Читать книгу G.F. Barner 1 – Western - G.F. Barner - Страница 18
ОглавлениеNein …!, dachte Hartney Shelby, großer Gott …! Nein! Und dann öffnete sich sein Mund zu einem Stöhnen, das das Grauen verriet, denn er sah nun sein Kind tief unten im ausgetrockneten Brunnen seiner Ranch liegen.
Es gab keine Shelby-Ranch am San Carlos River mehr, es gab kein fünfjähriges Mädchen mehr, das seinem Vater jauchzend entgegenlief.
»Rose – Rose«, sagte Shelby, und seine Stimme brach. »Meine Rose!«
So ist es, wenn man verrückt wird, dachte er, mein Gott, ich werde wahnsinnig, ich verliere den Verstand. Gott, hilf mir doch!
Der Himmel schwieg, der Wind sang und wisperte in den verbrannten Balken seiner Ranch, trieb Asche auf die Hände, die Shelby um den Brunnenrand gekrampft hatte. Mary, seine Frau, war tot, geschändet, zerstückelt – da lag sie und hatte keine Augen mehr. Und Abe, der Dreizehnjährige hing am Zaun, und sie hatten ein Feuer unter ihm gemacht, ehe sie ihn bestialisch ermordet hatten. Hat lag wie ein Gekreuzigter auf dem Rad des zerbrochenen Wagens – Hat, sein Ältester. Und hier war Rose, die kleine Rose. Und dort lag das Vieh – alles war tot und leer, und die Jahre waren umsonst gelebt worden, das Glück war vergangen in Schreien, blitzenden Messern, geschwungenen Kriegsbeilen und sausenden Pfeilen.
Ich war doch nur beim Nachbarn drüben, dachte Shelby, ich war doch nur einen Tag fort, um ihm zu helfen. Nachbarn müssen sich helfen, hat Mary immer gesagt, Mary …
Ich hole Rose aus dem Brunnen, dachte Shelby, ich werde hinabsteigen und mein Kind, meinen kleinen Sonnenschein, heraufschaffen. O Gott, wo bist du, warum hast du das zugelassen? Ich will hinabsteigen, ich muss sie holen!
Er nahm das Bein hoch, griff nach dem Seil, aber plötzlich hörte er eine Stimme und hielt inne.
Er redet zu mir, dachte er, ich bin schon verrückt, dass ich seine Stimme höre …
»Hartney, sieh dich erst um! Hartney, nicht in den Brunnen steigen, erst umsehen!«
»Wo, wo bist du, Murdock?«, stöhnte Hartney Shelby und blickte sich wie irr um. »Murdock – Murdock, Junge, ja, du hast recht, du hast mir abgeraten, hier meine Ranch zu bauen. Zu nahe am Indianergebiet, hast du gesagt. Tue es nicht, Hartney, auch wenn es gutes Land ist, die Apachen könnten eines Tages kommen. Dann hilft dir auch alle Tapferkeit nichts, Hartney Shelby. Du kennst die Apachen doch, du warst Quartermaster-Sergeant, der Vater des Schwadrons, mein Pflegevater, du kennst sie – siedle nicht hier!«
Es schüttelte Shelby, als hätte ihn das Mexikofieber gepackt. Murdock McCallum hatte ihn gewarnt, Murdock, der unter Indianern aufgewachsen war, der beste Sergeant der Armee, der klügste Mann, den Hartney Shelby jemals gekannt hatte, obgleich dieser Mann viel jünger als Shelby war und sein Sohn hätte sein können. Murdock war ein Genie, Murdock McCallum entging nichts, Murdock fand jede Spur und wusste alles.
Umsehen, dachte Shelby, Murdock hat wie immer recht, erst umsehen. Die sind vielleicht noch da, diese Teufel. Da liegen Ziegenlederbeutel. Sie riechen nach Tequila. Die Apachen waren betrunken. Nur betrunkene Apachen hausen so entsetzlich. Sie werden ihren Rausch ausgeschlafen haben. Bestimmt haben sie gefeiert, nachdem sie hier alles getötet hatten. Mein Gott, die Teufel sind bestimmt noch in der Nähe. Los, Hartney, nimm dein Pferd, reite an, halte die Augen auf, such sie. Und wenn du sie siehst, dann bring sie um!
Ein ehemaliger Quartermaster-Sergeant kannte keine Angst – doch nun hatte er sie in sich. Ihm grauste vor dem Anblick seiner Toten, als er aufsaß und sein Gewehr in die Hand nahm. Dann ritt er an Mary vorbei und sah nicht hin. Er kam an Abe vorüber und schloss die Augen, wie er sie fest zumachte, als er seinen Stolz, seinen Ältesten, verließ. Danach erreichte er den Steilhang am ausgetrockneten Bett des San Carlos Rivers. Und plötzlich war die Stimme wieder da – Murdock McCallums Stimme: »Pass auf, Hartney! Sie liegen verdammt gern in der Überhöhung und lassen dich vorbei, um dir einen Pfeil in den Rücken zu jagen. Reite, aber achte auf das kleinste Geräusch hinter dir. Und hörst du etwas, dann herum, Gewehr hochreißen und zur Seite kippen, aber dabei schießen!«
»Ja, Murdock, mein Junge, ja, ich weiß!«, sagte Hartney. »Schon gut.«
Reiten, lauschen, aufpassen – und dann war er fast an der Überhöhung vorbei, als das Rascheln da war.
In derselben Sekunde kippte der ehemalige Sergeant Hartney Shelby zur Seite und riss gleichzeitig das Gewehr hoch. Im Fallen sah er den Apachen breitbeinig im hohen, trockenen Gras auf dem Hang stehen, den Bogen gespannt in der linken Hand.
»Jaaa!«, brüllte Hartney voller Hass und Wut, Rachsucht und Tötungswillen. »Jaaa!«
Und dann schoss er auch schon, pflanzte die Kugel mitten in das erschreckte Gesicht des Apachen, das unter dem Schlag zerplatzte. Der nächste Apache fuhr hoch, riss sein Gewehr an die Schulter.
Hartney verwandelte sich in einen Teufel. Er jagte dem Apachen die zweite Kugel in den Bauch und sah ihn schreiend zusammenbrechen, bis er den dritten Hund aus den Büschen schnellen und den Tomahawk werfen sah. Das Pferd Shelbys flog herum, der dritte Schuss krachte, der Indianer schlug hin.
Töten, töten, töten, dachte Shelby, alle töten! Doch da kamen sie aus den Büschen, vier, fünf Krieger. Rechts wieherte ein Mustang. Staub schoss am Weg hoch, und Hartney wusste nun, dass der Weg zum Nachbarn versperrt war. Der wohnte auch fünfzehn Meilen entfernt, und nach dem Armeecamp San Carlos waren es nur fünf Meilen mehr.
Zu viele für mich, dachte Shelby, ich muss fliehen!
Der ehemalige Sergeant fiel auf den Hals des Pferdes. Zweimal schoss er noch, bis die Kugeln der Apachen nach ihm und dem Pferd griffen. Ein Schlag traf seine linke Hüfte, aber er raste im Zickzack vor der Staubwolke davon, preschte mitten durch Büsche, sah den ersten Reiter nachsetzen und knallte dem Apachen das Pferd zusammen. Danach trieb er das Pferd zum Galopp, lud das Gewehr nach und sah nach seiner Wunde. Blut lief über seine Hose, Schmerz raste durch seine Hüfte und die Rippen.
Mein Gott, dachte Hartney Shelby, die Kugel steckt in mir. Ich muss zum Armeecamp, ich muss reiten, mich verbinden lassen und versuchen, dass ich Hilfe aus dem Camp hole, damit sie begraben werden. Verflucht, das ist ja der Schwarze Falke, der wildeste Apachenchief, der dort hinten kommt. Der Hund hetzt mich, bis ich tot bin. Murdock, wo bist du? Murdock, ich werde halb tot sein, wenn ich das Camp oder die Verbindungsstraße nach Fort Defliance erreicht habe. Vielleicht finde ich einen Wagen und dort Hilfe – und vielleicht sagen sie mir, wo du bist, Murdock, denn du kannst den Schwarzen Falken finden, nur du, Junge. Murdock, wo bist du gerade mit der Armee unterwegs?
Der Verwundete jagte weiter und dachte an Murdock McCallum, den besten Sergeanten der Kavallerie.
*
Elena Pearson blickte aus der Stagecoach zum letzten Wagen der Kolonne und sah die Köpfe der vier Gefangenen im Armeetransporter im Staub verschwinden. Sie hatte nie zuvor gefesselte und angeschossene Soldaten, die von anderen bewacht wurden, zu Gesicht bekommen. Dafür sah sie jetzt, dass die sengende Sonne und der Staub die Männer umbringen musste. So ging es nun schon tagelang nach Süden, man fuhr im eskortierten Konvoi, weil die Indianerüberfälle zugenommen hatten.
»Vater, ob der Captain keine Mittagsrast machen will?«, fragte Elena beklommen. »Mein Gott, die Gefangenen müssen ja im Staub ersticken und in der Hitze verdursten.«
Charles Pearson, der größte Pferdezüchter aus Santa Cruz, ein mittelgroßer, breitschultriger Mann mit eisgrauem Haar, zuckte bei der Frage seiner Tochter die Achseln.
»Keine Ahnung«, antwortete er. »Was meinen Sie, Milland?«
Roy Milland, der Armeeagent für den Pferdeeinkauf, ein hagerer Mann mit einem stets verkniffen wirkenden Nussknackergesicht, einem randlosen Kneifer auf der langen Nase, blickte aus dem anderen Schlag nach hinten.
»Captain Spalding wird sicher Pause machen«, erklärte er näselnd. »Miss Pearson, Sie haben doch nicht etwa Mitleid mit diesen Deserteuren und Schuften dort hinten?«
Elena Pearson zupfte an dem hellblauen Seidentuch, das sie zum Schutz vor dem in die Kutsche wehenden Staub um das dunkle Haar gebunden hatte.
»Es sind Menschen – oder nicht?«, fragte sie etwas spitz, weil sie Millands Einstellung nur zu gut kannte. »Mister Milland, was immer diese Männer getan haben – man behandelt sie wie Vieh oder Aussätzige. Sie können sich weder bewegen, noch bekommen sie genug Luft in diesem heißen Wagenkasten, in den pausenlos der Staub hineinweht.«
»Daran hätten die Strolche vorher denken müssen – vorher!«, betonte Milland finster. »Deserteure und Leute, die Bestechungsgelder annehmen, haben nichts Besseres verdient. Vielleicht sind zwei der Strolche sogar Mörder, wie? Und dann erst dieser McCallum – so ein abgefeimter Schurke!«
McCallum, der Mann, der in Millands Augen ein abgefeimter Schurke war, überragte die anderen drei Gefangenen um Kopfeslänge. Er war so groß, dass sein Kopf über den Kasten blickte. Man hatte allen Gefangenen den Hut genommen. Wahrscheinlich war das eine weitere Bestrafungsmaßnahme. In diesem Land ritt niemand unter der prallen Sonne ohne Hut, wenn er nicht nach sechs Stunden einen Sonnenstich haben wollte.
»Der Captain sollte ihnen wenigstens erlauben, die Hüte aufzusetzen – oder sie ihnen aufsetzen lassen«, erwiderte Elena. »Es muss die Hölle für die Gefangenen sein.«
»Sie haben diese Hölle haben wollen«, sagte Milland mitleidslos. »McCallum macht die Sonne ohnehin nichts aus – der Kerl ist zäh wie ein Stück dreimal gewässertes und geklopftes Stiefelleder, Miss Pearson. Er ist früher sehr oft ohne Hut geritten. Sie kennen ihn doch auch, Pearson, oder?«
»Ich habe ihn nur einmal gesehen«, antwortete Charles Pearson knapp. »Ja, ich glaube, er ritt ohne Hut. Hatte man ihm nicht wegen seiner hellen Haare einen Spitznamen gegeben, Milland?«
»Sicher«, brummte Milland. »Die Mexikaner nennen ihn ›El Rubio, den Blonden‹, die Indianer haben das übernommen – oder die Mexikaner von den Indianern, genau weiß das niemand. Die Indianer nennen ihn ›Gelbhaar‹. Na, nun wird er einen anderen Namen bekommen, schätze ich. Vielleicht nennen sie ihn bald ›den Bestechlichen‹, wer weiß? Und der Mann war mal der beste Sergeant der Armee – das muss man sich vorstellen!«
Der »beste Sergeant der Armee« nahm in diesem Moment den Kopf herum, sah zur Stagecoach. Vielleicht blickte er auch zu den anderen Wagen oder versuchte durch den Staubschleier zu erkennen, ob Captain Spalding endlich das Kommando zur Rast gab. Der Captain führte die dreißig Mann starke Eskorte der Wagen. Vier Auswandererwagen waren westlich von Fort Defiance überfallen worden. Die Apachen hatten alle Leute umgebracht. Am Gila River im Osten war es auch zu einigen Apachenüberfällen auf Wagenkolonnen gekommen, und seitdem bekam jeder Transport seine Eskorte.
Elena wusste nicht, ob McCallum zur Kutsche oder den anderen Wagen sah. McCallums Haar saß voll Staub, und sein Gesicht war beinahe unkenntlich. Sie waren nun den achten Tag unterwegs, McCallum hatte sie manchmal verstohlen angesehen – die einzige Frau unter über fünfzig Männern. Seit dem ersten Tag der Fahrt hatte sie die beinahe animalisch wilde Ausstrahlung des ehemaligen Mastersergeanten gespürt. Von diesem Mann ging irgendetwas aus, was nicht greifbar, aber ständig spürbar war. Elena hatte immer das Gefühl, dass er sie beobachtete.
Murdock McCallum war ein großer, sehniger Mann mit breiten Schultern und dunklen Augen, die im seltsamen Gegensatz zu seinem hellen Haar standen. Er sprach kaum, gehorchte keinem Befehl, den man ihm gab und musste ständig vom Wagen gezerrt oder auf ihn gehoben werden. Man hatte ihn mit Kolbenstößen traktiert und ihm das Essen entzogen, aber er hatte sie nur angesehen und geschwiegen. Manchmal erinnerte McCallum an ein wildes Tier, das man in einen Käfig gesperrt hatte und das sich darum weigerte, zu essen oder den Kommandos seiner Wärter zu gehorchen.
»Unheimlich!«, stieß Milland hervor, als er den Blick des degradierten Mastersergeanten bemerkte. Der Pferdeaufkäufer zog die Schultern hoch. »Ein unheimlicher Bursche! Der hat so etwas in den Augen, dass man das Fürchten bekommt, wenn er einen ansieht. Ich sage, das ist seine angeborene Wildheit! Er ist nicht umsonst ein halber Indianer. Wenn seine Mutter eine Weiße gewesen wäre, hätte er längst Lieutenant sein können. Das wäre ein Skandal geworden! Ein Offizier, der sich von einem Indianerhändler bestechen lässt – nicht auszudenken!«
Charles Pearson hatte viel von McCallum gehört. Es war wie ein Lauffeuer herumgegangen, als man McCallum verhaftet hatte. Der Mastersergeant hätte in einigen Wochen seine Dienstzeit bei der Arme beendet gehabt. Weshalb er einen Indianerhändler gedeckt, ja, ihm sogar die Routen der Armeepatrouille verraten hatte, damit Bishop, der Händler, den Patrouillen entging und seinen Fusel und Waffen unbemerkt an die Indianer liefern konnte, war vielen ein Rätsel geblieben. Dann hatte McCallum selbst seine Beweggründe geschildert.
Angeblich hatte McCallum Angst vor dem Zivilleben gehabt und Geld zur Gründung einer eigenen Ranch gebraucht – Geld, das ihm die Armee nicht geben konnte. Bishop war von McCallum erwischt worden, hatte gefleht und gebettelt, der Mastersergeant möge ihn laufen lassen – und McCallum hatte ihm für sein Schweigen zweitausend Dollar abgenommen. Wie üblich, war der Mastersergeant weit vor seiner Patrouille gewesen. Es hatte keine Zeugen für den Handel gegeben, und Bishop war auf Wegen, die nur McCallum kannte, den beiden anderen Patrouillen entgangen. Allerdings war er auf einer der nächsten Fahrten von First Sergeant Jim Roscoe gestellt worden.
Bishop und sein Gehilfe hatten zu fliehen versucht, das Feuer auf die Kavalleristen eröffnet und waren beide niedergeschossen worden. Der Gehilfe starb nach wenigen Sekunden, Bishop lebte noch lange genug, um über seinen gemeinen Handel mit McCallum zu erzählen. Tatsächlich hatte man dann bei dem Mastersergeanten mehr als zweitausend Dollar gefunden.
Der Mann, der sich sein Schweigen hatte bezahlen lassen, starrte immer noch nach vorn.
»Der kann anderen Leuten seinen Willen aufzwingen«, sagte Milland schaudernd, als er aus dem Fenster blickte. »Ich sage Ihnen, Pearson, ein unheimlicher Kerl mit unheimlichen Augen – hypnotischen Blicken. Da …«
»Halten – halten, Mittagsrast!«, schrie es von vorn. »Alle rechts heran unter die Felswand! Rast, Leute, Rast!« Milland bückte sich nach seinem Kneifer und stammelte: »Der Teufel hat den Captain behext, endlich Rast zu machen, sage ich. Er kann hexen, dieser Bursche. Hoffentlich sind wir morgen in Camp San Carlos, dann sind wir ihn los, diesen unheimlichen Kerl, denn er soll nach Fort Grant ins Straflager gebracht werden. Zuerst sitzt er dort seine Strafe ab, ehe er unehrenhaft aus der Armee gejagt wird. Mein Gott, werde ich froh sein, wenn ich den Burschen nicht mehr sehen muss. Ich bin neugierig, ob er jetzt essen wird.«
Die Wagen fuhren in Doppelreihen unter der Felswand auf. Das Endbrett des Gefangenentransporters wurde hochgezogen. Dann stieg First Sergeant Jim Roscoe, das gefürchtete Raubein der Armee, ein untersetzter, breitschultriger und stiernackiger Mann, auf den Wagen. Roscoe hatte kurz geschnittenes krauses Haar, ein derbes, wettergegerbtes Gesicht und stahlharte Augen.
Der Sergeant hatte sechzehn Jahre Armeedienst hinter sich, wurde immer dort eingesetzt, wo es gerade brannte und bildete sonst Rekruten aus. Man nannte ihn nur den »Bullen«, denn er hatte Ähnlichkeit mit einer Bulldogge.
