleichzeitig krächzende Krummschnäbel und äugte Jim aus sechs Augen starr an. Dann machte er einen seltsamen Hüpfer. Er kam in dreifacher Ausfertigung näher, und Jim stieß einen heiseren Schrei aus. Danach flatterte der Geier empor. Jim blinzelte heftig, sodass der Schweiß aus seinen Augenwinkeln rann und jene verdammten Schleier, die ihn alles dreifach sehen ließen, für einen Augenblick verschwanden.

Nach dem Schrei hatte Jim ein Gefühl im Hals, als hätte ihm jemand grobes Sandpapier in die Kehle gestoßen. Er konnte kaum noch schreien, er bekam wenig Luft und sah die anderen Geier überall auf den Kakteen hocken. Sie saßen dort wie Totenvögel, sie warteten darauf, dass er die Besinnung verlor und starb. Bereits am vorigen Tag hatten sie ihn entdeckt.

Zuerst hatte sich Jim wenig Gedanken um sie gemacht, aber dann war es Mittag geworden, die Hitze war gestiegen, und er hatte den Nachmittag damit verbracht, die Geier zu beschimpfen und durch Schreie hochzujagen. Sie waren auch in der Nacht bei ihm geblieben.

Er war eingeschlafen, aber in seinen Träumen hatte er die Geier über sich herfallen sehen, und er war alle Viertelstunden wieder erwacht. Schließlich war der nächste Morgen gekommen. Jim hatte sich frisch gefühlt, doch nun war es wieder Mittagszeit, die Sonne knallte herab, und Jim spürte, dass seine Kräfte nachließen.

Der Geier sank wieder herab. Er hüpfte näher, beäugte Jim und schien die anderen anzuführen. Anscheinend gab es eine Rangordnung unter ihnen. Er musste ihr Boss sein, dem die anderen den ersten vollen Schnabel zukommen lassen würden.

»Du dreckiges Mistvieh!«, krächzte Jim mit einer Stimme, die beinahe der eines Geiers ähnlich war. »Scher dich zum Satan, hau ab – hau ab, los, verschwinde!«

Diesmal hüpfte der Geierkönig nur einmal mit einem einzigen Flügelschwung hoch, setzte sich dann wieder und kam sogar näher. Jims Hals schmerzte. Er hatte sich gestern und am Morgen heiser geschrien, und er spürte nun, dass er in einigen Stunden keinen Ton mehr herausbringen würde. Der Schweiß rann ihm erneut über das Gesicht. Wie Jim den Kopf auch wendete, der Schweiß blieb in einer Augenhöhle stehen, und Jim musste den Kopf immer wieder von einer Seite zur anderen werfen, um ihn aus den Augenhöhlen zu vertreiben.

»Die Nacht überstehe ich noch«, ächzte Jim. »Den nächsten Tag nicht mehr. Mein Gott, wenn der Boss doch käme.«

Er lauschte, hörte jedoch nur das hässliche Krächzen der Geier. Manchmal bildete er sich ein, dass sie sich in ihrer Sprache über ihn und das Festfressen unterhielten, das er ihnen bald bieten würde. Ab und zu dachte er auch an Conrads, diesen Gauner, an die drei Halunken und den verrückten Texaner. Er bemühte sich auszurechnen, wie weit Conrads gekommen sein mochte, damit er nicht dauernd an die Geier denken musste.

»Hau ab!«, schrie er, als der Geierchef wieder einen dieser widerlichen Sprünge machte. »Du verfluchtes Vieh, hätte ich doch nur eine Hand frei! Du sollst abhauen!«

Der Geier blieb mit schief geneigtem Hals sitzen, und es kam Jim vor, als glitzerten seine Augen höhnisch. Dann hüpfte er wieder, erreichte beinahe Jims Füße und nickte mit dem Hals, als wollte er seinen Krummschnabel in Jims Fußsohlen bohren.

Ermattet ließ Jim den Kopf sinken. Er sah wieder alles doppelt und dreifach.

Ein schwacher Lufthauch strich durch die Senke, aber er brachte nur stickend heiße Luft aus den Kakteen mit. Jim würgte, schnappte nach Luft und fühlte, wie der Schweiß noch stärker rann. Wie lange sein Körper noch Flüssigkeit absondern konnte, wusste Jim nicht, aber er war sicher, dass er es ohne Wasserzufuhr keinen Tag länger durchhalten würde.

Die Benommenheit nahm zu, Jim glaubte ein Singen zu hören, schüttelte den Kopf und wunderte sich, dass die Geier nicht wieder herabflatterten.

Es dauerte einige Minuten, ehe er begriff, dass irgendetwas die Geier vertrieben haben musste. Entsetzt dachte er an einen Puma, hörte dann jedoch Hufschlag. Das dumpfe Tacken verstärkte sich, es näherte sich von Nordosten, bis jemand einen scharfen Schrei ausstieß.

»Boss, hier!«

Ein Pferd schnaufte, preschte den Hang herunter, und Jim sah verschwommen den Reiter auftauchen. Nachdem er zweimal heftig den Kopf geschüttelt und die Schleier verjagt hatte, erkannte Jim Hep Waller. Sein rothaariger Freund sprang aus dem Sattel, er nahm die Wasserflasche gleich mit, blieb dann aber stehen.

Hep Waller starrte verstört auf die eingekerbten Organpipes, stieß einen zischenden Laut aus und fluchte dann: »Die Hölle, wer hat das gemacht, Jim?«

»Einige freundliche Pilger«, erwiderte Jim krächzend. »Mach mich los, ich glaube, ich bin steif geworden!«

Er versuchte ein Lächeln, aber es wurde eine Fratze daraus. Das Salz seines Schweißes hatte sich auf seinem Gesicht wie eine grauweiße Puderschicht abgesetzt, war aufgerissen und bildete kleine Plättchen.

»Wer?«, fragte Waller mürrisch. »Eine Teufelei – doch nicht El Toro? Mann, hast du ein Glück gehabt. Old Hunkey Adams hat wieder mal nach Silber in den Cerros gesucht. Er hat El Toro gesehen und hat uns Bescheid gesagt, dass sich der verdammte Kerl wieder in der Nähe der Ranch herumtriebe. Daraufhin sind wir aufgebrochen. Der Boss hat sich, glaube ich, eine Menge Sorgen gemacht, dass du El Toro in die Hände gefallen sein könntest.«

Er schnitt Jims Fesseln durch, während der Hufschlag von rechts kam und Buster Tom Copper mit Harvey Smith, einem neu eingestellten Pferdepfleger, erschien. Jims Vater saß vorgebeugt und locker im Sattel. Er stieg nicht ab, und in seinem Gesicht war nicht zu lesen, ob er erleichtert war, dass er Jim einigermaßen heil gefunden hatte.

Jim trank in kleinen Schlucken. Er wusste, wie gefährlich es sein konnte, die Flasche zu leeren. Ein leerer, ausgedörrter Magen vertrug das lauwarme Wasser selten, und er hatte sich einmal drei Tage lang mit Durchfall geplagt.

Smith führte zwei Ersatzpferde mit, sie waren beide gesattelt, und das verriet Jim einiges über die Sorge, die sich sein Vater gemacht haben musste. Buster Tom hatte keine Zeit mit dem Umsatteln verlieren wollen, da Waller auch noch ein Pferd an der Longe hatte. Jim setzte sich mühsam auf.

Im ersten Moment drehte sich alles um ihn. Waller erkannte, dass Jim fertig war, doch er hielt ihn nicht fest. Buster Tom Copper hatte wenig Verständnis für Schwäche. Ein Mann hatte entweder zu sitzen, aufzustehen oder liegen zu bleiben. Fiel er um, war das ein Zeichen, dass er nicht sehr hart war, und an Buster Tom Copper war alles eisenhart. Er hatte seine Söhne zur Härte erzogen, und er mochte es nicht, wenn sie sich von jemand helfen ließen.

Hep Waller stellte den linken Fuß vor, sodass sein Knie Jims Rücken stützte und Jim nicht umkippte. Eine Minute lang blieb Jim wie betrunken sitzen. Das verfluchte Tal drehte sich um ihn, die Hügel hoben und senkten sich, und die Pferde schienen schief zu stehen. Danach wurde ihm besser, er griff noch einmal nach der Wasserflasche.

»Erzähl!«, sagte Tom Copper kurz. Er war kein Mann, der viel Worte machte, und wahrscheinlich kam nun nach der Erleichterung, dass Jim unverletzt war, sein Zorn wegen des Verlustes der beiden guten Pferde und des Geldes zum Durchbruch.

Jim stand auf. Ihm zitterten nach der vielstündigen Fesselung die Knie, und er hatte das Gefühl, dass er nicht länger als zehn Minuten auf den Beinen bleiben würde. Dennoch tat er genau das, was sein Vater von ihm erwartete. Jim blieb stehen, denn ein Mann sprach nicht im Sitzen zu einem anderen, der im Sattel saß.

Hep Waller knurrte während Jims Bericht leise und böse, dann fluchte er doch lauthals. Jim erzählte von den drei Halunken und Clay Robin. Er verschwieg auch nicht, was er über Conrads’ Beutegeld, das Conrads den drei Burschen abgenommen hatte, dachte.

»Das ist alles, Boss«, sagte er abschließend. »Sie haben über anderthalb Tage Vorsprung, und Conrads wird sich gehütet haben, sie zum Versteck seines Geldes zu führen. Es tut mir leid.«

Buster Tom sah ihn mit gefurchten Brauen an. Er schwieg, bis es Waller nicht mehr aushielt und herausplatzte: »Boss, wir können sie vielleicht doch noch erwischen. Ich denke nicht, dass Jeff Conrads wieder über die Grenze geritten ist. In Mexiko wäre er ein toter Mann. Die kleine Ratte Ratingly hat dort zu viele Freunde. Conrads wird nach Westen oder Osten geritten sein, vielleicht auch nach Norden. Er weiß, dass sie ihm dann kaum folgen werden, weil man sie überall sucht. Boss, Jim und ich schaffen die Pferde und das Geld wieder herbei.«

»Du und Jim?«, fragte Buster Tom kühl. »Diesmal nicht, Hep!«

»A…, aber, Boss!«, stieß Waller erschrocken hervor. »Boss, das können Sie nicht machen! Die drei Kerle sind gefährlicher als ein Sack voller Klapperschlangen. Er kann doch nicht allein hinter ihnen herreiten.«

»Er wird es«, sagte Buster Tom Copper schroff. »Jim, du hast gedacht, dass du El Toro abgehängt hast und darum ein Feuer gemacht. Du hättest kein Feuer machen dürfen, sondern kalt essen müssen. Habe ich dir das nicht gepredigt?«

»Ja«, gab Jim gepresst zurück. »Es ist mein Fehler gewesen. Ist gut, ich werde allein reiten, Boss.«

»Das – das geht nicht gut. Er ist halb tot, Boss«, keuchte Waller. »Boss, dabei kann er nur umkommen, die drei Kerle schafft er nicht in dem Zustand.«

»Du bist jetzt ruhig!«, zischte Buster Tom. »Ich habe entschieden, Hep! Ich habe euch zu oft zusammen reiten lassen, es muss einmal vorbei sein. In Jims Alter wäre ich mit drei Strolchen wie jenen fertig geworden. Hast du verstanden, Jim?«

»Ja, Boss«, antwortete Jim. »Ich bringe das Geld und die Pferde zurück, auch wenn es etwas länger dauert.«

»Das habe ich auch nicht anders erwartet«, brummte Buster Tom. »Hep, du tust doch immer alles für ihn, wie? Dann zieh deine Stiefel aus und gib ihm dein Gewehr und deinen Gurt samt Revolver!«

Hep Waller biss sich auf die Lippen, entledigte sich der Stiefel und sah Jim beklommen an.

»Mensch, wenn du nicht alle Sinne in Ordnung hast«, flüsterte er, »dann wage dich nur nicht in ihre Nähe, sie blasen dich um wie einen räudigen Straßenköter. Ich wäre lieber mitgekommen, Jim, aber …«

»Es ist mein Fehler gewesen, ich muss ihn ausbügeln«, erwiderte Jim leise. Er sah zu seinem Vater, der mit halb geschlossenen Lidern im Sattel saß und auf die Spuren im Sand blickte. Was immer Buster Tom dachte, Jim wusste es nicht. Er wusste nur eins genau, dass er reiten und die Burschen suchen würde.

Jim zog Hep Wallers Stiefel an, überprüfte das Gewehr und den Revolver. Dann bekam er den nötigen Vorrat. Buster Tom hatte genug mitgenommen, weil er mit einer längeren Suche gerechnet hatte.

»Robin«, sagte Buster Tom Copper plötzlich, »hat damals etwas gesagt, Jim. Er hat Fieber gehabt, und er hat im Fieber geredet. Ich erinnere mich, dass er von seiner Freundin geredet hat. Sie heißt Sue, wenn ich mich nicht täusche. Wahrscheinlich lebt sie irgendwo in New Mexico. Kann sein, dass dir das weiterhilft, wenn du weder ihn noch Conrads entdeckst. Sie soll in Silver City in irgendeinem Saloon gewesen sein. Merke dir das. Was willst du, Smith?«

Smith, der neue Mann, hüstelte verlegen.

»New Mexico?«, murmelte er dann. »Boss, es fällt mir gerade ein. Ich weiß etwas über diesen Spieler Jeff Conrads. Vor gut zwei Jahren habe ich auf der Summergate-Ranch gearbeitet, die nächste Stadt für uns ist immer San Lorenzo am Mimbres River in New Mexico gewesen. Dort habe ich Conrads mal mit einer Frau gesehen.«

»Und?«, fragte Buster Tom. »Seine Frau?«

»Ich weiß nicht«, gab Smith zurück. »Sie haben im Mimbres Hotel gewohnt, er hat dort gespielt. Ich glaube, sie haben mit der Kutsche reisen wollen, aber die ist überfallen worden, und sie haben auf die nächste Stagecoach warten müssen.«

»Welche Stagecoach, Smith?«

»Die von Silver City nach Gold Dust, glaube ich«, antwortete Smith. »Ich bin nicht ganz sicher, Boss. Jedenfalls hat Conrads mit der jungen hübschen Frau zwei Tage im Mimbres Hotel wohnen müssen, das weiß ich genau, Boss. Ich bin nicht sicher, aber ich meine, er wäre aus Gold Dust gekommen.«

»Sonst weißt du nichts, den Namen der Frau, ihr Alter?«

»Sie war jung, sehr jung. Ich denke, kaum zwanzig Jahre alt«, erwiderte Smith. »Eine schwarzhaarige, verdammt hübsche Person, Boss. Sie hat einen Ehering getragen, das weiß ich. Spieler wie dieser Gauner Conrads tragen selten einen Ring, weil der ihre Fingerfertigkeit beeinträchtigen könnte, Boss. Wir haben gedacht, sie wäre seine Frau, aber wenn Ihr Sohn den Spieler ohne sie gesehen hat? Kein Mann würde sich von so einer Frau trennen.«

»Du meinst, er hätte sie nach El Cantara mitgenommen, Smith?«, fragte Jim. »Hep, kannst du dich an eine besonders hübsche Frau in der Bodega erinnern?«

»No«, antwortete Hep Waller. »Ich erinnere mich nur an einige drittklassige Mexikanergirls. Die Frau wäre mir aufgefallen.«

Jim nickte. Hep vergaß nie ein besonders hübsches Girl.

»Nun gut«, meinte Buster Tom. »Jim, übernimm dich nicht, fang die Suche langsam an, unternimm nichts, wenn du müde und zerschlagen bist. Ich werde deiner Mutter berichten. Sieh zu, dass du ihr irgendwann weniger Sorgen machst.«

Jim war fertig, bekam den Braunen Heps und seines Vaters dunklen Wallach, den Buster Tom immer mitnahm, wenn er einen längeren Ritt vor sich hatte. Der Wallach war ausdauernd und schnell, er brauchte zudem wenig Wasser.

»Also, ich reite dann«, sagte Jim. »Es kann eine Weile dauern, fürchte ich, ehe ich wieder zu Hause bin.«

Er stieg auf, nickte Hep zu und griff vor seinem Vater kurz an den Hut. Dann zog er die Pferde herum.

»Jim!«

Er war vier Längen entfernt, als sich Buster Tom meldete.

»Sei vorsichtig«, sagte der Rancher. Es klang mürrisch und rau, und doch wusste Jim, dass es Buster Tom nicht leichtgefallen war, eine so harte Entscheidung zu treffen. »Pass auf dich auf, Sohn!«

»Ich werde es versuchen«, gab Jim zurück. Er fühlte sich müde und zerschlagen, drückte dem Braunen die Hacken ein und ritt neben der Spur im schnellen Tempo nach Südosten. Vor ihm lag die Fährte Conrads’, der Clay Robin mit den drei Halunken gefolgt war.

Das wird eine eisenharte Sache, dachte Jim. Es war seltsam, dass er weder Unruhe noch Angst verspürte, er war völlig ruhig. Ich glaube, der Boss will herausfinden, wie hart ich bin und was ich ertragen kann. Dennoch muss er mir zutrauen, mit drei kaltblütigen Halunken und einem Spieler fertig zu werden. Wohin mag Jeff Conrads geritten sein, und wo will er seine Verfolger abhängen? Jim dachte an den spärlichen Proviant, mit dem Conrads nicht weit gekommen sein konnte. Irgendwo musste sich Conrads versorgen, und Jim war sicher, dass er den Platz bald gefunden haben würde.

*

Der Mann mit dem verquollenen Gesicht und dem Pflaster über dem linken Auge, dessen Braue anscheinend dick wie ein Daumen war, nahm den Kopf herum. Am unteren Rand der Glasglocke, unter der Ziegenkäse ausgetrocknet und gelb lag, versuchten einige dicke Madenscheißerfliegen vergeblich durch eine Scharte in das Innere der Glocke zu krabbeln. Das Gesumme der anderen Fliegen erfüllte den Handelsstore der Canelo Station. Es roch nach Kerosin, Pfeffer, Chili und hundert anderen Gewürzen. Und doch hatte Jim das Gefühl, dass es immer noch etwas nach Pulver roch.

Im Futter der Tür zum Hinterraum war ein frischer Kugeleinschlag. Das Holz war braun gebeizt, das Kugelloch hell, und der Mann sah aus, als hätte ihn eine Dampfwalze überfahren.

Jim war nie in dieser Station gewesen. Er hatte von Pablo Canelo gehört. Man hatte ihm auch gesagt, dass der Mann, ein Mexikaner, der seit sechs Jahren in Arizona lebte, sofort an seinem goldgefassten Kneifer zu erkennen wäre, ohne den er angeblich nichts sehen konnte.

Die Beschreibung stimmte in allen Punkten. Der Mann war klein, dick und hatte nur wenige Haare wie einen Kranz um den sonst kahlen Schädel, einen Kugelkopf. Statt des goldgerahmten Nasenfahrrads trug der dicke Mann eine schäbige, leicht verbogene Nickelbrille.

Der Mann, der Canelo sein musste, sah zur Hintertür.

»Juan!«, schrie er dann schrill. »Juan, hier ist jemand, der fragt nach einem Spieler. Er soll gestern früh hier gewesen sein, als ich nach Huachuca gewesen bin. Juan, hast du hier einen Spieler gesehen?«

»Und die drei Männer«, sagte Jim finster. Er hatte aufgeholt, obgleich er zweimal je zwei Stunden geschlafen hatte. Seit gestern wusste Jim, dass Conrads volle zwei Tage geritten war und sich vor Hunger ganz sicher den Hosenriemen immer enger geschnallt haben musste.

Conrads war in die Santa Rita Mountains geritten, als wenn er nach Südosten und irgendwo am San Bernardo über die Grenze gewollt hatte. In Wirklichkeit hatte Conrads in den Bergen seine Spur verwischt. Da er es gründlich besorgt hatte, hatten Robin und die drei Grenzwölfe einige Stunden suchen müssen, ehe sie die Fährte wieder aufgenommen hatten. Doch das war nicht alles geblieben.

