Читать книгу G.F. Barner 1 – Western - G.F. Barner - Страница 6

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Tote, dachte Dillon, spüren nichts. Nur die Lebenden haben Angst. Charly hat auch Angst, eine hündische Angst. Dabei habe ich es ihm zehnmal erklärt, daß Tote nicht beißen und der sicherste Platz der Welt um Mitternacht auf einem Friedhof ist. Wenn die Mitternachtsstunde schlägt, geht kein Mensch auf oder über einen Friedhof.

Charly stöhnte, die Schaufel knirschte, als sie in die Kieserde des Grabes von Juan Montenero fuhr. Seltsame Gräber hatten sie, die alten Mexikaner, denen Colorado einmal gehört hatte, ehe es an die USA gefallen war. Hügel aus dicken Steinen, am Kopfende eine Granit- oder Marmorplatte mit dem Namen und den Daten.

Die Gräber waren so alt, daß die Namen auf den Kopfplatten kaum noch zu lesen waren. Die in den Gräbern lagen, waren schon lange tot, manche über sechzig Jahre.

Juan Montero war erst neununddreißig Jahre tot und ausgerechnet an einem Weihnachtstag gestorben.

»Schöne Weihnacht«, sagte Mort Dillon. »Muß das eine schöne Weihnacht für seine Leute gewesen sein…«

»Was?« fragte Charly Dillon und grub nicht weiter, sondern stieß die Schaufel nur noch einmal in die Kies­erde des alten Friedhofes von Aguilar. Er starrte seinen älteren Bruder an. »Was sagtest du?«

»Nichts«, antwortete Mort finster. Er sprach jetzt so, wie man es bei seinem Aussehen erwarten mochte, denn er wirkte finster – er war es im Grunde auch. »Mach weiter, du mußt sie gleich haben!«

»Sie werden uns noch holen«, stammelte Charly mit zuckenden Lippen und jener tierischen Angst in den Augen, die ein Merkmal der nicht gerade logisch und klug denkenden Leute war. »Eines Tages steigen sie aus ihren Gräbern und holen uns, weil wir ihnen nicht ihre Ruhe lassen.«

»Hör auf, ehe du richtig anfängst!« zischte Mort Dillon böse. »Das kommt davon, wenn man als Kind von einem bockenden Esel fällt und dabei auf dem Kopf landet. Seitdem hast du Würmer in deinem verrückten Gehirn. Hier steigt niemand heraus, keiner steht auf und kommt uns helfen. Darum mußt du graben, ist das klar? Also – mach schon!«

Charly schluckte, aber er gehorchte, wie er immer alles getan hatte, was ihm sein großer Bruder aufgetragen hatte. Es stimmte, er war als Kind auf den Kopf gefallen, das war keine bloße Redensart. Charly Dillon konnte weder lesen noch schreiben, doch er konnte gut rechnen. Und dann war er auch noch abergläubisch, wie viele Leute im Westen.

Wortlos stieß Charly die Schaufel in die Kieserde des alten Grabes. Sein Blick flog über die anderen Gräber zu der niedrigen Mauer aus Felsbrocken und dann ins Tal zur Stadt Dort unten lag Aguilar mit seiner einzigen von West nach Ost laufenden Straße. Links standen sechzehn, rechts dreizehn Häuser und dahinter vier Heuscheunen. Eine Kirche war links am Stadteingang, wenn man von Osten kam und den Gonzales Creek heraufreiten wollte.

Hier gab es noch viele spanische Namen und spanische Häuser.

Sie werden uns eines Tages bestimmt holen, dachte Charly Dillon und fror, obgleich die Nacht so warm war, daß man es bequem im Hemd aushalten konnte und keine Jacke brauchte. Man soll den Toten ihre Ruhe lassen, aber Mort denkt nicht daran. Eines Tages landen wir noch in der Hölle, ich weiß es.

Er stieß die Schaufel wieder in die Kieserde und…

Klirr!

Das Klirren ließ Mort zusammenzucken. Mort hatte zum Grab an der Mauerecke geblickt und an James Flemming gedacht. Dort lag James Flemming in friedlicher Ruhe, aber auf der Steinplatte stand ein anderer Name, der von Miguel Servantes. Miguel war schon seit achtundzwanzig Jahren an diesem Platz.

Was muß er doch für Langeweile gehabt haben, dachte Mort gerade, als die Schaufel auf den Eisenkasten klirrte, fünfundzwanzig Jahre immer allein sein? Nun hat er seit drei Jahren Besuch von James Flemming und kann sich mit ihm unterhalten!

Mort Dillon kicherte vor sich hin, als er diese seltsamen Gedanken hatte. Vielleicht waren es die Gedanken eines Irren, ganz sicher aber waren es die Gedanken eines kaltblütigen Mörders, dessen Opfer man nie gefunden hatte.

Wer wäre auch auf die Idee gekommen, die Toten dort zu suchen, wo längst andere lagen? Kein Mensch grub auf einem Friedhof jemand ein, der gar nicht dorthin gehörte. Das war nur eine von Mort Dillons »genialen« Ideen gewesen. Er hatte schon andere und bessere gehabt. Für die letzte waren er und Charly zweieinhalb Jahre ins Jail gegangen und erst vor einer knappen Woche wieder entlassen worden.

Mort Dillon dachte nicht mehr an James Flemming, dessen silberne Tabaksdose der Marshal bei ihm gefunden hatte. Mort Dillon war mit vier Schritten neben dem alten Grab, dessen Kieserde jetzt schneller von seinem Bruder Charly ausgeschaufelt wurde.

»Wer sagt es denn?« murmelte Mort sanft. »Zweieinhalbtausend Dollar sind verdammt mehr als die neunzig Dollar, die wir in der Tasche hatten, als dieser Hund von State-Marshal seine Handschellen um unsere Gelenke legte. Meinst du nicht auch, Charly?«

»Jetzt sind wir wieder reich«, keuchte Charly. Er vergaß seine Furcht vor den Toten und dachte nur noch an das Geld, das ihnen ein prächtiges Leben erlauben würde. »Kaum angerostet, Mort. Es muß wirklich wenig geregnet haben, während wir ›verreist‹ waren.«

Charly Dillon legte die Schaufel beiseite, kniete nieder und packte einen Seitengriff des Eisenkastens. Dann zog er ihn schnaufend aus dem nachrutschenden Kies.

Die Dillonbrüder blickten eine halbe Minute stumm auf den Kasten, dann sahen sie sich an und grinsten. Auf die Idee, daß Flemmings Geld und das aus dem letzten Pferdediebstahl auf dem Friedhof von Aguilar vergraben sein konnte, war auch State-Marshal Bill Logan nicht gekommen, obgleich Logan alles andere als ein Dummkopf war. Der Marshal hatte sie sechs Tage nach dem Verkauf der Pferde erwischt, aber nur sechs­undneunzig Dollar bei ihnen gefunden. Dabei hätten es sechshundert sein müssen.

»In Ordnung«, stellte Mort Dillon kurz fest. Der Kasten war nicht durch ein Schloß gesichert. Durch die Öse des Überfallhakens lief ein Stück Draht und war Sicherung genug. »Auch der Draht ist kaum angerostet. Na, dann wird die Ölhaut sicher ganz trocken geblieben sein. Vielleicht riecht das Geld ein wenig.«

Mort Dillon stellte den Kasten beiseite, dann nahm er die Schaufel auf, tat die Kieserde in das Loch zurück und trat sie nach jeder dritten Schaufel kräftig fest. Charly ging in der Zwischenzeit zur Mauer, schaufelte mit bloßen Händen die dort locker umherliegenden Kiesel in seinen Hut und brachte ihn dann seinem Bruder.

Was Mort Dillon tat, das machte er immer gründlich. Er hatte das Kastenloch durch Steine zu ersetzen, damit der Boden nicht einsank. Gewissenhaft füllte Mort auch die letzte Erde auf. Selbst die kleinen Krümel schüttete er aus der Plane. Charly hatte die Kieserde auf die Plane schaufeln müssen, so daß wirklich nichts verlorengegangen war.

»Die Steine!« sagte Mort kurz, als er die Oberfläche geglättet hatte. »Den linken zuerst!«

Auch die dicken Steine – es waren normale weiße Felsbrocken ­waren so, wie sie herausgenommen worden waren, neben dem Grab hingelegt worden. Sogar das vertrocknete Gras hatten sie zwischen die Steine gelegt. Jetzt setzte Mort Dillon Stein an Stein, stopfte jedesmal das Gras in die Lücken, ließ sich danach von Charly feinen, trockenen und zusammengescharrten Sand geben und bestreute die Steine. Zum Schluß fegte er mit einem Tuch über die Steine. Der Sand war zwischen die Fugen und das Gras gerieselt.

»Gut«, sagte Mort abschließend. Er war aufgestanden. Sein Schatten fiel nicht mehr auf das Grab, der Mond beschien es jetzt, und weder Mort noch Charly stellten die geringste Veränderung an dem alten Grab fest. »Na, siehst du noch etwas?«

»Nichts!« erwiderte Charly nach einem sorgfältigen Blick. »Es sieht verdammt unberührt aus.«

»So muß man es machen«, brummte Mort zufrieden. »Jedes Ding wieder an seinen Platz, dann merkt kein Mensch etwas. Nimm den Kasten!«

Charly gehorchte, er trug den Kasten, während Mort die Schaufel in die Hand nahm und vor ihm her zur Mauer ging. Sie stiegen wortlos über die Mauer, nur Mort blieb einen Moment auf ihr sitzen und warf einen Blick auf das Grab von Juan Servantes.

War er schon vor seiner Jailzeit roh und wenig menschlich gewesen, so war er es nach den zweieinhalb Jahren erst recht. Wer zweieinhalb Jahre nur in Jailausdrücken gesprochen hatte, konnte sie sich nicht mehr abgewöhnen.

»Na, dann unterhaltet euch mal gut, Flemming«, sagte Mort höhnisch.

Dann stieg er grinsend von der Mauer, ging um das Gebüsch, hinter dem ihr Pferd stand, und nahm seinem Bruder den Eisenkasten ab. Er grinste immer noch, als er den Draht aufgedreht, aus der Öse gezogen und fortgeworfen hatte. Dann öffnete er den Deckel, nahm die Ölhaut aus dem Kasten und wickelte sie auf.

Erst in diesem Moment verschwand sein Grinsen.

Mort Dillon hielt die Ölhaut in beiden Händen und starrte die zusammengefaltete Zeitung stumm an. Kein Laut kam über seine Lippen, aber sie wurden langsam bleich.

In der nächsten Sekunde ließ Dillon Ölhaut und Zeitung fallen, bückte sich blitzschnell und riß den schweren Lederbeutel aus dem Kasten.

Charly beobachtete seinen Bruder mit einem Ausdruck des nackten Entsetzens. Der blonde Mann bewegte zwar die Lippen, brachte aber vor Schreck keinen Ton hervor. Er sah, wie Mort die Lederschnur des Beutels aufriß, in den Beutel starrte und ihn dann umdrehte.

Als sich der Steinregen in den leeren Kasten ergoß und das Klappern und Prasseln die Stille der Geisterstunde zerriß, brachte Charly Dillon endlich ganze vier Worte über die Lippen, und sie beschrieben haargenau das, woran auch Mort Dillon dachte:

»Wo – ist – das – Geld?«

*

Plötzlich wurde sein Gesicht aschgrau, seine Augen weiteten sich, als überkäme ihn eine fürchterliche Angst. Aus seinem Mund drang zuerst ein Stöhnen, bis er dumpf lallte, herumfuhr und mit vor Grauen aus den Höhlen quellenden Augen auf die niedrige Mauer und die alten Gräber stierte.

Charly Dillon hob abwehrend die Hände, während er Schritt für Schritt zurückwich und hinter seinem stummen, wie gelähmt in den leeren Kasten starrenden Bruder Schutz suchte.

»Flemming!« brach es nach einem gurgelnden Laut von Charlys Lippen. »Flemming hat sich sein Geld geholt! Die Toten gehen um, die Gerippe steigen aus den Gräbern!«

In diesem Augenblick explodierte etwas in Mort Dillon. Zuerst hatte er die Angst Charlys erleben müssen, sein jammerndes Gerede, die abergläubische Furcht vor der Geisterstunde. Dann hatte er in dem Gefühl, daß er selbst Marshal Logan hereingelegt hatte, den Kasten geöffnet und die Ölhaut auseinandergeschlagen – noch immer triumphierend, davon überzeugt, daß er klüger, gerissener, listiger als alle anderen war. Und nun war nur die zusammengefaltete Zeitung statt des Geldpaketes zum Vorschein gekommen. Keine harten Dollars im Lederbeutel – Steine, nichts als Steine! Und nun diese irre Angst Charlys, sein zuckendes graues Gesicht, die flackernden Augen, der lallende Mund…

Mort flog herum, den Arm jäh ausgestreckt, die Faust geballt. Wut, Enttäuschung, Verachtung – all das brachte ihn zur Raserei. Er war sonst eiskalt, aber reizte man ihn, konnte er zum wandelnden Satan werden. Das hatten jene erlebt, die im Statejail geglaubt hatten, daß man von Neulingen Geld und Essen erben konnte. Wenn er in Wut geriet, dann war er wie ein bösartiges, wildes Tier.

Die Faust schoß herum und traf Charly über dem linken Ohr. Der fürchterliche Hieb schleuderte Charly Dillon über den Kasten. Er fiel mit einem abgerissenen Schrei zu Boden und sah den Stiefel kommen. Dann warf ihn der Tritt in die Rippen auf die Seite. Über ihm war Morts vor Wut und Haß verzerrtes Gesicht, ehe die Hände ihn packten und hochrissen, Schläge von rechts und links an seinen armen Kopf klatschten, daß es ihn hin und her riß.

»Idiot!« fauchte Mort Dillon. »Du gehirnloser Narr, du Hosensch… ich schlage dich windelweich, ich prügele dir deine Drecksangst aus dem Leib! Flemming hat es geholt – Flemming hat sich klappernd durch die Erde gewühlt, was? Und jetzt spielt er mit Miguel Sanchez um die ewige Seligkeit, was?«

»Morton – bitte…!«

»Immer muß man dir sagen, was du zu tun hast, immer muß ich auf dich aufpassen, du Trottel, weil du sonst nur Blödsinn anstellst. Angst vor den Toten, vor Geistern?«

Er stieß ihn zu Boden und gab ihm noch einen Tritt. Dann blieb er geduckt über ihm stehen und keuchte schwer, den Blick ins Leere gerichtet, seltsam stumpf jetzt der Ausdruck seiner Augen – beinahe irr war es, dieses Irgendwohinstarren.

Stille herrschte nun wieder auf dem alten Mexikanerfriedhof, gespenstische Stille, in die nur Charlys dünnes Wimmern drang. Der bärtige Dillon stand da und starrte in die Ferne, sah dennoch Bilder – das Bild einer Frau, schlank, vollbusig, langhaarig – rotschimmerndes Haar, lockende Lippen, blitzende Augen…

Plötzlich kam die Erinnerung an Tom Pillars Saloon zurück, an die Frau hinter dem Tresen in der verräucherten Kneipe jenseits der Grenze und westlich von Raton, wo sich jene trafen, die an der Grenze Geschäfte machten, wohin kein Sheriff ohne drei Deputies ritt, weil er sonst nicht lebend aus Comanche zurückgekommen wäre. So hieß das Nest, in dem sich all das Gesindel immer traf. Kein Sheriff ritt gern nach Comanche!

»Elisabetha!« sagte Dillon leise. Sein Mund formte den Namen und ließ ihn wie eine Beschwörungsformel durch die Stille dringen. »Liza Palucco…«

Charly wimmerte nicht mehr. Der einzige Mann, der jemals blond auf die Welt gekommen und auch blond in einer Familie von Schwarzhaarigen gewesen war, hörte den Namen und zuckte zusammen, vergaß sein Gewimmer, seine Schmerzen.

Liza Palucco – Liza? Was sollte der Name, was sollte die Erinnerung an eine Frau, die für Geld mit jedem Mann die knarrende Stiege zum Giebelzimmer in Tom Pillars Saloon hochgestiegen war? Nun gut, sie war Morts Freundin gewesen, sie hatte den bärenstarken Mort Dillon anderen Männern vorgezogen und war verschwiegen gewesen – stumm wie ein Grab, wenn es Geheimnisse unter Männern gegeben hatte, die sie mit anhörte.

»Liza!« zischte der bärtige Dillon. »Liza!«

Nur nicht fragen, dachte Charly, der weder lesen noch schreiben, aber seltsamerweise mit Karten umgehen konnte wie kaum jemand. Die bunten Bilder hatten ihn schon als Kind angelockt, er hatte mit den Karten gespielt, er war mit ihnen aufgewachsen – nur jetzt keine Frage stellen, dann schlägt er mich wieder.

Sein Bruder sah das nächste Bild, sah sich mit seinen Freunden am Tisch sitzen und Charly auf der Bank in Pillars Saloon liegen. Dort lag Charly immer, wenn er zuviel Fusel in sich gegossen hatte. Mort hob den Kopf, als er das Klimpern der Glasperlen des Vorhangs an der Verbindungstür von Store und Saloon hörte. Liza stand dort in ihrem engen Kleid mit dem tiefen Ausschnitt, der ihre Brüste zusammendrückte und hervorhob. Sie stemmte die linke Hand in die schmale Hüfte und lächelte ihm zu.

Dann war das Bild verschwunden, ein anderes erschien: das schmale Zimmer mit dem breiten Eisengestellbett, dessen Pfosten Messingkugeln an den Enden hatten.

»Dort, der Marshal war hier…«

»So? Na und, was kann der mir schon?«

»Ich glaube, er hat nach euch gesucht, Mort – er sah sich im Stall um. Hinten, weißt du, wo ihr die Pferde abstellt. Er hat aber nicht nach euch gefragt, er ritt wieder fort.«

»Reiten soll gesund sein, hähähä! Kommst du bald her?«

Sie streifte das Mieder ab, sie war nackt – und sie war schön. Eine nackte Frau, die ein Tablett mit einer Flasche und zwei Gläsern trug.

Er hatte getrunken, an den Marshal gedacht, den er fürchtete. Der Mar­shal war schon lange hinter ihnen her. Er verdächtigte sie, hatte aber keine Beweise, würde auch nie welche finden, der Narr.

Als er genug getrunken hatte, der nackte Mort Dillon, hatte es ihn in der Kehle gekitzelt. Lachen hatte er müssen, lachen.

»Wenn der Narr wüßte, Liz! Ich lach’ mich tot, der blöde Kerl! Ja, wir haben die Pferde gestohlen, aber beweisen kann er es nicht. Natürlich waren wir es, wer denn sonst, Liza? Wenn der blöde Kerl etwas finden wollte, müßte er bei den Toten suchen. Er könnte mal bei Juan Montenero nachfragen – hähähä!«

Er hatte sich vor Lachen ausschütten wollen.

Das Lachen ließ den kleinen Bruder am Boden frieren, es war ein gellendes, schauriges Gelächter, das über den Friedhof und Juan Monteneros Grab hallte.

Mort Dillon krümmte sich noch mehr zusammen, in seinen Augen tanzten tausend Teufel. Dann sah er das nächste Bild und lachte nicht mehr.

Jim Clement auf einem Wallach, die Hände nicht an den Zügeln, die Hände auf dem Rücken in Handschellen.

Sie hatten gerade aus Comanche reiten wollen, als Clement vor ihnen auf dem Weg gehalten hatte.

Der Pferdehändler aus der Sierra Grande bei Capulin hatte sie angestarrt und dann geschrien:

»Er hat sie gefunden…!«

In diesem Moment waren die Nerven mit Charly durchgegangen. Vier Worte hatte Jim Clement ihnen zugeschrien, vier Worte, die ihnen eine ganze Story erzählt hatten – die von den gestohlenen Pferden, dem Versteck in den Bergen, wo sie umgebrannt worden waren und wo Mar­shal Logan sie gefunden haben mußte. Oder besser, wo Logans dreimal verfluchter Grauschecke sie entdeckt hatte, dieses Pferd, das eigentlich kein Pferd war, denn wie konnte ein Pferd denken, wie konnte es Dinge tun, die kein Pferd tat?

»Halt, runter vom Pferd, halt, Charly, ich schieße!«

Charly hatte durchgedreht, war schießend davongerast, hatte aber den Marshal nicht getroffen. Auch Mort war aus dem Sattel gehechtet und in die Büsche geflohen, weil sein Pferd nach Logans erstem Schuß unter ihm zusammengebrochen war. Die zweite Kugel war Mort in die rechte Schulter gefahren und hatte seinen Arm gelähmt. Links schießen konnte er nicht, das war das Ende gewesen. Charly war davongekommen, hinter der Scheune in Deckung gegangen. Als der Marshal kam, wollte er ihn abknallen. Aber dann war Arrow, der dreimal verfluchte Grauschecke, aufgetaucht. Das Pferd war von hinten mit einem Riesensatz über den Zaun geflogen. Und dann war das passiert, was Charly noch nach Monaten im Jail nachts hatte träumen und schreiend aufwachen lassen. Arrow, Logans Wunderpferd, war mit den Hufen auf Charly Dillon losgegangen, es hatte Charly vor den Kopf getreten.

Eine halbe Stunde später hockten sie in Handschellen im Saloon. Logan drehte James Flemmings Tabakdose zwischen den Fingern.

»Wo habt ihr Flemming gelassen? Woher habt ihr die Tabaksdose? Dillon, Flemming hatte über zweitausend Dollar bei sich! Wo ist das Geld?«

»Wir wissen nichts von Flemming. Ich hab’ die schöne Dose von einem Greaser gekauft – in Raton auf dem Wochenmarkt. Nein, ich kannte den Greaser nicht – so ein kleiner, mickriger Kerl mit Hängeschnauzbart und einem faltigen Gesicht. Was denn, wir sollen Flemming umgebracht haben, wir? Ich habe noch nie im Leben jemand umgebracht, außer ein paar Schmeißfliegen, die mein Pferd belästigten. Das Geld für die Pferde? Stimmt, wir haben das Geld von Clement bekommen, aber wir haben es abgeliefert. Das war doch gar nicht unser Geld, Mann!«

»Was soll das jetzt wieder, Dillon?«

»Na, was ich sage – es war nicht unser Geld. Ein paar Freunde fragten uns, ob wir ihnen einen Gefallen tun wollten – nur ein paar Pferde zu Clement bringen. Na ja, das haben wir getan – hundertfünfzig Dollar sollten wir bekommen, wenn wir die Arbeit erledigt hatten. Gestohlen – wir? Wir stehlen doch keine Pferde? Marshal! Stehlen wir jemals Pferde, Charly?«

»Nie, nie, Marshal, ehrlich nicht!«

Dabei waren sie geblieben. Vor der Jury hatten sie ihre angeblichen »Freunde« gedeckt. Nein, Verräter waren sie nicht, sie verpfiffen doch keinen Freund! Dann das Urteil: vier Jahre!

Durch die Zuschauermenge war ein Raunen gegangen – nicht etwa, weil den Leuten das Urteil zu hart erschienen war, nein, im Gegenteil, man hatte den treuherzig blickenden Dillons ihre Story geglaubt. Männer, die ihre Freunde nicht verpfiffen, waren doch wackere Burschen, die hatten Charakter!

»Pfui!« hatten die Leute geschrien. »Pfui – ein Unrecht, ein Unrecht – ­buuuh!«

Sie hatte auch mitgeschrien – sie, Liza Palucco.

»So war das«, sagte Mort Dillon. »Liza – verstehst du, Charly, Liza hat unser Geld!«

»Was?« stöhnte Charly und setzte sich auf. Mort hatte ihn angeredet, jetzt durfte er sicher sein, daß er nicht noch eine Tracht Prügel bekam, wenn er sich unaufgefordert erhob. »Was ist das – Liza hat unser Geld? Aber, wie soll sie denn…«

»Hol das Pferd her, Junge, wir müssen nach Comanche zu Tom Pillar und dann vielleicht noch weiter nach Vermejo zu Antonio Palucco, ihrem Bruder. Der Lump ist genauso schlecht wie Liza, der verkauft dir einen Lungenpfeifergaul als Rennpferd! Liza hat das Geld, ich bin wirklich ganz sicher!«

»Wie denn, wie will sie es denn erfahren haben…«

»Das verstehst du doch nicht, Mann! Die Paluccos wohnen schon seit einem halben Jahrhundert an der Grenze. Vor zwei Jahren hat der alte Palucco noch gelebt, der kannte alle Mexikaner auf hundert Meilen in der Runde. So hängt es zusammen, wette ich. Juan Montenero, der Name hat ihr etwas gesagt, sie hat ihren Alten gefragt, wer Juan Montenero war. Ich wette, sie hat es sich allein geholt. Das Aas, das kaltblütige, verkommene Aas!«

Charly verstand gar nichts mehr, er holte das Pferd. Sie hatten nur eins, zwei hatten sie mit dem bißchen Geld nicht kaufen können. Sie mußten auf einem Tier reiten, aber sie waren ja überzeugt gewesen, daß sie bald im Geld schwimmen würden.

»Nimm den Kasten und die Zeitung mit, heb alles auf!« befahl Mort finster. »Die Zeitung ist wichtig!«

Er ließ sie sich geben, sah nach dem Datum und nickte. Die Zeitung trug das Datum vom November vor drei Jahren, es war der »Raton Weekly«, der nur einmal in der Woche herauskam.

Liza, dachte Dillon, Liza, dafür reiße ich dir die Kleider vom Leib, wenn ich mit dir in den Bergen bin. Dann binde ich dich nackt an einen Baum und peitsche dich aus, bis dir die Haut in Streifen herabhängt. Mir fällt schon etwas ein für dich, meine Teure! Das bist du wirklich, du bist mir sehr, sehr teuer geworden. Ich bring dich um, du Rabenaas!

*

Antonio Palucco rülpste einmal laut, als er sich vom Tisch erhob und den Teller mit dem Rest Pfefferbohnen von sich schob. Zwei Tage dasselbe Essen, zwei Tage den gleichen Durst, wenn er vom Tisch aufstand und zum Herd ging, auf dem die schmutzigen Töpfe und Pfannen standen. Das Geschirr stapelte sich in der Abwaschschüssel, denn er wusch nur einmal in der Woche ab.

Antonio Palucco stellte den Teller mit dem Rest Bohnen zu dem anderen schmutzigen Geschirr. Dann lehnte er sich an den Herd und goß sich Kaffee ein.

Früher hatte er nicht gerülpst, das hätte Maria nicht gelitten. Sie war wirklich eine gute Frau gewesen, seine Maria. Sie hatte ihn und den alten Vater versorgt – alles war hier in Ordnung gewesen, alles sauber, aufgeräumt. Ja, Maria Palucco hatte wirklich alles bestens getan, nur etwas nicht – sie hatte kein Kind bekommen. Und dann war sie auch noch gestorben, wie so viele Frauen in diesem weiten Land, das zu wenig Ärzte hatte und in dem die Leute glaubten, daß die Krankheit, die von selbst gekommen war, auch von allein fortgehen würde.

»Maria«, sagte Antonio Palucco zwischen zwei Rülpsern, »Maria war schon in Ordnung. Bei ihr hätte es keinen Staub auf dem Regal gegeben – auch kein dreckiges Geschirr oder Bettzeug. Was soll’s, ich bin zu faul!«

Er sagte es, stellte die Blechtasse hin und zog sich die Hose über seine hervorstehenden Hüftknochen. Antonio kochte nicht gern, darum hatte er seit Marias Tod abgenommen und war dürr geworden. Wozu sollte man kochen, wenn es einem ohne Gesellschaft doch nicht schmeckte, he? Gut, er hätte ja noch mal heiraten können, eine Frau hätte ihm Liza schon besorgt, aber was für eine? Vielleicht eine, die schon zwanzig Männer gehabt hatte, was? Eine anständige Frau hielt es in Vermejo ja doch nicht aus. Das Nest verfiel immer mehr – die Bewohner waren zumeist alt, sie starben weg – die jungen Leute zogen fort nach Raton.

Wenn die Straße von Raton nach Santa Fé nicht durch Vermejo geführt hätte, wäre das Nest längst verlassen gewesen. Neuerdings fuhr die Bahn nach Santa Fé. Dann gab es noch die südliche Straße nach Santa Fé, die für Wagen besser war, weil sie durch weniger Berggelände verlief.

»Wer will denn schon nach Vermejo heiraten?« brummte Antonio Palucco mürrisch und trat aus dem flachen Mexikanerhaus, das sein Großvater einmal gebaut hatte. »Ich will auch keine Frau mehr. Eine wie Maria finde ich doch nicht!«

Er schlurfte zum Hof und die Dämmerung hinein. Seine Stiefel hatten sechs Wochen kein Fett mehr gesehen, seine Hose war ausgebeult und hatte einen Riß zwischen den Beinen. Die Naht war aufgeplatzt, als er sich vor drei Wochen beim Saubermachen der Wassertröge im Stall zu tief gebückt hatte. Beim Gehen klatschten die Stiefelschäfte gegen seine mageren Waden. Die Schäfte waren zu hart geworden, aber ehe sich Antonio Palucco zwei Stunden hinstellte und sie mit Fett durchknetete, wie es sich gehört hätte, schlurfte er lieber staksig durch die Gegend.