»Absteigen, ihr Halunken!«, befahl Roscoe finster. Er hatte die Schlüssel zu den Handschellen, machte einen Mann nach dem anderen los, schloss danach aber die Schellen sofort wieder zu und kam schließlich zu McCallum.
Augenblicklich zog der zweite Sergeant der Wacheskorte, Joe Lannon, ein baumlanger, kräftiger Mann, seinen Revolver und schlug auf McCallum an.
»Er hat den Teufel in den Augen, was?«, sagte Lannon bissig. »Na, willst du uns mit der Handschelle niederschlagen, du Satansbraten? Halte die Hände still, wenn du losgemacht bist, oder ich blase dir eine Kugel ins Fell, du Verräter!«
Murdock McCallum, der unschlagbare Fährtensucher, der sechzehn Jahre seines Lebens nur unter Indianern verlebt hatte, starrte ihn aus seinen dunklen Augen durchdringend an. Dann spie er aus. Er spuckte Lannon so haarscharf an der Nasenspitze vorbei, dass der Sergeant zurückzuckte und laut fluchte. Kaum hatte Roscoe McCallum hochgezogen und seine Handschellen wieder verschlossen, gab Lannon seinem ehemaligen Vorgesetzten einen Stoß in den Rücken.
McCallum flog vom Wagen und schlug hart auf die groben Steine unter der Felswand. Er richtete sich wortlos auf, aber der Blick, den er Lannon zuwarf, verriet alles, was er hätte sagen können.
»Heute wirst du fressen!«, sagte Lannon gehässig. »Du frisst, das schwöre ich dir, sonst …«
Und was nach dem »sonst« kommen würde, brauchte niemand zu raten.
*
Der Corporal Howell, ein dicker Mann mit einem feisten Gesicht, verließ seinen Verpflegungswagen, den er aus Camp Richards mitgenommen hatte, um das Kommando mit warmem Essen versorgen zu können, und grinste verstohlen.
Joe Lannon, der Sergeant, zwinkerte kurz, während Roscoe nun hinter den am Boden sitzenden McCallum trat. Sämtliche Männer – sogar die ausgestellten Wachen hoch oben auf dem Steilhang über dem Tal – blickten neugierig zu dem ehemaligen Mastersergeanten. McCallum hatte seit zwei Tagen nichts gegessen, um damit gegen die raue Behandlung durch Roscoe zu protestieren. Angeblich hatte ihm Roscoe in den Rücken getreten, doch gab es keinen Zeugen dafür, obwohl die anderen drei Gefangenen es hätten sehen müssen. Die drei Mann hatten geschwiegen, wahrscheinlich aus Furcht, dass der First Sergeant hinterher seine Wut an ihnen auslassen würde.
Captain Spalding, ein sehniger Mann mit grauen Schläfen und hellen Augen, blickte zu McCallum hinüber. Die Fahrer der Overland, raue Frachtwagenburschen, die schlimme Dinge gewohnt waren, hatten bis jetzt geredet. Nun schwiegen sie. Jeder war gespannt, was McCallum tun würde.
»Also«, sagte Roscoe, der Bulle, ganz freundlich, und dem Privaten Milton lief es eiskalt über den Rücken, denn er wusste, dass Roscoe immer dann freundlich sprach, wenn er bereit war, eine ganz raue Methode anzuwenden. »Also, McCallum, du bist jetzt vernünftig, wie? Du wirst jetzt schön das Maul aufmachen und dich füttern lassen.«
Roscoes Augen redeten eine andere Sprache, sie waren hart und unbarmherzig auf den Hinterkopf McCallums gerichtet. Es hatte eine Zeit gegeben, in der McCallum und Roscoe gute Freunde gewesen waren. Wie Roscoe so verdankten fast alle Männer des Kommandos McCallum das Leben. Es gehörte schon eine Menge dazu, aus Männern, die einmal Seite an Seite mit McCallum geritten und ihm vertraut hatten, Feinde des ehemaligen Mastersergeanten zu machen. Im Grunde war McCallum immer ein Einzelgänger gewesen, ein schwieriger Mann, der oft genug Befehle missachtet hatte, wenngleich er damit seinen Leuten das Leben gerettet hatte.
Sie hatten alle auf die Klugheit und Erfahrung McCallums geschworen, ihre heimliche Bewunderung für ihn war – wie es manchmal vorkam, wenn Männer enttäuscht worden waren – in Hass umgeschlagen. Niemand hätte McCallum zugetraut, dass er jemals gemeinsame Sache mit einem schurkischen Schnapsbelieferer der Indianer machen würde. Indianer waren unberechenbar, sobald sie Fusel in sich gegossen hatten, und die Männer hatten sich irgendwann ausgerechnet, dass einige ihrer Kameraden durch den Fusel und jene Gewehre umgekommen sein mussten, die Bishop mit Wissen McCallums an die Indianer verkauft hatte. Hass war ein schnell entstehendes Gefühl, vor allen Dingen dann, wenn durch vieles Gerede Dinge schlimmer gemacht worden waren.
McCallum presste die Lippen zusammen. Sein Mund wurde zu einem schmalen Strich, und er gab Roscoe keine Antwort.
»Er redet nicht – er wird auch nicht essen!«, sagte Roscoe in mühsam gezügelter Wut. »Sir, der Bursche gehorcht wieder nicht!«
»Dann zwingen Sie ihn, Sergeant!«, antwortete Spalding düster. Er machte kehrt und verschwand hinter dem Küchenwagen.
Elena Pearson hatte das Gefühl, dass der Captain nicht zusehen wollte, wie man den Mann, der unzählige Male für ihn und seine Schwadron Hinterhalte der Indianer erkannt, Wasser in der Wüste gefunden und oft genug sein Leben eingesetzt hatte, mit Gewalt zwang, die Bohnensuppe zu löffeln. Spalding galt als eisenharter Mann, streng, aber gerecht.
»Wetten, dass er die Zähne aufgebrochen bekommen wird?«, näselte Milland. »Der Kerl gehorcht keinem Befehl mehr. Ob er nicht einsieht, dass er alles noch schlimmer macht?«
»Das ist nichts, worüber man eine Wette abschließen könnte, Mister Milland!«, erwiderte Elena zornig. »Sie warten geradezu lüstern darauf, dass man ihn quält, wie?«
Milland antwortete nicht, weil Lannon nun neben McCallum trat und einen Löffel schwang.
»Na, Freund McCallum, nun sperr mal schön die Futterklappe auf!«, sagte Lannon grinsend. »Du musst doch furchtbaren Hunger haben, Mann! Von Wasser allein kann der Mensch nicht leben. Ich weiß, ich weiß, du schaffst das zwei Wochen lang, aber ärgere uns jetzt nicht mehr, sonst wird es ziemlich übel für dich ausgehen. Also, machst du nun das Maul auf?«
Corporal Howell hielt das randvolle Kochgeschirr Lannon hin. Der Sergeant tauchte den Löffel in die heiße Bohnensuppe und führte ihn langsam McCallums Mund entgegen. Gleichzeitig schlossen sich Roscoes Finger unter McCallums Kinn, nur die Daumen standen im rechten Winkel gegen die Wangen des ehemaligen Mastersergeanten. Dann drückten die Daumennägel Roscoes langsam zu – McCallums Wangen beulten sich ein, und Elena glaubte zu sehen, wie sie sich förmlich zwischen die Kiefer McCallums bohrten. Elena Pearson war in Santa Cruz, Tubac und Tuscon aufgewachsen. Sie hatte ihre ersten Lebensjahre in einem von dauernden Indianerüberfällen und den Brandzügen von Banditen heimgesuchten Land verbracht, das noch lange nicht friedlich zu nennen war. Sie hatte Tote gesehen, wilde Männer hatten auf sich eingeprügelt, andere sich geschossen, aber diese Szene widerte sie geradezu an.
»Das ist ja unmenschlich!«, sagte sie verstört. »Vater, warum tut denn niemand etwas?«
»Weil das eine Sache der Armee ist und niemand sich einzumischen hat …, auch du nicht!«, antwortete Charles Pearson finster. »Halte dich heraus, Tochter!«
Er hielt sie am Arm zurück, als sie losstürzen wollte, denn McCallums Lippen zitterten, seine Kiefer schien ein Krampf befallen zu haben, und seine Augen wollten ihm aus den Höhlen quellen. Plötzlich schnappte sein Mund weit auf, und Elena sah mit Entsetzen, dass Blut aus seinem linken Mundwinkel lief.
Roscoes Gesicht wirkte auf Elena wie eine Maske. Der First Sergeant hatte alle Kraft gebraucht, um McCallums Mundwinkel auseinanderzupressen. Elena blickte voller Abscheu und Ekel auf den bulligen Sergeanten, und sie wusste, dass sie sein erstarrtes bleiches Gesicht nie vergessen würde.
»Warte!«, sagte Roscoe zischend. »Warte, Lannon!«
Lannon hatte das Schauspiel der gewaltsamen Mundöffnung mit angehaltenem Atem verfolgt und wollte McCallum den Löffel in den Mund stoßen.
»Was ist?«
»Warte, er isst jetzt«, sagte Roscoe tief und heiser. »McCallum, ich breche dir die Kiefer, wenn du dich weigerst, verstanden?«
McCallum schloss den Mund, suckelte und spie dann aus – es war mehr Blut als Speichel, was in die Steine klatschte. Dann nahm McCallum langsam den Kopf herum und sah den First Sergeant aus schmalen Augen an.
»Ich esse«, sagte er leise. Es war so totenstill geworden, dass alle seine Stimme hörten. »Ich esse, aber du wirst irgendwann daran denken, Roscoe, das schwöre ich dir!«
Roscoe schloss die Augen – er hatte den Befehl bekommen gehabt, McCallum zum Essen zu zwingen, und vielleicht hatte er nun einen Moment etwas wie Mitleid mit seinem ehemaligen Mastersergeanten.
»O Gott!«, stöhnte Elena zitternd.
Sie hätte hinlaufen und Roscoe ins Gesicht schlagen können. In diesem Augenblick war sie froh, dass sie nur selten von Santa Cruz und der Hazienda, die ihren Eltern gehörte, über die Grenze und in Berührung mit den Sitten der US-Armee kam.
»Na, wer sagt es denn – unser Freund will essen«, grinste Lannon. »Mund auf!«
McCallum öffnete die Lippen, der Löffel fuhr ihm in den Mund. Und dann …
Elena sah, dass McCallum schluckte, bis er jäh zusammenzuckte, einmal würgte und dann losspie. Die Bohnensuppe schoss aus seinem Mund und klatschte Lannon mitten ins Gesicht.
Was dann geschah, lief so schnell ab, dass Elena kaum die einzelnen Bewegungen des Gefangenen unterscheiden konnte. McCallum warf sich blitzschnell hintenüber – er schrie irgendetwas, und seine gefesselten Beine fuhren blitzartig in die Höhe. Der Tritt traf den Corporal Howell mitten in den Bauch. Howells Grinsen war wie fortgeblasen. Der dicke Mann knickte mit weit aufgerissenem Mund ein. McCallums Beine waren schon wieder zurückgezuckt und schnellten erneut nach oben.
Howell, der bei der Hitze gekocht und sein Hemd ausgezogen hatte – er trug beim Kochen stets eine Lederschürze, deren Lederbänder über dem dicken Bauch zusammengebunden waren – taumelte stöhnend vornüber. Die Oberkante seiner Lederschürze stand weit von seiner nackten Brust ab. In derselben Sekunde trat McCallum unter das Kochgeschirr. Es flog aus Howells Händen, knallte dem Koch unter das Kinn und fiel dann, indem er sich drehte, zurück. Danach verschwand es in dem nach vorn gebeulten Lederschürzenoberteil.
Die brütend heiße Bohnensuppe hatte sich blitzschnell über die nackte Brust und den fetten Bauch Howells verteilt. Sie bildete einen glühend heißen Ring an jener Stelle, die das Lederband um die Schürze gezogen hatte.
Howell krallte die Hände in die schwere Lederschürze, sprang wie ein Irrer in die Höhe, heulte schaurig, brüllte, wobei ihm die Kalbsaugen aus den Höhlen quollen und vollführte einige Sprünge, die ihm niemand zugetraut hätte. Schließlich warf er sich zu Boden und wälzte sich auf dem Rücken hin und her. Doch die brütend heiße Suppe lief nun auch an seinen Hüften entlang.
»Ich verbrenne!«, heulte Howell. »Hilfe, ich verbrenne, ich sterbe, ich sterbe! Feuer an meinem Bauch – Feuer, Hilfe, ich verbrenne!«
Einen Augenblick später stieß er einen fürchterlichen Schrei aus, denn jemand kam im hohen Bogen durch die Luft geflogen – es war der First Sergeant Roscoe.
McCallum hatte sich mit der Geschmeidigkeit einer Wildkatze hinten übergeworfen. Seine Hände waren auf der Brust gefesselt worden, und so konnte er nun die Arme heben. Die Schellen klirrten hässlich, als der ehemalige Mastersergeant Roscoe am Gurt zu packen bekam, den First Sergeanten nach vorn riss und ihn auf seine angezogenen Stiefel beförderte. Von dort schoss Roscoe brüllend durch die Luft und stürzte auf den heulenden Howell herab.
Das alles geschah binnen drei Sekunden – und Lannon war auch noch erwischt worden. Roscoe hatte Lannon gestreift. Der Sergeant taumelte zwei Schritt zur Seite, fiel um und stand fluchend wieder auf.
Im selben Augenblick schnellte McCallum auf die Beine. Einen winzigen Moment sackte McCallum in die Hocke herunter, dann stieß er sich aus der Hocke ab und senkte den Kopf.
»Lannon, pass auf, er kommt!«
Sergeant Marconi, ein schwarz gelockter, mittelgroßer Sanitäter – der Einzige, der das Kommando begleitete – schrie los, konnte Lannon aber nicht mehr warnen. Die Fußschellen erlaubten den Gefangenen nur Trippelschritte, ehe sich die Gehkette spannte. Darum war McCallum gesprungen, und er kam wie ein Puma angeflogen. Sein Kopf fuhr dem herumfahrenden Lannon mitten in den Magen. Der baumlange Sergeant knickte wie ein Federmesser zusammen und fiel röchelnd um. McCallum landete neben ihm auf den Steinen.
Aus irgendeiner Ahnung oder vor Schmerz wälzte sich Lannon herum. McCallums Hände waren nach vorn geschossen, griffen nun jedoch ins Leere, und Marconi erkannte entsetzt, dass McCallum ohne das Herumwälzen des Sergeanten dessen Revolver erwischt hätte.
Marconi sprang vorwärts, aber auch McCallum kam hoch.
»Vorsicht, er will seinen Revolver nehmen!«, brüllte Marconi aus Leibeskräften, während er sich auf McCallum warf. »Packt ihn, schnell, schnell, helft mir ihn zu ha…, aaah!«
McCallum kam nicht mehr an den Revolver, aber er konnte Marconi an dessen schwarz gelockten Haaren packen. Als er den Sanitäter über sich riss, hatte Marconi eine Vorstellung davon, wie es sein musste, wenn einem ein Indianer die Haare abschnitt. Marconi schossen die Tränen in die Augen. Er sah nichts mehr, fühlte nur, dass er hochgerissen wurde und lag im nächsten Moment auf McCallum.
Jetzt waren es sieben Mann, die sich auf den ehemaligen Mastersergeanten warfen. Vier kamen von der einen Seite – drei von der anderen, als McCallums Beine den Sanitäter hochfliegen ließen. Marconi sauste seinen vier Kameraden entgegen, und sie stürzten im wirren Durcheinander zu Boden. Dann waren die anderen drei Mann heran und packten McCallum. Einer warf sich quer über seine Beine, bekam ein Knie ins Gesicht und hielt dennoch fest. Sie hatten ihn oft genug kämpfen sehen und wussten, dass er es mit einem Dutzend Gegnern aufnahm. Hätte er die Beine und Arme nicht gebunden gehabt, hätten sie jetzt, da er sich in wilder Wut befand, zwanzig Mann gebraucht. Einem anderen Kavalleristen schlug McCallum die Handschellen an den Kopf, ehe die nächste Verstärkung über ihm war und je zwei Mann seine Arme zu packen bekamen. Dennoch bäumte er sich auf, konnte sie niederreißen und tobte wie ein wildes Tier, bis Roscoe erschien. Roscoe holte aus, sein Revolverlauf traf den Tobenden am Kopf, und McCallum lag jäh still.
Um ihn lagen Männer am Boden und stöhnten, fluchten oder spien Blut aus. Andere rieben sich dort, wo er sie getroffen hatte.
Marconi kam auf die Knie, sah Howell immer noch hin und her rollen und taumelte zu ihm.
Spalding war vom Wagen aus herangerannt und blickte sprachlos auf die am Boden liegenden Kavalleristen herab.
»Oh, mein Gott, mein Bauch ist verbrannt!«, wimmerte Howell. »Nicht anfassen, Ticco, nicht berühren – oaaah!«
Ticco Marconi riss die Lederschürze auf und die Schürze von Howells Leib. Jetzt tropfte die Bohnensuppe in dicken Fladen von Howells Bauch, und man sah die Brandblasen.
»Allmächtiger, das ist ein Satan!«, brabbelte Milland an der Stagecoach entsetzt. »Das ist kein Mensch, das ist ein Ungeheuer, ein wildes Tier, ein Monster! Da liegen sie – da! Unglaublich, fürchterlich, entsetzlich!«
»So?«, fragte Elena, nachdem sie sich von ihrem Schreck erholt hatte. »Was ist so entsetzlich, Milland? Ich denke doch, es ist entsetzlich, wie man diesen Mann behandelt hat oder?«
»Um Gottes willen, schweig jetzt!«, schnaufte Charles Pearson. Er war ein harter Mann und in seiner Jugend ein verdammt rauer Bursche gewesen. Erst das zunehmende Alter hatte ihn gelehrt, dass es manchmal besser war, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu laufen und seine Meinung nicht laut zu äußern. Seine Frau war einmal eine sanfte, glutäugige Mexikanerschönheit gewesen, und er hatte sich beim ersten Sehen unsterblich in sie verliebt. Jetzt war sie alt wie er, ihr Haar war weiß geworden, ihre Sanftheit geblieben – und in seinem einzigen Kind, seiner Tochter, fand er manchmal die Sanftheit seiner Frau und seinen früheren kriegerischen Zorn wieder. Elena war eine Mischung aus Anschmiegsamkeit, Hingabe und Unbeherrschtheit.
»Er hat sich nur gewehrt – oder darf sich ein Mann nicht mehr wehren?«, fragte Elena so laut, dass sich Captain Spalding umsah und die Brauen furchte. »Diese Männer haben ihn doch behandelt wie ein Tier – oder nicht?«
»Tochter, du hältst jetzt den Mund!«, donnerte Charles Pearson.