Der Spieler hatte den gleichen Trick noch einmal in den nach Canelo benannten Hügeln versucht und die Verfolger tatsächlich hereingelegt. Er war nicht nach Südosten, sondern plötzlich nach Nordosten geritten. Es musste auch einen Mann wie Robin verwirrt haben, dass Conrads die Richtung um fast neunzig Grad geändert hatte. Erst hier hatte Conrads sich neue Vorräte beschafft und zwei weitere Pferde ausgeliehen. Die Spuren am Corral draußen sagten genug.

Irgendwo hinter der Tür polterte es jetzt. Schritte tappten auf dem Lehmboden. Jemand kam schlurfend auf die halb offene Hintertür zu.

»Beeil dich, Juan, du verdammter Bursche!«, schrie Canelo wütend. »Immer langsam gehen, immer faul, was? Du faules Stinktier, ich werde dir Beine machen und …«

Er schrie ziemlich laut, doch Jim hörte jetzt etwas in seinem Rücken. Es war nichts als das Schurren und Knirschen jenes Sandes, der auf dem hartgestampften Lehmboden des Handelsstores lag.

Jim wendete jäh den Kopf, griff nach dem Revolver und bekam gerade noch den Kolben zu packen, als er den riesengroßen Schatten keine anderthalb Schritt hinter sich sah. Dann stieß ihn etwas mit voller Wucht an, jagte ihm in die Rippen und ließ seine Hand erstarren. Jims Blick zuckte herunter, ehe er dem Mann ins Gesicht blickte. Er sah die blauschwarzen Doppelläufe der Schrotflinte, dann das Gesicht eines Mischlings. Und dieses Gesicht sah genauso verbeult und zerschlagen aus wie das Canelo.

»Nimm Hand von Revolverkolben!«, sagte der riesenhafte Mischling giftig. Seine verquollenen Augen funkelten bösartig, seine geschwollene Unterlippe zuckte heftig, und er stieß die Mündung der Flinte nun mit brutaler Gewalt in Jims Seite. »Zurück an den Tresen, geh zurück, du Bandit, oder ich schießen dir Bauch entzwei!«

Er war barfuß, er hatte Füße von einer solchen Breite und Länge, dass er wahrscheinlich über einen Fluss laufen konnte, ohne zu versinken. Sein Hemd war schmutzig, bis an den Bauchnabel offen und zeigte eine muskulöse Brust. Die riesigen Hände hielten die schwere Schrotflinte wie ein Kinderspielzeug.

»Gut, gut, Juan!«, schrie Canelo im selben Augenblick. »Drück ab, wenn er Dummheiten macht! Du verdammter Strolch, haben wir dich? Von dir und deiner Sorte haben wir jetzt genug. In die Hölle mit dir!«

Im nächsten Augenblick griff Canelo unter den Tresen, und als seine Hand zum Vorschein kam, gab es ein hässlich rasselndes Geräusch.

Canelo ließ seine Hand einmal wippen. Aus dem Metallrohr schoss eine daumendicke Spiralfeder, an deren Spitze die pflaumengroße Bleikugel wippte. Den Totschläger in der Faust, kam Pablo Canelo hastig watschelnd jenseits des Tresens entlang und näherte sich der Klapptür zwischen dem langen Fronttresen und der angebauten Ecke.

Gleichzeitig öffnete sich die Hintertür. Jim sah nun, dass er blindlings in eine Falle gelaufen war. Aus der Tür trat eine Frau mit ergrauten und strähnigen Haaren, in deren Augen er nichts als Hass las. Sie schwenkte einen Feuerhaken in der knochigen Faust, sah Jim gehässig an und kreischte: »Schlagt den Banditen tot, bringt ihn um, haut ihn in Stücke, das unmenschliche Vieh!«

»Das werden wir«, versicherte Pablo Canelo giftig. »Noch einer von der Sorte. Er ist gerade richtig gekommen. Warte, du Missgeburt, dir werden wir zeigen, wie es ist, wenn man bei Pablo Canelo den wilden Mann spielen will! Du kannst deinen Freunden einen Gruß von Pablito bestellen. So ergeht es von nun an jedem von euch.«

Canelo öffnete die Klappe. Er war nur zwei Schritte von Jim entfernt, ließ die Kugel des Totschlägers einmal krachend gegen die Plattenkante knallen und lachte schadenfroh.

»Wenn wir mit dir fertig«, versprach Juan mit der Bissigkeit eines Mannes, dem man die Fäuste in Gesicht und Leib gedonnert hatte, »du wirst liegen auf Pferd, verfluchter Pferdedieb und Totschläger. Patron, nimm ihm Revolver weg!«

Du großer Geist, dachte Jim bestürzt. Ballard, Cardona und Patingly sind hier gewesen, und diese Narren halten mich für einen Freund der Burschen. Die Kerle haben rau gespielt, aber warum? Jetzt soll ich für ihre Teufelei bezahlen, was?

Pablo Canelo schob sich nun von der rechten Seite heran.

»Gib es ihm, Pablito!«, kreischte die Frau auffordernd. »Gebt ihm das Gleiche, was sie euch gegeben haben. Diese Bestien – male Hombre, valgame dios!«

Sie fluchte gehässig, während Pablo hämisch grinste und das Halbblut die Finger an den Abzügen der Flinte hielt. Wenn der Kerl abdrückte, war Jim ein Sieb!

*

Der Totschläger wippte, als Canelo näher kam, die Feder schnarrte misstönig, und die Kugel pfiff durch die Luft. Jim sah jene Lüsternheit in Canelos Augen, die nur aus der Rachsucht geboren werden konnte.

»Hund!«, zischte Canelo. »Herkommen, Leute bedrohen, halb totschlagen, was? Dir werde ich …«

»Halt!«, sagte Jim. »Canelo, ich warne dich, Mann! Conrads ist hier gewesen, die anderen Burschen auch, aber Conrads hat seine Spuren auf dem Herweg verwischt gehabt. Sie sind erst hier wieder deutlich geworden. Er hat zwei Pferde gehabt – meine Pferde, mein Geld, meine Sachen und Waffen. Der Bursche hat mich ausgeraubt. Hör zu, Mann …«

»Los!«, befahl Canelo giftig. »Schnell, Juan!«

Sie wollten ihm gar nicht die Waffe nehmen. Ihre Wut war zu groß, ihre Rachelust war nicht mehr zu bändigen. Da war noch einer gekommen, der nach dem Spieler gefragt hatte wie die drei Mann, die ihnen die Furcht eingeblasen hatten. Jetzt wollten sie sich rächen. Der riesige Mischling zog die Flinte blitzschnell zurück. Canelo sprang jäh vorwärts, holte mit dem Totschläger aus.

Jim hatte ihnen sagen wollen, dass er ein Copper war, aber er kam nicht mehr dazu. Sie ließen ihm keine Zeit mehr, sie gingen ihn an.

Er nutzte den winzigen Moment aus und tauchte vor der Schrotflinte tief herunter. Die Läufe schossen an ihm vorbei, statt ihm im Bauch zu landen. Gleichzeitig schwang Jim den rechten Arm herum. Es war ein Verzweiflungshieb nach Canelos Arm, dem Totschläger, der schon herabzischte. Canelo traf nicht, der Totschläger pfiff durch die Luft, die Hand prallte auf Jims Unterarm.

»Juan!«, brüllte Canelo. »Juan, schlag zu!«

Es war zu spät, denn Jim sah die nächste Chance. Vielleicht hätte Juan nicht barfuß hereinschleichen sollen. Als er zurückspringen wollte, trat Jim den Stiefel herunter. Er trat auf diesen einen Riesenfuß, mitten auf die schmutzigen Zehen.

Juan schrie nicht, er heulte wie ein Hund los. Sein Fuß fuhr in die Höhe, seine Hände senkten sich. Die Schrotflinte fiel zu Boden. Dann begann der Riese auf einem Bein zu tanzen. Dabei heulte er immer lauter, umklammerte seine Zehen, lief hochrot an und sperrte das Maul auf wie ein hungriger Walfisch.

Jim wirbelte herum. Da kreischte die Frau wie eine Furie los. Ihr Schürhaken fuhr in die Höhe. Sie wollte durch die Tresenklappenöffnung in den Vorraum. Aber da war noch Canelo mit seinem Totschläger. Der dicke Mann war zur Seite getaumelt und langsam, weil er zu fett war. Ehe er den Arm hochreißen und wieder auf Jim losgehen konnte, hatte Jim ihn erreicht und schlug ihm die Faust in den dicken Bauch.

Der Hieb trieb Canelo zurück. Der dicke Mann taumelte auf den Tresendurchlass zu, fiel gegen die hochstehende Klappe. Und die kippte um, knallte herunter.

Die Frau kreischte nicht mehr, sie wurde von der Klappe getroffen, ließ den Schürhaken fallen und fiel zeternd gegen das Warenregal, während der dicke Pablo Canelo halb über den Tresen stürzte.

In dieser Stellung erwischte ihn Jim. Er packte den dicken Kerl am Hosenboden und am Kragen, gab ihm einen Stoß, der Canelo über den Tresen fliegen ließ. Drüben kam Canelo auf. Er riss seine zeternde Frau mit um. Hinter Jim heulte der Mischling vor Schmerz, saß am Boden und knetete seine schmutzigen Zehen, wobei er von einer Gesäßbacke auf die andere schaukelte und die Augen verdrehte.

Irgendwo rechts hinter dem Tresen war der Totschläger verschwunden. Links im Vorraum lag die Schrotflinte auf dem Lehmboden.

Jim machte einen Satz, dann riss er die Flinte hoch. Der Mischling schrie nicht mehr. Er klappte den Mund zu, starrte in die Mündungen und wurde wieder blass. Canelo hatte sich kriechend zu seinem Totschläger bewegen wollen. Jetzt blieb er auf Händen und Knien wie ein fettes Warzenschwein liegen. Die Frau glotzte Jim wie den Teufel an, ihre Lippen bewegten sich, aber sie brachte keinen Ton hervor.

»Nein!«, sagte Canelo, als Jim die Schrotflinte schwenkte. »Nicht, Mister, nicht abdrücken!«

»Jetzt hast du Angst, was?«, fauchte Jim. »Du verdammter Narr, hast du mich nicht zu Ende reden lassen können? Weißt du, wer ich bin?«

»No«, schnaufte der dicke Mann. »Mister, gehen Sie. Ich will mit der verfluchten Sache nichts mehr zu tun haben. Ja, ja, sie sind alle hier gewesen, zuerst der Spieler … Conrads. Er hat noch zwei Pferde gekauft und mir zwanzig Dollar extra gegeben, damit ich den Mund hielt, wenn jemand nach ihm fragen sollte. Ich hab’s ja versucht, aber die Kerle schossen an meinem Kopf vorbei. Und als ich immer noch nicht reden wollte, haben sie auf mich eingeschlagen, diese Burschen. Gehen Sie! Sie wissen jetzt alles, was wollen Sie denn noch?«

»Das Geld – mein Geld«, antwortete Jim grimmig. »Er hat nur Zwanziger gehabt, stimmt es? Woher hast du ihn gekannt, Canelo?«

»Er ist schon einmal hier gewesen«, schnaufte der Dicke. »Damals, als Budd Spencer hinter ihm her gewesen ist, um seinen Bruder Charlie zu rächen. Conrads hat Charlie in Silver City am Spieltisch erschossen. Es war Charlies Schuld, bestimmt. Conrads ist ein ehrlicher Spieler. Verdammt, in was bin ich da geraten? Hol der Teufel Cardona! Der verfluchte Kerl hat mir auch nicht glauben wollen, dass Conrads nur Zwanziger gehabt hat. Er hat was von über dreitausend Dollar gefaselt, die Conrads bei sich haben müsste. Mein, Gott, ich habe das Geld doch nicht gesehen. Mister, was willst du, dein Geld – welches Geld?«

»Das Geld, das ich für unseren Bullen bekommen habe, du Narr«, knirschte Jim. »Sehe ich aus wie ein Loofer, wie ein Grenzwolf, he? Nun gut, ich bin unrasiert und staubig, aber du kennst meinen Vater, auch meinen Bruder, du gehirnloser, rachsüchtiger Schurke. Ich bin Jim Copper.«

Canelo hatte den Mund aufgemacht, da schloss er ihn wieder. Er starrte Jim verstört an.

»Co…, Copper?«, echote er dann. »Wer …, was …, der Bruder des Marshals? Buster Toms jüngster Sohn? Allmächtiger!«

»Ja, Allmächtiger!«, knurrte Jim gereizt. »Wenn dein abgebrochener Mischlingsriese Augen im Kopf gehabt hätte, hätte er das Brandzeichen der Pferde sehen müssen, ehe er hier hereingeschlichen ist. Und Conrads’ Pferde – sag nur, du hast dir Conrads’ Pferde nicht angesehen?«

»Nein«, beteuerte Canelo. »Er hat sie am Tümpel drüben stehen lassen, ich habe sie nur aus der Ferne gesehen. Es ist zu weit gewesen, um das Brandzeichen erkennen zu können. Zudem ist das Fell voll Staub gewesen. Copper, ich habe nicht gedacht, dass er sie gestohlen haben könnte. Er hat sie doch gestohlen?«

»Ja«, gab Jim zurück. »Der Kerl muss geglaubt haben, dass er Cardona und die anderen abgeschüttelt gehabt hat, sonst hätte er hier keine Spuren hinterlassen. Was hat er für die Ersatzpferde bezahlt?«

Canelo blickte zu Boden.

»Dreißig Dollar pro Graul«, sagte er dann stockend. »Bei Leuten, die ich kenne, bin ich nicht so, Copper, ich …«

»Du bist ein Lügner!«, unterbrach ihn Jim eisig. »Ich wette, du hast ihm sechzig Dollar für jeden Gaul abgenommen. Dazu hast du noch zwanzig Dollar für dein Schweigen erhalten, und für wie viel Geld hat er Vorräte gekauft? Ich bin sicher, er hat zusammen hundertfünfzig Dollar bei dir gelassen. Das Geld her, Mann!«

Canelo verfärbte sich, rang die Hände und stand jammernd auf.

»Ich bin ruiniert«, lamentierte er. »Mein Gott, ich bin erledigt. Cardona hat frische Pferde verlangt. Sieh dir an, was er mir im Corral gelassen hat. Meine besten Pferde haben die Kerle mitgenommen und nur den halben Preis bezahlt. Copper, wie habe ich wissen können, dass Conrads mit gestohlenem Geld bezahlt hat? Ich bin arm, ich bin am Ende.«

»Das Geld!«, forderte Jim grimmig. »Wird’s bald?«

Canelo verschwand zeternd durch die Hintertür. Der Mischling blieb am Boden sitzen, die Frau jammerte, sie wären nun bankrott. Dann kam Canelo zurück. Mit verbissenem Gesicht schob er Jim das Geld zu.

»Man kann niemand mehr trauen«, sagte er mürrisch. »Wenn du Conrads siehst, dann sage ihm, dass ich eine Anzeige schreibe. Er hat frische Pferde und wird längst über die Grenze sein, so schnell holst du ihn nicht ein.«

»Über die Grenze – hat er das gesagt?«, fragte Jim.

»Ja, er hat gesagt, er hätte Freunde in Mexiko, die ihm helfen würden. Wenn der verdammte Kerl mich doch vor Cardona gewarnt hätte. Er hat gesagt, er hätte mit ein paar Burschen gespielt und ihnen das Geld abgenommen, und nun seien sie hinter ihm her. Aber kein Wort, dass es sich um die drei Halunken gehandelt hat, kein Wort, verflucht noch mal.«

»Dein Pech«, erwiderte Jim trocken. Er steckte das Geld ein, warf die Schrotflinte aus der Tür und ging hinaus. »Wenn Conrads nach Mexiko geritten ist, fresse ich meinen Hut, Mann.«

Jim warf die Außentür hinter sich zu, stieg auf den Wallach und ritt an. Er war sicher, dass Conrads immer weiter nach Nordosten geritten war. Der Spieler war nach New Mexico unterwegs. Jim hatte das Gefühl, dass er ihn nicht mehr einholen würde …

*

Jim blieb ruckartig stehen und sank sofort hinter dem Baumstamm zu Boden. Sein Herz begann plötzlich wie irr zu schlagen, und er wusste nun, dass er das Ende der Fährte erreicht hatte. Die Pferdehufe hatten eine schmale Fährte im taufeuchten Gras zurückgelassen, sie führte vor Jim zwischen die Bäume. Die Schatten der Pferde wurden deutlicher, als sich Jim geräuschlos vorwärtsschob. Jim umklammerte seinen Revolver, blieb am Rand der Lichtung liegen und lauschte. Nichts rührte sich, nur das leise Rauschen des Nachtwindes an dieser geschützten Talseite, das durch die Baumkronen fuhr, war zu hören. Keine hundert Schritt weiter fuhr der Wind brausend durch das enge Tal des Big Tree Creek, pfiff heulend durch öde Fensterhöhlen und wimmerte in den Spalten der Bretterwände längst verlassener Häuser. Jim kroch langsam weiter, erreichte das erste Pferd und richtete sich zwischen ihm und dem nächsten behutsam auf. Die Pferde standen am Rand der kleinen, einsamen Waldlichtung. Links von Jim drängte sich Patinglys Gaul am grobknochigen großen Pferd von Luke Cardona. Du großer Geist, dachte Jim verstört, ich habe es befürchtet, ich habe zu spät kommen müssen. Der Vorsprung war nicht mehr einzuholen. Kein Posten hier? Er nahm das Messer zwischen die Zähne, sank wieder lautlos herab und kroch neben den Ersatzpferden her.

Ballards Gaul stand genauso gesattelt wie die anderen beiden Pferde an einem Baum, und Jim begriff nun, dass die drei Halunken hier vollkommen sicher gewesen waren. Ihre Fußspuren liefen durch das Gras am Rand der Lichtung zum Bachufer hinab. Sie waren fortgegangen, und die Zigarrenstummel auf der Lichtung verrieten, dass sie lange gewartet hatten. »Verdammt!«, zischte Jim leise. Er nahm die sechs Stummel hoch, fühlte die geringe Wärme des einen und biss sich auf die Unterlippe.

»Cardona hat hier gelegen und geraucht – drei Stunden, was? Jede halbe Stunde eine Zigarre. Die Burschen haben gewartet, bis es ruhig in Big Tree geworden ist. Dann erst sind sie los, und es ist noch keine zwanzig Minuten her.«

Was Jim befürchtet hatte, war also eingetreten. Seit vier Tagen hatte Jim die Spur der Männer verfolgt. Am vierten Tag war sie in den Peloncillo Mountains so wenig zu sehen gewesen wie die Fährte des Spielers. Conrads hatte die Verfolger am großen Bogen des Gila Rivers abgeschüttelt. Er war ihnen entkommen, und als Jim die Spuren der Verfolger erneut gesehen hatte, hatte er gewusst, dass sie einen halben Tag vergebens nach der Fährte Conrads’ gesucht hatten. »Ich habe es geahnt«, murmelte Jim beklommen.

Er lief los, folgte der Spur im Gras und fluchte leise. »Canelo hat ihnen von den Spencerbrüdern erzählt. Charlie Spencer ist damals von Conrads am Spieltisch in Silver City erschossen worden, und das bricht Conrads jetzt das Genick.« Es lief Jim eiskalt über den Rücken, als er an Silver City dachte. Aus irgendeinem Grund hatte sich Clay Robin in den Peloncillos von den anderen drei Halunken getrennt, die nach der erfolglosen Suche auf schnellstem Weg nach Silver City gejagt waren. Nur vier Stunden hinter ihnen war Jim gewesen, und er hatte sie nicht mehr einholen können.