»Immer dasselbe«, sagte er mürrisch. Heute war so ein Tag, an dem er morgens müde aufgestanden und vollkommen lustlos geblieben war. »Aufstehen, Kaffee kochen, dem Viehzeug Wasser geben, Futter einwerfen, Mittag essen – schlafen – aufstehen, Kaffee trinken, ausmisten – immer dasselbe, was?«

Der Maulesel, den er vom alten Martinez gekauft hatte, ehe der sich zum Sterben hinlegte, schrie ihn klagend an. Das blöde Vieh konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, daß es nicht zweihundert Schritt weiter in seinem alten Corral untergebracht war und der alte Martinez ihm kein Futter gab.

»Blödes Vieh!« sagte Antonio mürrisch. »Was schreist du? Wenn ich nur jemand finden könnte, der dich kauft, aber du bist schon alt, dir geht das Fell aus. Na ja, wenn man bedenkt, daß ich dich für vier Dollar bekam, könntest du mir doch noch zehn Dollar einbringen. Hör auf zu schreien, du Langohr!«

Antonio schlurfte zum Brunnen, ließ den Eimer hinunter, zog ihn gähnend hoch und gab den sechs Pferden und vier Eseln nach und nach Wasser.

Es war eine zeitraubende Arbeit, doch Antonio Palucco dachte nicht daran, ein Windrad und eine Pumpe zu bauen.

Schon sein Großvater hatte das Wasser eimerweise aus dem Brunnen geschöpft – warum sollte er es anders machen?

Nachdem er die Pferde und Esel in den Corrals versorgt hatte, machte sich Antonio auf den Weg zum Stall. Er war ein vorsichtiger Mann, klug geworden durch die Erfahrung, daß gute Pferde zu leicht gestohlen wurden, wenn man sie nicht im Stall unterbrachte. Zwar liefen seine sieben besten Pferde, jedes gut hundert Dollar wert, tagsüber auch im Corral vor dem Stall umher, doch bei Einbruch der Dämmerung brachte er sie in den Stall.

Antonio Palucco rülpste laut, als er, den Wassereimer in der Linken, die Stalltür aufschloß und den Stall betrat. Hier herrschte schon tiefe Dunkelheit, darum stellte Antonio den Eimer links neben der Tür im Gang ab. Dann machte er einen Schritt nach rechts und streckte die Hand nach dem Wandregal aus. Dort stand die Laterne und dort lagen auch Streichhölzer.

»Immer dasselbe – tagaus, tagein«, sagte Antonio mürrisch, als er das Streichholz an den Docht der Lampe führte. »Nie eine Abwechslung, nie etwas anderes.«

Die Lampe brannte, er schlurfte durch den Gang bis zur Heukammer, hängte die Laterne an den Haken und öffnete im Schnauben seiner sieben guten Pferde, die ihn freudig begrüßten, die schiefe Brettertür.

Als er die Kammertür aufzog, sah er den Mann mit dem Revolver in der Faust grinsend vor sich stehen.

Antonio Palucco bekam einen derartigen Schreck, daß er einen vollen Schritt zurückprallte und so dem zweiten Mann entgegenkam, der bis jetzt in der Box gegenüber und in seinem Rücken zusammengekauert neben dem Rostbraunen gesteckt hatte. In diesem Moment wußte Antonio, daß es endlich einmal eine Abwechslung seines eintönigen Lebens geben würde. Die erste Abwechslung erfuhr er in der nächsten Sekunde.

Der Mann hinter ihm hatte bereits ausgeholt, machte einen Satz und schlug dem dürren Antonio Palucco die geballte Faust in den Nacken.

Der fürchterliche Hieb ließ den Pferdehändler auf der Stelle zusammenbrechen. Vor seinen Augen tanzten Sterne und Sonnen, ehe er in den Gang stürzte und wie tot liegenblieb.

*

»Ist er nicht ein freundlicher Mensch?« fragte Mort Dillon grinsend. »Sogar das Wasser hat er mitgebracht, als hätte er gewußt, daß wir es brauchen würden, um ihn munter zu machen. Sage nur, er ist kein freundlicher Pilger, Bruder!«

»Das ist er«, versicherte Charly glucksend. Wenn er einmal selbst keine Prügel empfing, war es ihm eine reine Freude, andere zu verdreschen, und er reichte seinem großen Bruder kichernd den Eimer. »Kann ich das nicht machen?«

»Nein«, antwortete Mort mürrisch. »Das muß man verstehen. Du kannst nicht mal einen Eimer Wasser richtig über jemand ausgießen. Das muß man ganz langsam machen – gaaanz laaangsaaam!«

Charly stülpte beleidigt die Lippen auf. Immer durfte er nur arbeiten…

Mort Dillon hob den Eimer langsam an, schwenkte ihn vorsichtig und ließ das Wasser in einem dünnen Strahl über den Eimerrand laufen. Es rieselte auf den Hinterkopf und den Nacken Antonio Paluccos herunter. Der Eimer wanderte hin und her, so daß sich der dünne Strahl nicht auf die gleiche Stelle ergoß.

»Siehst du«, sagte Mort. Er grinste schon wieder. »So macht man das – davon wacht er garantiert auf. Das ist sozusagen eine Lebenserweckungsmedizin. Sieht verkommen aus, der Kerl – genauso verkommen wie alles hier. Kaum zu glauben, daß es vor zweieinhalb Jahren einmal sauber und aufgeräumt gewesen ist, was? Der Stinkstiefel muß wohl gar nichts mehr getan haben, nachdem sein Alter starb. Vor dem hat er Respekt gehabt. Siehst du, er atmet schon wieder richtig!«

Charly blickte neugierig auf Antonio herab, der jetzt tief und röchelnd durchatmete, dann die Arme bewegte, als wolle er durch seinen Gang schwimmen und schließlich mit den Beinen strampelte.

Antonio Palucco zog die Beine an. Er schien aufstehen zu wollen, denn er stemmte nun auch die Hände gegen den Boden. Doch dann sank er mit einem kurzen Keuchen zurück und bewegte nur den Kopf. Antonio Palucco blickte nach links auf die Stiefel, nahm den Kopf immer weiter herum und ließ den Blick seiner schmerzenden Augen an den Hosenbeinen hochwandern, bis er die rote Bandana ausmachte und die blaue Jacke die Erinnerung an die Zeit vor zweieinhalb Jahren zurückzubringen schien, denn er wurde stocksteif.

»Ja«, sagte Mort Dillon sanft – zu sanft. »Das bin ich wirklich, mein lieber Tonito. Und das sind meine Sonntagssachen, die ich mir von Tom Pillar geholt habe. Er hat sie für mich aufgehoben, denke nur!«

Beim Klang der Stimme lief Palucco eine Gänsehaut über den Leib. Wer Mort Dillon einmal erlebt hatte, der wußte zu gut, wozu er fähig war.

»Charly !«

Mort Dillon stieß den Vornamen seines Bruders förmlich heraus, warf den Eimer im Bogen ins Heu und trat dann drei Schritt im Gang zurück.

»Was – was?« gurgelte Palucco entsetzt. »Nein, nein, Mort, nein, ich…«

Weiter kam er nicht. Charly hatte nur auf den Befehl gewartet, bückte sich blitzschnell, riß Palucco auf die Beine und schlug ihm dann die Faust mit solcher Wucht in den Rücken, daß der hagere Mann auf Mort zuschoß.

»Der gute Tonito!« zischte Mort Dillon giftig. »Gar nicht vorbereitet auf unseren Besuch, was? Du verfluchter Gauner!«

Er empfing den guten Tonito mit einem wuchtigen Aufwärtshaken. Palucco blieb ächzend stehen, bekam die Linke Dillons auf die Rippen, drehte sich hilflos und flog zurück.

»Hast du nicht umsonst gemacht – hast du nicht!« knirschte Charly bösartig.

Er dachte noch an die Tracht Prügel, die er auf dem Friedhof von Aguilar bezogen hatte, als er die Faust herausrammte und Tonito Palucco so schwer unter den Rippen traf, daß der hagere Mann gar nicht mehr bis zu Mort zurückflog. Palucco brach stöhnend in die Knie, mußte seine Hände in den Magen pressen und drohte auf das Gesicht zu fallen, als Mort zutrat.

Der Stiefel hob den Pferdehändler an, Palucco neigte sich nach hinten und stürzte auf den Rücken.

»Nein – nein!« brachte er abgehackt heraus. »Warum – Mort – warum, warum?«

Der bärtige Dillon sah ihn so mörderisch finster an, daß Palucco in tiefster Seele fror.

»Du fragst noch?« zischte Dillon. »Dumm stellen – auch noch den Unwissenden spielen? Du elender Gauner, was habt ihr mit unserem Geld gemacht? Wo ist Liza?«

»Er lügt, er stellt sich dumm!« fauchte Charly. »Der versucht doch noch, uns zu belügen! Warte, Tonito, dir werde ich…«

»Nicht – nicht!« stöhnte der hagere Pferdehändler voller Furcht, als sich Charly bückte und ihn hochreißen wollte. Mort – nicht schlagen – nicht schlagen! Euer Geld – euer Geld? Ich habe kein Geld, ich habe kein Geld genommen. Mort…«

»Halt!« befahl Mort scharf, denn Charly holte schon aus, um Tonito mitten auf sein Lügenmaul zu schlagen. »Laß ihn, Charly – laß ihn in Ruhe!«

»Der lügt doch, der lügt!« behauptete Charly stur. Er war überzeugt, daß Palucco sie austricksen wollte. Daß der Händler nicht log, erkannte Mort jedoch augenblicklich.

»Er lügt nicht«, schnappte Mort bissig. »Hilf ihm auf die Beine – er weiß nichts von der Sache.«

»Laß mich nur machen. Ich treibe ihm seine verdammten Lügen schon aus, der redet!« entgegnete Charly selbstsicher.

»Du sollst ihm auf die Beine helfen, Mensch!«

Charly schrie einmal, als ihm Morts Stiefel ins Gesäß fuhr und ihn etwas anhob.

»Der lügt wirklich nicht?« fragte er danach verstört. »Bist du sicher, Mort?«

»Ja – und nun stelle ihn hin und halte ihn fest!«

Charly tat es. Sein Gesäß schmerzte, und während er Tonito an die Wand lehnte und mit einer Hand festhielt, rieb er sich mit der anderen maulend sein Hinterteil.

»Du kannst noch etwas haben, wenn du nicht parierst!« warnte ihn Mort giftig. Dann sah er den stöhnenden Palucco an, trat dicht vor ihn hin und stieß ihm den Zeigefinger vor die Brust.

»Antworte auf meine Fragen, lüge nicht und verdrehe nichts, dann passiert dir auch nichts, klar? Wo ist Liza?«

»In – in Albuquerque!« ächzte Palucco. »Sie arbeitet dort im Railroaders-Saloon. Manchmal ist sie auch in Socorro im Desert Inn, der gehört demselben Besitzer. Mort, Mort, um Gottes willen, ich lüge nicht, ich sage die Wahrheit, schlage mich nicht! Was – was ist das mit eurem Geld – was ist das?«

Mort blickte ihn durchdringend an. Mochte Palucco auch ein mit allen Wassern gewaschener Pferdetäuscher sein, er kannte die Dillons schließlich. Morton war jetzt sicher, daß Tonito nicht log, der Mann fürchtete um sein Leben – und das nicht zu unrecht.

»Du weißt doch, daß man uns verdächtigte, Flemmings Geld und das aus dem Pferderaub versteckt zu haben?«

»Ja«, würgte Palucco. Er wischte sich das Blut vom Mund und der Nase, rieb den Handrücken an der Hose sauber und schüttelte sich. »Aber – ihr habt Flemming doch nicht – oder – oder doch?«

Seine Stimme flackerte zuletzt wie die erlöschende Flamme einer Totenkerze. In Paluccos Augen tauchte jetzt die Angst auf – in dieser Minute erriet er die Wahrheit. Wenngleich er auch schon in Colorado gestohlene Pferde von den Dillons gekauft hatte. Daß sie Flemming ermordet hatten, hatte selbst seine Schwester Liza bestritten und behauptet, das hätten die Dillons nie getan.

»Vielleicht«, murmelte Mort düster. »Nimm einmal an, wir hätten das Geld versteckt und es gestern holen wollen – nimm das mal ruhig an, Tonito. Das Geld ist verschwunden! Und jetzt denke nach – ich rate dir, denke genau nach, Mann! Dein Vater starb im Januar vorigen Jahres – richtig?«

»Ja«, gab Palucco verwundert zu­rück. »Woher weißt du…«

»Tom Pillar«, erklärte Mort knapp. »Wir erfuhren es schon im Jail, als sie Mike Andrews einlochten, aber er konnte sich nicht an den Monat erinnern. Tonito, war Liza kurz nach unserer Verurteilung hier? Erinnere dich, Mann! Sie muß hiergewesen sein und mit deinem Vater über die anderen Mexikanerfamilien gesprochen haben, die seit einem halben Jahrhundert in dieser Gegend wohnen. Aguilar – hat sie auch über Aguilar gesprochen?«

Charly mochte dumm sein, aber sein Instinkt war immer hellwach, seine Augen sahen alles. So sah er jetzt, daß Palucco zusammenzuckte und Mort verstört anblickte.

»Aguilar?« keuchte der Händler. »Woher – woher weißt du das? Ja, sie war hier, sie brachte Vater einen warmen Pullover mit und zwei Paar Socken. Er war ganz gerührt, daß sie an ihn gedacht hatte. Es waren ihre letzten Geschenke für ihn. Ja, Mort, sie redeten über die alten Familien, über Vaters Freunde und Bekannte. Sie hockte vor ihm am Herd. Es war ein schönes Gespräch für ihn, sagte er, nachdem sie fort war. Er sagte, er hätte gar nicht gedacht, daß Liza sich für die Alten jemals interessiert hätte.«

Tonito Palucco schwieg verstört, denn Mort Dillon begann plötzlich zu lachen. Es war ein gellendes, schrilles Lachen, das den breitschultrigen Mann schüttelte und ihn keuchend an die Wand trieb, wo er nach diesem Lachanfall mit geschlossenen Augen stehenblieb.

»Ein schönes Gespräch?« murmelte Dillon. Seine Stimme hakte, er schien wieder mit dem Lachen zu kämpfen. »So, ein schönes Gespräch? Über welche alten Familien sprachen sie, weißt du das noch?«

»Ich weiß nicht genau, Mort. Über die um Trinidad und Pueblo, die hier und jene im Süden um Santa Fé. Du weißt doch, mein Vater kam viel herum, er handelte mit seinen Mauleseln überall – er kannte fast alle alten Familien.«

»Ja«, sagte Dillon. »Ja, er kannte sie, das ist wahr. Ich unterhielt mich mal mit ihm über die alten Zeiten. Schließlich war unsere Großmutter Mexikanerin. Tonito, Liza gab ihren Job bei Tom Pillar Anfang Dezember auf. Sie erzählte Tom, ein Mann aus Santa Fé hätte ihr in seinem Saloon die Aufsicht über sechs Girls angeboten – hat sie dir das auch erzählt?«

»Ja, aber dann wurde nichts daraus, sie kam hin, schrieb sie, und der Job war vergeben. Da ging sie nach San Felipe. Von dort fuhr sie nach Albuquerque, aber sie schrieb im letzten Brief, sie hätte ein besseres Angebot aus El Paso bekommen und würde wohl bald hinreisen. Mort, was sollen die Fragen? Du glaubst doch nicht, daß Liza euch bestohlen hat? Mann, sie hat euch überall verteidigt, sie hat gesagt, ein Mann wie du brächte niemand um. Sie soll euch bestohlen habe? Das glaube ich nicht!«

Mort sah ihn nur finster an.

»Zweieinhalbtausend Dollar«, mur­melte Dillon. »Dafür kann man einen Saloon kaufen, das war doch ihr Traum, oder? Zweieinhalbtausend Dollar, fünfundzwanzig gute Pferde – hast du die jemals in deinen Corrals gehabt, Tonito?«

»Nein«, schluckte Palucco. Plötzlich wußte er, daß Dillon recht hatte. Wenn er von einem Versteck gewußt hätte, in dem diese Summe lag, würde er sie auch geholt haben. Mit zweieinhalbtausend Dollar konnte man etwas anfangen, was einem genug Profit brachte, um immer mehr verdienen und im Alter sorgenfrei leben zu können.

»Siehst du«, sagte Mort düster. »Zweieinhalbtausend – die hättest du dir auch geholt, ich weiß es! Wie oft schreibt ihr euch?«

»Zweimal im Jahr – zum Geburtstag – zu Weihnachten, öfter nicht«, erwiderte Palucco gepreßt. »Mort, ich hätte es doch nicht gewagt, nein, ich hätte vor Angst keine ruhige Minute mehr gehabt und jede Nacht von dem Tag geträumt, an dem ihr aus dem Jail kommen würdet. Nein, ich hätte es nicht geholt!«

»Du hättest es auch riskiert«, sagte Dillon finster. »Jeder würde es getan haben. Man kann sich ja etwas einfallen lassen, um die Besitzer der Beute zu empfangen, wenn sie aus dem Jail kommen und ihr Geld zurückhaben wollen. Ich will die Briefe sehen, Tonito – du hast sie doch?«

»Ja, Mort, ja. Ich zeige sie dir. Glaube mir, das habe ich nicht gewußt, bestimmt nicht!«

»Ich weiß – du wärest nicht mehr hier, du wärest auch da unten in Socorro oder Albuquerque – oder in El Paso.«

»Mort!« keuchte Charly schrill. »Mort, sie kann sich doch ausrechnen, daß wir sie suchen werden. Darum hat sie ihm schon geschrieben, sie würde nach El Paso gehen. Von dort kann sie verschwinden, sie braucht ja nur über die Grenze zu gehen – oder nach Westen. Mort, sie wird mit unserem Geld durchgehen. Wir müssen hin, wir müssen schnell hin, sonst ist sie verschwunden. Stell dir vor, daß sie ans Jail geschrieben hat…«

Charly Dillon konnte nicht mehr reden, er schnappte nach Luft und dachte an Lester McDermitts Frau. Die Frau hatte auch ans Jail geschrieben. Sie wollte alles schön für seinen Empfang machen, wenn er entlassen wurde. Die ganze Verwandtschaft würde ihm einen Empfang geben, aber Lester sollte davon nichts erfahren, es sollte eine Überraschung werden. Es wurde auch eine. Als er nach Hause kam, öffnete ihm ein Fremder die Tür und sagte ihm, seine Frau hätte ihm das Haus und das Vieh verkauft. Wohin sie sei? Keine Ahnung! Hier wäre ein Mann gewesen, er habe gedacht, das sei ihr Mann…

»Sie weiß es!« keuchte Charly. »Mort, sie weiß es längst, sie ist weg!«

»Ja«, sagte Mort einsilbig und ging zur Stalltür. »Sie ist nicht mehr in Socorro – na und?«

»Wir finden sie nie, Mort!«

Er lachte nur und ging zum Haus.

Es gab nichts, was ein Dillon nicht wiederfand!

*

Mort schob den Teller beiseite und sah Palucco seltsam an. Dem wurde wieder schlecht, denn er ahnte, daß die Sache noch lange nicht ausgestanden war. Sie hatten Hunger wie die Wölfe gehabt, Durst wie Männer, die durch eine Wüste geritten waren. Zudem waren sie nur auf einem Pferd gekommen, einem Klepper, der gerade fünfzig Dollar einbringen mochte.

»Ja«, sagte Mort und hob die Briefe nachlässig an. »Stimmt alles, was du erzählt hast, Tonito. Du kannst ihr ruhig schreiben, daß wir sie suchen, sie wird den Brief nicht erhalten, wette ich. Du kannst ihr auch schreiben, daß wir dich an euer Familiengesetz erinnert haben. Ihr Mexikaner habt eure eigenen Familiengesetze, wie? Wenn der Bruder in Not gerät, helfen ihm alle Geschwister, so ist das doch bei euch, oder? Macht einer Schulden, zahlen die anderen sie zurück, wenn er selbst nicht zahlen kann – ist doch so, ja?«

Tonito hatte das Gefühl, daß sich sein Magen zusammenzog und sein Herzschlag aussetzte.

»Ich… ich…«

»Was?« fragte Mort und spielte mit dem langen Messer, das er zum Schneiden des Rauchfleisches benutzt hatte. »Was ist, Tonito? Wir brauchen deine beiden besten Pferde. Unser Gaul taugt gerade als Packpferd, mehr ist der nicht wert. Geld hast du auch im Haus, ich weiß es! Lüge nicht, bleibe bei der Wahrheit, dann nehmen wir dir nicht alles. Lügst du, stellen wir das Haus auf den Kopf und finden es doch, klar? Wir können dich auch ›behandeln‹, wenn du nicht vernünftig bist, aber ich will das wirklich nicht, Tonito. Zwinge uns also nicht, etwas zu tun, was wir gar nicht wollen. Wieviel Geld hast du denn im Haus?«

Gott, dachte Palucco, Gott der Gerechte, ich hab’s doch gewußt! Liza, ich verfluche dich! Du Hure, du verfluchte Hure, was hast du uns alles angetan? Mutter starb vor Gram, als sie hörte, wie du dein Geld verdientest. Vater wagte sich monatelang nicht unter die Leute – ich schämte mich zu Tode, Maria wollte mich gar nicht nehmen, weil ich so eine Schwester hatte. Aber du warst immer die Tochter unserer Eltern und meine Schwester. Blut ist dicker als Wasser bei uns, wenn das auch ein Gringo nicht richtig versteht. Ich muß zahlen – mein sauer verdientes Geld!

Paluccos Hände zitterten. Er wußte, log er, versuchte er, den Dillons einen zu geringen Betrag zu nennen, schlugen sie ihn gnadenlos zusammen. Vielleicht schlugen sie ihn sogar tot. Vielleicht glaubten sie ihm nicht einmal, wenn er die volle Summe angab. Was sollte er tun, sollte er mit ansehen, wie sie mit all seinem Ersparten davonritten? Oder sollte er sich totschlagen lassen?

»Die ganze Summe«, sagte Mort Dillon leise und spielte mit dem langen Messer. Es war, als hätte er die Gedanken Paluccos erraten. »Nicht lügen, Tonito!«

»Kommt mit«, murmelte der Händler. »Ich zeige es euch. Laßt mir bitte etwas, Mort.«

»Wir werden sehen.«

Als er vor ihnen in den Wohnraum trat und den Blendladen des Fensters schloß, schlotterten ihm die Knie. Die Angst, daß sie ihm nicht glauben könnten, ließ ihn zittern. Vor ihren Augen, er spürte ihre Blicke wie Dolche in seinem Rücken, nahm der die schwere Steinplatte vom Kamin. Darunter war die Lage hartgebrannter Ziegel. Selbst wenn man genau hinsah, konnte man nicht erkennen, welcher Ziegel lose saß. Sie hatten alle die gleichen offenen, bröckeligen Fugen. Dann nahm er den Ziegelstein heraus, legte ihn beiseite, hob die Abdeckplatte aus grauem Schiefer an und stellte sie hochkant. Danach erst kam die alte Kassette zum Vorschein: schwer, dick, an den Ecken vernietet und mit einem eingearbeiteten Schloß. Der Schlüssel lag unter der Kassette und der nächsten Platte.

Mein Gott, dachte Antonio, den seine Freunde Tonito nannten, weil diese Abkürzung besser klang, mein Gott, mein Geld. Liza, was kostest du mich noch?

Damals, als es mit ihr angefangen hatte, als sie zuerst mit einem verheirateten Mann geschlafen und dessen Frau sie erwischt hatte, hatte sein Vater Liza an den Haaren durch das Haus geschleift und auf sie eingeschlagen. Aber es hatte nicht geholfen, sie war wieder zu Männern gegangen – immer wieder. Und er hatte aufpassen sollen, er, Tonito. Er konnte nicht immer aufpassen und bekam Prügel für Liza.

Seine Hände zitterten, als die Kassette offen war und das Geld ihn ansah, das schöne Geld…

Antonio Palucco konnte nicht reden, als Mort das Geld herausnahm, die sechs Rollen mit den schönen Doppeladlern, die drei Paketchen Scheine, sorgfältig in Papier gewickelt.

Papier zerriß, Münzen klimperten auf der Tischplatte. Dann zählte Morton und sah Antonio durchbohrend an.

»Du hast doch noch etwas?«

»Ja«, sagte er gequält. »Noch eine Kassette im Tisch – in der Schublade, wenn ich Geschäfte machen muß – vielleicht achtzig Dollar – ich gebe sie euch!«

Charly grinste breit, der sah nur das Geld – vierhundertfünfzig Dollar in Münzen und Scheinen.

Mort blickte düster in die andere Kassette und dachte an Liza, für die Tonito nun zahlen mußte. Nun gut, Palucco war ein Roßtäuscher. Aber was konnte er im Grunde für seine Schwester und deren Gemeinheit?

»Die Scheine«, sagte Mort und nahm vierzig Dollar aus der zweiten Kassette. »Die beiden…«

Charly starrte ihn ungläubig an, aber er sagte noch nichts. Charly blieb stumm, weil er seinen Bruder zu gut kannte. Wenn der die dunklen Brauen so finster zusammenzog, reizte man ihn besser nicht.

Mort ging um den Tisch herum, seine Hand griff nach den Doppeladlern, sein Blick fiel auf die Jahreszahl der Prägung.

»Alt, was?« fragte er mürrisch. »Wie alt sind die, seit wann hast du sie, Tonito?«

»Einige stammen von mir, es gibt sie ja kaum noch, mein Vater hat sie gesammelt. Goldmünzen, sagte er, behielten immer ihren Wert.«

Mort schwieg, kein Mensch wußte, was er dachte. Nur er kannte seine Gedanken, als er die Münzen jäh zur Seite schob.

»Behalte sie!«

»Bist du verrückt?« schrie Charly los. »Bist du wahnsinnig? Das sind über zweihundert Dollar, das sind ja über zweihundert…«

Zählen konnte er, er wußte, wieviel so ein Doppeladler wert war, doch er hätte lieber nicht geschrien und seinen Bruder für wahnsinnig erklärt.

Mort fuhr blitzschnell herum, schlug zu. Seine Faust knallte als Drehschlag unter Charlys Kinn, hob Charly aus und fegte ihn quer durch den Raum. Charly blieb stöhnend in der Ecke liegen.

»Wenn du noch einmal sagst, daß ich verrückt bin, du elender Narr, breche ich dir alle Knochen!« knirschte Mort voller Grimm. »Das Geld hat ein alter Mann gesammelt. Er war ehrlich, er war kein Roßtäuscher und konnte nichts für seine Tochter. Das hat er sich vom Mund abgespart, du verdammter, gehirnloser Idiot. Wenn unser Vater das auch getan hätte, statt alles zu versaufen – stolz wäre ich auf ihn gewesen. Was wären wir wohl geworden – das, was wir sind? Söhne eines haltlosen Säufers – nie eine Chance im Leben gehabt, nie! Bist du stolz gewesen? Worauf hättest du schon stolz sein können? Der hier, der kann es sein, weil sein Vater ihm etwas hinterließ. Und was hat uns unser Vater hinterlassen?«

Antonio Palucco war bei Mort Dillons Wutausbruch an die Wand zurückgewichen. Verstört blickte er zu Charly, der abwehrend die Hände hob, als Mort auf ihn zustampfte.

»Hinaus!« fauchte Mort. »Ein Sattel, zwei Regenplanen, die beiden besten Pferde – nimm den alten Packsattel aus der Sattelkammer, den brauchen wir für unseren Gaul. Hoch mit dir, verschwinde!«

Charly kroch zwei Schritt, dann stand er auf und schwankte stöhnend hinaus.

»Ich habe nie arme Leute bestohlen«, sagte Dillon, als er mit Palucco allein war. »Du bist nicht arm, aber ich will nichts haben, was sich ein alter Mann mühsam zusammengespart hat. Aber ich brauche dies Geld, denn wir werden vielleicht sehr lange unterwegs sein, bis wir Liza gefunden haben. Tut mir leid, Tonito.«

»Schon gut, schon gut, Mort«, ächzte Palucco. »Was – was wirst du mit ihr machen?«

Mort Dillon schwieg, steckte das Geld ein und sah ihn kurz und finster an.

»Ich kann es nicht leiden, wenn man mich bestiehlt«, murmelte er dann. »Genausowenig mag ich es, wenn man mich verrät. Tonito, du könntest dem Marshal Meldung machen, daß wir dich besucht haben, du könntest über unseren Besuch mit anderen Leuten sprechen. Ich würde an deiner Stelle gar nichts tun und meinen Mund halten, denn sonst…«

»Ich rede nicht«, sagte Palucco. Er wußte, was ihn erwartete, wenn er zum Marshal ritt oder zuviel erzählte. »Ich habe euch nicht gesehen, Mort.«

»Gut!«

Dillon ging hinaus und sah sich nicht mehr um. Im Stall war Charly dabei, die Pferde zu satteln. Mort half ihm schweigsam, er sagte auch nichts, als Palucco hereinkam und ihnen zusah, wie sie sich mit Futter versorgten und einen Ledereimer mitnahmen. Wenig später stiegen sie draußen auf. Ihr Pferd, auf dem sie gekommen waren, trug nun einen Packsattel. Ihre Waffen hatten sie bei Tom Pillar in Comanche abgeholt.

