Читать книгу G.F. Barner 1 – Western - G.F. Barner - Страница 12
ОглавлениеIn das Muhen der vier Rinder Jake Margleys kam der peitschende Knall und riss Margleys Kopf herum. Erst in diesem Augenblick hörte Margley das grelle Singen der Kugel. Sie fauchte nur zwei Zoll an seinem Hut vorbei.
Den Bruchteil einer Sekunde später warf sich Jake Margley, der jüngste Mann der Margley-Sippe, blitzschnell nach vorn. Der zweite Schuss kam binnen eines Atemzuges, und die Kugel ging rechts vor Margleys Pferd und seitlich der vier Rinder in den Boden des Weges nach Three Rivers.
Was dann passierte, geschah so schnell, dass Margley nicht mehr viel tun konnte. Das Muhen seiner Rinder steigerte sich zu jenem hysterischen Brüllen und Trompeten, das Jake nur zu gut kannte. Der schlanke, große und zähe Jake sah seine Rinder wie vom Teufel gejagt zwischen die Büsche links des Weges rasen. Ehe er sein Pferd antreiben konnte, verschwanden die Schlachtrinder im Gewirr der Zweige. Eine Staubwolke wirbelte hoch. Sie legte sich über die Büsche, und Margley sah keinen Rinderschwanz mehr. Dafür fauchte die dritte Kugel vom Hang herab. Sie strich heulend gegen einen Busch und prallte als Querschläger ab.
»Verflucht noch mal, welcher Idiot hat …«
Zu mehr reichte es nicht. Dicht neben Margley tauchte ein Pferd auf. Der Gaul trug einen Sattel, auf dem jedoch kein Reiter hockte. Das Pferd ging durch, das war alles, was Jake begriff. Es gelang ihm noch, sein Pferd etwas zu drehen. Dann stürmte der andere Gaul schrill wiehernd an ihm vorbei. Er streifte Margleys Pferd am Hals. Das Tier stieg, und Jake Margley verlor den Halt.
Er prallte auf den Weg, rollte sich und riss die Arme vor den Kopf. Sein Pferd hieb die Hinterhacken weg. Sie strichen knapp über Margley hinweg, er spürte den Luftzug, und dann erst hörte Margley den Mann schreien. Die wilden, heiseren Schreie gingen jedoch im Trommeln der Hufe von Jake Margleys Pferd fast unter.
Margleys Wallach jagte den Weg hoch in Richtung Three Rivers. Und wieder war es Staub, hinter dem der davonrasende Gaul verschwand.
Irgendwo rechts unter dem ansteigenden Hang, von dem aus die Schüsse gefallen waren, knackten Zweige und trockene Äste unter Tritten. Jemand rannte schreiend und fluchend zum Weg.
»Der verdammte Narr!«, stieß Margley durch die Zähne. »Meine Rinder sind weg und mein Gaul auch. Die Pest, welcher schießwütige Affe knallt hier herum und sieht nicht nach, was sich auf dem Weg abspielt?«
Jake stemmte sich auf. Der heranrennende Mann konnte keine fünfzehn Schritte mehr von ihm entfernt sein. Er kam schnell näher, tauchte zwischen den Büschen auf und blieb ruckhaft stehen.
Es war Cole Harris, einer der rauen Burschen der Seward-Ranch, und wenn Jake beim Anblick eines Mannes die Galle ins Blut schießen fühlte, dann beim Auftauchen dieses Kerls. Harris war ein Mann, der sich jeden Monat eine Prügelei leistete. Jetzt starrte Harris Jacke verstört an.
»Die Pest, wer ist das denn?«, brüllte er dann zornig. »Jake Margley, du verdammter Sohn eines Jailinsassen, was machst du hier?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen, du lausiger Affe«, knirschte Jake genauso rau. »Hast du mich nicht gesehen, Mensch? Um ein Haar hättest du mir eine Kugel ins Fell geblasen. Harris, du musst mich doch gehört haben?«
»Was sagst du, wie nennst du mich?«, knurrte Harris. Er schwenkte seinen Revolver, zielte auf Jakes Bauch und zog den Hammer zurück. »Hast du lausiger Affe gesagt, du Hundesohn?«
Jake starrte in die Mündung des Revolvers und auf die Trommel. Was er sah, ließ ihn kurz grinsen. Harris hielt einen leergefeuerten Colt in der Hand.
»Hundesohn bist du selbst«, antwortete er darum spöttisch. »Freundchen, wenn du das nächste Mal schießt, dann sieh vorher nach, ob unter dir nicht jemand reitet, sonst erlebst du einige Dinge, die dir nicht schmecken werden. Du musst mich gehört haben.«
»Hol dich der Satan«, schrie Harris bissig. »Ich drücke ab, Margley, wenn du dich nicht auf der Stelle entschuldigst.«
»Kannst du lange warten«, gab Jake kalt zurück. »Pass mal auf, wer hier abdrückt. Na, los, tue es und …«
Im selben Moment schnappte er nach seinem Colt. Und dann passierte das, was er erwartet hatte. Harris drückte ab. Es klickte nur einmal.
Der runde Kopf von Harris schien jetzt zwischen die Schultern versinken zu wollen. Cole Harris blickte auf seine Hand und den Colt hinab, dann drückte er noch einmal ab, aber der Hammer fiel auf die nächste leere Hülse. Dafür hatte Jake seinen Revolver in der Faust.
»Prächtiges Spiel, Harris, oder?«, erkundigte sich Jake spöttisch. »Du kannst noch dreimal abdrücken, aber es wird nichts passieren. Und jetzt – Maul auf und vernünftig reden, Mister. Was hast du hier herumzuschießen?«
Harris stierte immer noch auf seinen Colt. Dann hob er langsam den Blick.
»Hundesohn!«, zischte er wütend. »Du bildest dir doch nicht ein, dass du mich hast, was? Steck das Ding ein, dann haue ich dir die Rippen krumm. Geht dich ’nen Dreck an, was ich zu schießen hatte. He, Mensch, mach keinen Blödsinn, du zielst ja – Teufel – auf meinen Kopf.«
»Auf dein großes Maul, du Totschläger«, fuhr ihn Jake scharf an. »Fehlt dir was? Du wirst blass, Mensch. Soll ich jetzt mal abdrücken? Raus damit, was hattest du zu schießen?«
Harris schluckte, fluchte verbissen und sagte dann mürrisch: »Mein Gaul ging mir durch. War auf der Suche nach verlaufenen Mavericks hinter dem Hang. Sah ein paar Spuren und stieg ab. Plötzlich rasselte was, mein Gaul wieherte und raste weg. Es war eine Klapperschlange, die ihn verrückt machte, Margley. Hölle und Pest, ich wollte den Gaul stoppen.
Ich habe wohl gehört, dass irgendwo Rinder muhten, aber es konnten auch unsere sein. Geh auf den Hang und sieh von oben zum Weg hinunter. Die Büsche verdecken alles, was sich unten bewegt. Ich habe dich nicht gesehen, so wenig wie deine Rinder, Mann.«
»Kann sein, dass du mal nicht lügst«, knurrte Jake. »Well, hätte nicht viel gefehlt, dann läge ich jetzt durchlöchert am Boden, Mensch.«
»Wäre auch nicht schade«, höhnte Harris. »He, Mann, das sind doch nicht deine Rinder, die zwischen die Büsche gerannt sind?«
»Sicher sind das unsere Rinder«, entgegnete Jake kühl. »Ich werde sie aus den Büschen treiben.«
Cole Harris schüttelte den Kopf. »Das wirst du nicht«, fauchte er. »Du vergisst was, Mister, das ist unser Land. Alles, was jenseits des Weges liegt, gehört Bill Seward. Hast du vergessen, was Seward jedem Margley versprochen hat, der einen Fuß auf sein Land setzt?«
Jake erstarrte. Jetzt erinnerte er sich daran, dass die Weidegrenze der Sewards am Weg endete. Die vier entlaufenen Rinder befanden sich also auf Sewards Weide. Harris hatte recht.
»Moment, Harris«, stieß Margley hervor. »Ich habe die Rinder nicht in den Buschstreifen gejagt, das warst du mit deiner idiotischen Schießerei. Ich hole unsere Rinder heraus, ob dir das passt oder nicht. Los, Mann, den Revolver wegwerfen, dann den Gurt aufmachen und zu Boden fallen lassen.«
»Das – das wagst du nicht«, keuchte Harris. »Mensch, mich hat noch keiner entwaffnen können. Ich warne dich, treibe es nicht, zu weit, Margley. Keinen Schritt auf unsere Weide.«
»Ah, du verdammtes Großmaul«, knirschte Jake finster. »Jetzt reicht es mir. Wer hat unsere Wasserstelle am Rio Bravo mit einer Fuhre Alkali vergiftet? Und wer unseren Zaun umgerissen? Und wer, zum Teufel, hat uns die Nordweide angesteckt? Ihr Burschen seid im letzten Jahr oft auf unserem Land gewesen. Den Colt weg, sonst schieße ich.«
Im selben Moment duckte er sich und schnellte zur Seite. Er hatte einmal in Three Rivers gesehen, wie Harris eine Flasche aus dem Handgelenk einem Cowpuncher der Camerons an den Kopf geschleudert hatte. Damals hatte Harris seine Hand auch so gesenkt wie jetzt.
Und da wirbelte der Revolver auch schon heran. Gleichzeitig schnellte sich Harris ab. Der bullige Reiter Sewards schoss auf Jake Margley zu.
An Jakes Kopf wirbelte der Revolver vorbei in die Büsche. Noch im Sprung steckte Jake Margley seinen Colt ein. Er wich aus, riss aber gleichzeitig die Linke steil nach oben und sprang dann vorwärts.
»Das hast du dir so gedacht«, knurrte Jake. »Pass auf, Hundesohn!«
*
Harris warf sich herum, doch er strauchelte im zerwühlten Sandboden. Seine nach Jakes Hals zielende Faust zischte eine Handbreit vorbei.
In der nächsten Sekunde fegte Harris Jakes Linke unter die Kinnlade. Der Hieb stoppte Harris, der schwere Mann taumelte zurück, fing sich aber sofort wieder und sprang erneut auf Jake los.
Körperlich war Jake Margley Harris unterlegen, aber er war schneller und zäher. Die Margleys machten jede Rancharbeit allein, und Owen Margley schenkte keinem seiner Söhne etwas. Er hatte sie hart erzogen. Es gab nichts, was er ihnen nicht beigebracht hatte.
Jeder seiner Söhne hatte in der Armee dienen müssen, weil es in dieser Gegend so Sitte war und der Alte behauptete, nur die Armee würde aus jemand einen Mann machen können.
Jake blieb stehen, als erwartete er Harris’ Ansturm. Doch als Harris anderthalb Schritt vor ihm war, schnellte Jake vorwärts. Seine Fäuste schlugen blitzschnell zu. Er nahm einen Treffer an der Kopfseite, duckte sich aber und flog, den Ellbogen in Harris’ Rippen stoßend, unter dem hochgeschlagenen Arm des bulligen Burschen durch. Dann wirbelte Jake auf dem Absatz herum. Er tat es in derselben Sekunde, die Harris sich drehen ließ. Doch Harris schwang zu langsam zurück, und Jake lachte grimmig, als er Harris die Faust unter die Rippen setzte.
Plötzlich sperrte Harris den Mund auf. Er krümmte sich ächzend zusammen, schien in die Knie brechen zu wollen, und Jake beobachtete ihn kaltblütig. Im nächsten Moment aber stieß Cole Harris den linken Stiefel, indem er sich fallen ließ, steil nach oben. Der Tritt erwischte Jake Margley voll.
Einen Augenblick glaubte Margley, dass ihn der Schmerz zerriss. Er war nicht fähig, die Arme zu heben, sah alles verschwommen und hörte Harris’ Gebrüll näher kommen. Instinktiv ließ sich Jake fallen. Dabei traf ihn irgendetwas am rechten Ohr, und er hatte das Gefühl, dass sein Kopf zerplatzte. Erst sein Aufprall zerriss die Schleier des Nebels vor seinen Augen.
Am Boden liegend hörte er irgendein Knacken. Im selben Augenblick sah er Corton, den baumlangen Zureiter der Seward-Ranch, aus den Büschen springen.
Corton war nur drei Schritt entfernt. Seine langen Beine trugen ihn mit einem Satz heran. Jake Margley wollte sich rollen, sah aber nun, dass auch Buddy Wilson plötzlich neben ihm stand. Wilson packte Margleys rechten Arm, er riss ihn empor und drehte ihn um. Schmerz schoss durch Margleys Schulter. Auf den Knien liegend nahm er Cortons tiefgezogenen Hieb gegen den Kopf.
»Ich habe ihn!«, schrie jemand schrill. Gleichzeitig schien eine Zange Jakes linken Arm zu umklammern. Das Gesicht tauchte einen Moment verschwommen vor Jake auf. Es war Logans breites, von Pockennarben verunziertes Gesicht. Logan war Sewards bester Lassowerfer und Rinderfänger. »Corton, pass auf.«
Was danach kam, spürte Jake nur noch undeutlich. Er behielt sekundenlang so viel Verstand, um zu spüren, dass er zwischen zwei Männern hing und hochgerissen wurde. Danach trafen ihn drei, vier Hiebe. Sein Kopf schien zu dröhnen wie eine Kesselpauke, seine Knie gaben nach, und er hörte Schreie und Flüche, aber sehr weit entfernt und immer leiser werdend. Dann erwischte es ihn an der Nase, und eine Sekunde glaubte er durch gleißendes helles Feuer Corton als Riesengestalt vor sich zu sehen.
Ein Baumstamm, der in Wirklichkeit Cortons Faust war, schoss auf Jakes Gesicht zu. Das war das letzte, was er sah. Der Baumstamm traf seinen Kopf.
*
Jake Margley stöhnte. Was auf seinen Kopf rann, musste lauwarmes Wasser sein. Wieder hatte er das Gefühl, an beiden Armen gehalten zu werden. Blinzelnd, Schmerzen überall und auf einem Auge vollständig blind, sah er tiefe Furchen und Sand vor sich.
Jemand hielt ihn, er lag auf den Knien, und als es ihm etwas besser ging, hob er den Kopf. Im nächsten Augenblick wusste er, wo er jetzt war. Dies war die Gabelung des Weges, der vom alten Rio Bravo-Bett nach Norden auf die Weide der Sewards führte.
Es gab im Buschgelände nur diese eine Lichtung, über die der Weg zu den Sewards lief. Linker Hand standen die vier Rinder, rechts von Margley der Wagen.
Es war der alte, einspännige Buggy, den nur ein Mann fuhr, Bill Seward. Seward war ein Mann von über siebzig Jahren. Er war so unwahrscheinlich dürr und knochig, seine Haut so faltig und zerknittert, dass man Seward seit einem Jahrzehnt nur noch die »Mumie« nannte.
»Er kann sehen, Corton?«, fragte die Mumie einen Augenblick später. Seine Stimme schien aus einem Grab zu kommen, so hohl klang sie.
»Er kann sehen, Boss«, erwiderte Corton knapp.
»Das ist gut«, stellte der Alte fest.
Seine dunklen Augen flammten voller Hass auf, als er Jake ansah. Dann hob er die Knochenhand, deren Haut wie Pergament mit braunen Flecken aussah, und deutete auf die vier Rinder. »Erschießen, Harris.«
Jake wollte etwas sagen, brachte aber nur ein Lallen zustande. Seine Lippen waren so geschwollen, dass er nicht reden konnte.
»Alle, Boss?«, fragte Harris.
»Alle, erschieß sie!«, schrillte es von Sewards Lippen.
Nach seinen Worten herrschte einen Augenblick gespenstische Stille, bis Harris durchlud und das Schnappen des Gewehrverschlusses ertönte. Dann brüllte der erste Schuss auf, dem drei andere blitzschnell folgten. Die Schüsse verklangen, ehe der letzte Körper zu Boden dröhnte.
Jake stierte benommen und entsetzt auf die am Boden liegenden vier Rinder. Zwei schlugen noch mit den Hufen, und Harris feuerte noch zweimal. Dann lagen sie still.
»Das – werden Sie – bezahlen«, ächzte Jake, dem der Schock die Sprache wiedergab. »Seward, was hatten Ihnen die Rinder getan?«
»Margley-Rinder!«, schrillte der Alte, und sein dünnlippiger Mund zuckte wie im Krampf. »Ich erschieße alles, was von den Margleys, diesem Mördergesindel, auf mein Land kommt – egal ob Rinder oder Männer – ich töte euch alle, wie ihr meinen einzigen Sohn getötet habt – ihr Mörder – ihr Mörder und Banditen – ihr Mörder.«
Die unheimliche Stimme überschlug sich jetzt. Der Alte hatte plötzlich hektische rote Flecken auf den fahlen Wangen. Seine knochige Hand zitterte so heftig, dass sie zuckend auf und nieder fuhr.
Er ist wahnsinnig, dachte Jake entsetzt, er ist verrückt. Dad hat es gesagt, und es ist wahr, er ist tatsächlich verrückt vor Hass.
Nach diesem Ausbruch krümmte sich Seward zusammen und stierte vor sich hin, eine Reihe lallender Laute ausstoßend. Dann hob er wieder den Kopf. »Corton, bringt diesen Mörderjungen an den Wagen!«
Seine Stimme nahm nun wieder den hohlen, dumpfen Klang an. Er wartete, bis seine Männer Jake an den Wagen geschleift hatten.
»Er soll stehen!«, befahl er.
Der Blick der unheimlichen Augen ließ Jake frösteln. Dass sich Seward niemals mit dem Tod seines einzigen Sohnes vor mehr als zwanzig Jahren abgefunden hatte, wusste jeder. Dass sein Hass aber immer noch so frisch und brennend wie am ersten Tag nach Anthonys Tod war, hatte keiner der Margleys geahnt, obgleich Sewards Gemeinheiten nie ein Ende genommen hatten.
»Ich sollte dich totschießen und zu deinem Vater schicken lassen!«, schrillte der Alte. »So hat er mir einmal meinen guten Sohn geschickt, aber ich bin kein Mörder wie dein Vater. Bring nie wieder Rinder auf mein Land, du Mörderjunge!«
Seine Hand hob sich, und Jake sah den Peitschenstiel zucken. Dann traf ihn der Hieb und löschte sein Bewusstsein wieder aus. Dass er zu Boden stürzte, spürte er nicht mehr.
*
Er hörte das Prusten von Pferden, Jemand rief seinen Namen dicht an seinem Ohr. Wasser rann kalt und belebend über sein Gesicht und seine Brust.
Jake Margleys erster Blick ging auf die dünnen Fahnen der Wolken am Himmel, die einen Sturm ankündeten. Die Erinnerung setzte jetzt ein. Er wusste, dass er getaumelt, gekrochen, umgefallen und wieder gekrochen war. Es gab nur noch eine Wasserstelle am Rio Bravo, zu der er gewollt hatte. Jetzt war er dort, aber jemand stand über ihm – ein Mann mit einem grauweißen Bart und hellen, scharfen Augen.
Jake Margley schloss die Augen, als er die Sonne am Himmel sah. Sie stand senkrecht über ihm, es war also Mittag, und er erinnerte sich, dass es früher Vormittag gewesen war, als er auf Harris gestoßen war. Seitdem mussten drei Stunden vergangen sein.
»Jake, trink das aus.«
Er gehorchte. Feuer schien in seinen Hals zu schießen. Sein Mund öffnete sich weit, keuchend holte er Atem. Dann riss er, indem er den Kopf wendete, die Augen weit auf. Nun merkte er, wie hoch er lag. Unter ihm war der Seitenbügel eines Wagensitzes, sein Blick fiel auf ein schmales, hohes Rad und dann auf den Boden. Als er den Mann kommen sah, der in seinem Hut Wasser trug, schüttelte er seufzend den Kopf.
»Hallo, Mr Cameron«, brachte Jake mühsam heraus. »Genug Wasser – es – geht mir schon besser.«
»Besser?«, fragte Big Jim Cameron mit unterdrücktem Zorn. »Sewards Burschen?«
Jake nickte schwerfällig. Er stemmte sich mithilfe Big Jim Camerons auf, aber ihm wurde sofort schwindlig. Nur die Rücklehne des Wagensitzes verhinderte, dass er vom Wagen kippte. Sich anklammernd, überwand er die erste schlimme Minute, bis sich nichts mehr um ihn drehte. Sein Blick wanderte über den Weg, die Wasserstelle – und weitete sich, als er Cinthia Cameron drüben stehen sah. Sie tränkte sein Pferd.
»Wir haben es eingefangen«, brummte Cameron. Er kniff die Brauen zusammen und sah finster nach Osten. »War Harris dabei, Jake?«
»Sie kamen mit vier Mann, zuerst Harris«, berichtete Jake langsam. »Denke nicht, dass es Zufall war. Sie müssen mit Seward auf dem Weg zur Stadt oder in umgekehrter Richtung unterwegs gewesen sein. Zuerst tauchte nur Harris auf – er schoss auf mich …«
Er erzählte, was passiert war, und Big Jim Camerons Gesicht verdüsterte sich vor Grimm.
Cameron, dem das meiste Land im Gebiet der sieben Flüsse gehörte, hörte ihm schweigend, aber mit wachsendem Grimm zu. Die Camerons hatten sich vor über dreißig Jahren hier angesiedelt. Jake konnte sich noch an den alten Major Cameron, Big Jims Vater, erinnern, dessen Härte und Gerechtigkeit bekannt, aber auch gefürchtet gewesen war. Der alte Major war einer jener Männer gewesen, die die Unabhängigkeit von Texas ausgerufen und gegen die Mexikaner verteidigt hatten.
»So«, knurrte Big Jim schließlich. »Bill, diese alte Mumie, war also auch dabei? Sicher sahen sie dich kommen, Junge, und er dachte sich eine neue Teufelei aus.«
»Er sagte, er wäre kein Mörder wie mein Vater, sonst würde er mich auch tot zu meinem Vater bringen lassen«, ächzte Jake bitter. »Mr Cameron, er saß wie ein alter Geier auf seinem Wagen und starrte mich an wie ein Verrückter.«
Big Jim Cameron fluchte leise, ehe er in die Tasche griff und sich eine Zigarre nahm. Als sie brannte, knurrte er: »Verrückt war er immer schon – und je älter er wird, desto schlimmer ist es. Dein Vater ein Mörder, hol Seward der Teufel.«
»Mr Cameron – Dad hat doch Anthony Seward erschossen.«
»Sicher«, gab Big Jim nach einem Augenblick finsteren Schweigens zurück. »Aber er ließ ihn nicht auf die Seward-Ranch bringen. Tony Seward schaffte den Weg allein, mit einer Kugel in der Seite. Er starb in seinem Zimmer, in das er sich geschleppt hatte. Der Halunke war selber schuld, dass er starb.«
Jake Margley wusste kaum etwas über jene Schießerei zwischen seinem Vater und Tony Seward. Er war damals drei Jahre als gewesen, und bei den Margleys wurde über die Sache nie geredet.
Jake wusste nur, dass sein Vater Tony Seward umgebracht hatte und der alte Seward damals versucht hatte, Owen Margley zu lynchen. Ohne das Eingreifen der Camerons hätte Seward wahrscheinlich Owen Margley getötet, die Ranch zerstört und die Frau und Kinder des Mannes, den er wie die Pest hasste, davongejagt in die Wüste.
»Warum sagt Seward denn solche Sachen, Mr Cameron?«, fragte Jake. Er musste sich hinlegen. Um ihn begann sich wieder alles zu drehen, und Cinthia Cameron, ein blondes, schlankes Girl von fünfundzwanzig Jahren, stieß entsetzt hervor: »Dad, was fehlt ihm?«
»Nichts, was er nicht überstehen könnte«, brummte Big Jim. »Zu viel Hiebe gegen seinen Kopf, aber das hat er in einer Woche vergessen. Liegst du gut, Jake?«
»Yeah – jetzt geht es wieder«, keuchte Jake. »Mr Cameron, warum – war Tony Seward selbst schuld?«
»Warum?«, knurrte Big Jim. »Er hätte anhalten sollen, als wir ihn dazu aufforderten. Stattdessen fing er an zu schießen, und da er gleich auf Sewards Weide jagte und mein Pferd traf, feuerte dein Vater ihm nach. Eine der Kugeln traf ihn dann wohl, genau gesehen haben wir das nicht mehr.«
Er sprach mit Widerwillen und ziemlich barsch – genauso wie Owen Margley, wenn irgendwann die Rede auf die Geschichte von damals kam. Owen Margley duldete es nie, dass man über die Sache redete.
»Und – warum hielt Dad ihn an?«
»Nun – wir spielten manchmal ein wenig zusammen«, murrte Big Jim. »Tony Seward konnte nie verlieren, und er gewann selten, bis sich das änderte. Wir wussten, dass er zu der Zeit mit einem Kartenhai aus El Paso zusammensteckte, und wir nahmen an, der Kerl hätte ihm beigebracht, mit gezinkten Karten zu spielen.
Well, als Seward dann dauernd gewann und wir verloren, wollten wir uns mal seine Taschen ansehen. Wir hätten es in der Stadt tun können, wollten aber kein Aufsehen. Darum warteten wir unterwegs auf ihn. Wenn der Kerl ein reines Gewissen gehabt hätte, hätte er ja anhalten können, was? Ich sage, er war ein Falschspieler, und er bekam genau das, was er verdiente.«
»Ein Falschspieler – ein Seward?«, fragte Jake verstört. »Mr Cameron, hat man denn bei ihm später – ich meine, fand man in seiner Kleidung irgendwo gezinkte Karten?«
»No«, grollte Cameron finster. »Einen Beweis dafür gab es nie. Darum behauptete Bill Seward auch immer, dein Vater hätte Tony erschossen, weil er – dein Vater – nicht verlieren konnte. Völliger Unsinn, Junge, ich war dabei. Dein Vater schoss erst, als mein Gaul am Boden lag und uns die Kugeln um die Ohren heulten.
Well, Bill Seward spielte verrückt, und wir brachten deinen Vater vor ihm in Sicherheit nach El Paso ins Jail. Nach zwei Monaten sprach der Richter, der damals nur alle Vierteljahr mal kam, deinen Vater frei. Für Bill Seward aber ist er das geblieben, was sich der alte Narr in den Schädel setzte – ein Mörder. Ich kann dir nur sagen, Tony Seward taugte nichts.«
Jake nickte schwach. Er wusste nun wenigstens, wie sich die Sache damals abgespielt hatte.