»In diesem Land wäre ich längst mündig, hier wird man es mit einundzwanzig Jahren«, fuhr sie ihn an. »Aber wir leben in Mexiko, und dort muss man fünfundzwanzig sein, um frei reden zu können. Ich bin Amerikanerin, meinst du nicht?«
Das war sie – und sie benahm sich auch so. Sie riss sich von der Hand ihres Vaters los und lief zu dem Ring Männer, der sich um McCallum gebildet hatte. Man zog McCallum hoch, er war nicht bei Besinnung, und Spalding befahl: »Roscoe, einen Strick! Dann seine Hände auf den Rücken, verstanden? Jetzt soll er was erleben!«
»Befehl, Sir«, antwortete Roscoe knapp. Er holte ein Lasso, legte eine Schlinge um McCallums Hals und ging dann mit dem anderen Ende des Lassos zum Wagen.
Elena Pearson blickte verstört zu dem Sergeanten, und als er den Strick am Wagenholm befestigte, fuhr sie herum. Kein Zweifel, man wollte McCallum hinter dem Wagen herlaufen lassen.
»Captain, was soll das werden?«, erkundigte sie sich zornig. »Der Mann kann unmöglich mit Fußschellen hinter dem Wagen herlaufen! Captain, das werde ich nicht zulassen – das ist unmenschlich!«
Spalding wandte sich langsam um, sah sie scharf an und schnarrte kühl: »Das ist eine der Armeestrafen, Miss Pearson. Sie ist bei diesem Mann nötig!«
»Was?«, fauchte Elena. »Captain Spalding, das ist eine unmenschliche Quälerei, ich werde mich über Sie beschweren.«
»Wenn Sie wollen«, murmelte Spalding gelassen. »Miss Pearson, die Armee hat ihre eigenen Gesetze. Sie können das nicht wissen, Sie sind eine Frau. Wollen Sie sich – bitte! – nicht mehr einmischen? Ich müsste Sie sonst unter Bewachung in die Kutsche setzen und dort festhalten lassen!«
»Das würden Sie wagen?«, erwiderte Elena zornbebend. »Captain Spalding, ich werde Colonel Hastings über Sie berichten, darauf können Sie sich verlassen!«
»Tun Sie das – aber jetzt gehen Sie!«, knurrte Spalding. »Roscoe, ein zweites Lasso um McCallums auf dem Rücken gefesselte Hände, ehe Sie aufsitzen. Seine Fußschellen abschließen! Ich werde ihn lehren, meine Männer anzugreifen und Armeevorräte zu vernichten.«
»Armeevorräte?«, empörte sich Elena, ohne Spaldings Aufforderung oder den Versuchen ihres Vaters, der sie fortziehen wollte, zu folgen. »Was meinen Sie mit Armeevorräten, Mr Spalding, etwa die Suppe?«
»Diese Suppe!«, entgegnete Spalding scharf. »Mr Pearson, wollen Sie Ihre Tochter jetzt fortbringen, oder soll ich es tun lassen?«
In diesem Moment schlug McCallum die Augen auf. Augenblicklich senkte Lannon den Lauf seines Revolvers und spannte den Hammer. McCallum brauchte einige Sekunden, bis er klar bei Verstand war. Er bewegte die Arme und den Kopf, spürte und sah den Strick und sagte wild: »Eine feine Sache, die du dir da ausgedacht hast, Captain, aber …«
»Halten Sie den Mund!«, fauchte Spalding. »Ich bestrafe Sie wegen tätlichen Angriffs auf meine Männer und absichtlicher Verschüttung von Armeeverpflegung, McCallum! Halten Sie den Mund, zum Teufel!«
»Den halte ich nicht, du Narr!«, schrie McCallum. »Probier doch mal die Suppe, wenn noch ein Rest im Kochgeschirr ist. Na los, probier sie, dann wirst du wissen, warum ich mich für den Schweinefraß bedankt habe!«
Spalding drehte sich wortlos um, ging hin und nahm das Kochgeschirr auf, führte seinen Zeigefinger innen entlang und leckte ihn ab, um in der nächsten Sekunde auszuspeien. Danach sah er seinen Koch an.
Howell war, obgleich seine Brandblasen ihn schmerzten, kreidebleich geworden.
»Corporal Howell!«
»Ja – ja, Sir!«, machte Howell halb erstickt und schwer würgend.
»Howell, was ist in der Suppe für McCallum gewesen, Howell?«
»Ni…, nichts, Sir!«
Howells Blick irrte ab, traf Marconi, und nun wurde der blass, ein Vorgang, den Spalding bemerkte.
»Marconi!«
»Sir?«
»Was haben Sie Howell gegeben, Marconi? Heraus mit der Sprache, Mann, oder Sie erleben was!«
Marconi biss die Zähne zusammen und sah an seinem Captain vorbei in die Luft.
»Marconi!«
»A…, Alaunpulver, Sir!«, stotterte der Sanitäter. »Er – er sagte, sein Rasiermesser tauge nichts, er schneide sich dauernd und brauche das Pulver, um das Blut zu stillen. Ich – ich habe davon nichts gewusst, Sir!«
Spaldings Blick wanderte ganz langsam weiter über die Gesichter seiner Männer und blieb schließlich auf dem Lannons liegen. Es gelang Lannon nicht, genauso bestürzt auszusehen, wie die anderen Kavalleristen. Sie hatten todsicher von der Gemeinheit nichts geahnt, er aber …
»Unser Spaßvogel, wie?«, fragte Spalding sehr sanft und leise. »Sieh einer an, unser Spaßvogel Lannon hat wieder einmal eine feine Idee gehabt. Wenn man jemand Alaun in die Suppe streut, dann schmeckt die Suppe wie kalte Schweißfüße, wie? Zudem wird der Mann Bauchschmerzen bekommen und kaum noch reden können. Wirklich ein feiner Spaß, Lannon! Es kostet Sie nicht viel, Lannon, nur drei Tage! Und Ihnen, Howell, bringt er eine Woche ein, Sie Schweinefraßkocher. Jetzt zu Ihnen, Mister McCallum … Bilden Sie sich nicht ein, dass das etwas ändert. Sie kennen die Gesetze der Armee genau, oder?«
McCallum schwieg verstockt.
»Sie kennen Sie besser als andere!«, sagte Spalding eisig. »Sie kennen alles besser, weil Sie ein halber Indianer …«
»Meine Mutter war keine Indianerin, du Lügner!«
»McCallum, das kostet Sie eine Woche!«, schrie Spalding wütend. »Ich weiß, dass sie ein Halbblut war und einen mexikanischen Vater hatte – das war nicht abfällig gemeint, Sie empfindlicher Schurke! Sie sind klüger als andere, das wollte ich damit sagen, nichts sonst, verstanden? Sie wissen doch genau, dass Sie sich beschweren konnten, aber nein – Mister McCallum trägt seine Probleme allein aus – wie immer! Sie hätten die Männer nicht angreifen dürfen, obgleich man Ihnen einen Streich spielen wollte. Haben Sie das gewusst?«
»Ja, du Affe!«
»McCallum!«, antwortete der Captain zitternd. Man sah ihm an, dass er vor Zorn fast explodierte. »Sie werden sich noch wundern, das verspreche ich Ihnen. Sie laufen hinter dem Wagen her – und Sie werden nun auch kein Wasser bekommen. Ich mache Sie klein, McCallum, so klein, dass Sie einem Sandkorn gleichen!«
»Haha!«
Das war alles, was McCallum sagte. Er hob den Kopf und sah Roscoe, seinen Quälgeist und Schinder an – und er lächelte auf eine Weise, die Elena nicht deuten konnte. Ihr lief bei diesem Lächeln ein kalter Schauer über den Rücken. Gott allein mochte wissen, wie lange ein Mensch in der Lage war, ohne Wasser und mit leerem Magen im dichten Staub hinter einem schweren Transportwagen zu laufen. Irgendwann musste auch der härteste Mann zusammenbrechen.
*
Es geschah von einer Sekunde zur anderen und so schnell, dass Elena nur noch einen gellenden Schrei ausstoßen konnte. McCallum brach blitzartig zusammen. Eben hatte noch das stereotype Lächeln wie eingefressen um seinen harten Mund gelegen, jetzt zerbrach das Lächeln, wie auch der Mann zerbrach. Er war sechseinhalb Stunden hinter dem Wagen hergelaufen, manchmal schwankend, aber immer wieder, als würde gerade dieses Schwanken ihm neue Kraft verleihen, kerzengerade hochkommend.
Diesmal fiel er wie ein Baum um, und Elena wusste, dass er ohnmächtig geworden war, ehe sie nach der Wasserflasche griff, einfach den Schlag aufriss und aus der fahrenden Kutsche sprang. Der Wagen hinten fuhr weiter – der Mann hing am Strick, den Hals in der Schlinge, die sich zusammenziehen und ihn erdrosseln musste.
»Halt – um Gottes willen, haltet an!«, schrie sie entsetzt. »Roscoe, Sie Teufel, lassen Sie halten!«
Nun erst bemerkte sie, dass Roscoe, der das andere Lasso in der einen Hand hielt, bereits nach vorn geritten war und jenes Halslasso gelockert hatte.
»Halt!«, befahl Roscoe scharf. Elena wusste nicht, ob sein Befehl ihr oder dem Fahrer des Wagens galt, sie lief weiter, sank neben McCallum in die Knie und bettete seinen Kopf in ihrem Schoß. Wie schnell sie die Flasche öffnen, das Mundstück zwischen McCallums Lippen anhob, hätte sie nie sagen können. Etwas Wasser rann über das Gesicht des Gefangenen, sie strich es ihm über die Wangen und die Stirn – und dann bewegte er die Lippen, er trank, aber er war noch nicht voll bei Bewusstsein. Plötzlich presste er die Lippen wieder fest zusammen. Nun war er genug bei Verstand, das wusste sie. Er öffnete die Lider, sah sie an – trotzig zuerst, seltsame Härte und Kälte in den dunklen Augen, bis er lächelte. Es war ein hilfloses, ja, es kam ihr vor, als wenn es ein beschämtes Lächeln war, das um seinen Mund kroch und in seine Augen trat.
Plötzlich hatte sie nicht das Gefühl, dass dieser Mann ein Wilder, ein um sich beißender Wolf war. Er war ein Mensch, der Hilfe brauchte – jemand, dessen Augen ihr sagten, dass der Mensch nicht schlecht sein konnte.
»Trinken Sie«, sagte sie zitternd. »Bitte, trinken Sie doch!«
Der Hufschlag dröhnte hinter ihr, das Pferd schnaubte in ihrem Rücken.
»Zurück – lassen Sie ihn los!«, brüllte Spalding. »Zur Hölle, was fällt Ihnen ein, Miss? Loslassen!«
»Das werde ich nicht tun!«, antwortete sie. »Spalding, Sie sind ein Unmensch, Sie haben kein Herz im Leib – und so ein Mann führt und kommandiert andere Männer?! Spalding, Sie sollten sich zutiefst schämen, hören Sie? Er wird jetzt trinken, er wird …«
»Sir, ein Reiter!«, schrie jemand irgendwo. »Sir, ein Mann – er liegt auf seinem Pferd – nordöstlich, Sir!«
Spalding nahm den Kopf herum, sein Gesicht war bleich.
Elena sah nichts davon, sie blickte nur auf den Mann hinab, der nun trank und nicht mehr lächelte. Ihr war, als hätte sie eine Sekunde das andere Ich dieses Mannes gesehen, die andere Seite seines Wesens, das nicht schlecht sein konnte, obgleich das, was er getan hatte, ein Verbrechen in den Augen der Armee und vielleicht auch vieler Zivilisten sein musste.
McCallum trank, er atmete dabei durch die Nase, atmete sehr tief und saugend, und sie hatte das Gefühl, dass er, als er die Augen schloss, über sie und ihre Tat nachdachte.
Nein, dachte sie, er ist kein Verbrecher. Ich möchte mit ihm reden und herausfinden, warum er das getan hat. Hat er es aus Angst vor der ungewissen Zukunft getan? Warum tut ein Mann das, wenngleich er doch weiß, dass es Verrat an den Gesetzen der Armee und vielleicht der Tod für Siedler ist? Warum hat er das getan?
»Sir, um Gottes willen, das ist Shelby!«, keuchte Roscoe in diesem Moment. »Sir, das ist Hartney Shelby!«
»Shelby?«, sagte Spalding erschrocken. »Roscoe, reiten Sie ihm entgegen! Mein Gott, er muss verwundet sein, er hat uns gesehen, aber sein Pferd scheint am Ende zu sein. Schnell, Roscoe, schnell!«
Der Mann, dessen Kopf in ihrem Schoß lag, öffnete jäh die Augen, sein Mund schloss sich, Wasser lief über seine Kinnwinkel in den Sand. Elena war, als tauchte tödlicher Schreck in den Augen des Gefangenen auf, als der Name Shelby fiel. Danach glaubte sie zu sehen, wie ein Schleier den Blick des Gefangenen trübte, bis McCallum die Lieder fest schloss.
»Dank, Miss«, sagte er leise. »Ich danke Ihnen, Miss Pearson, es ist genug Wasser, es geht schon wieder – danke!«
Was hat er, dachte sie, ließ seinen Kopf sinken, stand auf und sah nun den Mann zwischen Roscoe und Lannon – einen Mann mit einem blutigen Hemd, ohne Hut und einem wie blutleer wirkenden Gesicht.
Spalding ritt einige Schritte, hielt dann. Der Mann kam mithilfe Roscoes hoch, er saß, schwankte leicht. Dann hob er mit einer irgendwie verwirrt wirkenden Bewegung mühsam die rechte Hand.
»Shelby, mein Gott, Shelby, was ist passiert? Shelby!«
»Sir, sie …«, stammelte der Mann Shelby. »Sie sind tot, Sir …«
Sie hatte noch nie einen Mann weinen sehen, jetzt sah sie einen, und es war schrecklich, weil das Gesicht des Mannes starr blieb und die Tränen unablässig und glitzernd wie Tautropfen über sein bleiches Gesicht rannen.
»Sir, sie sind alle tot! Mary, meine kleine Rose – Abe und Hat – sie sind alle tot. Die Apachen, Sir …, alle sind tot, alles verbrannt …«
Seine Stimme brach.
»Allmächtiger Gott!«
Da war ein Flüstern hinter Elena am Boden. Sie fuhr herum, als der Gefangene sprach und sah in sein aschfahles Gesicht. Einen Augenblick glaubte sie, dass das nackte Entsetzen im Gesicht McCallums stand. Dann bemerkte er, wie aus einem Albtraum erwachend, dass sie ihn ansah, und sein Gesicht erstarrte, seine Lider schlossen sich, er wendete den Kopf zur Seite, lag still, wortlos und blass unter ihr.
Die leise, zitternde Stimme Shelbys ließ Elena herumfahren. Sie hätte gewünscht, taub zu sein, aber sie war es nicht.
Die Frau vergewaltigt und ermordet, das Kind in den Brunnen geworfen, den Sohn bei lebendigem Leib verbrannt … Es war zu viel, was Elena hörte. Die Stimme schnitt in ihre Seele, das Grausen erfasste jede Faser ihres Körpers.
»Sir, ich habe sie nicht begraben können, bitte, Sir, ein Kommando, damit sie begraben werden, nur ein paar Mann, Sir, bitte!«
Die Stimme Spaldings klang wie abgewürgt, als er antwortete: »Shelby, mein lieber, alter Shelby, ich kann keinen Mann entbehren, ich habe kaum genug, um die Kolonne zu sichern. Shelby, es tut mir leid, aber – morgen sind wir in San Carlos im Camp, ich reite selbst hin und …«
»Sir, die Geier kommen doch, die Geier, Sir …«
Er weinte verzweifelt.
»Ich kann doch nicht, Shelby, Sie wissen das doch so gut wie ich, alter Freund. Shelby …«
»Ja, Sir, ich weiß ja, Sir. Ist schon in Ordnung, Sir. Sie merken es ja nicht mehr, nicht wahr, Sir?«
Der Bulle Roscoe sah weg, dem zuckten die Mundwinkel, er fuhr sich mit dem Handrücken über die Lider.
Mein Gott, dachte Elena, betrunkene Apachen – Indianer, die von irgendwem Fusel bekommen haben. Fusel, wie ihn dieser Bishop liefert. Und McCallum hat das gewusst und geschwiegen, sein Schweigen bezahlt bekommen. Das ist es – ich beginne zu verstehen, warum sie ihn hassen – sie müssen ihn ja hassen!
Plötzlich fror sie noch stärker und sah wieder zu McCallum. Der war schneeweiß im Gesicht.
»Shelby, steckt die Kugel noch?«
»Ja, Sir, aber – ich überlebe es. Warum überlebe ich es, Sir? Wenn ich gesund bin, werde ich sie suchen. Ich habe Black Hawk, den Schwarzen Falken, gesehen – er war es – er und seine Horde, ich bin sicher, Sir!«
»Wir werden ihn finden, Shelby. Jetzt kommen Sie – wir legen Sie in die Kutsche zwischen die Sitze. Holt Decken, Männer! Shelby, es tut mir leid, aber Sie verstehen doch, ja?«
»Ja, Sir, ich weiß, ist schon gut, Sir. Ich werde …«
Der Mann ritt an, und nun sah er das Mädchen und an dem Mädchen vorbei den Gefangenen am Boden. Obgleich Shelby halb tot war und seine Gedanken ganz sicher woanders waren – er hielt plötzlich.
»Hartney, komm weiter!«, sagte Roscoe stockheiser. »Hartney, komm, Alter, du musst liegen!«
»Wen – wen habt ihr denn da?«, stammelte der Verwundete. »Mein Gott, wen habt ihr da liegen? Das ist ja … Murdock! Murdock McCallum gefesselt? Murdock, das ist doch nicht möglich – Murdock, warum bist du gefesselt? Murdock, ich habe an dich denken müssen, als ich mein verbranntes Haus sah, ich habe an alle deine Ratschläge gedacht, als ich mich umsah und wäre ihnen sonst bestimmt in die Falle geritten. Murdock – was machst du am Boden?«
»Shelby, reiten Sie weiter!«, sagte Spalding mit einem Kloß im Hals. »Roscoe, bringen Sie Shelby in die Kutsche, sofort, Roscoe, das ist ein Befehl!«
»Was hat er getan, was hat er denn nur getan?«, stotterte Shelby. »Captain, aber – einen Mann wie ihn – Murdock McCallum, den darf man doch nicht fesseln und an einen Strick binden, Sir, doch nicht Murdock, nein, das darf man nicht! Murdock, du musst mir helfen. Wenn ein Mann den Schwarzen Falken finden kann, dann du. Murdock, hilfst du mir? Murdock, sag doch was, Murdock …«
»Herrgott, Sie sollen zur Kutsche, Shelby!«, schrie Spalding los. »Roscoe!«
»Komm, Hat, komm!«
Roscoe zwang Shelbys Pferd weiter, aber Shelby sah sich immer wieder um – nichts als Schreck und törichtes Staunen im Gesicht.