»Bringt sie nicht um«, sagte Palucco dünn. »Mort, bringt sie nicht um – das, das ist sie nicht wert.«

»Wenn du es sagst?« murmelte Mort finster. »Nein, sie ist keinen Schuß Pulver wert. Adios, Tonito!«

Dann ritt er an. Charly sagte gar nichts zum Abschied und blieb eine halbe Länge hinter seinem großen Bruder zurück. Der schlug den Weg nach Süden ein, bog aber an der Weggabelung nach Osten ab.

»Wo willst du hin?« fragte Charly nach zehn Minuten. »Willst du einen Umweg machen? Wir müssen doch nach Süden, Mort.«

Mort sah sich kurz um und lachte nur.

»Idiot!« knurrte er dann. »Wenn du doch lesen könntest und etwas mehr Verstand hättest! Manchmal frage ich mich, ob du wirklich mein Bruder bist. Du glaubst doch wohl nicht, daß Liza in Albuquerque oder El Paso ist, was? Ihre Briefe kamen aus Albuquerque, das stimmt, aber alles andere stimmt nicht, du Narr!«

»Waaas?«

»Ja!« schrie ihn Mort an und hielt sein Pferd zurück, bis Charly neben ihm war. »Ja, sie ist in Santa Fé und San Felipe gewesen, aber niemals in Albuquerque oder Socorro – und sie wird erst recht nicht in El Paso auftauchen. Ganz schön gerissen, die schöne Liza, aber nicht gerissen genug! Ich brauchte nur ihren zweiten Brief zu lesen, den sie aus San Felipe schrieb. Darin machte sie Tonito klar, daß sie manchmal ein paar Wochen nicht in Albuquerque sein würde und er damit man ihr die Briefe zustelle, nie vergessen dürfe, auf den Umschlag zu schreiben: Aufheben, wird abgeholt!«

»Aufheben, wird abgeholt?« staunte Charly. »Was soll das denn heißen? Ach so, wenn sie mal in Socorro war, sollte der Brief aufgehoben werden, ich verstehe.«

»Du verstehst gar nichts!« schrie ihn Mort wütend an. »Ich habe doch gesagt, daß sie nie in Socorro oder Albuquerque gewesen ist. Charly, du Narr, ich kenne Liza besser als jeder andere. Sie hat sich in Santa Fé oder San Felipe an einen Kerl herangemacht. Wahrscheinlich hat sie die ehrbare Lady gespielt, das unschuldige Frauenzimmer, das die Familie mit irgendeinem ungeliebten Mann verheiraten wollte, deshalb verließ sie ihre Leute. Begreifst du endlich?«

»Ja«, versicherte Charly. »Hat Tonito sie denn verheiraten wollen?«

Mort hielt an und sperrte den Mund auf. Es dauerte Sekunden, bis er fähig war zu reden.

»Ist das zu fassen?« würgte er. »Er begreift gar nichts, er steigt nie durch. Alles muß man ihm dreimal erklären. Paß jetzt genau auf, du Trottel: Liza fuhr nach Santa Fé und verwandelte sich dort in eine richtige Lady, der kein Mensch ansah, daß sie ein Bargirl war – verstanden?«

»Ja, Mort.«

»Gut, langsam wird es«, stöhnte Mort. »Als unschuldige Lady machte sie sich an einen Mann heran, einen aus Albuquerque, den sie in Santa Fé oder in San Felipe kennenlernte. Sie brauchte nur auf dem Bahnhof herumzugehen, um einen Mann aus Albuquerque zu treffen. Auch begriffen?«

»Ja, Mort!«

»Junge, du machst dich«, versicherte Mort ruhig, obgleich er vor Grimm beinahe platzte. »Ich erkläre dir die Sache haargenau, also hör zu! Sie kann sich zum Beispiel ausgedacht haben, daß ihre Eltern noch lebten und sie zur Heirat mit irgendeinem Kerl zwingen wollten, den sie gar nicht liebte. Sie log dem Mann aus Albuquerque den Buckel voll. Daß sie lügen kann, weiß ich am besten. Hast du alles verstanden, Charly?«

»Genau«, antwortete Charly hastig. »Ganz genau, Bruder! Das Ra­ben­aas hat gelogen. Dabei waren ihre Eltern ja schon tot – nein, der Alte lebte ja noch. Na, so ein Aas!«

»Ja, so ein Aas!« bestätigte Mort. »Stell dir mal vor, du lernst eine feine Lady mit guten Manieren kennen. Sie ist schön, heult ein bißchen und erzählt dir, daß Vater und Mutter sie an einen Kerl verkaufen wollen, den sie gar nicht mag. Was machst du dann?«

»Wenn sie heult?« fragte Charly. »Na, ich helfe ihr natürlich. Jeder anständige Mann muß einer hilflosen Lady helfen.«

»Kannst du dir jetzt vorstellen, daß sie einen Mann fand, der ihr helfen wollte? Sie erzählte ihm von ihrem guten Bruder, der zu ihr hielte und dem sie gern schreiben möchte, wenn sie irgendwo eine anständige Arbeit und ihr Auskommen gefunden hätte. Damit nun der böse Vater nicht dahinterkäme, müßte sie sich die Briefe an einen Ort schicken lassen, wo sie niemals wäre. Zum Beispiel an irgendeinen Saloon, wo sie vielleicht einen Job in der Küche bekommen würde. Jemand brauche die Briefe dann nur im Saloon für sie abzuholen und ihr schicken. Charly, wenn du der Mann gewesen wärest, den Liza beschwatzte, was hättest du getan?«

Charlys Antwort zeigte, daß er jetzt mitdachte.

»Ich hätte ihr angeboten, die Briefe für sie abzuholen, ist doch klar, oder?«

»Du kannst ja manchmal direkt denken!« staunte Mort. »Aus dir wird doch noch etwas, Charly! So, und nun mal weiter. Du holst die Briefe für sie ab und schickst sie ihr in einem neuen Umschlag dorthin, wo sie wirklich ist, ist doch ganz einfach, wie? Dann schickt sie dir die Antwort in einem Brief, der wieder in einem zweiten Umschlag steckt. Du nimmst ihren Brief heraus, gehst zur Mail-Station und gibst ihn nach Vermejo an ihren guten Bruder auf. Natürlich dauert diese Hin- und Herschickerei etwas länger, aber du tust es ja für eine arme Lady. Die ist vielleicht sogar mit dir ins Bett gegangen, hat sich in ihrer Verzweiflung von dir auch anders trösten lassen. Du bist ein einsamer, alter Mann, vielleicht Witwer und bist ganz verrückt darauf, diesem Girl zu helfen, das zwar mit dir geschlafen hat, sich hinterher aber furchtbar schämt und heulend sagt, es dürfe dich nie wiedersehen, es mache nur alles viel schlimmer und dich unglücklich. So edelmütig kann nur eine echte Lady sein – und du heulst beinahe vor Gram, als sie dich verläßt. Glaubst du, Liza schafft das nicht? Du kennst sie ja auch, nur nicht so wie ich, aber du weißt ja, daß sie jeden Mann herumgekriegt hat. Na, traust du ihr zu, daß sie so einen alten Trottel gefunden hat?«

»Bestimmt!« schwor Charly. »Mann, das ist ein Ding! Klar doch, sie kriegt jeden Mann herum, die heult auf Kommando los. So verstellen wie Liza kann sich kein Weib. Und du meinst, so ist die Sache gelaufen? Mort, wo ist sie, wenn sie nie in Albuquerque war?«

»Na, wenn sie nicht im Süden war, wo kann sie dann wohl sein, he?«

Charly dachte nach und platzte dann heraus:

»Im Norden!«

»Ja!« schnaufte Mort erleichtert. »Und wohin reiten wir?«

»Nach Norden!«

»Junge, du hast doch ein helles Köpfchen!« lobte ihn Mort. »Ich habe die Briefe gelesen, und der dritte hat mir einige Dinge verraten, die nicht einmal Tonito kapiert hat. Liza hat die Nachricht vom Tod des Alten erst im März erhalten. Das heißt, um die Zeit war sie schon im Norden. Ich kenne Liza, sie ist verdammt clever, darum wird sie niemals in ein Nest gefahren sein, wo es nichts zu erben gibt. Vor zwei Jahren hat man oben in Colorado an einigen Stellen Silber und Gold gefunden. Dort sind Städte in wenigen Wochen entstanden. Wo ist mehr Geld zu verdienen als in Minenstädten, he? Ich fresse auf der Stelle meinen Hut, wenn Liza nicht die Zeitungen gelesen hat. Das hat sie schon bei Tom Pillar getan – jeden Tag mußte sie die Zeitung lesen. Ihr zweiter Brief kam aus San Felipe – ein Weihnachtsbrief für Tonito. Im Januar schrieb er ihr, daß der Alte gestorben sei, im März erreichte sie die Nachricht erst. Das heißt, sie ist zwischen Weihnachten und Februar nach Norden gefahren.«

»Wie du das weißt!« staunte Charly mit offenem Mund. »Das könnte ich nie zusammenbekommen, Mort.«

»Brauchst du ja auch nicht, ich denke für uns beide«, sagte Mort Dillon grinsend. »Jetzt werden wir in Raton die Wochenzeitungen zwischen Weihnachten und Februar studieren. Ich wette, wir finden ein paar Meldungen über neue Minenstädte im Norden – und ich schwöre dir, Liza hat sich die Stadt ausgesucht, in der es am wildesten zu werden versprach, denn dort konnte sie Geld machen. Wir machen noch mal Rast in Comanche und sehen bei Tom Pillar auf dem Boden nach. Tom wirft seine Zeitungen immer auf den Boden. Vielleicht finden wir dort schon etwas.«

Charly staunte seinen Bruder mit offenem Mund an und schüttelte dann traurig den armen Kopf.

»Wenn ich doch nur einmal so schlau wäre wie du«, klagte er. »Bist du sicher, daß Liza einen eigenen Saloon hat – von unserem Geld?«

»Ja«, knurrte Mort Dillon grimmig. »Darauf kannst du Gift nehmen – sie hat mit unserem Geld einen Saloon gebaut oder gekauft. Und wenn sie nicht weiß, wie man Geld macht, dann weiß es keine. Charly, kein Wort zu irgendwem, kein Wort davon, daß wir Liza wegen unseres gestohlenen Geldes suchen! Ich möchte sie wiedersehen, ich bin ganz hungrig nach ihr, ist das klar?«

»Ich bin doch kein Waschweib!« gab Charly zurück. »Mort, was tun wir mit ihr, wenn wir sie gefunden haben?«

»Ich weiß noch nicht, Bruder, aber sie wird zahlen, das schwöre ich dir! Wenn wir in Comanche bei Tom Pillar sind, suchen wir nach Berichten über uns, verstanden? Dann denkt er sich nichts dabei, wenn wir auf dem Boden die Zeitungen durchwühlen.«

Mort Dillon fluchte verbissen. Er gab sich jedoch keiner Täuschung hin, denn dazu kannte er Liza Palucco viel zu gut. Mit Sicherheit wußte sie, daß er aus dem Jail war, und hatte sie es zu Geld gebracht, mußte er damit rechnen, daß sie sich jemand anwarb, der ständig in ihrer Nähe war, um sie vor ihm zu schützen. Es konnte sogar noch schlimmer kommen: Liza war eiskalt genug, sich zwei oder drei Revolverschwinger zu holen, die ihn und Charly abknallen würden, sobald sie dort auftauchten, wo Liza zu Hause war.

Mir kann sie nichts vormachen, überlegte Dillon. Ich weiß, daß sie über Leichen geht. Von hundert Frauen würde ich vielleicht drei finden, die es wagen würden, nachts allein über einen Friedhof zu gehen, wenn die Käuzchen schreien und der Wind es überall rascheln und winseln läßt. Von tausend Frauen aber würde höchstens eine bereit sein, in einem Grab herumzuwühlen. Man muß sich das mal vorstellen – eine Frau nachts allein auf einem alten Friedhof an einem Grab mit einer Schaufel. Sie ist allein hingeritten, sie hat keinen Mann dabei gehabt. Das hat sie alles allein tun müssen.

Mort Dillon starrte finster vor sich hin. Das Grab von Juan Montenero hatte unberührt ausgesehen. Das war kein Wunder, denn er, Mort, hatte Liza Palucco einmal auf die Frage, warum man seine Räubereien manchmal erst nach Tagen entdecke, geantwortet: »Weil ich immer alles, was ich irgendwo öffnen, schließen oder sonstwie bewegen muß, genauso wieder in Ordnung bringe, wie es zuvor gewesen ist!

Sie hatte also nach seiner Methode gearbeitet. Nein, dumm war Liza Palucco nicht. Und wenn er nicht sehr vorsichtig war, konnte es geschehen, daß sie ihn in eine Falle laufen ließ, aus der er lebend nicht mehr entkam!

Nun gut, sagte sich Dillon, bis dahin ist noch Zeit. Zuerst müssen wir nach Comanche. Mal sehen, was wir dort finden.

*

Dillon sah die Frau kurz an. Sie kam herein und schob den Vorhang mit den Glasperlen beiseite, der den Last Chance-Saloon Tom Pillars von Pillars Generalstore trennte. Die Glasperlen klirrten leise, die Frau blieb stehen, eine Hand in die Hüfte gestemmt – genau wie Liza damals, aber Liza war rothaarig gewesen, wenngleich das rote Haar nicht echt war.

Blond, dachte Mort Dillon, blond, etwas füllig, auch nicht mehr jung genug, aber sie hat diesen Zug um den Mund. Den haben sie alle, man erkennt sie gleich…

»Hallo«, sagte die Frau kehlig, dann ging sie weiter und wackelte mit den Hüften, Speckhüften, wie sie Mort nie gemocht hatte. »Hallo, da seid ihr ja wieder! Na, wie sieht es aus bei euch?«

»Schlecht«, gab Mort kurz zurück. »Kennst du uns jetzt?«

Das war schon genug. Sie kannte jede Sorte Männer, diese auch, die solche Antworten gab. Gestern hatte die Frau sie noch nicht gekannt, weil dem fetten Tom Pillar keine Zeit geblieben war, die Dillons vorzustellen. Man tat das nicht, man klärte Fremde erst auf, wenn Männer wie die Dillons wieder fort waren.

»Ja«, sagte die blonde Frau, deren Haar gebleicht war und bald dünn und strähnig sein würde. »Ja, Dillon. Ich wollte nur fragen.«

»Das hast du getan!« murmelte Mort. Er legte den Stapel Zeitungen, den er vom Boden mitgebracht hatte, vor sich hin. »Wie heißt du – Nancy? Ich brauche eine Schere!«

»Sofort, Dillon!«

Gut, gut, sie hat verstanden, sie weiß alles über uns, dachte Mort, sie weiß von Liza, von allem, was uns so nachgesagt wird. Wie das doch wirkt! Sie holt jetzt die Schere, sie hat gelernt, wie man als »Herumreichfrau« zu sein hat, wenn Kerle wie wir gekommen sind.

Mort grinste, dann sah er Charlys hochgezogene Brauen und nahm einmal den Ellbogen herum. Der Stoß ließ Charly zusammenzucken. Charly mochte blonde und fette Frauen, nach denen war er ganz verrückt

»Laß das!«

»Ja, Mort.«

Nancy kam hinter dem Tresen heraus und brachte die große Schere, legte sie hin, sah Mort in die Augen und lächelte:

»Zufrieden, Mr. Dillon?«

»Gut, Nancy.«

»Kann ich noch etwas für Sie tun, Mr. Dillon?«

»Nein!«

Das war es – ihr Lächeln erlosch für eine Sekunde.

»Na ja«, sagte sie achselzuckend und hatte begriffen, daß er zwar hungrig war, aber nicht hungrig nach ihr. Veilchenseife, dachte Mort, sie benutzt Veilchenseife und hat sich gerade gewaschen. Sicher ist sie die ganze Nacht beschäftigt gewesen und erst nach dem Mittag aufgewacht. Sie schlafen alle bis in den Mittag hinein und wachen erst richtig auf, wenn es dunkel wird. Mit wem hat sie…

Es war reine Neugierde, sonst nichts, als er sich im Saloon umsah.

Drüben links hingen die Rudleys mit zwei Freunden in der Ecke um den runden Tisch. Sie spielten lustlos Monte und hatten jetzt eine schlechte Zeit, denn die Rancher in den Bergtälern brannten die Winterkälber. Jetzt waren zu viele Cowboys auf den Weiden, darum tat sich für die Rudleys nicht viel, sie konnten schlecht Rinder stehlen.

Kleine Viehdiebe, die nur Vieh stehlen können, dachte Mort, mit denen würde ich nie etwas gemeinsam machen. Wir haben uns begrüßt, das war genug. Die haben kein Geld für Nancy…

Der Mann im Windschatten der Saloontür war schon interessanter. Er hieß Ludlow, war ein Spieler und, wie Tom Pillar gesagt hatte, vor einer Woche gekommen. Er schlief auch bis zum Mittag, weil sein Geschäft am Abend begann. Nach Pillars Worten hatte er mit dem jungen Bradley und ein paar Freunden dieses verzogenen Rancherlümmels gepokert. Sicherlich durfte Bradleys Vater nicht wissen, daß sein Sohn hier mit seinen Freunden verkehrte und mehr Geld verspielte, als der Alte ihm gab.

Brian Woods hockte einsam, die Arme auf der Tischplatte und den Kopf auf den Armen, seinen Frühwhisky verdauend und nun fest schlafend, links vom Eingang am Fenstertisch. Er war einmal Schmied gewesen, beschlug in Comanche immer noch Pferde, vertrank jedoch jeden Cent und siechte langsam dahin. Eines Tages würde er an diesem Tisch sitzen bleiben und nicht wieder aufstehen, Mort ahnte es.

In der anderen Ecke saß ein Fremder – ein Mann mit einem Umhang aus grobem Segeltuch. Der Mann hatte den Stuhl ganz in die Ecke geschoben, die Beine auf einen anderen Stuhl gelegt, den Hut ins Gesicht gestülpt und die Hände unter dem weiten Umhang. Seine Stiefel waren nicht sehr schmutzig und noch nicht alt, seine Hose auch so gut wie neu. Vielleicht schlief er, vielleicht war er aber auch wach. Er saß in der Ecke so gut, daß er schräg durch das Fenster blicken und jeden sehen konnte, der von Süden die Straße heraufkam. Zudem hockte er für alle, die hereinkamen, im toten Winkel. Er sah alle, aber sie ihn nicht.

Der, dachte Mort, der auch nicht – das ist ein Loofer, ein Einzelgänger. Ich wette, er hat ständig die Hand am Colt. Tom kennt ihn nicht, er war noch nie in Comanche und kam am frühen Morgen, als wir noch schliefen.

Draußen vor der Tür knarrte die Trittleiter, Tom schnaufte schwer, dann kam er mit einem Eimer weißer Farbe herein. Er hatte die Schilder über dem Vorbau neu gestrichen und die Namen nachgezogen. Das tat er in jedem Frühjahr.

»Na, was gefunden, Mort?«

»Ja«, sagte Mort grinsend. »Was diese Zeitungsschmierer da alles zusammengekleckst haben! Wußte gar nicht, daß wir damals so berühmt gewesen sind. Ich werde alles ausschneiden und für meine Enkelkinder aufheben!«

Der dicke Tom Pillar, dem jeden Tag zehn Haare ausgegangen sein mußten, denn er hatte diese Halbglatze vor zweieinhalb Jahren noch nicht getragen, lachte laut auf.

»Du denkst mächtig weit im voraus, Mort, was?«

»Muß man doch, muß man immer«, versicherte Tom grinsend. »Tom, wo steckt eigentlich Herbie?«

»Herbie Walton?« murmelte Tom überrascht. »Habe ich dir das nicht schon gestern erzählt?«

»Nein, Tom.«

Herbie Walton war der Meister im Brandzeichenfälschen. Er hatte eine so leichte und geschickte Hand, daß er ein neues Brandzeichen millimetergenau über ein altes setzte.

»Das habe ich dir nicht erzählt?« wunderte sich Pillar. »Der arme Herbie – er hat doch niemals etwas getan. Luke Kinley und Paradise Joe Sedgewick stritten sich eines Abends wegen Lilly, der Nachfolgerin von Liza. Paradise Joe bekam von Luke Prügel und flog hinaus, damit war die Sache entschieden – dachten wir. Drei Stunden später ging der arme Herbie nach Hause, Kinley folgte ihm – er wollte nur nach seinem Gaul sehen. In diesem Moment knallte es. Paradise Joe hatte draußen in der Dunkelheit gewartet, aber er schoß zweimal vorbei, ehe Luke ihn erwischte. Es war eine ganz klare Sache, Joe hatte es riskiert und verloren. Mit seiner dritten und letzten Kugel traf er den armen Herbie. Wir legten ihn auf den Tisch drüben. Er sagte wenig, er jammerte auch ein bißchen, verlangte nur einen anständigen Drink. Den bekam er auch, trank ihn aus, bedankte sich noch und war auf einmal tot. Es war eine große Beerdigung, stimmt es, Mike?«

Mike Rudley sah kurz hoch und nickte traurig.

»Kann man wohl sagen, Tom. So viele Leute waren noch nie hier. Schade um Herbie, er war ein feiner Bursche.«

»So ist das Leben«, murmelte Tom Pillar. Er ging am Tresen vorbei, Nancy hielt ihm die Tür auf, und als er sich an ihr vorbeischob, kniff er Nancy in die Hüfte. Sie sagte kein Wort

Sieh mal einer an, dachte Mort, der gute Tom war also bei ihr. Nun ja, sie soll erst zwei Wochen hier sein, sagte er – er muß ja wissen, ob sie gut ist. Darum hat er die Schilder gestrichen – er brauchte sicher frische Luft, um richtig munter zu werden…

Mort Dillons Blick wanderte wieder zu dem Fremden in der Ecke. Der Hut des Mannes bewegte sich nicht mehr, der Mann war hellwach, kein Zweifel. Warum war er wach geworden? Er hatte Tom kommen hören, das war es.

Einen Augenblick fragte sich Dillon, ob der Mann nicht etwa von Liza geschickt worden war, aber dann hätte er seinen Auftrag längst erledigen können. Die Dillons hatten ihm mehrmals den Rücken zugewandt.

Nein, den hat sie nicht bestellt, dachte Mort, der ist aus einem anderen Grund so mißtrauisch wie ein aufgescheuchter Präriehase. Er muß auf jemand warten, aber auf wen?

Ein Mann konnte auf viele Leute warten, auf gute Freunde, auf Geschäftspartner oder Auftraggeber, auf Feinde, die ihm ans Leben wollten oder auf das Gesetz.

In diesem Moment klirrte der Vorhang leise – Mort Dillon nahm jäh den Kopf herum. Und dann war ihm, als kröche Eiseskälte von seinen Zehen aus die Beine herauf. Die Kälte stieg innerhalb einer Viertelsekunde bis in Dillons Brust und breitete sich blitzschnell aus.

Neben Mort gab Charly einen erstickten Laut von sich. Charly Dillon bekam keine Luft mehr. Dort stand jemand – stand bereits im Saloon und hatte es geschafft – er hatte den Vorhang beinahe lautlos zur Seite geschoben und wieder zufallen lassen.

Früher hatten sie das einmal versucht – die Rudleys, die Dillons, Kinley und Paradise Joe, der hagere Mann, der seinen Spitznamen bekommen hatte, weil er immer behauptete, das Paradies warte auf ihn. Nicht einmal Herbie, der Mann mit den geschicktesten Fingern, hatte den Vorhang so leise zurückschieben und wieder fallen lassen können.

Der Vorhang war einmal von Tom angebracht worden, nachdem ihm jemand die Storekasse geleert hatte. Seitdem kam kein Mensch durch diese Tür, den das Klirren des Vorhanges nicht anmeldete.

Und doch – der Mann dort wäre beinahe lautlos hereingekommen.

Vor der Tür stand, die Rechte über dem Kolben seines schweren Revolvers in der Schwebe, State-Marshal Bill Logan.

Der Mann, den die beiden Dillons mehr als alles auf der Welt haßten, befand sich mit ihnen in einem Raum.

Darauf hat der Fremde gewartet, dachte Mort, als ihn die Kälte verließ und sein Verstand wieder arbeitete – das Gesetz ist hinter ihm her gewesen. Und nun hat es ihn eingeholt. Logan, du verfluchter Hund, wenn du doch einmal Pech im Leben hättest. Ich wollte, er würde dich erwischen. Wenn du dann zu meinen Füßen sterben müßtest, würde ich auf dich spucken.

Charly saß links neben ihm, sein Gesicht war schneeweiß, die Augen glommen in wildem Haß.

Nicht, du Narr, nicht ziehen, dachte Mort entsetzt, der schießt dich kaltblütig zusammen, du Idiot. Die Schere!

Mort hatte die Schere und nahm blitzschnell die Hand herum. Dann stieß er zu, jagte die Schere von oben nach unten und durch Charlys rechten Jackenärmel in die Tischplatte. Mehr konnte er nicht tun in dieser einen Sekunde, in der ihm klar wurde, daß Charly ziehen wollte. Charlys Arm zuckte einmal, aber er begriff, was Mort nicht haben wollte.

Charly Dillon starrte den Marshal an, seine Lippen zitterten heftig, weil er seinen Haß herausbrüllen wollte und doch schweigen mußte.

Der Blick Bill Logans, des Marshals von Colorado, war nur einmal zum Wandtisch geflogen. Logan blickte jetzt starr auf den Mann in der Ecke.

Einmal nur hatte der Vorhang geklirrt, als hätte ihn ein leichter Wind berührt. Der Mann in der Ecke mußte es gehört haben, er hob den Kopf und…

»Sitz still, Sam Burton!«

*

Sam Burton, dachte Mort und streckte die Linke aus, legte sie um Charlys Handgelenk und preßte die Finger zusammen.

In dieser Sekunde hatte der Mann den Kopf hochgenommen, sein Hut war verrutscht, sein hageres Gesicht war bleich.

Sam Burton – jetzt wußte Mort, wer der Mann in der Ecke war, obgleich er ihn vorher nie gesehen hatte. Sam Burton war ein Killer, kein gewöhnlicher Revolvermann. Mort hatte von ihm gehört. Burton sollte aus El Paso stammen und in La Joya in New Mexico leben. Man holte ihn, wenn man jemand erledigen lassen wollte. Dann kam er, lauerte seinem Opfer auf und erschoß es kaltblütig von hinten.

»Ganz ruhig!« zischte Logan. Der State Marshal trug seinen Orden vorn am Gurt und nicht am Hemd – der Stern blinkte matt, genauso matt blinkte der schwere Fünfundvierziger, der plötzlich wie hingezaubert in Logans Hand lag. »Hände aus dem Umhang! Nicht ziehen, Killer, ich drücke ab. Nur die Hände hochnehmen – laß den Revolverkolben los. Na, willst du sterben?«

Charlys Gesicht wurde aschgrau. Er hatte gesehen, wie blitzschnell Logan den Colt herausgehabt hatte und nun begriffen, daß er tot gewesen wäre, ehe er seinen Revolver auch nur einen Zoll angehoben gehabt hätte.

»Sitzt still – alle!« fauchte Logan. »Nun, Burton?«

»Du?« flüsterte Burton. Seine Stimme versetzte Mort einen Schock. Es war eine hohe und sehr helle Stimme – eine Weiberstimme, gerechter Manitu! »Du, Logan? Dies hier ist New Mexico – nicht Colorado. Du hast hier nichts zu sagen!«

»Du irrst!« zischte Logan. »Es gibt längst ein Abkommen zwischen den Staatenmarshals. Die Hände aus dem Umhang!«

»Ich habe nichts getan!«

Mort starrte auf den Umhang. Er war sicher, daß Burton die Hand am Colt hatte. Außerdem hatte der Killer die Beine auf den anderen Stuhl gelegt, sein Revolverhalfter mußte also nicht erst hochgedrückt werden – er konnte durch das Halfter und den Umhang feuern – konnte er?

Nein, er konnte es doch nicht. Der Stuhl stand so, daß Burton ohne Mühe an ihm vorbei auf den Eingang des Saloons feuern konnte. Schoß Burton jedoch auf den Marshal, war ihm der Stuhl im Weg, er mußte durch die Lehne schießen, die Kugel würde abirren oder doch nicht genug Kraft haben.

»Laß die Beine auf dem Stuhl – stößt du ihn um, drücke ich ab!«

Der schlaue Hund, dachte Mort, er hat es längst erkannt.

»Zum letztenmal, Burton – Hände aus dem Umhang!«

Burtons Lippen hatten sich zu einem schmalen Strich zusammengepreßt, in seinen Augen las Mort das, was der Killer fühlte – ohnmächtige Wut.

Dann senkte Sam Burton den Kopf. Der Umhang wurde von seiner rechten Hand angestoßen, beulte sich etwas aus, klaffte dann an dem langen Ärmelschlitz auseinander und gab den Blick auf Burtons Rechte frei.