Als Jim nach Silver City gekommen war, hatte er erfahren, dass Patingly, Cardona und Ballard in jenem Saloon gewesen waren, in dem Charlie Spencer von Conrads erschossen worden war. Cardona hatte sich nach Conrads erkundigt und erfahren, dass Conrads eine Schwester besaß. »Die Pest!«, knirschte Jim. Er erreichte den Bach, sprang über die Steine in seinem flachen Bett zum anderen Ufer und blieb jäh stehen. Der Wind fegte hier heulend um einen halb verfallenen Schuppen. »Die Schwester – die junge hübsche Frau, die Smith mit Conrads einmal in San Lorenz gesehen hat. Sie hat hier gewohnt, und sie musste immer noch hier sein. Darum ist Conrads hergeritten, hat aber seine Spur in den Peloncillos so gelöscht, dass die Kerle sie nicht wieder entdecken konnten. Die Schwester soll den einzigen Saloon in Big Tree haben und mit einem Mann namens Powell verheiratet sein. Verdammt noch mal, das Nest ist tot, hier leben keine zehn Familien mehr. Das Einzige, was hier noch zu finden ist, sind Bäume, aber kein Silber mehr.«

Jim sah niemand und rannte weiter. Die Fährte der drei Männer lief jetzt an einem schief stehenden Staketenzaun entlang, der vom Unkraut manchmal überwuchert wurde. Hier gab es mehr niedergedrücktes Gras, und Jim erriet, was passiert war. Wahrscheinlich hatte Ballard den Spitzel gemacht, war am frühen Abend hier entlanggeschlichen und hatte den Store beobachtet. Cardona, der stinkend faul war, war bestimmt auf der Lichtung geblieben, während Patingly die Verbindung zu Ballard gehalten hatte. Dabei hatte Patingly das hüfthohe Gras am Zaun niedergetrampelt.

Big Tree lag inmitten der Berge. Silver City war kaum fünf Reitstunden entfernt. Die Grenze nach Arizona konnte man nach dreißig Meilen erreichen, und der Weg zum Gila River am Summit Mountainsbogen war auch nicht viel weiter. Dennoch gab es hier kaum Menschen, obgleich Big Tree nach den Worten des Salooners aus Silver City einmal siebenhundert Einwohner gehabt haben sollte. Dann waren die beiden Minen erschöpft gewesen, und Big Tree war so schnell gestorben, wie es entstanden war. In Big Tree gab es jedoch immer noch ein Sägewerk. Die Berge lieferten das Holz, das von Transportwagen in die fast baumlosen Südecken von New Mexico und Arizona gebracht wurde. Der Salooner in Silver City war nicht sicher gewesen, ob Conrads’ Schwester noch in Big Tree war, Jim aber war es nun. Jim hatte das Nest zu Fuß umgangen. Er war vorsichtig genug gewesen, seine Pferde im Wald zu lassen, und er hatte zwei Dutzend leer stehende Häuser gesehen, das Sägewerk, den großen Holzplatz, das leere Mar­shalsoffice und den Saloon mit Store. »Der Teufel soll die Kerle holen!«, stieß Jim durch die Zähne. Er wusste nun, dass sie längst im Saloon waren. »Die Powells wohnen immer noch hier, und jetzt haben sie Besuch bekommen. Ein Glück, dass ich nicht blindlings zum Saloon geritten bin. Ich wette, ich wäre Ballard und Patingly in die Arme gelaufen. Die Halunken haben gewartet, bis alles ruhig gewesen ist. Die Hölle, was war das?« Jim hatte das letzte Haus vor dem Saloon erreicht. Er blieb geduckt hinter dem Stall stehen, als durch das Heulen des Windes und Geklapper einiger loser Giebelbretter ein dumpfer Schlag zu hören war.

Von hier aus konnte Jim den hohen Seitengiebel des Schuppens und des Hauses sehen, in dem die Powells wohnen mussten. Zwischen wucherndem Gras und vom Wind gepeitschten Büschen hindurch war jenseits der Straße das Sägewerk zu erkennen. Ein einsames Licht einer im Wind schwankenden, an einem Haken baumelnden Laterne tauchte die Wand des Sägeschuppens in diffuses Licht. Sonst gab es nirgendwo ein erleuchtetes Fenster oder eine Laterne. Big Tree, die fast gestorbene Stadt in den südlichen Ausläufern der Mogollon Mountains, schlief jetzt. Jim hatte das Gefühl, in einer toten Stadt voller unheimlicher Geräusche, winselndem Wind, klappernden Dachschindeln, leerer Fensterhöhlen und überwucherter Gräber zu stehen. Ihn fror, als er an Jeff Conrads dachte. Der teuflische Zufall hatte Canelo über die Spencers reden lassen, und sicher hatte sich Cardona Hoffnungen gemacht, dass Conrads nach Silver City geflohen war, wo er Hilfe beim Sheriff finden konnte. Darum waren sie nach Silver City geritten, und das Pech hatte es gewollt, dass die drei kaltblütigen, schurkischen Halunken dort von Joan Powell, Conrads’ Schwester, erfahren hatten. Jetzt waren sie hier, und wenn es auch so schien, als wäre alles ruhig, drei Männer waren noch verdammt lebendig und munter. Ein anderer Mann jedoch halb tot, wenn er wirklich bei seiner Schwester geblieben war. Wen Cardona, Patingly und Ballard haben wollten, den bekamen sie auch. Und was immer sie wissen wollten, sie erfuhren es todsicher. Jim schüttelte sich, als er an die rauen und unmenschlichen Methoden der drei Kerle dachte. Fiel Jeff Conrads den Burschen in die Hände, dann war er so gut wie tot.

*

Das ist ein Narr, dachte Patingly voller hämischer Schadenfreude, glaubt er wirklich, dass man durch ein Tor gehen muss, wenn man irgendwo in einen Hof gegen will?

Sie waren über den hohen Bretterzaun gestiegen und längst hinter ihm. Aber der Mann ahnte es so wenig, wie er wusste, dass sie es wie Ratten verstanden, irgendwo einzudringen. Der Mann ging nun vom Stall zum Zaun. Seine Laterne beleuchtete einen Moment die Stelle, an der sie über den Zaun gestiegen waren.

»Al!«, zischte Cardona. »Alles fertig?«

»Sicher«, erwiderte Patingly grinsend. »Wetten, dass er hier gewesen ist, wenn es auch keine Spuren von ihm oder den Pferden gibt? Denk doch an sein Geld! Wenn du morgen tot sein könntest, würdest du deiner Schwester dann nicht sagen wollen, dass du irgendwo Geld versteckt hast – viel Geld, he?«

Cardona nickte nur. Er spreizte und schloss die Finger, dass die Gelenke leise knackten.

Ja, dachte Cardona und suckelte an seinem Zigarrenstummel, den er auch jetzt noch nicht aus dem Mund nahm, er hat recht. Das ist es, was der Kerl getan hat, darum ist er hergeritten. Ich hätte es auch getan. Wenn er sterben muss, dann soll sie wenigstens wissen, dass er eine ganze Menge Geld versteckt hat.

»Er kommt«, flüsterte Patingly und presste sich an die Wand des Schuppens. »Er darf nicht schreien, Luke.«

»Der schreit nicht«, sagte Cardona. Er kauerte hinter der Regentonne an der Ecke. Sein Mann musste hier vorbeikommen, wenn er zur Hintertür des Hauses wollte. »Keine Sorge, bei mir hat noch keiner geschrien, der es nicht sollte, Al. Ruhig jetzt!«

Der Mann rüttelte an der Schuppentür, dann hustete er hohl. Sein Husten erinnerte Cardona an Clay Robin und dessen Lungenschwäche.

Der wird sich wundern, dachte Cardona. Aufgeben hat er wollen, der Narr Robin, nachdem wir keine Spuren von Conrads mehr hatten, Silver City? Blödsinn, hat er gesagt, ihr verschwendet nur eure Zeit, die Spur ist tot. Gebt es auf!

Es ist doch richtig gewesen, überlegte Cardona, wir haben doch den richtigen Riecher gehabt, was, Freund Robin? Bin neugierig, was du für ein Gesicht machen wirst, Mann.

Cardona war so kaltblütig, dass er sich erst auf die Ankunft seines Mannes konzentrierte, als die Schritte dicht vor der Ecke waren. Cardona saß still und reglos wie ein fetter Frosch hinter der großen Tonne. Das Licht fiel nun über die Tonne, schien jedoch nicht hinter sie.

Der Mann ging dicht an der Wand entlang, er humpelte leicht, trug die Laterne in der linken Hand. Das war sein Fehler, aber er ahnte ihn nicht, als er um die Ecke kam. Er machte zwei Schritt, den dritten schon nicht mehr. Cardona schoss in die Höhe, als der Mann an der Tonne vorbei war.

Narr, dachte Cardona, alter Narr.

Cardona sah das Gesicht eines alten Mannes – beleuchtet vom Laternenschein, zerfurcht, von Falten durchzogen, unrasiert und müde. Vorhin hatte er den Mann nur aus der Ferne gesehen, jetzt hatte er ihn vor sich.

Cardona war schnell, zu schnell für den alten Mann. Cardonas Hände schossen nach vorn, die Daumen waren weit nach außen gebogen, bereit, auf den Kehlkopf des Alten zu drücken.

Jetzt sieht er mich, dachte Cardona, er hört was und wendet den Kopf.

In derselben Sekunde nahm der Alte den Kopf herum, seine Augen weiteten sich jäh. Der Alte sah Cardonas Hände auf sich zuschnellen, sperrte den Mund plötzlich auf.

Cardona blickte dem Mann in die Augen, starrte ihm ins Gesicht, sah den schmalen Mund, den eisgrauen Oberlippenbart und die buschigen Augenbrauen. Und dann schnappten seine Hände zu, umschlossen den Hals des Alten, drückten ihn zusammen.

Schrei, dachte Cardona hämisch, nun schrei doch mal, Alter. Bei mir schreit keiner, bei mir nicht, wie?

Cardona riss mit seiner Bullenkraft den alten Mann wie eine Puppe herum. Cardona stand auf dicken Beinen fest und sicher, bis er den Alten herumgebracht hatte. Dann erst riss er das rechte Knie steil nach oben. Das Knie fuhr dem Alten in den Leib. Es traf voll, es jagte Cardonas Opfer die Luft aus den Lungen.

Der hat genug, dachte Cardona, genug, was? Al, du Narr, wo bleibst du denn?

Der Schatten war längst da, war nur nicht links vorbeigesprungen, sondern hart an der Tonne um den Alten gerannt. Al Patingly schnappte zu. Mit einer Hand packte er den Unterarm des alten Mannes, die andere ergriff den Tragbügel der Laterne. Danach drehte Patingly dem zusammensackenden Alten blitzschnell den Arm um und hatte die Laterne in der Hand.

»Los!«

Mehr sagte Patingly nicht. Er huschte davon, lief die sechs Schritt mit der Laterne, bis er unter dem Remisendach war und die Laterne herabdrehte, dass der Lichtschein immer dünner wurde. Zwielicht unter dem Remisendach – Zwielicht und ein Schatten – breit, groß, tapsig wie ein Grizzly. So kam Cardona nun an, den Alten am Hals nachschleifend.

Ein Schurren irgendwo an der Remisenwand, die leise, flüsternde Stimme Ballards im Säuseln des Windes: »In Ordnung, alles ruhig!«

Ballard stand draußen, er konnte die Hinterfront des Hauses und den Anbau überblicken. Ballard sah alles, auch das Nachbarhaus, den Zaun und die Kronen der beiden Bäume drüben am Schuppen.

Sie hatten immer zusammengearbeitet, sie waren aufeinander eingespielt und machten kaum Fehler.

Patingly stellte die Laterne auf den Bock des Wagens unter dem Remisendach. Cardona hob den Alten hoch, stieß ihn gegen die Wand. Das Licht war schwach, aber es schien dem Alten mitten ins Gesicht, weil die Laterne ein Spiegelblech hatte und der geringe Schein ausreichte, um den Alten leicht zu blenden.

Der alte Mann hatte nun ein feuerrotes Gesicht, seine Augen zuckten im Schmerz, der ihn marterte. Aus seiner Nase drang pfeifend die Luft.

Patingly kicherte wieder. Seine Hand fuhr in die Brusttasche, und als er sie herauszog, einmal kurz zucken ließ, blitzte es auf.

»Na?«, fragte Patingly mit einem höllischen Gekicher, dass selbst Ballard, der draußen stand, eine eiskalte Haut über den Rücken zog. »Na, mein Freund? Du wirst doch nicht schreien wollen, oder?«

Patinglys Hand fuhr hoch. Der Alte starrte entsetzt auf das Rasiermesser, seine Augen schlossen sich vor Schreck und Grauen. Der Alte hatte genug Luft, um atmen zu können, schreien konnte er nicht, denn Cardonas Daumennägel lagen genau seitlich des Kehlkopfes.

»Also«, sagte Cardona leise und drohend. »Wir haben einige Fragen, Alter, verstehst du? Du kannst sie beantworten, aber nur flüstern, klar? Wenn du schreien solltest, dann nimmt mein Partner das Rasiermesser.«

»Ja«, wisperte Patingly. In seinen Augen war ein bösartiges, teuflisches Glitzern. »Du merkst kaum was, sage ich dir, Alter. Der Schmerz kommt erst, wenn dir dein Kopf vor den Füßen liegt und du dich von unten ansehen kannst, hähä!«

Er kicherte höllisch, riss die Klinge einmal blitzschnell dicht vor der Nase des Alten her.

Der breite Brustkasten Patinglys erzitterte im unterdrückten Lachen des kleinen, krummbeinigen Burschen. Erinnerungen wurden jäh in Patingly wach. Erinnerungen an seine mexikanische Bürgerkriegszeit und einen Kerl, der nicht hatte reden wollen. Da hatte Patingly sein Rasiermesser genommen und dem Mann wenig später sein Ohr gezeigt. Sie hatten gebrüllt vor Lachen …

»Also, ich gebe deinen Hals jetzt frei«, sagte Cardona finster. »Versuch nichts, Mister, denn sonst bist du tot, klar?«

Er nahm die Hände zurück, aber nur um zwei Zoll. Dann sah er den Alten starr an. Der schnappte nach Luft, würgte, hustete wie verrückt.

»Hör auf zu husten, du Narr!«, zischte Patingly. »Reiß dich zusammen! Immer ruhig, dir wird gleich besser, Alter! Aber vergiss nicht – ein Schrei, dann bist du hin! Wer ist im Haus, he?«

»Nur meine Schwiegertochter.«

Einen Moment sahen sich Cardona und Patingly an. Sie hatten den Alten für irgendeinen Gehilfen gehalten, zu alt, um woanders Arbeit zu finden. Der Schwiegervater der Frau? Daran hatten sie nie gedacht.

»Dann heißt du Powell?«

»Ja«, gab der Alte dünn zurück. »James Powell. Ich – ich … Was wollt ihr?«

»Sie ist bestimmt allein?«, zischte Cardona. »Und dein Sohn, wo ist dein Sohn, he?«

»Mein Sohn?«, stammelte der Alte, sah sie groß an. »Der ist doch tot, vor zwei Jahren schon …«

Tot? Das hatten sie auch nicht gewusst. Sie hatten mit dem Mann gerechnet.

»Und sonst ist niemand da, auch im Hotel kein Mensch?«

»Niemand«, bestätigte der Alte mit pfeifendem Atem und zitternden Lippen. »Wer kommt denn schon her, nur Holzaufkäufer, und die auch selten. Leute, was soll das, was wollt ihr?«

Er riss die Augen weit auf, denn Patinglys Hand zuckte hoch. Das Rasiermesser lag ihm am Hals.

»Wo ist er, wo?«, flüsterte Patingly. »Los, raus damit! Wo ist er hin, wo hat er sich verkrochen, der Hund?«

»Wer – wer?«, ächzte der alte Powell. »Wen meinst du, Mann?«

»Wen schon, Conrads!«, giftete Cardona. »Spuck es aus! Wo ist er, wann ist er gekommen und wieder gegangen? Na, wird’s bald?«

»Conrads? Jeff?«

»Ja«, antwortete Patingly. Wut schoss in ihm hoch, weil der Alte ihn verstört ansah, sich verstellte, nichts von Conrads wissen wollte.

»Mensch, ich schneide dir den Hals durch. Versuch nie wieder uns anzulügen, sonst bist du fertig! Wo ist Conrads, wo?«

»Ich – ich weiß nicht«, schnaufte Powell. Sein Hinterkopf schlug gegen die Remisenwandbretter, aber dann konnte er nicht weiter zurück. Das Messer Patinglys presste sich gegen seine Haut. »Nicht, nicht! Ich, ich weiß nichts von Conrads, soll er etwa hier gewesen sein? Nicht, Mann, nicht! Ich weiß es bestimmt nicht, ich schwöre es.«

»Der weiß wirklich nichts«, bemerkte Cardona unterdrückt.

»Wo bist du gestern gewesen – abends?«

Die Antwort kam sofort und ohne Zögern.

»Bei Penrose, wir haben Karten gespielt, Mister. Du kannst ja fragen.«

Sie sahen sich an und fluchten leise. Der Alte log nicht.

»Also gut«, giftete Patingly, »wir glauben dir. Ist dir nichts aufgefallen? Deine Schwiegertochter, ist sie nicht aufgeregt, unruhig, he? Seit dem ges­trigen Abend ist sie bestimmt nicht mehr so ruhig wie sonst, oder?«

»Sie – ja, sie ist etwas unruhig, das stimmt«, gab der Alte zu. »Ich habe sie gefragt, sie sagt, es müsste am Wetter liegen.«

»Am Wetter!«, zischte Cardona höhnisch und packte den alten Powell am Kragen. »So, am Wetter, was? Jetzt pass mal auf, du Narr. Du tust genau das, war wir dir sagen. Wehe dir, du machst einen Fehler!«

Sie mussten ins Haus. Und er musste ihnen dabei helfen. Jetzt waren sie sicher, dass der Spieler hier gewesen war …

*

Das Würgen saß James Powell wie ein dicker Kloß in der Kehle. Er spürte, wie seine Knie immer heftiger zitterten und seine Hand so schweißig geworden war, dass sie die Laterne kaum noch halten konnte. Powell öffnete die Hintertür, blickte in den Flur, zog den Kopf zwischen die Schultern.

Du großer Gott, dachte der Alte, ich muss es doch tun. Sie bringen mich um, sie werden Joan auch töten, wenn ich nicht gehorche.

Die Hand war plötzlich neben ihm, sie stieß gegen die Tür, sodass sie ganz herumschwang und gegen die Wand schlug. »Dad?«

In der nächsten Sekunde tauchte das Messer vor ihm auf. Der große bullige Mann hielt es ihm vor die Augen.

»Ja, ich«, sagte Powell. Er hörte sich reden, doch seine Stimme kam ihm fremd und gepresst vor. »Alles in Ordnung, ich habe überall abgeschlossen, Joan.«

»Gut, Vater. Hilfst du mir noch?«

»Ja, sicher.«

Ihre Stimme kam aus dem kleinen Büro, einem Raum rechts im Gang, der vom Vorflur aus nach rechts und links lief, rechts zum Store und nach links in den Anbau, das eigentliche Lager, führte. Zwischen Store und Saloon war nur eine Tür, aber die war längst abgeschlossen.

Abschließen, dachte Powell, ich muss die Hintertür wie jeden Abend verschließen. Mein Gott, da sind sie schon.

Der kleine Mann mit den krummen Beinen schlich auf Socken an ihm vorbei und presste sich an der Ecke des Vorflurs gegen die Wand. Nur der bullige Kerl blieb bei Powell, hielt ihm nun aber das Messer an den Hals. Der hagere Bursche lehnte jetzt neben der Hintertür, den Colt in der Faust, die Mündung auf Powell gerichtet.

Cardona sagte nichts, nur sein Messer zuckte herum, zeigte zur Tür.

Powell schloss ab, legte sogar den Riegel vor. Dann ging er mit weichen Knien los, er trat fest auf die Dielen und dachte an Joan, seine Schwiegertochter. Dort hinten saß sie nun wie jeden Abend über dem Tageseinnahmenbuch. Im Store waren noch einige Dinge aufzuräumen.

Viele Kunden hatten sie heute nicht gehabt, es würde also nicht lange gedauert haben, bis sie zu Bett gehen konnten.