»Jim, was habt ihr mit ihm gemacht?«, fragte er. »Jim, warum ist Murdock gebunden, warum sagt er nichts? Jim, ich bin doch sein Pflegevater gewesen, sein bester Freund. Warum antwortet er mir denn nicht? Was hat er angestellt, Jim?«
»Nichts – nichts weiter, Hat, reg dich nicht auf, Alter!«
»Ich reg mich aber auf, Jim! Wie könnt ihr Murdock so behandeln?«
»Ich kann’s dir nicht sagen, Hat!«
»Ich verstehe es nicht, ich begreife euch nicht! Murdock zu fesseln – seid ihr verrückt geworden? Wenn er was angestellt hat, und ich kann ihm helfen, dann – dann musst du es mir sagen, Jim, hörst du?«
»Ja, Hat, ja, sei ruhig, du musst liegen …«
Sein Pflegevater, dachte Elena entsetzt, sein Freund? Fusel und Indianer – vielleicht der Fusel, den Bishop geliefert hat, wie? Um Gottes willen, darum ist McCallum so leichenblass geworden. Er fühlt sich schuldig am Tod von Shelbys Familie. Was muss jetzt in McCallum vorgehen?
»Marconi!«
»Sir?«
Die Stimme Spaldings klang verzweifelt, beinahe hilflos.
»Marconi, geben Sie Shelby irgendetwas – er muss schlafen, Marconi, hören Sie? Der Mann darf nicht erfahren, warum McCallum gefesselt worden ist, verstanden? Dass mir niemand etwas über die Sache sagt!«
»Befehl, Sir, aber – er wird fragen, er wird nicht aufhören zu fragen, Sir!«
»Dann geben Sie ihm etwas, das ihn umwirft, Mann Gottes!«
»Ja, Sir, aber das habe ich doch nicht!«
»Sie werden doch irgendetwas haben – irgendein Schlafmittel, Marconi.«
»Habe ich, Sir, aber das wirkt nicht so schnell. Ich kann ihm nicht so viel geben, weil er Blut verloren hat. Damit bringe ich ihn sonst um, Sir.«
»Herrgott, Marconi, dann geben Sie ihm wenigstens genug – er darf es nicht erfahren!«
Die Männer sahen sich an und bissen die Zähne zusammen. Sie sahen verstohlen zu McCallum, und in vielen Augen war nun der nackte Hass.
»Sir«, sagte McCallum plötzlich. »Sir, bringen Sie mich weg, ich versuche nicht zu fliehen, auch wenn Sie mich nur mit zwei Mann fortbringen lassen.«
»Halten Sie den Mund, McCallum. Sie bleiben!«
»Wie Sie wollen – wie Sie wollen.«
An der Kutsche stand Milland und redete, bis Roscoe plötzlich losbrüllte: »Halten Sie Ihr verdammtes Maul, Milland, oder ich schlage Ihnen die Zähne ein!«
»Und es ist doch wahr – er hat den verdammten Bishop gedeckt, der an Indianer Fusel geliefert …«
Roscoe fuhr herum, seine Faust schoss hoch und traf Milland am Kinnwinkel, sodass Milland wie vom Blitz gefällt zu Boden stürzte und still liegen blieb.
»Das ist nicht wahr – das ist nicht wahr, Jim!«, sagte Shelby leise. »Jim, er hat gelogen, nicht? Du hast ihn umgeschlagen, weil er so verfluchte Lügen über Murdock erzählt hat – stimmt doch, Jim, ja? Murdock würde so etwas niemals tun, nicht Murdock. Meine rechte Hand würde ich dafür hergeben, dass er … Jim, dieser Kerl hat gelogen, er hat doch gelogen, oder? Jim!«
»Verflucht sei Milland!«, knirschte Spalding und jagte zur Kutsche. »Shelby, leg dich hin! Das ist ein Befehl, Sergeant Shelby!«
»Ist es … doch wahr?«, stammelte Shelby. »Captain, nicht Murdock, sagen Sie, dass Murdock das nicht getan hat – Captain!«
Stille, nur bleiche Gesichter überall und Hass in vielen Augen.
»Du Schweinehund!«, zischte jemand McCallum zu. »Das war die Familie deines Pflegevaters – war die kleine Rose nicht dein Patenkind? Du Schweinehund, man sollte dich aufhängen!«
»Captain, mir ist so schlecht – mir ist sterbenselend, Sir!«, würgte Shelby. »Das ist doch nicht wahr, Captain, ich kenne ihn doch, ich kenne ihn besser als ihr alle – niemand kennt ihn so gut wie ich, niemand von euch. Es muss ein Versehen sein – jemand hat gelogen und ihn fälschlich beschuldigt. Murdock macht das nicht, eher stirbt er. Captain …«
»Shelby, leg dich hin!«
»Ich will nicht liegen, Sir, ich will ihn sprechen, ich muss ihn sprechen!«
»Nein, Sergeant, du legst dich jetzt hin!«
»Murdock – Murdock!«, schrie Shelby mit letzter Kraft. »Murdock, antworte mir! Hast du das getan, Murdock?«
Murdock McCallum schwieg.
»Ich sterbe, jetzt will ich sterben!«, sagte Shelby tonlos. »Murdock …«
Und er fiel besinnungslos in Roscoes Arme.
*
Er schläft nicht, dachte Roscoe. Ich an seiner Stelle könnte auch nicht schlafen.
Die Nacht war längst da, die Wagen standen in Doppelreihe, die Posten gingen ihre Runden. Morgen würden sie in Camp San Carlos sein. Das abgelöste Kommando Captain Spaldings würde dann weiter nach Fort Grant reiten, während ein neues Kommando die Wagen nach Camp Lowell und Tucson begleitete.
Der First Sergeant stand still, war lautlos an den Wagen getreten und sah nun über das Seitenbrett – mitten in Murdocks Gesicht und in seine hellwachen Augen.
Ich hab’s gewusst, dachte der Bulle Roscoe, der schläft nicht. Diese drei Strolche neben ihm, die schlafen. Deserteure, ein Pferdedieb, der mit den beiden anderen getürmt ist – und er neben ihnen, Murdock McCallum.
Murdock starrte ihn an, hatte sicher Hunger und Durst, aber er schwieg, er bettelte nicht. Der würde nie betteln, eher sterben. Dieser halbe Indianer! Es gab keinen zäheren Mann …
Der First Sergeant erwiderte den starren Blick so stur wie ein echter Bulle, ein Kampfstier, dem ein anderer mit gesenkten Hörnern gegenüberstand.
Dann wollte er gehen, aber …
»Ssst, Jim!«
Jim, dachte der Bulle, Jim? Was ist los, warum nennt er mich Jim, warum nicht Schinder, Mistkerl oder Ratte?
»Pass auf, Jim!«
»Was ist, he?«
»Indianer!«
»Was?«
»Ja, pass auf, weck Spalding!«
»Du bist ja …«
»Vorsicht, Jim!«
Jetzt schrie er los, der verrückte Schurke, schrie laut, hatte Gespenster gesehen, was? Dabei war es nur der Posten, der herangekommen war und auf das andere Wagenrad stieg, um in den Kasten und nach den Gefangenen zu sehen.
Plock!
Herrgott, dachte der Bulle Roscoe und sah entsetzt, wie der Private, der junge Posten, plötzlich nach vorn kippte und in den Kasten fiel, im Kreuz den Pfeil – Herrgott, zu spät! Murdocks Riecher!
Der Sergeant kam gerade noch unter den Wagen, ehe die Hölle losbrach. Roscoe zerrte an seinem Revolver, hatte ihn endlich heraus und sah den Schatten drüben am Seilcorral, in dem die Pferde standen, hochfliegen.
»Indianer – Indianer!«
Der Schatten schwang sich auf ein Pferd, tauchte weg, als Roscoe feuerte. Die Kugel ging irgendwohin, nur nicht in den Apachen. Es waren Apachen – Roscoe wusste es, obgleich er sie in der verfluchten Vollmondnacht nicht sehen konnte. Sie mussten Shelby gefolgt sein, kein Zweifel!
»Bleib unten, bleib unten!«
Roscoe wollte wieder hoch, wollte zu den Pferden, hörte den schrillen Schrei und wusste, dass der zweite Posten tot war. Über ihm brüllte Murdock, dass er unter dem Wagen bleiben sollte. Im letzten Moment warf sich der Sergeant zwischen die Räder – und nun sah er sie laufen – die Pferde kamen in Bewegung. Irgendwo links blitzte es auf, Feuer schoss an einem Wagen empor, der genau an der anderen Seite stand.
»Sie lenken nur ab!«, schrie Murdock. »Schieß, Jim, schieß! Die Pferde!«
Da – da war der Schatten. Der Sergeant feuerte, hörte den Schrei, sah den Indianer vom Gaul kippen. Tiefer halten, auf die ersten Pferde feuern, den Weg für die anderen versperren!
Roscoe feuerte zweimal, hörte Pferde ihre Todesschreie herausröcheln, sah, dass sie stürzten.
Auf dem Wagen lag der Posten, sein Gewehr war genau vor Murdock McCallum gelandet. Der Gefangene bückte sich, bekam trotz der gebundenen Hände die Waffe zu packen. Keuchend schwang Murdock das Gewehr herum und stieß es unter den Ring in der Kastenwand, durch den die Armeeschellenkette gezogen worden war. Dann wuchtete er mit der Schulter den Kolben der Waffe hoch. Der Haken, an dem der Ring saß, musste ausbrechen, er musste heraus! Zweimal wuchtete Murdock, dann kam das hässliche Splittern – er war frei und schnellte hoch, sah knapp über den Wagen hinweg.
Im selben Moment erkannte er die huschenden Schatten an der Kutschendeichsel. Murdock hatte es geahnt. Dort war die Möglichkeit für die Apachen, die Pferde leichter hinauszutreiben. Sie brauchten nur die Deichsel zu schwenken, dann war der Weg frei.
Ein Schrei an der Kutsche, flackerndes Licht, das von der anderen Wagenreihe herüberschien und jäh die Kutsche traf. Es beleuchtete den Schlag rechts – und der flog auf, das Mädchen kam heraus. Und sah jetzt die Indianer.
Drei waren da, zwei ganz vorn an der Deichsel, der dritte hart am Drehschemel.
»Zurück, Miss, zurück!«
Zu spät!
Der Indianer flog herum, riss das Mädchen hoch, sprang das Mädchen an.
Zwischen Murdocks gebundenen Händen lag das Gewehr. Die Waffe zuckte empor, spie einen Feuerstrahl aus, als der Apache gerade Elena Pearson packte und sein Messer herabstoßen wollte. Im Krachen des Schusses flog der Indianer gegen den Wagenkasten, sein Messer verfehlte Elena um einen halben Schritt und drang in das Kastenholz ein. Dann rutschte der Apache zusammen, riss aber das Mädchen mit.
Murdock feuerte erneut. Die Kugel packte den einen Apachen an der Deichsel, warf ihn über sie und ließ ihn mit den Beinen strampeln, während der Letzte mit einem schrillen Schrei in der Nacht untertauchte.
Pferde wieherten, Männer schrien, Schüsse krachten ohrenbetäubend, Hufe trommelten los.
Sieben – acht – neun Pferde gestohlen, dachte Murdock und hörte die Flüche, mit denen Roscoe aufstand. »Captain, die sind fort, und du kannst die Apachen nicht mal mehr verfolgen. Jetzt musst du verdammt froh sein, wenn du noch genügend Pferde für die Kolonnenvorreiter hast, was? Warum habe ich nur an Hat Shelby gedacht, warum bin ich nicht aufmerksam gewesen? Es war doch so verflucht ruhig …«
»Na, was hast du denn da?«, fragte Roscoe, und sein Revolver sah Murdock zwischen die Augen. »Teufel, was ist das denn? Du hast den Haken aus dem Holz gewuchtet? Kerl, was fällt dir ein, wer hat dir erlaubt zu schießen?«
»Niemand«, sagte Murdock und ließ das Gewehr fallen, als Roscoe mit einem Satz auf den Wagen und zwischen die Gefangenen flog. »Die Apachen wollten die Stagecoachdeichsel herumziehen und wären danach an diesem Wagen vorbeigejagt, um die Pferde hinauszuschaffen, du Bulle. Vielleicht hast du genug Verstand, um dir auszurechnen, dass sie dabei auf uns angekettete Narren geschossen hätten – und wahrscheinlich auch auf dich. Sieh mal nach dem Mädchen, du Schinder!«
»Ich hau dich in Stücke!«, knirschte Roscoe. »He, kommt her! Hermann, Hermann, komm mit dem dicken Hammer, der Hundesohn hat sich befreit, du musst den Ring wieder ordentlich festmachen! He, was ist mit dem Mädchen, mit Miss Pearson? Marconi, sieh mal nach, McCallum hat in die Richtung geschossen!«
»Was hat er – geschossen?«, knurrte Spalding und war schon heran. Er blickte auf den toten Posten hinab und zuckte zusammen. »McCallum, die anderen beiden Posten sind im letzten Moment durch Ihre Schreie gewarnt worden, sonst wären sie auch tot – und wahrscheinlich hätte wir alle Pferde verloren, was?«
Drüben hielt Charles Pearson seine zitternde Tochter in den Armen. Das Blut des Indianers war über ihre Bluse gerieselt, und man war schon dabei, Murdock McCallum wieder fest anzuketten, ehe sie fähig war, zu ihm zu gehen. Was weder der Captain noch Roscoe gesagt hatten, sprach sie jetzt aus. Sie sah diesen seltsamen Halbwilden, dessen untrüglicher Indianerinstinkt sie gerettet hatte, groß an.
»Danke, Mister McCallum, das war Rettung in letzter Sekunde. Ich danke Ihnen, Murdock!«
Murdock McCallum, der Mann, dem man nicht nur unwahrscheinlich viel Glück im Aufspüren von Spuren, sondern auch bei Frauen jeder Altersklasse nachsagte, blickte geradezu verlegen zur Seite.
»Macht nichts, war doch nichts, Miss Pearson«, erwiderte er stockend. »Schon gut, Miss!«
»Sie haben meiner Tochter das Leben gerettet, meinem einzigen Kind«, murmelte Pearson leise. »McCallum, wenn ich jemals etwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen. Ich bin kein armer Mann.«
»Danke, Sir, aber Sie können nichts für mich tun«, entgegnete Murdock. »Ich wollte …, nun, nichts, Sir – nichts!«
Was immer er sagen wollte, er schwieg danach verstockt.
»Murdock«, sagte das Mädchen, »wollen Sie nicht etwas essen und trinken? Sie müssen doch halb tot sein, Murdock – essen Sie – bitte!«
Der Mann hob wieder den Kopf, und sie warteten alle auf das, was kommen musste – denn er war stur, er gab nie nach.
»Ja, ich bin hungrig und durstig«, sagte er. »Wenn ich etwas bekommen könnte …«
Sie sahen sich alle an – das Mädchen hatte ein Wunder vollbracht, Murdock McCallum hatte sich selbst überwunden.
»Howell, holen Sie ihm etwas zu essen, aber der Satan soll Sie fressen, wenn Sie wieder eine Gemeinheit aushecken!«, knurrte Spalding.
Spalding drehte sich um, und dann – es war das zweite Wunder – sagte er widerwillig: »Ohne Ihre Warnung wäre ich nicht mal in der Lage gewesen, die Kolonne bis Camp San Carlos zu bringen, McCallum. Ich werde das dem Major melden – es mag zu Ihren Gunsten sprechen. Zum Teufel, Doppelposten in vier Schritt Abstand aufstellen, Roscoe! Wir haben zu wenig Pferde, um die Apachen zu verfolgen, schöne Schweinerei! Was steht ihr herum und glotzt, he?« Dann ging er stampfend davon, und das Mädchen sah ihm nach.
Murdock wird essen, dachte Elena, er wird essen und trinken. Gott sei Dank. Und vielleicht hilft ihm das, was Spalding gesagt hat, wenn er in Fort Carlos vor dem Major steht. Murdock ist kein schlechter Mensch, gewiss nicht …
In der Kutsche lag ein Mann und sah Marconi aus Augen, in denen sich das Fieber mit seinem Glanz meldete, groß an.