»Versuche nichts mit dem linken Colt, Burton!«

In den Augen des Killers erschien eine kleine Flamme, dann senkte er die schweren Lider und sagte gleichmütig: »Ich hörte schon oft, du sollst mächtig vorsichtig sein und niemand eine Chance lassen, Logan. Drück nicht ab, ich versuche nichts! Was soll ich getan haben?«

»Du hast Edward Parkinson mit zwei Kugeln umgebracht – von hinten«, sagte Logan eisig. »Ich habe Strong, deinen Auftraggeber, niedergeschossen, als er mit seinen Leuten die Wasserstelle am Saruche Canyon besetzte, um die der jahrelange Streit zwischen ihm und den Parkinsons ging. Er dachte, er müßte sterben und gestand. Du bist erledigt, Mister!«

Wenngleich Burton seine Gesichtsmuskeln beherrschte – daß er totenbleich wurde, konnte er nicht verhindern.

Was ist das, dachte Dillon. Die alte Geschichte? Solange der alte Ed Parkinson lebte, hat es Strong also nicht gewagt – der Alte war ein Feuerfresser, er hätte Strong einfach über den Haufen geschossen oder an den nächsten Baum gehängt. Edward, sein Sohn, war immer schon weich, kein Kämpfer. Sieh an – darum ging es!

»Beide Hände über den Kopf, Killer!«

»Verflucht!« knirschte Burton. »Dreimal verflucht, so ein Narr!«

Er meinte Phil Strong, kein Zweifel. Seine Hände kamen langsam in die Höhe.

»Jetzt aufstehen!« forderte Bill Logan eisig. »Zuerst den rechten Fuß vom Stuhl und fest aufsetzen, aber zur Seite – los, noch mehr zur Seite! Gut so – jetzt den linken!«

»Ich falle um, ich falle um, wenn ich aufstehe!«

»Tust du es, bekommst du eine Kugel. Den Trick kannte schon mein Großvater!«

»Verfluchter Menschenjäger!«

Der merkt alles, der Hund, dachte Mort Dillon. Burton hätte sich wegwerfen können, aber Logan hat es erkannt. Die Pest, Logan, was ich mit dir vorhabe, wirst du zu spät merken, das schwöre ich dir!«

Burton kam auf die Beine. Die Hände hoch erhoben, stand er jetzt in der Ecke.

»Komm!« knirschte Logan. »Immer komm, aber – langsam, langsam, du Killer, sonst…

In derselben Sekunde brach die Hölle los. Die Tür flog jäh auf, das Mädchen sprang in den Raum.

Scarlett Parkinson, dachte Morton entsetzt und blieb stocksteif sitzen – Scarlett Parkinson, Edward Parkinsons ältere Schwester – was jetzt?

Er konnte gar nicht so schnell denken, wie sich die Dinge nun entwickelten. Das Mädchen kam, sprang, riß die Winchester blitzschnell herum, aber…

Scarlett Parkinson war dem Mar­shal genau in die Schußlinie gesprungen. Einen schlimmeren Fehler konnte niemand machen – sie hatte ihn getan und schien nicht zu wissen, wie schnell ein Sam Burton sein konnte.

Der Killer stieß sich blitzschnell ab. Er fegte mit einem Satz, sich duckend und die Hände weit vorstreckend, auf Scarlett Parkinson zu.

Ehe das Mädchen die Waffe herumreißen konnte, schlug Burtons Linke das Gewehr mit einem fürchterlichen Hieb zur Seite. Die Waffe flog davon. Burton bekam das schreiende Mäd­chen an den Haaren zu packen, riß es herum, griff gleichzeitig mit der Rechten unter den Umhang und hatte auch schon den Colt heraus. Schon hatte er die blonde Scarlett Parkinson an sich gerissen, schon wollte er auf den wegspringenden Marshal anschlagen, als es brüllend krachte.

Im Eingang stand, das Gewehr im Hüftanschlag, Pacco Segali, das Halbblut – der Mann, der auf der Parkinson Ranch die Pferde zuritt und so gut Spuren lesen konnte, daß er die Dillons vor vier Jahren beinahe er­wischt hätte.

Pacco Segali, ein gedrungener, breitschultriger Mann mit dem schwarzen strähnigen Haar des In­dia­ners und der Haut eines Mexikaners, hatte abgedrückt. Er schwor auf seinen alten Spencerkarabiner, dessen mächtige Kugel Burton unter den rechten Rippen traf, schräg nach oben durchfuhr und links wieder austrat

Das Halbblut blickte mit eiskalten Augen durch die Pulverwolke auf den zur Seite fliegenden Killer, der Scarlett mitriß, sie dann aber losließ und mit einem gurgelnden Schrei auf die Dielen stürzte.

»Bueno – gut«, sagte Pacco Segali kehlig.

Scarlett Parkinson, das wildeste Weib, wie Mort dachte, zwischen dem Rio Grande und dem Arkansas River, von einem eisenharten Vater erzogen, genauso dickschädelig, wie es ihr Alter gewesen war, lag auf Händen und Knien am Boden. Bill Logan hatte zur Seite hechten und dann schießen wollen, er richtete sich zur vollen Größe auf und knurrte dann: »Scarlett, wenn Ihnen Ihr Vater schon beibrachte, daß man selbst das Gesetz ist, hätte er Ihnen auch beibringen sollen, daß man nie mitten in eine Schußbahn springt. Stehen Sie auf, Sie Närrin!«

Das Mädchen schoß förmlich vom Boden hoch. Scarlett Parkinson glich in diesem Moment einer Wildkatze. Der Zorn machte sie noch schöner, so daß Mort Dillon sie begehrlich anstarrte. Ohne Zweifel war sie nicht nur das wildeste – sie war auch das schönste Girl zwischen Rio Grande und Arkansas River.

»Was bin ich, Bill?«

»Eine Närrin!« wiederholte Bill Logan grimmig. »Ich wollte ihn lebend nach Wagon Mound bringen. Dort wartet State Marshal Bidwell auf mich. Jetzt kann ich nur einen Toten hinschaffen. Scarlett, Burton hätte Sie als Schild benutzt und so lange mitgeschleppt, bis er im Süden über die Grenze gewesen wäre.«

»Si«, sagte Pacco Segal. »Nicht sehr klug, Miß Scarlett – Pacco gesagt, Sie sollen bleiben vor Tür. Marshal, Miß sagt sie geht, dann sie geht und bringt Mörder um.«

»Schon gut, Pacco, dich trifft kein Vorwurf!«

Die Kugel des Halbbluts hatte Burton auf der Stelle getötet.

»Er hätte mich mit – mitgeschleppt?« fragte Scarlett Parkinson verstört. »Bill, ich…«

»Ja, schon gut!« knurrte Logan. Der große schwarzhaarige Marshal bückte sich, schlug Burtons Umhang auseinander und griff in die Taschen des Mörders. Als er das Geld gefunden hatte und durchzählte, nickte er knapp: »Vierhundert Dollar, es stimmt.«

Danach sah er sich langsam um, sein scharfer Blick erfaßte die Dillons.

»Beinahe Pech gehabt, was?« fragte Mort grinsend. »Burton dürfte seine Spur gründlich verwischt haben – hat dein Hengst sie für dich gefunden, Marshal?«

»Ja«, antwortete Logan eisig. »Eines Tages wird er eure finden. Und dann endet ihr dort, wo ihr hingehört – am Galgen! Dein Grinsen kann mich nicht täuschen, Dillon. Wenn ihr eine Chance gehabt hättet, wäre ich jetzt tot. Stimmt es, Charly, du Schlaukopf? Na, bekommst du immer noch Prügel von deinem großen Bruder, damit du ganz klug wirst?«

»Charly!« zischte Mort, aber es war bereits zu spät. Charly war nicht mehr zu bremsen.

»Du verspottest mich nicht mehr lange!« knurrte Charly giftig und voller Haß. »Eines Tages spucke ich auf dich!«

Mort fuhr herum und schlug ihm quer ins Gesicht.

»Halt das Maul!« fauchte er. »Du bist still, du Narr! Marshal…«

Er grinste schon wieder, und Logan lief bei diesem Grinsen eine kalte Haut über den Rücken, denn er erkannte, daß Dillon ihm nichts vergessen hatte.

»Marshal«, fuhr Mort Dillon grinsend fort. »Er redet immer dummes Zeug, ich sorge schon dafür, daß er nichts anstellt.«

»Das glaube ich dir«, erwiderte Logan sanft. »Mort, ich warne dich – das nächste Mal seid ihr tot!«

Er drehte sich um, ging zur Tür und sagte kurz:

»Pacco, bring den Mörder vor die Tür!«

Scarlett Parkinson folgte ihm nach draußen. Sie lehnte sich an den Haltebalken, als Logan stehenblieb und finster die Brauen zusammenzog.

»Mein Gott«, flüsterte sie. »Bill, das sind die Dillons? Ich habe sie mir ganz anders vorgestellt – größer, wilder – ganz anders, und doch, Bill, sie sind tödlich gefährlich für sie. So viel Verschlagenheit und Tücke habe ich noch nie in den Augen eines Menschen gesehen.«

»Ja, Mort Dillon ist ein Satan, er hat einen teuflischen Verstand«, murmelte Bill Logan düster. »Er wird versuchen, mich umzubringen, ich bin sicher.«

»Um Gottes willen, Bill, wenn Sie das wissen, warum geben Sie dann nicht endlich den Stern ab?«

»Das würde gar nichts ändern«, sagte er bitter. »Ich habe den Burschen vor viereinhalb Jahren geschworen, daß ich sie erwischen würde. Damals verschwand Matt Warren oben am Arkansas River, nachdem er von der Colorado Mining Company viertausend Dollar für seinen Claim bekommen hatte. Der alte Matt Warren war ein Leben lang Prospektor, bis er einmal Glück hatte. Und daran starb er, weil die Dillons in seiner Nähe waren. Ich bin sicher, sie haben ihn auf dem Gewissen. Mort Dillon ist ein mehrfacher Mörder, doch ich konnte das nie beweisen. Die Halunken gehören an den Galgen!«

»Vorher geben Sie Ihren Orden nicht ab, Bill?«

»Nein«, sagte er verbissen. »Seitdem sie im Jail saßen, ist dieses Nest immer harmloser geworden. Comanche war ihre Hochburg, von hier aus zogen sie zu ihren Raubzügen und Morden aus. Im Norden bis zum South Platte und im Süden bis an den Llano Estacado. Sie waren es, die von allem Gesindel als Helden gefeiert wurden und es in dieses Nest lockten. Daß ich sie erwischte, hat sie ihren Nimbus gekostet. Und das vergißt mir Mort niemals. Er war der König von Comanche.«

»Und sein Bruder Charly?«

»Allein wäre er gar nichts – es hätte gerade zum letzten Kuhtreiber gereicht«, brummte Logan. »Er kann nicht für sich denken, aber wenn er jemand umbringen kann, dann macht er es sofort. Dann kann er Mort, seinen ihm weit überlegenen Bruder, beweisen, daß er das wenigstens versteht.«

»Mein Gott, Bill, dieser Mensch sollte nur morden, um seinem Bruder etwas zu beweisen?«

»Ja«, sagte der Marshal düster. »Er macht alles, was Mort ihm befiehlt, er schweigt auf Befehl wie ein Grab. Ich frage mich jedesmal, wenn ich an die Dillons denke, wo sie ihre Opfer gelassen haben mögen. Man hat nie jemand gefunden, den sie umgebracht haben. Die Opfer verschwanden spurlos – es ist mir unbegreiflich, ich muß erst dahinterkommen.«

»Bill, und wenn Sie dabei sterben?«

Logan blickte sie seltsam an, ehe er nach Süden sah, wohin er den toten Burton bringen mußte.

»Würde Ihnen das etwas ausmachen, Scarlett?«

»Ja«, sagte sie geradezu bissig. »Ja, Bill! Und das wissen Sie verdammt genau. Müssen Sie mich dauernd ärgern?«

»Vielleicht«, gab er zurück. »Vielleicht muß ich das tun, weil ich sonst einem Schwur untreu werden würde. Erst die Dillons – danach…«

»Was, Bill?«

»Ach, zum Teufel!« knurrte er. »Scarlett Parkinson, du weißt ganz genau, was ich damit sagen will. Jetzt laß mich in Ruhe, ich brauche meinen Kopf noch für die Dillons!«

Er zog die Schultern hoch und ging brummend davon, um seinen Hengst zu holen, den Grauschecken, der die Spur von Mensch und Tier noch nach Tagen verfolgen konnte.

*

Mort Dillon saß jetzt schon seit zehn Minuten reglos im Sattel und starrte vom Raton Paß nach Süden. Es war tiefe Nacht, die richtige Zeit für ihn und Charly. Ein Mann, der nachts ritt und am Tag rastete, fiel kaum einmal auf, er blieb gewissermaßen unsichtbar. Nach diesem Rezept war Dillon immer verfahren. Wenn man sie sah, dann bestimmt niemals dort, wo jemand ins Gras biß oder spurlos verschwand.

Charly kauerte zusammengesunken hinter ihm im Sattel seines Pferdes und wagte nicht, ihn zu stören. Mort Dillon dachte nach – und wenn er das tat, hatte Charly den Mund zu halten und keinen Lärm zu machen.

Er denkt an Logan, grübelte Charly, ich wette, er denkt an Logan. Oder denkt er doch an Liza? Er hat die Zeitungen gefunden. Wenn Mort auch die Artikel über uns ausgeschnitten hat, so hat er doch gelogen, denn er will sie gar nicht aufheben. In Wirklichkeit ist er sicher, daß die Berichte über die Gold- und Silberfunde am oberen Arkansas River bei Centreville auch von Liza gelesen worden sind. Er sagt, sie ist in Centreville, und weil er das sagt, stimmt es. Wir werden Liza besuchen.

»Es hat keinen Zweck«, sagte Mort in diesem Augenblick finster. »Wir müssen den Rücken freihaben, ehe wir Liza begrüßen, die liebe, gute Liza! Nein, es geht nicht, er muß erst in die Hölle. Der Hund hat nicht eher Ruhe, bis er uns am Galgen hängen hat. Komm mit, Charly!«

Charly folgte ihm wortlos. Er mußte stark nach vorn gebeugt reiten, denn sein guter Bruder hatte ihn derart getreten, daß er kaum sitzen konnte. Charly hatte sich nicht beherrscht und dem Marshal gesagt, was ihn erwartete. Die Strafe war erfolgt, als sie in der Dämmerung Comanche verlassen hatten.

Jetzt war heller Mondschein. Mort ritt schweigsam durch den Paß und den anschließenden Canyon, dann bog er auf kahlem Fels nach rechts ab, er drehte um. Charly fragte nichts, er wußte, Mort brütete etwas aus. Als Mort schließlich hielt, lag der Steilhang unter ihnen.

Dahinter kam ein Geländeabsatz von etwa zweihundert Schritt Länge, den ein bis zu zehn Schritt breiter und hundert Schritt langer Felsspalt durchzog.

Mort Dillon stieg ab, nahm einen größeren Stein auf und schleuderte ihn auf die Geröllfläche des Steilhanges. Sekunden später sauste eine Steinlawine in die Tiefe und verschwand im Felsspalt. Das dumpfe Tosen und Kollern drang erst nach vielen Sekunden zu ihnen herauf. – Charly blieb stumm. Da er ohnehin nicht begriff, was das alles sollte, wollte er sich den Vorwurf ersparen, wieder einmal zum Sterben zu blöde gewesen zu sein.

»Wir werden unseren Packgaul in Trinidad verkaufen und gegen eine rassige Stute tauschen«, sagte Mort plötzlich bedächtig. »Ja, mit einer Stute müßte es gehen. Darauf kommt er nicht – niemals. Links vom Paß ist es verdammt ungünstig für jemand, der einen anderen sucht. Rechts auf der Höhe ist Buschwald, sind genug Bäume. Da würde ich auch nicht reiten wollen. Hm… er könnte ganz nach Westen ausbiegen – könnte er, wie? Aber das würde jemand sehen und ihn doch noch abknallen können, wenn er so geschickt ist wie ich. Ich wette, er denkt lange nach, ehe er sich entscheidet, aber dann wird er sich auf seinen Gaul verlassen, dieses Höllenvieh mit der Nase eines Bluthundes. Nein, ein Bluthund ist nicht so gut, habe ich recht, Charly?«

»Du hast recht!« antwortete Charly gehorsam. »Das Höllenvieh hat damals unsere Spur gerochen, obgleich wir sie gut verwischt hatten und sie vier Tage alt war. Und die Augen erst – es muß Falkenaugen haben.«

»Stimmt!« knirschte Mort giftig. »Falkenaugen und eine Hundenase. Das kommt davon, weil es mal ein ganzes Wildpferdrudel geführt hat ­darum ist das Mistvieh, das elende, so schlau. Wir werden uns eine Stute besorgen, das ist eine Idee! Eine bessere Idee habe ich nur gehabt, als mir die Sache mit dem zweifachen Grab einfiel. Wir werden Logan umbringen, ehe wir unsere Freundin Liza besuchen, klar?«

»Ja?« freute sich Charly wie ein Kind. »Kann ich ihn abknallen? Ich mache ihm ein Loch in den Schädel oder in den Bauch – wohin du willst. Nur, können wir es nicht so tun, daß es noch ein bißchen lebt, damit ich auf ihn spucken kann?«

»Das möchtest du zu gern, was?«

»Ja, ja!« knirschte Charly. »Ich hab’s ihm versprochen.«

»Daraus wird nichts, Charly, wir werden ihn auch nicht erschießen.«

»Nein«, sagte Charly enttäuscht. »Nicht erschießen – auch nicht totschlagen? Wie willst du ihn umbringen, Morty?«

Morty, das sagte er sehr selten und nur, wenn er einen großen Wunsch hatte.

»Ich werde ihn begraben!«

»Aber – dazu muß er doch erst tot sein, Morty? Laß ihn mich doch auf meine Weise…«

»Nein!« knurrte Mort grimmig. »Kommt nicht in Frage. Er darf uns weder sehen, noch soll er etwas ahnen, bevor er in der Hölle steckt. Das muß wie ein Schlag vom Satan kommen, sonst entwischt er uns. Und dann können wir uns gleich aufhängen. Du weißt doch, wie gut er schießen kann, oder? Nein, geschossen wird gar nicht, kein einziger Schuß, Charly. Komm jetzt, wir müssen uns morgen am hellen Tag in Trinidad sehen lassen.«

»Am Tag reiten?« wunderte sich Charly. »Warum das denn?«

»Weil es sein muß, Junge. Keine Angst, wir schlafen bis zum Mittag, dann haben wir die Nacht noch vor uns und sind munter. Es wird klappen, sage ich dir. In drei Tagen könnte der Kerl wieder hier sein. Bis Wagon ­Mound und zurück – ein halber Tag Rast – ja, drei Tage dürfte er brauchen.«

»Wie du das weißt«, staunte Charly. »Du bist doch verdammt schlau, Morty.«

»Bin ich«, nickte Mort Dillon grinsend. »Und ob ich das bin. Logan, der verdammte Hund, wird das schon bald merken. Also, reiten wir!«

Mort Dillon erinnerte sich noch sehr gut an den Tag im Sommer vor zwanzig Jahren, als er am hellen Mittag in den Hühnerstall von Nachbar Wilson gestiegen war und vier Hühner geholt hatte. Damals hatte er sich – er war gerade neun Jahre alt gewesen – einen Stahldraht genommen, eine Öse an ein Ende gebogen, zwei dicke Maiskörner auf den Draht gespießt und danach eine Schlinge geformt. Diese Schlinge hatte er durch die kleine Klappe des Stalles gehalten und gerade noch durch das kleine Loch beobachten können.

Mort Dillon grinste heute noch stolz, wenn er sich seines Einfalles erinnerte. Das erste Huhn hatte gak­kernd an dem schönen Maiskorn gepickt, Mort die Schlinge blitzschnell zugezogen und nur noch das leise und ersterbende Gekrächze des dummen Huhnes gehört. Nach einem Ruck war es gestorben und dann in den Sack gewandert.

»Junge«, hatte ihn sein Vater gelobt. »Du hast doch verdammt das Gehirn eines Teufels!«

Dieser Satz war Mort Dillon nie aus dem Kopf gegangen. Er hatte das Gehirn eines Satans, das stand fest. Spätestens in drei Tagen sollte jemand erfahren, daß er wirklich ein geradezu teuflisches Gehirn besaß!

*

Der Grauschecke, dessen schwarzgraue Flecken nachts und oft genug auch am Tag mit einer Felswand verschwammen und ihn unsichtbar machten, schnaubte jäh, ehe er kurz stieg.

Marshal Bill Logan duckte sich blitzschnell, zog das Gewehr mit einem Ruck aus dem Scabbard und verschmolz mit dem Pferd, ehe er ihm die Hacken eindrückte und es scharf nach links zwischen die Büsche lenkte.

Die Unruhe steckte jetzt schon seit Stunden in Logan. Er war durch Comanche geritten, hatte von Tom Pillar gehört, daß die Dillons bereits vor drei Tagen Comanche verlassen hätten und dachte immer noch an Charlys wilden Ausbruch und den Haß in seinen Augen.

»Ruhig!« sagte Logan leise. Er war hart an der Wand des Canyons geritten, immer bereit, sofort im Schatten zu verschwinden, aber vor ihm rührte sich nichts.

Der Raton Paß lag wie ausgestorben im fahlen Mondlicht. Seit einer Stunde war Logan keinem Wagen oder Reiter begegnet.

»Still, Arrow«, flüsterte Logan. »Nicht rühren, bleib stehen!«

Bill Logan glitt aus dem Sattel in das dichte Laub der Büsche. Jetzt hatte er volle Deckung, schlich ganz an die Felswand heran und sah sich sichernd um. Hundert Schritt vor ihm begann der steile Anstieg der Paßhöhen. Dahinter wuchs das sogenannte Raton-Pass-Tor wie aus zwei gewaltigen Pfeilern in den Berg gerammt, in den nächtlichen Himmel. Genau zwischen den Pfeilern stand der bleiche Mond und schickte sein Licht in den Canyon. Die rechte Wand war so hell, daß der Marshal alle Einzelheiten bis zur kleinen Biegung des Passes erkennen konnte. Nur die linke Wand hatte noch Schatten, aber der Mond wanderte weiter von Ost nach West. In einer Viertelstunde würde er die absolute Paßhöhe ausleuchten, dann gab es keine Schatten an den Wänden mehr.

Über Logan stieg das Gelände zwar steil, aber für Pferde gut begehbar an. Erst nach zweihundert Schritten begann das völlig zerklüftete Klippengelände. Genauso sah es auf der Ostseite des Passes aus – Buschwald, dazwischen Felsen und einzelne hohe Bäume.

Sie sind hier, dachte Logan, sie warten, oder? Ich hätte nicht über den Raton Paß reiten brauchen, ich hätte einen Umweg machen können, aber sie sollen nicht denken, daß ich feige bin. Meine Ahnung – meine Ahnung!

Nichts zu sehen, alles totenstill, nicht mal ein Nachtvogel, der sein Krächzen hören ließ. Logan überlegte, während sein Blick über die Kante des Canyons wanderte, was die Dillons getan haben könnten. Daß sie ihn töten wollten, war ihm klar, aber so schnell nach ihrer Entlassung?

Arrow, der Hengst, den er vor sechs Jahren am Cochetopa Paß nach zwei Wochen Jagd gefangen und dann in drei Monaten gezähmt hatte, bewegte sich im Schritt aus den Büschen.

»Bleib stehen!« zischte Logan. »Arrow – zurück!«

Der Hengst schnob verärgert. Manchmal gehorchte der mächtige Hengst nicht, dann wollte er seinen Kopf durchsetzen. Und das tat er nie ohne Grund. Das Tier hatte irgend etwas, kein Zweifel. Es witterte, aber was? Menschen – die Dillons?

Logan beobachtete nur den Hengst. Der schob sich aus den Büschen, senkte den Hals, seine Nüstern glitten über den Boden. Eine Spur?

Jetzt warf er den Kopf hoch und schnob erregt. Dreimal dieses Kopfhochwerfen, das wie so vieles bei diesem unheimlich klugen Tier seine Bedeutung hatte.

»Ich soll kommen?« murmelte Logan, der genau verstand, was dieses Zeichen sagen sollte. »Du scharrst mit dem Huf? Warte, ich komme!«

Gleich darauf kauerte er neben dem Kopf des Pferdes. Der Hengst prustete die kahle Felsstelle vor den Büschen an.

»Was ist da?« fragte Logan. »Hierhier? Du gehst weiter, du zeigst mir etwas? Was denn?«

Logan legte sich hin. Im gleichen Moment sah er das schwache Glitzern und daneben winzige Kratzer, ein paar zerriebene Felsteilchen – eine Spur! Jetzt begriff er, was der Hengst gewittert hatte. Hier hatte eine Stute uriniert. Das war das ganze Geheimnis, das sich hinter Arrows Verhalten verbarg. Eine Stute hatte uriniert, eine rossige Stute.

»Du verrückter Kerl!« schimpfte Logan. »Mir einen solchen Schreck in die Knochen zu jagen! Ich dachte schon, hier lauert jemand. He – he. Wohin? Du bist wohl wahnsinnig, du kannst eine Frau haben, wenn du willst, aber nicht jetzt!«

Der Hengst war mit einem Satz auf dem ansteigenden Felsband, trabte oben zwischen zwei Felsblöcken durch und schnob erregt.

»Der schafft mich noch mal«, sagte Logan kopfschüttelnd. »Ich soll nachkommen, ich! Das ist ein Witz! Du blöder Kerl, du kommst zurück, los, komm schon!«

Der Hengst dachte nicht daran, er scharrte oben mit den Vorderhufen. Was Stuten anging, war er wirklich verrückt, dieser Bursche. Als Leithengst eines Rudels von elf Stuten hatte er einmal eine Menge Arbeit gehabt, wahrscheinlich auch genausoviel Vergnügen. Leithengste machten oft, wenn ihre Stuten an einem sicheren Platz standen, Ausflüge, regelrechte Neugierigkeitsritte in das Revier eines anderen Hengstes. Dann kam es zu Hengstkämpfen, bis ein Hengst aufgab und floh. Bei einem dieser Hengstkämpfe, aber an der eigenen Herde, hatte Logan Arrow damals überraschen können. Wenn Hengste kämpften, sahen und hörten sie nichts anderes.

Arrow trug, wahrscheinlich voller Stolz, etliche Biß- und Hufnarben. Er mußte sich oft an fremder Hengste Stuten gemacht haben – und Logan war sicher, daß er sie besiegt hatte.

»Du bist ein Mistvieh!« sagte Logan grimmig. »Einen Tag keinen Braunzucker als Strafe, weil du mich erpressen willst, verstanden? Ich werde dir helfen, mein Freund – das Frühlingssehnen treibe ich dir jetzt aus.«

Er ging ihm nach und griff in die Tasche. Der Hengst nahm sofort den Kopf herum und zog die Oberlippe über die Zähne. Logan zeigte ihm das Stück Zucker, dann steckte er es blitzschnell wieder ein. Arrow blickte ihn aus seinen großen braunen Augen zuerst richtig beleidigt, dann jedoch traurig an.

»Kein Zucker!« sagte Logan und schüttelte langsam den Kopf. »Keinen Zucker für den Erpresser, ist das klar?«

Eine Hand kam und griff um seinen Hals, die zweite packte nach und würgte. Genau das fühlte Logan jetzt, denn er sah etwas: Zuviel Steinstaub und lange Furchen im Fels. Logan ging in die Knie, lag dann, schob sich herum, bis er die abgedeckten Spuren deutlich sah, obgleich sie tagealt waren. Eins – zwei – und hinter der zweiten die dritte.

»Arrow«, sagte er gepreßt. »Arrow, da unten nur etwas zerriebener Fels und die Urinspur. Von unten hätte ich nie gesehen, was hier oben ist. Auch diese Spur ist abgedeckt, so vorsichtig abgedeckt, wie es nur jemand macht, der unsichtbar bleiben will. Hier hat die Stute nochmals uriniert, was? Da war ein feuchter Fleck auf den Felsen, als ein Mann den Steinstaub über den Urin streute. Zwischen den Felsen lag schon Steinstaub, aber nicht so viel, so ist das gewesen. Er hat gedacht, das gibt einen verkrusteten Fleck, darum hat er noch eine Ladung geholt und daraufgestreut. Herrgott, am Tag ist das nicht oder nur sehr schwach zu sehen. Man reitet glatt vorbei, man geht über sie hinweg. Arrow, drei Pferde?«

Logan blieb wie erschlagen liegen. Der Hengst kam und stieß ihn mit dem Maul an. Dieses Spiel hatten sie geübt – aufwecken! Steh auf, du hast genug geschlafen, wie?

»Du Himmelhund«, zischte Logan. »Ich entschuldige mich, Arrow, du bekommst zwei Stück Braunzucker, du verdammter Bursche. Drei Pferde, zwei Reiter, oder ich bin nicht bei Verstand. Das sind sie gewesen. Sie haben ihre Spuren so gut verwischt, daß sie nicht mal Pacco Segali finden würde, der ritte hier glatt vorbei, ich auch. Unten am ersten Urinfleck ist glatter Fels, da verdunstet alles und hinterläßt keine Spur. Das Glitzern sieht niemand – Fels glitzert auch an manchen Stellen, ohne daß jemand darauf uriniert hat. Darum brauchen sie sich nicht kümmern, aber hier oben, da haben sie es ganz gründlich gemacht, darin sind sie beide Meister. Charly mag noch so dumm sein…

Er nahm den Zucker, schob ihn Arrow zwischen die Lippen.