Früher waren sie manchmal erst zwei Stunden nach Mitternacht zur Ruhe gekommen, früher …

Sein Sohn hatte damals noch gelebt, war glücklich in diesem Haus gewesen und stolz auf seine junge Frau. Achtzehn war sie gewesen – damals. Und ganze zwanzig Jahre alt, als ein Miner der Silverstone-Mine ihren Mann erschossen hatte. Sie hatte so wenig weggehen wollen wie er, der alte James Powell. Da war das Grab, das sie beide hielt.

Vielleicht, dachte der alte Powell, vielleicht wäre sie längst weggegangen, wenn ihr Bruder Jeff nicht vor den Spencers hätte fliehen müssen. Budd Spencer war verrückt, nachdem Jeff seinen Bruder erschossen hatte. Nachgeritten sind sie Jeff, die halbe Spencer-Sippe. Zuletzt ist ihm nur noch Budd gefolgt, um ihn für Charlies Tod bezahlen zu lassen.

Der Narr Budd, von hinten hat er auf Jeff geschossen, und er hatte ihn doch noch erwischt. Die anderen Spencers haben Jeff geschworen, dass er, käme er jemals wieder nach Silver City, von ihnen getötet werden würde. Darum ist Jeff nicht hergekommen, darum hat er Joan geschrieben, sie solle warten, er würde irgendwann genug Geld haben, um irgendwo einen feinen Saloon zu kaufen und sie dann zu sich zu holen …

Der Alte zauderte plötzlich. Er war dicht vor der Tür zu jenem kleinen Büroraum.

Joan, dachte er, was wollen sie? Sind sie von den Spencers gekauft worden, jetzt, nach so langer Zeit? Warum sind sie nur hinter Jeff her, warum? Und warum hat sie mir nicht gesagt, dass er bei ihr gewesen ist, warum denn nicht? Das Messer war jäh da, saß ihm wie ein spitzer Dorn im Nacken, konnte blitzschnell zwischen die Nackenwirbel gestoßen werden. Dann war er tot.

»Geh!«, zischelte der große, bullige Bursche. »Gehst du?«

Aus!

Er ging. Ihm war schlecht, Schweiß perlte auf seiner zerfurchten Stirn. So bog er um die Bürotür.

Joan Powell saß am Schreibtisch, vor sich das Einnahmenbuch, in der Hand den Federhalter, den Kopf gebeugt. Das dunkle Haar fiel ihr über die Schultern nach vorn.

Der Alte sah auf das Haar, auf ihren Nacken.

James Powell hielt die Laterne nun so, dass der Spiegel das Licht blendend hell auf die sitzende Frau warf. Sie war schön, weiß Gott, sie war anständig, ehrlich und sauber. Und er kam sich wie ein feiger Lump vor, der vor Angst die Hosen voll hatte und tat, was diese verfluchten Kerle verlangten, die hinter ihm herschlichen, die Stiefel ausgezogen hatten – leise wie Gespenster waren.

»Bist du müde, Dad?«

Jetzt sah er das Messer. Es schwebte über seiner Schulter, die Spitze berührte seine Halsschlagader.

»Ja, schon«, sagte er stockheiser. Der Kloß in seinem Hals wurde immer größer. »Ich bin müde, Joan.«

Leise, schnell – so kam nun der kleine Teufel, dieser Hundesohn mit dem Rasiermesser. Er huschte an Powells linker Seite vorbei. Jetzt hielt er kein Rasiermesser in der Hand. Er hatte die Hände wie Geierkrallen vorgestreckt und trat lautlos hinter den einfachen Stuhl, auf dem Joan saß. Sein Gesicht zeigte ein Grinsen – so viel sah der Alte, aber er wusste nicht, warum der krummbeinige, breitschultrige kleine Halunke grinste.

Der Halunke Al Patingly dachte wieder mal an den Guerillakrieg und das Mädchen, das er einige Zeit besessen hatte. Das Mexikanergirl hatte auch so schwarzes und langes Haar getragen und eine Bluse mit einem runden Ausschnitt, in den er oft genug gegriffen hatte. Es gab nur drei Dinge, die für Patingly wichtig waren – Geld, Weiber und Fusel.

Jetzt, dachte Patingly und schnappte zu wie ein Raubvogel, krallte seine Hände um den Hals der jungen Frau, jetzt habe ich dich, was? Er packte sie, riss sie sofort nach hinten. Der Druck seiner Hände schnitt Joan Powell die Luft ab. Ihre Hand fuhr mit dem Federhalter über die Buchseite. Papier ratschte, die Feder brach ab. Dann fühlte sie, wie sie herumgerissen wurde. Patingly zerrte sie blitzschnell nach rechts, sodass der Stuhl herumschurrte und Joan ihren Schwiegervater sehen konnte.

Sie sah ihn, bekam keine Luft. Sie sah das Messer an James Powells Hals und Powells große, angstvolle Augen, den Schweiß auf seiner Gesichtshaut und das Zittern seiner Lippen.

Da war nur Schreck, danach erst kam das nackte Entsetzen.

Jeff, dachte sie entsetzt und spürte, wie diese Hände sie würgten, sie ersticken wollten, Jeff, um Gottes willen, Jeff!

»Ganz ruhig!«, zischte der Mann hinter ihr. »Nicht schreien, sonst stirbt der Alte, klar? Einen Laut von dir, und dann ist er hin, Baby!«

Jeff hatte sie gewarnt, Jeff hatte aber gehofft, dass sie niemals auf dieses verlassene Minennest kommen würden, niemals auf sie.

Aber sie waren nun da, kaum vierundzwanzig Stunden nach Jeffs Fortreiten.

*

Sie saß angebunden im Stuhl und blickte verstört auf den Schemel. Der große Bursche mit dem Bullenbeißergesicht kam mit ihm herein. Im Vorbeigehen fischte er sich eine Zigarre aus der Tonne auf dem Tresen. Es war eine kleine Zedernholztonne, wie sie nur von Marsh aus Wheeling in Ohio verschickt wurden. In der kleinen Ziertonne, die man auf jedem Tresen in diesem Land fand, streckten noch ein halbes Dutzend Zigarren.

Cardona biss das Ende der Zigarre ab, dann spie er es im Bogen mitten in den Store, dessen Fenster sie verhängt hatten.

»Sie weiß nichts«, sagte Patingly. Er wechselte einen Blick mit dem an der Tür stehenden Ballard, dessen Totenkopfgesicht einen grämlichen Ausdruck trug. »Luke, ob sie glaubt, dass das hier ein Spaß ist? Ich habe versucht, es ihr klarzumachen. Sie begreift es aber nicht und sagt, er wäre nie hier gewesen.«

»So, sagt sie das immer noch?«, fragte Cardona. Er stellte den Hocker unter den mittleren Deckenbalken, stieg herauf und nahm die große Lampe vom Haken.

»Jake«, sagte er sanft. »Komm mal, mein Freund!«

Jake Ballard ging los, den Strick in der Hand.

Joan hatte ihn nicht sehen können denn Ballard hatte schräg hinter ihr gestanden. Nun sah sie den Strick und wurde noch blasser.

»Was – was soll das?«, flüsterte Joan Powell beklommen. »Hören Sie, was wollen Sie mit dem Strick?«

»Du denkst doch, dass dies ein Spiel ist, was?«, fragte Cardona und sog genüsslich an seiner Zigarre. Er suckelte wie ein Säugling. »Na, dann machen wir mal ein Spielchen auf unsere Art, Mrs Powell, klar?«

Patingly brach in höllisches Gekicher aus. Er stand hinter Joans Stuhl, die Hände an ihrem Hals.

»Feines Spiel«, sagte er. »Wird dir mächtig Spaß machen, Baby, wette ich!«

Sein Blick wanderte zum Tresen. Dort lag der Alte gebunden am Boden, ein Knebel steckte ihm zwischen den Zähnen.

Cardona ging nun hin, packte den Alten wie ein Bund Flicken am Kragen und schleifte ihn mit, bis er unter dem Haken war. Ballard hatte den Hocker bestiegen, das Seil um den schweren Haken gelegt.

»Nein!«, keuchte Joan, als Ballard eine Schlinge machte. »Nein, das – das könnt ihr doch nicht machen, das doch nicht! Vater, sie machen nur Spaß, habe keine Angst, sie bluffen nur!«

»Oh – oh – oh!«, lachte Cardona. Es hörte sich an, als hustete ein Coyote. »Wir bluffen nur? Du gehörst zu der Sorte, die nie was begreifen will, was? Du musst es lernen, Mrs Powell, und du wirst es jetzt!«

Er lachte noch einmal, dann stieß er den Alten zum Hocker. Ballard und er stemmten Powell hoch, und Ballard nahm Maß.

»Ist gut«, sagte Ballard näselnd, seine Knopfaugen glänzten. »Das reicht, halte ihn fest, Luke!«

Er legte einen Knoten um den Haken, machte dann die Schlinge weit auf, und Cardona schob den Alten hoch, bis er mit dem Hals in der Schlinge steckte.

»Ihr – ihr Schurken, ich …«

Joan Powell kam nicht weiter. Patinglys Hände drückten wieder zu.

»Nicht doch!«, sagte Patingly finster. »Du sollst leise sprechen. Haben wir dir das nicht gesagt, he? Also, willst du nun reden und nichts als die reine Wahrheit sagen, nichts sonst? Wo hat sich dein sauberer Bruder versteckt?«

Sie tun es nicht, dachte Joan Powell, das wagen sie nicht. Gut, der nächste Sheriff ist einen halben Tag entfernt, aber hier leben raue Frachtfahrer, hier sind noch genug Männer, die Bretter und Balken fahren, sie wagen das niemals.

»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte sie, nachdem Patingly ihren Hals losgelassen hatte. »Hört zu, ihr Burschen, ich habe ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Wie oft muss ich euch das noch sagen? Er ist nicht hier gewesen, bestimmt nicht.«

»Schwörst du das?«, erkundigte sich Patingly hämisch. »Sicher, du leistest jeden Eid, was? Der verfluchte Kartentrickser war nie hier, den kennst du gar nicht mehr, wie? Nun gut, wie du willst. Wir hängen den Alten auf, vielleicht fällt dir dann ein, ob er hier gewesen ist?«

Der Alte war kreidebleich, seine Augen weit geöffnet und die nackte Angst nun in ihnen. Er begriff das, was Joan noch nicht erkannt hatte. Sie waren Mörder, sie blufften nicht.

Flehend sah er Joan an, aber er kannte ihre Härte, er wusste, wie starrsinnig sie sein konnte und wie sie an Jeff hing. Jeff hatte sie, nachdem ihre Eltern gestorben waren, mitgenommen, für sie gesorgt, auf sie aufgepasst. Sie würde ihn nicht verraten, solange sie noch glaubte, dass die Kerle sie nur einschüchtern wollten.

»Ich habe ihn nicht gesehen, begreift ihr das nicht?«

Ihre Antwort kam kühl und beherrscht, und der Alte fror, weil er nicht reden und ihr zuschreien konnte, dass sie sich täuschte, dass sie reden musste, weil diese Kerle über Leichen gingen.

Der Alte spürte das raue Seil an seinem Hals, schlotterte an allen Gliedern.

»Sie will nicht«, stellte Cardona finster fest. »Nun gut, dann …«

Die Burschen wagen es nicht, dachte Joan, sie wollen mich zwingen, aber ich schweige, ich weiß von nichts. Was denn, was machen sie denn …

Plötzlich presste ihr Patingly wieder den Hals zusammen. Und dann sah sie, wie der bullige Mann blitzschnell ausholte. Er trat gegen den Hocker. Der bekam einen Stoß, dass er zur Seite schoss und es dem Alten die Beine wegriss. Von Grausen gepackt starrte Joan Powell auf die Schlinge, als der alte James fiel, der Hocker krachend auf die Seite stürzte und das Seil sich jäh straffte.

Joan Powell sah ihn hängen, seine Beine zucken und seinen Hals in der grausamen Schlinge. Da schrie sie und vergaß doch, dass die Hände ihren Hals umklammerten und kein Ton aus ihrer Kehle dringen konnte. Der fürchterliche Anblick des am Balkenhaken hängenden alten Mannes war zu viel. Plötzlich tauchte eine schwarze Wand vor ihr auf und fiel über sie.

Als sie zusammenrutschte und leblos in den Fesseln hing, holte Luke Cardona blitzschnell mit seinem Messer aus. Das Seil zerplatzte, der Alte fiel die zwei Fuß tief und landete am Boden. Keiner rührte sich, sie starrten alle auf den zappelnden, in seinen Fesseln zuckenden Alten hinab. Da lag die Schlinge mit ihrem Doppelknoten, den weder Joan noch James Powell erkannt hatten. Sie hatten nicht geahnt, dass die drei Kerle nie vorgehabt hatten, den Alten aufzuhängen, dass sie zu genau wussten, wie sehr sie ihn noch gebrauchen konnten.

Furcht einblasen – das hatten sie gewollt. Ihr Plan stand längst fest, und es passte nicht in ihre Absichten, dass der Alte starb.

»Ob sie jetzt redet?«, fragte Cardona finster. »Verdammt, was ist das Weib zäh!«

»Das hab ich doch gleich gesagt«, knirschte Patingly. Er war wütend, weil bei ihm alle Langhaarigen zu gehorchen hatten. Er hatte nie Widerspruch geduldet, und wenn eine Langhaarige es doch gewagt hatte, dann nur einmal, weil er sie halb totgeschlagen hatte. »Du hast was vergessen, Luke, die ist von ihrem vierzehnten Lebensjahr an mit dem verfluchten Kartenhai von Stadt zu Stadt gezogen. Was glaubst du, was sie an Saloons gesehen, was für Männer sie kennengelernt hat, he. No, nicht so, wie du wieder denkst, Ballard. Mit Männern hat sie nichts gehabt, der Kartenhai hat wie ein Schießhund auf sie geachtet. Frage einen Mann aus, lege ihm einen Strick um die Gurgel, und er wird sich überlegen – ganz logisch und folgerichtig –, dass er sterben muss, wenn er nicht redet. Eine Frau wie die da ist ganz anders.«

»Sie sind alle gleich«, sagte Ballard wegwerfend. Er hatte sich nie was aus Frauen gemacht. »Lange Haare und wenig Verstand, Mann.«

»Nein!«, erwiderte Patingly. »Nein, Irrtum! Du Narr … Ihren Bruder verrät sie nicht, denn er hat sie aufgezogen, ist immer für sie da gewesen, begreift das endlich. Mit Drohungen erreicht ihr bei dem Weib nichts.«

Er fluchte wild, riss sein Halstuch herab und stopfte es als Knebel in Joans Mund. Dann hob er ihren Kopf in den Nacken und schüttelte sie wie wild.

»Schafft den Alten weg, schnell!«, keuchte er. »Sie soll denken, dass er hin ist. Den Strick auch wegbringen, mach schon, Ballard!«

Es dauerte eine Weile, ehe Joan Powell die Augen aufschlug. Zuerst sah sie sich verstört um, dann aber flog ihr Kopf in Richtung des Balkenhakens herum, ihre Augen weiteten sich vor Grausen.

»Na, siehst du ihn?«, erkundigte sich Patingly höhnisch. Er hatte ihre Stuhlfesseln gelöst, zwei Stricke, mit denen sie sie nur flüchtig angebunden gehabt hatten. Ihre Hände und Beine waren gefesselt geblieben. »Den hast du auf dem Gewissen. Hörst du, du hast ihn umgebracht. Dir werde ich …«

Er hasste sie, er hatte alle Frauen gehasst, die nicht getan hatten, was er von ihnen verlangt hatte. Seine Wut brach sich Bahn. Er packte Joan Powell, warf sie über seine Schulter und trug sie zum Stofftisch, von dem er die Stoffballen herabfegte. Dann warf er sie auf den Tisch, holte den Strick und band sie an. Er sah, wie ihr Gesicht hochrot anlief, wie sie verzweifelt und voller panischer Furcht versuchte zu schreien, und es doch nicht konnte. Sein Mittel begann zu wirken, jetzt wusste er, wie er sie bekam.

»Du blöde Gans!«, fauchte er. »Du redest, sonst mache ich das, was dir verdammt nicht gefällt, klar? Also, wo ist er? Er ist hier gewesen, gib es zu, nicke! Nicken sollst du, verdammt noch mal, nicken! Er ist hier gewesen. Nickst du bald?«

Sie schüttelte den Kopf, aber es war mehr die Verzweiflung. Im nächsten Augenblick packte er zu. Seine klobigen Finger krallten sich um die Knopfleiste ihrer Bluse.

»Du willst nicht?«, fauchte er in wilder Wut. »Jetzt pass mal auf, jetzt …«

Und dann zerriss er mit einem Ruck ihre Bluse. Da lag sie, die Bluse zerrissen, die Brust frei, denn das Hemd war mit in Stücke zerfetzt worden.

Einen Moment starrte Patingly gierig auf ihre weiße Brust. Es überkam ihn beinahe, aber er beherrschte sich im letzten Augenblick.

»Den Rock auch noch, was?«, krächzte er, kämpfend mit tierhaftem Verlangen und dem Rest der eiskalten Überlegung. »Am Ende wirst du wünschen, tot zu sein. Was denn, was, du nickst, du starrst mich an und nickst? Willst du etwa reden?«

Verdammt, dachte Ballard angewidert, er hat es geschafft, er weiß doch immer alles, der verdammte Lump. Es gefiel Ballard nicht, aber er machte mit, weil sie es herausbringen mussten und keine Zeit hatten. Da war die Angst vor jenem John, die sie antrieb, denn John würde ihnen den Verlust des Geldes nie verzeihen.

Patingly griff zu, zog die zerfetzte Bluse zusammen, riss Joan den Knebel aus dem Mund. Sie sah in sein wildes Gesicht, ihre Tränen ließen es nun verschwimmen.

»Wo?«, fragte Patingly. »Wo hat er sich verkrochen, he? Hör gut zu, Baby, euch geschieht nichts, er soll uns nur zeigen, wo er das Geld versteckt hat, dann könnt ihr beide verschwinden. Das ist ein Versprechen, verstanden? Also, wo ist er?«

»In – in der alten Pueblo Mine.« Sie sagte es schluchzend, hielt die Augen geschlossen.

»Und das ist die Wahrheit?«, bohrte Patingly. »Wenn du lügst – ich sage dir, wenn du uns anlügst, dann ist es aus mit dir!«

»Es ist wahr«, antwortete Joan Powell dünn und zitternd. »O ihr Teufel, ihr werdet ihn umbringen, ich weiß es.«

»Nein«, brummte Cardona finster. »Wir wollen nur das Geld. Hat er dir nicht gesagt, wo er es versteckt hat, he?«

Joan Powell zitterte am ganzen Leib.

»Nicht genau«, gab sie zurück. »Er hat gesagt, dass er einen Plan machen würde, den ich lesen könnte.«

»Was für einen Plan?«, fauchte Patingly. »Warum hat er ihn dir nicht gleich gegeben? Er hat damit rechnen müssen, dass wir ihn doch erwischen, also, warum nicht gleich?«

»Er – er will ihn auf die Rückseite einer bestimmten Kartenreihe einziehen. Mehr weiß ich nicht«, stöhnte Joan Powell erschöpft. »Es soll die Family-Card sein.«

»Familienkarte?«, fragte Cardona verstört. »Was ist das denn? Nie davon gehört. Du vielleicht, Al?«

Patingly schüttelte den Kopf, dann packte er Joan an den Haaren.

»Was ist das für eine Reihe?«

»Unsere«, erwiderte Joan mit zuckenden Mundwinkeln. »Herz-König und Herz-Dame sind Vater und Mutter. Wir haben als Kinder unsere eigenen Spiele gehabt und uns immer neue ausgedacht. Er hat sich einige neue Spielkartenpäckchen mitgenommen.«

»Verdammt schlau, der Kartentrickser, was?«, sagte Cardona bissig. »Na gut, wir werden dich mitnehmen, Mrs Powell, verstehst du? Du zeigst uns den Weg, du wirst vor uns sein und ihn dann anrufen. Und wenn er nicht gehorcht, dann kann er zusehen, was mit dir wird. Jake, hol den Alten her!«

Als sie ihren Schwiegervater gesund, wenn auch kreidebleich und zitternd wiedersah, brach sie in Tränen aus und schluchzte: »Dad, ich – ich habe nicht geglaubt, dass sie es tun würden. O mein Gott, ich habe Jeff verraten, ich Närrin. Es tut mir leid, Vater.«

Er sah sie an und schüttelte – stumm wegen des Knebels – den Kopf. Er hatte es kommen sehen und sah danach zu Boden, ehe man ihn neben den Tisch fallen ließ.