Big Jim Cameron knurrte vor sich hin, stieg dann auf die vordere Sitzbank des Wagens und winkte seiner Tochter, sich neben ihn zu setzen. Der Wagen ruckte an, und die Schmerzen in Jakes Kopf und Rippen verstärkten sich.
»Wir bringen dich nach Hause«, sagte Cameron neben Jake. »Hoffentlich explodiert dein Vater nicht. Vier Rinder sind für euch ein ziemlicher Verlust, was?«
*
Jake blickte verstohlen zu seiner Mutter. Er lag nun in seinem Bett, während seine Mutter an der Wand lehnte und nun wieder etwas Farbe in ihre Wangen krochen. Ihr erster Schreck war vorbei, aber noch zitterten ihre Hände unmerklich. Annabelle Margley war eine kleine, schmale Frau mit dunklen, großen Augen.
Als Tochter mexikanischer Eltern in Texas geboren, sah man ihr kaum etwas von ihrer Herkunft an. Sie redete nie viel und verstand es, mit wenig Geld ihre Familie zu versorgen. Auch jetzt schwieg sie, trat an die Waschschüssel, tauchte ein Handtuch ein, wrang es aus und kam zu Jake.
»Mutter, das wird von allein wieder«, brummte Jake. »Du solltest dir keine Sorgen machen, es heilt in ein paar Tagen.«
»Du hältst still«, befahl sie sanft.
»Warum bist du nicht davongeritten? Musstest du dich mit ihnen streiten?« Jake knurrte bissig. Das kühle Tuch tat ihm gut, verdeckte aber seine Sicht.
»Mein Pferd war doch weg. Immer bin ich für alle nur der Kleine. Mit David hätten sie das nicht gewagt. David hätte sie alle vier verprügelt. Und Steve erst, vor dem wären sie gleich weggelaufen, nur ich, ich bin ja der Kleine, mit mir können sie alles machen.«
»Mein Gott, Junge, du bist nicht der Kleine, wie oft soll ich dir das noch sagen?«, murmelte sie kopfschüttelnd. »Du bist der jüngste Margley, und du sollst vorsichtig sein, wenn dir Sewards Leute begegnen. Es wäre keine Schande gewesen wegzulaufen, hörst du?«
»No«, sagte er wild. »Als sie sich vor sechs Jahren mit Steve anlegten, hat er sie barfuß in die Kakteen gejagt.«
»Oh, dieser Junge, dieser Junge«, seufzte sie. »Er ist halb tot, und er redet immer noch so wild, als müsste er allein gegen die Sewards kämpfen. Vergleiche dich nicht mit deinem ältesten Bruder Steve. Wenn er seine Armeezeit herum hätte, dann …«
»Ja, ja, dann«, schnaufte Jake und schob das Tuch von seinem einigermaßen heilen Auge. »Dann würden sie sich vor Angst verkrochen haben. Steve ist der beste Sergeant der Armee, und so hart und schlau wie kein anderer in Fort Stanton.
Ich muss das wissen, er war mein Sergeant, aber geschenkt hat er mir gar nichts. Eher hat er noch mehr von mir verlangt als von anderen. Steve ist wie unser Vater, wenn den etwas ärgert, dann geht er los und schlägt alles kurz und klein. Ma, geh hinaus und sieh zu, dass du Vater beruhigst, sonst gibt es ein Unglück.«
Draußen dröhnte Owen Margleys Stimme über den Hof. Das Irenblut in ihm rebellierte.
»Dein Vater hört auf niemand außer Big Jim Cameron«, murmelte Annabelle Margley leise. »Ich kann ihn nicht zurückhalten, wenn er etwas tun will, das weißt du, Junge.«
Sie trat an das Fenster und sah über den Hof, in den David, der zweitälteste Sohn, sein schweres Pferd trieb. David war kein Riese, aber ungeheuer breit in den Schultern. Wenn er die Beine fest einstemmte, wirkte er wie ein behauener Felsklotz, den nichts umwerfen konnte
Wie Jake hatte er leicht rötliches Haar, das Erbe seines Vaters. Steve, seit fast sechs Jahren bei der Armee, bildete die Ausnahme in der Familie. Er besaß das schwarze Haar seiner Mutter, die hochgewachsene Gestalt seines Vaters und dessen helle Augen.
»Geh rein und sieh dir an, was Sewards Burschen mit dem Kleinen gemacht haben«, polterte Owen Margley. Er stand breitbeinig am Corral, in den er Jakes Pferd getrieben hatte. Cameron lehnte an den Stangen und rührte sich nicht. Cinthia Cameron saß in der Küche mit Concha Margley, der ältesten Tochter Owens.
David sprang ab. Er landete, wie immer er auch absprang, ob aus vollem Galopp oder aus scharfem Trab, leichtfüßig auf dem Boden. Seine Beweglichkeit hatte einmal vor vier Jahren Sewards Reiter getäuscht, als sie ihm im Seven River Saloon in der Stadt die Fäuste zeigten. Er hatte fünf Mann aus dem Saloon gefeuert.
»Wenn ich Steve jetzt hier hätte«, knirschte Owen Margley. Er knallte den oberen Gatterbalken in das Lager und reckte sich. David war auf der Südweide gewesen. Drei Schüsse waren das Zeichen für ihn gewesen, sofort auf die Ranch zu kommen, und er hatte kaum eine Viertelstunde gebraucht. »Ich würde mit David und Steve losreiten und den Halunken die Furcht einblasen, Jim.«
»Ein Glück, dass du Steve nicht hier hast, sondern noch drei Monate warten musst, bis er seine Dienstzeit herum hat«, brummte Big Jim Cameron. »Owen, du hättest auch mit Steve keine Chance gegen Sewards zwölf Mann.«
»Denkst du«, grimmte Margley. »Diese alte Mumie, diese ausgemergelte. Damals hätte nicht Tony, sondern der Alte ins Gras beißen sollen.«
»Owen, er hat seinen jüngsten Bruder nicht umsonst auf die Ranch geholt. Bat Seward ist noch ehrgeiziger als Bill«, warnte Big Jim. »Es ist meine Schuld, Owen. Ich hätte damals …«
»Jetzt fang nur noch damit an«, grollte Margley. »Das ist längst vergessen, Jim. Bill Sewards Frau muss ein Satan gewesen sein, sonst hätte der Alte es wie sein jüngerer Bruder Bat gemacht und sich einige Freundinnen zugelegt. Pah, Bat Seward hat seine Weiber im Kopf, sonst nichts.«
»Aber er macht, was Bill plant, und er ist nicht dumm«, murmelte Big Jim düster. »Wenn du nächstens wieder Rinder zur Stadt schaffst, dann sage mir Bescheid. Die vier Rinder bekommst du von mir, verstanden?«
Big Jim wusste genau, wie empfindlich Owen Margley sein konnte.
Owen zuckte auch sofort zusammen und sah ihn wütend an.
»Das fehlte noch, ich will deine Rinder nicht«, grollte er. »Und wenn ich Rinder zur Stadt bringe, nehme ich David mit. Jim, es kann für einen Mann verdammt hart sein, dauernd die Hilfe eines anderen Mannes annehmen zu sollen, verstehst du mich?«
»Zum Teufel, das bin ich dir schuldig, oder?«, knirschte Cameron. »Du irischer Dickschädel, du bist stur wie ein Maultier. Jedes Mal, wenn ich etwas für dich tun will, willst du mich fressen. Du lebst sparsam, fast geizig, aber du hast drei Söhne. Steve könnte bei der Armee bleiben, die wären froh, wenn sie ihn halten könnten. Aber er wird nach Hause kommen. Er ging weg, weil hier zu viele Esser waren, oder?«
Owen Margley grinste plötzlich, und Big Jim Cameron, der dieses Grinsen zu gut kannte, sah ihn irritiert an.
»Satt hätte ich ihn schon noch bekommen«, brummelte Owen Margley dann und reckte seine breiten Schultern. »Nenn du mich ruhig geizig oder einen Hungerleider, wie es andere Leute tun. Eines Tages werdet ihr euch noch mächtig wundern, yeah.«
»Du singst ja einen verdammt eigenartigen Song, Owen«, meinte er. »Ich weiß, dass Steve seinen Armeesold nach Hause schickt und mit zwölf Dollar im Monat auskommt. Und du züchtest Kälber, die du höllisch schnell an den Mann bringst. Owen, ganz so dumm wie andere bin ich nicht. Du lässt niemand in deine Karten sehen, auch mich nicht, und sicher weiß nicht mal deine Frau, was du so mit deinem Geld machst, eh?«
»Jim, ich bin ein armer Mensch. Aber eines Tages könnte es sein, dass ich mich für Alkali in meinem Wasserloch, für umgerissene Zäune und von Bill Seward verjagte Rinder bedanke, auf meine Art.«
Big Jim Cameron zuckte zusammen. Jetzt erkannte er auch die List in Owen Margleys Augen. Obgleich Owen früher manchmal über den Ärger mit den Sewards Big Jim berichtet hatte, seit drei Jahren schluckte er alles. Von der verseuchten Wasserstelle hatte Cameron so wenig gewusst wie von umgerissenen Zäunen.
»Owen«, entfuhr es ihm erschrocken. »Du willst Seward doch nicht angreifen? Um Himmels willen, fang das nicht an. Freund, ich könnte dir dann nicht helfen.«
Owen Margley lachte leise und grimmig.
»Wer sagt denn, dass ich die alte Mumie angreifen will?«, fragte er. »Ich warte nur darauf, dass Steve nach Hause kommt, dann erlebt dieses Land einige Dinge. Niemand hat das Recht, meine Söhne Mördersöhne zu nennen und uns Margleys überall schlechtzumachen. Eines Tages bekommt Bill Seward meine Quittung für seine seit zwanzig Jahren wiederkehrenden Gemeinheiten.«
*
Corporal Jenkins hörte, wie einer der zwölf Rekruten, mit denen sie unterwegs waren, zu würgen begann. Es war nie ein schöner Anblick, zuerst Geier und danach Tote zu sehen.
»Joe!«
Mehr sagte Steve Margley nicht, als er absaß. Joe Jenkins wusste, was er zu tun hatte.
»Absitzen und eine Grube mit dem Schanzzeug machen!«, befahl Jenkins finster. Dann sah er sich nach dem Würger um und zog die Brauen hoch. »Franchot, Sie helfen mit drei Mann die Toten tragen.«
Franchot war bleich wie der Tod, auf seinem Gesicht stand der Schweiß.
»Corporal, ich – ich …«
»Und wenn Sie umfallen«, knurrte Jenkins scharf. »Das erleben Sie einmal, danach stehen Sie wieder auf und machen weiter. So hart müssen Sie sein, Franchot, verstanden?«
»Yes, Corporal«, würgte Franchot. Jenkins ging hastig zu der toten Feuerstelle hinüber, neben der rechts zwei Wagen und links der dritte Wagen standen. Die drei Toten lagen neben den Deckenbündeln und drei aus alten Hosen und Hemden ausgestopften Graspuppen.
»Willis?«, fragte Jenkins Margley gepresst, als Margley den Mann umdrehte.
»Erschossen …! Wie die anderen beiden. Heavens, wer hätte das gedacht. Vor vier Tagen haben wir sie noch in Fort Seiden getroffen, und jetzt sind sie tot. Steve, was haben diese ausgestopften Hosen und Hemden zu bedeuten?«
Steve Margley richtete sich auf. Er überragte Jenkins um einen Kopf und sah zur Seite.
»Puppen, um sie unter die Decken zu legen und vorzutäuschen, dass dort Männer schliefen«, knirschte Margley. »Sie kamen nicht mal dazu. Das meinte Willis also, als er von einer Überraschung für jene Burschen sprach, die ihn schon zweimal überfallen hatten.«
Jenkins presste die Lippen zusammen. Er kannte nicht so viel von Spuren wie der Sergeant, der darin unschlagbar war. Dennoch war Jenkins sicher, dass die Männer noch keine fünf Stunden tot sein konnten.
Willis fuhr für die Conway Freighters als Wagenboss, deren Hauptsitz El Paso war. Seit zwei Monaten befand sich das sogenannte Armee-Ausmusterungscamp in Fort Stanton. Dort wurden vom Sattel bis zum Wagen und vom Gewehr bis zur überalterten Munition Armeebestände aus allen Forts gelagert.
Conway besaß als einziger Händler die Armeekonzession zum Handel mit den gebrauchten Geräten. Willis hatte einige Fahrten für Conway gemacht und war dabei zweimal überfallen worden. Dies war der dritte Überfall, er hatte mit dem Tod von Willis und dessen beiden Männern geendet.
Einen Moment dachte Corporal Jenkins an die Marschroute der Rekrutenpatrouille. Man nannte diese Patrouillen Rekrutenpatrouillen, weil sie zur Ausbildung der Rekruten gehörten und meist eine volle Woche dauerten. Die Rekruten mussten an das Land und die Bedingungen eines kriegsmäßigen Marsches gewöhnt werden.
Der Rückmarsch der Patrouille führte durch die Soledad-Mountains, und es war Zufall gewesen, dass sie ausgerechnet hier vorbeigekommen war. Gewöhnlich ritt hier wochenlang kein Mensch.
»Wollte er zum Fort?«, fragte Jenkins verstört. »Aber er sagte doch nichts davon, er wollte doch nach Socorro, Steve.«
»Er sagte nichts, solange wir zusammenstanden«, murmelte Margley. Er fuhr sich mit der Hand durch das dunkle Haar und setzte danach den Hut wieder auf.
»Als er mit mir allein war, redete er darüber. Nicht mal seine beiden Fahrer wussten etwas davon. Willis und Conway hatten vor, es diesmal geheim zu halten, um nicht wieder eine Lieferung zu verlieren. Bei den anderen beiden Überfällen schlug man Willis nur nieder, nahm aber jedes Mal wie auch jetzt die Wagenpferde mit. Er hatte Mondschein bis Mitternacht und fuhr auch so lange, Joe. Sein Reitpferd ist auch verschwunden. Ich denke, er hat unterwegs zu diesem Lagerplatz Gras aufgenommen. Das muss schon vor den Bergen und bei Beginn der Dämmerung gewesen sein. Danach stopften sie die Hemden und Hosen aus, aber sie kamen nicht mehr dazu, davonzukriechen und sich dann auf die Lauer zu legen.
Ich sehe mich mal um. Sie liegen alle nur wenige Schritt vom Feuer entfernt. Die Schüsse müssen von oben gekommen sein, nicht von rechts oder links, weil hier die Wagen stehen. Maultierhufe, Joe, die Burschen, die sie erschossen, brachten Maultiere her, um umzuladen.«
Er stieg auf und überließ es Jenkins, die Toten zu begraben, während er sich umsah.
Jenkins tat seine traurige Pflicht. Er hatte den Beutel mit den wenigen Dingen, die er noch bei den ausgeplünderten Toten fand, in der Satteltasche verstaut, als Margley wieder zurückkam. Keine halbe Stunde war vergangen, die Toten begraben und Steine über die Hügel gehäuft worden.
»Fünf Männer«, brummelte Steve Margley. »Sie lagerten nur einen Tag am Ostrand der Berge. Gestern Nachmittag müssen sie Willis schon gesehen haben. Ihre Spur kam von Süden hoch. Sie müssen gewusst haben, dass Willis zum Fort wollte und wann er zurückkehren sollte. Diese Halunken haben keine sechs Stunden Vorsprung, sind aber mit den Maultieren so langsam, dass wir sie am frühen Nachmittag einholen müssen.«
»Du willst ihnen nach?«, fragte Jenkins bestürzt. »Du hast keinen Befehl, dich um andere Dinge als um die Ausbildung zu kümmern.«
»Ich weiß, was ich soll, aber ich weiß auch, dass die Kerle entwischen, wenn wir erst zum Fort reiten und uns Befehle holen«, erwiderte der First Sergeant knapp.
»Alles aufsitzen. Wir reiten von hier aus zurück nach Westen und bleiben unterhalb der Berge. Joe, sie werden mitten in den Bergen reiten, um nicht durch Zufall entdeckt zu werden. Spuren in den Bergen sind morgen tot. Die Burschen haben es sich sauber ausgerechnet, nur mit einer Rekrutenpatrouille müssen sie nicht gerechnet haben. Joe, wir umgehen sie. Bis vier Uhr müssten wir das schaffen.«
Joe Jenkins nickte. Die Verantwortung trug Margley. Sicher hätte Major Macomb, der Kommandant von Fort Stanton, dem First Sergeant den Befehl gegeben, die Mörder zu stellen. Mit Ärger war kaum zu rechnen, denn Margley besaß Major Macombs volles Vertrauen.
»Du musst das wissen«, murmelte Jenkins. »Und was machst du, wenn sich diese Halunken nicht ergeben?«
»Was schon?«, wunderte sich Steve Margley. »Schießen haben diese Burschen hier schließlich gelernt, was, Torgan?«
»Yes, Sergeant«, nickte Torgan, ein langaufgeschossener Rekrut.
*
»Ich schieße zuerst«, sagte Margley knapp, als er sich wieder nach vorn und hart neben den Felsblock drückte. »Dass mir keiner von euch vorher am Abzug fingert, verstanden? Zeigefinger lang, aber die Gewehre im Anschlag. Immer ruhig, sie ahnen nichts. Der Corporal drüben weiß Bescheid.«
Mörder!, dachte Torgan grimmig, der Schweiß klebte wie eine Schicht Schmierfett an seinem Körper, und Torgan dachte voller Wut daran, dass sie alle nur so schwitzten, weil dort unten fünf Mörder angeritten kamen.
Der Hufschlag wurde lauter. Man unterschied deutlich am Klang wie weit die fünf Banditen noch entfernt sein konnten, wenn der Schall gegen Felsen prallte oder in den Zwischenräumen sich verlief.
»Merkt euch eins«, flüsterte Margley. »Durchbrechen können diese Halunken nicht, nur noch zurück. Achtung jetzt, macht euch fertig. Sobald ich aufspringe, kommt ihr auch hoch. Sie sollen euch sehen. Aber vergesst nicht, sofort in Deckung und nur aus ihr feuern, sollten die Kerle schießen.«
Irgendwo links schlug ein Gewehrlauf gegen Stein, und Margleys Kopf zuckte drohend herum. Wadsworth, einer der Rekruten, lief dunkelrot an und hielt das Gewehr mehr seitlich.
»Idiot, pass auf«, zischte Torgan. Danach schwieg er, denn der Sergeant meldete sich. »Noch zwanzig Längen kommen lassen, dann sind sie weit genug. Achtung, gleich, sind sie unter uns. Noch zehn Längen – fünf – jetzt!«
Im selben Moment schnellte er nach rechts um den Felsblock. Er sah die Linie der Reiter, von denen jeder zwei Pferde oder Maultiere mit Packsätteln hinter sich führte, genau unter sich. Im gleichen Augenblick erkannte Steve den Mann, der vor den anderen ritt.
Es war Jefe Clane, ein bärtiger, hochgewachsener Mann aus La Mesa, dem man neben Vieh- und Pferdediebstahl auch noch einige Überfälle auf Stagecoaches nachsagte.
Clane ritt vorgebeugt in müder Haltung. Er hob nicht den Kopf, anscheinend döste er. Der zweite Mann jedoch zuckte zusammen, als es jenseits des Tales leise klickerte. Irgendein Stein löste sich oben und kollerte den Hang herab.
Im nächsten Augenblick fuhr der Kopf des Mannes herum. Er sah zwischen und über den graubraunen Felsen und verdorrten Büschen das Blau der Uniformen.
»Vorsicht, da oben, Jefe!«
Sein gellender Aufschrei brach sich an den Felsen. Jefe Clane riss augenblicklich sein Gewehr aus dem Scabbard. Er hatte die Waffe noch nicht hoch, als Steve scharf schrie: »Hände von den Waffen – streckt sie hoch, ergebt euch!«
Clane stieß einen brüllenden Ton aus, aber statt sein Gewehr fallen zu lassen, warf er sich nach vorn. »Schießt!«, brüllte er im Wegkippen. »Schießt euch den Weg frei!«
»Verdammter Narr«, keuchte Steve Margley bissig, als Clane wegkippte und nach links rutschte. »Vorsicht, Deckung, Männer, sie schießen!«
Margley schnellte nach links und prallte an den Felsen. Indem er sich duckte und wegtauchte, brüllte unten der erste Schuss los. Die Kugel prallte an den Felsen, heulte irr jaulend als Querschläger ab und jagte in das Blau des Himmels.
Steve kniete bereits. Unter ihm jagte Clanes Pferd wiehernd los. Clane hing an der linken Flanke des Pferdes, als es drüben aufblitzte. Gleichzeitig drückte Margley ab. Er zielte auf das Pferd, traf es und sah Mann und Pferd zur selben Sekunde stürzen.
Jenkins hatte gefeuert, und seine Kugel erwischte Clane. Der verrufene Bursche kollerte mehrmals um sich selbst, ehe er liegen blieb. Sein Pferd krachte über den Hals zu Boden. Es überschlug sich, riss eine Staubfahne hoch und nahm Steve die Sicht auf Clane.
Keine zwei Sekunden darauf raste das nächste Pferd in Margleys Gesichtsfeld. Steve zielte kurz, während der geduckt auf dem Hals des Pferdes liegende Mann ununterbrochen nach rechts feuerte. Die Kugeln schlugen irgendwo zwischen den Steinen ein, hinter denen Margleys Männer in Deckung lagen.
»Schießt ihnen die Pferde ab!«, schrie Margley so laut er konnte. »Ich will sie lebend!«
Es brüllte an Torgans Deckung auf.
Der Mann unten auf dem Pferd breitete die Arme aus. Dann kippte er langsam nach rechts und fiel vom Pferd.
»Sergeant, sie flüchten zum Hang!«, kam Wadsworths Schrei ganz von links. »Drei versuchen zu fliehen, Sergeant!«
»Nicht auf den Mann halten, nur auf die Pferde!«, brüllte Steve, während er sich herumwarf und losrannte. »Sie finden keine Deckung am Hang, schießt die Pferde ab!«
Das Feuer links und rechts über dem Tal nahm sekundenlang zu. Das Dröhnen der Schüsse zerriss die Luft. Pferde trompeteten, ein Mann schrie gellend auf.
Dann sah Steve den Hang vor sich und ein Pferd langsam über das Geröll abwärtsrutschen. Der Reiter lag schreiend auf den groben Steinen. Sein dunkelbraunes Gesicht war vor Angst verzerrt, und er hielt beide Hände in die Höhe.
Dicht an ihm vorbei jagte noch ein Mann ohne Hut, der sich in panischer Furcht umsah.
Steve schwang das Gewehr hoch, feuerte und sah das Pferd zusammenbrechen. Der Reiter flog aus dem Sattel, raffte sich jedoch auf und rannte im Zickzack weiter, bis eine Kugel sein linkes Bein wegriss. Er fiel aufschreiend und kugelte den Hang herab.
Der letzte Bursche kauerte unten neben seinem gestürzten Pferd und streckte beide Arme so hoch er konnte.
»Gordon!«, befahl Steve scharf, als sich das Echo der Schüsse verlief. »Die Pferde her, Mann, schnell!«
Dann legte er beide Hände an den Mund und schrie in das Tal hinunter: »Nicht bewegen, sonst schießen wir! Joe, hinunter mit deinen Männern!«
Er konnte sich jetzt etwas Zeit lassen. Während seine sechs Mann auf die am Boden kauernden Banditen zielten, stürmte Jenkins mit seinen Männern den Hang der Talwand herab. Es dauerte keine drei Minuten, dann hatte Margley alle Mann im Sattel und jagte in das Tal.
Zwei der Banditen waren Mexikaner, der Mann mit der Kugel im Bein wimmerte laut, und Margley erinnerte sich, ihn irgendwann in El Paso gesehen zu haben.
Torgan kam von Clane und jenem anderen am Boden liegenden Banditen zurück.
»Sergeant, sie sind beide tot. Ein Mexikaner und der lange Bursche.«
»Nun gut«, knurrte Margley, indem er neben den wimmernden Rustler trat. »Wir werden euch Halunken zum Fort bringen. Wie heißt du, Bursche?«
»Miller«, antwortete der Bandit keuchend. »Jim Miller. Ich – ich habe damit nichts zu tun. Clane und der – der andere da drüben haben geschossen, Sergeant.«
»Tatsächlich?«, fragte Steve mit kaltem Grimm. »Und dann fand ich an fünf Stellen Patronenhülsen, was? Dann habt ihr drei Halunken sicher nur in die Luft geknallt, was? Du heißt also Miller – oder Smith – oder Jones – vielleicht auch Wilson? Well, wir werden das schon herausfinden, Mister. Für die Sache hängt ihr, das weißt du, hoffe ich.«
»Ich weiß nichts!«, schrie der Mann schrill los. »Clane machte alles. Clane sagte, die drei Burschen auf den Wagen hätten seine Partner erschossen und ihn bestohlen. Ich war sicher, die drei waren irgendwelche Banditen.«
»Wie du willst, Schurke«, knirschte Steve. »Du redest schon noch. Joe, verbinden und dann auf einen Gaul mit ihm. Wir reiten quer durch die Salzsenke zum Fort.
Torgan, ab zu Clane und dem Greaser, alles nehmen, was in den Satteltaschen oder in seinen Sachen ist, vielleicht erfahren wir dadurch mehr. Clane war ein viel zu kleiner Lump, um hinter dieser Schweinerei zu stecken.«
*
»Alle Teufel, Steve, was bringst du da an?«, fragte der First Corporal Dillon verstört, als er aus der kleinen Wachbaracke stürmte. »Stiefel und Spencer auf den Maultieren? Und wer sind die drei Kerle?«
»Sie haben Willis erschossen und die Ladung gestohlen«, erwiderte Margley kurz. »Wir erwischten sie gerade noch. Mach das Tor auf, Dillon.«
»Verdammte Schweinerei«, knurrte Dillon. »Willis trank noch mit mir in Pidges Kneipe, ehe er am nächsten Morgen losfuhr. Da kommt schon der Captain.«
Steve nahm den Kopf herum. Sein Gesichtsausdruck blieb unbewegt, als er Captain Alec Seward, einen hageren Mann, der jetzt bereits Ähnlichkeit mit seinem Onkel Bill Seward hatte, aus der Verwaltungsbaracke kommen sah. Alex Seward war Berufsoffizier gewesen, ehe sein Vater Bateson Seward von der Mumie Bill, wie auch Steve den alten, hageren Rancher nannte, auf die Ranch geholt worden war.