»Da, du Ungeheuer. Gehen wir mal ein Stück hoch, ob wir noch etwas finden.«

Er fand nichts, doch der Hengst zeigte ihm den Weg, der trottete mit gesenktem Hals und heftig schnaufend, als wäre er ein Hund, der am Boden schnüffelte, um drei, vier Felsen.

»Hier sind sie herauf? Was meinst du, haben sie uns schon gesehen? Nein, ich denke nicht. Sie werden hinter der Biegung lauern, nicht hier oben, denn dann müßten sie, wenn ich käme, bis hinter die Biegung oben zurück und hinterließen wieder Spuren. Die liegen da oben ganz ruhig und warten, bis sie den Hufschlag hören. Da sie Nachttiere sind, schlafen sie jetzt nicht, sie sind hellwach. Wollen wir sie von hinten packen, Arrow?«

Arrow legte den Kopf schief und schien zu überlegen. Die Stute reizte ihn bestimmt, aber Logan dachte an die Gefahr für den Hengst. Die Dillons haßten das Tier mindestens genauso wie ihn. Sahen sie ihn, würden sie ihn sofort erschießen. Noch einmal ließ sich Charly Dillon nicht von den Hufen Arrows traktieren, der hatte für alle Zeit genug von Hufschlägen.

»Komm!« sagte Logan. »Sollen sie dort oben nur liegen, wir lassen sie in Ruhe. Ich weiß jetzt, daß sie warten, ärgern wir sie lieber, Alter, was? Komm!«

Er saß auf und nahm den Hengst herum. Dann ritt er zuruck, bis er an den Waldrand unterhalb des Passes kam, schwenkte ab, wich im Bogen nach rechts aus und grinste.

»Wenn wir drüben sind und den Paß umgangen haben«, lachte Logan leise, »schieße ich in die Luft – dreimal, verstehst du? Dann fahren sie hoch und wissen, daß ich den Trick durchschaut habe und du mich gewarnt hast. Dann ärgern sie sich schwarz, die Halunken.«

Einen Moment dachte er an Scarlett. Sie hatte ihn, als er mit dem toten Burton aufgebrochen war, am Arm gefaßt und zu ihm hochgeblickt.

»Bill, gehen Sie den Kerlen aus dem Weg. Ich will nicht, daß Ihnen etwas zustößt.«

»Na, was wäre dann schon groß?« hatte er sie gefragt. »Sie bekommen schon einen Mann – vielleicht einen mit viel Geld, irgendeinen Viehzüch­tersohn. Geld zu Geld, wie? Wer heiratet denn einen armen State-Marshal, der schlecht bezahlt wird und keine großen Ersparnisse hat?«

»Du bist ein Ekel, Bill Logan, du bist abscheulich!«

»Und du bist noch schöner, wenn du richtig wütend wirst«, hatte er gegrinst. »Ich komme dich mal besuchen.«

»Ich jage dich von der Ranch, du eingebildeter Affe! Bill – sieh dich vor, bitte!«

»Ja, Liebling!«

Sie war flammend rot geworden und hatte zu Boden gesehen. Und er war davongeritten, irgendein verrücktes Gefühl zwischen Brustbein und Bauchnabel.

Einundzwanzig Meilen vom Paß bis zur Parkinson Ranch, dachte Logan, ich könnte vorbeireiten, aber ich werde es nicht tun. Edward, ihr Bruder, ist keine Woche tot. Er war ein guter Junge, aber nicht sehr hart. Den hat die rauhe Art seines Vaters immer mehr verschreckt als mutig gemacht. Es ist doch seltsam, daß Töchter so oft im Charakter auf ihre Väter schlagen. Scarlett ist nach außen rauhbeinig bis zur Grobheit, aber innerlich ist sie prächtig. Wenn ich hinreiten würde, würde es passieren. Und passiert es zwischen uns, das weiß ich seit fünf Jahren zu genau, ist mein Verstand im Eimer.

Logan fluchte leise, er kannte sich, er glaubte auch Scarlett zu kennen. Sie würde Höllenqualen leiden, wenn er dann davonritt. So hart sie auch wirken mochte, sie würde tagelang heulen.

»Seit vier Jahren«, sagte er laut und bissig, »überlege ich etwas, was ich nie denken dürfte. Ich überlege mir, ob ich die Dillons nicht einfach irgendwo stellen und in der Einsamkeit der Berge auffordern soll zu ziehen. Danach sind sie tot, ich komme nach Denver und mache meinen Bericht, daß sie auf mich geschossen und beide ins Gras beißen mußten. Verdammt noch mal, ich sollte es tun, dann wäre es vorbei, aber ich bringe es nicht fertig – ich Narr!«

Es war ein Fehler, niemand wußte das besser als er. Die Dillons hatten den Tod zehnfach verdient. Vielleicht mußte er sich eines Tages, in den letzten Sekunden seines Lebens, den Selbstvorwurf machen, daß er sie nicht einfach über den Haufen geknallt hatte.

Marshal William Logan spie aus. Er hatte einen gallebitteren Geschmack im Mund und wußte, daß er ein Narr war. Es sollte nur zehn Minuten dauern, dann wußte er es mit absoluter Sicherheit – er war der größte Narr unter der Sonne!

*

Der Hengst schrie, er wieherte nicht. Es war ein trompetenhafter Schrei, den Arrow ausstieß, ehe er herumwirbelte und ansprang. Der wilde Sprung des Pferdes, der ohne Vorwarnung kam, warf Logan nach hinten, aber er konnte sich halten und kam sofort wieder in den richtigen Sitz. Hinter ihm brach die Hölle los, nur erkannte er sie erst drei Sekunden später. Während Arrow lospreschte, als säße ihm der Teufel oder ein Schwarm Hornissen auf der Kruppe, begann das Dröhnen hinter Logan.

Ein Blick zurück und schräg nach oben, wo der Steilhang gegen den Nachthimmel strebte, zeigte ihm die tödliche Gefahr, der Arrow zu entkommen suchte.

Am Steilhang donnerte eine Steinlawine los. Es mußte eine mächtige Bruchstelle am oberen Rand sein, denn die Lawine war oben schon gut neun bis zehn Schritt breit. Das Geröll am Hang setzte sich jetzt in Bewegung, es riß keilförmig ab und löste sich in der Form eines umgekehrten V-Zeichens, das auf dem Kopf stand und immer mehr nach den Seiten gespreizt wurde.

Dort oben wallte eine Staubfahne hoch, die im Mondlicht silbrig glänzte, aber rasend schnell dunkelgrau wurde.

»Lauf, Arrow, lauf!« keuchte Logan. Er sah, wie breit die Lawine unten sein würde und daß sie ihn und Arrow mit ihren Ausläufern noch erreichen konnte. Doch der Hengst flog davon. Er schien zu ahnen, was ihnen drohte…

Schon war Logan beruhigt, schon wollte er seinem aufmerksamen und klugen Pferd lobend den Hals tätscheln, als es vor ihm krachte und der Hengst jäh stieg.

In dieser Sekunde erkannte der Marshal, daß er in eine Falle geritten war, aus der es kein Entkommen geben konnte. Mort Dillon, der Mann mit dem Gehirn eines Teufels, hatte sie geplant. Alles, was er mit seinem Bruder getan hatte, war sorgfältig und bis in die letzte Einzelheit von ihm bedacht worden. Es war ein unheimliches Gefühl für Logan, so gut wie hilflos das mit ansehen zu müssen, was vor ihm geschah.

Die zweite Steinlawine brach über den oberen Rand des Tales und donnerte auf den Steilhang vor Logan herab. Jetzt begriff der Marshal die ganze Teufelei des Planes. Mort Dillon bediente sich der Naturgewalten. Er brauchte sie nur auszulösen, um dann zuzusehen, wie sie über Logan hereinbrachen. Alles andere konnte man aufhalten, konnte man vielleicht besiegen, aber die Naturgewalt? Niemals!

Herrgott, welch ein Satan, fuhr es Logan durch den Kopf.

Er hatte es kaum gedacht, als es über ihm dröhnte. Sein Kopf flog herum, sein Blick sog sich an den wintergrünen Lärchen fest, die zu einer breiten Faschine zusammengelegt worden waren und die hinter ihr aufgetürmten Steine gehalten hatte. Es war eine richtige Steinschütte, aber auch auf eine wahrhaft satanisch geschickte Art hergestellt. Mort Dillon hatte das Grün der Kronen an den Bäumen gelassen. Am Hang standen vereinzelt Lärchen zwischen den kargen Büschen, deren Wurzeln sich in die Felsspalte gekrallt hatten. Nun kamen andere von oben hinzu. Wenn alles unten lag, würde kein Mensch jemals feststellen können, daß die Dillons vom Windbruch umgeknickte Bäume zu Faschinenwänden zusammengesteckt hatten. Zertrümmertes Holz war zertrümmertes Holz.

Es gab keine Rettung mehr, Logan wußte es. Links war der Felsspalt von sechs bis zehn Schritt Breite. Die Tiefe ließ sich nur ahnen, sie mochte manchmal hundert, manchmal drei­ßig und an einigen Stellen auch sechzig Schritt betragen. In den Spalt waren schon Millionen Tonnen Gestein gesaust, ein paar tausend Tonnen würden hinzukommen und einen State Marshal für immer begraben.

Das war es – Logan sollte samt seinem Pferd spurlos verschwinden. Ehe man ihn suchte, konnten vier Tage vergehen. In den vier Tagen waren alle Spuren tot. Und wenn jemand später den kahlen Hang sah, so würde er nie versuchen unten im Felsspalt nach Logan zu suchen, das war einfach nicht zu machen.

Mein Gott, ich bin verloren, dachte Logan entsetzt. Keine Chance mehr. Dillon braucht keinen Schuß abzufeuern, er sieht nur zu, er sieht zu, er sieht – nichts mehr!

In diesem Augenblick begriff Bill Logan, daß der Staub den Dillons vollständig die Sicht nehmen mußte. Aber – was machte das noch aus – nichts!

Arrow stieg, drehte sich. Das Pferd hatte sicherlich oft genug Steinschläge erlebt, es schien nach einem Ausweg zu suchen. Plötzlich jagte es nach links, es preschte dem Abgrund entgegen!

Logan machte die schmale Stelle genauso aus, aber sie war immer noch sieben, acht Schritt breit. Das war für Arrow nicht zu schaffen, so weit konnte kein Pferd springen, das einen Reiter im Sattel hatte.

»Arrow, das ist zu weit!« keuchte Logan. Er sah das Geröll kommen. Zehn Sekunden noch, dann mußte es ihn erreicht haben. »Arrow, du schaffst es nicht!«

Der Hengst wirbelte herum, äugte unerschrocken der gewaltigen Masse herabkommender Steine entgegen und krümmte sich zusammen. Logan erriet, was Arrow tun wollte, er riß ihn zurück, sprang aus dem Sattel und sah die Ansammlung mächtiger Felsblöcke in etwa zwanzig Schritt Entfernung, zwischen denen ein paar Büsche wuchsen.

»Lauf, Arrow!« schrie er in das sich steigernde Tosen und Grollen hinein. »Lauf, spring allein. Ich bleibe hier. Spring hinüber und laufe weg. Lauf fort, hörst du, lauf, solange sie wegen des Staubes nichts von dir sehen können, jage davon, sonst knallen sie dich ab, lauf!«

Der Hengst stieg, bockte. Da holte Logan in wilder Verzweiflung aus und schlug ihn die Faust auf die Kruppe.

»Lauf weg, spring!«

Der Hengst stieß ein schrilles Wiehern aus, warf den Kopf hoch und raste endlich los. Der Fausthieb mußte ihm gesagt haben, daß es keine andere Chance gab, daß er davonzustürmen hatte. Jetzt jagte er dem herabdonnernden Geröll entgegen, das alles mitriß: kleine Bäume, Büsche, Felsblöcke. Das Geröll schob mit seinem ungeheuren Gewicht selbst große Blöcke vor sich her und brachte sie ins Rollen.

Die Welt geht unter, dachte Logan, als er zu den großen Blöcken am Rand des Abgrundes stürzte – so muß es sein, wenn die Welt untergeht und die Berge auf die Menschen fallen. Mein Gott, ich bin taub, ich höre nichts mehr – außer diesem entsetzlichen Grollen und Fauchen. Es wird dunkel, es wird stockfinstere Nacht, der Staub verdunkelt den Himmel. Sodom und Gomorrha!

Einen Augenblick erfaßte ihn die Panik, er begann zu schreien. Dann halfen ihm seine Schreie über die furchtbaren Sekunden der Angst hinweg. Plötzlich konnte er wieder klar denken. Drüben kam jetzt Arrow wie ein wirklicher Pfeil angeschossen, er raste in einem Höllentempo dem Abgrund entgegen und sprang ab. Das Pferd flog mit einem Riesensatz über den Abgrund hinweg, aber seine Hinterhacken schlugen Funken aus der jenseitigen Kante.

Mit mir, dachte Logan, wäre es niemals nach drüben gekommen, wir wären beide in die Tiefe gestürzt. Lauf fort, Arrow, lauf weg! Logans Puls raste, kalter Schweiß brach ihm aus allen Poren, als er auf den größten Felsblock kletterte und sich hinwarf. Er ahnte, daß die Geröllmassen sich bis zur Höhe des Blockes auftürmen würden und packte die Zweige eines Busches, die den Block überragten.

Vielleicht, dachte er, vielleicht bleibt der Block liegen, vielleicht quetscht das Geröll den Busch fest, so daß ich die Zweige halten kann. Vielleicht – vielleicht! Und wenn nicht? Großer Gott, es wird stockfinstere Nacht! Das ist das Geröll!

Durch den Block ging ein Klopfen. Es war, als hämmerte man mit Zehnpfündern gegen den Fels.

Ein Krachen wurde laut, das nicht enden wollte. Der Block begann zu zittern, der Staub nahm Logan jede Sicht. Die Trommelfelle drohten zu platzen. Dann wackelte der Block. Es war, als rüttelte ihn ein Riese mit Urkräften.

Jetzt, jetzt rutscht er, er rutscht!

Logan dachte und spürte es – der Block glitt los. Links ein infernalisches Krachen, dann ein dröhnendes Gepolter. Schattenhaft ein Riesenblock, der an Logan vorbeiwackelte und über die Kante in den Abgrund stürzte. Mein Gott, gleich, gleich war es aus, Logan lag schon mit seinem Block auf der Kante. Jetzt…

Was schlug ihn, was traf ihn wie mit Peitschenhieben, was zerrte an seinem Rücken? Da – ein Schatten – Zweige, Lärchenzweige, eine Baumkrone! Und unter ihm der jähe Ruck, der Block neigte sich, fiel, stürzte!

Logans Hände krallten sich in das Grün der Baumkrone, sein Körper hing an den Armen und schwebte über dem Abgrund.

Aus, dachte Logan, als ihn der Schlag wie ein an einer Feder hängendes Gewicht in die Höhe warf, aus, vorbei, ich werde abstürzen, ich drehe mich, werde herumgewirbelt… festhalten, Bill, halte die Zweige fest. Du fällst, du fällst!

Dröhnendes Gepolter von Holz, ein Krachen, Gesplitter – ein Hieb wie von einem flachgehaltenen Schwert über den Rücken. Dann flog er hoch, war gefallen und schoß in die Höhe, fiel sogleich wieder und spürte Schläge. Es mußten Steine sein, die ihn trafen. Hände über den Kopf! Den Kopf decken, nur nicht erschlagen werden, lieber die Zweige loslassen. Etwas knallte ihm auf die Arme, als er sie über den Kopf riß. Und dann kam der Hieb, erwischte ihn voll am Hinterkopf.

Logan saß im Eingang zur Hölle. Der Satan stand davor und lachte. Er sah sich um und glotze Logan an.

»Da bist du ja, Logan«, sagte der Satan höhnisch. »Komm, komm, in den Kessel mit dir!«

Der Satan war Mort Dillon!

Das war das letzte, was der Mar­shal Bill Logan sah.

»Ich werde verrückt!« lallte Charly. »Das ist doch nicht wahr – alles weg, alles fort? Kein Baum, kein Strauch, nackter Fels – ich kann’s nicht begreifen!«

Er kauerte am Rand des Abgrundes und glotzte den Hang an. Das war nicht zu fassen – es gab kein Geröll mehr, keinen Felsblock, keinen Baum – nur ein paar Stümpfe, bleiche, abgerissene Wurzeln. Geisterfinger in der Mondnacht!

»Hähähä! Hähähä!«

Das Lachen gellte durch die Nacht, ein höllisches Gelächter!

Einer lag auf den Knien und starrte in die düstere Tiefe, hatte das Maul weit aufgesperrt und lachte – lachte – lachte wie ein Irrer, bis er beinahe auch nach unten gefallen wäre.

»Verflucht!« sagte Mort Dillon dann erschrocken. Beinahe – beinahe! Das wäre was, wenn ich den besucht hätte, was, Charly? Ich lach mich tot, da unten – he, Logan – Logan, liegst du da auch gut und warm? Hähähä!«

Er ist verrückt, dachte Charly, er ist wahnsinnig geworden wie unser Vater. Ich weiß noch, wie der zuerst lachte, bis er schrie und davonrannte. Er schrie, die Ratten wären hinter ihm her, sie wollten ihn fressen. Er schlug und trat nach ihnen – er hatte Schaum vor dem Mund und brüllte wie ein Tier, als ihn schließlich fünf Mann zu Boden gebracht hatten und auf ihm hockten. Hat Mort auch Schaum vor dem Mund, rollt er auch die Augen, daß man nur noch das Weiße sieht?

Mort nahm den Kopf herum und starrte ihn an. Dann flüsterte er gespenstisch hohl:

»Jetzt hat ihn der Teufel geholt, siehst du, Bruder? Das war meine Idee, meine! Sie werden ihn in vier, fünf Tagen suchen und doch nicht finden. Es wird sich schnell herumsprechen. Und wenn wir nach Comanche zurückkommen, werden sie uns anstarren und sich wieder vor uns fürchten wie damals. Sie werden sich noch viel mehr fürchten, weil sie wissen, daß wir es waren. Aber beweisen kann man uns nichts, niemals! Charly, ich werde uns die besten, schnellsten und härtesten Burschen aussuchen, die wildesten Banditen. Comanche wird unsere Stadt. Von Comanche aus werden wir reiten – nachts, nur nachts. Und dann werden wir Banken überfallen, Züge ausrauben – Postkutschen anhalten! Charly, wer gegen uns ist, der wird sterben müssen, hörst du? Ich werde allen zeigen, wer Mort Dillon ist – Mort Dillon, der Mann, der Marshal Logan verschwinden ließ. Charly, spuck hinunter! Spuck auf ihn, Charly!«

»Ja!« keuchte Charly und spie in den Abgrund. »Da, Logan, da! Ich hab’s dir versprochen, du Hund!«

Danach lachte er wie ein Kind, dem der große Bruder ein Geschenk gemacht hatte.

»Wollen wir nachsehen, Morty?«

»Wo, da unten? Ich bin doch nicht lebensmüde! Man käme herunter, aber was ist, wenn Gestein losbricht – es bricht immer noch hier und da etwas aus der Wand – was ist, wenn es dir oder mir auf den Kopf fällt? Nein, Charly, wir brauchen nicht nachsehen. Sie liegen unten – er und sein verfluchter Gaul. Über den Spalt kann kein Pferd springen, auch sein Höllenvieh konnte das nicht schaffen. Steh auf, wir wollen gehen!«

»Laß mich noch mal spucken, Morty.«

»Na, dann spuck!«

Er sah auf ihn herab und dachte, daß Charly manchmal wirklich wie ein Kind war.

»Dem habe ich es gegeben, habe ich, Morty?«

»Hast du, Junge? Hast du! Wir reiten noch bis über Trinidad hinaus, dann schlafen wir den Tag über. Ich schätze, wir könnten in acht, neun Tagen in Centreville sein. Aber wir werden ganz vorsichtig sein müssen, sage ich dir. Ich wette, Liza, das Aas, hat sich auf uns eingerichtet. Sollte mich schwer wundern, wenn sie sich nicht ein paar ganz rauhe Burschen angeworben hat, die sie bewachen und uns abknallen sollen. Aber sie kann sich zwanzig Halunken angeworben haben, ich bekomme sie doch. Glaubst du mir?«

»Was du willst, erreichst du auch, Morty!«

»So ist es!« nickte Mort Dillon. »Ich kann es kaum erwarten, Charly. Uns bestiehlt man nicht, das wird sie lernen, das Aas!«

Mort Dillon lachte giftig, dann ging er davon.

Er hatte Marshal Logan erledigt, er würde noch ganz andere Dinge erledigen – auch Liza Palucco.

Dillon sah sich nicht um. Vielleicht hätte er es besser getan, denn irgendwo weit hinten zwischen Büschen und Felsklippen stand ein Pferd. Die schwarzen Flecken seines Fells verschwammen mit dem im Schatten liegenden Buschwerk.

Arrow, der Hengst, sah den beiden Dillons nach und rührte sich nicht. Ihm brauchte niemand zu sagen, daß er sich vor ihnen zu hüten hatte.

*

Das Halbblut schrie irgend etwas und hing wie eine Puppe an den Zügeln Arrows. Der Hengst hob ihn hoch, stob herum, kam schnaubend, die Nüstern gebläht und Feuer in den Augen auf Scarlett zu. Sie sah nur den leeren Sattel, sonst nichts – nur den Sattel. Es war wie bei Edwards Tod vor gut einer Woche, aber irgendwie war es schlimmer, krallte sich diese Faust, die sie in der Brust fühlte, um ihr Herz und schien es zusammenpressen zu wollen.

Drüben rannte der alte Ben Carter mit aus der Hose lugendem Hemd aus seinem Haus. Der alte Vormann der Parkinsons blickte verstört auf den steigenden Hengst, der mit Pacco Segali tat, was er wollte.

Bill, dachte Scarlett – die Faust ließ ihr Herz los, es hämmerte jetzt los wie verrückt –, Bill, um Gottes willen! Nein, lieber Gott, nein, das nicht, nicht noch das! Bill, Bill…

Plötzlich sah sie ein Bild und begann zu frieren. Die Kühle der Nacht drang durch ihr Nachthemd, über das sie schnell die Strickjacke geworfen hatte. Sie hielt die Jacke an der Brust zusammen und biß sich auf die Lippen. Sie war kreidebleich geworden, denn das Bild stand plötzlich vor ihren Augen.

Scarlett sah das Gesicht Mort Dillons vor sich, das Flimmern der dunk­len Augen, das Lächeln, das so falsch war, höhnisch, listig, verschlagen!

Zu Dillons Füßen lag jemand auf dem Gesicht. Dillon nahm den Stiefel, stieß ihn unter den Mann und hob den Fuß mit einem Ruck in die Höhe. Der Mann kollerte auf den Rücken, sein kalkweißes Gesicht lag nun im fahlen Mondlicht – das Gesicht eines Toten… Bill Logan.

»Nein!« sagte Scarlett. »Nein!«

Er ist tot, dachte sie, Bill ist tot, ich weiß es, er ist tot, sie haben ihn umgebracht, diese beiden Teufel.

»Miß Scarlett – Miß Scarlett, Pacco kann Pferd nicht halten. El diablo – la bestia… bist du ruhig, sei ruhig, sei ruhig. Damnato, valgame dios, er hat Kraft, er macht kaputt Pacco – por dios!«

»Laß ihn doch los, Pacco!«

»Er hat Haustür getreten in Stücke, er haben Haustür gemacht zu Trümmer, Madonna!«

»Laß ihn los!«

Pacco flog zur Seite, knallte in den Hof, stand ächzend auf und fluchte wild. Der Hengst stob herum, raste auf Scarlett zu, schnappte, als wolle er sie beißen, nach der Strickjacke. Dann ging er rückwärts, drehte, stieß sie mit dem Maul an, rammte ihr den Kopf in den Rücken, daß sie beinahe hinstürzte. Er trieb sie zum Tor.

Ich werde verrückt, dachte der alte Ben Carter, er stößt Miß Scarlett an das Tor, er schiebt seinen Kopf unter ihr Nachthemd – was, ist der toll, ist der – was denn, er hebt sie hoch, sie soll auf die Stangen des Tores, er will, daß sie aufsitzt, tatsächlich! Das gibt es doch nicht, der läßt doch keinen Menschen außer dem Marshal auf sich reiten, der feuert jedem die Hufe vor den Schädel, der das versucht.

»Nein, Arrow, nein, ich muß mich erst anziehen, ich muß mich anziehen, verstehst du? Arrow, ich muß mich anziehen! Ben, binde ihn an!«

»Wenn ich das schaffe, will ich Josef heißen!« keuchte der Alte, erwischte die Zügel, schlang sie um den dicken Zaunpfosten. Dann sprang er fort, als wäre er gerade zwanzig geworden, denn der Hengst merkte kaum, daß er festsaß, als er sich umdrehte und dem Halunken, der ihn angebunden hatte, die Hufe vor den Bauch knallen wollte. »Maria und Josef, der tritt aus, der reißt sich los, Miß.«

Scarlett lief ins Haus und hörte hinter sich das schmetternde, zornige Gewieher. Aus dem Bunkhaus war alles gestürzt, was noch auf der Ranch und nicht draußen auf der Weide in der Hütte schlief. Der Hengst tobte, er wollte das Zaumzeug zerreißen. Scarlett riß ihr Fenster auf und schrie:

»Arrow, steh still, ich komme, ich komme doch!«

Der Hengst hörte ihre Stimme, fuhr herum und stand wirklich still, er äugte zum Fenster, wieherte und knallte die Hufe zornig gegen den Boden, als ginge es ihm nicht schnell genug, daß sie kam.

»Ben, mein Pferd satteln! Pacco, du reitest mit. Nimm eine Laterne, hörst du?«

»Si, Señorita, subito!«

Mein Gott, mein Gott, dachte Scarlett, Bill ist tot, der Hengst ist hergekommen, um mich zu holen, aber warum zu mir, warum nicht zum Sheriff in Trinidad? Was ist das nur für ein Pferd? Bill hat einmal gesagt, der Hengst habe mehr Verstand als mancher Mensch – und ich habe gelacht.

Sie war schon fertig, nahm ihr Gewehr mit, sah kurz nach ihrem Acht­unddreißiger. Dann stürmte sie hinaus und stieg auf ihren Wallach. Der Wallach war so schnell wie der Araberhengst, den ihr Vater und danach Edward geritten hatte.

»Ruhig, Arrow, ich mache dich los!« schrie sie dem Grauschecken ins Ohr, als sie nach seinen Zügeln griff und Pacco Segali angstvoll das Tor öffnete, um gleich zur Seite zu reiten, damit dieses Ungeheuer von Arrow den Weg frei hatte. »Lauf, Arrow, lauf!«

Der Hengst zog aus dem Stand ab, daß Pacco den Mund aufsperrte und Scarlett zu träumen glaubte. Obgleich sie ihren Wallach zum schärfsten Galopp trieb, wurde Arrow vor ihnen rasend schnell kleiner. Dann bemerkte der Hengst, daß sie nicht mithalten konnten.

Er kam wiehernd zurück und knallte die Hufe wütend auf den Boden. Wieder ging es ihm nicht schnell genug. Er schoß auf den Wallach zu und wieherte ihn mit hochgezogenen Lippen, ihm die Zähne zeigend, böse an.

»Madonna, er ihm sagen, soll schneller laufen, sonst er ihm beißen!« stöhnte Pacco. »Ist vierbeiniges Satansvieh, ist böse jetzt. Du laufen nicht so schnell, Arrow!«

Der Hengst raste wieder los, aber diesmal blieb er vor ihnen.

»Pacco, er will zum Paß!« rief Scarlett nach kurzer Zeit. »Mein Gott, ist der schnell, obgleich er dann doch mindestens zwanzig Meilen weit gerannt sein müßte. Pacco, wenn dem Marshal etwas passiert ist, haben es die Dillons getan, glaubst du es auch?«

»Si, Pacco glauben, aber Marshal schuld, warum nicht erschießen Dillons damals? Kommt böser Puma, schlagen Mavericks mit Krallen, beißen Mavericks tot, wir erschießen Puma, si? Dillons wie Puma, ich damals gesagt zu Marshal – er nicht hören. Können nicht reden mit Puma, können nicht sagen, er soll sein friedlich. Er Bestie, bleibt Bestie, si!«

Er hat recht, dachte Scarlett. Sie sind auch Bestien. Und Bill ist tot!

*

Es schauderte Scarlett, als sie an den Hang dachte, die kahle, tote Fläche, die Baumstümpfe und Wurzeln. In ihrer Erinnerung würde dieses Bild haften bleiben wie jenes andere: Arrow war zum Abgrund geprescht und über die Kante gesprungen, zwei Schritt tiefer auf einem Felsabsatz gelandet und dann über Klippen und Zacken hinuntergestiegen wie eine Bergantilope, für die es immer einen Weg gab. An den Spuren hatte Pacco gesehen, daß der Hengst schon einmal tief unten im Abgrund gewesen und wieder heraufgekommen sein mußte.