»Dad, was werden sie mit uns tun?«, fragte sie angstvoll. »Dad …«

»Genug geredet!«, schnitt ihr Patingly das Wort ab. Er ging zum Regal, nahm eine der dort liegenden Blusen heraus und kam zurück. »Ich mache dir die Hände frei, dann ziehst du das an! Geredet wird jetzt nicht mehr, erst recht nicht geschrien, wenn wir mit euch draußen sind. Luke, ich traue ihr nicht, sie könnte so verrückt sein, draußen ein Geschrei anzustimmen. Los, den Mund auf!«

Er gab ihr wieder den Knebel, sah zu, wie sie die Bluse überzog und band ihr dann die Hände.

»He, Jake, hol mehr Stricke, wir brauchen einige, um sie fest an die Pferde zu binden. Geh schon, Mann!«

Patingly ließ Joan Powell am Tisch auf den Dielen sitzen.

»Bewegt euch ja nicht!«, drohte er. »Wir brauchen noch ein paar Dinge für den Rückweg, was, Luke? Vergiss deine Zigarren nicht.«

Luke Cardona nickte finster. Er dachte an das Kartenspiel, das Jeff Conrads auf der Rückseite gezeichnet hatte. Der Kartenhai hatte todsicher sämtliche Karten bekritzelt, sodass es aussah, als hätte ein Kind sie mit einem Bleistift bemalt. Und doch musste eine bestimmte Kartengruppierung dann den Plan zeigen, der seine Schwester zu dem Versteck seines Geldes geführt hätte.

Verflucht gerissen, dachte Cardona mit widerwilliger Bewunderung und steigender Besorgnis, darauf wären wir nie gekommen. Wir müssen sehen, dass wir den Kerl lebend erwischen. Vielleicht hat sich der schlaue Fuchs noch etwas einfallen lassen, was?

Er sah sich mürrisch um. Sein finsterer Blick fiel auf die junge hübsche Frau, und er dachte daran, was Patingly mit ihr machen würde, wenn sie das Geld erst mal hatten. Patingly konnte wie ein Tier sein, wenn es um Frauen ging. Dann sah er zur Tür, durch die Ballard in den Flur verschwunden war, um Stricke zu holen.

Ich brauche eine neue Hose, dachte Cardona, ich brauche auch zwei Hemden. Die hier – sein Blick wanderte wieder zu den Gefangenen – die brauchen nichts mehr, was?

Er ging zum Regal und hörte Patingly kramen. Im Lagerraum war Ballard verschwunden, sonst war niemand im Haus – oder doch?

*

Etwas hatten sie vergessen, das Schlafzimmerfenster Joan Powells. Es stand immer noch offen, und der Mann war bereits aus dem Zimmer. Er war jetzt am unteren Ende der Treppe, hatte die Stiefel ausgezogen und den Colt in der Faust. Dann huschte er an der Bürotür vorbei, sah das Licht aus dem Lagerraum in den Gang fallen und hörte Ballard leise brummeln.

»Mist!«, murmelte Ballard. »Verdammter Mist, lauter dicke Seile, nur kein dünner Strick mehr. Nun ja, Holzfahrer brauchen dicke Seile. Von denen sind genug da, ganze Taurollen. Oha, da ist ja doch noch eine Rolle, was?«

Er sah sie hinter den dicken Taurollen, bückte sich, zerrte die dünne Seilrolle hoch.

Im selben Moment kam der Mann herein.

Ballard, dachte Jim grimmig und schlich auf ihn zu. Ballard, du hagerer Schurke, habe ich dich?

Ballard schnaufte, zerrte die Rolle an zwei dicken Taurollen vorbei und kniete auf der dritten.

»He, Jake, wo bleibst du denn?« Im Store rief Patingly leise.

»Ich komme schon«, antwortete Ballard. Er sah sich nicht um, er wuchtete die schwere Rolle hoch und wollte aufstehen. »Verflucht, ist das Zeug schwer!«

Er schob den linken Arm durch die Rolle.

Im selben Augenblick schlug Jim zu. Der Coltlauf knallte Ballard von hinten über den Kopf und ließ den hageren Mann nach vorn kippen. Ballard stürzt auf die knarrenden Taurollen, rutschte ab, fiel schlaff auf die Seite.

Schnell, dachte Jim besorgt, nur schnell, sonst ist es zu spät.

Er sah auf Ballard hinab, entriss ihm den Colt und das Messer, warf beides in eine Kiste mit Putzwolle. Dann fuhr er herum, denn Patingly meldete sich schon wieder: »Jake, bring einen Sack mit, ich muss das Zeug verstauen. Beeil dich etwas, Mann!«

Jim machte kehrt, ließ Ballard liegen und zog die Tür zu. Dann drehte er leise den Schlüssel um und huschte durch den Gang, bis er um die Ecke in den Store sehen konnte. Er sah den Tisch, den alten Mann am Boden und die junge Frau. Sie saß mit dem Rücken an einem Tischstollen, den Blick zur Tür gerichtet, den Knebel im Mund. Ihre Augen weiteten sich jäh.

Rechts polterte etwas, rechter Hand war der Tresen, links zwei, drei Regale in einem Winkel, an denen Cordona stand und eine Hose mit gespannten Armen auseinanderhielt. Dann erst sah Jim Patingly.

Patingly kauerte in der Hocke hinter dem Tresen. Er hatte die Sachen, die er mitnehmen wollte, auf den Tresen gepackt und nahm nun einige Dosen aus dem zweituntersten Regalbrett. Patingly schob die Dosen achtlos zu den anderen Sachen auf dem Tresen. Einen winzigen Moment tauchte er hoch, um dann wieder zu verschwinden.

Im selben Augenblick sank Jim herab. Drei Schritt waren es bis zum Tresen, aber Cardona warf nun die Hose fort, wendete sich um. Jim zuckte zurück, blieb hinter der Tür geduckt stehen, hielt den Atem an. Er war nicht sicher, ob Cardona ihn nicht gesehen hatte.

Schritte jetzt … Cardona ging los, und Jim stiegen die Haare hoch.

»Was habt ihr denn hier für Zwerge?«, knurrte Cardona mürrisch. »Das sind ja Hosen für ein Kind, verdammt! Vielleicht passen die hier, was?«

Es schurrte, als wenn jemand einen Karton über den Boden schleifte. Die Schritte waren verstummt, Papier raschelte jetzt. Jim riskierte es, blickte wieder um die Tür. Und dann wusste er, wohin Cardona gegangen war. Der dicke, bullige Mann stand nun drüben in der Ecke am Ende des Tresens und war kaum drei Schritt von Patingly entfernt. Der kauerte hinter dem Tresen, saß dort so gut, dass er sich nur hinzuwerfen brauchte, wenn Jim beide anrief, um dann den Colt zu ziehen und hinter dem Tresen hervorzuschnellen. Patingly konnte sofort verschwinden, aber auch Cardona stand zu schlecht für Jim. Der bullige Bursche konnte hinter dem Tresen Deckung finden. Zudem stand er mit Patingly in einer Linie. Es gab nur einen Weg, den Jim noch sah – er musste zum Tresen, hinter ihn, und versuchen, zuerst Patingly zu erwischen. Noch hatte Jim eine Chance, aber sie war vorbei, wenn er wartete. Zweimal hatte Patingly nach Ballard gerufen. Rief er noch einmal, bekam er keine Antwort mehr, würde er misstrauisch werden.

Jim sank ganz herunter, kroch los. Die Frau blickte starr zu ihm hin, sie verfolgte ihn, bis er den Tresen erreicht hatte. An diesem Ende gab es einen schmalen Durchlass. Eine Kiste stand Jim im Weg. Er stieg vorsichtig über sie, bis er den Blick auf den Gang hinter dem Tresen frei hatte und Patingly sah.

Der kleine Mann kramte in einer Schublade. Neben Patingly stand die Zigarrentonne auf einer kleinen Bank, aber Patingly wandte Jim den Rücken zu.

Sieh dich nicht um, dachte Jim und kroch auf den Giftzwerg zu, kram nur weiter, du Schurke. Und jetzt …

Er war einen Schritt hinter Patingly, als der die Schublade zuwarf, in der Hocke herumkam und …

Aus, dachte Jim bestürzt, er sieht sich um.

Jim schnellte hoch, schwang den Colt herum. Und dann sah ihn Patingly, wollte sich zur Seite werfen und riss den Mund zu einem Warnschrei auf.

In derselben Sekunde flog Jim in die Seitenbewegung des kleinen Halunken hinein. Jim hatte geahnt, dass Patingly noch wegtauchen wollte. Er schlug knallhart zu. Sein Colt traf Patingly über dem linken Ohr.

Der kleine Kerl schrie nicht, er starrte Jim den Bruchteil einer Sekunde entsetzt an, ehe ihn der Colt erwischte und der Hieb ihn betäubte. Patinglys rechter Arm, mit dem er sich abgedrückt hatte, gab jäh nach.

Der kleine Mann kippte genau gegen die Bank. Aus seinem Sprung nach rechts würde nichts mehr, doch dafür stieß er die Bank um.

Die Zigarrentonne stürzte polternd von der Bank. Sie fiel dorthin, wohin Jim im selben Moment den Fuß setzen wollte, um zum nächsten Satz abzuspringen.

Was dann geschah, das kam zu schnell.

Jims Tritt landete auf der Tonne. Sein Fuß rutschte ab, sein Bein wurde ihm weggerissen. Statt sich abstemmen zu können, trat Jim ins Leere. Plötzlich schoss er vornüber, flog über den zusammengesackten Patingly, prallte mit voller Wucht gegen das Regal und riss im Stürzen ein Dutzend Konservendosen hinaus. Irgendwo blieb seine Hand hängen. Er spürte noch, dass das Regalbrett nachgab, herumschwang und ihm über den Unterarm knallte. Schmerz raste durch seinen Arm, ehe er zu Boden fiel und in einem wüsten Durcheinander von herabpolternden Dosen landete.

Jim krümmte sich instinktiv zusammen. Sein Colt lag irgendwo unter dem Regal. Er sah die Waffe nicht, aber er sah dafür im Aufstemmen Cardonas Beine.

Cardona war bereits beim ersten Gepolter herumgefahren. Kaum sah Cardona, dass Patingly erwischt worden war, als seine Hand zum Colt zuckte. Cardona ließ die Hose fallen und flog herum. Im letzten Augenblick begriff Cardona, dass er hier nicht schießen konnte. Ein Schuss musste trotz des scharfen und böigen Windes, der um die Häuser strich, gehört werden.

Copper, dachte Cardona, Copper, der verdammte Bursche, er hat sie erwischt, er hätte auch mich noch erwischt, wenn er nicht über die verdammte Tonne gefallen wäre. Warte, Hund, dir gebe ich dein Teil!

Luke Cardona stieß den Colt ins Halfter zurück, riss sein Messer heraus und sprang los. Er sah, dass Copper keine Waffe mehr hatte, holte zu einem wuchtigen Stoß aus und jagte die Faust nach unten.

In derselben Sekunde traf das Laternenlicht die Klinge. Es war wie ein Blitz, den Jim noch sah, ehe er sich Cardona entgegenwarf. Plötzlich erkannte Jim, dass Cardona jeden Lärm vermeiden und ihn lautlos töten wollte. Er ließ sich wieder fallen, krachte auf die Dielen, streckte sich jäh und bekam Cardonas linken Fuß zu packen.

Cardonas wilder Stoß verfehlte das Ziel. Jims Hand riss Cardona das Bein weg, und der bullige Mann verlor den Halt. Er wurde von der Wucht seines fehlgegangenen Stoßes nach vorn gerissen. Die Dielen rasten auf Cardona zu, sein Messer jagte hinein.

Augenblicklich stemmte sich Cardona ab. Er versuchte sein Messer aus der Diele zu reißen, doch es gelang ihm nicht. Ehe er die Klinge herauswuchten konnte, hörte er das scharfe Keuchen Coppers neben sich. Mit einem wilden Fluch ließ Cardona das Messerheft los. Er schlug blindlings die Faust herum, traf Jims Rippen, konnte auf die Knie kommen. In derselben Sekunde schmetterte ihm Jim die Faust mitten ins Gesicht.

Es war ein Hieb, der Cardona wieder auf den Rücken schleuderte. Verzweifelt riss der bullige Mann die Beine an. Dann stieß er sie dem anspringenden Jim Copper entgegen, doch der blieb stehen, bekam Cardonas linkes Bein zu packen und drehte Cardona den Fuß um. Cardona flog auf die Seite. Plötzlich sah er sein Messer wieder vor sich, wollte nach ihm greifen, bekam aber einen Stoß, der seinen Körper über die Dielen schob und seine Hand gegen die Klinge des eigenen Messers brachte. Die Schneide fuhr Cardona über den Handballen. Blut rieselte jäh an der Klinge auf die Dielen herunter.

»Du verfluchter Hund!«, gurgelte Cardona. »Ah, mein Bein, mein …«

Jim drückte ihm das Bein mit aller Gewalt an das Gesäß. Er wusste, dass Cardona so viel Kraft besaß, um ihn in einem offenen Faustkampf zu zertrümmern. Jetzt hatte er den bulligen Halunken einmal auf dem Bauch liegen, er musste ihn unten halten, das war seine einzige Chance.

Im nächsten Moment schnappte Jims Rechte zu und entriss Cardona den Revolver. Verzweifelt stemmte Cardona beide Hände gegen den Boden, sein Rücken krümmte sich, und Jim konnte Cardonas Bein mit der Linken nicht mehr halten. Es waren nur zwei Sekunden, die Jim blieben. Zweimal schlug er zu, knallte Cardona den eigenen Colt auf den Schädel, ehe es dessen Bullenkraft gelang, den Körper vom Boden hochzudrücken. Erst der zweite Hieb warf Cardona wieder um.

»Die Hölle!«, sagte Jim abgerissen. »Das war knapp. Dieser Bulle hätte mich erwischt.«

Jim zog sich mit fliegendem Atem am Tresen hoch. Dann sah er zu dem Alten und der Frau. Sie blickten ihm groß und ängstlich an.

»Augenblick«, sagte er mühsam. »Lady, ich mache Sie gleich los, ich muss mich nur erst um diese Halunken kümmern. Keine Angst, ich gehöre nicht zu dem Gesindel.«

Jim bückte sich noch einmal. Zuerst zog er Patingly auf die Beine, stieß ihn auf den Tresen und warf ihn an der anderen Seite herab. Danach packte er den wie tot auf den Dielen liegenden Cardona. Er schleifte ihn auch nach vorn.

Und dann hörte er das schwache Gepolter, fuhr jäh herum.

Ballard!, dachte Jim erschrocken, Ballard ist schon wieder aufgewacht … Ich muss hin.

Er spannte Cardonas Revolver und rannte los, stürmte in den halb dunklen Flur. Als er nach rechts umbog, um den Lagerraum zu erreichen, traf ihn der erste Hieb.

Irgendetwas schmetterte auf seine vorgestreckte Hand herab und schlug ihm den Colt aus den Fingern. Er sah die Waffe fallen, den düsteren Schatten hart hinter der Tür hervorspringen.

»Du Narr!«, sagte Clay Robin düster, ehe er noch einmal zuschlug. »Ich hatte dich gewarnt. Warum bist du uns nachgekommen?«

Der zweite Hieb traf Jims Nacken. Er hatte sich noch ducken wollen, als ihn Robins Schlag traf. Jim sah ein Meer von Flammen. Das war das Letzte, was er für mehr als eine Stunde sah …

*

Der Schmerz zerriss seinen Kopf. In seinen Ohren knatterte und brauste es. Dann kam die Eiseskälte wieder – Wasser! Irgendwoher schwang die hohntriefende Stimme an sein Ohr, sie klang grell und laut.

»Mehr Wasser, Luke!«

»Der Hund!«, sagte jemand tief und giftig. »Ich sagte doch, wir brauchten nur an Wasser zu kommen, dann würde er schon munter werden, was? Bist du bald da, Copper?«

Jemand riss ihn an den Haaren. Wasser klatschte in sein Gesicht. Jetzt sah er etwas – Bäume, einen schmalen Pfad und dicht neben dem Pferd das glitzernde Wasser eines Bachs.

»So macht man das.«

Es war Patinglys Stimme. Sie enthielt alles, was ein rachsüchtiger Mann fühlen konnte. Und dann kam der erste Hieb. Er traf Jims Kopf und ließ Funken vor Jims Augen aufspringen. Der zweite Schlag mit der flachen Hand schleuderte Jims Kopf gegen das wärmende Fell des Pferdes.

»Hört auf!«

Robin, dachte Jim verwirrt – der Schmerz ließ nicht nach, aber er konnte nun wenigstens denken – Robin ist also da. Er musste den anderen gefolgt und auf demselben Weg wie ich ins Haus gestiegen sein.

Robin …

»Das geht dich einen Dreck an, Clay!«, fluchte Cardona. »Der Hund hat uns von hinten umgeschlagen, er bekommt, was er verdient hat.«

»Ich sage, dass ihr aufhören sollt!«, fauchte Robin zornig. »Patingly, du Ratte, mach das nicht wieder, sonst lernst du mich kennen! Weg von ihm!«

»Paaah!«, stieß Patingly lang gezogen heraus, ließ Jim aber los. »Da hast du ihn, und jetzt?«

»Nichts«, sagte Robin finster. Er setzte Jim aufrecht hin und sah ihn mürrisch an. Im schwachen Mondlicht konnte Jim nun die Pferde, die Lady, den Alten und Ballard erkennen. Der Weg war schmal, von Gras überwuchert und führte steil bergan. »Copper, willst du einen Knebel haben oder deinen Mund halten? Wir sind in einer Stunde an der Pueblo Mine … Nun?«

»Hätte es Zweck, wenn ich ihn warne?«, fragte Jim mit wie gelähmter Zunge. »Du bist etwas zu früh gekommen, Robin. Zehn Minuten später …«

»Spät genug«, unterbrach ihn Robin finster. »Zerbrich dir nicht den Kopf über zu früh oder zu spät, Copper. Sie wollen den Spieler haben, und sie bekommen ihn auch.«

»Nie!«, sagte die junge Lady scharfzüngig. »Wenn ihr mich tötet, dann wird er euch nacheinander umbringen, ihr Schurken! Ihr glaubt doch nicht, dass er aufgibt, die Hände hochnimmt und aus der Mine kommt?«

Patingly stieß ein meckerndes Hohngelächter aus.

»Er kennt uns«, höhnte er. »Der Narr weiß genau, was dir blüht, wenn er nicht gehorcht, Baby. Ich kenne die Mine, er muss herauskommen, wenn wir es richtig anfangen. Na, was ist, Robin, willst du den Kerl nehmen?«

»Ja«, gab Robin kurz zurück. »Immer noch besser, als wenn ihr ihn hinten hättet und ihn unterwegs quälen könntet. Copper, keinen Fluchtversuch, verstanden? Du hättest keine Chance.«

Er ritt an, und Jim war es, als jagte man ihm tausend Nadeln ins Gehirn. Anscheinend hatten sie Joan Powell erzählt, warum er hinter Jeff hergeritten war, denn sie sah ihn scheu an, als er vorbeiritt.

»Mr Copper«, sagte sie dann dünn, »hören Sie, Jeff hat nicht nur seinen Spielgewinn versteckt, er hat sein gesamtes Geld bei sich gehabt. Es ist so viel, dass diese Kerle dafür den Teufel aus der Hölle ziehen würden. Vielleicht verstehen Sie nun, warum Jeff Ihre Pferde genommen hat?«

Jim nahm unter Nackenschmerzen den Kopf herum.