Seward hatte Dienst in Fort Marcy getan. Später ließ er sich dann nach El Paso versetzen, um in der Nähe der Ranch zu sein, die er eines Tages todsicher erben würde. Er war der einzige männliche Verwandte des alten Bill, der auf das Erbe ein Anrecht hatte. Vor acht Wochen kam der Captain dann nach Fort Stanton. Er hatte schon in Fort Marcy das Materiallager der Armee verwaltet und das gleiche Kommando auch seit zwei Jahren in Fort Bliss gehabt.
Sewards Auftauchen hatte einigen Ärger für Steve Margley gebracht. Barry Cameron hatte den Zustand, dass sich ein Margley, ein Seward und ein Cameron ausgerechnet hier treffen und auf engstem Raum miteinander leben mussten, mit den Zuständen im Gebiet der Seven Rivers verglichen. Dort unten konnte ein Seward jedoch nicht viel tun, während der Captain hier Befehle geben konnte.
Der verdammte Kerl, dachte Steve grimmig, ich weiß schon, was jetzt kommt. Neulich erst trug ich die Hosenträger über der Uniform, und er machte einen Heidenspektakel. Dabei taugt dieser Narr zu nichts weiter als blödsinnige Listen zu führen.
Von allen Vorgesetzten ist er der größte Säufer und wie sein Vater ein Weiberheld, ein anderes Kommando geben sie ihm nicht. Der Kerl braucht weder zu reiten noch richtigen Dienst zu machen. Mal sehen, was jetzt passiert.
Sewards hagere Gestalt blieb vor dem nun geöffneten Tor stehen, als wollte sie den Eingang zum Depot versperren. Der Captain hatte dunkle tief liegende Augen wie sein Onkel. Er starrte den Meldung machenden Steve finster an.
»Das ist ja interessant«, schnarrte er, als Steve mit der langen Meldung fertig war. »Sergeant, wer, zum Teufel, hat Ihnen erlaubt, diese Kerle zu verfolgen?«
»Niemand, Sir«, antwortete Steve knapp. »Es gibt Vorschriften für …«
»Das weiß ich selbst, Sergeant!«, bellte Seward scharf. »Aber was wollen Sie mit dem Zeug hier im Depot, Mann? Es ist verkauft worden – oder meinen Sie, die Armee lässt irgendwelche Leute mit Ausrüstungen davonfahren, wenn die Sachen nicht bezahlt sind?«
Genau das hatte Steve erwartet. »Sir, es gibt auch über aufgefundene und anscheinend gestohlene Dinge eine Bestimmung«, sagte Margley sanft und so trocken, dass Seward sich verfärbte, weil er den Spott des Sergeanten erkannte.
»Solche Gegenstände sind an einen sicheren Ort zu schaffen und sicherzustellen, bis sich der Eigentümer meldet.«
Seward starrte ihn grimmig an. Natürlich kannte er die Bestimmung auch. Sein Blick flog danach über die Packsättel und fraß sich förmlich an zwei zerfetzten Planen fest. Die Pferde waren, als die Schießerei einsetzte, davongerast und gestürzt. Dabei waren die Planen zerrissen. Jetzt lugten die Gewehre staubig hervor.
»Was haben Sie denn da gemacht, Mensch?«, fauchte Seward los. »Die Waffen sind ja völlig verdreckt, Sergeant. Sichern Sie so wertvolles Armeegut? Ihre Schlamperei ist nicht zu überbieten, Margley. Was immer Sie auch tun, es ist schlampig und nachlässig.«
Steve betrachtete den schreienden Captain kühl, ehe er antwortete: »Sir, es handelt sich nicht mehr um Armeegut.«
»Versuchen Sie sich nicht damit herauszureden. Sie werden doch wohl Decken gehabt haben, um die Gewehre zu verschnüren.«
»Armeedecken, Sir«, erwiderte Steve ruhig. »Ich darf sie nicht benutzen, um Privatsachen mit ihnen einzuhüllen, außer in einem Notfall.«
»Sie – Sie glauben, Sie können mich ärgern, was?«, schrie Seward wütend. »Bilden Sie sich ja nicht ein, dass Sie schlauer sind als ich und die Bestimmungen besser kennen, Sie, Sie Sohn eines …«
»Weiter …, nur weiter, Captain«, zischte Steve, als Seward jäh schwieg und nur laut schnaufte. »Sie haben es schon einmal gesagt, als ich an den Pferden stand und Sie mir den Befehl gaben, Ihren Grauschimmel zu striegeln. Nur sagten Sie es so leise, dass niemand sonst es hörte. Sagen Sie es doch mal laut, Captain Seward, ganz laut und deutlich. Was ich dann mache, dürfen Sie sich denken.«
Seward schloss die Lider spaltbreit und stierte ihn keuchend an. Dann wendete er sich mit einem Ruck um.
»Ich brauche Ihre ausführliche Meldung noch heute, verstanden, Sergeant?«, knirschte er. »Ausführlich, vergessen Sie das nicht, Margley. Ist diese schriftliche Meldung mit Uhrzeiten und so weiter nicht lang genug, schreiben Sie sie so lange, bis sie genau richtig für meine Akten ist. Sie bringen Sie mir selber, heute noch! Verstanden …?«
»Ja, verstanden, Sir …!«, antwortete Steve kalt, und alles an diesem hageren Mann erinnerte ihn an den alten Seward und jenen Tag, den er als Junge von acht Jahren erlebt hatte. Damals hatte Seward die Ranch anstecken und seinen Vater aufhängen wollen. Wäre Big Jim Cameron nicht rechtzeitig gekommen, hätte er es auch getan.
Jetzt stakste Bill Sewards Neffe davon. Alle Männer beobachteten Steve Margley, und jeder fragte sich, was am Abend passieren würde, wenn Margley die Meldung brachte. Sie würde dem Captain weder lang noch gut genug sein, das wussten sie alle.
»Steve, das wird die reinste Schikane«, murmelte Joe Jenkins, als Seward fort war. »Die schreibst du dreimal, wetten?«
»Dann kannst du auf noch etwas wetten«, erwiderte Steve finster. »Darauf, dass ich ihn umbringe.«
Er zog sein Pferd herum und winkte Gordon und Torgan, die Gefangenen mitzunehmen. Dann ritt er ins Fort.
*
Major Macomb stützte beide Hände flach gegen die Tischplatte. Er war ein großer grauhaariger Mann, der die Zeit der Indianeraufstände miterlebt und dabei Härte gelernt hatte. Der First Lieutenant Barry Cameron stand neben dem Tisch.
»Margley, sind Sie sicher, Mann?«, fragte Macomb leise. »Clane ist also einwandfrei von Süden gekommen und hat nur einen Tag gewartet?«
»Yes, Sir«, erwiderte Steve knapp. »Als ich Willis traf, sagte er mir, nur sein Boss, Mr Conway, und er wüssten, dass er nach der Fahrt nach Socorro hierherfahren sollte. Wenn das so ist, dann muss jemand Clane oder dem Mann, der hinter Clane steckt, von dem Abholtermin etwas gesagt haben. Jemand aus dem Fort, Sir.«
Macomb stand auf, er ging mit schnellen, kurzen Schritten auf und ab.
»Ihre Meinung, Cameron?«
»Major, es muss so sein, wie Margley es sagt«, antwortete Barry Cameron düster. »Mr Conway wird benachrichtigt, wann er die ausgemusterten Dinge holen kann. Alle Schreiben landen bei Sergeant Crumbs in der Depotverwaltung, auch Mister Conways Mitteilungen, wann er jemand herschickt und wie viel Wagen.
Bei Sergeant Crumbs hätte jeder Mann, der in der Depotbaracke zu tun hat, Gelegenheit, die Schreiben einzusehen. Zuerst Corporal Dillon, dann Corporal Haymes und einige andere Leute – jeder, der dort zu tun hat.«
»Mann, Cameron, wollen Sie sagen, einer unserer Leute könnte mit Clane unter einer Decke gesteckt haben?«, fuhr Macomb herum. »Alle Teufel, gestohlen wurde verdammt häufig, auch jetzt noch verschwindet ab und zu etwas. Jemand liest, was Conway schreibt, gibt Clane Bescheid, und der lauert dann Conways Fahrern auf?«
Macomb setzte sich wieder und fuhr sich durch die Haare. Dann hob er entschlossen den Kopf. »Gut, Sergeant«, murmelte er nachdenklich. »Wir werden uns morgen die Post an sehen. Da Conway seine Leute angekündigt haben muss, erfahren wir, wann Conways Brief hier eintraf. Das muss mindestens vor fünf Tagen gewesen sein, denn sonst hätte man Clane nicht benachrichtigen und der Kerl unmöglich bis in die Soledad-Berge kommen können.«
»Fünf Tage wäre sehr knapp«, murmelte Steve. »Sechs Tage müsste es schon her sein, glaube ich, Sir, was soll mit den drei Gefangenen passieren?«
»Diese Nacht schmoren lassen, morgen nehmen wir sie uns vor«, entschied Macomb grimmig. »Ich werde es herausbekommen, Margley. Das fehlte noch, dass uns hier ein Sheriff oder Marshal herumschnüffelt. Die Armee klärt ihren Ärger allein, was?«
Er nickte Steve zu. Der salutierte, ging hinaus und wartete, bis Barry Cameron nach zwei Minuten herauskam.
»Er klärt das, verlass dich darauf«, brummte der First Lieutenant leise. »Steve, aus dem Depot wurde immer gestohlen und die Sachen in Placita an Hehler verkauft. Fünfzehn Mann sind im Depot beschäftigt. Einer von ihnen wird mit einem Hehler zusammenstecken, und der sich Clane gekauft haben, um Conways Transporte zµ überfallen. Pass auf, so ist es gewesen. In Placita leben vier Händler, einer der Kerle könnte es sein, oder?«
»Kann schon hinkommen«, murmelte Steve. »Ich habe noch Arbeit, Barry. Ich darf Mr Seward einen ausführlichen Bericht liefern, heute noch.«
Barry Cameron zuckte zusammen und sah Steve verstört an. »Was will der Kerl? Hölle und Pest, warum haben sie uns diesen widerlichen Burschen hergeschickt? Wozu braucht er einen Bericht?«
»Für seine Akten – und schön ausführlich«, erwiderte Steve grimmig. »Ich ahne, dass er mich dreimal denselben Bericht schreiben lassen wird, Barry.«
»Dieser verdammte Bursche bekommt das fertig«, schnaufte Cameron. »Das ist ein genauso widerlicher Vogel wie sein Onkel. Hör zu, Steve, macht er dir Ärger, kommst du zu mir. Ich gehe dann zum Major, dann werden wir sehen, was daraus wird.
»Lass den Major heraus«, meinte Steve achselzuckend. »Ich werde mit Seward schon fertig. Und wenn ich ihm die Nase verbiegen muss.«
»Fass ihn an, dann weißt du, was passiert«, warnte ihn Cameron ernst. »Steve, geh bloß nicht auf den Kerl los.«
»Mehr als umbringen kann ich ihn nicht«, sagte Steve Margley mit einem flüchtigem Grinsen. »Na, dann will ich mich hinsetzen und schreiben.«
*
Steve Margley hörte, wie Corporal Dillon leise mit den beiden Posten am Tor sprach. Dillon redete so leise, wie ein Mann, der nicht wollte, dass seine Stimme weiter als drei Schritt reichte. Und Steve war sicher, dass Dillon jetzt über ihn und Seward redete.
Die Nacht war sternklar, das Mondlicht schon schwach, und die Luft hatte sich immer noch nicht abgekühlt. Margley ging zwischen den Zeltreihen durch zur Depotbaracke. Sie lag hart am Außenzaun. Die Laterne über ihrer Tür beleuchtete die nächsten beiden Zelte. Das eine Fenster war erleuchtet, in dem Sergeant Crumbs sonst saß. Durch das geschlossene Fenster sah Margley auf die Tür zu Captain Sewards Dienstzimmer.
Dann prustete das Pferd rechts neben der Baracke. Es war Sewards Grauschimmel, auf dem Seward manchmal in nur zwei Stunden nach San Patricio ritt. Jeder Mann im Fort wusste, dass dort Moira Shields auf Seward wartete.
Das Girl war schwarzhaarig und gewohnt, dass Männer bei ihrem Anblick die Augen und Hälse verdrehten. Seward hatte die Shields – sie war im Texas-Horne-Saloon El Pasos als Animiergirl beschäftigt gewesen vor knapp vier Wochen nach San Patricio geholt.
Angeblich hatte Seward auch irgendetwas mit der Tochter von Gomez, der einen Store in Placita besaß. Sewards Weibergeschichten waren wochenlang Gesprächsstoff im Fort gewesen.
»Der bekommt es fertig und reitet heute noch hin«, murmelte Steve. Dann öffnete er die Barackentür und trat in Sergeant Crumbs Zimmer.
Erst in diesem Moment hörte Steve das schwere, heftige Keuchen drüben hinter der nächsten Tür. Etwas polterte, dann klirrte es, und jemand ächzte: »Lass los, du verdammter Narr, lass los, oder ich …«
Margley blieb erschrocken stehen.
Es hörte sich an, als wenn drüben jemand kämpfte. Die heisere Stimme brach jäh ab. Und dann brüllte der Donner eines Schusses dumpf durch die Baracke. Einen Moment hatte Steve das Gefühl, vor Schreck gelähmt zu sein. Dann jedoch sprang er mit einem Satz auf die Tür zu, riss sie auf und sah Seward vor sich.
Der Captain lag rücklings über seinem Schreibtisch. Seine Beine gaben jetzt nach, und er rutschte über die Kante des Tisches, bis seine Knie den Boden berührten. Seward hielt seinen Dienstrevolver zwischen den Händen. Sein Blick war auf die Seitenwand gerichtet. Dort war das Fenster, dessen Vorhang zugezogen war, sich aber im Zugwind bewegte.
Sewards Mund stieß eine Reihe dumpfer, grässlicher Laute aus. Anscheinend wollte der Captain etwas sagen, aber er brachte nicht mehr als ein Lallen zustande. Sekundenlang kauerte er auf den Knien in einer blauen Tintenlache, das Tintenfass lag zersplittert auf dem Boden.
Unwirklich langsam und ruckartig bewegte Seward den Kopf. Er sah nun Steve Margley an, seine Augen weiteten sich, seine Lippen bewegten sich, und Margley glaubte einige Wortfetzen zu verstehen, während er wie gebannt in der Tür stehen blieb.
»Da – da – hat …«
Jetzt endlich verließ der Schreck Margley, und er sprang an Seward vorbei zum Fenster. Seine Hand schleuderte den Vorhang auf. Er starrte, leicht geblendet, durch das helle Licht des Raumes, in die nun tiefschwarz wirkende Nacht draußen.
Der Fensterflügel war weit geöffnet, und während irgendwo rechts an der Zaunwache jemand durch die Nacht schrie, glaubte Margley eine Bewegung jenseits des Zaunes seitlich der Baracke zu erkennen. Die Kisten standen auf dieser Zaunseite. Hinter ihnen huschte jemand davon.
Dann tauchte der Schatten den Bruchteil einer Sekunde an der Stallfront des Handelsstores auf, der kaum zehn Schritt vom Zaun entfernt war. Obgleich der Mann geduckt lief und seine Größe kaum zu bestimmen war, war Steve sicher, dass der Bursche nur mittelgroß sein konnte.
Der davonstürmende Mister tauchte um die Stallecke. Sein Schatten zeichnete sich gegen irgendeinen Lichtschein aus dem Handelsstore scharf ab.
Jetzt erkannte Steve auch, dass der Mann einen dreiviertellangen Rock und einen runden Hut trug. Dann war der Bursche wie ein Spuk verschwunden. Er musste auf die Kisten gesprungen und so über den Zaun gekommen sein. Margleys Hand zuckte zum Revolver, sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, aber ehe er den Revolver herausbrachte, polterte es schwer hinter ihm.
Mit einem Ruck fuhr Margley herum. Captain Alec Seward war mitten in die blaue Tinte gefallen. Sein Armeerevolver lag einen Schritt vor seinen sich zuckend bewegenden Händen.
Durch das Fenster drangen lauter werdende Rufe zu ihm, während Margley zu Seward sprang und ihn an den Schultern hochzog. Sewards Kopf fiel nach vorn.
»Captain«, keuchte Steve entsetzt. »Captain, wer war das? Captain, hören Sie mich, wer war das?«
Er kauerte, Steward an den Schultern haltend, am Boden. Seward hob die Hände, als wollte er sich an ihm festklammern. Dann wurde sein Körper plötzlich schwer wie Blei, und er knickte in den Hüften ein, indem sein Kopf schwer gegen Margleys Brust schlug. Steve ließ Seward fallen, dann bückte er sich nach Sewards Colt, hob die Waffe auf und roch an der Mündung.
Im selben Augenblick flog nach einem wilden Getrappel die Tür auf.
First Corporal Dillon stürmte in den Raum, blieb wie angewurzelt stehen und stierte, den Colt in der Faust, Margley an.
Aus Dillons Gesicht wich jeder Blutstropfen. Sein Blick wanderte nach unten, Margley, dessen Augen dem Blick folgten, sah nun, dass sein Bericht, den er in der Hand gehabt hatte, als er in den Raum sprang, zerknüllt in der Tinte lag.
»Bist du wahnsinnig?«, keuchte Dillon im nächsten Moment entsetzt. »Sergeant, was hast du gemacht? Warum hast du ihn erschossen? Den Revolver weg, Sergeant, oder …« Seine Hand fuhr in die Höhe, sein Colt deutete auf Margleys Brust. »Was soll ich?«, schnaufte Steve verstört. »Dillon, Mensch, du glaubst doch nicht…«
»Ich glaube nur, was ich sehe!«, schrie Dillen los. »Alle Teufel, ich wollte hören, wie Seward dich fertigmachte, und ging dir nach. Aber das, Mensch, das durftest du verdammt nicht tun, Sergeant!«
»Dillon, du bist verrückt«, ächzte Steve entgeistert. »Ich soll …«
»Lass fallen, oder ich drücke ab!«, kreischte Dillon. Er war Margley körperlich weit unterlegen, und er wusste, dass Margley der gefährlichste Mann im Fort war.
»Lass fallen! Du hast selbst gesagt, du würdest ihn noch umbringen. Mein Gott, jetzt hat der Narr es getan. Das kostet dich den Hals, Sergeant, weg mit dem Colt. Himmel, er hat ihn mit seinem eigenen Revolver erschossen.«
»Dillon, Kerl …«
Steve Margley stockte die Stimme.
Plötzlich wusste er, warum Dillon entschlossen war, auf ihn zu feuern. Dillon war der Mann, der jemand informiert hatte. Es musste Dillon sein. Wer immer von außen den Weg über die Kisten genommen hatte und hier eingestiegen war, Dillon hatte den Mann gedeckt. Es musste der Mann gewesen sein, dem Dillon die Informationen über Conways Wagen geliefert hatte.
Wahrscheinlich hatte Seward sein Pferd selber geholt. Jener Mann war, gedeckt durch Dillon, der die Posten abgelenkt hatte, hier eingestiegen, um vielleicht Conways Brief zu stehlen. Seward musste den Kerl überrascht haben.
Allmächtiger, schoss es Steve durch den Kopf, Dillon legt mich um, er wird glauben, dass ich den Kerl auch gesehen habe, Dillon schießt mich nieder, damit ich nicht mehr reden kann. Er muss doch gesehen haben, dass ich nur wenige Sekunden vor dem Schuss in die Baracke trat.
»Das Fenster, Dillon, da, das Fenster, dort ist er …«
Dillons Blick flog zum Fenster, und in derselben Sekunde schnellte Steves Fuß steil nach oben. Ehe Dillon abdrücken konnte, fegte Steves Stiefel unter seine Hand und jagte den Revolver aus Dillons Fingern.
Den Fuß zurücksetzend sprang Margley vorwärts. Seine Faust traf den Corporal mit voller Wucht gegen die Brust. Aufschreiend flog Dillon hintenüber. Er sauste durch die offene Tür in Sergeant Crumbs Zimmer.
Raus, dachte Steve, das Pferd fiel ihm ein, und er wusste, was er zu tun hatte. Seine einzige Chance war, dass er den Mann mit dem dreiviertellangen Rock und dem runden Hut noch erwischte. Hatte er den Mann, konnte er beweisen, dass Dillon diesem Burschen die Informationen über Conways Transporte geliefert hatte.
Mit einem Stoß schleuderte Margley die Tür zu. Er drehte den Schlüssel um, hörte Dillon laut gellend schreien und sprang gleich zum Fenster. Dann schwang er sich hinaus, duckte sich und flog um die Ecke. Verschwommen sah er die Schatten der Posten an den Wagen auf die Baracke zustürmen. Sie schrien alle laut durcheinander, aber niemand schien ihn an der Giebelseite der Baracke und neben dem Pferd zu sehen.
Blitzschnell zog sich Margley in die Höhe, saß im Sattel und trieb das Pferd scharf an. Während er auf die Kisten zuraste und das Pferd immer schneller wurde, krachte es hinter ihm ohrenbetäubend.
»Haltet ihn auf, er hat den Captain erschossen!«, hörte er Dillons schrille Stimme. »Haltet ihn, haltet ihn! Da, da reitet er, haltet ihn! Dein Gewehr her, Bishop, dein Gewehr!«
Du gerechter Gott, der schießt, der muss mich erschießen, weil er ahnt, was ich weiß.
Das Pferd raste an den Kisten vorbei, als der erste Schuss fiel. Die Kugel fauchte über Margley hinweg. Dann kam der Zaun immer näher, und Margley, der genau wusste, wie gut der Grauschimmel springen konnte, stellte sich in die Steigbügel.
Irgendwo rechts rannten Männer.
Hinter ihm gellten Dillons Schreie durch die Nacht. Der Grauschimmel spannte sich und sprang – hochgerissen von einem wilden Zügelruck – mit einem Riesensatz über den Sperrzaun. Kaum aber setzte er an der anderen Seite und außerhalb des Depots auf, als der zweite Schuss durch die Nacht krachte.
Margley wollte zum Handelsstore, doch er kam nicht mehr hin. Ein Ruck schien durch den Grauschimmel zu gehen. Das Tier wieherte grell los, und Margley spürte einen Hieb in seiner Hüfte. Dann raste Sewards Grauschimmel vorwärts, quer vor dem Store her und vorbei an Leuten, die schreiend auswichen.
Das Pferd ging durch, es stürmte, Margley im Sattel, den der Schmerz nun packte, wie verrückt geworden nach Osten. Obgleich Steve Margley an den Zügeln riss, gelang es ihm nicht, das Pferd zu halten. Schmerz begann in Steves Hüfte zu zucken und jagte ihm Stiche durch die Seite.
Steve sah sich um. Im fahlen, letzten Mondlicht flogen Büsche und Sträucher vorbei, aber ganz hinten sah er nun einige Punkte, die die Breite des Tales einnahmen und ihm folgten.
Plötzlich erkannte Margley, dass die Schreie Dillons jene immer im Store, dem angeschlossenen Saloon und dem danebenliegenden Frachthof herumlungernden Männer in die Sättel gebracht hatten. Eine ganze Meute verfolgte ihn jetzt.
»Hölle und Pest!«, stöhnte Steve Margley. »Sie jagen mich, und wenn sie nahe genug kommen, knallen sie mich ab. Bei dem Durcheinander am Store ist jener Hundesohn, der Seward erschoss, unbemerkt verschwunden, wette ich. Vielleicht beteiligt er sich jetzt an der Jagd auf mich, was?«
Erst in diesem Moment packte Margley die Furcht. Der Mörder Sewards hatte todsicher auch sein Pferd genommen und verfolgte ihn jetzt. Der Mann konnte sicher sein, ob Margley ihn nicht doch erkannt hatte. Jetzt besaß er die Chance, Margley zu erschießen, und nichts war einfacher, als eine Verfolgermeute durch den ersten Schuss zur wilden Schießerei zu bringen.
Margley erinnerte sich nun auch, dass er bei der Ankunft am späten Abend einige jener rauen Burschen am Store gesehen hatte, die für Geld jede Arbeit taten. Sewards Mörder brauchte nur etwas von einer Belohnung zu schreien, und die ganze Meute würde sie sich verdienen wollen.
Steve Margley blieb nur die Flucht nach Osten in die Wüste. Dort kannte er sich aus, und er konnte jeden Verfolger in ihr abhängen. Vielleicht bekam er dann die Chance, umzudrehen und Barry Cameron zu erreichen. Er war nur sicher, wenn er unbemerkt Cameron aufsuchen und mit ihm reden konnte.
Margley beugte sich nach hinten. Das Licht reichte noch aus und zeigte ihm einen kaum blutenden Riss an der Hinterhand des Grauschimmels.
Die Kugel hatte das Pferd gestreift, ehe sie Steve in die linke Hüfte gefahren war. Der Grauschimmel lief bereits ruhiger, die Wunde war ungefährlich, das Tier schnell genug, um jeden Verfolger abzuhängen.
»Nun gut!«, knirschte Steve finster. »Das Pferd ist in Ordnung, aber ich?«
Er zerrte die Uniformjacke hoch und das Hemd aus der Hose. Danach musste er den Hosenriemen öffnen, um an die Wunde zu kommen. Sie saß genau auf der Höhe des zweimal durchschlagenen Hosenriemens. Das Geschoss hatte die Hüfte durchschlagen, und wenn die Wunde auch nicht gefährlich war, sie blutete so heftig, dass jede Bewegung das Blut aus Einund Ausschuss trieb.
Steve fluchte leise, öffnete dann Sewards Satteltasche und fand tatsächlich eins von Sewards Hemden. Das Hemd zusammen wirbelnd, schlang er es so um die Hüfte, dass er es an den Ärmeln zusammenknoten konnte.
»In Ordnung, durchbluten wird das nicht«, knurrte er grimmig. »Wenn ich jetzt noch Wasser in der Flasche habe…«
In Sewards Feldflasche war lauwarmer, stark gesüßter Kaffee. Vor Margley lagen die letzten Ausläufer der Berge. Dann kam das wellige Land, das sich nach fünfzehn Meilen zum Rio Pecos senkte. Hinter dem River aber begann der Llano, die tödliche Wüste.
Margley wusste, dass seine Verfolger bei der sternenklaren Nacht die Staubfahne, die sein Pferd hinterließ sehen mussten. Er konnte keinen Haken schlagen, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Es kam jetzt darauf an, den Abstand zu der Meute zu halten, bis die Pferde der Verfolger müde wurden. Dann erst musste sich die Schnelligkeit des Grauschimmels auszahlen, aber bis dahin konnten Stunden vergehen.