Pacco band jetzt Bill auf Arrow fest, und Scarlett erinnerte sich nur noch verschwommen daran, wie sie Bill gefunden hatten. Er hatte unter zwei übereinanderliegenden Baumstämmen und einer Baumkrone gelegen, die bei ihrem Sturz vom Hang wohl eine Anzahl Büsche mitgerissen hatte. Das Buschwerk hatte sich in der Krone verfangen und so eine Art Schutzdach über dem Mann gebildet, das nur wenige Steine des fürchterlichen Geröllrutsches durchschlagen hatten. Dennoch sah Bill furchtbar aus. Logans Jacke war zerfetzt, sein Hemd zerrissen, einen Stiefel hatte er verloren, die Haut war übersät von Flecken und Rissen, aber – er lebte. Nur in seinem Nacken war eine Schwellung, als hätte ihm jemand einen Knüppel ins Genick geschlagen.

»Pacco, glaubst du, daß Arrow ihn nach oben bringt?«

»Der bringen schon hinauf, Miß – der sogar fliegen, ich glaube. Was für Pferd, was für kluge Pferd!«

»Pacco, wie kann der ganze Hang ins Rutschen gekommen sein?«

»Können passieren, Miß. Eine Stein fallen auf Geröll – eine Felsen, eine Stück Wand – wer wissen, wie kommen? Steinschlag immer kommen.«

»Und wenn man nachgeholfen hat?«

Pacco starrte sie an, hatte ganz schmale Augen.

»Sie glauben – Dillons nachgeholfen?«

»Ja, Pacco!«

Das Halbblut schwieg einen Augenblick.

»Ich nachher nachsehen, si?«

»Ja, Pacco!«

Es wurde schon grau – der Tag kam, ehe sie aufbrachen und der Hengst seinen Herrn so vorsichtig über die Felsen hochbrachte, als wüßte er genau, daß er ihm jede Erschütterung ersparen mußte. Oben schien schon die Sonne. Pacco lief nach rechts, erschien, während Scarlett ihr Halstuch anfeuchtete und Bill, der keinen Laut hören ließ, das Gesicht abwischte, hoch über ihr am Hang und winkte kurz. Dann rannte er krummbeinig über den Hang weiter, bückte sich, verschwand, tauchte wieder auf, lief noch weiter…

Ein paar Minuten darauf war er wieder bei Scarlett.

»Zwei Männer«, sagte er kehlig und hielt zwei Finger hoch. »Sie verwischen alle Spuren – Spuren bald tot – Mittag Spuren…«

Seine Hand machte eine Bewegung, die andeuten sollte, daß Spuren davonfliegen konnten.

»Pacco, die Dillons?«

»Glauben ja – aber Spur ist nicht Mann, Miß.«

»Ja«, sagte sie gepreßt. »Was haben sie da oben gemacht?«

»Geholt Bäume und Äste. Bauen Falle, bauen Dach aus Baum und Ast, legen viele Steine auf Dach. Dach haben Stütze. Wenn Stütze fallen, Dach kippen um, alle Steine fallen auf Hang.«

»Du meinst, sie haben eine Steinschütte wie die Indianer gebaut?«

»Si, si!« nickte Pacco heftig. »Pacco nicht wissen richtige Wort, bauen Steinschütte wie Indianer, si, si! Mar­shal kommen – lassen los eine Steinschütte hinter Marshal. Er reiten weiter – reiten schnell, da vor ihm andere Steinschütte. Dann dritte – Marshal in Abgrund, Marshal tot!«

In diesem Moment stöhnte Logan. Pacco, der von oben zwei starke Äste für eine Trage zwischen zwei Pferden mitgebracht hatte, war mit zwei Sätzen bei ihm.

»Binden los, schnell, schnell, legen auf Rücken – er vielleicht aufwachen. Schnell, schnell, Miß!«

Eine Minute später lag er auf seiner Decke. Die Sonne traf sein Gesicht, seine Lider zuckten. Als Scarlett ihm Wasser einflößen wollte, preßte er im ersten Moment die Lippen noch fe­ster zusammen, dann öffnete er sie, er schien das Wasser zu spüren, trank etwas, stöhnte lauter.

»Bill, Bill, komm zu dir! Bill…«

Das Stöhnen steigerte sich, aber es dauerte Minuten, ehe er blinzelnd die flatternden Lider öffnete.

»O Gott, Bill, ich bin hier – sieh mich an, Bill, hörst du mich?«

Es dauerte noch einmal zwei, drei Minuten, bis ihn die Welt, in der er war, entließ und er in die Gegenwart zurückkehrte.

»Scarlett – Pacco…«

Das war kaum ein Flüstern, es war ein Lallen.

»Bill, wir machen eine Trage und schaffen dich nach Trinidad zum Doc, hörst du?«

In seinen Augen tauchte irgend etwas auf – Widerstand, Unwille – irgend etwas, das ihn erregte. Logan versuchte den Kopf zu schütteln.

»Nein!« sagte er plötzlich. Es war, als konzentrierte er die letzten Kräfte, um sprechen zu können. »Nein – ich will – tot sein! Sie sollen denken – daß ich – tot bin.«

»Du mußt zum Doc, du bist überall entzwei, Bill, du mußt zum Doc!«

»Nein – Doc – zu mir! Nicht reden – nicht reden! Holt den Doc zu mir! Wo – Arrow – wo ist…«

Der Hengst hatte hinter ihm gestanden und schnaubte ihn, kaum daß er seinen Namen nannte, heftig an. Er blies ihm ins Gesicht und leckte ihm die Wange. Es war, als wenn Logan lächelte. Sein zerschundenes Gesicht zuckte.

»Du alter – Bursche, alter Schurke!«

»Bill, er hat uns geholt, er hat unsere Haustür zertreten und uns hergeführt. Bill, was ist, hast du die Dillons gesehen? Pacco sagt, es waren zwei Männer – sie haben Steinrutschen gebaut. Bill, soll ich dich zu uns bringen? Das ist weiter als nach Trinidad, du wirst es vielleicht nicht durchhalten.«

»Zu dir – ja! Den Doc holen, aber – nicht reden, er soll nicht reden! Weiß jemand, daß ihr…«

Er keuchte abgerissen, seine Kraft schien ihn zu verlassen.

»Nein, außer denen, die auf der Ranch sind, weiß niemand, was passiert ist, hörst du?«

»Gut – sehr gut! Die Dillons, diesmal sollen sie…«

Er hatte schon zuviel geredet und fiel wieder in Ohnmacht. »Pacco«, schluckte Scarlett. »Hält er bis zur Ranch durch?«

»Si, er aus Eisen, er aus Stahl. Schlimm entzwei, aber bald wieder laufen, Miß.«

»Ja, Pacco, aber könntest du die Dillons nicht verfolgen? Wenn Bill gesund wird, jagt er sie, ich will das nicht, ich will nicht, daß sie ihm noch mal eine Falle stellen.«

»Spuren da oben bald tot«, sagte das Halbblut. »Dillons fort, machen alle Spuren tot, reiten über Felsen. Dillons viel schlau, Miß.«

»Du meinst, du würdest ihre Spur verlieren?«

»Vielleicht finden, vielleicht verlieren, Miß. Pacco reiten zu Doc, Spuren alle tot, wenn Pacco zurück.«

Er hat recht, dachte Scarlett bedrückt. Er muß zur Stadt, während ich mit Bill zur Ranch reite, das ist wichtiger. Mein Gott, käme er ihnen zu nahe, würden sie ihn abknallen, dann machte ich mir ewig Vorwürfe. Der Doc ist wichtiger. Wo mögen diese Teufel nur sein? In Comanche?

Sie wußte es nicht, sie ahnte nichts von dem, was die Dillons tun wollten.

*

Mort und Charly Dillon waren schon viele Meilen weiter im Norden und dreieinhalb Stunden lang durch Wasser geritten. Als sie den Purgatoire River westlich von Trinidad vor dem Smiths Canyon verließen, taten sie es auf einer Schwemmsteinbank. Sie breiteten zwei Decken aus, ließen ihre Pferde auf die Decken treten und rieben ihnen das im Fell sitzende Wasser ab. Dann warteten sie kaltblütig, bis das Fell so trocken war, daß sich kein Staub mehr in ihm festsetzen konnte.

Wäre es wirklich jemand gelungen, ihnen bis zu diesem Punkt zu folgen – er hätte die Spur hier mit Sicherheit verloren

Die Dillons ritten von nun an hintereinander nach Norden. Charly hatte die Stute an der Longe und kicherte in Abständen von kaum drei Minuten immer wieder vor sich hin. Wie schlimm auch immer sein Leben gewesen war – die Zeit im Jail war für ihn, den Mann, der nichts mehr als die Freiheit liebte und sich in den Bergen zu Hause fühlte, die fürchterlichste Hölle gewesen.

»Ich habe auf ihn gespuckt«, kicherte Charly. »Ich hab’s ihm versprochen gehabt – ich habe auf ihn gespuckt!«

»Hör endlich auf, du Affe!« knurrte Mort schließlich, dem das dauernde Gekicher langsam auf die Nerven ging. »Denke lieber an Liza Palucco. Wir müssen uns auf einige Dinge einrichten und Vorbereitungen treffen. Ich sage dir, sie wird uns empfangen lassen!«

Charly nickte. Mort hatte recht – Mort wußte immer alles. Er sollte auch diesmal recht behalten!

*

Sie werden kommen, dachte die Frau und zog fröstelnd die Schultern hoch. Irgendwann sind sie hier, ich fühle es. Mort Dillon vergißt nie etwas, was man ihm angetan hat. Er kann hassen wie kein zweiter. Wer ihn bestiehlt, der wird das nur einmal und dann nie wieder tun, weil er ihn umbringen wird. Seit vierzehn Tagen sind sie frei, seit zehn Tagen weiß er, daß nur ich es gewesen sein kann. Mort ist zu schlau, teuflisch klug. Ich hätte meine Männer zum Friedhof schicken und sie dort oben warten und dann schießen lassen sollen!

»Ma’m«, sagte der Mann hinter ihr. »Gehen wir?«

»Ja, Burt!«

Die Frau sah sich kurz um und die beiden Männer an: Burt Slade und Harry Morris, eiskalte Burschen, die nichts anderes zu tun hatten, als immer in ihrer Nähe zu sein. Sie waren schnell mit den Revolvern, genauso schnell wie Mort und Charly Dillon. Seit drei Wochen waren sie jetzt in ihrem Saloon und kannten die Beschreibung der Dillons genau.

Der dritte Mann war Jim Collins. Er hielt ihr die Tür auf. Das Licht fiel jetzt in den Flur und auf die Treppe. An der Wand und auf der vierten Treppenstufe stand Lester Perkins. Einer stand immer dort – Tag und Nacht. Durch das schmale, von innen vergitterte Fenster konnte er den gesamten Hof überblicken. Die Hintertür des Hauses war durch zwei schwere Eisenriegel gesichert, das Schloß ständig verschlossen. In diesem Teil des Saloons hatte niemand etwas zu suchen, hier gab es nur drei Zimmer unten, drei oben und die Kammer.

»Nichts, Ma’m«, sagte Perkins kühl. Der große, hagere Mann hätte eine Maus gesehen, weil der Hof durch zwei Laternen erleuchtet wurde. »Alles in Ordnung.«

»Gut, Lester!«

Collins ging jetzt voraus an Perkins vorbei und die Treppe hoch. Oben war der zweite Flur, von dem aus die Türen zu ihren Privaträumen führten. Drei Zimmer, ein Arbeitsraum, ein Wohnraum und das Schlafzimmer. Collins trug die Lampe in der Linken und in der Rechten den Colt. Die Männer waren eisenhart, aber sie kannten die Dillons nicht, sie waren überzeugt, daß hier keine Maus hereinkam.

Ihr habt eine Ahnung, dachte die Frau, wenn ihr wüßtet, wozu Mort Dillon fähig ist…

Collins blieb im oberen Flur vor ihr stehen. Sie gab ihm den Schlüssel zu ihrem Wohnzimmer, und er schloß die Tür auf. Dann betrat er den Raum.

Sie ist hysterisch ängstlich, dachte Collins, verrückt könnte man das schon nennen. Jeden Abend dasselbe – Licht anmachen, jedes Fenster genau nachsehen, ob es nicht entriegelt worden ist, ob kein Bohrloch im Rahmen sein kann. Dann die schwenkbaren Eisengitter vorlegen, die Vorhänge zuziehen, das eine Fenster ihres Schlafzimmers öffnen, die Sperrstange festschrauben, an die man von außen nicht herankommen kann…

Collins hatte mit den anderen über diese hysterische Angst der Frau gesprochen, und sie waren alle der gleichen Meinung: Miß Angel sah Gespenster. Diese schwarzhaarige eiskalte Lady, die nichts mit Männern im Sinn, aber in ihrem Saloon neun Mädchen hatte und sie in einem Seitenanbau schlafen ließ, wo sie Männer empfangen konnten, war von einer krankhaften Furcht vor Einbrechern und Mördern besessen.

Jim Collins ging in jeden Raum, blickte unter das breite Bett mit den vielen Kissen, den weichen Polstern und der dicken Daunendecke. Dann öffnete er den Kleiderschrank, in dem sich fünf Männer hätten verstecken können, nicht nur zwei. Schließlich lag er auf dem Bauch und blickte auch im Wohnzimmer unter das Sofa. Am Ende betrat er das kleinste Zimmer, in dem der Schreibtisch stand und der Geldschrank braun und wuchtig die eine Ecke einnahm. Hier stand noch ein Schrank, schmal und unscheinbar.

Das versteht keiner von uns, dachte Collins, denn sie ist von gnadenloser Härte im Geschäft. Wer von den Girls nicht richtig spurt, fliegt hinaus. Macht der Waiter Blödsinn, sorgen die beiden Rauswerfer nicht für absolute Ordnung, wäre die Hölle los. Diese Frau ist eiskalt, sie denkt nur an Geld und nie an einen Mann. Der Waiter sagt, sie hätte noch keinen gehabt. Dabei hat sie eine Figur und sieht aus – Teufel noch mal, mit der würde ich mal ganz gern…

»Nichts, Madam, alles in Ordnung!«

»Gut, ihr könnt gehen!«

Miß Angel behandelte Männer wie Mädchen gleich mies, aber sie zahlte gut. Wie sie zahlte niemand in Centreville, nirgendwo konnte man das verdienen, doch dafür verlangte sie auch etwas.

Die Frau stellte ihre schwere Tasche, in der sie die Tageseinnahmen hatte, auf den Schreibtisch. Sie folgte Collins zur Tür, vor der die beiden anderen gewartet hatten und ließ ihn hinaus. Collins hörte, wie sie zweimal umschloß, dann den schweren Riegel vorlegte und wechselte einen Blick mit Burt Slade und Harry Morris.

»Vielleicht existieren die beiden Kerle nur in ihrem Kopf, was?« fragte Morris leise, als sie unten waren. Er schlief mit Burt Slade in dem Zimmer unter Miß Angels Schlafraum. Wenn sich oben etwas rührte oder die Frau schrie, brauchten sie nur die Treppe hochzustürzen.

»Kann sein«, brummte Collins. »Wir haben unsere Anweisungen, werden gut bezahlt, warum soll ich mir den Kopf zerbrechen, ob sie normal ist? Lester, du weckst mich dann, klar?«

»Sicher«, murmelte Lester Perkins.

Sie waren alle müde. Es war kein Vergnügen, Tag und Nacht aufzupassen, zudem war es spät.

Sie wird ihr Geld zählen und wie jeden Abend in den Geldschrank packen, dachte Collins. Neulich brachte ich das Geld zur Bank. Als ich es von ihr abholte, sah ich den offenen Kasten auf dem Tisch stehen. Sie sammelt Golddollars. Von Papiergeld, sagte sie, hielt sie nicht viel. Das ist auch so eine Verrücktheit…

Er gähnte und ging in sein Zimmer. In diesen Teil des Hauses konnte niemand eindringen. Und wenn, beging er Selbstmord!

*

»Dreihundertzwanzig,dreihundertdreißig, dreihundertvier­zig…«

Sie zählte jetzt ihr Geld: Münzen auf das Zählbrett, Scheine in das ­Kästchen, aber ihre Gedanken irrten immer wieder ab.

Die Stadt, dachte sie und blickte auf die Geldscheine, die Stadt hatte ganze acht Häuser, als ich herkam und mit Morts Geld den Saloon bauen ließ. Alles mit Mort Dillons Geld. Ein Geschäft wie dieses verträgt keinen Mann, keinen, der nichts tun will, der glaubt, daß er auf Kosten einer Frau leben kann. Man muß hart sein, sich nichts gönnen…

Im Haus war alles ruhig, nur auf der Straße war noch Lärm. Die Uhr an der Wand neben dem Geldschrank tickte monoton. Sie blickte auf den Perpendikel und sah sich plötzlich wieder in Tom Pillars Saloon, in Comanche, diesem Nest, in dem sich nur das gesetzlose Gesindel traf. Mort war der King in diesem Nest gewesen. Man stellte sich gut mit dem gefährlichsten Mann, man tat alles, um ihm zu gefallen – und dann bestahl man ihn…

Ihr Blick wanderte zum offenen Geldschrank und dem oberen Fach. Dort lag das Schreiben der Jailverwaltung, das sie sich an eine Deck­adresse nach Denver hatte schicken lassen. Seitdem sie wußte, daß Mort aus dem Jail war, fand sie keine Ruhe mehr.

Nein, dachte sie, er kann nicht ins Haus, Mort ist ein schlauer Teufel, der hat längst gemerkt, daß ich hier vier der rauhesten Männer habe, das wagt er nicht. Ich bin sicher wie in Abrahams Schoß…

Da lag ihr Geld, sie mußte es zählen und nahm sich zusammen. Nicht mehr an Mort Dillon denken, abrechnen, Liza!

Liza, dachte sie, Liza? Ich habe mich Angel genannt und den Saloon so getauft – Angels Saloon. Liza, du mußt rechnen und ein paar Stunden schlafen…

Liza Palucco griff nach dem Federhalter, schrieb Zahlen in das schmale Buch, sortierte dann die Goldmünzen aus. Einen Moment sah sie wieder ihren Vater am wurmstichigen Tisch sitzen und sein altes, verwittertes Gesicht.

»Gold behält immer seinen Wert. Papiergeld ist nichts, davon können sie soviel drucken wie sie wollen – wertloses Papier…«

Als sie aufstand und die heute eingenommenen Goldmünzen zu den anderen in den Eisenkasten tat, den sie dann in die stabile Tasche stellte, lächelte sie einen Moment. Dann ging sie zum Geldschrank, stellte das Zahlbrett auf ihn, schob zuerst die Scheine in das eine Fach, hob die Hände, um das Zahlbrett zu nehmen und…

Hinter ihr knackte leise eine der Dielen. Kein Geräusch sonst, kein Schritt, kein heftiges Atmen eines Menschen, und doch…

Liza Paluccos Kopf flog herum, ihr Mund öffnete sich. Dann sah sie die Hände, große Hände mit behaartem Handrücken. Morts Hände – Geisterhände, die gleichsam aus dem Nichts herangeschossen kamen und blitzschnell zupackten.

Im nächsten Augenblick sah sie sein Gesicht, den Bart, die Augen…

Liza wollte schreien, aber der Griff war so eisenhart, daß sie keinen Laut mehr herausbrachte. Der Mann riß sie hoch, er hielt ihren Hals umklammert und riß sie mit einem fürchterlichen Ruck in die Höhe, während der andere Schatten plötzlich neben ihr war und ihre Beine umklammerte. Ihr war, als wäre sie gelähmt, als sie die Dillons sah. Stocksteif vor Schreck und Grausen fühlte sie, wie sie hochgehoben und dann getragen wurde. Um sie drehte sich alles, vor ihren Augen verschwamm die Zimmerdecke, in ihren Ohren begann es zu rauschen.

Wie sind sie hereingekommen, dachte sie noch, warum hat Collins sie nicht entdeckt – er sah doch über­all nach, aber da war niemand.

Sie fiel, das war das letzte, was sie spürte.

*

Im Lampenlicht wirkte die schwere Kommode mit ihren offenen beiden Türen wie ein Grabgewölbe. Der Anblick der Kommode vertrieb das letzte Singen und Kreischen, das solange in Liz Paluccos Ohren gewesen war. Ungläubig blickte die Frau auf die leere Kommode, die voll Wäsche gewesen war. Zwei Zwischenböden hatten die Stapel aufgenommen. Jetzt sah sie auch keinen Zwischenboden mehr, aber dann erkannte sie, daß die beiden Böden ganz unten auf dem Kommodenboden lagen und begriff, was geschehen war.

Der Schatten tauchte in der Tür auf: groß, breit, düster und in den Augen ein Glimmen, als glühte ein Kohlefeuer tief hinter den Pupillen.

Der Mann kam in das Schlafzimmer, während sie jetzt die rasenden Kopfschmerzen spürte. Der Mann hatte sie geschlagen, ihr die Faust an den Kopf gesetzt – nun wußte sie es.

»Siehst du«, flüsterte er. Er setzte sich auf die Bettkante und starrte sie durchdringend an. »In einer Kommode kann man sich nicht verkriechen, hast du gedacht. Irrtum, meine Liebe, Irrtum! Dein Kleiderschrank hat einen schweren Sockel – unter dem Boden sind gut zehn Zoll Luft. Ich habe ihn angehoben und Charly die Wäsche untergestopft.«

Er bringt mich um, dachte sie, mein Gott, er bringt mich um!

Der Knebel war wie eine Faust, die sich zwischen ihre Zähne preßte. Schreien würde sie nicht können, aber sich bewegen – nein, sie konnte sich nicht bewegen!

»Nur die Kleiderstange«, zischte Mort Dillon. Seine große behaarte Hand kam und zwang ihren Kopf herum, bis sie sah, daß ihre Kleider im Schrank am Boden lagen. »Du bist an die Kleiderstange gebunden – du bist ein Paket, verstehst du? Hast du geglaubt, wir kämen nicht ins Haus, deine Leibwache würde uns abknallen?«

Das Zischeln ließ Mort verstummen, der Schatten fiel in das Zimmer, Charly stand in der Tür.

»Fertig, Mort, alles eingepackt!«

»Gut, dann wollen wir…«

Morts Lächeln war das eines eiskalten Teufels. Er packte sie am linken Arm und um die Hüfte. Dann hob er sie, die nie mehr als hundert Pfund gewogen hatte, auf die Arme.

»Wir gehen jetzt«, flüsterte er. »Du kannst schnaufen, wenn du willst, aber ich würde das nicht tun an deiner Stelle, denn dann sagst du wieder eine Weile nichts, verstanden?«

Charly blies die Lampe aus, Mort trug sie in das Wohnzimmer. Liza sah jetzt für einen Moment in das kleine Arbeitszimmer, in das das Licht vom Wohnraum fiel. Der Geldschrank war leer, der Schlüsselbund steckte noch im mittleren Schloß der Tür. Die große Tasche, die unten im Schrank gestanden hatte – gepackt für alle Fälle – trug Charly jetzt zur Flurtür.

Wo wollen sie mit mir hin, wie hinaus? überlegte Liza und zitterte vor Angst. Sie kommen nicht an Perkins vorbei, oder wollen sie mich als Schild benutzen? Dann kann Perkins nicht schießen, er wird es nicht wagen. Schießt er doch…

In der nächsten Sekunde ging ein Ruck durch ihren Körper. Plötzlich drehte Mort sie so um, daß sie mit dem Rücken quer vor seiner Brust lag. Liza Palucco blickte entsetzt auf das Messer in Morts linker Hand. Er hielt die Spitze des Messers an ihre Kehle. Winkelte er den Arm an, würde das Messer ihre Kehle durchbohren.

»Nicht schnaufen – halte die Luft an, bis wir draußen sind!« zischte er drohend.

Einen Moment sah sie Charlys Füße, die Deckenstreifen, die er sich wie Fußlappen um die Socken gewickelt hatte. Darum waren sie so leise, darum hörte man keinen Schritt, den sie machten. Charly nahm die Lampe mit zur Tür, stellte sie nach links, hatte die Tasche schon abgestellt und blies die Lampe nun aus. Jetzt war es stockdunkel. Nur der schwache Lichtschein der beiden Hof­laternen drang matt durch die schweren Vorhänge und ließ sie Charly Dillons Umrisse erkennen. Er hatte den Riegel vorher langsam zurückgezogen und die Tür wohl auch längst aufgeschlossen.

»Warte, bis ein Wagen vorbeifährt oder anderer Lärm zu hören ist, Charly!«

Es kam ihr vor, als vergingen Minuten, bis draußen Peitschengeknalle und schweres Räderrollen laut wurde Die Erschütterungen, die die Wagen von Christopher Peters Wagenlinie, die vor dem Morgengrauen nach Spanish Bar aufbrachen, verursachten, übertrugen sich auf den Saloon. Eine Sprosse des Treppengeländers rappelte leise, eine Fensterscheibe klirrte unten.

Die Tür ging wie von Geisterhand bewegt auf, der Flur war wie ein dunkler, düsterer Abgrund. Sie spürte jetzt die Messerspitze deutlicher. Der Druck preßte sich gegen ihre Kehle. Dann war sie schon im Flur, rechnete damit, daß es zur Treppe ging, aber zu ihrem Schrecken glitt Mort nach rechts zur Kammertür. Es schien die Tür nicht zu geben, denn sie sah nur die Umrisse des Türrahmens, tauchte dann in die absolute Dunkelheit der Abstellkammer ein und sah nur noch das matte Rechteck. Dort bewegte sich jetzt etwas so geräuschlos, als schöbe eine unsichtbare Hand eine Wand vor das Türrechteck. Die Tür war zu.

Der Schlüssel, dachte Liza Palucco, während sie das Frieren packte, der Schlüssel steckte von außen, die Tür war immer verschlossen! Wie haben sie die Tür erreicht, wie sind sie nur an Perkins, an Collins oder einem der anderen vorbeigekommen? Was wollen sie denn in der Abstellkammer, hier ist doch nur Gerümpel, liegt altes Zeug von den Girls und aus dem Saloon…

In der nächsten Minute hantierte Charly lautlos.

Licht kam von oben, fiel in den Raum und tauchte Morts Gesicht in den fahlen Schimmer, den nur Sternenlicht hat. Das Viereck an der Decke ließ Liza Palucco die ersten Sterne sehen.

Die Dachluke stand offen. Charly verdunkelte sie, während er hinausstieg und dann niederkniete, um die Arme nach unten auszustrecken.

»Vorsichtig hoch mit ihr«, zischte Mort. »Auf den Bauch legen!«

Liza wurde hochgeschoben, unter die Arme gefaßt und auf das Dach gehoben. Die Kühle der Nacht ließ sie heftig zittern. Wie waren die Dillons auf das Dach gekommen? Es gab nur den einen Weg über den Hof – und den bewachte Perkins. Und dann war die Dackluke verriegelt gewesen, von innen gesichert. Burt Slade hatte hier oben nachgesehen und damals gesagt:

»Die kann man vom Dach aus nur mit einer Brechstange aufmachen, das wäre zu hören. Außerdem kommt keiner auf das Dach – er müßte ja von der Straße aus eine Leiter anstellen und würde von hundert Leuten gesehen. Über den Hof kann es erst recht keiner versuchen, der wäre noch nicht auf der Leiter, dann hätten wir ihn schon.«

Liza Palucco lag auf dem Bauch, nahm den Kopf herum und erstarrte. Was links neben ihr und der Luke auf dem Dach lag, waren grobe Bohrspäne, die hell auf der dunklen Dachpappe leuchteten. Daneben lag ein Handbohrer.

»Ja«, sagte Mort höhnisch. Er kam aus der Luke und starrte sie höhnisch an. »Ein Bohrer, ein Loch im Dach, durch das man nur greifen und den Riegel wegziehen braucht. Was grübelst du denn, meine Liebe. Fragst du dich, wie wir auf das Dach gekommen sind? Wir haben drei Tage gebraucht, bis wir alles über dich und das Haus, deine Revolverschwinger und deine Gewohnheiten erfuhren. Das Haus hat Wilson aus Spanish Bar gebaut, wir sind zu ihm geritten und haben gesagt, wir möchten dasselbe Haus haben. Der alte Zimmermann hat es uns genau beschrieben, auch die Dachluke hier oben, durch die man auf das Dach kann, wenn es mal in der Nachbarschaft brennt, um das Dach mit Wasser zu begießen. Sieh mal zur anderen Seite!«

Sie tat es und sah den dunklen Giebel des Mietstalles. Zum Giebel drüben, der neun Schritt vom Seitenkamin des Saloons entfernt war, schienen zwei Seile zu führen. Am Seitenkamin und hart an der Dachkante des Saloons lag etwas. Mort hob sie hoch, trug sie hin, und sie sah einen Hackenstiel. Der Spitzhackenstiel hatte oben eine Rolle und unten ein Querbrett, das von zwei Keilen gehalten wurde.