»Robin, ist das wahr?«

»Ja«, antwortete Robin unwirsch. »Es stimmt! Conrads hat mit seiner Freundin in Pedrigosa gelebt. Sie hat sein Geld gehabt, und Conrads hat es noch mitnehmen können, ehe Patingly und Cardona in das Haus gestürmt sind. Danach haben sie das Girl ausgequetscht, und sie haben die Höhe der Summe erfahren, sechzehntausend Dollar!«

»Waas?«, entfuhr es Jim. In diesem Augenblick spürte er sogar seine Schmerzen nicht mehr. »Darum – darum, jetzt verstehe ich … Madam, für das Geld bringen diese Kerle hundert Menschen um.«

»Sie werden Jeff nicht bekommen, ihn nicht und auch nicht sein Geld«, antwortete Joan Powell gepresst. »Er ist ein Spieler, und er wird immer noch ein Ass im Ärmel haben.«

»Oder ein Loch im Schädel, was?«, lachte Cardona hämisch. »Los, weiter, in einer Stunde haben wir ihn.«

In einer Stunde …

*

Steintrümmer lagen zu riesigen Haufen im ausgenagten Gelände unter dem steilen Hang. Links zogen sich die Schienen hin wie eine Doppelschnur – und rostig, verbogen – teilweise fortgenommen. Ein paar Pfosten standen noch dort, wo einmal ein Schuppen gewesen war.

In Jim stieg das Frösteln hoch und legte sich lähmend zwischen seine Schulterblätter. Es war wie eine Riesenfaust, die Jim an den Pfosten presste. Er sah den anderen Schuppen hart unter der ausgenagten Wand, den Schatten, der nun nach links kroch und zwischen den gewaltigen Steinbrocken unter ihr verschwand.

Es war Ballard, der dort kroch, gleich darauf kletterte und sich links jenes dunkel gähnenden Schachtlochs zwischen Felsen versteckte.

Es war totenstill in der Pueblo Mine. Der Schuppen lag mit leeren Fensterhöhlen achtzig Schritt vor dem Schacht. Dann stieg das Gelände an und endete an der steilen Wand. Drüben kroch nun Cardona, unverkennbar seine massige Gestalt, die sich hochzog, auf einen Felsbrocken stieg, wieder verschwand und dann doch auftauchte. Cardona lag nun schräg über dem Loch, das Gewehr vor sich, den Blick starr auf das Schachtmaul gerichtet.

Neben Jim schnaufte der Alte heftig durch die Nase. Er hing wie Jim an einem dieser Pfosten und sah jetzt Robin. Der Texaner zog Joan Powell mit, tauchte hinter einem Wall Steine nahe der Schienen unter. Er brachte die schwarzhaarige Lady bis zur Ecke des Walls.

Links hatte Patingly seine Position knapp unterhalb von Ballard erreicht. Ballard hob jetzt die Faust, stieß sie zweimal hoch. Auch Patingly gab das Zeichen. Cardona tat es ihm nach.

Herrgott, dachte Jim, es gibt nur einen Schacht, aber es soll viele Gänge im Berg geben, Stollen und Strebgänge. Sie haben keine Spuren gesehen, also ist er hier. Er kann Spuren auslöschen wie kaum jemand, obgleich er ein Spieler ist. Wenn es Spuren gäbe, wäre er nicht hier, so verrückt das ist. Er ist da, er hat sie vielleicht schon gesehen.

Jim fuhr zusammen, riss den Kopf herum.

Robin schrie jäh los.

»Conrads, hey, Conrads!«

Zwei-, dreimal wiederholte er den Ruf. Von der sechzig Schritt hohen Wand kam das Echo zurück.

»Conrads, ich weiß, dass du mich hörst. He, Mann, wir haben deine Schwester hier, ihren Schwiegervater auch. Conrads, komm heraus, gib auf, Mann, es hat keinen Zweck mehr! Du kannst deine Schwester jetzt hören!«

Er sagte irgendetwas. Es war zu weit, um sein Geflüster verstehen zu können. Dann rief die Frau, deren mädchenhaftes Aussehen Jim verwirrt und angezogen hatte.

»Jeff – Jeff? Ich bin hier, hörst du, Jeff? Sie haben Dad aufhängen wollen, ich habe es gesagt. Es tut mir leid, Jeff, aber ich habe nicht anders können. Hörst du, Jeff?«

Sie schwieg, nur das Echo ihrer Stimme lief noch durch den Hochwald rechts und links der seit zwanzig Jahren verlassenen alten Indianermine, in der vor Jahren einige Weiße noch nach Silber gesucht, aber auch bald aufgegeben hatten.

»Jeff, komm heraus, sie wollen mich sonst töten. Jeff, hörst du mich?«

Stille – nichts geschah.

»Passt auf!«, schrie Robin. »Er ist kein Narr, er hat uns bestimmt längst bemerkt. Seid vorsichtig!«

Sie antworteten nicht, sie starrten auf den Schacht, das dunkle Loch. Dahinter sollte eine riesige Höhle sein, in der Platz genug für zwanzig Mann war. Der einzige Mann, der mal vor Jahren hier oben gewesen war, Patingly, hatte nur kurz herumgestöbert und war dann weitergeritten.

Verflucht, dachte Patingly, ob es wirklich nur dieses eine Loch gibt? Und wenn da noch welche sind? Vielleicht macht er es wieder so wie damals in der Wüste, was? Da ist er uns nur entkommen, weil er zu Fuß rannte, der gerissene Hund. Vielleicht schleicht er sich zu Fuß im Bogen hinter Robin? Ich habe Robin gewarnt.

Er sah sich um. Robin schrie scharf: »Conrads, sieh her, deine Schwester zeigt sich. Es ist kein Bluff, Mann.«

Joan ging zwei Schritt. Dann spannte sich der Strick, den Robin in den Händen hielt.

»Jeff!«, rief sie plötzlich. »Jeff, bring sie um, bring sie um, Jeff!«

Drüben stieß Cardona einen zischenden Fluch aus. Oben links knirschte Ballard mit den Zähnen. Nur Patingly sagte etwas: »Weibervolk, verfluchtes, an den Haaren sollte man es …«

Und dann hörte er den Schrei, fuhr blitzschnell herum. Es war Ballard, der in diesem Moment aufschrie. Links von Ballard bewegte sich etwas. Er sah es nur aus den Augenwinkeln, riss sein Gewehr herum.

Der Mann war plötzlich da, stand geduckt links über ihm zwischen zwei Felsblöcken. Ein Gewehrlauf glänzte matt …

Ballard brüllte vor Schreck, sein Gewehr jagte herum. Dann sah er den Feuerstrahl, drückte selbst noch ab und wusste im selben Moment, dass er den Mann nicht mehr traf. Im Feuerblitz kam der dumpfe Schlag. Es war, als packte eine Faust seinen Magen und wollte ihn hinten am Rückgrat wieder hinausstoßen.

Der Schrei brach ab, Ballard senkte den Gewehrlauf, krümmte sich wie ein Wurm zusammen. Es fraß sich in seinem Bauch plötzlich wie Säure weiter. Einen Moment blieb Ballard noch auf den Knien liegen. Danach kippte er stöhnend nach vorn. Seine Waffe fiel klappernd auf das Gestein.

Der dritte Mann an dieser Seite sagte nichts, er schoss rasend schnell. Al Patingly war schnell wie eine Viper, wenn es um Leben oder Tod ging. Er war es auch jetzt. Den Schatten sehen und feuern, das war die Sache eines Augenblicks. Patingly sah, wie seine Kugel den Mann erwischte, wie der Bursche nach rechts herumgestoßen wurde und gegen den Felsblock prallte. Das Gewehr fiel scheppernd auf den nächsten Block unter dem Mann. Und da hechtete der Bursche los.

Verflucht, dachte Patingly, ich habe ihn nur angekratzt. Der Kerl will an sein Gewehr, er kommt hinter dem Felsen herum, er muss an seine Waffe.

Es war die Eingebung einer Sekunde, aber Patingly handelte augenblicklich. Der kleine Giftzwerg stieß sich ab, sauste instinktiv nach links. Er hatte zu oft kämpfen müssen und die wildesten Dinge erlebt. Schon sauste er krummbeinig und keuchend davon. Er wusste, er musste schnell sein, wenn er vor dem Kerl die Waffe sehen wollte. Patingly schoss förmlich um die Steine.

Einen Moment später sah er die Waffe im Mondlicht blinken und dann den Schatten, der zwischen Steinen erschien, auf die Waffe zusprang.

»Idiot!«, zischte Patingly, nur dieses eine Wort. Dann feuerte er. Er schoss in der Sekunde, in der Conrads sich bückte, die Linke nach dem Gewehr ausstreckte. Im Brüllen von Patinglys Gewehr flog Conrads linker Arme zur Seite. Die Kugel schleuderte Conrads herum. Er krachte hin, blieb zwei Schritt neben dem Gewehr liegen und stöhnte.

»Na?«, fragte Patingly höhnisch. Er ging los, ließ seinen Mann keine Sekunde aus den Augen. »Na, Freund Conrads?«

Das Mädchen schrie gellend, ein Kichern brach von Patinglys Lippen. Dann blieb er stehen und starrte auf seinen Mann hinab. Conrads blutete.

Das Blut glänzte im Mondlicht auf dem kahlen, nackten Gestein. Es lief von seinem linken Arm und der rechten Hand auf den Felsen herab.

»So ist das, Hundesohn«, knurrte Patingly. »Beweg dich doch, versuch doch was, na? He, Jake – Jake, komm heraus, ich habe ihn … Jake?«

»Ich sterbe! Ich … sterbe!« Gurgelnd, schmerzzerrissen – Ballards Stimme! Dann schrie Ballard so gellend, dass sie alle zusammenfuhren. Der dumpfe Schmerz in Ballards Bauch steigerte sich zum höllischen Brennen.

»Jake, was ist?«, brüllte Cardona verstört. »Al, was hat er?«

»Ich weiß nicht, ich kann auch nicht hingehen«, antwortete Patingly bissig. »Sieh nach, Luke, ich muss auf Conrads achten. Na, du Schweinehund? Du Kartenhai, du verfluchter, wenn Jake stirbt, dann kannst du dich auf was freuen!«

Patingly näherte sich bis auf anderthalb Schritt. Und dann sah er, was seine Kugeln angerichtet hatten. Ein Hohngelächter brach aus seinem Mund, sein Stiefel schoss vor und jagte dem Spieler in die Flanke.

»Der linke Ellbogen, die rechte Hand!«, schrie Patingly voller Genugtuung und wilder Freude. »Du spielst nie mehr, Kartentrickser, du nicht! Mit der Hand wirst du kein Blatt mehr halten können, was? Und mit dem Ellbogen und steifen Gelenk kannst du auch nichts mehr anfangen! Das nenne ich Gerechtigkeit, du mistiger Betrüger!«

Er lachte schallend, bis Cardona bei Jake war und düster in das Gewimmer Jakes hinein sagte: »Bauchschuss, Al, der kratzt ab!«

Die Antwort war ein schauerliches Geheul Ballards, er hatte Luke Cardonas Worte verstanden und schrie wie ein richtiger Wolf.

»So?«, knurrte Patingly. Wut kam in ihm hoch. Sie hatten nun keinen mehr, der ihnen die dreckigen Klamotten wieder in Ordnung brachte und für sie kochte. »Verdammt, muss der abkratzen? Das kann uns auch nur dieser Strohkopf antun, was, Luke? He, heul nicht so, Jake, es ist bald vorbei. Wirst sehen, in der Hölle ist es auch ganz schön.«

Sie ließen Jake liegen, schleiften Conrads nach unten. Jake schrie noch eine Weile, dann wurde seine Stimme immer leiser.

Unten wartete Robin mit der Frau. Sie stöhnte, schwankte, als die beiden Banditen Jeff Conrads vor sich her stießen.

»Wo liegt es?«, fauchte Cardona. »Nun, Kartenhai, wo hast du das Geld verbuddelt, he? Du sagst es uns, du zeigst uns den Platz, klar? Sie kommt nämlich mit. Den Alten lassen wir hier, der darf den Saloon aufmachen und den Leuten erzählen, du hättest deine Schwester abgeholt und es verdammt eilig gehabt, weil du eine Gelegenheit zum Saloonkauf hast, die dir sonst durch die Lappen geht, verstehst du? Wenn der Alte nicht sein Maul hält, dann sieht er euch nicht wieder.«

Jim würgte an seinem Pfosten und sah den Alten an. Sie kamen jetzt herauf, rissen dem Alten den Knebel aus dem Mund und stießen ihn an.

»Na?«, fragte Cardona. »Man wird dir doch glauben, dass Jeff bei Nacht und Nebel seine Schwester geholt hat? Er hat ja immer noch die Spencer-Sippe auf dem Hals, darum kann er sich kaum hier sehen lassen. Das wissen doch alle Leute in dem Nest. Oder willst du quasseln, he?«

»Nein, nein!«, beteuerte der alte James Powell. »Ich – ich rede bestimmt nicht, Mister.«

Sie sahen sich um, weil Jake Ballard noch einmal schrie. Er hatte sich hochgezogen, irgendwoher die Kraft genommen, um die Felsen zu kriechen, aber seine Kraft reichte nicht. Er schrie, als er stürzte, zwanzig Schritt hinabkollerte, unten aufschlug und reglos liegen blieb.

»Nun ist er in der Hölle«, stellte Patingly gelassen fest. »Al, was machen wir mit ihm?«

»Da sind doch Stollen genug, was?«, brummte Cardona. »Wenn wir eine Stütze umreißen, kracht genug herunter, um ihn zu begraben, Mann.«

Robin schwieg, verzog die Mundwinkel verächtlich. Er verband Conrads’ Arm und Hand.

Joan saß mit aschfahlem Gesicht neben ihrem Bruder. »Jeff, es tut mir leid«, flüsterte sie. »Jeff, Dad wird nicht reden. Du wirst doch nicht, Dad?«

»Er wird nichts verraten«, sagte der Spieler dünn. Er musste rasende Schmerzen haben, aber er riss sich zusammen. »Joan, du weißt nicht alles. Sie werden ihn beobachten. Reitet er los oder gibt er dem Sheriff in Silver City auf andere Weise Nachricht, knallen sie ihn ab. Du kennst sie nicht, Schwester, sie arbeiten für jemand, der gar nicht so weit entfernt haust. James, wenn du etwas versuchst, bist du ein toter Mann – und uns bringen sie dann mit Sicherheit um. Kann sein, dass ich mit ihrem Boss einen Handel machen kann und am Leben bleibe. Hörst du, James, du darfst nichts verraten. Ihre Idee hat etwas für sich, jeder wird es glauben, dass ich Joan geholt habe.«

Sie arbeiten für jemand, grübelte Jim, sie haben also einen Boss, und Conrads kennt ihn? Was glaubt dieser Narr, welchen Handel er machen kann? Haben sie das Geld, bringen sie ihn und mich um. Und die Lady schleppen sie mit, nachdem sie alle über sie hergefallen sind. Sie wird spurlos in Mexiko in irgendeinem Bordell verschwinden oder auch sterben.

Zum Teufel, welcher Narr ist Conrads, dass er an ihre Anständigkeit glaubt? Sollte er ihren Boss wirklich so gut kennen, dass er sich noch eine Chance ausrechnet?

Jim senkte den Kopf. Es gab keine Chance, wenn Cardona und Patingly über sie bestimmen könnten, nur ihr Boss konnte etwas ändern, aber wer war der Mann, war es jener rätselhafte John?

*

Grau zog der Morgen herauf, die Schatten zwischen den steilen Flanken der Slaughter Mountains wurden lichter, Vögel begannen ihr Morgenlied.

Jim hob den Kopf, denn der Hufschlag verstummte nun vor ihm. Vor etwa sechs Minuten waren sie im Zickzack zwischen eng stehenden Felsen durchgeritten. Jim hatte kaum darauf geachtet, dass sie in ein kleines Tal gekommen waren. Er war todmüde, aber noch lange nicht so fertig wie Joan und Conrads. Der Spieler hing nur noch auf dem Pferd. Sie hatten ihn liegend anbinden müssen, er hatte Fieber, aber er hatte seiner Schwester ab und zu zugelächelt.

Erst in diesem Augenblick sah Jim den kleinen Tümpel, den Corral, einige Pferde und hart an der Felswand die beiden grauen und verwitterten Blockhütten.

Der Mann stand im dunklen Rechteck der Tür, die Hände auf dem Rücken. Der andere Mann kam aus der zweiten Hütte, ein hagerer, sehniger Bursche mit schon ergrautem Haar, das Gewehr in der Faust.

Jim blickte zu Pantigly und Cardona. Es mochte sein, dass die beiden Halunken auch müde waren und darum immer weniger geredet hatten. Jetzt schwiegen sie, und Jim sah ihre angespannten, nervös zuckenden Gesichter.

Angst, dachte er, sie haben Angst, aber vor wem? Vielleicht vor dem Mann dort in der Tür? Wer ist das, warum steht er im Schatten und kommt nicht ins Freie?

Es wurde immer heller. Sie ritten das letzte Stück bis vor die Hütte. Der Mann rührte sich nicht.

»Kommt her!«, sagte er dann eisig. »Absteigen, Al – komm schon, Luke!«

»John, hör doch!«, keuchte Luke Cardona. »John, man hat uns erzählt gehabt, dass er eine Menge Geld gewonnen haben sollte. Wir haben gedacht, wir könnten ihn etwas erleichtern, John …«

»Nun, seid ihr bald unten?«

Der hagere Mann sprach. Er hob das Gewehr sacht an, stand jetzt hinter den beiden Burschen.

Patingly zog den Kopf ein, glitt langsam vom Pferd. Cardona schnaufte schwer, schlich förmlich los. Nie zuvor hatte Jim mehr daran geglaubt, dass sie wie Wölfe waren. Sie krochen vor Angst dem Leitwolf entgegen. Der kam aus der Tür ins Licht. Als das Licht ihn traf …

Carnaby, dachte Jim verstört, John Carnaby, der ehemalige Indianerhändler, der Kerl, den Rip O’Hagan damals mit Fusel für die Apachen erwischt und einlochte.

Carnaby!

Es war Jahre her, doch Jim erinnerte sich genau. Er wusste, dass sein Bruder Cliff Carnaby seit langer Zeit in Verdacht hatte, hinter Stagecoachüberfällen, Viehdiebereien und dem Fuselschmuggel zu den Apachen zu stecken. Carnaby war hier, hauste in den Slaughter Mountains hart an der Grenze nach Arizona.

»Pass auf, Mapples!«, zischte Carnaby. Seine breiten Schultern hoben sich, seine Linke kam jäh hinter dem Rücken hervor. »Joe, pass auf!«

Joe Mapples, dachte Jim, der Name, woher ist mir der Name bekannt? Da war doch irgendeine verdammt dreckige Geschichte bei der Armee?

Er kam mit seinen Gedanken nicht weiter, denn die Peitsche pfiff plötzlich durch die Luft, sie kam so schnell, dass Cardona nur ein wildes Geheul ausstoßen konnte. Dann erwischte ihn die schwere Ochsentreiberschnur, klatschte ihm knallend über den Rücken der Lederweste. Der nächste Hieb zog dem kleinen Patingly eine blutende Furche quer über das Gesicht, riss ihm das linke Ohr ein. Patingly warf sich zu Boden, aber er fuhr mit einem Gebrüll sofort wieder hoch, als der nächste Hieb sein Gesäß erwischte. Dann regneten die Hiebe auf die beiden Männer herab.

»Ihr Mistkerle!«, schrie Carnaby giftig. »Ich werde euch lehren, nach den Karten zu greifen! Das war der gesamte Gewinn aus der Burton-Beute, und ihr Narren verspielt ihn, weil Clay nach Matamoro reiten muss, um über die nächste Lieferung zu verhandeln? Ich werde euch lehren, meinen Befehlen zu gehorchen! Verdammtes Schlangenpack, tot sollte man euch schlagen!«

Er zitterte vor Wut, keuchte vor Anstrengung und warf die Peitsche endlich mit einem wüsten Fluch in die Hütte. Dann kam er näher, trat an Conrads’ Pferd, packte Conrads an den Haaren, hob seinen Kopf an und starrte ihm ins Gesicht.