Steve Margley dachte an die Wüste, die er wie seine Tasche kannte. In ihr narrte er jeden Verfolger.
*
Major Macomb richtete sich auf. Er legte den zerknitterten Bericht Margleys auf den Tisch, ehe er den Doc ansah, der die Achseln zuckte.
»Einschuss unter den Rippen schräg nach oben«, sagte Doc Brettwood, der Fortarzt, düster. »Innere Blutung, Major. Eine Schwellung unter dem linken Auge, sie kann nicht von seinem Fall herrühren, eher ein Schlag.«
First Lieutenant Barry Cameron war bleich und biss die Zähne zusammen, als ihn Macomb ansah. First Corporal Dillon stand neben der Tür, er sah zu Boden, Joe Jenkins war in Sergeant Crumbs Zimmer.
»Also ein Hieb, ein Schlag«, murmelte Macomb finster. »Cameron, wie sieht der Schreibtisch aus, nun?«
»Sir, als hätte jemand einmal mit dem Arm über ihn gefegt«, antwortete Barry Cameron gepresst.
»Wie nach einem Kampf, Cameron – oder?«, knurrte Macomb scharf. »Die Tinte am Boden, der zerknitterte Bericht Margleys, der Hieb, der Captain Seward traf. Corporal Jenkins!«
»Befehl, Sir?« Jenkins trat ein und blieb steif stehen.
»Jenkins«, fuhr ihn der Major an. »Nach diesem Zusammenstoß mit Captain Seward sagte Margley das, was Dillon erzählt hat … Sagte er es oder nicht …?«
»Sir, er – er sagte es, aber ich glaube nicht, dass er es so meinte.«
»Das glaube ich auch nicht«, meldete sich Dillon zerknirscht. »Sir, ich verlor fast den Verstand, als ich Sergeant Margley mit Captain Sewards Colt in der Faust hier stehen sah.«
»Mann, er hatte den Revolver in der Faust, und Seward war tot – oder nicht?«, fauchte Macomb grimmig. »Sie haben gesagt, der Sergeant hätte Captain Seward erschossen, Sie haben es geschrien! Was reden Sie jetzt noch von anderen Dingen?«
»Sir, das Fenster«, ächzte Dillon und wurde blass unter Macombs finsterem Blick. »Er sagte etwas vom Fenster. Sir, er kann gar keine Zeit gehabt haben, das Fenster zu öffnen, weil er ja noch bei Captain Seward kniete.«
»Soll mich der Teufel holen, wenn ich Ihr Gerede verstehe, Dillon«, knurrte der Major. »Das Fenster kann offen gewesen sein.«
»No, Sir«, stieß Dillon heraus. »Sir, fragen Sie Sergeant Crumb, Captain Seward ließ das Fenster im äußersten Hakenring nur spaltbreit öffnen und band den Haken dann fest, damit das Fenster nicht klapperte. Er – ich meine, der Captain, Sir – zog auch den Vorhang immer dicht zu – wegen der Mücken, Sir.«
»Crumb?«, fauchte Macomb und fuhr herum. »Wie war das, musste das Fenster immer geschlossen sein, Mann?«
»Yes, Sir«, versicherte Crumb augenblicklich. »Ich musste das Fenster immer so weit öffnen und festbinden. Sehen Sie, Sir, da ist der Bindfaden, er ist zerschnitten, Sir!«
Crumb, ein bulliger, dicker Mann, deutete auf den unteren Riegel.
»Tatsächlich«, stellte Macomb verwundert fest. »Crumb, haben Sie das Fenster auch an diesem Abend so gesichert?«
»Yes, Sir, auch heute. Dillon sagt, das Fenster wäre offen gewesen.«
»Es war offen, weit offen, und der Vorhang aufgezogen, etwas über die Hälfte, Sir«, sagte Dillon hastig. »Sir, ich ging dem Sergeanten nach. Er blieb an den Wagen stehen, das sah ich noch. Dann kam die Nachtpatrouille vorn am Zaun vorbei, ich sah mich nach ihr um.«
»Aber Sie sahen nicht, dass Sergeant Margley hier eintrat, auch nicht das Öffnen der Tür und den Lichtschein, Dillon?«, fragte Cameron scharf. »Wie lange sahen Sie zur Nachtpatrouille, Dillon?«
»Vielleicht eine Minute«, erklärte Dillon. »Sir, die Pferde schnaubten, und die Hufe machten Lärm, ich hörte auch nicht, dass Sergeant Margley die Baracke betrat. Als ich mich wieder umsah, war er verschwunden. Ich ging langsam weiter, war aber noch nicht an den Wagen, als der Schuss fiel.
Im ersten Moment wusste ich nicht, woher er gekommen war. Das Echo täuscht, weil der Store drüben liegt und man dort manchmal im Schankraum schießt, wenn einer zu besoffen, zu betrunken ist, Sir.«
»Nun gut«, meldete sich Macomb scharf. »Cameron, lassen Sie die Fragerei, hier frage ich. Dillon, wie lange brauchten Sie, bis Sie in der Baracke waren und den Sergeant sahen? Vom Moment an, als die Nachtpatrouille kam?«
»Sir, keine zwei Minuten«, erwiderte Dillon heftig. »Ich glaube, Sir, es war mein Fehler. Jeder von uns wusste, dass Captain Seward den First Sergeant schika…, ich meine, dass er ihn nicht mochte, Sir. Als ich ihn dann mit dem Colt in der Hand vor dem Captain sah und mir einfiel, was er am Abend gesagt hatte, dachte ich …«
»Schon gut«, knurrte Macomb. »Sie dachten, er hätte den Captain erschossen, und er sagte, Sie wären verrückt. Dann sagte er noch etwas vom Fenster, Sie sahen hin, und er sprang Sie an.
Cameron, das Fenster war also offen, Margley konnte höchstens zwei Minuten bei Captain Seward gewesen sein. Er gab ihm seinen Bericht, vier Seiten lang. Nehmen wir an, Seward hätte zwei Seiten gelesen und ihn dann für schlecht erklärt. Nehmen wir an, Margley schlug zu, dann dürfte Captain Seward wohl am Boden gelegen haben, oder?«
»Wenn Margley zugeschlagen hat, todsicher«, murmelte Barry Cameron bitter. »Nach einem Hieb Margleys steht so schnell niemand mehr auf, oder, Dillon?«
»Mich traf er nur gegen die Brust, und ich flog vier Schritt weit«, ächzte Dillon. »Sir, wenn er Captain Seward auf das Auge geschlagen hätte, wäre der Captain drei Minuten liegen geblieben, ganz sicher, Sir.«
Um Macombs Mundwinkel zuckte es.
»Also gut«, knarrte er. »Margley hätte Captain Seward bestimmt nicht den Revolver ziehen lassen. Ferner hätte er zum Fenster rennen, den Bindfaden zerschneiden und es öffnen müssen, ehe er wieder zu Captain Seward zurückkehrte, alles in knapp zwei Minuten? Dillon, Sie Narr, Sie haben durch Ihre verdammte Schießerei und das Gebrüll diese Meute auf Margley gehetzt! Ist Ihnen das klar, Mann?«
»Sir, ich dachte wirklich …«
»Sie dachten, wenn Sie schon denken«, fauchte der Major. »Dillon, Captain Seward holte sein Pferd aus dem Fort, ehe der Sergeant kam. Wie viel Minuten vor dem Sergeant passierte der Captain die Wache?«
»Vier, fünf Minuten höchstens, Sir.«
»Da haben wir es«, knirschte Macomb grimmig. »Crumb, ist das Schreiben von Mr Conway da, sehen Sie nach, Mann, schnell.«
Crumb stürzte zu seinen Akten, suchte und schüttelte den Kopf.
»No, Sir, es ist verschwunden«, keuchte er verstört.
»So, ist das also«, stellte Macomb scharf fest. »Vor sechs Tagen kam Conways Schreiben, wissen Sie das genau, Crumb? Also gut; vor sechs Tagen. Jetzt ist es verschwunden – es kann auch schon vor sechs Tagen aus den Akten genommen worden sein, was? Wahrscheinlich aber erst heute – und von jemand, der von außen das Fenster öffnete, indem er den Bindfaden zerschnitt. Am Fensterrahmen ist ein Kratzer, die Farbe ist ab, als hätte jemand sein Messer durch den Spalt gezwängt und den Bindfaden zerschnitten. Der Kerl tat es, als der Captain im Fort war, um sein Pferd zu holen, ist das klar?«
»Du großer Gott«, stieß Barry Cameron hervor. »Der Kerl stieg ein, suchte das Schreiben, fand es, kam aber nicht mehr aus dem Fenster, weil Captain Seward zu schnell hier war. Seward wurde niedergeschlagen, war aber nicht besinnungslos, zog seine Waffe und musste mit diesem Halunken kämpfen.«
»Vielleicht befürchtete der Bursche, dass wir den Mann, der an Clane Conways Transporte verriet, nur unter den fünfzehn im Depot beschäftigten Leuten suchen würden.
Jenkins, sagte der Sergeant unterwegs etwas davon, dass nur jemand aus dem Depot der Verräter sein konnte?«
»Yes, Sir, wir redeten alle darüber, auch vorhin im Fort.«
»Nun?«, brummte Macomb. »Cameron, alle redeten – und der Kerl hörte es. Ließ er das Schreiben verschwinden und steckte er es einem der vierzehn anderen hier beschäftigten Leute in die Sachen, mussten wir es finden und jenen Mann verdächtigen.
Dieser Kerl ist unter Ihren Leuten, Sergeant Crumb. Rufen Sie sofort Ihre Leute zusammen, alle ohne Ausnahme.
Dillon, unter dem Fenster hier gibt es jetzt dreißig Spuren, statt vielleicht einer, verstanden? Dafür haben Sie mit Ihrem blödsinnigen Geschrei gesorgt. Der Boden ist zertrampelt, und der einzige Mann, der diese Spur hätte lesen können, hat ein Dutzend zwielichtiger Halunken im Nacken.
Cameron, was wird er tun, um sie abzuschütteln?«
»Mit Sewards Pferd hängt er sie ab«, erwiderte Barry Cameron knapp. »Ich glaube nicht, dass es ein besseres Pferd bei seinen Verfolgern gibt. Er wird sie in die Wüste locken, Sir.«
Macomb nickte. »Cameron, was stehen Sie noch hier? Nehmen Sie sich zehn Mann, halten Sie Margley das Gesindel vom Hals und bringen Sie ihn her, verstanden? In der Zwischenzeit sehe ich mir jeden Mann aus Crumbs Abteilung an. Ich werde den Kerl finden, keine Sorge. Das können Sie auch Margley sagen.«
*
Es war kein Heulen mehr, das Steve Margley umtoste. Ein geiferndes, schrilles Brüllen erfüllte die Luft mit einem Wabbern, das die Trommelfelle platzen lassen wollte.
Kurz nach dem Mittag hatte es begonnen. Jetzt fauchte und röhrte der Llano-Sturm bereits seit vier Stunden, durch den sich Margley mühsam und Schritt für Schritt kämpfte.
Steve verließ sich nur auf den Wind, der von Osten kommen musste. Er ließ sich von ihm schieben und bekam nur mühsam Luft. Das Pferd war tot. Es lag irgendwo hinter Steve im Sturm. Er taumelte manchmal und knickte oft ein. Die Sicht betrug keine fünf Schritt mehr, und das Tageslicht war jetzt einer düsteren gespenstischen Dämmerung gewichen.
Wo seine Verfolger geblieben sein mochten, konnte Steve nur raten, Bei dem Sturm verlor man binnen weniger Minuten die Orientierung. Wahrscheinlich waren sie abgesessen und irgendwo an Kakteen oder den wenigen Büschen, vielleicht auch in einer Mulde, in Deckung vor dem orkanartigen Sturm gegangen.
Der feine Flugsand hatte jenen bitteren, beißenden Geschmack des Alkalis angenommen. Er drang durch das doppelt gelegte Halstuch, das sich Margley vor den Mund gebunden hatte. Die Nasenlöcher waren bereits geschlossen.
Mehrere Minuten kauerte sich Margley hin und zog sich die Decke über den Kopf.
In der stickigen Luft unter der Decke glaubte Steve Margley nicht mehr atmen zu können. Irgendwann in diesem gewaltigen Brüllen des Sturmes, das kein Ende nehmen wollte, übermannte Margley dann doch die Müdigkeit. Er schlief ein, doch es konnten keine zwei Stunden vergangen sein, als ihn das Nachlassen des Sturmbrüllens und die unwirkliche Stille weckten.
Margley kroch im Säuseln des Windes, der lange Sandfahnen vor sich her wirbelte, unter der Decke hervor. Auf den Knien liegend spürte er, wie es in seiner Hüfte hämmerte, als klopfte jemand unablässig mit einem Holzhammer in seine Seite.
Dann nahm er das Gewehr, sah nach seinem Revolver und ging steifbeinig los. Die Sicht betrug etwa hundert Schritt, es war nur wenig heller als zurzeit des wildesten Sturmbrüllens. Von der Sonne war nichts zu sehen.
»Im Osten«, flüsterte Margley abgerissen. »Im Osten müsste die Indianerquelle sein, also los, versuchen wir es. Ich muss Wasser finden.«
*
Steve Margley glaubte einen Feuerring zu sehen, von dem eine Million glitzernder, bunter Strahlen nach allen Seiten davonschwebten. Danach entstanden lauter kleine, runde Blasen wie Seifenschaumkugeln, die sich in- und durcheinanderschoben. Irgendwo in der Luft war ein hohes, pfeifendes Singen, das in seinen Ohren nichts als Schmerz hervorrief.
Jemand kicherte. Vielleicht war es auch eine Ziege, denn es glich mehr einem Meckern, was Steve zu hören glaubte.
»Trink«, meckerte es über ihm. »He, Junge, nun trink schon!«
Margley hatte das Gefühl, auf der glühenden Platte eines gewaltigen Herdes zu liegen und geröstet zu werden. Erst eine lauwarme Brühe, die nach Leder schmeckte und ihn doch etwas erfrischte, ließ ihn die verklebten Lider spaltbreit öffnen.
Er sah jetzt die Sonne – einen ungeheuren Ball roter Glut, und er wendete ächzend den Kopf, um nicht geblendet zu werden. Seine Erinnerung setzte schwach, aber einigermaßen deutlich ein. Margley erinnerte sich an die Nacht, an einen Himmel ohne Sterne und den Wind, der fauchend und winselnd durch Kakteen und Büsche gegangen war. Er wusste auch noch, dass die Sonne wieder am Horizont aufgegangen war, aber es war der falsche Horizont und die völlig entgegengesetzte Richtung gewesen, in der er sich bewegt hatte, weil die Sonne nicht hinter, sondern vor ihm gewesen war.
Sein Begreifen hatte ausgereicht, um ihn zu der Erkenntnis kommen zu lassen, dass er blindlings dem Wind gefolgt und statt nach Südwest nach Nordost gegangen sein musste.
Irgendwann, so erinnerte er sich, hatte er die Richtung geändert. Als die Sonne im Zenit stand, waren einige Kakteen, die vereinsamt in einem Tal standen, sein Schattenspender geworden. Aufgewacht am Nachmittag und beim tieferen Stand der Sonne, hatte er sich mühsam erhoben, um weiterzutorkeln.
Es war wieder Nacht geworden, sternenklarer Himmel mit einer winzigen Sichel, der er nachgegangen war. Wie weit wusste Margley nicht mehr. Von irgendeinem Zeitpunkt an, der Mitternacht oder später gewesen sein konnte, fehlte ihm jede Erinnerung.
Jetzt hörte er das Gemecker wieder, ein Gesicht schob sich in sein Blickfeld, das kaum Gesicht, sondern mehr ein wuchernder Bart war, aus dem zwei kleine Äuglein ihn anfunkelten.
»Hähä – erkennst du mich, Söhnchen?«
Es war dieses Söhnchen, das irgendeine Spur des Erkennens brachte. Dennoch brauchte Margley länger als eine Minute, ehe er wusste, wen er vor sich hatte.
»Na, kennst du mich nicht mehr, Söhnchen?«, fragte der Bart über ihm noch einmal. »Lange, lange her, sehr lange, Söhnchen, wie?«
»Gropie Williams«, ächzte Margley. »Gropie …«
»Ja, ja, ich«, meckerte Gropie Williams. »Ich, der alte Gropie, ja, ja, Söhnchen. Sah Geier, fand ein Pferd. Freute mich schon, weil das Brandzeichen mir was erzählte, ja, ja.«
Margley lag still. Er konnte nicht mehr schnell denken, nicht mal so geschwind wie der Alte sprach. An das Brandzeichen erinnerte er sich. Aber es war ein Seward-Pferd mit dem Seward-Brandzeichen gewesen. Der Alte hatte also das Pferd gefunden. »Verstehst du? Freute mich schon, vielleicht einen Seward zu finden, Söhnchen; ja, ja.«
Er kicherte nun anders, es klang wie das grimmige Gemecker eines wütenden Ziegenbockes. In Margleys Kopf begann sich etwas zu lichten. Er erinnerte sich an Old Gropie und die Sewards.
Es war gar nicht seltsam, dass alle schlechten Dinge in diesem Land irgendwie mit den Sewards zusammenhingen. Auch Gropie war ein Opfer der Sewards geworden, wenn man so wollte.
Seine kleine Ranch am Unterlauf des Rio Bravo hatte den Alten und dessen Frau kaum ernährt. Dann starb Mrs Williams irgendwann vor neun oder zehn Jahren. Gropie hatte zu trinken begonnen, aber Durst war teuer, und gutmütig war Gropie auch immer gewesen, obwohl er ein Rind nach dem anderen verkaufte, um seinen Durst stillen zu können, spendierte er noch manchen Drink für andere. Schließlich hatte er keine Rinder mehr besessen, aber Hände und ein Lasso, um Sewards Mavericks einzufangen.
Eines Tages hatten sie den Alten dabei erwischt, in die Stadt und das Jail gebracht. Danach war die Ranch von Bill Seward, der lebenden Mumie, zu einem Spottpreis aufgekauft worden. Gropie hatte sieben Monate bekommen, und als er wieder herauskam, war er in die Wüste gezogen, fort von den Menschen.
Bei seinem Auszug mit seinem Wagen und ein paar Habseligkeiten hatte ihn der Weg bei den Margleys vorbeigeführt. Er war still geworden, der Alte, er hatte auch nicht so verrückt gelacht wie jetzt.
Zwei Jahre später waren Steve und Owen Margley ihm wieder begegnet, in El Paso. Er verkaufte dort Schlangenhäute, aus denen man Taschen machen konnte. Und vor knapp einem Jahr hatte Steve den Alten bei der Indianerquelle getroffen, als er mit einer Rekrutenpatrouille durch den Llano ritt.
»Du – Drei-Winkel-Sergeant«, kicherte der Alte. »Wir müssen weg, der Sturm kommt wieder, ja, ja. Soll ich dich verstecken?«
»Verstecken? Warum, Gropie?«
»Hähä, hast geredet, warst nicht richtig da, aber hast geredet. Ist er tot, dieser Seward-Captain? Sind sie hinter dir her?«
Margley wollte etwas sagen, aber da kam der Schüttelfrost und ließ seine Zähne zusammenschlagen.
»Hast Fieber, weißt du? Ich bring dich weg, ich verstecke dich, hörst du? Wer einen Seward umbringt, hat ein gutes Werk getan, Söhnchen. Soll ich dich verstecken, dass dich keine Seele findet?«
Der Schüttelfrost verging, aber nun fühlte sich Margley elend vor dem Tod.
»Gropie – sie sind hinter – mir her! Bring mich – weg.«
Er hörte den Alten noch lachen und fühlte sich angehoben. Als er auf den Knien lag, drehte sich alles um ihn, und er sank zusammen.
Das war das Letzte, was er fühlte.
*
Jake Margley fuhr herum, als das Brüllen der Rinder jäh hinter dem Hügel erscholl. Im nächsten Augenblick hörte er Davids heiseren Schrei an der linken Hügelflanke. Dann ließ David das Lasso plötzlich fahren, und das Maverick, das er gerade gefangen und aus der jenseits des Hügels stehenden Herde geholt hatte, rannte in Bocksprüngen davon.
Eine Sekunde stand Jake wie erstarrt neben dem Feuer, ehe er das Brandeisen zu Boden warf. Es war jene Sekunde, in der das belfernde Peitschen und Tacken von Schüssen die Luft zerfetzte.
Jake Margley lief in wilden, raumgreifenden Sätzen zu seinem Pferd. Dabei sah er zu David, der im vollen Galopp über die Kuppe des Hügels raste. Urplötzlich machte Jake die hochpuffende Staubfahne neben Davids Pferd aus.
Allmächtiger, dachte Jake entsetzt, sie schießen auf David, er flüchtet, sie schießen auf ihn. Wer feuert da, wer greift uns an?
Er sah sie noch nicht. Da war nur David, der plötzlich nach vorn einknickte und auf dem Hals des Pferdes lag, das im rasenden Wirbel der Hufe den Hang herabstürmte.
Sie haben David getroffen, das war Jakes Gedanke, als er im Sattel saß, das Gewehr aus dem Scabbard riss und durchlud. David schrie irgendetwas, das im Donnern der Schüsse und schrillen Brüllen der Herde unterging. Er konnte noch rufen, auch die Hand heben. Sein Arm deutete auf die Ecke der Weidehütte, und Jake begriff jetzt, was David schrie und was er wollte, ohne dass er Davids Stimme verstand oder seine Worte.
Jake Margley trieb das Pferd hinter die Ecke der kleinen Weidehütte. Dann riss er das Gewehr an die Schulter und wartete. David preschte nun in grader Linie auf ihn zu. Aber er war noch sechzig Schritt von der Hütte entfernt, als Jake die Männer auftauchen sah. Er erkannte sie auf den ersten Blick, allen voran Corton, den hageren Zureiter der Sewards. Danach erschien wie hingezaubert, die Pferde im vollen Rennen über den Hügel treibend, eine Kette von vier Mann.
»Schieß ihre Pferde ab!«, hörte Jake nun endlich David schreien. »Schieß, Bruder! Es sind sieben, sie jagen unsere Herde in die Rio Bravo-Schlucht! Schieß!«
Die Wut kam, jener schnelle, wilde Zorn, den Jake wie seine Brüder von Owen Margley geerbt hatte. Er sah die Rauchwolke über Cortons Pferd stehen, ehe David neben der Hütte war.
Hund, dachte Jake voller Grimm, ihr schießt auf meinen Bruder? Ihr schießt auf unserer Weide auf meinen Bruder, ihr jagt unsere Herde in die Rio Bravo-Schlucht? Corton, du Hundesohn, da hast du es.
In derselben Sekunde zog Jake durch. Im Brüllen der Waffe und durch die graue Pulverwolke, die nun aus der Mündung schoss, stieß Cortons Pferd nach einem gewaltigen Satz wie ein Geschoss in die Höhe. Dann krachte es zusammen, und Jake sah, wie Corton sich überschlug, abrollte und blitzschnell wieder auf die Beine kam.
Im gleichen Moment schwenkte Jake das Gewehr. Sein Zorn wurde immer wilder, sein Grimm wuchs, als er den ersten Mann jener Viererkette verzweifelt an den Zügeln seines Pferdes zerren sah. Der Mann wollte den Gaul zur Seite bringen, weil Cortons Pferd vor ihm am Boden ein Hindernis bildete. Es war zu spät, das Pferd zum Sprung hochzuziehen. Der Bursche konnte nur seitlich vorbei, aber er schaffte es nicht mehr. Das Pferd prallte auf den toten Gaul Cortons, stellte sich hoch und überschlug sich, grell wiehernd.
Jakes Gewehrmündung schwang auf das nächste Pferd zu. Der Schuss krachte, das Pferd brach zusammen. Er feuerte noch einmal und sah, wie das vierte Pferd ausbrach. Bockend sprang der Braune im Kreis, und der letzte Mann hielt jäh an.
»Komm!«, schrie David in das Tacken jener Schüsse, die hinter dem Hügel fielen. »Komm, Jake, komm!«
Jake fluchte bissig. Er wäre geblieben und hätte sich in der Hütte verschanzt, aber er sah mit einem Blick nach hinten, dass David schief im Sattel hing und über seine graue Leinenjacke, die er heute trug, von der Schulter aus ein dünner roter Faden lief.
David konnte kaum schießen. Vielleicht mit dem Revolver, aber sicher nicht mit dem Gewehr. Nur darum riss Jake nun sein Pferd zurück. Dann jagte er los, hielt sich so, dass er die Hütte im Rücken hatte, und holte auf.
Aber ehe er David erreichen konnte, kamen die Schreie der Rinder. Grässliches Brüllen erklang hinter ihnen. In diesem Moment biss er die Zähne zusammen, weil er wusste, was dort hinten geschah. Einen Augenblick schloss er die Augen vor Entsetzen.
Hinter ihnen jagte man ihre Rinder in die Schlucht des Rio Bravo – hinter ihnen brachen sich zu dieser Minute vielleicht hundert oder mehr Rinder den Hals und die Hufe.
»Weiter, Jake, weiter, wir müssen zur Ranch. Jake, nicht halten!«
David rief, er sah, dass Jake zauderte, an den Zügeln zerrte und anhalten wollte. Erst Davids beschwörende Rufe ließen Jake die Hacken einschlagen und das Pferd vorwärtstreiben. Wenige Sekunden später ritten sie nebeneinander her, und Jake starrte auf den immer größer werdenden Fleck an Davids Schulter.
»Das ist nichts weiter«, knurrte David tief und bissig. »Bis zu Hause halte ich das durch, Kleiner. Die steckt auf meinem Schulterblatt, wette ich. Sind diese Halunken verrückt geworden? Sie müssen wahnsinnig geworden sein, Bruder. Verstehst du das?«
»Verstehen?«, brüllte Jake voller Zorn. »Was ist da zu verstehen? Die sind irre, diese Banditen. David, soll ich dir mein Halstuch unter die Jacke auf das Loch schieben? David, was ist?«
David sah sich um und knurrte wütend. »Sie kommen uns nach, schon wieder fünf Mann, und Corton dabei«, grollte er. »Verflucht noch mal, unsere Pferde sind vom Aussondern der Rinder müde, die Kerle haben frischere Gäule.