»Du – Marconi, er hat alle gewarnt, ist das wahr?«, fragte Shelby. »Marconi, hat Murdock geschrien?«
»Ja, Hat, aber – du sollst schlafen und dich nicht aufregen!«
»Murdock hat geschrien«, flüsterte der Verwundete. »Marconi, denkt was ihr wollt, aber ich sage euch – Murdock würde sich nie bestechen lassen. Ich kenne ihn doch! Ich habe ihn damals ausgebildet, damit er, als er blutjung zur Armee kam, etwas von Disziplin begriff. Das war das Einzige, was er lernen musste, alles andere konnte er viel besser als ich alter Narr. Nein, Marconi! Murdock hat das nicht getan. Eher ginge die Welt unter, Ticco, hörst du?«
»Ja, ja, aber er hat es zugegeben.«
»Dann lügt er, dann hat er gelogen. Er hätte an mich gedacht, an Mary und meine Kinder, an meine kleine Rose, weil er doch weiß, was Indianer machen, wenn sie betrunken sind. Was – was geschieht mit Murdock, sag es mir, Ticco, ich will es wissen!«
»Du klaust mir den letzten Nerv, Hat«, knurrte Marconi. »Es kann dir doch gleich sein, was aus ihm wird!«
»Ist mir nicht gleich, Mann, ich will es wissen, also?«
»Nun, in acht Wochen wäre seine Dienstzeit zu Ende gewesen, und es heißt, man hätte ihn zum Lieutenant machen wollen, wenn er bei der Armee geblieben wäre. Stell dir vor, der erste Sergeant der Armee, der ohne Westpoint und die Akademie der Armee Lieutenant geworden wäre – und da macht er so was! Aber er hat ja nichts davon gewusst, der Narr, sonst hätte er es sich vielleicht überlegt. Nun wird er mindestens zwei Jahre sitzen, das ist die Mindeststrafe, Hat, weißt du auch, wie?«
»Zwei Jahre – Murdock McCallum?«, flüsterte der Verwundete. »O Gott, das hält er nicht durch, der stirbt hinter Gittern. Der erste Sergeant der Armee, den sie zum Lieutenant gemacht hätten, weil er es verdient hat – ja, hat er verdient vor allen anderen. Lieutenant Murdock McCallum – und ich war sein Sergeant, ich! Da wäre ich stolz gewesen, Ticco!«
»Meinst du, wir nicht, du blöder Hund?«
»Ach, ihr kennt ihn gar nicht richtig – keiner kennt ihn so wie ich. Als sein Vater und seine Mutter am Fieber starben, kam er zur Armee – ein feiner Junge, still und bescheiden, aber schlau und erfahren wie ein alter Mann. Das kam von seinem Leben unter den Indianern, weil sein Vater ein anständiger Indianerhändler war. Er hat das nicht getan, Ticco, ich weiß es!«
»Du hast Fieber, Hat, du musst dich beruhigen, liege still, Alter!«
»Ja, ich bin ja ruhig, ich bin ganz ruhig, Ticco. Ich werde den Major bitten, ihn nicht einzulochen. Hinter Gittern stirbt ein Mann wie Murdock doch. Ich werden den Major bitten, der ist mein Freund, der Major. Als ich entlassen wurde, hat er gesagt: ›Hartney, Alter, wenn du jemals einen Wunsch hast, dann komm zu mir, ich werde immer für dich da sein!‹ – hat er gesagt, Ticco, das ist wahr. ›Warst mein bester Sergeant, Hartney‹, hat er gesagt, ›hast mir mehr als einmal das Leben gerettet, seitdem ich als junger Lefty in dieses wilde Land kam und von nichts eine Ahnung hatte.‹ Glaubst du mir, Ticco?«
»Ja, Hat, aber nun schlaf.«
Er redete irre in seinem Fieber, dachte Ticco Marconi, der Sanitätssergeant, auch der Major kann nichts machen. Sein Verstand hat sich verwirrt, kein Wunder, was? Wenn ich meine Familie geschlachtet vorgefunden hätte, wäre ich ganz verrückt geworden. Wie kann ein Mann wie unser alter Hartney Shelby, unser Vorbild, an Murdock glauben – wie kann er das, wenn doch seine Leute durch den Fusel umgekommen sind, den der verfluchte Bishop mit Murdocks Wissen an die Indianer verkauft hat?
Nein, Major Howard Morgan würde auch nichts für Murdock tun können, denn was Murdock McCallum getan hatte, das war genauso schlimm, als hätte er sein Land verraten …
*
Der Blick des Mädchens flog zu dem Major, dessen hochgewachsene Gestalt kerzengerade im Sattel saß.
Du großer Gott, dachte Elena und stand wie gelähmt neben der Kutsche im Hof von Camp San Carlos, über dem die pralle Sonne lag – großer Gott, sie holen die Gefangenen aus dem Jail. Sie haben Shelby schon operiert und seine Kugel herausgefischt. Unsere Eskorte nach Camp Lowell steht bereit, und der Major hat mit seinen Captains und Lieutenants beraten, sie haben auch Roscoe dazugeholt. Was haben sie nun mit den Gefangenen vor? Wird man sie weiter nach Fort Grant bringen? Aber warum ist der Major, der jetzt doch in Fort Grant sein müsste, jetzt in Camp San Carlos, warum? Ob es wahr ist, dass die Chiricahua-Apachen auch noch Krieg machen und er deshalb mit einer Schwadron von Fort Grant heraufgeritten ist?
»Gefangene – halt!«
Die Ketten klirrten einmal, als sie stillstanden – zwei Deserteure, die angeblich einen Spieler ermordet haben sollten. Ein berufsmäßiger Pferdedieb, der auch bei der Armee Pferde gestohlen hatte und frech wie ein Gewohnheitsdieb den Major anstarrte. Der vierte Mann, der Verräter McCallum, sah starr geradeaus.
»Caldwell«, begann der Major kalt und scharf, indem er den ersten Deserteur und angeblichen Mörder fixierte und dann zum nächsten Halunken sah. »Huston – Darrey – McCallum!«
Danach machte er eine kleine Pause, er hatte jeden Halunken aufgerufen.
»Ihr Schurken glaubt, dass ich euch eine Eskorte opfere, um euch nach Fort Grant zu schaffen, wie? Währenddessen werden eure ehemaligen Kameraden ihr Leben riskieren, damit die Apachen nicht noch mehr Siedler umbringen, Häuser anstecken und Frachtwagen überfallen – glaubt ihr, ja? Ich habe in dieser Situation keinen Mann für euren Transport übrig, ich werde auch keinen Mann zu eurer Bewachung abstellen, der mir draußen bei den Patrouillen fehlt, wenn ihr hier im Jail steckt. Ich werde euch einem Zug zuteilen, und ihr werdet waffenlos Dienst tun – in einer jetzt gebildeten Strafeinheit, die sich vor dem Gegner zu bewähren hat.«
Über das Gesicht des Deserteurs Bill Caldwell huschte ein erschrecktes Zucken. Sein Freund Willie Huston erbleichte. Walt Darrey, der berufsmäßige Dieb, schluckte. Nur Murdock McCallums Gesicht blieb ausdruckslos.
Mein Gott, dachte Elena entsetzt, waffenlos gegen die Apachen in einer Strafeinheit – das ist schlimmer als jedes Jail. Sie hätten ja im Fall des Kampfes keine Chance, sich zu wehren!
»Na, das freut euch doch, sehe ich«, sagte der Major Howard Morgan eiskalt. »Nur auf den Oberschurken unter euch scheint das keinen Eindruck zu machen – habe ich recht, McCallum?«
»Sie haben recht, Sir«, sagte McCallum träge.
»McCallum, dort drüben liegt Ihr Freund Shelby – er war doch Ihr Freund, McCallum, oder?«
Murdock McCallum presste die Lippen zusammen, er war bleich geworden.
»Damit Sie es wissen, McCallum!«, schnitt Morgans Stimme durch die Stille über Camp San Carlos. »Der Vorschlag stammt von Shelby – und ich habe die Idee nicht mal schlecht gefunden, die der arme Kerl gehabt hat. McCallum, Sie werden zu Shelbys Ranch reiten – Sie, Mister! Und dort wird man Ihnen eine Schaufel in die Hand geben und Ihnen ein Seil um den Leib schlingen, damit Sie in den Brunnen Shelbys steigen können … Hören Sie mir zu, Mister McCallum?«
Das Gesicht McCallums war schneeweiß geworden. Auf den Gesichtern der über zweihundert Kavalleristen lag Verbissenheit und Schreck, in ihren Augen spiegelte sich alles, was sie empfanden, denn die Strafe des Majors war fürchterlicher als alles, was man Murdock McCallum hätte antun können. Er würde die Toten eigenhändig begraben müssen, die er vielleicht auf dem Gewissen hatte.
»Keine Antwort?«, fragte der Major klirrend. »Nun gut, Mister McCallum, ich werde Ihnen noch etwas sagen: Shelby glaubt an Sie, er will, dass Sie seine Toten beerdigen, niemand sonst soll es tun. Ich begreife Shelby nicht, aber es ist die Wahrheit – er will es so haben, und so soll es geschehen. Er sagt, Sie würden den Schwarzen Falken finden – Sie allein könnten das schaffen. McCallum, ich könnte Sie allein wegen Shelby aufhängen, aber ich darf das nicht. Ich darf jedoch eine Strafeinheit bilden, das Recht steht mir zu. McCallum, Sie und Ihre Mitgefangenen werden unter das Kommando Captain Spaldings gestellt. First Sergeant Roscoe wird die Aufsicht haben. Versuchen Sie zu fliehen, wird ohne Anruf auf Sie geschossen, verstanden?«
Murdock McCallum schwieg. Sein Blick war auf den Himmel gerichtet – irgendwohin in das uferlose Blau.
Ein Mädchen fror und dachte an die Chance, die Murdock besaß, wenn er auf Indianer stieß. Vielleicht würde er den Schwarzen Falken stellen, aber vielleicht starb er, ehe er ihn fand.
Er wird sie begraben, dachte Elena Pearson und betrachtete den Mann und sein strenges, ruhiges Gesicht – und die anderen werden alle zusehen, wenn er die Schaufel nimmt. Aber vielleicht kommen sie nicht mal bis zu Shelbys Ranch, vielleicht stirbt er schon vorher, denn die Apachen sind überall …
*
Mein Gott, dachte Murdock und riss jäh die Augen auf, die Geier waren schon da, ehe wir kamen und ich die Schaufel nahm. Wo …, wo bin ich? Was ist?
Murdock hob den Kopf. Sein quälender Traum war vorbei, und die Nacht umgab ihn und vierzehn andere Männer des Halbzuges, jenes Begräbniskommandos, das sich von den anderen Männern getrennt und nun auf der kaum noch sichtbaren Spur der Apachen gehangen hatte. Die Toten waren begraben, und die Spur war alt, fast zu alt. Die Apachen waren nach Süden geritten, in der Galiuro Range verschwunden und wahrscheinlich auf dem Weg in die Chiricahua Berge. Mochten sich White Mountain Apachen und Chiricahua auch manchmal streiten – im Kampf gegen die Weißen waren sie immer einig.
Sie sind weg, dachte Murdock, sie waren es nicht, die uns die Pferde stehlen wollten …, das waren andere. Wir sind am Rand der Galiuro-Berge und schlafen nur drei Stunden, bis der Mond kommt, dann geht es weiter und …
Er nahm den Kopf hoch. Und dann sah er die Waffe – starrte genau in den Colt.
Was hatte ihn munter gemacht – was war es gewesen? Ein dumpfer Fall – ein Sturz eines Körpers, der ihn trotz der Erschöpfung dieses Gewaltrittes aus dem Schlaf gerissen hatte.
Murdock starrte in den Revolverlauf – und dann in das Gesicht hinter der Hand in der stockfinsteren Nacht.
»Rühr dich nicht, Murdock!«
Walt Darrey, der Gewohnheitsdieb, hielt den Colt in der Hand. Und Roscoe lag auf der Seite, den Hut, den er sich immer über den Borstenschädel deckte, wenn er schlief, hatte ein Hieb getroffen – Blut war an Roscoes Kopf, der Revolver des First Sergeant in Darreys Hand!
»Lieg still, Mann!«, zischelte Darrey. »Ganz ruhig, oder ich drücke ab!«
Ein Schatten huschte lautlos vom Hang herunter, an dem die Pferde standen, der Posten musste es sein – Sergeant Blunt, der zweitraueste Kerl aus Camp San Carlos, aber – es war nicht Blunt, es war Willie Huston, der Deserteur. Von der anderen Seite tauchte der nächste Schatten auf – Bill Caldwell, sein Saufkumpan und Partner.
Herrgott, sie hatten die Posten erwischt, sie hatten Waffen! Da, sie schlichen wie Wölfe auf den schlafenden Captain los. Seaton, der zweite Posten dieser Nacht musste also irgendwo liegen – vielleicht tot?
»Murdock, machst du mit, oder soll ich dir eins über den Schädel geben?«, zischte Darrey. »Antworte – willst du mitmachen – oder?«
»Mensch!«, flüsterte Murdock, mehr brachte er zuerst nicht hervor. »Machst du mit?«
Die Chance vertun, dachte Murdock, diese Chance? Zwei Jahre Jail, danach ein Leben als toter Mann, denn wer aus der Armee ausgestoßen wird, der ist fertig, dem gibt niemand mehr etwas.
»Ja«, wisperte er. »Verdammt, wie habt ihr es geschafft?«
Es war wie der nächste böse Traum, den Murdock in dieser Nacht erlebte. Langsam wälzte er sich herum, hielt Darrey die gefesselten Arme hin. Nachts band man sie. Sie waren alle gebunden gewesen und hatten sich irgendwie freigemacht, aber wie?
Murdock blieb keine Zeit zu fragen, denn Bill Caldwell huschte zum Campfeuer, legte einige trockene Äste nach, bis die Flammen nach ihnen griffen und mit ihrem zuckenden Schein den kleinen Talkessel erhellten. In der Zwischenzeit hatte Darrey Murdocks Fesseln durchschnitten.
Caldwell schlich zum Captain zurück, als Murdock hochgekommen war und das erste Gewehr packte, geduckt hinter den Schlafenden und erschöpften Männern stand.
Dann kam der Stoß, er fuhr Spalding in die Rippen. Der Captain riss die Augen auf, wollte hoch und sah den Revolverlauf auf seinen Hals zuschießen.
»He, was …«
Narr, dachte Murdock, verdammter Narr, du hast uns angetrieben, du hast die Männer vorwärtsgehetzt, bis sie todmüde waren. Dein Fehler, Spalding! Du wolltest den Erfolg, um jeden Preis, und nun hast du ihn, aber anders, als du jemals gedacht hast, was?
Rechts von Spalding bewegte sich Sheppard, der Telegrafist, der mit seinem Spiegel am Tag Blinkzeichen gab und so die Verbindung mit den anderen Suchtrupps aufrechterhielt. Der Mann wälzte sich auf die Seite, blinzelte und erstarrte, denn die Beine des Captains schleiften über den Boden, weil Huston Spalding am Kragen gepackt hatte und zurückzog. Sheppard fuhr aus dem Schlaf hoch, saß plötzlich.
»Nicht bewegen – liegen bleiben!«, brüllte Caldwell scharf. »Alles liegen bleiben, oder der Captain hat eine Kugel im Schädel, ihr Narren!«
Murdock lud durch. Das scharfe Klicken weckte auch den letzten Mann.
»Lasst die Hände von den Waffen!«, schrie Darrey. »Niemand bewegt sich ohne Befehl! Liegen bleiben, Lannon, oder ich drücke ab!«
Der Sergeant blinzelte, sein Gesicht wurde zu einer Maske, sein Blick flog zum Captain und erfasste den Colt an Spaldings Schläfe.
»Nun los«, sagte Caldwell schrill. Sie sahen alle im ständig heller werdenden Feuerschein, dass Caldwell den Daumen auf dem gespannten Hammer des Revolvers hielt. »Captain, jetzt sag mal ein paar kluge Worte. Du bist doch sonst so schlau, Spalding, du konntest nicht schnell genug hinter dem Schwarzen Falken herjagen, was? Ruf sie einzeln auf, Captain, oder ich nehme den Daumen vom Hammer! Wird es bald, Mann?!«
Spalding blickte entsetzt zu Darrey. Der Gewohnheitsdieb stand zwischen den Pferden und den Männern, er war im Rücken Lannons, auf den sein Gewehr zeigte. Danach weiteten sich Spaldings Augen – er sah Murdock McCallum mit finsterem Gesicht im Hintergrund lehnen, das Gewehr im Hüftanschlag.
»McCallum …«, würgte Spalding. »McCallum, war das … deine Idee?«
»Nein«, antwortete Murdock grimmig. »Aber es hätte meine sein können, was? Rührt euch nicht, Leute, ihr kennt mich doch und wisst, was ich mit einem Gewehr anstellen kann – oder?«
Das wusste jeder. McCallum schoss mit einem Gewehr schneller als der beste Mann mit seinem Revolver.
»Dafür wird man euch hängen!«, keuchte Spalding. »Caldwell, Sie verdammter Bursche, ich gebe keine Befehle weiter, eher sterbe ich.«
»So?«, zischte Caldwell. Er holte blitzschnell aus und schlug knallhart zu. Der Captain rutschte zusammen. Lannons Hand zuckte, aber da fegte Darrey los, sein Gewehrlauf schmetterte gegen Lannons Kopf und auch der Sergeant kollerte zur Seite.
Im hellen Feuerschein sahen die Männer jetzt, dass Roscoe gebunden war und wie tot am Boden lag. Es war niemand mehr da, der ihnen Befehle geben konnte.
»Sheppard!«, knurrte Huston bissig. »Hoch mit dir – aufstehen und den Gurt abschnallen. Dann wirfst du ihn Darrey vor die Beine, aber vorsichtig, Mann, verflucht vorsichtig, sonst …«
Der Telegrafist erhob sich langsam, er gehorchte wortlos und ging dann auf Darreys Befehl nach links, wo er sich vor Murdock hinsetzen musste, die Hände im Nacken verschlungen.
»Der nächste Narr«, fauchte Caldwell. »Komm schon hoch, Charlie!«
Einer nach dem anderen musste seine Waffen abliefern und auf einen Haufen werfen, kalt beobachtet von Darrey und Huston. »Ihr habt an alles gedacht, was?«, fragte Sheppard verbissen, als Huston, nachdem alle am Boden hockten, zu seinem Packen ging und den Spiegel zerschmetterte. »Die Schwadron steckt etwa fünfzehn Meilen westlich von uns, der Rest des Zuges unter dem Lieutenant ist im Norden, aber auch zu weit entfernt, um Schüsse zu hören oder Blinkzeichen mit Spiegelscherben sehen zu können. Caldwell, was habt ihr mit uns vor, he?«
»Das wirst du gleich sehen«, antwortete Caldwell eisig. Er zerstampfte auch den letzten Spiegelscherben mit dem Absatz und grinste teuflisch. »Willie, Darrey – rüber zu den Pferden! Du passt weiter auf, McCallum. Ich bringe dir ein Pferd, warte!«
Sie zogen sich langsam zurück, als Sergeant Blunt nach einem kurzen Steinekollern neben den Pferden vom Hang herabgerollt kam und gurgelnd im Feuerkreis liegen blieb. Er war geknebelt und gebunden und blutete aus einer klaffenden Kopfwunde.
»Na, Blunt, du Schinder?«, erkundigte sich Darrey höhnisch, indem er ihm in die Rippen trat. »Wie gefällt dir der Anblick dieser Affen?«
Oben schrie jemand auf, es war Seaton, der Corporal und zweite Nachtposten, den Willie Huston von den Felsen stieß, nachdem er ihm den Knebel aus dem Mund genommen hatte. Seatons linkes Auge war blutverkrustet und zugeschwollen, seine Augenbraue aufgeschlagen worden. Er wimmerte leise, nachdem er hart aufgeprallt war.
Murdock blickte ihn an, sein Gewehr zeigte auf Seaton.