»Einhaken!« zischte Mort. »Mach voran, Charly, wir haben nur noch zwei Stunden, dann wird es hell.«

Wenn Liza noch keine Angst gehabt hätte, jetzt hätte sie wirklich vor Furcht schreien können. Charly Dillon nahm das seltsame Ding hoch, brachte die Rolle über das obere Seil, stieg auf das Querbrett und flüsterte:

»Gib sie her!«

Charly hielt sich jetzt nur noch mit einer Hand am Hackenstiel. Er beugte sich auf seinem Brettsitz zurück, so daß er Liza mit der Rechten packen und halten konnte, während Mort sie ihm über die Dachkante entgegenschob. Liza schwebte jetzt neun Schritt über dem Hof, der entsetzlich tief unter ihr lag. In diesem Augenblick erkannte sie, was Mort Dillons schreckliches Gehirn ausgebrütet hatte. Mort hatte das System der Hängelore etwas abgewandelt. Diese Loren sah man häufig auf dem Minengelände.

Das System hier war bedeutend einfacher. Mort Dillons teuflisches Gehirn hatte sich einen Hängesitz erdacht. Am Sitz war eine dünne Schnur befestigt, damit man ihn zu­rückziehen konnte.

Liza Palucco blickte in die ihr grausig fern scheinende Tiefe und schloß entsetzt die Augen.

»Liegt sie gut, Charly?«

»Ja«, wisperte Charly. »Sie hat kein Übergewicht, so ist es gut, Mort. Lieg still, du Luder, sonst werfe ich dich in den Hof hinunter, dann brichst du dir das Genick, wenn du Glück hast. Hast du Pech, sind es Rippen, Arme und Beine, dann stirbst du verdammt langsam, klar? Feine Erfindung, was?«

Er kicherte teuflisch. Seine rechte Hand hielt sie fest, mit der Linken griff er nach dem unteren Seil und zog den Sitz weiter und weiter. Einmal nur wagte die Frau die Augen zu öffnen.

Sie schwebten etwas schaukelnd mitten über dem Hof. Unten beleuchteten die beiden Laternen Hauswand und Bretterzaun. Das Licht fiel nicht nach oben. Hier oben und in der absoluten Dunkelheit dieser Nacht, zuckelte der Hängesitz dem Giebel des Mietstalles entgegen. Unten saß Lester Perkins hinter dem schmalen Fenster. Der Revolverschwinger Liza Paluccos sah von seinem Platz aus nur den Hof, aber er sah nichts vom Himmel. Dazu hätte er aus der Hintertür treten müssen.

»Ja«, schnaufte Charly Dillon, »das ist ein Einfall, was? Gegen Mort kommt keiner an, der legt jeden herein. Du gerissenes Luder, hast du gedacht, wir kämen dich so besuchen, daß uns deine Killer abknallen können? Perkins sieht uns nicht, der sitzt da unten und raucht.«

Seine Knie stießen an die Giebelwand des Mietstalles. Er zog sich bis an die beiden großen Schraubhaken heran, die sie in den Sparren gedreht hatten. Das Seil war an ihnen verknotet. Charly Dillon legte die Rolle des Hängesitzes mit dem Seilende fest. Dann stemmte er die Beine gespreizt gegen die Wand. Jetzt konnte er sich so abdrücken, daß der Sitz nicht mehr schwingen konnte. Danach zerrte er die Frau hinter dem Hackenstiel hervor und schob sie wie ein steifes Paket auf das Dach. Eine Viertelminute später lag er neben ihr.

»Siehst du«, flüsterte er höhnisch. »So geht es jedem, der die Dillons hereinlegen will. Paß auf, dein lieber Freund Mort kommt gleich, er zieht nur den Hängesitz zurück. Gleich ist er bei dir, du falsches Rabenaas.«

Er zog sie am Ohr, bis sie den Kopf herumnehmen mußte. Aus zehn Zoll Entfernung sah sie jetzt in seine Augen und erkannte den Haß, der ihr entgegenschlug.

»Du hättest das nicht machen sollen«, zischte Charly Dillon. »Hättest du geteilt und Mort ins Jail geschrieben, daß du für ihn und dich arbeitest – in Ordnung. Aber du wirst nie teilen, Mort hat recht gehabt. Eines Tages, sagte er, hast du hier weggehen und eine richtige Lady sein wollen. Du bist das geldgierigste Aas unter der Sonne, sagt Mort. Du bist schlecht wie die Nacht, sagt Mort. Für Geld riskierst du alles, sagt er – und er hat recht gehabt. Du hast uns töten lassen wollen, weil du genau gewußt hast, du hättest den Rest deines Lebens nur noch für Mort arbeiten dürfen. Du hast nicht arm sein wollen, wieder arm wie damals in Comanche, was? Jetzt wirst du weder arm noch reich sein – nur tot!«

Dort kam Mort Dillon, der Mann, der nie Gnade gekannt hatte, der anderen auch keine schenken würde. Liza kannte ihn zu gut. Und wenn sie ihm hundertmal geschworen hätte, daß sie bei ihm bleiben und für ihn arbeiten würde – er hätte es nie geglaubt. Damals hatte sie nur das Geld gesehen, viel Geld. Genug, um aus dem Dreck zu kommen. Das Leben in Comanche hatte sie angewidert. Dann war diese Chance dagewesen, eine, die es nie wieder geben würde. Sie hatte die Chance genutzt und genau gewußt, daß der Preis für eine sorglose Zukunft der Tod der Dillons sein würde. Blieben die Dillons am Leben, würde sie nie aus dem Dreck kommen. Sie waren Mörder, sie waren Outlaws, die das wilde Leben nie aufgeben würden.

Mort Dillon war bei ihr, starrte sie an und schwang sich auf das Dach. Er löste den Knoten des Seils, warf es nach drüben und zog dann am anderen Ende. Das Seil lief um den Kamin, und Liza Palucco wußte nun, daß man rätseln würde, wie die Dillons auf das Saloondach gekommen waren.

Charly drehte die schweren Schraubhaken los, dann sahen sich die Brüder an und kicherten höllisch.

»Komm«, sagte Mort giftig. »Du darfst mitkommen, Liza, meine Teure!«

*

Hinter den letzten Häusern hatte man ihr die Kleiderstange abgebunden und die Füße freigegeben. Dann waren sie in den Wald gegangen und zu den Pferden gekommen.

Das war gut eine Stunde her. Seitdem ritt sie zwischen ihnen auf der Stute, an deren Sattelgurt Mort ihre Beine gebunden hatte. Es ging nach Süden und am Poncha Paß vorbei zum Oberlauf des San Luis Creek. Liza hatte gewußt, daß Mort niemals mit einer Gefangenen den Fahrweg am Arkansasriver entlangreiten würde. Das war ihm viel zu gefährlich. Er wollte nicht gesehen werden – wieder wollte er, wie er es früher immer getan hatte, die Nacht nutzen, die Unwegsamkeit der Berge, wo ihnen keine Seele begegnete.

»Mort«, stöhnte Liza. »Mort, hör doch zu – wir können uns einigen. Ich verkaufe alles, ich fange noch einmal an…«

»Gib dir keine Mühe!« sagte er finster und barsch. »Mich legst du nur einmal herein. Ich habe über sechstausend Dollar in deiner Tasche, das reicht mir. Was soll ich mit dir? Du kommst mit!«

»Wohin, Mort, wohin? Was hast du mit mir vor, Mort? Ich schwöre dir, ich vergesse alles, wenn du mich freiläßt.«

»Geschenkt!« knirschte er. »Du sollst endlich dein Maul halten, du heuchlerische Schlange. Ins Wasser, Charly!«

Seit einer Stunde bat und flehte sie, schwor sie, bot sie sich ihm an, aber er war eiskalt und blieb es.

Mort ritt in den Creek, der hier scharf nach Süden strömte und über einige Klippen durch felsiges Gelände abfiel. Anscheinend rechnete er schon für den Vormittag mit Verfolgern.

»Mort, bring mich nicht um, bitte. Ich tue alles, was du willst, Mort.«

»Du sollst still sein!« schrie er sie wütend an. »Rede, wenn du gefragt wirst, sonst halte die Klappe! Slade war Kopfgeldjäger, was? Der kommt uns bald nach, aber das ist sein letzter Ritt, sage ich dir. Ich blase sie um, einen nach dem anderen – und du ­siehst zu. Deine Killer können keine Zeugen brauchen, darum werden sie auch nicht zum Sheriff rennen, versuche mir das bloß nicht zu erzählen. Sie sollen uns eledigen, aber sie werden sich täuschen. Zuerst sie – dann du!«

»Du willst mich erschießen, wenn sie uns verfolgen? Mort, hast du alles vergessen, was einmal war?« schluchzte sie auf. »Wie kannst du so grausam sein?«

»Du glaubst, ich werde dich bald umbringen, was?« fragte er. Ihre Tränen rührten eher einen Stein als ihn. Er wußte zu gut, daß sie auf Kommando schluchzen konnte. »O nein, du wirst noch eine ganze Weile leben, viele Tage.«

Irgend etwas ließ sie erstarren – die Grausamkeit vielleicht, die Tücke, die in seiner Stimme mitschwang. Es war, als wenn er nur mühsam sein Lachen unterdrückte, dieses irre Lachen, das ein paarmal über seine Lippen gekommen war, wenn er und Charly einen Blick gewechselt hatten.

»Was – was heißt das?« keuchte Liza Palucco und schluchzte nicht mehr. »Mort, du willst mich nicht gleich – später, viel später? Wo denn, Mort?«

»Wo?«

Jetzt lachte er. Charly fiel in das Lachen ein und bog sich auf seinem Pferd. Das Gelächter ließ sie ahnen, daß sie eine Teufelei planten und er sich eine besondere Abscheulichkeit für sie ausgedacht haben mußte.

»Wo?« schrie sie, »wo denn, Mort?«

»Kennst du den Friedhof von Aguilar?« fragte er und grinste breit. »Wie war das damals, als du nach dem Kasten gegraben hast? Du hast keine Angst vor den Toten gehabt, he? Hättest mal die Steine von Miguel Servantes Grab nehmen und dann graben sollen. Du hättest zuerst eine dicke Bohle gefunden, gut zwei Fuß unter dem Kies. Und dann wäre dir Angst geworden, denn du hättest James Flemming ausgebuddelt, hähähä!«

So hartgesotten sie war – sie zuckte zusammen und wurde kreidebleich.

»Was – was?« stammelte Liza entsetzt. »Flemming – dort, dort habt ihr ihn…«

»Und bei Theodora Gomez!« brüllte Charly heulend vor Vergnügen. »Da liegt Ellison! Wie war doch sein Vorname, Bruder Mort? Sie hätte ja auch nach Casa Blanca reiten und dort den Friedhof besuchen können. Dort hättest du Joe Chadwick gefunden. Hättest nur im Grab von Clara Monteja nachzusehen brauchen!«

Das Grausen erfaßte die Frau, als sie die Dillons lachen hörte. Dort, dachte sie, dort – überall auf den alten Friedhöfen, überall in diesem Land haben sie…

»John Ellison, John, du Affe!« brüllte Mort. »Er hieß doch John und hatte das Geld aus dem Verkauf seiner Rinder dabei. John hieß er, John! Nun ist Theodora nicht mehr allein, hähähä!«

Liza wollte etwas sagen, doch die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Charly zeigte mit dem Finger auf sie und schrie vor Lachen, bis er ruhiger wurde und keuchte:

»Mort, sag’s ihr doch! Sag’s ihr!«

»Du meinst, sie freut sich dann, Charly?«

»Ja, ja!« keuchte Charly Dillon. »Da hat sie Spaß, höhö!«

»Gut, ich sag’s ihr, Charly, ich sag’s ihr! Liza, meine Teure, bist doch gern auf dem Friedhof gewesen, ja? Hast gierig nach unserem Geld gegraben, was? Du wirst wieder graben dürfen – an derselben Stelle. Gesellschaft für Juan Montenero, verstehst du?«

Ihr war, als zöge sich ihr Magen zusammen und bliebe ihr Herz stehen. Jetzt wußte sie, warum sie sich angesehen und so verrückt gelacht hatten. Sie würde spurlos verschwinden und nie gefunden werden – genau wie die anderen Opfer, deren Zahl niemand kannte. Gesellschaft für Juan Montenero…

*

Charly schrie plötzlich, statt zu lachen. Das Pferd wieherte scharf.

Was ist, dachte Mort und wandte jäh den Kopf. Warum schreit er denn? Schreit er jetzt schon, wenn er richtig Spaß hat?

In derselben Sekunde achtete er wieder genauer auf den Weg. Vor lauter Gelächter und Spannung, wie Liza es aufnehmen würde, hatte Mort Dillon nicht so genau aufgepaßt. Er war an irgendeinem Stück Felswand vorbeigeritten, mehr einem Felsabsatz, um den das Wasser des Baches strömte und sich seinen Weg gesucht hatte.

Als er sich umblickte, sah Mort den Schatten auf der Felswand, sah noch einen und wollte sich ducken, weil etwas über ihm seltsam schwirrte. Die Felswand war nur wenig höher wie sein Kopf, und er sah noch die Umrisse der Gestalt, die irgend etwas herumwirbelte.

In der nächsten Sekunde traf etwas seinen Kopf. Es war, als ginge die Welt in einem Feuerball unter. Plötzlich war Charlys Schrei nicht mehr zu hören – es gab nur einen Knall, der alles zu zerreißen schien.

*

Totstellen, dachte er, nicht bewegen, nicht stöhnen. Ich habe gestöhnt, doch sie müssen es überhört haben, weil wir gerade, als ich erwachte, über nackten Fels ritten. Verdammt, wo geht es hin, was ist mit Charly?

Mort Dillon blinzelte, denn er hörte den Mann vorn fluchen, sah ihn aber erst, als sie um die Kehre waren. Charly saß aufrecht, jemand schüttelte ihn und schrie ihn an:

»Bleibst du sitzen, Dillon! Los, halte dich gerade, du Satan! Jim, sieh nach, was mit dem anderen Halunken ist!«

Der Hufschlag näherte sich von hinten. Collins kam und schlug Mort die Faust in den Rücken. Der rührte sich nicht, zuckte auch nicht, als ihn der Tritt ans Bein traf.

»Der träumt noch, Burt!«

»Nun ja, der fiel auch nur mit den Beinen ins Wasser, Jim. Den hier taufte es überall, der klappert schön mit den Zähnen und friert wie ein Hund. In zehn Minuten sind wir oben, dann machst du ihn mir munter, Jim!«

Mort bekam noch einen Tritt, aber er blieb wie tot liegen und wußte längst, daß sie durch Wald ritten. Es war verdammt zerklüftetes Gelände mit kurzen, steilen Tälern, schroffen Anstiegen, viel Steinen und Felsen. Sie hatten ihn auf seinem Pferd so angebunden, daß er nicht herunterfallen konnte. Seit dem plötzlichen Überfall konnte noch keine halbe Stunde vergangen sein. Die vier Revolverschwinger, die mit Sicherheit von Burt Slade, dem ehemaligen Kopfgeldjäger geführt wurden, hatten ein Wunder vollbracht.

Es muß kein Wunder sein, dachte Dillon, es kann andere Gründe haben. Aber eins steht fest, sie sind nur wenig später hinter uns her und müssen uns dann überholt haben. Was habe ich nur falsch angefangen, welchen Fehler habe ich gemacht? Jetzt darf ich keinen machen, ich muß aufwachen, ganz schnell auwachen, denn ich liege auf dem Hals des Pferdes, ich muß sitzen…

Er stöhnte schwer, schrie unterdrückt auf, als käme er gerade zu sich. Sofort hielten sie an, jemand war vor ihm und führte sein Pferd an seiner Longe, der hielt. Collins kam von hinten und schüttelte ihn grob.

»Oaah… aah, mein Kopf, mein Kopf!«

»Wach auf, Hundesohn! Los, wach auf! Hoch mit dir!«

Sie rissen ihn mit zwei Mann hoch, der andere Mann, es war Harry Morris, schlug ihm rechts und links ins Gesicht. Dann kam auch Liza.

»Ah, bist du munter, Mort? Na, wie fühlst du dich, du Narr? Ziemliche Überraschung gewesen, was?«

»Mein Kopf – mein Kopf!« stöhnte Dillon.

»Du wirst nicht mehr lange Kopfschmerzen haben«, spottete sie. »Bald merkst du gar nichts mehr. Willst du nicht wissen, was du falsch gemacht hast?«

»Oaah, was… ist mir gleich – mein Kopf zerplatzt!«

»Du Narr hast alle Lampen ausgemacht. Durch den Vorhang fiel das Licht aus meinem Arbeitszimmer immer auf die Wand des Mietstalles. Es fiel Perkins auf. Ich ließ das Licht immer brennen, das war vereinbart worden.«

»Pech«, stöhnte Mort Dillon. »Pech für uns – mein Kopf!«

Das ist es gewesen, dachte Dillon, das also. Verdammt, daran habe ich nicht gedacht.

»Fall nicht um, sitz grade, Bandit!«

Die Faust traf seinen Rücken. Er stöhnte, wimmerte und schwankte hin und her, aber nun blieb er sitzen. Das Schwanken würde sie täuschen. Sie hatten auch einen Fehler gemacht und würden ihn zu spät bemerken.

»Weiter!« befahl Liza kalt. »Vorwärts, Burt!«

Acht Minuten noch, dachte Dillon, dann sind wir da, wenn Slade die Wahrheit gesagt hat. In acht Minuten kann soviel passieren – ihr ahnt gar nicht, was alles passieren kann!

*

Dillon blickte auf das Wasser, den etwa zehn Schritt langen und in der Mitte drei Schritt breiten Spalt, in den das Wasser stürzte. Hier fiel der San Luis Creek über Felsen in eine Tiefe, die man nur erahnen konnte. Vor Dillon standen kaum noch Bäume bis zum Ende des Plateaus. Im Hochreiten – sie waren von Osten aus dem Tal hochgekommen, hatte er den Wasserfall auf halber Wandhöhe gesehen. Dort schoß es unter Gedonner über Klippen fünfundzwanzig Schritt tief in ein Becken.

Charly glotzte auf den Spalt und zog den Kopf zwischen die Schultern, sein Gesicht war aschgrau, in den Augen saß die nackte Angst.

»Nun, Mort?«

Die Frau mußte schreien, damit er sie verstand. Sie hielt neben ihm und zeigte auf den Spalt.

»Hier ist es zu Ende, Mort. Ich habe immer darüber nachgedacht, wie ich dich genauso spurlos verschwinden lassen könnte, wie du viele hast verschwinden lassen. Slade, erkläre es dem Narren!«

Burt Slades hageres Gesicht war vollkommen ausdruckslos, als er neben Dillon hielt.

»Dillon, wir wollten ihr nicht glauben, daß jemand kommen und sie aus dem Haus schaffen könnte. Wenn ich plötzlich verschwunden bin, sagte sie, dann wird mich Dillon niemals am Arkansas River entlang fortschaffen – er reitet dort, wo er seine Spuren verwischen kann und von niemand gesehen wird. Der beste Weg für jemand, der keine Spuren hinterlassen will, ist dieser am San Luis Creek entlang. Das Gelände ist schwierig, man kommt nicht schnell voran, aber Spuren sind binnen weniger Stunden tot. Miß Angel wollte, daß wir uns die Bergroute ansahen. Wir kannten euch nicht, Mister, jetzt kennen wir euch. Sie hatte recht, als sie uns nach Stellen suchen ließ, wo wir jemand blitzschnell erwischen konnten.«

»Hör auf, ich will nichts hören!« keuchte Dillon.

»Gleich habt ihr genug für immer«, fuhr ihn Slade an. »Ihr habt genau das getan, was sie uns gesagt hat. Ihr habt Glück gehabt, daß ihr noch lebt. Links vom Poncha Paß ist ein Holzfällercamp. Hätten wir geschossen, wären die Schüsse dort gehört worden. Ich hätte geschossen, aber sie hatte Befehl gegeben, das nicht zu tun. Ihr sollt verschwinden, als hätte es euch nie gegeben.«

»Du widerst mich an!« ächzte Dillon. »Laß mich in Ruhe, Slade. Charly, reiß dich zusammen, jetzt ist es aus mit uns. Die Kerle werden uns in den Spalt werfen.«

»Nein!« schrie Charly und zerrte an seinen Fesseln. »Ich will nicht sterben, ich will da nicht hinein. Liza, Liza, wir sind quitt, schone uns, Liza! Ich will nicht sterben, ich will nicht!«

»Runter mit ihm!« sagte sie eiskalt vom Sattel aus. Sie zog ihr Pferd herum und ritt an den Spalt. Dann nahm sie die schwere Tasche vom Sattel hoch und hielt sie dem brüllenden, um sein Leben flehenden Charly entgegen. »Das wolltet ihr haben – das bekommt ihr! Los, Slade!«

Slade war abgestiegen, Morris hielt jetzt Charlys Gaul und sah zu Perkins. Der packte Charlys linkes Bein, schnitt den Strick, mit dem es an den Bauchgurt gebunden war, los und gab dem nun heulenden Mann einen Stoß, daß er vom Pferd kippte, aber mit dem rechten Stiefel an der anderen Seite am Bauchgurt hängenblieb. Charly trat verzweifelt aus, er brüllte wie ein Stier, so daß das Pferd bocken wollte. Perkins konnte ihn gerade noch die andere Beinfessel zerschneiden.

Dann sprang das Pferd zur Seite. Charly schlug hin, wollte hoch, aber Slade und Morris packten ihn, während Collins neben Morts Pferd, das er am Zaumzeug gepackt hielt, auf den sich verzweifelt mit den Beinen wehrenden Charly Dillon starrte.

In diesen Sekunden achtete niemand auf den gebundenen Mort Dillon. Der Outlaw konnte nicht anreiten, da seine Beine fest an den Sattelgurt gebunden waren. Mit den auf dem Rücken gefesselten Händen war Dillon völlig ungefährlich für sie.

Liza, die kälteste, berechnendste und gnadenloseste Frau, die Dillon jemals gekannt hatte, hob jetzt die Tasche hoch. Sie hatte sich die richtigen Galgenvögel für diese Arbeit ausgesucht, denn keiner zauderte das zu tun, was sie befohlen hatte.

»Charly, sieh her, dafür habt ihr alles riskiert – und dafür stirbst du!« schrie sie ihm zu. »Hier, Charly!«

Charly Dillon war kaum zwei Schritt von dem Spalt entfernt, als Morts Hände jäh in den hinteren Wulst des Sattels fuhren. Die Dillons hatten immer Mexican Stock Sättel geritten, deren geschwungener und hochreichender Rückenwulst gut gepolstert wie eine kleine Rückenlehne wirkte. Dieser Sattel war alt, die Nähte an vielen Stellen nachgenäht worden. So war es allen entgangen, daß auch die hintere Wulstnaht erneuert worden war.

Mort Dillon hatte die Zeit genutzt, den Faden auf gut Handlänge herausgezogen und griff in die nun wie ein Maul aufstehenden Wulstberge hinein. Das Roßhaar hatte er längst beim Hinaufreiten­ herausgeworfen. Jetzt schoß seine Hand nach dem am unteren Leder angenähten Messer. Der blitzschnelle Druck preßte die Schnappklinge nieder, und dann schoß die Klinge auch schon heraus.

Die Klinge ragte jetzt vier Zoll weit aus dem Sattel. Dillon hatte das Messer so angenäht, daß die Klinge senkrecht und die Schneide nach unten stand. Mit einem einzigen Schnitt zerfraß die rasiermesserscharfe Schneide den Strick von Dillons Handfessel. Und dann zuckte Dillons Rechte noch einmal in den Sattelwulst hinein.

Als sie wieder zum Vorschein kam, lag der Revolver in ihr.

»Charly!«

Der scharfe, peitschende Schrei Dillons ließ Collins erschrocken herumfahren. Collins, der bis jetzt vier Männer im Auftrag anderer getötet hatte, sah noch, daß Charly Dillon bei dem Schrei seines Bruders die Beine einstemmte und sich mit fürchterlicher Kraft zurückwarf. Der Mann winselte nicht mehr um sein Leben. Slade und Perkins hatten schon geglaubt, daß seine Kräfte erlahmt waren.

Jim Collins aber hatte den Kopf nun ganz herum – und er blickte mitten in den Achtunddreißiger in Dillons ausgestreckter Hand. Der Revolver war ihm so nahe, daß er ihn beinahe berührte. Dann kam das Brüllen mit dem Feuerstrahl und tötete Collins im Bruchteil einer Sekunde.

Mort Dillons Revolver zuckte sofort herum. Blitzschnell schlug Dillon auf Morris an. Der Mann hielt Charlys Pferd, riß im Brüllen des ersten Schusses den Kopf herum und bekam die Kugel mitten in die Brust. Als er seine Hände um das Zaumzeug des Pferdes krampfte und einen gellenden Schrei ausstieß, ging der Gaul mit ihm durch. Das Pferd raste los, Morris wurde ein Stück mitgeschleift, bis das Pferd über die Kante des Steilhanges preschte. Hier erst ließ Harry Morris los. Er kollerte den Hang hinunter, während das Pferd an ihm vorbeiraste und verschwand.

Hart neben dem Spalt ließ Burt Slade Charly Dillons Arm los. Der ehemalige Kopfgeldjäger wirbelte auf der Stelle herum, riß seinen Colt heraus und schlug auf Mort Dillon an. Ehe er feuern konnte, drückte Mort ab. Er schoß so schnell, daß Perkins, der sich duckte und zur Waffe griff, nur eine Reihe von Feuerstrahlen durch die letzte Viertelstunde der Nacht zucken sah. Es kam Perkins vor, als säße ein rasender Teufel auf dem Pferd. Dann hörte Perkins den schrillen Aufschrei Slades.

Die Kugel Dillons hatte Slade in die linke Brust getroffen. Der Aufprall des Geschosses riß Slade herum, und in derselben Sekunde schoß er. Während Slades Beine nachgaben und der ehemalige Kopfgeldjäger auf die Seite stürzte, feuerte er noch einmal.

Sein Schuß hatte eine Wirkung, die Perkins, den letzten Mann, der noch stand, entsetzt zur Seite blicken ließ. Slades letzte Kugel fuhr der Stute, in deren Sattel Liza Palucco saß, von unten her in den Leib. Das Tier bäumte sich mit einem durch Mark und Bein gehenden Gewieher auf, stieg kerzengerade und sprang danach blindlings vorwärts.

Als sich die Stute aufbäumte, kippte Liza Palucco hintenüber. Zwar konnte sie sich noch mit der Linken an den Zügeln halten, doch dann kam der Sprung des Pferdes. Der grausige Schrei der Frau endete erst, als die Stute am Rand der Spalte zusam­menbrach und dann über die Kante geriet.

Vor Liza Palucco gähnte der dunk­le Spalt. Sie flog kopfüber aus dem Sattel in ihn hinein. Mit ihr verschwand die schwere Tasche und all das Geld. Danach kippte die Stute ab, doch davon sah Lester Perkins nichts mehr. In panischer Angst vor dem aus dem Sattel feuernden Teufel Dillon drückte Perkins ab. Er feuerte zu überhastet, hatte zu tief gehalten und traf Dillons Pferd in den Hals. Das Tier warf den Kopf hoch, stieg, drehte sich mit einem röchelnden Schnauben und ließ Dillon aus der Schuß­richtung kommen.

Der am Boden liegende Charly Dillon sah Perkins zur Seite springen. Der Mann hatte keinen Blick für Charly, er konnte Mort nur treffen, wenn er nach rechts stürmte.

Als der Mann an ihm vorbeispringen wollte, stieß Charly ihm beide Stiefel in die Hüfte. Perkins drückte ungewollt ab, dann flog er auch schon nach links, sah aber noch, daß Morts Gaul zusammenbrach. Plötzlich erkannte Perkins im Hinschlagen, wie gefährlich nahe er der Kante gekommen war. Der Stiefeltritt Charlys hatte ihn bis auf einen halben Schritt an die Kante geschleudert, wo er der Länge nach hinschlug.

Brüllend vor Angst und Wut rollte sich Perkins herum. Er war sicher, daß Mort Dillon von seinem gestürzten Pferd begraben worden war. Dort rührte sich nichts mehr, aber vor Perkins lag Charly Dillon und beobachtete entsetzt, wie Perkins wieder auf die Beine kam.

»Du verfluchter Hundesohn!« gurgelte Perkins in wilder Wut. »Wolltest du mich in den Spalt feuern, wolltest du mich hineinstoßen?«

Seine Hand mit dem Colt senkte sich. Als er vor zwei Sekunden ungewollt geschossen hatte, war die Kugel nur wenige Zoll neben Charlys Hüfte gegen den Fels geschlagen. Charly Dillon starrte jetzt in Perkins Revolver.

»Nicht, Perkins, nicht – tue es nicht, ich…«

Im gleichen Augenblick krachte der Schuß. Charly Dillon hatte vor Furcht die Augen geschlossen gehabt. Das Krachen lähmte ihn, und nun wartete er auf den Schmerz, den die Kugel bringen mußte, doch nichts geschah.

»Charly, – Charly!«

Morts Stimme ließ ihn die Lider aufreißen. Verstört blickte Charly Dillon auf die Stelle, wo Perkins gestanden hatte, aber Perkins war verschwunden.