Kleiner, sie holen uns noch ein, ehe wir auf der Ranch sind. Großer Gott, was machen wir? Wir müssen sie aufhalten. Gerade Richtung zur Ranch, vielleicht hört Dad die Schießerei, was? Sie holen auf, verdammte Pest, sie kommen näher, Kleiner.«
Jake warf einen Blick nach hinten und knirschte vor Grimm mit den Zähnen.
»Die bring ich um«, stieß er heraus. »David, kannst du feuern?«
»Wenn ich liege, müsste es gehen«, erwiderte David verbissen. »Genügt, wenn ich den Finger krumm machen kann, was? Heiliger Rauch, die müssen wahnsinnig sein, wir haben ihnen doch nichts getan.«
Sie trieben ihre Pferde an.
Jake sah sich wieder um. Die Verfolgergruppe war noch gut fünfhundert Schritt entfernt, hatte aber auf eine dreiviertel Meile hundert Schritt herausgeholt. Bis zur Ranch waren es von hier aus etwa vier Meilen, und David rechnete sich kaltblütig aus, dass sie etwa zwei Meilen weit kommen konnten, ehe Corton mit seiner Horde auf sichere Schussweite heran war.
»Jake, wir schaffen es gut bis zum Steilhügel am Rio Bravo-Durchbruch«, knirschte er. »Dort machen wir kehrt und geben es ihnen, aber hol’s der Satan, wenn die alte Mumie dort auf uns wartet.«
»Alle Teufel«, zischte Jake beklommen. »Das wäre das Ende. Zwischen zwei Feuern zu stecken, überlebt keiner. David, los, ich reite vor, mein Pferd hat nicht so viel zu tragen. Wenn ich vor dir bin, schießen sie zuerst auf mich.«
»Du bist verrückt, das machst du nicht. He, Kleiner, nicht – nicht.«
Der Kleine, dachte David verzweifelt, der hört nicht mehr auf mich. Da jagt er an und opfert sich vielleicht für mich.
»Jake, schieß Signalfeuer – schieß Signalfeuer!«, brüllte er verzweifelt. »Dad muss uns hören – er hört uns jetzt bestimmt! Schieß Signalfeuer!«
Vor ihm riss Jake den Revolver aus dem Halfter, hielt die Mündung steil nach oben und schoss. Hundert Schritt weiter feuerte er wieder – und so ging es weiter, bis die Trommel leer war und er nachladen musste.
Achthundert Schritt vor ihnen tauchte jetzt der Steilhügel auf. Der Rio Bravo-Nebenarm hatte sich hier einen Weg durch den Hügel gebrochen, der gut vierhundert Yards lang war und sich wie ein Riegel quer vor ihnen erhob.
Wieder schoss Jake im Näherjagen.
Dann rammte er den Revolver nach dem Aufladen der Trommel in das Halfter. Er ritt jetzt gut achtzig Schritt vor seinem großen Bruder, sah sich um und deutete auf den Einschnitt des trockenen Nebenarmes.
David nickte ihm zu, so verständigten sie sich blitzschnell, ehe sie auf den Einschnitt zupreschten. Beide hielten, als sie sich ihm näherten, ihre Revolver in der Faust, bereit zu feuern, wenn sich etwas in ihren Weg stellen sollte.
Mit einem Blick zurück erkannte Margley, dass ihre Verfolger etwa dreihundertfünfzig Schritt entfernt waren und den Hügel direkt annehmen wollten, um die Entfernung noch zu verkürzen.
Vor David verschwand Jake jetzt, aber dann schrie er auf. David riss die Faust hoch, dachte jäh an Bill Seward und den Rest der Mannschaft, doch er schoss nicht. Im nächsten Moment preschte er aus dem trockenen Bett des Baches und sah den Mann geduckt auf seinem Pferd sitzen.
Der alte Owen Margley hatte die Lider halb geschlossen. In der Faust hielt er sein Gewehr, und in seinen Augen war nichts als Düsterheit und wilder Grimm,
»David, hoch den Hang, oben hin und dich sehen lassen!«, befahl er peitschend scharf. »Sie werden ausweichen, wenn sie dich sehen und glauben, dass ihr beide dort oben seid.
Diese verfluchten Schurken biegen todsicher rechts um den Hügel, damit ihr sie nicht unter Feuer nehmen könnt und sie in euren Rücken kommen. Zeig dich, aber Vorsicht, Junge! Auf meinem Land – Gott soll sie strafen!«
Er kocht, dachte David, du großer Geist, jetzt ist es passiert, Dad explodiert.
Er hatte ihn nie so verbissen, grimmig und entschlossen gesehen. Owen Margley preschte schon mit Jake an der Seite auf das Ende des Hügels zu. Hinter den Felsen konnte er Deckung finden, das sah David mit dem letzten Blick, ehe er von der Westflanke aus den Hügel emporritt.
Corton musste auf zweihundert Schritt heran sein, als David aus dem Sattel sprang. Der stämmige, wie ein Klotz wirkende David Margley rannte das letzte Stück, das Gewehr in der Faust. Dann sah er sie – und sie sahen ihn. Sie waren kaum noch zweihundert Schritt von ihm entfernt, aber als sie ihn entdeckten, schrie Corton irgendetwas. Seine Hand deutete nach links zum Ende des Hügels. Er riss danach sein Pferd herum und trieb es unter schrillen Schreien fort.
»Ich werde euch Beine machen«, knirschte David wild. Seine Rechte schwenkte das Gewehr. Er lud mit nur einer Hand durch.
Den Kolben an die Schulter stemmend, den linken Arm mühsam an den Abzug bringend, stützte er das Gewehr linksseitig. Und dann schoss er. Er wusste, dass er nicht traf, doch er rechnete kaltblütig wie immer mit der Wirkung, die ein Schuss haben musste.
Die Kugel schlug irgendwo zwischen den fünf Pferden ein. Sie riss eine Staubfahne empor, und Corton hing jetzt schreiend vor Furcht, dass er Flankenfeuer bekam, lang auf dem Hals seines Pferdes.
Du verdammter Narr, dachte David Margley bissig, jetzt machst du deinen Fehler. Dad hat recht wie immer, diese Halunken glauben, uns in der Flanke und von hinten packen zu können. Dann kommt nur um den Hügel, kommt, und ihr werdet die Hölle erleben.
*
Allmächtiger, schoss es Jake durch den Kopf, Dad!
Er sah ihn und begann zu frieren, als der alte Mann mit einem Riesensatz aus der Deckung sprang.
Owen Margley blieb nicht hinter den Felsblöcken. Er sprang und stand dann wieder, das Gewehr an der Schulter und gänzlich freistehend vor jenen fünf Mann, die schreiend um den Hügel biegen wollten.
Als sie ihn sahen, war es bereits zu spät, denn er schoss augenblicklich, wie er es einmal bei der Armee gelernt hatte. Er feuerte und dachte an David, seinen Sohn, dem sie eine Kugel in den Rücken gegeben hatten.
Er dachte an die Arbeit vieler Jahre, an den Geiz, den er geübt hatte, obwohl er lieber seinen Kindern etwas mehr gegeben hätte. Und er dachte an seine Rinder, die nun irgendwo in der Rio Bravo-Schlucht lagen, blökten, schrien und starben.
Mit diesen Gedanken schoss er und sah, wie die Kugel Corton in der Brust packte, der Mann die Arme hochwarf und aus dem Sattel kippte.
Jake hörte seinen Vater etwas sagen. »Jetzt ist es genug, ich schlucke nichts mehr.«
Er feuerte schon wieder, während er noch sprach. Der Knall zerriss seine Worte, die Kugel traf und schleuderte den zweiten Mann aus dem Sattel.
Er bringt sie um, dachte Jake entsetzt, mein Gott, er bringt sie alle um.
Jake feuerte so schnell er konnte.
Er zielte auf das vierte Pferd, das zusammenbrach. Der fünfte Mann schrie gellend vor Furcht und Entsetzen, als er sein Pferd herumriss und seine Partner am Boden liegen oder in Deckung rennen sah.
Der Mann wollte weg, aber der Alte in seinem Rücken zielte schon. Er traf den Reiter in die Seite, und danach mit dem nächsten Schuss das Pferd. Dann sah er beide stürzen und sprang noch einmal.
»Dad«, keuchte Jake verstört. »Dad, bring sie nicht um.«
Es war, als zuckte der alte Mann zusammen. Ganz langsam setzte er das Gewehr ab, das er schon auf den Felsblock gelegt hatte. Schreie drangen zu ihnen, Schreie von sterbenden Pferden und zwei verwundeten Männern, der vierte Mann rannte wie der dritte im Zickzack und ohne Gewehr hinter Felsen in Deckung. Sie verkrochen sich wie Ratten.
»Sie haben auf David geschossen«, kam es düster über Owen Margleys Lippen. »Niemand erschießt meine Söhne und kommt wie ein Bandit auf mein Land. Nun gut, keine Pferde mehr, sollen sie zu Fuß von unserer Weide kriechen, sollen sie kriechen, diese Schurken. Komm, Sohn, wir müssen zur Ranch. Mutter hat Ärger, sie werden schon dort sein.«
»Dad, was ist passiert, warum …«
»Steve«, sagte der Alte langsam und schwer, als er losritt. »Steve ist mit Alec Sewards Revolver in der Faust neben Alec gefunden worden – und Alec war tot. Ich erzähle es euch unterwegs. Es hat ausgesehen, als hätte Steve den Captain umgebracht. David, komm schon.«
Sie ritten nebeneinander und schnell, aber der Alte schlug die Richtung nach Süden ein, und sie begriffen, dass er in das Buschgelände im Rücken der Ranch kommen wollte. Von dort führte jener Fluchtgang, den er einmal zur Indianerzeit gegraben hatte, bis unter das Ranchhaus mit seinen dicken Mauern aus Adobeziegeln, die keine Kugel durchschlagen konnte.
*
Sie sagte nichts, ihr Gesicht war ganz ruhig, und wenn sie sich fürchtete, dann hätte man es nur an ihren Augen erkennen können. Aber das sah niemand, denn sie blickte durch die Schießscharte jenes Turmes auf dem Dach des Hauses und über das Gewehr hinweg.
»Mam, sie kommen auch von dieser Seite«, sagte Concha in ihrem Rücken gepresst. »Vier Männer, Bat Seward führt sie. Jetzt reiten sie zu einer Reihe auseinander.«
»Du brauchst keine Furcht haben«, murmelte Annabelle Margley leise. »Uns geschieht nichts, Tochter. Sie können die Fensterscheiben zerschießen, aber sie werden niemals in unser Haus kommen.«
Ihre Stimme klang vollkommen ruhig, sie flößte Concha Vertrauen und Mut ein. Wenn Concha auch zu klein gewesen war, um die Indianerzeit bewusst erlebt zu haben – sie wusste, ihre Mutter hatte neben ihrem Vater gestanden und das Haus verteidigt.
»Mam, sie sind an der Scheune«, flüsterte Concha. »Jetzt läuft Harris an der Fenz entlang – noch ein Mann läuft ihm nach. Harris ist am Schmiedeschuppen und neben den Wagen.«
Annabelle Margley blickte aus der Schießscharte zum Stall hinüber. Vom Hügel aus war Bill Seward auf die Rückseite des Stalles zugeritten. Von ihm und seinem Pferd war nichts mehr zu sehen. Nur Logan, der beste Lassowerfer Sewards, schob sich um die Stallecke und blickte nun in den Hof. Links des Stalles am Bretterzaun bewegte sich nun etwas. Es war Wilson, dessen längliches Gesicht über den Zaun erschien.
»Concha, sobald einer in den Hof kommt, schießt du ihm ins Bein«, befahl Annabelle knapp. »Ziel aber genau, Tochter.«
Im nächsten Moment zuckten sie beide zusammen. Über den Hof kam die hohle, tiefe Stimme Bill Sewards.
»Owen Margley, komm heraus!«, schrie die Mumie Seward. »Margley, komm heraus, sonst holen wir dich! Heraus mit dir, du Mörder!«
Seward schrie zwar, aber er ließ sich nicht blicken. Er musste hinter der linken Stallecke stehen. Einmal vor zwanzig Jahren war Seward auf der Ranch gewesen, und er hatte damals versucht, sie zu stürmen. Es war ihm nicht gelungen. Seine Männer waren nicht bis zum Haus gekommen, als Owen Margley zu schießen begann und die ersten beiden Burschen schreiend liegen blieben. Wenn jemand wusste, wie gefährlich ein direkter Angriff auf das Haus war, dann Bill Seward.
»Nicht antworten«, flüsterte Annabelle Margley. »Er kann nicht wissen, ob wir alle hier sind und wo wir stecken.«
Sie schwiegen, und eine halbe Minute blieb alles still. Dann brüllte Seward – seine Stimme klang nun schriller und wütend: »Margley, du verfluchter Mörder, komm heraus, sonst schießen wir. Ich stecke deine Ranch an. Zum letzten Mal, du Mörder, komm heraus, oder ihr sterbt alle. Ich will nur dich und deine Söhne, die Frauen können verschwinden. Komm heraus, Margley!«
Annabelle Margley trat an die hintere Schießscharte.
»Seward«, rief sie laut. »Seward, verschwinden Sie von unserer Ranch. Mein Mann ist nicht hier!«
Hinter dem Stall erklang ein Fluch. »Lüge!«, schrie Seward dann giftig. »Dann kommen Sie heraus, Mrs Margley – kommen Sie heraus, und wir werden uns im Haus umsehen.«
»Seward, verschwinden Sie!«, gab Annabelle Margley scharf zurück. Die kleine zierliche Frau umklammerte fest das Gewehr und presste einen Moment die Lippen zusammen. Ein Leben lang hatte Owen Margley ihr jede Entscheidung abgenommen, jetzt musste sie allein entscheiden.
»Seward, niemand wird das Haus verlassen – und niemand Sie oder Ihre Männer hereinlassen. Verschwinden Sie, Seward, das ist die letzte Warnung!«
Concha wendete den Kopf. So fest entschlossen hatte sie ihre Mutter noch nie erlebt. Annabelle Margley, die immer ruhig und still gewesen war, schien der Zorn zu packen.
»Pass auf«, sagte sie jetzt verbissen, »lass diese Strolche nicht aus den Augen, Tochter. Was bildet sich der Kerl ein? Jetzt ist es genug, ich habe ihm gesagt, was er hören musste, jetzt rede ich nicht mehr.«
»Kommen Sie heraus, eine Minute Zeit!«, schrie Mumie Seward in der sicheren Deckung des Stalles. »Ich werde euch aus dem Land jagen, ihr Mörder. Kommt heraus, oder es wird blutig.«
»Das kann er haben«, knirschte Annabelle Margley zornig. »Tochter, er hat irgendeine Teufelei vor.«
Sie hob lauschend den Kopf. Irgendwoher kam das Echo von Schüssen, und kaum war es zu hören, als Seward erneut schrie: »Heraus jetzt – die Minute ist um! Heraus, oder es passiert was!«
»Du sagst es, alter Schurke«, hörte Concha Margley ihre Mutter sagen. Es klang beinahe fauchend, und Concha vergaß vor Schreck über den wilden Grimm, mit dem ihre Mutter sprach, auf den Schuppen zu achten. »Wilson, du Teufel, was stehst du da, als wolltest du loslaufen? Dann lauf, wenn du kannst.«
Im gleichen Moment drückte sie ab.
Sie hatte Wilsons Beine hinter dem Bretterzaun gesehen, und als sie schoss, stieß Wilson im Krachen des Schusses einen gellenden Schrei aus. Er fiel brüllend um, schlug hin und kroch schreiend in die Deckung des Stalles zurück.
»Schießt!«, geiferte Seward in das Gebrüll Wilsons hinein. »Schießt, sie wollen es nicht anders! Steckt das Rattenloch an!«
Hinter dem Schuppen rannte Harris zu seinem Pferd. Er riss die beiden Kanister herunter, warf einen seinem Partner zu und rannte mit dem anderen an der Schuppenwand entlang. Fluchend goss er Kerosin an die Holzwand. Dewey tat dasselbe an der Scheune. Er rannte hinein und goss die Stützen an. Gleich darauf krochen die ersten Flammen über den Boden und züngelten überall hoch.
»Zurück!«, befahl Bat Seward giftig. »Der Rauch treibt auf das Haus zu. Keine Viertelstunde, dann sehen sie vor lauter Rauch nichts mehr. Harris – Dewey, den Wagen aus dem Schuppen, schnell!«
*
Sein Gesicht war wie aus Stein gehauen, als er die Luke hochstemmte und in die Küche seines Hauses kam.
Rauch, dachte Owen Margley, Rauch, das ist es, Sie wollen im Schutz des Rauches kommen.
»Jake, zu Mutter nach oben, bring sie herunter, Sohn.«
Jake rannte los und hetzte die Leiter nach oben. Der Rauch ließ ihn husten, obgleich nur wenig durch die Fenster und Schießscharten ins Haus drang.
»David«, knurrte der Alte finster. »Deinen Revolver und links neben die Tür, ich bleibe rechts. Kannst du noch, Sohn?«
David nickte nur, stürmte davon und stieß den Revolverlauf durch die Schießscharte der schweren Blendbohle, dass außen die Fensterscheibe zerklirrte.
»Owen«, würgte Annabelle Margley, als sie ihn rechts an der Schießscharte stehen sah. »Owen, wir konnten nichts mehr sehen. Dieser Teufel, was hat er vor?«
»Die Tür einrennen oder eine der Blenden«, gab Owen Margley düster zurück. »Anne, Wasser genug im Haus?«
»Genug, Mann. Haben sie euch gesehen?«
»No«, antwortete er kurz. »Sie sollen nur kommen. Noch haben sie uns nicht. Vorsicht, Jake.«
Jake war schon am dritten Fenster der Vorderfront. Er stand hinter der Schießscharte, aber er sah kaum etwas, bis sein Vater schrie und er im Rauch plötzlich ein paar Schatten ausmachte. Dann krachte der Stoß gegen die Blende, hinter der er stand. Die schweren Haken knirschten, Putz bröckelte, aber noch hielt die dicke Blendbohle.
»Jake, Achtung – schieß!«
Etwas änderte sich in diesem Moment für den sonst friedlichen Jake Margley, der niemand töten wollte. Das Krachen des nächsten Stoßes erschütterte die Bohle und ließ sie plötzlich schief in den Haken hängen. In dieser Sekunde schnellte er an die Schießscharte. Er sah verwischt einen Schatten, feuerte und hörte den schrillen Schrei, der im Brüllen der Schüsse, die der Alte abfeuerte, unterging.
Es polterte an der Wand, es schurrte an der Mauer. Draußen krachte die Deichsel zu Boden, fiel Harris mit aufgerissenem Mund auf die Knie und presste die Hände auf den Leib. Dann kroch Harris wimmernd los, hinein in den Rauch. Das feuchte Tuch vor seinem Gesicht verschob sich, und er atmete den Rauch voll ein. Aus seinem Gewimmer wurde ein röchelndes Würgen. Dewey humpelte zu ihm. Er konnte ihn noch packen, obgleich sein Bein getroffen worden war, und Harris wegschleppen. Die Deichsel blieb liegen. So kamen sie hustend und mit tränenden Augen bis zur Seite des Schuppens. Die Hitze ließ sie weiterschwanken.
»Boss«, stöhnte Harris, als sie am oberen Zaun ankamen und er den Alten dort stehen sah. »Es – geht nicht. Mein Bauch, ooaah, ich sterbe. Boss…«
»Logan!«, kreischte Bill Seward wie von Sinnen. »Logan, nimm den Kanister. Einen Lappen, Logan, steck ihn in den Verschluss und zünde ihn an. Wirf den Kanister gegen eins der Fenster – hörst du, Logan?«
»Sie schießen mich ab wie Harris«, schrie Logan furchtsam. »Boss, sie sehen immer noch genug.«
»Verfluchter Feigling«, heulte der Alte voller Wut. »Price, komm her, nimm den Kanister. Zweihundert Dollar, wenn du ihn in ein Fenster wirfst, Mann.«
»No«, weigerte sich Price. »Für kein Geld, Boss.«
»Ihr dreckigen Feiglinge!«, brüllte Bill Seward und griff nach dem Kanister. »Dann mach ich es selbst.«
»Bill, lass das«, keuchte Bat und packte seinen dürren Arm. »Sie knallen dich nieder, Bill.«
Er riss sich mit nicht mehr vermuteter Kraft los und stierte seinen Bruder wild an. »Verbrennen«, kreischte er.
Dann fuhr er herum, denn Logan schrie eine Warnung, aber es war schon zu spät. Das Knistern und Tosen des Feuers hatte den Hufschlag übertönt, mit dem ein halbes Dutzend Reiter den Hang herabgejagt kam und plötzlich hinter ihnen auftauchte. Sie hielten ihre Waffen schussbereit und bildeten blitzschnell einen drohenden Halbkreis.
»Du alter, verfluchter Narr!«, brüllte Big Jim Cameron voller Grimm, indem er Bill Seward am Kragen packte und herumriss. »Das kommt dich teurer zu stehen als alle Gemeinheiten, die du bis heute begangen hast.«
In seinem Zorn schleuderte er den Alten zu Boden, ehe er vom Pferd sprang und ihm den Revolver aus dem Halfter riss.
»Vorsicht, Seward«, zischte Piet Gaskell warnend, als Bat Seward sich auf Big Jim stürzen wollte. »Keinen Schritt mehr, sonst drücke ich ab. Big, was sollen wir tun?«
»Waffen abnehmen und zusammentreiben!«, knirschte Big Jim Cameron. »Seward, das schwöre ich dir, du bezahlst jeden Stein, jedes Brett, jedes Rind doppelt. Dich sollte man wie ein wildes Tier in einen Käfig sperren, du alter Schurke!«
»Lass mich los!«, kreischte der Alte schrill. »Sie sollen brennen – brennen!«
Er wollte sich aus Big Jim Camerons Griff befreien, aber es gelang, ihm nicht. Cameron drückte ihn gegen den Zaun und hielt ihn fest.
*
Owen Margley stand mit geballten Händen und vor Grimm erstarrtem Gesicht vor den Sewards. Krachend stürzte die Giebelwand des Stalles in sich zusammen. Noch einmal stoben die Funken wirbelnd hoch. Dann zog eine dünne graue Rauchfahne am Haus vorbei, und nur noch das Knacken schwelender Balken war zu hören.
»Owen«, flüsterte Annabelle Margley angstvoll. »Owen, er ist alt und weiß nicht, was er getan hat. Owen…«
Er schlägt ihn tot, dachte Jake besorgt, er schlägt ihn tot. Dann sah er, wie sein Vater die Arme hängen ließ und tief durchatmete.
»No«, keuchte Owen Margley. »No, ich will nicht zum Mörder werden an dir, Seward, obwohl ich dich erschlagen könnte, aber ich will es nicht. Das kann der Richter besorgen, soll er dich ins Jail schicken oder sonst was mit dir tun. Du bist wahnsinnig, Mann.«
Bill Seward stierte ihn von unten her an wie ein Tier, das vor Bösartigkeit und Gemeinheit zubeißen wollte. Sein Bruder Bat war neben ihn getreten. Verkniffen sah er zu Boden.
»Margley«, knirschte er. »Wenn Hass Wahnsinn ist, nun gut. Sie haben seinen Sohn getötet. Was ist das hier dagegen?«
Owen fuhr herum, sein Mund öffnete sich, aber ehe er etwas sagen konnte, schnappte Jim Cameron scharf: »Ruhig, Owen, jetzt rede ich. Seward, nicht er hat deinen Sohn getötet, ich war es!«
»Sei still«, keuchte Margley. »Jim…«
»Du bist ruhig«, fauchte Big Jim Cameron. Er schien nicht zu sehen, dass Annabelle Margley bleich wurde und taumelte, er blickte nur den alten Bill Seward an, der ruckhaft seinen Kopf hob. »Hast du verstanden, Seward, ich war es nicht, Owen. Dein Sohn war ein Falschspieler, und er schoss zuerst. Er traf mein Pferd, und ich stürzte zu Boden. Als ich in meinem Zorn mein Gewehr nahm und feuerte, versuchte Owen noch, es mir wegzunehmen. Er gab keinen einzigen Schuss damals ab.«
»Owen«, flüsterte Annabelle Margley verstört. »Owen …«
»Du lügst!«, schrillte der Alte am Boden. »Cameron, das lügst du, um ihm wie immer zu helfen. Er war es.«
»Er war es nicht«, wiederholte Cameron düster. »Mein Vater hasste es, wenn jemand spielte. Er wollte nicht, dass ich mich an einen Spieltisch setzte, aber ich tat es. Wenn er gewusst hätte, dass ich wegen einiger verlorener Dollars deinen Sohn umbrachte, hätte er mich davongejagt. Jeder, der ihn kannte, wird wissen, wie er war. Darum nahm Owen die Schuld auf sich, meine Schuld, wenn es eine gab.«
»Wozu das jetzt noch?«, murmelte Owen Margley müde. »Es ändert nichts mehr, Jim. Es war Notwehr, das stellte auch der Richter fest. Ob du oder ich …«
»Das hast du damals gesagt«, fuhr in Jim Cameron an. »Und ich war ein Narr, nicht für das geradezustehen, was ich getan hatte. Unser guter Name, wie? Schweigen, damit niemand sagen konnte, der Sohn von Major Cameron hätte jemand nur wegen eines Kartenspiels erschossen. Es war Narrheit, Owen, ich habe es dir immer gesagt. Aber ich war einmal zu feige – und du hast dafür bezahlt, nicht ich. Er war ein Kartenhai, der angeblich unschuldige Anthony Seward.«
»Lüge – Lüge!«, schrie der Alte. »Mein guter Sohn war ein ehrlicher Junge, ein ehrlicher …«
»War er das?«, knurrte Jim Cameron finster. »Warum schleppte er sich denn in dein Haus, anstatt gleich um Hilfe zu rufen? Warum kam er nicht sofort zu dir, statt in sein Zimmer zu kriechen, he? Du sagtest, du hättest keine Karten in seiner Jacke gefunden, das sagtest du doch damals bei der Verhandlung, was? Und wenn du keine finden konntest, weil er sie aus seiner Jacke nahm und irgendwohin steckte? Welchen anderen Grund hätte er haben sollen, in dein Haus zu schleichen und nicht um Hilfe zu rufen, Seward? Hast du jemals seine Sachen nachgesehen, jemals sein Zimmer durchsucht?«
»Du Lügner, du Lügner«, stieß der Alte gurgelnd hervor. »Wozu hätte ich das tun sollen? Er hatte nichts in der Jacke. Du Verleumder, einen Toten zu beschuldigen, einen unschuldig Ermordeten verdächtigen …«
Bat Seward wendete langsam den Kopf. Er sah auf seinen Bruder hinab und dachte jäh an das Zimmer Anthonys, das seit seinem Sterben verschlossen war, in das niemand außer Bill durfte. Manchmal hockte der alte Bill dort reglos am Fenster.