»Moment!«, sagte Murdock finster, als Darrey und Willie Huston alle Pferde zusammenbanden. »Caldwell, was soll das werden?«
»Wir nehmen die Pferde, die Waffen mit – was dachtest du denn?«, erwiderte Caldwell eisig. »Sollen sie uns nachkommen können? Wir brauchen Vorsprung, Mann!«
»Caldwell, hier könnten Indianer in der Nähe sein. Ohne Pferde und Waffen sind sie verloren.«
»Na und?«, höhnte Caldwell. »Es wäre nicht die erste Patrouille, die nicht zurückgekommen ist, klar? Du musst doch am besten wissen, ob Indianer in der Nähe sind – du hast gesagt, es wären keine da, oder hast du gelogen?«
»Nun gut«, brummte Murdock, »du hast recht. Sie könnten frühestens in acht Stunden zu Fuß beim Major sein. Das dürfte für uns reichen.«
Er wartete, bis er sein Pferd bekam, saß dann auf und sah über die am Boden hockenden Männer hinweg, während Huston alle Waffen bündelte und auf einen Gaul packte.
»Murdock«, keuchte der einäugige Seaton, »sind wirklich keine Apachen in der Nähe?«
»Nein«, antwortete McCallum düster. »Sie sind tiefer im Süden, mach dir keine Sorgen, du Tölpel. Dann – lauft euch die Hacken ab!«
»Mistkerl!«, knirschte Seaton. »Zur Hölle mit euch!«
»Die seht ihr vielleicht bald«, erwiderte Caldwell höhnisch. »Murdock, willst du ihm eins überbraten?«
»Wozu, er sieht wirklich schon schlimm genug aus«, entgegnete Murdock achselzuckend. »Los, lasst uns reiten, wir brauchen den Vorsprung, Caldwell!«
Murdock zog sein Pferd herum, sicherte aber mit dem Gewehr so lange, bis die anderen drei Männer zwanzig Schritt fort waren, ehe er dem Gaul die Hacken gab und lospreschte. Hinter ihm ertönten jetzt wilde Flüche und Verwünschungen, die Huston, Darrey und Caldwell in ein viehisches Gelächter ausbrechen ließen.
»Wie sie brüllen!«, heulte Huston und bog sich vor Lachen. »Mann, das kostet den Captain die Führung der Schwadron, wetten? Es war ganz leicht, Murdock. Ich ließ, als wir Verpflegung für uns fassten, ein Küchenmesser in meinen Stiefel rutschen. Dann schnitt ich Darrey los, und wir knallten Roscoe, dem Bullen, eins auf den Schädel.«
»Hör auf!«, schnauzte Caldwell. »He, Murdock, wo ist das nächste Wasserloch? Wir brauchen unbedingt Wasser.«
»Ja«, antwortete Murdock knapp. »In den Bergen, durch die wir am Tag müssen, könnten sich Apachen herumtreiben – und die stecken immer in der Nähe der Wasserstellen. Wir müssen die nächste Wasserstelle am Rand der Berge erreichen, ehe der Morgen graut, die Spuren verwischen und dann sofort weiter. Ich hoffe, die Apachen sind nicht an diesem Wasserloch – es wird zu oft von der Armee aufgesucht, und davor werden sie sich hüten. Alle anderen Wasserstellen dürften von Apachen besetzt sein.«
»Nun, du kennst hier ja jeden Stein«, grinste Darrey. »Bring uns durch, es wird dein Schaden nicht sein!«
»Warum?«, fragte Murdock, als Darrey, Huston und Caldwell lachten. »Habt ihr etwa Geld?«
»Nur das, was die Posten und Roscoe in der Tasche hatten«, antwortete Caldwell grinsend, »aber eines Tages haben wir mehr. Murdock, könntest du uns ungesehen wieder nach Norden führen, sobald wir über die Grenze in Sicherheit sind und zwei, drei Wochen abgewartet haben?«
Murdock McCallum starrte Caldwell durchdringend an, er ahnte etwas, wollte sich aber Gewissheit verschaffen.
»Dann stimmt es also doch?«, erkundigte er sich. »Ihr habt damals in Woodruff mit dem Spieler Folsom gepokert, verloren und dann das Nest verlassen, aber Folsom wurde später erschossen und ausgeraubt gefunden – er soll angeblich über zweitausend Dollar bei sich gehabt haben, die man aber nie entdeckte – auch nicht in euren Taschen.«
Huston und Caldwell lachten laut. Dann sagte Caldwell grinsend: »Meinst du, wir wären so dumm gewesen, sein Geld mitzunehmen? Nein, mein Freund, nachdem wir ihn abgeknallt hatten, ritten wir friedlich nach Camp Richards zurück. Dort hatte unser Freund Darrey Wache am Tor und beschwor später, wir wären drei Stunden früher zurückgekommen. Wir haben danach abgewartet, bis die Untersuchung gegen uns nichts ergeben hatte – und dann erst türmten wir gemeinsam. Das Geld ist vergraben, Mann!«
»So war das«, sagte McCallum verblüfft. »Ah, ich begreife! Ihr habt das Geld holen wollen, seid aber von der Patrouille erwischt worden. Verdammt schlau von euch, dass ihr die Beute vergraben habt. Ob ich euch ungesehen hinbringen kann? Sicher kann ich das, aber nicht umsonst, klar?«
»Damit haben wir auch nicht gerechnet«, brummte Huston mürrisch. »In der nächsten Zeit wird die Armee überall herumstreifen und nach Apachen suchen, wir kämen nie allein bis zum Geldversteck. Dreihundert Dollar – ist das ein Angebot, Mister?«
»Ich denke darüber nach«, erklärte Murdock zwinkernd. »Alle Dinge haben ihren Preis, Freunde – und ich habe immer meinen, versteht ihr? Bishop dachte auch, er könnte mich mit einer Handvoll Dollar abspeisen.«
»Verdammt noch mal, Murdock, dreihundert dicke Böcke sind verteufelt genug!«, knurrte Caldwell. »Fang nicht an, uns wie Bishop auszunehmen. Ich wette, du hast nicht alles Geld, was Bishop dir zusteckte, bei dir gehabt, als man dich schnappte.«
Murdock McCallum zuckte heftig zusammen, und sie waren nun sicher, dass Caldwell ins Schwarze getroffen hatte.
»Na und, was ändert das?«, fragte Murdock brummig.
»Könnte doch sein, dass du dein verstecktes Geld auch holen musst, oder?«, spottete Caldwell anzüglich. »Dann brauchst du den Ritt nicht unseretwegen zu tun, oder irre ich mich? Murdock, wir haben dich befreit, ist das nicht wert, dass du uns mitnimmst?«
»Ihr habt mich befreit?«, antwortete McCallum und lächelte dünn. »Was meint ihr, wie lange ich noch Gefangener gewesen wäre? Ihr bildet euch doch nicht ein, dass ich keinen eigenen Plan zur Flucht hatte, was? Los, wir müssen zur Wasserstelle, in drei Stunden müssen wir sie erreicht haben!«
Im nächsten Moment jagte er davon.
*
Murdock McCallum tauchte wie ein Schatten hinter den Büschen auf und nickte kurz.
»Keine Indianer hier gewesen«, sagte er kühl und deutete nach Osten zur Wasserstelle. »Ihr füllt alle Wasserschläuche und Flaschen, ich passe auf.«
»Na, Gott sei Dank«, schnaufte Darrey.
Huston, Caldwell und Darrey packten die Wasserschläuche, stiegen ab, nachdem sie den Rand des Wasserlochs erreicht hatten und hasteten zum Wasser, während Murdock die Pferde hielt. Keuchend schleppten sie die gefüllten Schläuche zu den Pferden, rannten mit den restlichen zurück, und Darrey maulte, als der den Weg zum dritten Mal machte. »Verdammt schwer so ein Schlauch! Murdock, du lässt auch lieber andere arbeiten, was? Willst du nichts tun?«
»Ich tue schon etwas«, antwortete Murdock träge. »Ich passe auf, das ist mehr wert, Darrey, als würde ich mit euch Wasserschläuche schleppen. Mach ihn ordentlich fest, Darrey, die Schnalle vorn anziehen und …«
Als Darrey sich bückte und Huston und Caldwell noch am Wasser kauerten, hob Murdock McCallum blitzschnell das Gewehr und schlug es Darrey von hinten über den Schädel. Der Gewohnheitsdieb stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden, das Pferd schnaubte erschreckt, und Huston sah sich um.
In der nächsten Sekunde erstarrte Huston vor Furcht, denn Murdock hatte das Gewehr auf ihn angeschlagen, und Darrey rutschte auf dem nachgebenden Sand langsam am Pferd vorbei, bis ihn eine leichte Bodenwelle aufhielt.
»Bill – Bill!«, keuchte Huston. »Bill, Murdock …«
»Ganz ruhig!«, befahl Murdock eiskalt. »Caldwell, ihr habt keine Chance, ich lege euch beide um, wenn einer von euch nach dem Colt angelt!«
»Was – was soll das?«, fragte Caldwell stockend. »Murdock, wir sind zwei – vergiss das nicht!«
»Versucht es mal!«, forderte ihn Murdock kühl auf. »Du schnallst jetzt deinen Gurt auf und wirfst ihn ins Wasser. Huston, du Ratte, wenn du dich rührst, blase ich dir eine Kugel durch deinen Mörderschädel! Wird es bald, Caldwell?«
Caldwell und Huston sahen sich furchtsam an, dann löste Caldwell gehorsam die Gurtschnalle und ließ seinen Colt ins Wasser plumpsen.
»Du verfluchter Hund, was hast du vor?«
»Nicht das, was ihr mit mir getan hättet, wenn ich euch zu meinem und eurem Geldversteck geführt hätte«, erwiderte Murdock eisig. »Irgendwann hättet ihr mich um des Geldes willen von hinten genauso schurkig abgeknallt wie Folsom, den Spieler. Keine lange Diskussion, Caldwell – du bist dran, Huston, weg mit dem Gurt!«
»Das – das ist nicht wahr!«, versicherte Huston schmierig. »Wir hätten dir kein Haar gekrümmt, Murdock. Ich sage dir …«
»Die Schnalle auf!«, peitschte Murdocks Stimme über die Wasserstelle. »Los, auf damit und ins Wasser mit dem Feuerspucker!«
Huston fluchte wild, ehe er den Gurt ins Wasser warf.
»Aufrichten – beide!«, fauchte Murdock. »So, ihr Halunken – und jetzt durch das Wasser waten und drüben den Hang hochsteigen, aber etwas schneller, Leute, sonst mache ich euch Beine! Wenn ich abdrücke, dürft ihr wetten, dass der Schuss von Apachen gehört wird und sie euch bald besuchen kommen. Geht ihr bald?«
»Der Hund, der verfluchte Hund!«, gurgelte Caldwell in ohnmächtiger Wut. »Wenn ich dich jemals wiedersehe, du Satan, leg ich dich um! Willie, er nimmt uns die Pferde, er setzt uns hilflos aus, der Schweinehund!«
»Du sagst es, aber ganz so schlimm wird es nicht«, antwortete Murdock finster. »Lauft nachher zwei Meilen nach Norden zurück, dort werdet ihr drei Pferde finden – und dann macht, dass ihr euch allein durchschlagt, ich sorge immer nur für mich und nicht für Kerle, die mir nach dem Leben trachten. Lauft ihr, oder soll ich schießen?«
Huston lief – kreidebleich und zitternd – den Hang hinauf.
»Du Drecksau!«, schrie er, als Murdock die Pferde herumtrieb und anjagte. »Du dreimal verfluchtes Dreckstück, ich schneide dir die Haut in Streifen, wenn ich dich noch mal im Leben sehe!«
»Hör auf zu schreien!«, ächzte Caldwell, während sich die Pferde entfernten und Darrey unter ihnen wie eine dicke Spinne über den Sand krabbelte, bis er im Wasser liegen blieb und zu Verstand kam. »Ich wette, hier sind wirklich Indianer in der Nähe! Schrei noch lauter und locke sie herbei, du blutiger Narr! Unsere Revolver, schnell, unsere Revolver aus dem Wasser!«
Sie stürzten fluchend den Hang abwärts, fischten ihre Waffen aus dem Wasserloch und sahen nach, ob sie noch trockene Patronen hatten. Mit ihren Messern hoben sie die Kugeln ab und warfen die Patronen, deren Pulver feucht geworden war, ins Wasser.
»Gott o Gott!«, stöhnte Darrey.
»Mein …, mein Knie ist aufgeschlagen! Diese Schmerzen! Begreift ihr nicht – er bringt Spalding die Pferde zurück, der Hund! Der kennt sich hier doch genau aus und kann sich ausrechnen, dass er in ein paar Stunden an einem Punkt ist, den Spalding wenig später erreichen wird. McCallum kann das tun! Ihn fängt kein Mensch mehr, einmal frei, genügt dem Hund eine Stunde Vorsprung, um jedem zu entwischen. Wo will er die Pferde für uns stehen lassen?«
»In zwei Meilen Entfernung«, erwiderte Caldwell grimmig. »Hätten wir ihn doch nie mitgenommen! Ich wette, es sind Indianer in der Nähe, darum bringt er Spalding die Pferde zurück. Am Tag wäre Spalding auf dem Marsch durch die Berge schnell von Apachen entdeckt und säße in einer Falle. Schnell, schnell, wir müssen laufen, wir müssen die Pferde haben!«
»Und dann reiten wir dem Hund nach und legen ihn um!«, schrie Huston giftig.
»Womit, du blöder Hund?«, brüllte ihn Caldwell an. »Glaubst du im Ernst, dass der uns bei den Pferden ein Gewehr zurücklässt? Er behält die Gewehre, und kommen wir ihm zu nahe, knallt er uns ab.«
Er schlug Huston in seiner Wut die Faust auf den Schädel und rannte los. Huston raffte sich fluchend auf, folgte ihm und kümmerte sich so wenig um Darreys gellendes Geschrei wie Caldwell. Darrey humpelte ihnen hinterher, konnte aber ihr Tempo nicht halten und fiel immer weiter zurück.
»Wartet doch, ihr Halunken, wartet auf mich!«
»Leck mich!«, schrie Caldwell zurück. »Hättest du dich nie erwischen lassen, säßen wir jetzt nicht in der Klemme. Sieh zu, wie du nachkommst!«
»Sind das Schweine!«, heulte Darrey los. »Zur Hölle mit den Gaunern, sie kümmern sich nur um sich selbst und lassen mich im Stich.«
Darrey hatte für sie gelogen, er hatte sie gedeckt und in jedem Verhör dasselbe behauptet, sodass man ihnen den Mord an dem Spieler nicht hatte nachweisen können. Dafür genoss er nun ihre Dankbarkeit.
*
Caldwell erreichte die drei Pferde etwa zweihundert Schritt vor dem langsamer folgenden und erschöpften Huston. Das Erste, was Caldwell tat, dass er zur Wasserflasche griff und trank.
»Der verfluchte Satan – wenigstens Wasser hat er uns gelassen«, gurgelte Caldwell danach. »Kein Gewehr, ich habe es gewusst! Man könnte ihm folgen, er hat eine Stunde Vorsprung, und die wäre aufzuholen, aber dann knallt er uns oder die Pferde ab. Den Kerl möchte ich noch mal in die Finger bekommen, erwürgen würde ich ihn. Kein Wunder, dass er Bishop so unter Druck gesetzt hat, dass er zahlte. Der Hund Murdock ist eiskalt!«
Huston stolperte, brach neben den Pferden in die Knie und bekam die Wasserflasche, aber Caldwell entriss sie ihm gleich wieder, kaum dass Willie getrunken hatte.
»Sauf nicht so viel, du blöder Kerl!«, fuhr er ihn an. »Wie weit müssen wir mit dem Wasser auskommen, weißt du das, he?«
»O Gott, o Gott«, jammerte Huston. »Ich bin am Ende, meine Zunge klebt am Gaumen, Bill. Gib mir doch noch einen Schluck!«
»Nein!«, fauchte Caldwell. »Los, reiß dich zusammen, im Sattel wird dir schon besser werden, wir müssen zurück und an der Wasserstelle wieder Wasser fassen, die Pferde richtig vollsaufen lassen.«
Er gab Huston, der immer der Schwächere gewesen war, einen Tritt und stieg auf. Huston gehorchte, sagte aber nach drei Minuten, als er merkte, dass Caldwell nicht auf ihrer Spur zurückritt, sondern einen Bogen einschlug: »Wohin reitest du denn? So kommen wir ja nie zum Wasserloch zurück.«
»Du bist doch zum Sterben zu blöde!«, sagte Caldwell giftig. Er kochte vor Wut und Hass, hatte sich immer noch nicht beruhigt. »Sollen wir vielleicht auf diesen Humpelfuß Darrey treffen, he? Der bekommt dann das dritte Pferd, das denkst du doch, oder?«
»Ja, drei Mann sind besser, weil die Indianer …«
»Indianer – Indianer!«, höhnte Caldwell. »Wir brauchen das dritte Pferd für uns, du Rindvieh, du elendes! Wir müssen reiten und werden auf das dritte Pferd angewiesen sein, wenn wir Spalding entkommen wollen. Hast du das endlich begriffen?«
»Das – das meinst du?«, staunte Huston. »Und Darrey, was wird aus ihm?«
»Was wird aus ihm, was wird aus ihm?«, äffte ihn Caldwell nach. »Das ist mir doch gleich, du blöder Trottel, wir sind wichtig, nicht er! Ich sage dir …«
Er sagte nichts mehr, fuhr herum, als rechts an den Büschen ein Pferd schnaubte und stieß einen schrillen Schrei aus. Es war der letzte Schrei seines Lebens, denn der Pfeil kam schon und fuhr ihm unter den rechten Rippen in die Flanke. Caldwell kippte nach links, seine Hände öffneten sich, er ließ die Zügel fahren und sah noch im Fallen, dass Huston brüllend seinen Revolver herausriss. Dann stürzte Caldwell aus dem Sattel, blieb jedoch im Steigbügel hängen, und sein Kopf schlug, indem das Pferd durchging und ihn mitschleifte, wie ein Hammer gegen jede Bodenerhebung.
Willie Huston sah die Apachen aus den Büschen brechen. Im hellen Mondschein erkannte er ihre Gesichter und schrie vor Angst. Seine Stiefelhacken hämmerten in die Weichen des Pferdes. Sein Geschrei ließ die Pferde durchgehen, und einen Moment gewann er sogar einen Vorsprung.
Die Apachen rasten hinter ihm her – er zählte mehr als zwei Dutzend, schoss jedoch nicht, weil er seine Patronen auf diese Entfernung sinnlos vergeudet hätte. Huston machte sich klein, er wusste plötzlich, dass die Apachen mit ihren Pfeilen weiter und besser schossen, als er mit seinem Revolver im wilden Dahinjagen getroffen hätte. Der erste Pfeil schwirrte an ihm vorbei, der zweite und dritte traf sein Pferd. Vor ihm rasten der Gaul Caldwells und das Ersatzpferd weiter. Der Steigbügelriemen, an dem Caldwells linkes Bein gehangen hatte, war abgerissen. Caldwell war am Boden liegen geblieben, und die Apachen stießen ein Siegesgeheul aus, als einige neben ihm absaßen und ihm die Uniform vom Leib rissen.