»Fieber, was?«, fragte er bissig. »Joe, hol deinen Sanitätskasten, kümmer dich um ihn, wir brauchen ihn noch!«

Sanitätskasten, dachte Jim, jetzt weiß ich es. Joe Mapples, Sanitätssergeant in Fort Grant gewesen, Fusel an Indianer verschachert, unehrenhaft aus der Armee geflogen. Der ist hier?

Carnaby ließ Conrads’ Kopf einfach fallen, dann starrte er die vollkommen erschöpfte Joan aus schmalen Augen an, ehe er auf Jim zukam.

»Ein Copper«, sagte er mit plötzlicher und falscher Freundlichkeit. »Sieh einer an, ein Copper, der kleine Bruder des großen Marshals aus Tucson. Wie geht es deinem Bruder, Copper?«

»Ich habe ihn vier Wochen nicht gesehen«, erwiderte Jim. »Hallo, Carnaby, ein mächtig abgelegener Platz hier, wie? Aber gerade richtig für deine Geschäfte, nehme ich an. Wie ist das mit Burtons Fellwagen gewesen? Zwei Wagen voller Felle und zwei mexikanische Fahrer, beide tot neben den leeren Wagen. Soll ich raten, wer sie umgebracht hat?«

»Musst du das?«, murmelte Carnaby höhnisch. »Du weißt also davon. Spricht sich das so schnell herum?«

»Vielleicht?«, antwortete Jim kühl. »Deine Wölfe haben es getan, was? Sie haben immer Maultierspuren gefunden, wenn etwas in dieser Art passiert gewesen ist. Und wo haben sie die Maultiere gelassen?«

»Hörst du das, Clay?«, fragte Carnaby. Er lachte leise und sah sich nach Clay Robin um. Die beiden Halunken hatten sich wieder erhoben und rieben sich die schmerzenden Striemen der Peitschenhiebe. Jim fing einen Blick Cardonas auf. Cardona starrte Carnaby tückisch und rachsüchtig an. »Clay, dieser Junge ist gar nicht so dumm, was? Fehlt dir was, Clay?«

»Ja«, antwortete Clay Robin. »John, du wirst Conrads’ Geld holen. Und danach?«

»Was fragst du, weißt du es nicht?«

Carnabys Gesicht versteinerte, es wurde unmenschlich hart und abweisend. Vielleicht war es ein Glück, dass Conrads zu erledigt war, um zu begreifen, was vorging. Auch Joan erkannte es nicht.

Mein Gott, dachte Jim – er hatte es geahnt, und doch traf ihn Carnabys Antwort wie ein Hieb in den Magen –, das ist das Todesurteil für uns. Er wird uns töten lassen, der Schurke, sobald er das Geld hat.

»Das habe ich erwartet«, sagte Robin düster. Er stand an seinem Pferd, das Gewehr in der rechten Hand, aber den Finger am Abzug. Und jeder hier wusste, dass er mit dem Gewehr schneller war als ein anderer Mann mit dem Colt. »John, ich mache nicht mit. Gib mir mein Geld, dann reite ich!«

»Was?«, zischte Carnaby. Mapples blieb wie gelähmt stehen. Er hatte Conrads losgebunden und fortschleifen wollen, jetzt erstarrte er genauso wie Patingly und Cardona. »Moment, Clay, du kannst jetzt nicht aussteigen. Später, Clay, später.«

»Jetzt!«, gab Robin eiskalt zurück. Er stand zu gut, er konnte jeden erwischen, weil er sie alle vor sich hatte. »Erinnerst du dich an das, was wir einmal abgemacht haben, John?«

Es war Jim, als wenn die Luft elektrisch geladen war und jeden Moment ein Gewitter mit vernichtender Gewalt losbrechen konnte. Mapples rührte sich nicht. Es war seltsam, dass die anderen Männer abwarteten und sich nicht auf Carnabys Seite stellten. Der sah verbissen zu ihnen hinüber.

»Bringt sie weg!«, befahl er. »Los, schafft den Kartenhai und das Weib fort!«

Sie fuhren zusammen, dann hasteten sie davon. Nur Jim blieb am Sattel, warum, das wusste er nun. Carnaby war sicher, dass Jim keine Illusionen mehr hatte und sein Schicksal kannte.

»Clay«, sagte Carnaby, »mach keinen Unsinn! Ich habe nicht genug Geld hier, du musst schon warten, bis ich das andere habe, dann bekommst du alles zurück.«

»Gib mir das, was du hast!«, sagte Robin scharf. »Ich habe jetzt genug, John, den Rest will ich nicht erleben. Keinen Mord, erinnerst du dich?«

Was ist das, dachte Jim verstört, keinen Mord? Er muss doch bei den Überfällen mitgemacht haben, der Sheriff von Apache Wells hat ihn gesucht, er ist damals angeschossen worden, also ist er auch bei dem Überfall dabei gewesen.

»Du kannst mich jetzt nicht im Stich lassen!«, fauchte Carnaby schroff. »Ich kann niemand trauen, weder Mapples noch den beiden anderen Burschen. Clay, denke an unser Familiengesetz. Wir müssen zusammenhalten – jetzt, Clay!«

»Ich habe dir mein Geld geborgt, alles, was ich geerbt habe«, sagte Robin finster. »Ich bin krank gewesen, mag sein. Ich bin noch immer nicht ganz gesund, aber ich schulde dir nichts, John, eher ist es umgekehrt. Ich habe Pferde und Maultiere für dich an irgendwelche Plätze gebracht, ich habe deine Briefe als eine Art Kurier zu deinen Geschäftspartnern drüben in Mexiko gebracht. Und dann habe ich eine Kugel für dich erwischt, obgleich ich gar nichts mit der Sache damals zu tun gehabt habe. Es ist jetzt genug, Vetter John, ich steige hier aus.«

»Nein!«, erwiderte Carnaby. »Du Narr, siehst du nicht, was dann passieren kann? Copper hat Hilfe erhalten, folglich wissen sie von dir und den anderen. Sie suchen euch bestimmt schon. Wir müssen ein paar Tage warten. Conrads ist fertig, der Kerl hat Fieber. Ehe das nicht so weit verschwunden ist, dass er einen harten Ritt durchstehen kann, brechen wir nicht auf. Sicher, Clay, ich schulde dir etwas, aber rechne nicht ausgerechnet jetzt ab, warte ein paar Tage. Du bekommst dein Geld, Clay.«

Robin biss sich auf die Lippen, fluchte leise vor sich hin.

»Du könntest recht haben«, sagte er verbissen. »Wenn ich mitkomme, dann geschieht ihnen nichts, ist das klar, John?«

»Du Narr, weißt du, was du da verlangst?«

»Ja«, sagte Robin kalt, »jede Sache hat ihren Preis – das ist meiner. Du traust niemand, wie solltest du auch? Sie sind wie Wölfe, auch dein Freund Mapples. Also, was ist?«

»Ich könnte sie mitten in der Gila-Wüste aussetzen, ja, das könnte ich«, murmelte Carnaby und warf Jim einen stechenden Blick zu. »Nun gut, wie du willst, Clay.«

Er drehte sich um, ging davon. »Bring ihn weg, aber nicht zu den anderen, binde ihn bei uns an!« Robin schwieg, er band Jim los, trat dann hinter ihn.

»Geh!«, befahl er. »Ich warne dich, versuch nichts, Copper!«

Jim stolperte mit auf dem Rücken gebundenen Händen und steifen Beinen los.

»Robin?«, fragte er gepresst. »Du glaubst doch nicht, dass er sein Versprechen hält? Wenn du nichts mit ihnen zu schaffen hast, warum bist du dann nicht längst weggegangen?«

»Ich bin krank gewesen«, brummte Robin. »Die Lunge, Mann. Damals, als dein Vater mich fand, sollte ich bei dem Überfall auf den Viehhändler dabei gewesen sein. Ich war nicht dabei, ich kam zufällig dazu und wollte es sogar noch verhindern, aber der Viehhändler sah mich zuerst. Er und sein Gehilfe feuerten, eine Kugel erwischte mich. Patingly und Cardona kamen gar nicht dazu, den Wagen des Viehhändlers anzuhalten. Die Burschen ließen mich unterwegs einfach liegen. Hätte ich mich stellen sollen, he? Hätte mir jemand meine Geschichte geglaubt?«

»Sicher nicht«, erwiderte Jim bedrückt. »Und Carnaby hat das ausgenutzt?«

»Ausgenutzt ist nicht richtig«, widersprach Robin. »Ich bin geblieben, weil ich Geld von ihm zu bekommen habe. Und dann hatte mich die Verwundung so geschwächt, dass ich es wieder schlimmer mit meiner Lunge hatte. Ich kann keine harte Arbeit machen – noch nicht. Willst du mir sagen, wovon ich hätte leben können? Schon gut, ich bin nie ein zahmer Bursche gewesen, ich habe einige Dinge angestellt, aber Mord ist bei mir nicht drin.«

»Du wirst ihn nicht verhindern können«, sagte Jim bitter. »Denkst du etwa, er lässt die Conrads und mich laufen?«

»Ja.«

»Du Narr!«, entfuhr es Jim. »Conrads wird vielleicht eine Woche krank sein. Danach reiten wir los. Und wenn wir in der Gila-Wüste sind und dein prächtiger Vetter das Geld hat, legt er uns alle um. Warte nur ab, bis wir in der Gila-Wüste stecken. Irgendwann sind wir fort. Und dann sterben wir.« Irgendwann, wenn sie in der Gila-Wüste waren …

*

Wüstenberge, lauer Wind, kein Mondschein mehr, nur noch das bleiche Sternenlicht erhellte die Nacht. Sie waren immer nur nachts geritten, um nicht gesehen zu werden. Am Tag wurde gerastet.

Dies war die neunte Nacht, die Jim unter Wölfen verbrachte. Vier Tage hatte sich Conrads mit seinem Fieber geplagt. Er stimmte, er würde nie wieder spielen können, er würde keine Gelegenheit dazu haben, denn Jim traute dem feierlichen Versprechen Carnabys, das der Conrads vor allen gegeben hatte, keine Sekunde.

Dies war die vorletzte Nacht. Sie waren bis in die Sierra Mountains geritten, und es war der kürzeste Ritt gewesen, den sie jemals in einer Nacht gemacht hatten.

Jim konnte nicht schlafen wie die anderen, es gelang ihm einfach nicht, denn er kannte sich hier zu gut aus und hatte Carnabys Plan längst durchschaut.

Von hier aus waren es knappe zehn Meilen bis zu dem Punkt, an dem Jeff Conrads das Geld vergraben haben wollte. Bei scharfem Tempo hätten sie in etwas mehr als einer Stunde dort sein können, aber das passte nicht in Carnabys Plan. Carnaby brauchte vom Geldversteck bis zur Grenze gut fünfeinhalb Stunden, und da er die Grenze nur nachts überqueren konnte, musste er in der Abenddämmerung aufbrechen. Nur dann hatte er die Chance, das Geld auszugraben. Die Nacht dauerte genau acht Stunden. Zwei würden um sein, wenn sie das Geld hatten. Fünfeinhalb brauchte Carnaby zur Grenze, es blieb also eine halbe Stunde übrig, und Jim wusste, was in dieser halben Stunde geschehen würde.

In dieser halben Stunde, dachte Jim, bringt er uns um und lässt uns verscharren. Verdammt, da oben sitzt dieser ekelhafte Mapples und passt auf, sonst würde ich es noch mal versuchen und meine Fesseln an den Steinen reiben, aber …

Er hatte es versucht und dann erst erkannt, dass Carnaby ein noch gerissenerer Schurke war, als er geglaubt hatte. Carnaby hatte ihn, Conrads und Joan sofort näher unter die etwa vier Schritt hohe Wand bringen lassen. Dort lagen dicht bei dicht Steine, und als Jim auf sie geworfen wurde, hatte er sich nicht mehr bewegen können, wenn er die Steine nicht ins Kollern bringen wollte. Es gab keinen Versuch mehr für Jim.

Jim wendete den Kopf, starrte auf die Kante des Hangabsatzes, eines schroffen, stufenartigen Abfalls, auf dem Mapples hockte. Mapples stand ab und zu auf, sah dann herunter. Er musste jedes Geräusch hören.

Jetzt war von Mapples nichts zu sehen oder zu hören. Nur die Pferde, die auch oben standen, schnaubten leise. Langsam nahm Jim den Blick herum. Und dann weiteten sich seine Augen jäh. Jim sah etwas – einen Schatten, der lautlos in die Höhe wuchs.

Jims Puls hämmerte plötzlich wie wild. Er sah Robin drüben, wo Carnaby schlief und Patingly neben dem schnarchenden Cardona lag, wie ein Geist auf alle viere kommen. Clay Robin glitt gleich darauf davon. Der Texaner näherte sich nun kriechend und schnell wie eine Schlange. Von seinem Platz aus hatte er einen besseren Blick auf den Hangabsatz gehabt. Anscheinend war Mapples aufgestanden und gerade bei den Pferden. Robin glitt heran, blieb jedoch zwei Schritt von den unter dem Absatz liegenden Steinen und Gefangenen entfernt.

Jim schickte einen verstörten Blick zu Robins Schlafplatz. Dort lag der Hut. Die Decke war bis an den Sattel hochgezogen, und man konnte mit Sicherheit annehmen, dass Robin immer noch friedlich schlafend neben seinem Vetter Carnaby lag.

Im nächsten Augenblick blieb Robin nur zweieinhalb Schritt von Jim entfernt liegen. Er hatte gemerkt, dass Jim nicht schlief, hob warnend die Hand und kroch dann davon.

Etwa zwanzig Schritt weiter senkte sich der Hang. Robin erreichte diese Stelle, kroch um einen Stein und war verschwunden.

Jim lauschte, hielt den Atem an, hörte dann die leisen Schritte und blinzelte zum Hangabsatz empor. Mapples erschien. Der sehnige Mann beugte sich vor, äugte, das Gewehr unter der Achsel, auf die Gefangenen hinab und zog sich danach zufrieden zurück. Er hatte keinen Blick auf den Schlafplatz seiner Partner geworfen.

Eine Minute mochte verstrichen sein, als Jim ein schwaches, kurzes Geräusch vernahm. Danach prustete eins der Pferde. Jim glaubte wenige Sekunden später ein Knirschen wie von Seilfasern zu hören. Danach verstrichen mehr als zwei Minuten, bis der Schatten am Ende des Hangs erschien.

Clay Robin glitt genauso lautlos heran, wie er verschwunden geblieben war. Er schob sich bis an den Rand der Steinfläche.

»Pst, warte«, zischelte er kaum hörbar. »Mapples ist erledigt. Ich muss erst alles wegschaffen, was ich noch brauche, dann komme ich und mache dich los. Lass die anderen schlafen, nicht aufwecken, Copper!«

Jim nickte verstohlen. Sein besorgter Blick traf Joan. Die junge Frau bewegte sich leicht, die Steine klickerten aneinander. Augenblicklich sank Ro­bin flach herunter. Dann wartete er einige Sekunden, und als sich drüben nichts rührte, kroch er davon.

Im bleichen Sternenlicht sah Jim, dass Robin kaltblütig auf den Sattel Carnabys zuglitt. Carnaby schlief mit dem Sattel als Kopfstütze, und am Sattel war die Satteltasche angeschnallt. Das schwache Blinken ließ Jim mehr ahnen als sehen, was Robin jetzt tat. Robin musste irgendwann auf dem Ritt sein Rasiermesser eingesteckt haben. Er schnitt nun die Satteltasche los, in der Carnaby sein Geld hatte. Es gelang!

Carnaby hatte einen leichten Schlaf, das hatte Jim ein Dutzend Mal feststellen können. Der ehemalige Indianerhändler besaß einen animalischen Instinkt, er hatte vorgestern irgendwie gespürt, dass Patingly auf Wache eingeschlafen war und hatte ihn mit Fußtritten hochgejagt. Nicht viel anders war es Cardona ergangen. Der bullige Mörder hatte auf Carnabys Befehl die Feuerstelle mit Sand abdecken und jede Spur des letzten Camps beseitigen sollen. Er hatte die Asche mit einer geringen Sandschicht bedeckt, und Carnaby hatte ihm den Stiefel in den Bauch gerammt.

Jetzt schlief Carnaby, aber Jim war nicht sicher, ob der Leitwolf dieses Wolfsrudels nicht auch im tiefen Schlaf etwas von dem spüren würde, was um ihn vorging.

Robin glitt sacht zurück. An seinem Sattel richtete er sich bis auf die Knie auf, und Jim sah, wie Robin seine Decke vorsichtig um das Gewehr legte. Dann erst schob sich Robin weiter. Er, glitt jetzt wieder auf Jim zu, richtete sich kurz vor ihm auf und warf sich die Decke, nachdem er das Gewehr ausgewickelt hatte, über die Schulter.

Alles geschah so vollkommen lautlos, dass sich Jim an seinen Bruder Cliff erinnert fühlte, der sich genauso leise bewegen konnte.

»Leise!«, flüsterte Robin. Er legte sein Gewehr hart neben den Stein, in den Sand. Die Decke glitt herab, und er rollte sie geschickt, nachdem er sie einmal gefaltet hatte, sodass eine lange Bahn entstand, zusammen. »Copper, heb die Beine vorsichtig an, ganz langsam, Mann!«

Jim brach der kalte Angstschweiß aus. Sein ganzes Gewicht würde für Sekunden auf dem Rücken ruhen, wenn er die Beine anhob. Die Steine mussten aneinandergeraten.

Mit zusammengebissenen Zähnen drückte Jim die Handfläche gegen die Steine, hob die Beine und spürte, dass Robin die Deckenrolle vorsichtig dorthin legte, wo gerade noch seine Stiefel gewesen waren.

»Runter – langsam und etwas die Knie anwinkeln!«

Jim gehorchte, er wusste nun, was Robin tun wollte. Als Jim die Beine sacht absenkte, setzten die Stiefelhacken auf der bereits ein Stück ausgerollten Decke auf.

Robins Vorhaben musste gelingen. Jetzt ruhten Jims Stiefel auf der Decke, aber durch die angezogenen Knie war ein Hohlraum entstanden, in dem Robins die Decke bis an Jims Gesäß ausrollen konnte. Gelang es Jim, sich mithilfe seiner Hände auch nur vier Sekunden hochzustemmen, musste Robins die Decke bis an die Hände und unter Jims Gesäß durch entrollen können. Da die Decke auf den Steinen lag, konnte sich Jim danach vielleicht aufsetzen, wenn Robin ihm half. Clay Robin konnte sogar auf die Decke treten, Jims Armfesseln durchtrennen und ihm schließlich von den Steinen helfen. Dann erst – und Jim war sich absolut klar, wie gefährlich die Sache noch werden konnte – hatten sie eine Chance, Carnaby, Patingly und Cardona zu packen. Alles andere musste Selbstmord sein. Robin hatte sich die Sache genau überlegt.

Mein Gott, ich hätte es nicht gedacht, schoss es Jim durch den Kopf, er hat mir dieses verrückte Familiengesetz erklärt, wonach die ganze Sippe der Carnabys und Robins wie Pech und Schwefel zusammenhalten muss. Er will, um uns zu retten, auf seinen Vetter losgehen. Ich muss versuchen, mich abzustemmen.

Jim presste seine Handflächen gegen die runden Steine. Sein Gesäß hob sich. Dicht neben seinen Stiefeln kauerte nun Robin, und der Texaner rollte die Decke so schnell aus, wie er konnte. Nur einmal klickerten einige Steine kaum hörbar zusammen. Schon berührte die Decke Jims Handgelenke, als Jim das kurze und heftige Knarren von Leder hörte.

In derselben Sekunde schnellte Robins Linke zum Messer. Der Texaner riss es aus seinem Gürtel, schleuderte es unter Jims Arme und fuhr dann auch schon hoch.