»Bill«, sagte Bat Seward stockend. »Bill, hast du jemals nachgesehen in seinem Zimmer?«
»Wozu?«, lallte der Alte. »Er war kein Kartenhai – alles Lüge, Verleumdung. Mein guter Junge …«
»Sieh nach«, knurrte Big Jim Cameron grimmig. »Und danach warte auf den Sheriff, ich werde hier auf ihn warten. Einer meiner Männer ist schon unterwegs und holt ihn her. Piet, bringt sie weg, ihre Waffen bleiben hier.«
Er wartete, bis seine Männer Sewards Leute über den Hügel gebracht hatten, dann wendete er sich langsam um.
»Tut mir leid, Anne«, sagte er bitter. »Ich wollte damals reden, aber Owen …«
»Du Narr«, seufzte Owen Margley. »Was tat es, dass ich mich beschuldigte? Niemand konnte vorausahnen, was Bill Seward tun würde. Er hat mich gehasst, jetzt bist du an der Reihe, Jim. Anne …«
»Du hast nichts gesagt, nicht mal deiner Frau«, stammelte sie. »Owen – Owen, warum?«
»Warum?«, murmelte Owen Margley. »Du hast den Major gekannt – nun, also. Ein Freund half dem anderen – und es war Notwehr, was sollte es.«
»Mann, Mann, ich bin deine Frau.«
»Ja«, sagte er leise. »Tut mir leid, Anne, Jim hätte dasselbe für mich getan. Männerfreundschaft, Anne.«
Sie sagte nichts, sie sah ihn an und drehte sich um. Und dann ging sie davon.
Männerfreundschaft …!, dachte sie bitter, seine Freundschaft mit Jim Cameron, die nichts und niemand jemals auseinanderbringen konnte. Er muss die ganzen Jahre darunter gelitten haben, aber er ist so – was er einmal getan hat, das nimmt er nicht zurück, dieser irische Dickschädel. Bezahlt für Jim doch mit dem Verlust seiner Ranch. Dieser Mann, dieser unmögliche, dickschädelige Mann.
So war er, so blieb er auch. Ein Freund war ein Freund.
*
Er schien sie nicht zu sehen, nicht seinen Bruder Bat, auch nicht seine Männer. Bill Seward wankte mehr als er ging auf den Vorbau seiner Ranch. Der Anzug schlotterte um seine ausgemergelte Gestalt. Den Oberkörper nach vorn geneigt, als würde er ihm zu schwer, kam Bill Seward auf seinen Bruder zu.
»Bill«, sagte Bat besorgt. »Bill, du kannst dich kaum auf den Beinen halten, soll ich dich stützen? Bill.«
Bill sah ihn an … In den tiefliegenden Augen nichts als Düsternis und Müdigkeit.
»Ich brauche niemand, lass mich allein«, kam es hohl und dumpf aus seinem Mund. »Allein.«
Als er nicht nach rechts in sein Zimmer abbog, sondern die Treppe nahm und nach oben stakste – langsam, Stufe für Stufe nehmend, die zitternden Hände am Geländer wie Krallen, blieb Bat unten stehen. Bat dachte an die beiden Zimmer oben, in denen Anthony einmal gelebt hatte. Der Alte ging hin – und Bat rührte sich nicht. Oben drehte sich ein Schlüssel in einem Türschloss, dann knarrte die Tür misstönig, sie fiel wieder zu.
Er sieht nach, dachte Bat und fror leicht, jetzt sieht er nach, ich weiß es. Es lässt ihm keine Ruhe. Als ich ihn einmal darauf ansprach, was er oben machte, sagte er, er müsste Staub wischen.
Seit zwanzig Jahren hat kein Fremder die Zimmer oben betreten, nur er. Einmal musste ich ihn holen und konnte für Sekunden in das eine Zimmer sehen. Es stand alles noch so wie damals, als Anthony noch lebte und ich mal zu Besuch hier war. Er hat nichts angerührt, nichts umgestellt, sondern alles so gelassen, wie es war.
Oben polterte etwas, es war im anderen Zimmer, in dem Anthony geschlafen hatte. Dort hatten sie ihn damals gefunden, auf dem Bett und sterbend.
Der Schrank, dachte Bat, als das Knarren durch das Haus drang, jetzt ist er an Anthonys Kleiderschrank. Etwas klapperte, danach kam ein Schurren.
Er sucht, dachte Bat Seward, er sucht die Karten.
Oben kauerte Bill Seward auf den Knien vor der Truhe. Er stierte auf die Blutspuren, die immer noch zu sehen waren. Blut, eingetrocknet, längst dunkelbraun, fast schwarz. An der Truhe waren welche, am Bettende. Auch am Schrank, an den sich Tony noch gelehnt hatte, ehe er auf das Bett gefallen war.
Nichts war verändert, alles so geblieben. Selbst auf der Bettdecke war noch Blut zu erkennen. Er hatte es so sehen wollen – jeden Tag, wenn er heraufkam, um nichts zu vergessen, niemals! Umgebracht – ermordet – sein einziger Sohn. Hier oben hatte Bill Seward es geschworen – nicht einmal, hundertfach –, dass er die Margleys dafür umbringen würde.
Bill Sewards Hände zitterten, als er sich erhob, den Deckel der Truhe zudrücken musste, weil die Scharniere eingerostet waren.
Das Knarren ertönte erneut. Es war jenes Knarren, das Bat unten für ein Schranktürknarren gehalten hatte. Der Alte schwankte hager und dürr nun endlich zum Schrank. Blut, dachte er, als er die Wischspuren an der Tür neben dem Schloss sah, sein Blut, Tonys Blut.
Ihn grauste etwas. Er hatte die Tür nie geöffnet. Vor den Spuren hatte ihn die Scheu gepackt. Jetzt griff er nach dem Schlüssel, wollte ihn umdrehen, aber der Schrank war nicht abgeschlossen. Der Alte zog, die Tür ging auf. Unten an der Leiste war etwas.
Sein Atem ging plötzlich flatternd und keuchend. Einen Moment griff er sich an den Hals.
Er hat was in den Schrank gelegt, dachte er, er konnte nichts anderes mehr denken, nur diese wenigen Worte. Der Wunsch war da, die Tür wieder zu schließen und nie mehr in den Schrank zu sehen. Aber dann meldete sich dieser nagende, bohrende Zweifel wieder. Gewissheit haben, oder den Schrank schließen? Plötzlich beugte er sich vor, seine Hände fuhren in den Schrank hinein. Papier lag unten, eine alte Zeitung war ausgebreitet worden. Das Papier war verrutscht.
»Da«, lallte der Alte, und seine Knochenfinger zerrten das Papier fort. »Da, da …«
Mehr konnte er nicht sagen. Er schloss die Augen, als er die Karten fühlte, er wollte sie nicht sehen, als er sie aufhob und sich zurückbeugte, sein Rücken gegen das Bettende fiel. Nicht hinsehen, nichts mehr sehen, nichts wissen.
In seinen Ohren rauschte es plötzlich, sein Pulsschlag hämmerte wie irr los.
Nein, dachte Bill Seward, es ist nicht wahr, es sind keine Karten, mit denen man pokern kann. Vielleicht Bridgekarten – ja, ja, Bridgekarten werden es nur sein. Oder?
Er öffnete die Augen, kauerte, den Rücken gekrümmt, den Atem rasselnd und würgend am Boden. Da waren sie, acht Karten, Asse und Damen. Licht, dachte er, Licht, die Rückseite sehen. Wenn sie gezinkt sind, dann …
Er kroch los, stieß an die Schranktür, die zuschlug. Licht fiel aus dem Fenster auf die Karten. Seine Linke tastete nach dem Kneifer, aber er bekam ihn kaum auf die Nase, so flatterten seine Hände. Dann sah er es und stieß einen dumpfen, grässlichen Laut aus. Kleine Punkte wie jene anderen in den Schrägfeldern der Rückseiten, nur anders geordnet.
»Falschspieler«, röchelte der Alte. »Er war ein Falschspieler.«
Verbrennen, schoss es ihm durch den Kopf, die Karten verbrennen. Niemand darf es jemals erfahren.
Seine Hand fuhr in die Tasche. Er nahm die Streichhölzer, kroch zur Waschschüssel. In der Waschschüssel konnte er die Karten verbrennen.
Als er die Schüssel vom Ständer gehoben und am Boden stehen hatte, wollte er ein Streichholz anreißen. Zwei-, dreimal versuchte er es, aber die Streichhölzer brachen ab.
Das vierte Streichholz brannte. Er stierte in die Flammen, hob die Karten ihr entgegen. Dann wurde sie jäh größer, loderte empor und griff nach ihm. Er schrie einmal, als die Flamme ihn erreichte. Sein Körper schlug zuckend um, und seine Stiefel stießen gegen das Bettgestell. Er wollte noch etwas sagen, aber es drang nur ein dünner, pfeifender Laut aus seinem Mund. Seine Finger krampften sich zusammen. Die Karten wurden zusammengepresst.
»Bill!«, schrie Bat Seward und stürmte nach dem dröhnenden, schweren Fall oben die Treppe empor. »Bill!«
Schreiend riss Bat die Tür auf und sah ihn liegen. Er bewegte sich nicht mehr. Sein Unterarm lag über dem Rand der Schüssel, in der das Streichholz erloschen war. In der Hand hielt er die Karten.
Bat Seward blieb stehen und stierte auf seinen Bruder hinab. »Bill?«, fragte er dann sehr leise und zaudernd. »Bill …?«
Bill war tot, und Bat der Erbe …
So war das also, dachte Bat verstört, und seine sonstige Gleichmütigkeit überfiel ihn wieder, Tony war ein Kartenhai. Und Bill ein verdammter Narr.
*
Der Alte trat aus der Hütte, als Cameron etwa hundert Schritt entfernt war. Sein auf die Reiter gerichtetes Gewehr sank langsam herab. Dann stützte er sich auf die Mündung der Waffe. Cameron ritt durch die fast schnurgerade in die Kakteen gehauene Gasse auf die Bretterhütte zu. Der Rauch zog nun dünner als vorher aus dem Seitenschornstein, einem Blechrohr. Die Hütte war weiß gestrichen, eine Art Veranda wurde von einem weit nach unten gezogenen Dach überschattet.
Barry Carmeron warf einen Blick auf die an der Schnur hängenden Spannbretter und Schlangenhäute. Der zottige Bart des Alten öffnete sich jetzt, und sein meckerndes Lachen schrillte Cameron in den Ohren.
»Hähä, die Armee«, kicherte der Alte. »Willkommen, Sir, nur herauf und in den Schatten, Sir – Mister Cameron.«
»Sie kennen mich?«, fragte Cameron verwundert. »Hallo, mein Freund, wann haben wir uns gesehen?«
»Lange her – sehr lange, ja, ja«, sagte der Alte heftig nickend. »Bin Gropie Williams, Mister Cameron. War mal beinahe euer Nachbar, ja, ja.«
»Gropie Williams, alle guten Geister«, sagte Cameron. »Mann, Sie leben hier mitten in der Wüste? Williams, haben Sie Wasser?«
»Alles da, hihi«, kicherte Gropie. »Hinter dem Haus, neben dem Corral für meine Tiere. Ein Brunnen, Sir, immer gutes Wasser, Sir, sehr gutes Wasser, aber es macht etwas Arbeit, es hochzuziehen.«
»Sergeant Jennings«, brummte Cameron, »lassen Sie sich den Brunnen zeigen und tränken Sie die Pferde. Absitzen und Kaffee kochen … Williams, was hat Sie hierher verschlagen, Mann?«
Gropie legte den Kopf schief und sah ihn kurz an. »Vielleicht die Menschen unten am Rio Bravo, ja, ja, Sir, die Menschen, besonders gute Menschen, erinnern Sie sich?«
»Bill Seward«, stieß Cameron heraus. »Williams, Sie meinen doch nicht etwa Seward?«
»Ein guter Mensch, lebt er noch?«
»Nein«, antwortete Cameron und ging neben dem Alten her um die Hütte. Jetzt sah er, dass hinter der Hütte das Dach noch länger herabgezogen war und einen Stall bedeckte. An den Stall schloss sich ein Stangencorral an, der in zwei Streifen unterteilt war.
In den Boden gerammte, hohe Pfähle wurden von einem Stangengitter überspannt, auf dem dicht bei dicht getrocknete Kakteenrinden angebracht waren. Unter ihnen war Schatten, und der leichte Wind strich kühlend über drei Maultiere und zwei Pferde hinweg.
Cameron pfiff durch die Zähne. »Williams, nicht schlecht, Schatten genug, wie?«
Der Alte kicherte erfreut. Er deutete auf ein Fass und zog es zur Seite. Unter dem Fass kam eine Bohlenplatte zum Vorschein. Und als Williams sie anhob, sah er das Geviert eines gemauerten Schachtes. Ein starkes Querholz hielt ein Seil und kühle Feuchtigkeit stieg Cameron entgegen.
»Fünf Schritt tief«, meckerte Gropie. »Feines Wasser, Sir. So, er ist tot, dieser Schurke? Ist er friedlich in seinem Bett gestorben?«
»No«, brummte Cameron, während der Alte schon zurückging. »Nicht ganz so friedlich, Williams. Er versuchte, die Margley-Ranch anzustecken. Sie erinnern sich an die Margleys?«
»Die Margleys, ja, ja, die Margleys«, meckerte Gropie. »Gute Leute, anständige Menschen, ja, ja. Hat Owen Margley den alten Schurken Seward erschossen? Eine gute Tat.«
»Williams, er hat ihn nicht erschossen, so wenig wie damals Anthony Seward, erinnern Sie sich?«
Gropie Williams blieb an seinem Vorbau stehen und zupfte an seinem Bart. »Hat er nicht Anthony erschossen, den Kartentrickser? Dachte ich mir schon immer, ja, ja.«
»Was ist, das dachten Sie schon immer?«, fragte Barry erstaunt. »Williams, warum dachten Sie sich das?«
Der Alte kicherte schrill. »Einfach, Sir, ganz einfach. Wenn Margley schießt, dann trifft er genau. Owen Margley, der konnte schießen, schießen, sage ich. Hätte Tony Seward den Kopf heruntergeschossen, aber nicht angeschossen, der nicht. Sieh an, wer war es, Ihr Vater, wie?«
Cameron wurde der Alte langsam unheimlich. »Ja«, gab er zu. »Ich wusste es nicht, ich erfuhr es erst vor drei Tagen. Bill Seward ist an seinem Hass gestorben, vor neun Tagen, Williams. Er fand die Karten, mit denen sein Sohn damals meinen Vater und Margley betrogen hat. Darüber traf ihn der Schlag, den Alten. Bat Seward ist jetzt der Erbe.«
»Soso, der kleine Bruder des alten Schurken? Hat doch einen Sohn, wenn ich nicht irre? Zwei Sewards zu viel auf dieser Welt, ja.«
Er hasst sie, dachte Cameron. Seltsam, zu viele Männer hassen die Sewards.
»Der Sohn ist auch tot, Williams. Er war Captain in Fort Stanton, zuletzt in Fort Stanton. Williams, haben Sie Margley gesehen?«
Cameron schoss die Frage blitzschnell ab. Der Alte hier war immer ein guter Freund der Margleys gewesen, und wenn Steve das Unmögliche geschafft haben sollte, konnte er hergekommen sein.
»Owen, ist er hier im Llano?« Gropie starrte den First Lieutenant mit schiefgelegtem Kopf groß an. Und es war nichts in seinen Augen – kein Schreck, nichts, was auf die leiseste Kenntnis von Steve Margleys Verschwinden hinwies.
»Nicht Owen, obgleich der in der Wüste sein wird«, erwiderte Cameron. »Steve Margley, seinen ältesten Sohn. Vor zwölf Tagen verschwand er im Llano, etwa dreißig Meilen nordwestlich von hier. Er soll Captain Seward erschossen haben, aber wahrscheinlich war er es nicht.«
»Wie …? Was? Ich verstehe nichts«, fragte der Alte verstört. »Wie im Llano verschwunden? Soll er den Captain erschossen haben? Kommen Sie herein, Sir. Ich – ich habe nichts gesehen, hierher kommt nur alle Jahr mal ein Mensch, oder alle zwei. Ja, ja, kommt niemand, will auch keinen sehen, kommen Sie herein.«
Er stolperte voraus, und Cameron sah sich verstohlen in der Hütte um, die nur aus einem Raum bestand. Es gab keinen Boden und anscheinend auch keinen Keller. Sekundenlang kam Barry Cameron die Idee, dass der Alte Steve gefunden und versteckt haben könnte, aber hier gab es kein Versteck. Der Ofen stand in einer Ecke, es roch nach Fleisch und Kaffee.
»Ich hoffte, er wäre hier«, murmelte Barry und hockte sich auf einen wackligen Stuhl. »Williams, wenn Sie etwas wissen, müssen Sie es mir sagen. Ich bin Steve Margleys Freund, ich bin sicher, er hat den Captain nicht erschossen, aber die verdammte Tatsache ist, dass er der letzte Mann war, der Seward lebend oder sterbend sah.«
»Teufel, Teufel«, sagte der Alte. »Schlimm für den Jungen, wie? Er war auch bei der Armee, immer noch. Traf ihn vor Jahren mal, ja, ja. Kaffee, Sir, guten Kaffee?«
»Geben Sie her, Williams. Diese verdammte Wüste trocknet einen aus, Hören Sie zu, was passiert ist. Vielleicht können Sie mir sagen, wo er geblieben sein könnte, schließlich kennen Sie die Wüste besser als ich oder irgendwer sonst. Es begann vor zwölf Tagen …« Er erzählte Gropie Williams alles, was geschehen war.
Der Alte hockte am Tisch und ließ ihn reden. Ab und zu schenkte er Kaffee nach, aber er schwieg, bis Cameron alles gesagt hatte. Dann sah er weg.
»Fließsand«, murmelte er plötzlich. »Der Fließsand, ja, ja, da kommt man hinauf und plötzlich ist man weg!«
»Was?«, keuchte Barry entsetzt. »Williams, Mensch, Sie wollen doch nicht sagen, er könnte im Fließsand versunken sein? Allmächtiger.«
»Wenn Sie alles abgesucht haben«, brummte der Alte. »Der Sturm dauerte einige Tage, erinnere mich, ja, ja. Verwundet war er auch? Schlecht, ganz schlecht. Kann nicht weit gekommen sein, zehn Meilen vielleicht. Wenn er nach Süden ging, da ist Fließsand.«
Barry war kreidebleich geworden und stützte den Kopf in die Hände. »Himmel, außer mir hat noch jemand nach ihm gesucht. Lieutenant Banks mit einer Patrouille in Richtung Westen und Süden. Hatte er eine Chance, den Sturm zu überleben?«
Gropie sah hinaus und schüttelte den Kopf.
»Keine?«, fragte Cameron halberstickt. »Keine Chance. Dann wird man nie erfahren, wer Seward erschoss. Mein Gott, Owen Margley sucht Steve, er war im Fort mit Jake, seinem jüngsten Sohn. Wenn ich ihn treffe und ihm das sagen muss. Gropie, es wäre fürchterlich, wenn auf Steve dieser Verdacht liegen bliebe. Wir haben fünfzehn Mann verdächtigt, aber keiner kann es gewesen sein, der Seward erschoss. Alle waren auf Posten, schliefen oder saßen in der Kantine. Jeder dieser fünfzehn Mann wurde von anderen gesehen, keiner war in der Nähe der Baracke, als der Schuss fiel. Wir verdächtigten auch den Wachhabenden, Corporal Dillon, aber den sahen vier Mann vor der Baracke, als der Schuss fiel. Großer Gott, was wird Owen Margley empfinden, wenn sich nie klären lässt, wer Seward erschoss?«
»Schlimm, sehr schlimm«, meckerte Gropie. »Und die Gefangenen – Sie sagten doch, drei Gefangene …«
»Die Gefangenen sind befreit worden. Jemand schlug den Posten vor dem Jail nieder und holte die Burschen heraus. Man hat sie nicht wieder gesehen. Es waren zwei Mexikaner dabei, die sicher längst in Mexiko sitzen, Gropie. Außerdem hat man sich in La Mesa nach Clane erkundigt – der hatte nie Besuch, er ritt aber oft weg. Keine Spur, wer der Kerl war, der Seward erschoss und die Gefangenen herausholte. Ich wette, das war der Mörder!«
»Ja, ja – und Seward?«
»Seward, der Captain?«, fragte Barry. »Der ist tot, Gropie. Geredet hat der nicht mehr.«
»Sollte er vielleicht nicht, he?«, kicherte der Alte. »Und wenn er nicht reden sollte, Sir, Mister Cameron? Margley floh auf Sewards Pferd. Warum war das Pferd denn an der Baracke? Wozu hat man ein Pferd da, wenn man nicht reiten will? Die Sewards taugen alle nichts.«
Carmeron trank gerade, jetzt verschluckte er sich vor Schreck und erstickte beinahe. »Seward«, keuchte er dann. »Mann, Williams, was sagen Sie da? Seward sollte – großer Gott, Mensch!«
Gropie kicherte schrill. »Ja, ja, so einfach könnte das sein.«
»Allmächtiger, Williams. Aber warum, Mann?«
»Weiß ich das?«, kicherte Gropie närrisch. »Sind alle Schurken gewesen, die Sewards. Einer ein Kartenhai, der alte Bill ein Teufel, Bat Seward ein Schürzenjäger, und dieser Captain, was war der?«
»Ein Weiberheld«, entfuhr es Cameron. »Alle Teufel, aber, Mensch, was sollte eine Frau mit den Überfällen auf Conways Wagen zu tun gehabt haben? Wir haben auch über das Pferd nachgedacht, aber der Captain ritt manchmal nachts los, um seine Freundin in der Stadt zu besuchen.«
»Die Freundin – oder einen Mann?«, gluckste der Alte spöttisch. »Vielleicht war es ein Mann? Und der Mann wartete irgendwo auf Clane und die gestohlenen Sachen, ja, ja, Sir. Doch Clane kam nicht, also suchte er ihn. Und fand ihn auch, tot. Und die anderen waren fort. Der Mann ritt zum Fort, er sah Licht in Sewards Zimmer, er schlich sich in den Raum. Und dann kam Seward zurück. Warum brachte er ihn um, warum?«
Carmeron saß da und starrte den Alten an, den er für zumindest sonderlich, wenn nicht leicht verrückt gehalten hatte. Menschen in dieser Wüste konnten sehr leicht verrückt werden.
»Williams, Mann!«
»Hähä«, kicherte Williams. »Hähä, traue einem Seward, aber ich nicht, ich habe sie kennengelernt, diese Schurken. Sieben Mavericks hatte ich genommen, siebzig machte er daraus, der Schurke, nur um meine Ranch billig zu bekommen, der Teufel, der Satan, der alte. Ja, ja, Sir, Mr Cameron, warum brachte der Mann Seward um? Vielleicht wollte Seward nicht dabei helfen, die Gefangenen zu befreien? Vielleicht fürchtete er, dass Seward reden könnte – und ihn verriet? Sir, Mr Cameron, die Armee ist schlau, was? Ein Captain kann kein Strolch sein, ja?«
Mein Gott, dachte er entsetzt, der Alte hat recht. Darauf ist niemand gekommen. Wer verdächtigt schon einen Toten? Seward war der Verräter.
Er hatte plötzlich das Gefühl, dass sich der Raum um ihn zu drehen begann. Seward brauchte nicht seine Freundin besucht haben, wenn er fortritt. Er hätte auch in die Stadt reiten und jemand benachrichtigen können– oder sogar jemand eine telegrafische Nachricht schicken.
Warum sollte Seward das getan haben, warum?
»Ich werde es herausfinden«, keuchte Barry Cameron und sprang auf. »Gropie, Mensch, ich muss zum Fort. Und wenn ich mir Urlaub nehme, um es herauszubringen, was Seward in der Stadt wollte, was er dort tat, ich bin es Steve Margley schuldig. Er ist tot, aber niemand soll von ihm sagen, er wäre ein Mörder gewesen.«
*
Steve saß in der anderen Hütte, mitten in den Kakteen. Die Soldaten waren fort, schon seit zwei Stunden.
»Iss doch, Junge«, murmelte der Alte. »Hör mal, du musst essen, schließlich willst du bald los. Er stirbt nicht daran, dein Freund Barry. Lass ihn ruhig denken, dass du im Fließsand erstickt bist.«
Steve schüttelte den Kopf, er bekam nichts mehr herunter von dem, was ihm Gropie im Topf mehr als eine halbe Meile weit durch die Pfade zwischen den Kakteen gebracht hatte.
Die Hütte hier lag so versteckt, dass sie kein Mensch finden konnte. Steve hätte sich nicht zugetraut, zur großen Hütte des Alten zu gelangen. Gropie hatte sich diese Fluchthütte, wie er sie nannte, angelegt, weil es auch Banditen im Llano Estacado gab. Zweimal hatte er sie benutzen müssen – jetzt saß Steve in ihr. Ihm fehlte nichts, der Alte kam zweimal am Tag und versorgte ihn.
»Wenn er meinen Vater trifft«, sagte er dumpf. »Dad wird glauben, dass ich tot bin.«
»Dein Vater ist klug«, brummelte Gropie. »Jedenfalls klüger als dein Freund Barry, Junge. Die Windrichtung, Junge, denk doch an die Windrichtung. Du hättest ja gegen den Sturm gehen müssen, um in den Fließsand zu kommen.«
»Gropie, woher soll mein Vater das wissen?«
»Der sieht es an den Sandstreifen, Junge.«
»Ja«, sagte Steve düster. »Vielleicht achtet er auf die Richtung der Sandstreifen. Seit damals hat es nicht mehr Sturm gegeben. Seward war es, ich war ein Narr, jemals etwas anderes zu glauben, Gropie. Das hätte ich gleich erkennen müssen. Der Mann, der Seward umbrachte, kann nur ein Händler aus El Paso oder jener Gegend um El Paso sein, ein Grenzhändler.