Willies Pferd brach langsam zusammen, sodass Huston abspringen und hinter dem Pferd Deckung nehmen konnte, bis er begriff, dass die Apachen nicht verrückt genug waren, direkt gegen das Pferd anzureiten. Sie preschten auseinander, kamen nun von allen Seiten, und Huston fuhr schreiend im Kreis herum. Er riss den Colt hoch, zielte auf den ersten Apachen und drückte ab.
Das scharfe Klicken versetzte ihm einen Schock. Er war sicher gewesen, dass er nur gute Patronen und keine einzige feuchte mehr im Colt gehabt hatte, riss entsetzt den Hammer zurück und brachte genau noch das fertig, ehe ihm der erste Pfeil in den Rücken fuhr.
Der Deserteur krümmte sich zusammen, der Colt entfiel seinen Händen, aber ehe er noch auf dem Pferd landete, trafen ihn zwei weitere Pfeile.
Die beiden Pferde rasten weiter, verschwanden in den Büschen. Die Apachen sahen ihnen nach, rissen dem toten Huston die Uniform vom Leib und lachten.
Eine halbe Meile weiter war Darrey stehen geblieben. Er hatte die Schreie, gehört – die Luft war klar und die Nacht ruhig, und Darrey warf sich stöhnend hinter einem Busch in Deckung, als er bald darauf Hufschlag vernahm. Zwei Minuten später kamen Darrey die beiden Pferde im Zockeltrab entgegen, und er rannte ihnen, als er außer ihnen kein Lebewesen entdeckte, entgegen.
Der Mann, den Huston und Caldwell kalt lächelnd zurückgelassen hatten, schwang sich auf das erste Pferd und ritt an. Die Furcht ließ ihn nach Süden preschen. Er verschwand in der Weite des Landes wie jener andere Mann, der bald darauf sein Ziel erreichte und die Pferde in der weiten Senke anband, durch die Captain Spalding mit seinen Männern zu Fuß kommen musste.
Murdock McCallum tauchte in der Weite des Landes unter. Er hatte das beste Pferd behalten und war sicher, dass er mit ihm verschwinden konnte.
*
Die Frau summte irgendeine Melodie, als sie die Zimmertür öffnete und das Mondlicht in den Raum fiel. Auf der Main Street von Benson in Arizona grölten zwei Männer, jemand ritt an ihnen vorbei und sagte, sie sollten leiser sein, aber sie lachten nur. Dann fiel die Tür hinter der Frau zu, und sie ging zum Tisch.
Es war zwei Stunden her, dass sie sich wieder umgezogen hatte. Das tat sie jeden Abend, nachdem sie gesungen hatte. Das Kleid lag noch über dem Sessel, gegen den sie jetzt stieß, ehe sie am Tisch war und die Lampe erreichte.
Unter ihr war es still geworden, der Saloon war geschlossen. Als sie die Geldtasche abstellte, klirrte das Hartgeld, und sie dachte daran, dass sie noch zählen musste. Manchmal erholte sie sich dabei, wenn die Dollarstapel wuchsen. Sie hatte immer gern Geld gezählt, immer besser gerechnet als geschrieben. Für manchen Mann war das nach einiger Zeit nicht mehr zu ertragen gewesen, auch für Ed Hooper, ihren Mann, nicht. Eines Tages hatten sie Krach bekommen, weil sie zählen und er mit ihr ins Bett wollte. Am Ende war er wütend hinausgerannt und zum Miners Saloon gestolpert, in dem damals hoch gepokert wurde.
Ed Hooper hatte mitgepokert und zu viel getrunken. Und dann hatte er behauptet, dass ihn einer der Gegenspieler betrogen hätte. Das war die letzte Behauptung in seinem Leben gewesen. Der Spieler hatte ihn erschossen, weil Ed nicht so flinke Finger gehabt hatte.
Daran war Ed gestorben – und seitdem war Sheila Hooper Witwe. Eine schöne Witwe mit alldem, was eine Frau erst richtig anziehend machte. In ihrem Saloon war es voll geworden, nachdem Ed am Spieltisch gestorben war. Manchmal, wenn sie an ihn dachte, musste sie lächeln, denn seither ging es ihr weit besser, sie hatte auch mehr Geld zu zählen. Er hatte Liebe haben wollen und den Tod bekommen – zu ihrem Vorteil. Sie dachte oft derartig kalt, auch dann, wenn ein Mann verrückt nach ihr war und unbedingt mit ihr schlafen wollte. Umsonst tat sie nie etwas, auch nicht in der Liebe. Es hatte nur einen Mann nach Ed gegeben, für den sie alles getan hätte.
Einen Moment stand sie still in der Dunkelheit des Zimmers, den Lampenzylinder in der einen, das Streichholz in der anderen Hand. Sie hatte die Vorhänge vorgezogen, weil Archie Murphy drüben im Nachbarhaus seine Nase immer an der Scheibe des Giebelfensters platt drückte, wenn sie sich auszog.
Sheila lachte leise, als sie die Lampe ansteckte, den Zylinder aufsetzte und sich umdrehte. Dann erstarb ihr Lächeln.
Der Mann stand neben der Tür an der Wand und sah sie an. Der Mann war schmutzig, seine blaue Armeehose war zerrissen, sein Bart einige Tage alt, die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Ein Mann wie ein Gespenst!
»Murdock!«, sagte sie, nachdem sie nach Luft gerungen hatte. »Murdock, wo kommst du …«
»Von dort«, antwortete Murdock McCallum rau und deutete zur Tür des Nebenzimmers, hinter dem das Schlafzimmer lag, wo immer noch das alte Bett stand, in dem sie mit Ed geschlafen hatte. »Das Fenster war offen, Sheila.«
»Du – du?«, stammelte sie verwirrt und dachte an das Stalldach, an den Stallhelp, der gestern nach Tuscon gefahren war, um drei neue Pferde zu kaufen – der Mann war nicht da, sie war allein im Haus – mit Murdock McCallum. »Murdock, um Gottes willen, sie suchen dich!«
»Ja«, sagte er einfach und lächelte. »Ich weiß das, Sheila. Ich hatte ein Pferd, aber es glitt am zweiten Tag meiner Flucht auf Felsen aus und stürzte so unglücklich, dass es sich einen Huf brach. Ich habe es töten müssen. Dann bin ich zu Fuß gegangen …«
»Du großer Geist, setz dich doch!«, flüsterte sie verwirrt. »Warum stehst du denn, Murdock? Du bist ja völlig erschöpft – wie siehst du aus?«
»Nun, wie ein Mann, der ziemlich hart auf Felsen krachte und dann etliche Meilen rennen musste«, grinste er. Es war das alte Grinsen, das sie so an ihm gemocht hatte. Er war eines Tages zu ihr gekommen und hatte sie aus seinen dunklen Augen so angesehen, dass sie rot geworden war, obgleich sie sonst niemals errötete. An jenem Abend hatte sie in seinen Armen gelegen und Stunden erlebt, die sie nie vergessen hatte. Er war anders als alle Männer, die vor und nach ihm gekommen waren – wild und zärtlich zugleich, stürmisch und ausdauernd, ein Vulkan, dessen Glut jede Frau zum Brennen bringen musste.
Plötzlich erinnerte sie sich an die Nächte, an Fergus Clanton, der mit seiner Horde hereingekommen war und dann, als er merkte, dass er bei ihr nicht mehr landen konnte, angefangen hatte den Saloon auseinanderzunehmen. Sechs Mann hatte er mitgebracht, zwei hatte er nur mitgenommen, die anderen vier hatten eine Woche im Hotel gelegen und jeden Tag den Doc gebraucht. Sie hatten nicht mit Murdock McCallum gerechnet, erst recht nicht damit, dass ein Mann es mit sieben Männern aufnehmen und sie schlagen würde. Die Nacht danach war schrecklich gewesen, aber schön zugleich, denn Murdock war von einer Wildheit gewesen, die ihr Blut unbeschreiblich erhitzt hatte.
Daran dachte sie jetzt, sah ihn an, als er zum Sofa ging und sich lang ausstreckte.
»Ich brauche ein Pferd und einen Sattel«, sagte er spröde. »Bezahlen kann ich nicht, aber du bekommst das Geld, sobald ich welches habe. Ich war schon im Stall – der eine Gaul geht gerade noch, denke ich. Du hattest schon bessere Pferde, Sheila.«
»Sicher, aber ich habe sie verkauft, mein Stallhelp ist nach Tuscon und holt andere. Du bist mit mir allein, weißt du das?«
»Sicher«, grinste er. »Woran denkst du?«
Die Röte stieg ihr in die Wangen, sie wendete sich hastig um.
»Du machst mich verlegen, Murdock! Natürlich kannst du das Pferd haben, aber – willst du dich nicht waschen und rasieren?«
»Ja, kein schlechter Vorschlag, Madam«, lächelte Murdock und stand wieder auf, ging ins Schlafzimmer. »Kaltes Wasser – ich brauche kein warmes zur Rasur, es geht schon so! Sieh einer an, noch immer der alte Pinsel, dieselbe Seife …«
Er zog die Schublade der Waschkommode auf, dann stellte er das Rasierzeug Ed Hoopers auf die Konsole und starrte in den Spiegel, denn sie war ihm gefolgt und stand hinter ihm.
»Du brauchst bald neue Seife«, sagte er und sah sie über den Spiegel weg an. »Wie viel Männer haben sich hier rasiert, seitdem ich fortging?«
»Du stellst Fragen!«, murmelte sie. »Geht dich das etwas an?«
»Natürlich nicht, Sheila – es war nur ein Spaß.«
»Du und deine Späße! Mein Gott, alles redet von dir und den drei anderen Kerlen. Weißt du, dass zwei von Apachen umgebracht worden sind und nur einer entwischt sein wird?«
»Nein, das wusste ich nicht.«
Er seifte sich ein und zuckte die Schultern. Dann nahm er das Messer, schabte sich den Bart ab und zog schließlich Hemd und Hose aus, um sich richtig zu waschen.
Sheila betrachtete ihn mit der Neugierde einer Frau, die nach einer Veränderung seines Körpers suchte. Sie hatte oft an ihn und seine muskulösen Schenkel gedacht, die Kraft seiner Arme und seine behaarte Brust. Es gab nicht viele Männer mit seiner Figur. Die Betrachtung erregte sie so sehr, dass sie hinter ihn trat und ihm schweigend den Waschlappen abnahm, um ihm den Rücken zu waschen.
»Ah«, seufzte Murdock, »das tut gut! Ich habe gar nicht mehr gewusst, wie es ist, wenn man von einer Frau gewaschen wird. Mach weiter, Sheila!«
»Da auch?«, fragte sie, und ihre Stimme klang rauchiger noch als sonst. »Überall?«
»Warum nicht?«
Da war es wieder, dieses verteufelte Prickeln, diese Erregung, die sie kürzer atmen und ihre Brust schneller in Bewegung brachte – sie hob und senkte sich, und der Mann drehte sich um.
Er war nackt, und ihr jagte ein Schauer über den Leib, als er sie umfing und an sich presste.
»Murdock!«, konnte sie nur noch lallen. »Murdock!«
Sein Kuss nahm ihr den Atem, seine Hand glitt unter ihre Bluse. Das Bett war direkt hinter ihr, und er hob sie hoch. Es war das Gefühl der Erwartung, die gestillt werden musste – ein Gefühl, das sie nie so stark bei Ed oder einem anderen Mann gespürt hatte. Sie wimmerte, als er sie auszog und seine nackte Haut ihre Brüste berührte. Dann war ihr, als flösse Feuer über ihren Leib …
*
Ihr Haar war verschwitzt, ihr Mund brannte von seinen Küssen, aber in ihr war jene Ruhe danach, die das Denken wiederkehren, den Taumel der Sinne beendete, den Born der Leidenschaften versiegen ließ.
Neben ihr atmete Murdock tief und gleichmäßig. Als ihre Hand über seine Hüfte glitt, hielt er sie fest und nahm den Kopf hoch.
»Hast du Zivilsachen?«
»Ja«, sagte sie leise. »Warum bleibst du nicht? Hier vermutet dich kein Mensch. Mein Gott, ich sterbe noch mal, wenn du bei mir bist!«
Er griff nach ihrem rötlichen Haar und spielte mit ihm.
»Ich muss weiter, Sheila, ich muss über die Grenze.«
»Murdock, sie nehmen an, dass du längst drüben bist, weißt du das?«
»Ja, das kann ich mir denken«, brummte er. »Ich habe vier Stunden gebraucht, um das Pferd zu zerschneiden und unter Steinen zu begraben. Tat mir leid um das Pferd, es gehörte Captain Spalding und hat ihn mal dreihundert Dollar gekostet. Sheila, ich muss über die Grenze, ich kann hier nicht ruhig schlafen! Mein Gott, ich bin müde, aber ich muss weiter!«
»Ich kann dich nicht umstimmen?«
»Nein«, sagte er entschlossen. »Kannst du mir starken Kaffee kochen?«
»Natürlich, Murdock, so stark, dass du munter bleibst. Im Schrank sind noch Sachen von Ed. Er war etwas kleiner als du, aber das wird nicht viel ausmachen.«
Sie stand auf und trat an den Schrank. In der einen Tür war innen ein Spiegel, und sie betrachtete sich, ihre samten glänzenden Hüften, den Schwung ihrer leicht nach oben strebenden Brüste. Dann warf sie ihm Hemd, Hose und Weste zu, die Jacke folgte, auch Stiefel standen im Schrank, sogar der Revolvergurt Eds war noch da.
»Zieh das an!«
»Ja, gleich«, gähnte er und blieb liegen. »Nur einen Moment ausruhen, Sheila …, einen Augenblick!«
Als sie das Zimmer verließ, sich angezogen hatte und die Flurtür öffnete, hörte sie ihn tief atmen. Er lag mit geschlossenen Augen in ihrem Bett und musste vollkommen fertig sein.
*
Er fuhr erst hoch, als sie die Kanne hart auf die Tischplatte stellte. Verwirrt sah er sie an. Die Sachen lagen noch so auf dem Bett, wie sie sie hingeworfen hatte.
»Gerechter Gott«, ächzte Murdock. »Bin ich eingeschlafen? Ich werde alt, was?«
»Du und alt«, meinte sie. »Zieh dich an und komm her.«
Murdock tat es, gähnte ein paarmal, ehe er ins Wohnzimmer kam und den Revolver Ed Hoopers untersuchte.
»Der ist viel besser als der Armeecolt«, stellte er fest. »Na, wie sehe ich aus?«
»Wenn du wie jetzt die Hosen in die Stiefel steckst, merkt kein Mensch, dass sie dir zu kurz sind«, erwiderte sie und goss ihm eine Tasse voll Kaffee. »Da, trink jetzt! Ich habe ihn extra stark gemacht, damit du mir unterwegs nicht einschläfst.«
»Ja«, sagte er und hielt den Revolver in der Faust, sah sie an und lächelte eiskalt. »Starker Kaffee, wie? Du könntest nicht schreien, ich hätte dich an der Kehle gepackt, ehe du einen Ton herausbringen würdest, Sheila! Ganz ruhig, Madam, ganz leise, nicht schreien!«
Der Revolver zeigte auf sie, als sie zurückwich und sah, wie er die Tasse nahm und ihr folgte. Plötzlich kroch Angst in ihr hoch. Sie wusste jetzt, dass er nicht geschlafen hatte. Dabei hatte sie doch aus der Küchentür in den Flur geblickt, die Tür extra weit aufgelassen.
»Ja, ich bin hinuntergeschlichen«, sagte Murdock McCallum eisig. »Hast du geglaubt, du könntest mich sehen oder hören? Wenn man nackt ist, ist man am leisesten, wusstest du das nicht, Madam? Da war etwas in deinen Augen, als du mir die Sachen zugeworfen hast. Ich kann in deinen Augen lesen, Sheila! Das wusstest du auch nicht, wie? Nimm die Tasse, Sheila!«
»Nein, nein!«, stammelte sie und stand nun an der Wand. »Murdock, ich schreie!«
»So?«, fragte er. »Dann wirst du sterben, weißt du das? Ich will nicht ins Jail, ich will auch den Kaffee nicht trinken, in den du das Pulver gerührt hast – das aus deinem Wandschrank unten. Du trinkst jetzt, Madam! Ich will dich nicht schlagen müssen, aber ich werde es tun, wenn du nicht gehorchst!«
Er bringt mich um, dachte sie entsetzt, er weiß alles, er tötet mich kaltblütig, wenn ich es nicht tue.
Ihre Angst sterben zu müssen war zu groß, und sie griff nach der großen Tasse. Im Kaffee war das starke Schlafmittel, das sie manchmal nahm.
»Versuche nicht, mir die Tasse ins Gesicht zu werfen«, sagte Murdock kalt. »Geh zum Sofa, setz dich!«
»Murdock, ich …«
»Geh!«
Sie saß gleich darauf und trank den ersten Schluck. Der Kaffee schmeckte so bitter, als wäre er wirklich schrecklich stark.
»Weiter – austrinken, Sheila!«
»O Gott, Murdock, ich dachte …, ich wollte …«
»Ja, ich weiß! Du hast an das Geld gedacht. Tausend Dollar Belohnung auf Murdock McCallums Kopf. Du hättest wieder Geld zählen können, leicht verdientes Geld, wie? Wie fühlst du dich jetzt? Hast du jemals von einem Mann tausend Dollar für eine Nacht bekommen? Ich glaube, es gibt in diesem Land kaum eine Frau, die tausend Dollar für ein bisschen Liebe verdient hat – oder?«
»Murdock, ich kann nicht mehr trinken!«
»Trink, sage ich, trink aus!«
Der Kaffee war heiß, sein Blick eiskalt, und ihr war sterbenselend.