»Charly, steh auf – steh auf!«

Langsam nahm Charly den Kopf herum. Plötzlich hörte er die anderen Geräusche seiner Umgebung. Er hatte das Rauschen des Wasserfalles wäh­rend der Schießerei nicht mehr vernommen, er hatte auch nicht auf die Pferde geachtet. Jetzt hörte er das Rauschen und Donnern, dünn und verklingendes Gewieher und Hufgetrappel, und als er sich herumwälzte, sah er Mort bis an die Schenkel unter dem Pferd liegen. Von den anderen Pferden aber fehlte jede Spur.

»Komm her, komm her!« schrie Mort gellend. »Schnell, Charly, die Pferde sind davongerast!«

Keine zwanzig Sekunden später kauerte Charly Dillon neben Morts Pferd. Er rutschte an den Sattel des auf der Seite liegenden Pferdes heran, konnte sich die Handfessein am Schnappmesser zerschneiden und kam ächzend hoch.

»Mein Bein!« stöhnte Mort. »Charly, mein linkes Bein ist zerquetscht, fürchte ich. Das Geld ist da unten, die Pferde sind weggerast, die finden wir bei dem zerklüfteten Gelände niemals wieder. Die Hölle, Slade, der Narr, er hat uns um das Geld gebracht. Mein Bein, Junge, schnell, sieh zu, daß du etwas findest, um den Gaul anzuheben. Such einen Ast, such irgend etwas, womit du den Sattel anheben kannst. Das Messer – in der Satteltasche muß die Schere sein. Schneide das Messer los, Junge, du wirst es brauchen, wenn du einen Ast kappen mußt. Da wiehert doch ein Gaul irgendwo unten? Mach schnell, Bruder, ich halte die Schmerzen in meinem Bein nicht lange aus.«

Es dauerte nicht lange, dann hatte Charly einen Ast gefunden. Er konnte ihn unter den Sattel zwängen und etwas andrücken, so daß Mort, nachdem er den Sattelgurt zerschnitten hatte, ächzend und stöhnend unter dem Gaul hervorkriechen konnte. Jetzt erst zerschnitt Charly die Beinfessel.

»Das Bein ist hin!« stöhnte Mort verzweifelt. »Hilf mir hoch, ich muß sehen, ob ich stehen kann, aber ich fürchte, ich schaffe es nicht.«

Dann schaffte er es doch – er ­schien sich das Bein zwar gequetscht, jedoch nicht gebrochen zu haben. Er konnte sogar humpelnd gehen.

Sein erster Weg führte ihn an den Spalt. Er warf einen Stein in die Tiefe, hörte keinen Aufschlag wegen des fürchterlichen Rauschens und keuchte.

»Nach unten – die Waffen der Halunken mitnehmen. Kein Gewehr, verflucht, kein Gewehr. Los, den Hang hinunter, da wiehert doch ein Gaul.«

Der Tag graute, als sie den Hang abwärtsstiegen und an dem auf dem Rücken liegenden Harry Morris vorbeikamen. Charly nahm dem Mann den Colt ab, durchsuchte seine Taschen und fluchte wild:

»Hat denn keiner mehr als dreißig Dollar? Collins achtundzwanzig, ­Slade sechsundzwanzig und der hier nur achtzehn – das ist zu wenig, viel zu wenig! Morty, Morty, es ist aus mit uns, wir sind erledigt.«

»Hör auf zu jammern!« schrie Mort ihn wild an. »Weiter, weiter, du Affe!«

Mort humpelte mit zusammengebissenen Zähnen vor Charly her. Sie kamen jetzt am großen Wasserfall vorbei, blickten auf den beinahe kreisrunden Bottich von gut zwanzig Schritt Durchmesser und auf die scharfen Klippen, über die das Wasser herabrauschte, aber sie sahen weder ein treibendes Pferd noch etwas von der Tasche oder Liza Palucco. Auch von Perkins war nichts zu sehen.

»Die hängen irgendwo im Spalt fest – tief unten!« ächzte Mort. »Das Geld ist vielleicht nicht verloren. Die Tasche ist schwer, zu schwer. Sie könnte, wenn sie auf eine Klippe oder schroffe Kante gefallen ist, aufgeplatzt sein, aber dann müßten Scheine im Wasser schwimmen. Komm weiter, das Pferd muß da hinten sein!«

Es war schon hell und die Sicht betrug gut dreihundert Schritt, als sie das Pferd erreichten. Es war der Falbe, den Collins geritten hatte, aber der Gaul hatte sich, als die Pferde eng zusammengedrängt den Hang herabgerast waren, den Huf gebrochen. Das Tier stand am Wasser, es hatte instinktiv die Nähe des Wassers gesucht und kühlte sich den Huf. So weit sie auch blicken konnten, nirgendwo trieb Geld auf dem Wasser.

Mort gab noch nicht auf, er wußte zu gut, daß sie ohne Pferde verloren waren. Zwar hatten sie jetzt Collins Gewehr, aber ein Pferd war lebenswichtig. Mort suchte und fand die Spur der davongelaufenen Pferde, sie hasteten ihr nach, bis Mort keuchend stehenblieb.

»Halt an!« sagte er düster. »Hat keinen Sinn, Charly, sie sind in Richtung Stadt gerannt – und dort werden sie in ein paar Stunden sein. Ein erfahrener Mann sieht, wohin wir gegangen sind. Wir müssen eine Spur in Richtung dieses Holzfällercamps legen – und sie muß so deutlich sein, daß sich jeder sagt, daß wir dorthin marschiert sind, um Hilfe zu suchen. Wir haben nur eine Chance, Bruder, wir müssen nach Osten. Dort hinten in den Sange de Cristo Bergen liegt eine Rinderranch, sie gehört dem alten William Sherman – einer seiner drei Söhne züchtet Pferde. Erinnerst du dich an Rich Tooney?«

»Du meinst, das ist die Ranch, von der Tooney mal Pferde gestohlen hat?«

»Ja, das ist sie – und wir können kaum mehr als vier Stunden Fußmarsch entfernt sein.«

»Laß uns zu diesem Camp gehen, stehlen wir dort zwei Pferde!« keuchte Charly. »Das ist näher, viel näher!«

»Ehe wir da sind, ist dort alles auf den Beinen. Gute Pferde finden wir da nicht. Zudem holt man uns nicht ein, wenn wir auch nur etwas Glück haben. Wir legen eine falsche Spur, Charly, dann ab nach Osten. Mit gu­ten Pferden können wir jeden Verfolger an der Nase herumführen. Die Rancher haben jetzt alle Hände voll zu tun, ihre Mavericks zu brennen, die Weidenauftriebe zu machen und Zäune zu flicken. Ich wette, von Shermans Söhnen ist keiner auf der Ranch. Vielleicht finden wir nur seine Frau, dann haben wir jede Chance, ungesehen davonzukommen.«

»Du hast recht – gehen wir«, nickte Charly. »Vier Stunden – bist du sicher?«

»Ja, Tooney hat mir die Ranch damals genau beschrieben. Er wollte doch, daß wir mit ihm noch einmal hinritten. Da sollen prächtige Pferde sein!«

Mort Dillon ging in Richtung Bach zurück. Er war sicher, daß sie zur Sherman Ranch kommen würden. Und wenn sein Bein noch so schmerzte, sie hatten es zu schaffen.

*

Das Bein war jetzt so angeschwollen, daß auch das Wasser nicht mehr half, obgleich Mort immer wieder sein linkes Hosenbein netzte.

»Warte!« zischte er. »Charly, warte! Ich gehe voraus!«

Es war so still hier, daß die Dillons das leise Blubbern des Waschkessels im Waschhaus der Sherman Ranch hören konnten. Die Ranchgebäude lagen in der sengenden Sonne wie tot vor ihnen. Ein Blick in den Corral hatte den Dillons gereicht. Dort gab es genug gute Pferde. Außerdem waren Spuren am Weg, der neben dem Bach herführte. Vier Reiter hatten die Ranch also am frühen Morgen verlassen. Weit hinten im Norden stieg eine kleine Rauchfahne zum Himmel. Dort mußte die Weide sein. In der Weidehütte bereitete einer der Shermans sicher das Essen vor – oder es war ein Brandzeichenfeuer.

Mort biß die Zähne zusammen, als er geduckt an Charly vorbeiging. Sie hatten die alte Frau, sie mochte etwa sechzig Jahre alt sein, vom Bach aus gesehen. Dort flatterte Wäsche im Wind. Der Waschdunst schlug aus der Tür des Waschhauses. Das Waschhaus war nur ein Anbau des Hauses, dessen Vorderfront nach Süden lag. Im Osten schloß sich nach einer Durchfahrt der Stall an. Scheune und Schuppen lagen nach Westen hin – alle Gebäude bildeten ein offenes Rechteck.

Es war das typische Adobeziegelhaus eines sehr früh in dieses Land gekommenen Mannes. Es hatte kleine Fenster und ein Flachdach, auf dem eine Dachzisterne das Wasser speicherte.

»Los!« zischte Mort. Er schob sich an der Mauer entlang zur Ecke. Hinter ihr, kaum einen Schritt entfernt, war die Tür des Waschhauses. Die Frau war vor ein paar Minuten mit einem Holzkübel herausgekommen und hatte das Schmutzwasser in eine Rinne rechts neben der Tür gekippt.

Sie ist ziemlich groß und knochig – und sicher hat sie noch Indianer erlebt und wird sich nicht so leicht erschrecken, dachte Mort, aber das soll mich den Teufel kümmern. Sie wird ohnehin nicht viel sagen. Sobald ich weiß, wann ihre Männer zurückkommen, bringe ich sie um.

Der Boden war wellig, er war in eine Bodendelle getreten, und der Schmerz schoß, als der Fuß umknickte, bis in seine Hüfte hoch. Mort biß sich auf die Unterlippe. Er war nur noch einen Schritt von der Ecke entfernt, hörte jetzt ein Platschen und dann ein seltsam dumpfes Geräusch hinter sich. Es klang, als wäre Charly durch dasselbe Bodenloch gestolpert und gegen die Wand gefallen.

Der verfluchte Narr, er hat wieder mal keine Augen, was?

Mort sah sich um und im gleichen Moment den Mann hinter Charly.

»Das Gewehr weg!«

Es war Mort, als fiele ihm irgend etwas auf den Kopf. Der Mann hatte den Colt in der Faust und war sicher ein Geist, denn Mort hatte ihn eigenhändig begraben.

Dort stand Bill Logan, der Marshal.

»Nicht Sherman, nicht…«

Hinter Dillon, der entsetzt herumgewirbelt war, keuchte jemand. Etwas knirschte auf dem Sand, ein Schatten fiel um die Ecke, und als sich Dillon instinktiv duckte, traf ihn auch schon ein fürchterlicher Hieb über die rechte Schulter. Der Schmerz war so gewaltig, daß Dillon im Hinstürzen die Hand schloß. Sein Zeigefinger hatte am Abzug gelegen, der Schuß brüllte durch den wilden Schrei eines Mannes in Dillons Rücken.

Was dann geschah, sah Mort Dillon nur noch verschwommen. Sein Gewehr hatte die Kugel gegen die Wand und hoch über den am Boden liegenden Charly hinweggejagt. Plötzlich taumelte Logan zurück, das grelle Heulen des von der Waschhauswand abgeirrten Querschlägers endete.

Der lebt, dachte Dillon noch verstört, der lebt? Der ist tot, er kann gar nicht mehr am Leben sein, der ist…

In diesem Moment traf ihn der zweite verheerende Hieb und ließ seinen Kopf explodieren. Aus der Seitentür des Schuppens, hinter der Bill Logan gestanden und auf die Dillons gewartet hatte, stürzte Matt Sherman, der älteste Sohn des Ranchers. Sein jüngerer Bruder Tabe erschien jetzt in der Stauluke der Scheune.

»Um Gottes willen, Mann, was ist passiert?« fragte Mrs. Sherman verstört. Sie blieb genauso entsetzt wie ihr Mann und ihre Söhne stehen, denn der Marshal lag mit blutendem Kopf mitten in der Durchfahrt. »Mann, du solltest ihn doch an der Ecke abfangen, warum bist du…«

»Hol mich der Teufel, wenn ich warte, bis so ein Mörder von einem Marshal erwischt wird!« grollte der Alte. Er war über sechs Fuß groß, ein bärtiger Riese mit wildem eisgrauem Bart und langem Haar, das er sich nur alle acht Wochen einmal beschneiden ließ. »Hier bestimme ich – hier tue ich, was ich will!«

Er war immer so gewesen, eisenhart, grimmig entschlossen seinen Besitz zu verteidigen und sich sein Recht selbst zu nehmen. Als der Marshal vor kaum einer Stunde im vollen Galopp auf der Weide erschienen war, hatte ihn der Alte wie einen Irren angesehen.

»Lebend haben – lebend haben!« knurrte der Oldtimer ergrimmt. »Wir hätten sie vor der Ranch am Bach stellen und abknallen sollen. Die schlimmsten Mörder lebend fangen – sie hängen sie ja doch. Immer an den Ast mit dem Gesindel!«

William Sherman hastete zum Marshal, hob ihn an und sagte schroff:

»Muß der Narr seinen Kopf ausgerechnet einem Querschläger in den Weg halten? Frau sieh mich nicht so entsetzt an, der hat nur einen Kratzer, davon stirbt der noch lange nicht. Matt, Tabe, bindet die Kerle so fest, daß sie nicht mehr loskönnen.«

Er warf sich Logan über den Rücken und trug ihn ins Haus.

»Jetzt ist er wütend – er wird nie zugeben, daß er einen Fehler gemacht hat«, sagte Tabe leise zu seinem Bruder Matt. »Wenn ihn jetzt noch etwas ärgert, erleben wir etwas!«

Sie sahen ihre Mutter ins Haus gehen und blickten auf die besinnungslosen Banditen und Mörder hinab.

»Du kannst sagen was du willst«, knurrte Matt finster. »Vater hat recht. Mörder und Pferdediebe hängt man auf und steckt sie nicht ins Jail, um sie dann nach zweieinhalb Jahren freizulassen. Wenn die Halunken geahnt hätten, daß dieser Morris noch lebte, hätten sie ihn auch noch umgebracht. Eine Frau und drei Männer. Na gut, die Burschen haben auch nichts getaugt, sagt der Marshal, aber jetzt sind sie tot – und das hier sind ihre Mörder. Wenn der Marshal nicht wäre, holte ich jetzt einen Strick für sie.«

Sie schleppten die beiden Dillons in den Schuppen, banden sie so, daß die Stricke ihnen die Arme auf den Rücken drückten und waren gerade fertig, als ihr Vater hereinkam. Der Alte brachte einen Wassereimer, blieb vor Mort Dillon stehen und sagte bissig: »Mutter verbindet Logan, Matt. Du kannst nachher zur Stadt reiten und den Doc holen, wenn er bis dahin nicht aufwacht. Die Kugel hat ihm kaum die Kopfhaut aufgerissen, aber ihr Anprall hat genügt. So gesund war er noch nicht.«

Er goß den Eimer langsam über Dillons Kopf, blieb breitbeinig vor ihm stehen und sah zu, wie sich Dillon stöhnend regte.

»Wach auf, Mörder!« knurrte er, als Mort Dillon plötzlich zuckte und dann still war. »Mach die Augen auf, du Strolch – bei mir verstellst du dich nicht, oder ich schlage dir solange etwas mit der Bullpeitsche über das Fell, bis du jubelst.«

Mort Dillon öffnete blinzelnd die Lider, er hatte die festen Stricke gespürt, erinnerte sich an alles, was passiert war und wußte, daß es vorbei war. Sein stechender Blick wanderte langsam an dem baumlangen Oldtimer hoch. Dann sah er sich suchend um.

»Der Marshal ist im Haus«, grollte Sherman. »Deine Kugel hat ihn angekratzt.«

»Ah!« stieß Dillon durch die Zähne. Sein Kopf schmerzte, aber er überwand den Schmerz. »Habe ich ihn doch noch getroffen? Weshalb ist der Hund noch am Leben?«

»Er hatte Glück, zwei Bäume fielen über ihn, eine Baumkrone und etliche Büsche schützten ihn vor dem Geröll. Du gibst also zu, daß ihr die Steinlawine ausgelöst habt?«

»Ich weiß von keiner Steinlawine«, antwortet Dillon zynisch. »Ich rede von der Kugel. Die hätte ich nie abgefeuert, wenn du mich nicht von hinten niedergeschlagen hättest, du alter Narr!«

Der Alte zuckte einmal mit den Lidern. Dann bückte er sich langsam, hob mit seinen Bärenkräften Dillon an und warf ihn dann über die Wagendeichsel seines schweren Transportwagens.

»Niemand nennt mich einen Narren, erst recht kein Mörder!« knurrte er. »Zu meiner Zeit machten wir es anders – so!«

Er hatte Dillon mit der Linken gehalten, mit der Rechten die Peitsche vom Bock genommen und holte aus. Die Hiebe hagelten dicht bei dicht auf Mort Dillons über die Deichsel gewölbtes Gesäß herab. Zuerst schwieg Dillon, aber dann begann er zu heulen wie ein Hund.

»Was habt ihr hier gewollt?« fragte der Alte finster. »Ihr habt uns Pferde stehlen wollen, was? Antworte, du Strolch!«

»Du verfluchter…«

Er schrie wieder und hatte plötzlich das Gefühl, das er vor vielen Jahren gehabt hatte, wenn er seinen Vater angelogen und der ihn im Stall über den Sägebock geworfen hatte, um die Wahrheit aus ihm herauszuprügeln.

»Ja, ja, wir wollten Pferde stehlen!«

»Siehst du, Matt, mein Sohn«, knirschte der alte Sherman. »Dies ist meine Medizin, so erfährt man alles. Dillon, du Mörder, was hättest du mit meiner Frau gemacht? Du hast doch geglaubt, daß sie allein auf der Ranch war, oder? Antworte schnell!«

»Nichts – nichts, wir hätten sie gebunden und…«

»Gebunden?« fragte der Alte leise. Er sprach jetzt ganz ruhig, denn ihm war etwas klar geworden. »So – gebunden? Das hättet ihr gemacht – sonst nichts? Ihr hättet nicht das Haus durchwühlt, um Geld zu finden? Was dort auf der Kiste liegt, das ist ziemlich wenig. Angeblich soll Liza Palucco immer mehr als fünftausend Dollar im Saloon gehabt haben, aber ich sehe das Geld nirgends.«

Der Alte hatte plötzlich das Würgen im Hals, er konnte einen Moment nicht mehr sprechen. Marshal Logan hatte berichtet, daß er nur dreieinhalb Stunden nach dem Verschwinden Liza Paluccos in den Saloon gekommen war. Die Dillons hätten die Frau nie mitgenommen, wenn sie nicht die Absicht gehabt hätten, sie genauso spurlos verschwinden zu lassen wie ihre anderen Opfer.

»Nur gebunden, ja«, sagte der Alte langsam und schwer. »Dillon, ihr habt diesen Morris für tot gehalten, aber der Mann lebt – er hat dem Marshal erzählt, was ihr mit Liza Palucco tun wolltet, die jetzt wahrscheinlich in dem Spalt am Wasserfall liegt. Dillon, wer euch sieht und gegen euch zeugen könnte, der stirbt. Was hättet ihr mit meiner Frau gemacht?«

»Ich sage doch, gebunden, sonst nichts. Ich schwöre…«

Matt und Tabe Sherman wurden bleich. Jetzt begriffen sie, was ihrer Mutter geschehen wäre. Der Alte schwang die Peitsche, bis Mort heulend herausbrüllte:

»Ich geb’s zu, ich gebe es zu, wir hätten sie umgebracht, wir hätten sie…«

Charly war bei dem entsetzlichen Geheul erwacht und sah sich aus flackernden Augen um, denn die Frau stand leichenblaß in der Tür.

»Ja«, sagte Sherman mit furchtbarer Ruhe. »Ja, Mörder, das hättet ihr getan, ich wußte es, aber du solltest gestehen. Matt, Tabe, bringt sie unter den Hofbalken und holt dann zwei Pferde und zwei Stricke!«

»William, um Gottes willen, das darfst du nicht tun!« stöhnte die alte Frau und hielt sich zitternd am Tor fest. »Mann, ich bitte dich – das ist gegen das Gesetz, sie werden dich einsperren, Mann, sie werden…«

»Geh da fort, Frau!« sagte der Alte ganz leise. »Geh zur Seite! Sie sollen mich einsperren, aber in der Jury werden Männer wie ich sitzen, Rancher, Bürger – ich fürchte mich nicht vor der Jury und ihrem Spruch, denn jeder Mann, der in dieser Jury sitzt, würde genau dasselbe getan haben. Matt, Tabe, ich werde die Verantwortung übernehmen. Schafft dieses mörderische Gesindel hinaus!«

*

Der blufft nicht, dachte Charly, der macht es wahr. Ich will nicht, ich will nicht in die Schlinge, ich will nicht…

Er schrie, sah den Rundbalken über sich, das Seil, die Schlinge kommen und brüllte verzweifelt.

»Mort, Mort, hilf mir, hilf mir doch!«

Charly sah das Gesicht ganz verschwommen, erkannte es nicht, weil er heulte und der Strick nun unter seinem Kinn scheuerte. Welcher Sherman hatte ihm die Schlinge um den Hals gelegt – welcher?

»Ich will nicht – ich will nicht…«

»Sei ruhig!« hörte er Mort plötzlich sagen und sah die rote Bandana Morts wie Blut leuchten. »Sei still, Bruder, stirb wie ein Mann!«

»Mort – Mort!«

Nein, dachte er, nein, sie bluffen ja doch nur, sie wollen nur, daß ich wie ein Hund heule, aber ich heule nicht, ich lache, ich spucke auf sie, ich spucke!

»Ich tue es!« hörte er einen der Shermans sagen. Es war Matt, der jetzt losging und hinter die Pferde trat. »Wenn sie einen dafür einsperren, dann werde ich es sein, Vater.«

»Du nicht!« grollte der Alte. »Geh zur Seite, Junge!«

»Dad, Mutter braucht dich, ich kann ruhig…«

»Halt… hat…«

Der Alte sah sich jäh um, als der Mann sich ächzend meldete und seine Frau hinter ihm in der Tür erschien. Dort stand der Marshal seltsam schief und mit dem frischen Verband um den Kopf. In der Hand hielt er seinen Revolver, aber die Mündung wackelte – der ganze Mann schwankte.

So, dachte der Alte, hat sie ihn doch munter machen können? Es ist zu weit, Marshal, du kannst nicht treffen. Auf die Entfernung würde nicht mal ein Scharfschütze bei voller Gesundheit eine Kugel ins Ziel bringen.

»Halt, Sherman, sie gehören vor eine Jury, sie gehören…«

»Weg mit dir, Junge!« knirschte der Alte und schleuderte seinen Sohn zur Seite. »Der wird sie nicht ins Jail stecken, damit sie dem Sheriff den Hals durchschneiden und noch mal entwischen, um wieder zu morden.«

Er holte aus, sah sich kurz um und den Marshal an der Tür in die Knie gehen.

Die Pferde wieherten grell, als der Alte ihnen auf die Kruppe schlug. Sie sprangen an, rasten los.

Nein, dachte der Alte, nicht noch eine Chance für diese Mörder, sie hatten schon zu viele. Sie hätten Mary umgebracht, sie hätten unsere gute Mutter kaltblütig ermordet. Ich habe immer zu dem gestanden, was ich getan habe, ich werde es auch diesmal tun. Irgendwann wird dieser Marshal auf einigen Friedhöfen Gräber öffnen lassen und Tote finden, und es wird vor dem Tag sein, an dem ich vor die Jury treten muß. Irgendwann werden sie in den Spalt an Seilen hinabsteigen und die Frau herausholen, vielleicht auch die Tasche. Ja, es wird einige geben, die sagen werden, daß ich es nicht tun durfte, aber es werden andere da sein – die meisten. Und sie werden sagen:

»William, du hast nur das getan, was wir auch getan hätten. Wir sind das Gesetz, William Sherman, wir, das Volk – und wir sagen dir, du hast es in unserem Namen getan.«

Der Alte hob den Kopf und sah zu den auspendelnden Stricken. Sein Gesicht war starr und wie aus Stein gehauen, als er sich umdrehte und zu seinem Haus ging, wo der Marshal am Boden saß und ihn wie ein Mann, der gleich umfallen würde, ansah.

»Du kannst mich mitnehmen, wenn du wieder reiten kannst«, sagte er langsam und schwer. »Du kannst mich auch auf meiner Ranch lassen, denn ich werde nicht davonlaufen, Marshal. Ich weiß genau, was du jetzt denkst, Logan, aber ich denke auch – an ein paar Leute, an die Frau und die Kinder von James Flemming, an einen alten Prospektor, der einmal am Ende seines Lebens Glück hatte und den Halunken begegnete. Sicher, ich bin kein Richter, ich bin schuldig, aber ich würde es noch einmal tun. Und dabei bleibe ich!«

»Früher, Sherman, früher gab es hier kein Gesetz, aber heute…«

»Wo war das Gesetz, als Flemming starb, Mann? Hat es ihm geholfen, hat es verhindert, daß er sterben mußte? Und die anderen, hat sie das Gesetz schützen können? Marshal, all das werde ich den Richter fragen, wir wollen uns nicht streiten, du bist ein kranker Mann!«

»Laß sie abnehmen, Mann!«

»Ja, aber noch nicht, Marshal. Du gehörst ins Bett, Mister. Dann werde ich mich um das Gesindel kümmern!«

Sie werden ihn nicht verurteilen, dachte Bill Logan, ich kenne dieses Land und seine Menschen. Wenn ich mir vorstelle, jemand wie diese Halunken hätte mir Scarlett umbringen wollen? Ich weiß nicht, was ich getan hätte. Mein Gott, Scarlett, sie reißt mir den Kopf ab. Ich wette, sie ist mir mit Pacco nachgeritten und taucht hier bald auf. Sie reißt mir glatt den Kopf ab.

Bill wollte aufstehen, aber da begann sich der Vorbau zu drehen. Die Sonne ging unter, der Himmel wurde schwarz…

*

Draußen redeten zwanzig Leute durcheinander, aber Logan hörte nicht hin. Er sah mit hämmerndem Puls zur Tür, wo das Halbblut mit verschränkten Armen lehnte und ihn aus seinen schrägstehenden Augen anfunkelte.

»Tut Pacco mächtig viel leid«, sagte das Halbblut kehlig. »Sie sagen, Pacco finden Marshal, verlieren nicht Spur, sonst sie schießen Pacco auf Mond. Tut mir leid, Patron!«

»Verschwinde, Pacco! Du bist absichtlich so langsam geritten, daß wir diesen Kerl nicht einholen konnten. Hau ab!«

»Si, Señorita!«

Sie kam herein, das blonde Haar zerzaust, den Hut im Nacken und das Gesicht wie die Sachen voll Staub. Pacco schloß die Tür von draußen und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen sie. Er hätte niemanden hinein gelassen!

»Du!« fauchte sie los. »Du, dich sollte man! Soll liegen, darf nicht aufstehen, liegt fünf Tage, steigt heimlich aus dem Fenster, verschwindet – aaah!«

»Ich wollte dir nur beweisen, daß sich der Doc irrte«, sagte er ganz ruhig. »Sie hätten die Stute nicht behalten dürfen, ich ahnte, daß sie die Stute hatten. Arrow wittert einmal eine Stute, dann folgt er ihr bis ans Ende der Welt, wenn er darf – auch noch nach acht Tagen. Sollte ich achteinhalb Tage liegenbleiben, bis die Witterung auch nicht mehr von Arrow genommen werden konnte? Was hättest du gemacht, wenn ich mit dir darüber gesprochen hätte.«

»Bill Logan, wenn du jemals wieder heimlich aus unserem Haus kletterst, um davonzureiten…«

»Mach so weiter, mach nur so weiter, Scarlett Parkinson. Hier liegt ein todkranker Mann, den du leicht beschimpfen kannst. Immer mach nur so weiter!«

»Bill, ich bin beinahe verrückt geworden. Ich bin…«

»Ich bin todkrank, ich sterbe…«

»Ach, du – du wirst dich nie ändern, das schaffe ich nicht, wie?«

»Nur schwer, Scarlett.«

Sie hockte schon auf der Bettkante und strich über seinen Verband.

»Schon besser, Scarlett. Du bist noch viel zu weit entfernt, Miß.«

»Ja?« flüsterte sie und beugte sich tiefer über ihn. »Nahe genug?«

»Noch zu weit!«

»Ach, Bill, du bist schrecklich, aber ich – ich liebe dich!«

Bill Logan grinste, bis sie seinen Mund mit den Lippen berührte und seufzte:

»Du bringst mich noch um.«

Danach gab es nichts mehr zu reden. Bis auf das Seufzen und Knarren des Bettes war alles ruhig.

Draußen lehnte einer an der Tür und ließ niemand vorbei. Sein Boß hatte jetzt keine Zeit für anderen Besuch, höchstens für sein Pferd, für das würde er immer Zeit haben.

Pferd und Frau, dachte Pacco Segali, richtiger Mann nur zwei Dinge brauchen – Pferd und Frau.

Nicht Frau und Pferd?

Nicht bei Pacco, dem Halbblut. Er wäre nie auf die Idee gekommen, daß es umgekehrt auch gegangen wäre. Ein Pferd und eine Frau – mehr braucht kein Mann!

– E N D E –

G.F. Barner 1 – Western

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