Nichts von den gestohlenen Sachen tauchte wieder auf. Demnach schaffte man sie über die Grenze. Diese Mexikaner bei Clane, Gropie, alles spricht für einen Grenzhändler. Es muss jemand sein, der in San Patricio oder Placita eine Zweigniederlassung hat. Einer von zwei Händlern dort. Der Mann war mittelgroß und stämmig. Also, wer, Gropie, wer?«
»Bullock?«, fragte der Alte. »Er hat seine Agentur in La Mesa. Clane wohnte auch in La Mesa, Junge.«
»Bullock kenne ich, er ist mittelgroß, aber, nein, der trägt keine runden Hüte, ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals einen trug. Der andere, Gropie?«
»Clane«, murmelte Gropie. »Er ritt oft weg, sagte dein Freund Barry Cameron. Er ritt oft weg, verstehst du? Nach El Paso? Oder ritt er nach Frontieras? Du glaubst, der Händler sitzt in El Paso oder nahebei. Seward war in El Paso, von Fort Bliss ist das eine Viertelstunde Ritt. Seward hat den Mann gekannt, als er noch in Fort Bliss war. Seine Weibergeschichten, Junge. Frauen kosten Geld. Nichts auf der Welt ist teurer als Frauen. Seward brauchte Geld, mehr Geld, als er bekommen konnte. Er verschob Armeebestände und bekam Geld für seine Freundinnen. Der andere Händler kann nur Stafford sein. Stafford hat in San Patricio einen Aufkäufer für Indianerwaren sitzen.«
»Und er wohnt in El Paso«, sagte Steve grimmig. »Aber in Frontieras hat Chaggins sein Office. Chaggins ist Conways Konkurrent im Handel mit Mexiko. Drei Mann, die mit Seward gearbeitet haben könnten, denn auch Chaggins hat in Placita eine Frachtstation. Bullock, Stafford oder Chaggins. Ich kenne nur Bullock. Wahrscheinlich habe ich Chaggins und Stafford irgendwann einmal gesehen. Die Grübelei ist sinnlos, Gropie, ich muss alle drei besuchen und herausfinden, wo sie vor zwölf Tagen waren. Gropie, komm am Abend und hole mich heraus. Ich reite heute Nacht noch los.«
»Seward war ein Strolch«, knurrte der Alte finster und unversöhnlich. »Pass auf, er hat Geld für seine Weibergeschichten gebraucht. Das war es, sage ich.
Gut, noch sechs Stunden, dann wird es dunkel. Hoffentlich reitet dein Freund nicht am Fließsand vorbei. Er könnte sich über die Richtung der Sandaufwerfungen Gedanken machen, dann ist er morgen wieder hier. Ich hole dich nachher, Junge.« Er nahm den Topf, sah hinein und schüttelte den Kopf. »Das nennst du essen?«
*
Er sah den Mann nicht, er hörte ihn nur. Einen Moment dachte der Alte an eine Schlange, denn der Mann war so leise, aber auch so schnell. Es schabte nur einmal, dann steckte Gropie etwas im Rücken. Und er brauchte nicht zu raten, was es war, denn das Knacken kam.
»Na?«, fragte der Mann hinter Gropie kalt. Er hatte hinter der Tür gestanden und Gropie hereinkommen lassen. »Na, Alter, wie haben wir es denn?«
Schlange, verfluchte!, dachte Gropie. Er stand still, den Topf mit dem Drahtbügel in der Hand. Schreck durchtobte ihn, sein Herz hämmerte rasend schnell. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt.
»Hähä«, kicherte er. »Feiner Spaß, ja, ja! Wer ist das? Rude, Blake?«
»Geh«, sagte der Mann eisig. »Zum Tisch, Alter. Los, geh schon!«
Der Revolver schob, die Rippen hinten taten weh. Der Mann war rau, der Alte merkte es, rau und eiskalt.
Die Hand kam, als er den ersten Schritt machte. Sein Revolver glitt wie von selbst aus dem Halfter.
»Stell den Fresstopf hin, Alter.«
»Ja, ja«, gluckste Gropie, obwohl ihm alles andere als lustig zumute war. »Stell ihn hin, sicher, ja, mein Freund. Was machst du mit dem alten Gropie? Was hat er dir getan?«
Im nächsten Moment bekam er einen Stoß und flog gegen die Wand. Dann sah er den Mann – einen hageren, großen Mann mit stechenden dunklen Augen und einem tagealten Stoppelbart. Er kannte ihn nicht, er hatte ihn nie gesehen, aber nun kannte er ihn. Der Blick in diese Augen genügte.
Ein Killer, dachte Gropie, ein Menschenjäger.
»Lacy – Grew, kommt herein, ich habe ihn.«
Schritte knirschten, Stiefel polterten. Sie kamen herein, sie mussten draußen zwischen den Kakteen gesteckt haben. Jetzt grinsten sie. Sie waren so unrasiert wie der Hagere, und sauber war nichts an ihnen. Der eine Kerl trug einen Schnauzbart, und der andere hatte Augen wie eine Ratte, die unaufhörlich hin und her zuckten.
Sie haben mich aus den Kakteen kommen sehen, dachte Gropie. Der Topf.
Er sah nicht zum Tisch, er blieb schief an der Wand stehen und kicherte blöde.
»Der lacht aber seltsam, was?«, fragte der mit den Rattenaugen und kam grinsend auf ihn zu. »Komisch, wie der lacht, was, Smaggler?«
Und dann schlug er zu, blitzschnell und voll unter Gropies Rippen. Der Alte knickte ein und fiel auf die Knie.
»Er lacht nicht mehr, der blöde Hund«, sagte das Rattenauge freundlich. »Komisch, dass er nicht mehr lacht, was, Smaggler?«
»Bestimmt erzählt er uns was«, meinte der mit dem Schnauzbart. »Er redet so gern wie er lacht, wetten, Smaggler?«
Dann griff er zu, er fasste nach Gropies Bart und zog. Gropie weinte Tränen, aber er freute sich nicht, es waren keine Freudentränen.
»Dein Name?«, fragte Smaggler. »Schnell, Alter, sonst …«
»Gropie, Gropie Williams.«
Es kostet Mühe, zu reden. Es war eine harte Arbeit, drei Worte herauszubekommen.
»Und du fängst Schlangen? Fütterst du sie auch?«
Der Topf …!, dachte Gropie.
Smaggler hob schön den Deckel an und ließ ihn wieder fallen. »Damit fütterst du Schlangen, wie? Du lockst sie an, was? Oder frisst du zwischen Kakteen lieber als hier drin, Gropie?«
»Ich – ich füttere damit – wirklich Schlangen und …«
Das Rattenauge schlug zu, präzise wie vorhin. Er konnte nur nicht antworten oder umfallen. Erstens fehlte ihm die Luft, zweitens hing sein Bart zwischen den Fingern des Schnauzbärtigen fest.
»Hähä, ist das ein Spaßmacher, was, Smaggler?«, fragte das Rattenauge. »Macht der mir Spaß. Ich lach mich gleich über ihn tot.«
»Langsam mit ihm, er ist doch alt«, sagte Smaggler. »Dass im Topf immer ein Rand bleiben muss, was, Gropie? Daran sieht man dann, wie viel einer gekocht hat. Oder bist du ein Vielfraß? Bei deiner Figur?«
»Er füttert Schlangen, so was – der muss verrückt sein«, sagte der Schnauzbart kopfschüttelnd. »Ob er noch verrückter ist, dass er schweigen will?
Wo ist Margley, Alter? Na, schnapp schon tief Luft, schnapp ruhig, sollst ja nicht sagen, wir hätten dir dazu keine Zeit gelassen. Also, wo ist er denn?«
»Wer?«
Diesmal flog er quer durch den Raum. Ein paar Schlangenhäute fielen auf ihn herab.
Gleich darauf standen sie neben ihm und zogen ihn wieder hoch.
»Wir können diese Häute nehmen und sie nass machen, um dich anzubinden«, sagte Smaggler sanft. »Wir können dann warten, bis du brüllst. Wir können auch ein Feuer im Herd machen und ein Eisen hineinstecken. Dann brüllst du auch. Schließlich sind noch die Kakteen da mit ihren Stacheln, auch ein Grund zu jubeln, wie?
Ich will Margley haben. Jemand hat für ihn bezahlt, und ich tue immer alles, wofür ich bezahlt werde. Niemand soll mir nachsagen, ich täte nichts für mein Geld. Ich lebe davon, dass ich zuverlässig bin, Gropie, verstehst du? Wo ist er?«
Er wusste es, als Smaggler noch mitten bei seiner Rede war, sie würden alles tun, was Smaggler sagte. Das hielt kein Mensch aus, er auch nicht. Sterben müssen war immer am Ende jeden Weges, aber so zu sterben?
»Na?«, zischte das Rattenauge. »Willst du nun bald singen, oder sollen wir einen Vogel aus dir machen?«
»Lass ihn, er denkt gerade nach«, sagte Smaggler träge und säuberte sich mit seinem Messer die Fingernägel. »Lass ihm nur Zeit.«
Sie standen um ihn und warteten. »Er ist in den Kakteen«, sagte der Alte langsam. »Aber ihr findet ihn nicht. Er weiß nicht mal, wie er von dort herauskommen kann. Ob ihr das glaubt oder nicht, Leute, ist eure Sache. Ohne mich kommt ihr nicht hin.«
»Denkst du?«, fragte Smaggler und hob den Blick. »Deine Spuren sind ja da.«
Er lachte nur, der Alte. Das Rattenauge hob die Faust, aber Smaggler zischte scharf, und die Faust sank herab.
»Zwischen den Kakteen ist der Boden steinhart, Smaggler«, murmelte Gropie. »Schick einen nachsehen, schick ihn los, wenn ihr es nicht glaubt.«
»Ist es weit, Alter?«
»Ja«, sagte er leise. »Eine halbe Meile, aber im Zickzack. Er kann uns nicht hören, Smaggler, nicht von dort, wo er jetzt ist. Ihr wollt ihn mitnehmen?«
»Was sonst?«, brummte Smaggler, und Gropie wusste, dass er log, der Killer. »Natürlich nehmen wir ihn mit. Du hast keinen Ärger, wenn du schlau bist, Alter. Das ist ein Versprechen.«
Sicher, dachte Gropie, keinen Ärger, wie? Wer tot ist, macht und hat keinen Ärger mehr, so ist das. Die legen mich auf die Nase.
»Wohin wollt ihr mit ihm?«
»Zum Sheriff. Jemand hat Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Ich lebe davon, dass ich Leute fange und abliefere.«
»Wer will ihn lebendig haben?«
»Ein Mann. Du kennst ihn nicht, er heißt Seward, aber das vergisst du besser.«
Seward …!, dachte der Alte. Also tot! Seward zahlt nur für einen Toten.
»Ich muss euch führen.«
»Yeah, sicher«, sagte Smaggler sanft. »Nur – wenn du zu laut sein solltest – oder vielleicht einen Trick versuchen willst – du wärst fertig, klar?«
»Ich bin kein Narr!«
Sie sahen ihn an und lächelten wie Wölfe. Dann schoben sie ihn aus seiner Hütte.
»Komm, mein Freund, geh voran.«
»Ich bin friedlich«, sagte er leise, als sie an den Kakteen standen, wo seine Spur herausgekommen war. Er nahm die Hände über den Kopf und sah Smaggler furchtsam an. »Bestimmt, ich versuche nichts, Smaggler. Schießt mich bloß nicht aus Versehen tot.«
Das Rattenauge lachte glucksend. »Er lebt so gern«, gluckste der Kerl. »So alt – und hängt an seinem Schlangenfresserleben. Du bist ein komischer Vogel, Mann. Na, geh schon.«
Er ging zwischen die Kakteen, und sie kamen ihm nach. Smaggler zuerst, mit dem Colt in der Faust.
Sie sind nicht ganz so schlau, wie ich dachte, überlegte Gropie, ich wäre nie jemand in die Kakteen nachgegangen, ich nicht, nicht ohne jede dritte Kaktee mit einem Messer anzuschlagen. Man findet sonst nicht wieder heraus.
*
Er duckte sich, als er unter der abgebrochenen Kaktee durchging, deren langer Arm schief hing.
Die Hände, dachte er einen Moment.
Und dann griff er zu. Es war nur ein Ruck, mit dem sich seine Hände in die Stacheln gruben, ein Schmerz, der verging, als er die Riesenstange, diesen Kakteenarm, blitzschnell nach unten warf.
Dann sprang der Alte nach rechts hinter die graugrüne Mauer. Er sprang, als der Knall kam und der Schrei von Smagglers Lippen brach.
Smaggler schrie wie ein gepeinigtes Tier. Er schrie nicht wie ein Mensch, als die Stacheln seine Arme trafen und sein Colt plötzlich nach unten deutete.
Der Colt ging los, doch die Kugel schlug in den harten Boden. Smaggler taumelte und brüllte. Der Kakteenarm hing in seiner Haut. Hinter ihm brüllte der Schnauzbart heiser los, riss die Waffe hoch und stierte auf die Kakteen.
Das Lachen kam – ein Lachen, das sie fast irr werden ließ. Der Alte, der Hund, der Satan, er lachte und war fort.
Der Schnauzbart feuerte in die Richtung dieses höhnischen, schrillen Gelächters. Klatschend schlugen die Geschosse in die grüne Mauer.
»Lauf doch!«, heulte das Rattenauge. »Da ist er, in der Lücke. Ihm nach, ihm nach.«
Der Schnauzbart sprang über den jetzt am Boden kauernden Smaggler hinweg. Er kam in die Lücke, sah gleich zwei Gabelungen und stierte zu Boden.
»Wo bist du, Hund, wo bist du denn? Verdammter alter Satan, wo?«, brüllte er.
Der Alte schrie nicht, er war schon da, an den Händen Blut, und in den Händen ein Stück mit dem Stiefel abgetretenen Kakteenauswuchs, in dessen Fleisch er gegriffen hatte! Er schleuderte diese kurze, stachelige Säule dem Schnauzbart in den Nacken.
Der schrie nicht, er heulte auf und riss die Hände hoch, griff in die Stacheln, drehte sich, schrie und kreischte vor Schmerz. Sein Revolver fiel herab, weil er ihn nicht halten konnte. Er hätte nicht mal schießen können!
»Lacy – Lacy!«
Er fiel auf die Knie, und das Rattenauge Lacy kam endlich.
»Ich bring ihn um – ich bring ihn um, den alten Satan! Oaaah, was tut das weh. Oaaah.«
Die Stacheln saßen zum Teil fest. Der Alte lief fort und schrie auch. »Junge, bleib, wo du bist, nicht weglaufen. Bleib, wo du bist, Steve, ich komme, ich komme.«
Nach fünf Minuten war er da und sah ihn an der Hütte stehen, das Gewehr im Hüftanschlag.
»Was ist los, Gropie, wer schoss da, wer schrie?«
»Drei Kerle, kennst du einen Smaggler?«
»Smaggler? Gerechter Gott, ist der hier?«
»Yeah, sie müssen Cameron abreiten gesehen haben. Jedenfalls waren sie da und sahen mich aus den Kakteen kommen, mit dem Topf. Sie wollten, dass ich sie zu dir brachte. Jetzt stecken sie zwischen den Kakteen und kommen nicht mehr raus, Junge. Die finden den Rückweg nie, es wird Stunden dauern. Sie können sich nur nach der Sonne richten. Wir haben Zeit, Junge, viel Zeit. Komm zur großen Hütte, ich muss mir Salbe auf die Wunden streichen, sonst eitern sie. Komm jetzt, das Versteckspiel ist zu Ende.«
»Gropie, was machen wir mit den Kerlen?«
»Fangen. Was sonst, Junge?« Fangen, dachte Steve. Smaggler, der Strolch. Wer hat ihn geschickt?
Gropie schien seine Gedanken zu erraten. »Seward hat ihn auf dich gehetzt, Steve.«
»Gut«, knirschte Steve. »Er soll mich sehen.«
*
Grew, der Schnauzbart, stöhnte.
Der Schmerz fraß sich wie von tausend Nadelstichen verursacht in seinen Nacken.
»Der Hund«, gurgelte er. »Dieser alte, widerliche Hund. Was ist denn, verflucht?«
»Fluch nicht, du Narr«, knirschte Lacy, das Rattenauge, bissig. »Schon wieder falsch, Hölle und Pest.«
Sie kamen nicht weiter, es war wieder Schluss. Hier war eine Lücke im grünen Gewirr der Kakteen, dann dachten sie, sie würden herauskommen, aber nichts als die Mauer aus Kakteen war da. Sie wussten nicht mehr, wie oft sie umgekehrt waren. Keiner besaß ein Haumesser.
Mühsam bahnten sie sich einen Weg durch das Kakteendickicht. Aber wenn sie ein Stück nach Osten vorgedrungen waren und eine Gasse entdeckt zu haben glaubten, kam wieder jene undurchdringliche Mauer.
»Ich brauche Wasser …!«, schrie Grew, der alte Schnauzbart. Sein Nacken schwoll an, brennender Juckreiz befiel ihn. Er wollte sich nicht kratzen, aber er hielt das verfluchte Jucken und Brennen nicht aus. Seine Fingernägel rissen die Haut ein. Einen Moment wurde ihm besser, doch danach brüllte er heulend: »Ich halt’s nicht mehr aus, ich werde wahnsinnig! Mein Nacken, mein Hals – ich werde verrückt. Wie das brennt. Wasser – Wasser.«
»Halt die Klappe«, knurrte Smaggler wild. »Was meinst du, was meine Arme tun? Schrei ich vielleicht, du Hundesohn? Wir kommen hier raus, wir schaffen es. Dann röste ich den Kerl, ich brate ihn, ich schwör’s. Der Schweinehund, der Alte.«
Wieder öffnete sich eine Gasse, aber sie führte nach Norden, so viel sahen sie am Sonnenstand. Grew verlor die Nerven, er rannte in die Gasse hinein, und Smaggler schrie: »Zurück, du Idiot. Da kommst du nicht weiter. Mensch, wenn wir die Gasse verfehlen, in der die Hütte des Alten liegt, dann kommen wir hier nie raus. Grew!«
Grew lief weiter. Er wollte nichts als hinaus. Plötzlich wurde es heller vor ihm. Und dann stand er auf einer Lichtung. Rechter Hand führte eine andere Gasse nach Osten. Er blickte zur Sonne und rannte in die Gasse hinein.
»Hier ist der Weg. Der Weg, Smaggler, der Weg, ich habe ihn gefunden! Der Weg!«, brüllte er. »Hierher, der Weg!«
Sie stürzten beide los. Er schrie nach ihnen, er schrie, bis aus den Rufen ein entsetztes Heulen wurde.
Grew, der Schnauzbart, hörte hinter sich ein Schmatzen, als wenn ein Hieb in saftiges Fleisch klatscht. Schreiend fuhr er herum, riss den Revolver hoch und die Augen vor Entsetzen weit auf. Er sah die Kaktee umkippen, einen Riesenstamm mit vier, fünf Armen. Die Riesenkaktee kippte in die schmale Gasse und auf ihn zu. Vergeblich duckte er sich, verzweifelt war sein Sprung, als sie herabfiel, umknickte und in die Gasse stürzte. Dann traf sie ihn und schleuderte ihn zu Boden. Grew spürte den Schmerz und brüllte nicht mehr. Die Kaktee hatte ihn begraben, die Kaktee deckte ihn zu.
Seine fürchterlichen Laute gingen in ein Wimmern über. So fanden sie ihn und sahen den glatt durchgehauenen Stamm der Kaktee. Das weiße Fleisch leuchtete, der Schnitt hatte die Kaktee gekappt.
»Pass auf!«, schrillte Smaggler. Die Angst kroch in ihm hoch. Jetzt wusste er, dass der Alte da war und irgendwo in diesem undurchdringlichen Kakteenurwald lauerte. Der Alte hatte die Kaktee abgehackt und umgeworfen, sodass sie auf Grew gefallen war wie ein Baum. »Lacy, pass auf.«
Er kauerte sich hin, der Mann Lacy mit seinen Rattenaugen. Zuckend, nervös, halb verrückt vor Furcht, huschten die Blicke nun hin und her. Smaggler nahm sein Bowiemesser und hieb auf die Kaktee ein. Er schlug Stück für Stück ab, bis er Grew freigelegt hatte.
»Ich sterbe – ich sterbe«, wimmerte Grew. »Ich verbrenne – helft mir doch – Wasser – Wasser, ich verbrenne.«
Smaggler riss ihn auf die Knie. »Steh auf!«, schrie er ihn an. »Los, aufstehen. Wo sind sie? Lacy, Achtung, da …«
Das Rascheln kam, ein Knacken rechts, das Lacy, das Rattenauge, herumzucken ließ. Lacy schoss aufschreiend in die Richtung, aus der das Geraschel und Knacken kam. Im nächsten Moment lachte es links von ihnen, und Smaggler feuerte sofort.
Das Krachen der Schüsse vermischte sich mit einem Prasseln hinter Lacy. Der warf sich herum und sprang weg, mitten über die Stücke der Kaktee, dabei Grew wieder umwerfend, der heulend über den Boden rollte. In der Gasse zwischen den Kakteen vor Lacy tauchte ein Schatten auf.
»Der Alte!«, brüllte Lacy. »Smaggler, hier!«
Er rannte los, den Colt in der Faust.
So kam er bis an die Gabelung der Gasse. Zwei Gängen gleich lief die Gasse auseinander. Lacy stürmte in den rechten Gang, der gleich darauf einen Knick machte.
»Smaggler – hierher! Schnell, hierher!«
Der Gang lief im Zickzack, Geraschel war vor ihm.
Hund, ich erwische dich, dachte Lacy, lauf nur weg, ich hole dich ein. Warte, du Satan, gleich habe ich dich!
Er duckte sich, rannte weiter und stand plötzlich vor einer Mauer.
»Hähä – hier, Rattenauge – hier!« Er fuhr herum und schoss. Die Kugeln klatschten in Kakteenfleisch. Danach stöhnte jemand, und Lacy schlich in die nach Norden führende Abzweigung hinein. Das Stöhnen war vor ihm, irgendwo hinter der grüngrauen Mauer der Kakteen.
Ich habe ihn erwischt, dachte Lacy, ich hab ihn, den alten Teufel. Da ist er, dort muss er liegen.
Stille jetzt, als hätte der Alte ihn gehört. Lacy schlich vorwärts, duckte sich, kroch auf allen vieren. Ein Knacken jetzt links, dann flog Lacys Kopf herum. Er sah etwas, zwischen den Kakteen schob sich ganz unten am Boden etwas dahin. Der Schatten kroch fort.
Jetzt, dachte Lacy, und zielte aus dem Liegen, da hast du dein Teil!
Brüllend der Knall, schrill der Schrei. Der Körper kam in die Höhe und taumelte los. Er torkelte drei Schritt weit, und Lacy lag da, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, den Colt in der Faust, den Mund geöffnet.
Es war Smaggler, der dort taumelte, in die Knie brach und seltsame Laute ausstieß.
»Smaggler!«, schrie Lacy und rannte davon. »Smaggler!«
Ein langgezogener Ton hinter ihm – ein hohles Gurgeln! Danach schlug der Körper hin. Lacy hatte Smaggler getroffen.
»Lacy – Lacy, hilf mir. Ich verbrenne, ich verbrenne.« Grew heulte klagend irgendwo links, aber überall waren Kakteen und die Gasse zu Ende.
Umdrehen, dachte Lacy. Er machte kehrt, kroch wieder zurück und hatte eine Gabelung vor sich.
»Lacy – Lacy! Smaggler – wo seid ihr?«
Nicht schreien, dachte Lacy, nicht schreien, nur kriechen, bloß nicht schreien. Der Alte, wo ist der Alte?
Er kroch noch vier Schritt. Der Gang verlief im Zickzack, aber da waren Grews Rufe, denen er sich näherte. Er war keine zwanzig Schritt mehr entfernt, als der Knall ihn packte. Die Kugel traf ihn in der Hüfte. Er schrie vor Schmerz, warf sich herum und riss die Waffe hoch.
So sah er Smaggler kauernd den Colt halten.
»Smaggler«, röchelte Lacy, das Rattenauge, »Smaggler – du – du Narr.«
Es war Smaggler. Auch Smaggler war gekrochen. Keiner hatte den anderen gesehen, nur einen Schatten ausgemacht und gefeuert.
Es war das yyLetzte, was Lacy sah – Smaggler, der nun auf die Brust fiel und ihn anstierte. Smaggler verlor den Revolver. Dann verschwamm der Saum der Kakteen, zwischen denen Smaggler am Boden lag.
Lacy fühlte sich angehoben und schwebte, bis er fiel. Den Aufprall spürte er nicht mehr.
»Smaggler«, sagte jemand, und ein Stiefel kam aus den Kakteen, trat den Colt weg, nach dem Smagglers Hand tastete. »Nun, Smaggler, wolltest du mich haben?«
Smaggler stierte auf den Stiefel, auf seinen Colt, den der Alte aufhob, der rechts zwischen den Kakteen auftauchte. Sie waren da, beide. Er hatte sie umbringen wollen, aber sie waren zu schlau für ihn gewesen. Jetzt wusste er es und starb.
Er starb langsam an Lacys Kugel, die ihm unter die Rippen gefahren war. Über ihm waren Kakteenarme und der Himmel kaltblau wie manchmal über der Wüste.
Nur Grew wimmerte klagend. »Wir holen ihn«, sagte der Alte.
*
Eine Uhr schlug irgendwo zehnmal in einem Haus rechts von Margley. Er blieb stehen, als der Hufschlag über die Straße fegte und die Reiter auftauchten. Margley verschwand im tiefen Schatten einer Stallfront. Die Reiter ritten vorbei, elf Mann und ein Sergeant.
Los, dachte Margley, über den Hof. Er lief, erreichte nach ein paar langen Sprüngen die Hintertür des Hauses. Sie war angelehnt. Im Flur brannte eine trüb blakende Laterne. Hinten im Flur war es fast dunkel, aber unter der einen Tür links hinten fiel ein Lichtstreif in den Flur.
Als Steve vor der Tür stand, lauschte er. Papier raschelte, jemand hüstelte. Dann kam das Klopfen aus dem Raum hinter der Tür. In diesem Klopfen drückte Margley die Klinke herab. Er stieß die Tür sacht auf und sah den Mann sitzen und seine Pfeife an einem großen Porzellanaschenbecher ausklopfen. Der Mann wendete ihm den Rücken zu.
»Hallo«, sagte Margley sanft.