Robin hatte sich die Satteltasche unter das Hemd gestopft, um beide Hände für sein Gewehr freizuhaben.

Er wirbelte blitzschnell gegen den Lagerplatz Carnabys herum, sein Gewehr zuckte empor. Und da schrie Carnaby mit überkippender, schriller Stimme: »Clay, du verfluchter Hund!«

*

Entsetzt sah Jim, wie aus dem Dunkel, das Carnabys hochfliegende Decke jäh bildete, der Feuerstrahl brach. Brüllend krachte Carnabys Revolver, und es kam Jim vor, als hätte Robin diesem Schuss vorauskommen können.

Das grelle Pfeifen der Kugel endete, indem Robin feuerte. Gleichzeitig schien eine Faust Robin in die linke Seite zu krachen. Robin zuckte einmal heftig zurück, blieb aber auf den Beinen und feuerte sogar noch einmal, ehe Carnaby wieder schießen konnte. Das grollende Krachen der beiden Gewehrschüsse vermischte sich mit Carnabys gellendem Aufschrei.

In der nächsten Sekunde schleuderte eine der Kugeln Carnaby hintenüber.

Jim konnte erkennen, dass Carnaby bis zu Patingly geschleudert worden war. Patingly hatte hochkommen wollen und seinen Colt bereits herausgerissen, als sein Boss ihm gegen die Schulter stürzte und ihn zurückwarf.

»Ich – ich muss …«

Jim verstand nicht mehr, was Robin stockheiser herausstieß, denn Cardona brüllte im selben Augenblick erschrocken los. Der bullige Mischling warf seine Decke zur Seite, als Clay Robin sich umwandte und in seltsam schiefer Körperhaltung auf die hochragende Wand des Hangabsatzes zusprang. Er war schneller unter ihr, als Patingly oder Cardona erkannten, dass er sie erreichte, weil ihr Schatten dunkel gähnend über Robin fiel. Erst als Robin zum verzweifelten Sprung ansetzte, einen Vorsprung am Hang erwischte, sich hochzog und wie ein Panther über die Kante flog, riss Cardona seinen Colt herum. Cardona feuerte überhastet. Er schoss zudem zu spät, und seine Kugel riss eine Dreckfontäne an der Kante hoch.

Robin aber war verschwunden.

In der kleinen Mulde brach die Hölle los. Joan schrie vor Schreck, Jeff Conrads wälzte sich brüllend herum. Jim stemmte sich, seine einzige Chance gerade noch erkennend, in die Höhe, bekam das Messer zu packen und wälzte sich auf die Seite. Indem er die Beine anzog, konnte er das Messer tief in den Stiefelschaft schieben. Dann stürzte Cardona fluchend und tobend an ihm vorbei. Patingly folgte ihm schreiend, während Carnaby gellend und voller Hass kreischte: »Legt ihn um, lasst ihn nicht entkommen, schießt ihn ab, schnell, schnell, schießt ihn ab!«

Carnaby kam taumelnd auf die Beine. Er umklammerte seinen rechten Arm, stolperte hinter seinen beiden Strolchen her und stieß ein Wutgebrüll aus, als Cardona es nicht schaffte, am selben Wandvorsprung über die Kante zu kommen wie kurz zuvor Clay Robin, der Texaner.

Währenddessen wieherten die Pferde über dem Hang. Schließlich gelang es Patingly, mit seinen überlangen Armen und mit den Kletterbewegungen eines echten Gorillas die Kante zu erreichen. Cardona rannte, nachdem er an der Wand hinuntergestürzt war und fluchend auf den Steinen gelegen hatte, nach links, um über die weniger hohe Kante zu springen, doch es war zu spät. Trommelnder Hufschlag von mindestens zwei Pferden ließ Carnaby in ein halbirres Tobsuchtsgeschrei ausbrechen. Der ehemalige Indianerhändler stürmte, Blut rann ihm über die linke Hand, mit der er versuchte, die Schusswunde abzudrücken – Cardona nach. Der war fluchend stehen geblieben.

»Die verdammte, blutige Hölle!«, heulte Cardona. »Er ist weg, John, er ist schon fort, der gemeine Hund. Wie hat das passieren können?«

»Das …, das weiß ich«, gurgelte Carnaby. Er taumelte weiter, bis er den gebundenen und geknebelt an einem kargen Dornbusch liegenden Joe Mapples erreichte.

Mapples lag auf der Seite und starrte aus vor Angst in ihren Höhlen rollenden Augen zu Carnaby empor. Mittlerweile hatte sich auch Patingly oben eingefunden. Sie blickten alle drei auf den unglücklichen Mapples hinab.

»Der – der hat geschlafen, was?«, stieß Carnaby durch die Zähne. »Dem werde ich zeigen, wie es ist, wenn man auf Wache pennt. Hatte ich dir Hund nicht gesagt, hatte ich euch nicht allen gesagt, dass Clay etwas versuchen könnte? Nimm ihm den Knebel aus dem hässlichen Maul, Al!«

Al Patingly riss den Knebel heraus, und kaum bekam Mapples Luft, als er heulend und verzweifelt schrie: »Ich habe nicht gepennt, er ist von hinten gekommen, er hat sich angeschlichen, John. John, um Himmels willen, er …«

»Du heulst mir noch nicht laut genug, du Satansbraten!«, gurgelte Carnaby. »Sieh dir meinen Arm an – durchschossen! Da hast du eine Anzahlung auf das, was ich dir noch geben werde – zehnfach meinen Schmerz zurück!«

Sein Stiefel schoss nach vorn. Mapples stieß ein wolfsähnliches Heulen aus, kollerte mit jedem Tritt immer mehr auf die Kante zu und fiel schließlich hinunter. Er blieb dicht neben Jim, Joan und Conrads liegen.

Seine Augen zuckten und schienen aus ihren Höhlen hüpfen zu wollen. Sein Mund stieß eine Reihe lallender und grässlicher Laute aus. Er stierte wie ein Ochse auf der Schlachtbank zur Kante empor, über die nun seine drei Partner herabrutschten.

Kaum waren sie unten, als Cardona einen wilden Fluch ausstieß. Er sah die Decke unter Jim, riss sie mit einem Ruck fort, schleuderte Jim mit einem Stoß auf den Bauch und sah nach seinen Fesseln.

»So, hat der Hund das tun wollen?«, knirschte Cardona. »John, er muss wach gewesen sein, aber denkst du, der Hund hätte sich bemerkbar gemacht, um dich und uns vor deinem verfluchten, hinterlistigen Vetter zu warnen? Was sagst du nun, John?«

»Nichts, nichts!«, antwortete Carnaby. »Warte, du hinterlistiger Hund, morgen sollst du braten. Und heute eine Anzahlung erhalten!«

Jim sah noch den Stiefel kommen …

*

Die Sichel des Mondes spendete so viel Licht, dass Jim das totenbleiche Gesicht Joans wie eine Gipsmaske, umrahmt von schwarzen Haaren, sehen konnte.

Was Jim seit Tagen befürchtet hatte, war eingetreten. Jeff Conrads hatte den Beteuerungen des Schurken Carnaby geglaubt, dass er sie in der Wüste aussetzen würde, sobald er das Geld hätte.

Nun hatte Carnaby das Geld, und sie hatten es alle, sogar Mapples, dem alle Rippen schmerzten, wenn er laut redete, mit einem gemeinschaftlichen Wolfsgeheul begrüßt.

Jim gab sich keine Sekunde mehr der Hoffnung hin, dass Robin ihm noch irgendwie helfen konnte, denn Carnaby hatte gestern noch die Blutspur bis zu den Pferden verfolgt. Robin musste eine Menge Blut verloren haben, vielleicht zu viel, sodass er am Tag irgendwo vom Gaul gefallen und vielleicht schon tot war.

Auf Jeff Conrads’ Gesicht perlte der kalte Angstschweiß. Er war vom Pferd gestoßen worden, lag auf den Knien neben dem Sandloch an den Pintas Hills, in dem das Geld gewesen war, und sah, wie Jim das Loch nun gut auf Brusttiefe vorgetrieben hatte.

Sie hatten Jim zwar die Hände losgemacht, aber die Beine gebunden gelassen. Danach hatte Mapples seinen Packen aufgeschnallt, einen Armee-Klappspaten herausgefischt und Jim unter dem viehischen Gelächter der anderen befohlen, immer weiterzugraben.

Mapples kam jetzt langbeinig neben das Loch, nickte zufrieden und wendete sich nach Carnaby um.

»Tief genug, auch groß genug«, meldete er. »Soll ich, John?«

»Das machen wir.« Patingly kicherte irr. »Schließlich ist er doch unser besonderer Freund, was? Oder hat er dich mit seinen verdammten Kartentricks hereingelegt, Joe?«

Cardona und Patingly näherten sich Jeff Conrads. Als sie ihn anhoben, stieß Joan einen entsetzten Schrei aus.

»Nicht – nicht, das dürft ihr nicht tun! O ihr Teufel, ihr Teufel, ihr habt es versprochen, ihr habt es geschworen bei eurem Leben und allem, was euch heilig ist. Jeff, hättest du nur auf Jim gehört. O Jeff – Jeff!«

»Ist uns was heilig?«, brüllte Patingly und brach danach mit dem anderen in ein heulendes Lachen aus. »Baby, warte nur, bis wir damit fertig sind, dann komme ich dich besuchen, was, John?«

Er machte eine zottige Bewegung, ehe er Cardona zunickte. Sie stießen Jeff Conrads in das Loch, sodass er aufrecht an Jims linker Seite zu stehen kam, und Cardona beugte sich neugierig vor.

»Ist wirklich groß genug«, stellte er grinsend fest. »Wir machen es auch ganz kurz und schmerzlos. Copperlümmel, du wirst so gut wie nichts merken. Wenn wir es nicht so eilig hätten, würde ich mir für dich was anderes ausdenken, was länger dauerte. Na, dann fahrt in die Hölle!«

Joan brach in klagendes und flehendes Schluchzen aus. Mapples ging hin, um ihr einen Knebel zu geben, damit – wie er sagte – das Geplärre ihm nicht den Spaß verdürbe.

»Also, wir haben das Vorrecht, was?«, fragte Patingly kichernd. »Stimmt doch, Boss, he?«

»Sicher.«

Patingly und Cardona traten drei Schritt zurück, und Jim merkte, dass Jeff Conrads sich ducken wollte.

»Bleib aufrecht stehen!«, zischte er ihm zu. »Ich habe noch etwas. Sieh auf meine rechte Hand, aber unauffällig, Mann!«

Der Spieler blickte herunter, zuckte leicht zusammen und presste die Lippen fest aufeinander.

Jim hatte das Messer bereits vor einigen Minuten in sein Hemd geschoben. Jetzt wartete er kaltblütig auf seine Chance. Es gab bestimmt eine, wenn sie den richtigen Moment abpassen und sich den Bruchteil einer Sekunde vor den Schüssen ducken konnten. Einer der beiden Halunken würde dann nachsehen kommen, um sie wieder hochzuzwingen. Wer immer es war, Jim würde ihm das Messer in die Brust jagen und dabei hoffen, dass er zu ihnen in die Grube stürzte, um ihnen seinen Revolver zu bringen.

»Habt ihr noch was zu sagen?«, erkundigte sich Patingly grienend. »Jeder Verurteilte hat ein letztes Wort, hähä! Was hast du für eins, Copper?«

»Drück ab, du Ratte!«

»Hör dir den an, der will nicht mal ne Rede halten«, muffelte Cardona. »So was, der verdirbt einem ja den ganzen Spaß. Na gut, dann eben ohne Abschiedsgebrabbel, Copper. Soll ich zählen, Al?«

»Sicher, du kannst das viel besser als ich«, nickte Patingly und machte ein Froschmaul. »Fang mal an, damit wir es hinter uns bringen, Junge!«

Cardona zog seinen Colt, spannte den Hammer und stellte ein Bein vor.

»Eins«, sagte er laut und rau. »Zwei …«

Es war diese Sekunden, die Jim etwas sehen ließ, doch er ahnte nicht, was es zu bedeuten hatte.

Carnaby und Mapples standen keine sechs Schritt hinter Cardona und Patingly, und als Cardona zu zählen begann, legten beide die Hände an die Colts.

»Und – und …«, knurrte Cardona. »Und … dr…«

Und dann wirbelte er blitzschnell herum. Noch etwas schneller stieß sich der kleine, langarmige und krummbeinige Patingly ab. Und jetzt begriff Jim, was hier vorging und wovon er nicht die blasseste Ahnung gehabt hatte.

Zu einem weiteren Gedanken kam er nicht, denn Patingly und Cardona feuerten gemeinsam ihre Revolver ab. Es klang wie ein gewaltiger Doppeldonner, als ihre Revolver Feuer spuckten.

Mapples bekam die Kugel Patinglys mitten in die Brust. Er begann wie ein Schilfrohr im Wind zu schwanken, starrte den kleinen Mörder aus weit aufgerissenen Augen an und war nicht mal dazu gekommen, seinen Colt anzulüften.

Ganz anders John Carnaby.

Der Banditenboss war schnell genug gewesen, seine Waffe noch herauszureißen, die er bereits angefasst und angelüftet gehabt hatte, um gemeinsam mit Mapples Cardona und Patingly hinterrücks zu erschießen.

Carnaby hielt den Colt halb erhoben, und Jim sah, wie sich Carnaby vergebens mühte, die Hand hochzuheben. Er blieb stehen, er schwankte nicht wie Mapples, nur sein Gesicht überzog sich mit fahler Leichenblässe.

»Habt ihr gedacht, was?«, fauchte Cardona giftig. »Hättest das Geld zu gern für dich behalten und Mapples auch noch erledigt, he? Hund, du schlägst mich nie wieder mit der Peitsche.«

Er schoss diesmal gezielt, und seine Kugel traf Carnaby mitten in die Stirn. Dann krachte Patinglys zweiter Schuss. Das Geschoss schleuderte den schwankenden Mapples hintenüber. Mapples fiel wie ein gefällter Baum auf den Sand und schlug noch etwas mit den Beinen aus.

»Siehst du, was hatte ich dir gesagt?«, schrillte Patingly. Die fürchterliche Nervenanspannung, unter der er minutenlang gestanden hatte, verließ ihn jetzt. »Er hat Mapples beschwatzt gehabt, der verkommene Strolch. Jedem das Seine, was?«

Er begann hysterisch zu lachen, sah sich nach Jim und Jeff um und hob bedächtig den Colt.

»Luke, willst du etwas auf die Burschen achten?«, fragte er dann höhnisch. »Nun pass schon auf, damit der verdammte Kartenhai mitbekommt, was ich gleich mit seiner hübschen Schwester machen werde. Hat mich doch verdammt zu mächtig geärgert, der Kartengauner. Wie gefällt dir das, Kartenhai?«

»Das tust du nicht!«, schrie Jeff Conrads. Er war während der Erschießung von Carnaby und Mapples von Jim losgeschnitten worden und stand sprungbereit in der Grube. »Du verfluchter Hundesohn, fass sie an, und du wirst in der Hölle landen!«

»Wetten, dass er nicht wird?«, sagte Cardona höhnisch. »Zuerst er, dann ich – und ihr seht zu, he? Copper, bleib du nur schön ruhig, seht immer genau auf meinen Colt. Du kannst gehen, Al.«

Al Patingly schlurfte krummbeinig und vor sich hin kichernd los. Joan blickte ihm entsetzt entgegen, versuchte sich fortzurollen, aber er hatte sie gleich darauf erreicht und zerrte sie an den Fußfesseln hinter sich her. Keine zehn Schritt vor der Grube warf er sie auf den Rücken. Und dann riss er ihr den Knebel aus dem Mund. In seinen Augen war jetzt ein irres und gieriges Glitzern. Sein Gesicht hatte sich zu einer Fratze verzogen, in die Joan voller panischer Furcht blickte.

Ihr war, als bekäme sie keine Luft mehr. Das Untier Patingly streckte langsam die Hände nach ihrer Bluse aus, doch dann konnte sie endlich schreien.

Es war ein so gellender Schrei, dass die Pferde wiehernd stiegen und Cardona erschrocken den Kopf herumnahm.

In derselben Sekunde zuckte Jims Hand nach oben, das Messer schoss davon, überschlug sich zweimal, ehe es ruhig lag und rasend schnell auf den Rücken Patinglys zuschwirrte.

Kaum hatte Jim das Messer fortgeschleudert, als er sich leicht duckte. Etwas hatten die Halunken noch vergessen – den Klappspaten!

Jim riss ihn hoch, wirbelte herum und sah im selben Augenblick, wie Cardona zurückzuckte. Cardona hatte das Messer gesehen, schrie schrill seine Warnung und riss den Kopf herum. Und dann sah er Jim den Spaten wegschleudern.

»Hund!«

Das war das einzige Wort, das Cardona herausstieß, indem er sich fallen ließ. Der scharfkantige Feldspaten, der ihm den Kopf hätte abschlagen können, surrte über Cardona hinweg. Er entging der fürchterlichen Waffe nur um Haaresbreite. Einen Augenblick war Cardonas Revolver aus der Richtung gekommen, jetzt schlug ihn der bullige Mann wieder an.

»Weit genug?«, erkundigte er sich hämisch, als Jeff Conrads wie erstarrt auf der Kante des Loches sitzen blieb und der Sand Conrads ganz langsam im Nachgeben mitnahm, bis Conrads wieder stand. »Ist das weit genug gewesen, ihr Satansknechte?«

Er richtete sich bedächtig auf, trat einen Schritt zurück, sprang dann zur Seite und behielt das Loch nun im Blickfeld. Zugleich erschreckte ihn der fürchterliche Laut, der von Patinglys Lippen brach.

Patingly hatte sich wieder aufgerichtet. Sein verzerrtes Gesicht zuckte unaufhörlich, während er sich mit beiden Händen in den Rücken griff und das Messer doch nicht erreichte. Taumelnd setzte sich Patingly in Bewegung. Er schrie bei jedem seiner unbeholfenen Schritte, schwankte hin und her und näherte sich Cardona.

»Da…, das brennt!«, lallte Patingly wie ein Betrunkener. »Luke – Feuer – Feuer in meinem Rücken – Feuer brennt – ich verbrenne, Luke!«

»Der Schweinehund Copper!«, schrie Cardona mit schriller, hassvoller Stimme. »Er hat dir ein Messer ins Kreuz geworfen, Al. Warte, Copper, jetzt seid ihr dran!«

Er nahm den Colt hoch, zielte und riss plötzlich die Augen weit auf. Er hatte etwas gesehen, das ihn in Panik versetzte.

In der nächsten Sekunde brüllte der Donner eines Gewehrschusses vom Hügel herunter.

Cardonas Colt stieß einen Feuerball aus, doch die Kugel pfiff über Jims Kopf hinweg. Dann sah Jim, wie Cardona die Augen verdrehte, die Hand senkte und nach vorn fiel. Cardona begrub seine Waffe unter sich.

Jim hechtete aus dem Loch, denn Patingly war auf die Knie gesunken, hatte die Hände endlich aus dem Rücken genommen und zog mit einer lahmen Bewegung seinen Revolver. Er schien Jim nicht zu sehen, er starrte Joan an und nahm die Waffe herum.

»Dich – dich soll er sterben sehen, der Kartenhai«, stöhnte Patingly. »Bleibt, wo ihr seid, sonst – sonst ist sie tot, sonst ist sie …«

Jim landete neben Cardona, stieß ihn fort und bekam den Colt zu packen. Es fehlte nur noch eine kleine Handbewegung, dann musste Patinglys Revolver auf Joan gerichtet sein, und Jim feuerte.

Das Geschoss schleuderte Patingly vornüber in den Sand.

»Nur ruhig, Joan!«, sagte Jim, indem er sich aufrichtete und zu ihr ging. »Es ist vorbei, Joan, wir sind noch einmal davongekommen, wenn auch verdammt knapp. Hallo, Conrads, da liegt dein Geld. Dort stehen unsere Pferde, die meines Vaters. Ich denke, du solltest jetzt dein Geld nehmen und zufrieden sein, du Narr.«

– E N D E –

G.F. Barner 1 – Western

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