Der Mann fuhr zusammen, vor Schreck ließ er die Pfeife in den Ascher fallen – ein kleiner Mann mit schmalen Schultern und wenig Haaren auf dem Kopf. »Hallo, mein Freund.«
»Oh, mein Gott, bin ich erschrocken«, ächzte der kleine Mann mit einer dünnen, quiekenden Stimme. »Sergeant, was kann ich für Sie tun?« Er hob den Kopf und sah über seine Brille hinweg.
Steve schloss die Tür und blickte ihn an.
»Chaggins nicht hier, Freund?«
»No«, antwortete der Kleine. »Mein Name ist Ferguson, Bill Ferguson, Mister – Sergeant. Mein Boss ist nicht hier.«
»Mein Pech«, sagte Steve träge, er seufzte einmal. »Ich muss ihn sprechen, sehr dringend, Mr Ferguson. Wo finde ich ihn?«
Steves Blick wanderte durch den Raum. Er betrachtete die Regale voll Akten, den Schreibtisch drüben am Fenster, an dem Chaggins sonst sicher saß. Dann huschte sein Blick über die Wand und blieb einen Moment an einem Bild hängen. Ein Frauenbildnis, um die Rahmenecke lag eine schwarze Schleife.
»Sergeant, der Boss ist in Canada drüben, jenseits der Grenze. Er hat in unserer dortigen Niederlassung zu tun.«
»Dann muss ich hin«, murmelte Steve. »So, in Canada in Mexiko. Eine schöne Frau, sehr schön, gestorben, Mr Ferguson?«
»Ja«, sagte Ferguson, es klang bitter. »Miss Mabel, die Schwester vom Boss. Sie war sehr schön, zu schön vielleicht.«
»Sicher, ich erinnere mich, er sagte mal etwas von ihr«, meinte Steve träge. »Die Männer, wie? Richtig, ich glaube, Walt sagte etwas von Männern, die ihr nachliefen.«
»Ja, ja«, nickte Ferguson düster. »Sie sah zu gut aus, und sie wollte ihr eigenes Leben führen. Manchmal war es schwer für den Boss.«
»Ich glaube es«, seufzte Steve. Er trat an die Wand zum Holzgestell eines Kleiderständers. Dann nahm er den Hut vom Haken, einen runden Hut, einen sogenannten Kugelgießer. »Schöne Frauen machen nur Kummer, Ferguson, was? Feiner Hut. Ihr Hut?«
»No, um Himmels willen. Der wäre zu teuer für mich. Der Boss kann sich so was leisten, ich nicht, ich bin nur ein kleiner Schreiber in diesem Office, Mister – Sergeant.«
»Es geht uns genauso, was?«, lächelte Steve. »Ich kann, mir auch keine Uniform schneidern lassen wie mein Captain. Immer die Kleinen, die die Dummen sind, was, Ferguson? Teufel, da fällt mir ein, in Uniform kann ich ja gar nicht nach Canada hinüber. Mein Gott, wann kommt er denn wieder, der gute Walt?«
»Er ist schon zwei Tage drüben. Morgen denke ich, Sergeant.« Ferguson nickte, der Sergeant gefiel ihm.
»Maria Madonna«, ächzte Steve bekümmert. »Morgen habe ich Dienst, übermorgen auch. Das wird wieder so ein Pech wie vor genau vierzehn Tagen. Walt wollte mich treffen, aber sie schickten mich nach Fort Seiden. Ich konnte ihm nicht mal mehr Nachricht geben.
Hoffentlich war er nicht verärgert, dass ich nicht dort war. Er war doch unterwegs, vor vierzehn Tagen?« Ferguson runzelte die Stirn und dachte nach.
»Aber, ja, sicher, er war unterwegs«, bestätigte er dann. »Er hatte in San Augustin zu tun. Wollten Sie ihn dort treffen, Sergeant?«
»No, in Fort Fillmore, mein Freund«, seufzte Steve und hockte sich auf den nächsten Stuhl. »Er sagte was davon, dass er vielleicht zwei Tage in der Ecke zu tun hätte. Auf dem Rückweg fragte ich im Fort nach, doch er war nicht gekommen.«
»Yeah, er kam wirklich spät, erst nach vier Tagen«, lächelte der kleine Ferguson. »Dabei wollte er nach zwei Tagen wieder hier sein, Sergeant.«
»Ich sage ja, ich habe dauernd Pech«, klagte Steve. »Walt ist etwas schwierig, ich kenne das. Hoffentlich hat er es mir nicht übel genommen, er wird so leicht wild.«
»Wem sagen Sie das, Sergeant, aber ich will nichts gesagt haben. Ich bin nur der Schreiber hier. Er ist schon seltsam – manchmal. Und nervös, seit sie tot ist – Miss Mabel!«
»Wann starb sie eigentlich?«
»Vor einem halben Jahr etwa, ganz plötzlich, ein Blutsturz, sagte der Boss. Sie war ja immer in El Paso drüben.«
»Muss ein Schlag für ihn gewesen sein«, murmelte Steve bedauernd. »Hatte sie nicht einen Freund bei der Armee, mir ist doch so, als hörte ich mal was davon?«
»Einen Captain, yeah, sogar einen Captain zuletzt«, brummte Ferguson. »Der Boss war richtig froh darüber, dass sie endlich einen vernünftigen Mann mit Geld gefunden hatte. Er war wochenlang nicht zu gebrauchen, Sie wissen ja, wie er ist, was?«
»Yeah, muss schlimm gewesen sein«, antwortete Steve bitter. »Hieß er nicht Seward, der Captain? Da war doch neulich was, starb der nicht?«
»Weiß ich nicht, ist der tot?«, staunte Ferguson.
»Ich glaube, sie redeten darüber im Fort. Na, es stirbt sich schnell, Ferguson, wir sind alle mal an der Reihe.«
Er stand auf und nickte dem kleinen Mann zu. »Ferguson, ich kann erst in drei Tagen herkommen, wenn Sie ihm das sagen würden?«
»Sicher, ich richte es aus, Sergeant. Und wen soll ich melden? Ich meine – Ihr Name, Sergeant?«
»Raily«, sagte Steve, weil ihm gerade Raily einfiel. »Sergeant William Raily. Na dann, tun Sie nicht mehr zu viel, mein Freund.«
Er setzte den Hut wieder auf und ging hinaus. Hinter dem Zaun blieb er stehen und wartete. Aber Ferguson rannte nicht in den Hof und nahm kein Pferd. Ferguson wusste also nichts von Chaggins Geschäften.
Canada, dachte Steve – er lächelte grimmig – Canada, Mr Chaggins, wie? Da hast du eine Niederlassung, sieh einer an. Und Clane ist über die Grenze mit dem gestohlenen Zeug, das du dann an die Mexikaner verkauft hast.
*
Canada war Grenzstadt, nur durch den Fluss, durch den Steve geritten war, von den USA getrennt. In einer Grenzstadt war immer Betrieb. Hier liefen noch die kleinen Kinder auf der Straße umher. Türen standen auf, Menschen schwatzten, Lichter glitzerten überall.
Das große Hoftor in der weißen Mauer war geschlossen. Der eckige Flachgiebel des Hauses beleuchtet. »Garcia und Chaggins«, las Steve leise, als er zum Hausgiebel sah. »Frachten und Transporte.«
Garcia und Chaggins, so war das.
Chaggins hatte sich hier einen mexikanischen Partner genommen. Es machte sich dann leichter Geschäfte in diesem Land.
Margley schlich an der Mauer entlang, bis er an dem niedrigen Flachbau stand. Das Fenster war sperrangelweit offen, die Tür auch. Jemand schnarchte in jenem Bau tief und sägend.
Er schnarchte auch weiter, als Margley schon zwischen den Pritschen des Schlafraumes stand und die Lampe matt auf dem Tisch glänzen sah. Margley zog den Revolver. Er legte ihn neben die Lampe, nahm den Zylinder ab und riss ein Streichholz an.
Das Schnarchen stoppte einen Moment. Dann brannte die Lampe, und das Licht fiel auf fünf Pritschen. Doch hier lagen nur zwei Mann.
Steve Margley betrachtete den Mexikaner freundlich. Er dachte an das Tal und Clanes Versuch, aus der Falle zu kommen. Er sah den Hang wieder vor sich und den Mexikaner herabkugeln.
Da bist du ja, dachte Steve. Und der da …, dreh dich doch mal um, Schnarcher! Er nahm den Revolver hoch und stieß den Schläfer an. Der Mann lag zusammengekrümmt auf der rechten Seite, das Gesicht zur Wand gewendet. Als ihn der Stoß traf, drehte er sich ächzend und brummend um. Er blinzelte ins Licht der Laterne, bis er die Hand und die blaue Uniform sah.
»Hallo – Miller, Smith – oder wie du sonst heißt«, sagte Margley eisig. Dann schlug er zu, denn der Kerl sperrte das Maul auf wie ein Fisch, der nach Luft schnappte.
Vielleicht wollte der Bursche auch nur beteuern, dass er nicht Smith, Miller oder Wilson, sondern ganz anders hieß und alles ein Irrtum war. Sicher war es ein Irrtum, dass er jemals im Jail gesessen und ein Mann ihn herausgeholt hatte.
Der Mann, der die vielen Namen wie Hemden trug, die er anziehen und ablegen konnte, fiel zurück, er schnarchte nicht mehr. Er hatte eine Beule am Kopf.
Die Pritsche knarrte, als er zurückfiel und die Augen schloss. Die andere Pritsche drüben knarrte auch, und Margley wirbelte blitzschnell herum.
Der Mexikaner saß dort aufrecht, er sperrte auch den Mund auf. Doch dann knallte ihm der Revolverlauf an den Kopf. Er schrie nicht, er verdrehte nur die Augen. Sein Hinterkopf schlug gegen die Wand.
»So ist das«, sagte Steve Margley trocken. »Nun wollen wir euch die Flügel binden, sonst fliegt ihr mir noch mal davon. Sie werden sich mächtig freuen, wenn sie euch wiedersehen, wetten, ihr Vögel?«
Steve blickte in den Hof, aber dort war niemand. Nur die Pferde im Corral rechts neben dem Stall schnaubten leise. Margley schleifte die beiden Burschen hinter sich her in den Hof.
Er ging in den Stall, als wäre er hier zu Hause. Dann fand er genug Seile und auch ein dreckiges Tuch, aus dem er zwei Knebel drehte.
Steve Margley kehrte in den Hof zurück und lehnte sich an die Seitentür des Hauses. Als ihm die Zeit zu lang wurde, ging er ins Haus, aber es war niemand hier. Schließlich holte Margley noch ein Pferd aus dem Corral und lud die zwei Gefangenen auf.
Schritte kamen plötzlich – zwei Männer unterhielten sich. Ihre Stimmen schlugen in den Hof und prallten gegen die Mauern.
Margley hörte, wie das Außentor zufiel. Dann schob er das hintere Tor sacht auf.
In diesem Augenblick sah er sie stehen – Chaggins, den Mann mit dem runden Hut. Er stand rechts am Haus neben der Haustür. Der andere Mann, ein Greaser, legte gerade den Balken vor das große Hoftor.
»Hallo«, sagte Steve Margley, und war mit einem Satz im Hof. »Chaggins, hier bin ich.«
Er schrie vor Schreck auf, der Mann mit dem runden Hut und der dreiviertellangen Jacke. Er schrie und sprang auf die Tür zu, um ins Haus zu kommen.
Der Greaser am Tor wirbelte herum, seine Hand zuckte zum Gürtel.
In derselben Sekunde drückte Margley ab.
*
Steve Margley stürmte los, als der Mann am Tor zusammenbrach. Er dachte an das Dröhnen des Schusses, das überall in der Stadt gehört worden sein musste. Sein Blick zuckte zur Haustür, und er raste in langen Sätzen auf sie zu.
Jetzt zahlte es sich aus, dass er vorher im Haus gewesen war. Er hörte, wie Holzstufen unter schweren Tritten klangen. Walt Chaggins lief die Treppe empor zum oberen Geschoss des Hauses. Chaggins wollte entwischen und hatte die Haustür hinter sich zugeschmettert.
Margley lief, bis er zwei Schritt vor der Tür war. Dann drehte er sich und sprang ab. Er krümmte sich zusammen und spürte, wie der Anprall die Tür aus dem Schloss riss. Sie schwang mit einem dumpfen Krach in den Flur. Margley flog mit der Tür in den Flur hinein, den Colt in der Faust.
Dunkelheit im Flur und über der Treppe, aus der jäh ein Blitz von oben herabzuckte. Schwer, tosend und grollend der Abschuss des Revolvers. Ein Krachen und Splittern war hinter ihm in der Tür.
Steve lag am Boden, den Colt in der Faust. Einmal wälzte er sich herum. Mitten in der Drehung kam das zweite Brüllen. Die Kugel schlug in den Boden, aber er sah nun aus weit offenen Augen hinter dem Feuerstrahl die dunkle Gestalt.
Jetzt …!, dachte Margley, als er durchzog und der Colt in seiner Hand hüpfte. Jetzt, Chaggins!
Chaggins schrie durchdringend und hell, und Margley schnellte sich ab. Er flog mit einem Satz an der Treppe vorbei. Ehe er sich hochstemmen konnte, dröhnte die Treppe. Der Mann schrie nicht mehr, er kam die Treppe herunter, stürzte über die Stufen, bis er aufschlug. Irgendetwas fiel ihm nach, blieb aber auf halber Treppenhöhe liegen, der Revolver, aus dem Chaggins zweimal gefeuert hatte.
Steve Margley fegte mit einem Sprung um den Aufgang. Neben dem Mann bückte er sich, riss ihn hoch und griff nach seinem Hals. Pulsschlag klopfte unter seinen Fingern.
Du bist nicht tot, dachte Steve, als er sich den Mann über die Schulter warf, du lebst, Bursche, raus hier.
Er stürzte in den Hof und stürmte mit Chaggins auf das hintere schmale Tor zu. Sein Blick zuckte nach rechts zum breiten, geschlossenen Hoftor. Während er lief, sah er den Mexikaner so liegen, wie er ihn getroffen hatte. Jemand schrie auf der Straße. Stiefel rannten über harten Boden, und Tritte näherten sich dem Tor.
Ruhig, dachte Margley, ganz ruhig, Mister. Das Seil und den Kerl an den Sattel binden. Nur immer mit der Ruhe, wie? Ah, sie springen über das Tor. Die rennen doch erst ins Haus, wetten? Well, ins Haus, ich dachte es mir.
Im Haus schrie einer, am großen Tor auch noch jemand. Der eine Mister schrie. Sancho wäre tot. Und der andere im Haus brüllte nach Chaggins.
Sie liefen die Treppe hoch, als Margley sich in den Sattel zog. Er duckte sich, nahm kaltblütig die Longe herum und ritt an. Die Hufe klopften laut, die Büsche rauschten. Einen Moment blieb es hinter ihm still. Dann schrie einer gellend: »He, da reitet jemand weg. He, kommt her, da reitet jemand!«
Margley stieß seinem Pferd die Hacken ein. Hinter dem Pferd liefen nun die beiden anderen los. Das dritte Pferd war an Margleys Seite. Chaggins lag quer über dem Pferd. Er schaukelte im Takt der Hufe mit. Dann kam der Uferweg, und hinter Margley nahm das Geschrei zu.
Steve Margley lachte leise und grimmig, als das Wasser unter den Hufen der Pferde hochspritzte. So jagte er durch die Furt und sah das andere Ufer immer näher kommen. Er blickte auf die Lichter von Socorro und die von Isleta drüben. Sie wurden immer größer. Danach kam die tiefste Stelle der Furt, und er beugte sich hinüber zu Chaggins.
Wasser, dachte Margley, macht jeden Mann munter, wie? Jetzt stöhnst du, Bursche.
»Na?«, fragte er und riss Chaggins am Kragen hoch, damit er nicht etwa noch ertrank, der Strolch. »Dein Bein, was? Ich werde dich verbinden, Chaggins, weil du nicht verbluten darfst. Wir sind gleich drüben, mein Freund. Dachtest du, ich wäre umgekommen?«
Chaggins stöhnte nur, er schwieg, bis sie am anderen Ufer und am ersten Buschstreifen waren. Dort griff Steve in die Brusttasche. Er zog ein Streichholz heraus, riss es an und leuchtete Chaggins’ Beine ab. Die Kugel hatte den linken Oberschenkel getroffen. Steve zerrte Chaggins den Hosenriemen herunter und schlang ihn um das Bein. Er band es ab, ehe er die Hose aufschnitt. Aus seiner Satteltasche lief das Wasser. Das Hemd, das ihm Gropie ausgewaschen hatte – Sewards Hemd – schlang er um die Wunde. Es waren wieder die Ärmel, mit denen er einen Knoten machte. Jetzt trug Chaggins das Hemd des Mannes, den er erschossen hatte.
»Weißt du, wessen Hemd das ist?«, fragte Margley sanft. »Es gehörte einmal Alec Seward, seltsam, was? Vielleicht denkst du, du könntest etwas abstreiten, Mister, aber es hilft dir nicht. Die beiden Burschen da, verstehst du? Dass ich sie bei dir fand, kostet dich den Hals. Und noch etwas, Chaggins, du hast etwas vergessen, Mann. Deine Schwester. Sie war jung, wie? Und lebenslustig sicher auch, war sie doch, oder?«
Er spürte, wie der Körper Chaggins’ zuckte und wusste, was jetzt kam.
»Du Teufel, wie hast du das erfahren?«, keuchte Chaggins. »Wer hat es dir gesagt?«
»Jemand, irgendwer«, erwiderte Steve kalt. »Seward wollte ihren Körper, aber heiraten – heiraten wollte er sie nicht.«
»Der Hund …!«, zischte Chaggins. »Hätte ich ihn nur gleich über den Haufen geschossen, den Schweinehund, den verkommenen! Er hat sie umgebracht, er schleppte sie zu dieser Alten, die das Kind wegmachen sollte. Ah, hätte ich ihn doch gleich nur wie einen räudigen Hund niedergeknallt.«
»Du hast es ja besorgt, sei doch zufrieden, Mann.«
»Gleich hätte ich es tun müssen, sofort. Der feige Hundesohn, feige wie ein Stinktier!«
»Zu feige, dir dabei zu helfen, die Gefangenen zu befreien, was? Was wolltest du eigentlich, ihn nur erpressen oder Conway um die Armeekonzession bringen? Beides, was?«
»Warum nicht?«, keuchte Chaggins. »Ich habe ihn unter Druck gesetzt, aber was war das schon gegen das, was dieser Hund getan hatte? Meinst du, ich hatte die Idee zu diesen Überfällen? Die hatte er, der feine Captain. ›Hör zu, Walter‹, sagte er, der Lump, ›hör zu, ich mach’s wieder gut. Ich sorge dafür, dass du die Armeekonzession bekommst. Du brauchst nur ein paar Burschen zu beschaffen, die Conways Transporte berauben. Dann verliert er die Konzession zum Handel mit Armeeausrüstungen. Walt, du kannst ein Geschäft machen, vielleicht das Geschäft deines Lebens.‹«
Er lachte halb irr und starrte Margley an.
*
Sie saßen alle in Three Rivers – alle Margleys und alle Camerons. Es war ein verdammt guter Grund, heute im Saloon zu sein. Etwas wurde versteigert, meistbietend: Sewards Ranch.
Bat Seward war schon längst verschwunden, weil sein Sohn noch nachträglich unehrenhaft aus der Armee geflogen war. Manchmal machten sie das nachträglich, obgleich es einem Toten doch ganz gleich sein konnte, ob er nun ehrenhaft oder unehrenhaft verfaulte.
»Die spinnen manchmal«, hatte Barry Cameron gesagt. »Du hast recht, Steve, manchmal spinnen die hier. Warum hätten sie dich sonst zum Master Sergeant gemacht? Wo du doch ein Schlump-Soldat bist, was?«
Jetzt saß Barry in seiner Captainsuniform in der ersten Reihe. Bescheiden wie sie waren, hockten die Margleys dahinter. Aus den ehemals Gejagten vom Rio Bravo waren hoch angesehene Leute geworden, die nur einen Fehler hatten, sie waren verdammt arm.
Auf dem Tresen lag ein Hammer, den Mr Hillsboro anhob und herunterknallte, weil man so eine Versteigerung eröffnet. Mister Hillsboro war Rechtsverdreher und vertrat Bat Seward, der irgendwo im Norden saß, vielleicht gerade auf einer Bettkante, wer konnte das wissen?
»Zwölftausend Dollar, Gentlemen«, fing Hillsboro an. »Zwölftausend Dollar, wer bietet mehr?«
»Zwölftausend«, meckerte ein kleines Männchen aus Loma Alta von der anderen Stuhlreihe.
»Dreizehn«, sagte jemand hinter ihm fett.
Sie schrien sich an, bis sie bei sechzehntausend Dollar waren. Dann sagte einer was, und Big Jim Cameron fühlte, wie ihm die Haare langsam den feinen Sonntagshut anhoben.
»Sechzehntausendeinhundert Dollar«, sagte der Mann bescheiden in der zweiten Reihe.
Er ist verrückt geworden, dachte Big Jim Cameron. Das kann er doch nicht machen? Habe ich mich verhört, oder hat er das wirklich gesagt?
Er sah sich um, mitten in Owen Margleys unschuldiges Gesicht, dessen Augen nur leicht funkelten.
»Ja, genau Sechzehntausendzweihundert!«, blökte der fette Kerl aus Pecos.
»Also Sechzehntausendzweihundertfünfzig …!«, sagte Owen Margley sanft.
Sie starrten ihn alle an, ihn …, den Hungerleider, den armen Irensohn Owen.
»Dreihundert!«, blökte der Fette wieder.
»Dreihundertzehn!«
Herr im Himmel, er steigert um zehn Dollar, dachte Big Jim entsetzt. Das hat es noch nie gegeben, um zehn Dollar steigern bei einer ganzen Ranch. Was hat er nur, er kann das doch gar nicht.
Der Fette bot bis siebzehntausend Bucks, und als Owen, der Irensohn, wieder zehn Dollar mehr bot, fiel der Fette vom Stuhl. Die Leute hoben ihn auf und setzten ihn wieder hin, aber, er wollte nicht mehr steigern, sonst hätte ihn noch der Schlag getroffen.
»Mr Margley«, japste Hillsboro und wischte sich den Kneifer sauber, der vom Angstschweiß beschlagen war, weil der Hungerleider niemals bezahlen konnte. »Mr Margley, ähäh, auf – auf welche Bank kann ich – äh, die Anweisung – äh – bekommen?«
»Auf keine«, sagte der Hungerleider Owen Margley. Er stand auf und ging zum Tresen, eine alte, schäbige Tasche in der Hand. Die stellte er vor Hillsboro hin. Er machte sie langsam auf.
Als er sie öffnete, standen die Leute alle auf und bekamen lange Hälse. Einige hielten sich die Augen fest, weil sie ihnen aus dem Kopf fallen wollten.
Er stand da und packte bedächtig aus – Scheinbündel um Scheinbündel. In altes Packpapier und Zeitungsreste eingewickelte Dollarmünzen. Er baute kleine Türmchen, langsam und sehr bedächtig.
Das war seine Bank – die alte, schäbige Tasche. Und es war die Sparsamkeit von zwanzig Jahren. Es waren einige Dollar für Zigarren, die er sich nie geleistet hatte, obgleich er sie verdammt gern geraucht hätte. Es waren Dollar für geflickte Hosen statt neuer, für Flicken auf Stiefeln, die er aufgesetzt hatte, statt sich ein paar neue zu leisten. Es war all das, was sich andere geleistet hatten, nur er nicht.
Sie standen da und trauten ihren Augen nicht. Nur die Frau saß schmal und grauhaarig auf ihrem Stuhl. Sie hielt den Kopf gesenkt. Ihre Schultern zuckten, und ihre Tränen liefen auf ihre gefalteten Hände, weil sie wusste, für wen er Dollar für Dollar zurückgelegt hatte, nicht für sich oder sie – Annabelle Margley. Er hatte still gespart – für seine Kinder! Vielleicht hatten sie manchmal gedacht, dass er wirklich geizig war …
Niemand hatte es gewusst, auch Annabelle, seine Frau, nicht. Nur einer, Steve, sein ältester Sohn.
»Der Mann«, schluchzte Annabelle Margley. »Oh, mein Gott …!, dieser Mann!«
»Mama«, sagte Steve mit einem Kloß im Hals. »Mama, nun sei doch ruhig.«
Am Tresen machte der alte Owen Margley seine noch nicht ganz leere schäbige Tasche zu.
»Sie können nachzählen«, sagte er sanft. »Es stimmt, Mr Hillsboro.« Dann drehte er sich um, ein großer alter Mann mit hellen Irenaugen, der nun Big Jim Cameron ansah.
Big Jim bekam keinen Ton heraus.
Er dachte an Owens Worte, dass sie sich eines Tages alle noch wundern würden. Das also hatte er gemeint. Jetzt hatte er so viel Land und Rinder, dass jeder Sohn sein Stück bekommen konnte.
»So ist das, Jim«, sagte Owen Margley bedächtig. »Da ist noch etwas mehr. Wird wohl reichen, um meiner Tochter Concha etwas mitzugeben, wenn sie den Mann heiratet, der sie haben will. Und etwas wird auch noch sein, damit Steve sich das Haus mit seiner Frau eines Tages einrichten kann, wie er will. Wird wohl noch genug sein, denke ich – oder, Cinthia?«
»Ja, ja«, sagte Cinthia Cameron und fiel ihm um den Hals. »Danke, Vater.«
Big Jim Cameron fiel das Kinn herunter, als seine Tochter Owen umarmte und danach auf Steve zustürzte.
Owen Margley zwinkerte nur etwas heftig, denn Concha flog jetzt auf ihn zu und danach weiter, bis Barry Cameron sie festhielt.
Ich muss mich hinsetzen, dachte Big Jim Cameron, ein Stuhl, bloß schnell einen Stuhl her, sonst falle ich um. Davon habe ich auch nichts gewusst, gar nichts. Dieser Owen, dieser alte, verdammte Schurke! Mein Sohn und seine Tochter – und meine Tochter und sein Sohn. Allmächtiger!
»Ja, ja«, sagte Owen Margley und klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Augen muss man haben, Jim.«
Dann ging er zu seiner Frau, setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter.
»Mann«, flüsterte sie. »Mann, was hast du gemacht? Warum hast du mir das nie gesagt, Owen?«
»War doch immer alles da, oder?«, murmelte er. »Hat doch keiner bei uns gehungert, wie? Ohne dich hätte ich das nie geschafft, glaube ich.«
So war und so blieb es. Viel reden war nie seine Stärke …
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