»Murdock, ich musste es tun, ich habe vergessen gehabt, dass ich so gut wie verheiratet bin. Ich kann heiraten, Murdock!«
»So, kannst du?«, fragte er. »Und darum hast du mich einschläfern wollen? Wer ist der Mann?«
»Du kennst ihn, glaube ich – Quartermaster-Sergeant Phil Bronson. Er kommandiert die Armeestation am Apache Pass. Seine Dienstzeit ist bald um, er bekommt seine Abfindung. Wir haben gemeinsam nach Westen gehen und ein gutes Hotel in Kalifornien kaufen wollen. Murdock, ich habe aus diesem Nest fortgehen wollen. Eine einzige Chance, Murdock!«
»Bronson?«, murmelte er und hob mit der Linken die Tasse an ihre Lippen. »Trink schön aus, mein Kind, trink nur, er schmeckt doch, wie? Guter Kaffee muss einfach schmecken. So, du hast Bronson heiraten wollen? Und wie hättest du erklären wollen, dass ich hier gefunden wurde?«
»Er hat Verständnis für mich, er hätte es mir nicht nachgetragen, Murdock.«
»Meinst du?« Murdock lächelte spöttisch. »Das willst du mir erzählen? Ich kenne Bronson, er hätte dir niemals verziehen, oder du hättest schon lügen müssen. Nein, Sheila, dir ist es gar nicht um Bronson und deine Zukunft gegangen. Tausend Dollar haben dich gelockt, das ist die Wahrheit, Sheila!«
Er nahm ihren zitternden Händen die Tasse ab und hob ihren Kopf an. Ihre Augen waren schon glasig. Sie hatte so viel Schlafmittel in den Kaffee getan, dass die Wirkung schnell eintreten sollte – nun trat sie ein, aber nicht bei ihrem Opfer, bei ihr selbst.
»Sieh mich an!«, sagte Murdock finster. »Sieh mich an! Du würdest für Geld deine Mutter verkauft haben, wie? Pfui Teufel, was bist du für eine Frau! Traue nie einer geldgierigen Frau – niemals! Deine Augen lügen, ich habe es nicht wahrnehmen wollen, aber es stimmt, sie lügen. Was ist – du wirst doch nicht einschlafen wollen? Das ist doch Kaffee, der aufmuntern soll?«
Sie rutschte an der Rückenlehne des Sofas ab, sank auf den Kissenhaufen, und er stand auf, holte die Bettdecke. Als er sie rüttelte, lallte sie nur noch. Einige Minuten blieb er noch bei ihr, ehe er sein Gewehr nahm und zur Tür ging. Das Haus war still, der Stall warm, und die Nacht war lau. In seiner Tasche war der Inhalt jener Ledertasche, die Sheila Hooper auf den Tisch gestellt hatte, um zählen zu können.
Morgen, irgendwann, würde sie zählen – und dann wissen, dass sie zum ersten Male in ihrem Leben für Liebe bezahlt hatte. Es würde sie mehr schmerzen als das Wissen, dass der Mann dann wahrscheinlich schon über die Grenze war.
Morgen, dachte Murdock McCallum, als er die Stadt verließ, morgen bin ich frei wie ein Vogel. Und übermorgen bin ich in Santa Cruz. Du wirst mich nie vergessen, Sheila Hooper, das weiß ich, wenn ich sonst auch nichts weiß!
Und das Pferd jagte davon …
*
Glasperlen klimperten, eine Gitarre hackte, Mädchen lachten, Männer machten Späße, und Rauch lag wie eine Wolke um die drei Laternen über dem Tresen der Bodega in Santa Cruz.
Murdock hielt das Glas Tequila in der Faust, sah das Mädchen kommen – ein Mexikanergirl mit einem weiten Rock, dessen rote Borte wie Blut aussah. Die Bluse war rot, die Kette aus falschen Korallen verschwand im Ausschnitt. Im dunklen krausen Haar des Mädchens steckte eine Margerite. Der Mund war grell geschminkt, die Augenbrauen nachgezogen.
Der Mann mit der Gitarre sang jetzt, Männer johlten, hoben ein anderes Mädchen auf den Tisch, von dem eine Flasche flog. »Eh, Conchita, tanz, meine Taube, tanz!«
Santa Cruz, dachte Murdock, nahe der Grenze, Sammelplatz für alles, was hier Geschäfte macht, ganz gleich, um welches Geschäft es sich dreht, wie? Hier ist immer was los, kein Tag vergeht, an dem nicht ein neues Gesicht in Santa Cruz auftaucht. Jetzt ist mein Gesicht neu, aber einige Leute hier kennen mich, ich war ein paarmal hier, auch mit meinem Vater und meiner Mutter, denn sie war hier zu Hause.
»Señor – Señor, ich habe Durst!«
Das Mädchen mit der Korallenkette stand neben ihm, sah ihn an, die Lockung in den Augen.
»Ich auch«, sagte Murdock und trank. »Fein, dass du Durst hast, Chiquita! Lauter schöne Flaschen im Regal da hinten.«
»Mister«, sagte sie jetzt. »Mister, ich habe kein Geld, ich bin arm.«
»Du auch?«, staunte Murdock. »Dann sind wir zwei Arme und müssen uns gegenseitig helfen. Wo kann man hier Geld verdienen?«
»Mister, vielleicht bezahlen Sie mir doch einen Drink?«
Er war verrückt, denn sie sprach jetzt amerikanisch und er spanisch. »Warum sollte ich, Chiquita?«
»Weil du Murdock McCallum bist, Mister, vielleicht darum?«
»Ah, kennst du mich?«
»Nein, ich habe nur von Ihnen gehört, Mister. Vielleicht weiß ich etwas, was wichtig ist für Sie?«
»Ach«, machte Murdock. »Zuerst erzählst du mal – und dann, wenn ich finde, dass es wirklich wichtig ist, bekommst du einen Tequila – oder was du sonst haben willst. Ist das ein Vorschlag?«
»Ich weiß nicht, Mister, ich weiß …«
Ihre Augen waren dunkelbraun und wurden jäh groß, ihr Mund öffnete sich weit, doch sie schrie erst los, als Murdock schon herumwirbelte, das Glas wegschleuderte und seinen Colt herausriss.
Der Mann stand neben dem Glasperlenvorhang an der Tür und hielt den Revolver bereits in der Faust.
Das Mädchen schrie gellend, die Musik brach ab.
»Hund!«, sagte Walt Darrey und schoss. »Verfluchter Hund!«
Murdock fiel zu Boden, die Kugel strich über ihn hinweg und donnerte in den Tresen. Dann hatte Murdock den Colt hoch und sah noch, dass sich Darreys Revolver senkte, ehe Darrey einen Satz nach rechts tat und der Colt in Murdocks Hand Feuer spie.
Die Kugel hatte in Darreys Hüfte gehen sollen. Durch den Sprung und das Abducken bekam Darrey sie in die Brust. Das schwere Geschoss schleuderte den Mann hintenüber, er kippte in den Glasperlenvorhang.
Auf dem Tisch stand Conchita, die Taube, sie stand da und war keine Taube mehr, sie war mehr eine Sirene, denn sie schrie mit so durchdringender Stimme, dass Murdock die Ohren schmerzten. Sie schrie noch, als Darreys Revolver die zweite Feuerlanze ausstieß und die Kugel neben seinem rechten Stiefel in den Lehmboden fuhr. Danach hielt sich Darrey mit der Linken an einigen Glasperlenschnüren fest. Er riss sie ab, als sein Körper zusammenknickte. Die bunten Glasperlen kollerten und hüpften überall hin, sie klimperten und klingelten seltsam.
Stiefel trampelten, traten auf die Perlen, Männer sprangen auf, warfen sich zu Boden und verkrochen sich unter Tischen.
Murdock lag auf der Seite, den rauchenden Colt in der Faust, bis er die Beine anzog und langsam aufstand.
Conchita, die Taube, schrie immer noch, sie zeigte auf den am Boden liegenden Darrey, verdrehte endlich die Augen und fiel kunstgerecht so vom Tisch, dass sie jemand in die Arme kippte, der ihre angebliche Ohnmacht ausnutzte, um sie festzuhalten, wo er sie sonst sicher nicht festgehalten hätte.
Zwei Amerikaner erhoben sich fluchend, ein dritter Mann mit zwei Revolvern hob seine Spielkarten auf und schüttelte missbilligend den Kopf.
»Er schoss zuerst, oder?«, fragte Murdock in die Stille hinein und drehte sich um. »Hat jemand etwas anderes gesehen, dann soll er sich melden! Niemand da, der sich melden will?«
So musste man fragen, wenn man in diesem Land seine Ruhe haben wollte. Die Ruhe war auch hinter ihm, denn das Mädchen mit der falschen Korallenkette lehnte am Tresen. Es hatte keine braune Haut mehr, die Haut sah grau aus. Und über den linken Arm lief träge Blut.
»Mister«, flüsterte die Lady. »Mister, er hat – er hat mich getroffen!«
Danach sank das Mädchen langsam tiefer, und Murdock fing es auf, ehe es zu Boden stürzen konnte. Die Kugel hatte den Oberarm des Mädchens durchschlagen. Schlecht, dachte Murdock, das ist ganz schlecht. Um einen Gringo, der hier erschossen wird, regt sich kein Mensch auf, aber wenn ein Mexikaner dabei getötet oder verwundet wird, sieht es sehr übel aus. Verdammte Geschichte!
Der Bodegabesitzer tauchte wieder auf, sein hohlwangiges Gesicht zuckte, als hätte er Muskelkrämpfe.
»Tut mir leid«, sagte Murdock finster. »Juan, ich kann nichts dafür, der Narr hat sie angeschossen, du hast es doch gesehen! Ich werde …«
Er hielt das Mädchen fest, das war sein Pech. Aber vielleicht hätte er ohnehin nichts versucht, denn es war nicht gut, Widerstand zu leisten, wenn mexikanische Grenzpolizei hereinstürmte und die Waffen schon im Anschlag hatte.
Murdock McCallum sah die Rurales an, es waren drei, die hereinkamen und ihre Waffe auf ihn richteten.
»Ah, zwei Gringos!«, knurrte der Sergeant finster und hielt seinen Revolver in Richtung von McCallums Kopf. »Sie schießen sich, diese Wilden, sie kommen in unser Land und schießen sich gegenseitig tot! Was ist das? Du hast sie verwundet, du Teufel?«
»Nein!«, sagte Murdock. »Sergeant, der Kerl hat sie angeschossen, der da, ich doch nicht! Ich würde doch kein hübsches Mexikanermädchen anschießen, sehe ich so aus?«
»Nimm die Hände hoch, Gringo!«
»He, Manuel!«, sagte einer der Yankees mürrisch. »Er sagt die Wahrheit, er war es nicht.«
»Er soll die Hände hochnehmen!«, schnauzte der Sergeant Manuel grimmig. »Gringo, wird es bald?«
»Manuel, sag doch nicht immer Gringo!«, brummte der Yankee. »Ich höre das nicht so gern, weißt du?«
»Ich sage, was ich will, verstanden? Los, Americano, die Hände hoch!«
»Dann fällt sie zu Boden, Sergeant!«
»Auch gleich, gehorche gefälligst!«
»Wie du willst«, sagte Murdock und nahm die Hände hoch. Das Mädchen fiel auf seine Stiefelspitzen und war plötzlich wieder munter. Es begann zu schreien und zu zetern, wie es nur Mexikanerinnen konnten, die Stimme überschlug sich, sie nannte den Sergeanten einen Läusefresser und aufgeputzten Gockelhahn. Er schrie sie an, sie sei nichts als eine schmutzige Hure, und er würde sie einlochen. Sie keifte weiter, als sie hinausrannte und der Sergeant Murdock mit dem Revolver winkte.
»Gib deine Waffe her, Americano! Und dann kommst du mit, wir werden die Sache untersuchen.«
»Was heißt das?«, fragte Murdock finster. »Sergeant, ich habe mich nur gewehrt!«
»Das wird alles untersucht, Gringo. Gibst du jetzt deinen Revolver und gehst mit mir, oder willst du dem da Gesellschaft leisten und auch so tot sein?«
Jetzt bloß friedlich bleiben, dachte Murdock, nur mit der Ruhe, sonst schießt der Narr noch. Also mitgehen und in ein mexikanisches Gefängnis wandern. Mein lieber Mann, das sind die grausigsten Löcher der Welt, aber ich habe ja Geld – und mit Geld ist in Mexiko alles zu machen. Hier losschlagen und mir die letzte Zuflucht verderben, damit sie mich womöglich noch über die Grenze abschieben und man mich drüben hohngrinsend in Empfang nimmt – nicht mit mir, Amigos!
»Also gut«, sagte er bissig. Er hätte sie alle erschießen können, sie wären nie schnell genug für ihn gewesen, aber das wäre sein Ende gewesen. »Schon gut, General, ich komme mit. Habt ihr wenigstens keine Läuse in eurem Hotel?«
»Läuse nicht«, antwortete der Sergeant grinsend und nahm seinen Revolver entgegen. »Nur kleine Wanzen, mein Freund! Wenn du unschuldig bist, kommst du ja bald wieder hinaus. Schon morgen – Mañana!«
Das hätte er nicht sagen sollen, nicht Mañana, denn das konnte morgen in tausend Jahren sein.
Murdock McCallum fluchte leise. Dem einen Jail entwischt, aber im nächsten gelandet. Er hatte sich etwas eingebrockt!
*
»He, Sergeant!«
»Was willst du, Gringo? Warum störst du mich dauernd?«
Der Sergeant erhob sich und schlurfte gähnend an das Gitter. Es war schon Nachmittag, der Sergeant war so faul wie alle Mexikaner, die den halben Tag verschliefen.
»Wann kommt denn nun der Alkalde, Sergeant?«
»Gringo, jetzt ist Siesta, das musst du verstehen!«, blubberte der Sergeant mürrisch. »Immer musst du mich stören.«
»Ich habe dir zehn Pesos geschenkt, damit du den Alkalden holst«, knurrte Murdock in seinem halbdunklen Loch. »Du hast dir Wein und Brot geholt – und ein ganzes Brathuhn bestellt und allein aufgefressen, aber der Alkalde ist nicht gekommen. Hältst du so dein Versprechen?«
»Ich halte sie immer!«, stellte der Sergeant fest. »Was kann ich dafür, wenn mir der Alkalde etwas verspricht und kommt dann doch nicht, eh? Jetzt schläft er, und nachher trinkt er Kaffee. Vielleicht kommt er, wenn er Kaffee getrunken hat, wer weiß?«
Du erbärmlicher Strolch, dachte Murdock, du hast meine zehn Dollar versoffen und verfressen, aber du bist nie heim Alkalden gewesen. Ich kenne alle mexikanischen Tricks, du Vielfraß. Du hast mich eingelocht, um mein ganzes Geld zu kassieren. Ich werde nicht eher herauskommen, bis du meinen letzten Cent hast, du Gauner. Dann erst wird sich der Alkalde um mich kümmern und mir auch noch Geld abverlangen. Da ich keins habe, wenn es so weit ist, werde ich mein Pferd und meinen Sattel verkaufen müssen, damit mich der Alkalde herauslässt. Ist das ein Land, was? Lauter Gauner, aber liebenswürdig und immer grinsend!
»Hör mal, Sergeant«, knurrte Murdock. »Du kannst reich sein, wenn du mich herauslässt?«
»Reich?«
»Wo hast du es, he, Americano?«
»Irgendwo!«
»Wie viel Geld hast du, eh, hast du es versteckt?«
»Vielleicht, Sergeant?«
»Du lügst doch, Gringo, du hast gar kein Geld versteckt!«
»Meinst du?«, grinste Murdock. »Nun ja, warum sollst du es bekommen, warum nicht der Alkalde? Ich werde es ihm geben, schließlich muss er mich herauslassen. Dann halte nur weiter deine Siesta!«
Murdock drehte sich um, ließ sich wieder auf dem Zellenboden nieder und tat so, als hätte er schon zu viel geredet. Der Sergeant trat von einem Bein auf das andere.
»Du, Americano, wie viel ist es?«
»Das sage ich nur dem Alkalden, Mann. Mit dir rede ich nicht mehr!«
»Was fällt dir ein?«, fluchte der Sergeant. »Ich kann dich auch herauslassen, verstehst du? Ein Irrtum, alles nur ein Irrtum, Amigo, verstehst du? Der Alkalde braucht nichts von unserem kleinen Geschäft zu wissen, eh? Na, was sagst du jetzt? Ist das ein Angebot oder …«
Der Sergeant schwieg. Die Außentür flog auf. Der Mann kam schwitzend herein und wedelte sich mit seinem Panamahut Luft zu. Sein Hemd war schmutzig, seine Leinenjacke befleckt – ein dicker Mann mit Hängebacken und einem roten Gesicht, über das pausenlos der Schweiß rieselte.
Der Sergeant war herumgefahren, salutierte steif. Der dicke Mann sah sich nach dem anderen Mann um, der ihm gefolgt war.
So ist das, dachte Murdock und blickte den anderen Mann an, Sergeant, nun hast du Pech, was? Kein Geld mehr, Sergeant!
»Ist er das, Don Carlos?«, fragte der Dicke und blickte sich wieder nach Charles Pearson um. »Das ist er, wirklich?«
»Ja, mein lieber Freund, das ist der Mann«, sagte Charles Pearson. Er war hier nicht nur jemand, er war der Schwiegersohn und Erbe eines Hidalgos, eines der reichsten Männer der ganzen Provinz. »Sergeant, warum haben Sie die Sache nicht Don Riccardo gemeldet?«
»Eh«, machte der Sergeant und schwitzte nun auch wie ein Wasserfall. »Eh, eh, der Americano hat …«
»Mach die Zelle auf, Dummkopf!«, fuhr ihn der Alkalde an. »Ah, Sie müssen entschuldigen, Señor McCallum – ein Versehen, ein schreckliches Versehen, aber Sie müssen verstehen, ich kann nicht überall sein. Dieser Dummkopf von Sergeant! Kommen Sie heraus, mein Freund, kommen Sie nur, Sie sind frei! Alte Freunde Don Carlos’ sind auch meine Freunde, natürlich!«
»Natürlich«, sagte McCallum sanft. »Es macht fast nichts, Don Riccardo, ein Versehen, weiter nichts! Hallo, Mister Pearson!«
»Hallo«, brummte Pearson. »Feine Sache, in die Sie sich da geritten haben, Murdock. Ich hörte erst gegen Mittag von der Geschichte, sonst wäre ich früher gekommen.«
Der dicke Riccardo reichte Murdock seine schwammige, feuchte Hand, als er ihn unter Entschuldigungen hinausbegleitete. Draußen stand ein Buckboard mit zwei prächtigen Pferden. Am Ende des Wagens war ein komplett ausgerüstetes Pinto angebunden, ein erstklassiges Tier, das neben guten Waffen auch einen großen Packen trug.
»Fahren wir ein Stück«, sagte Pearson kurz. »Steigen Sie nur auf den Wagen, Murdock.«
Murdock stieg auf und sah sich um. Einige Leute waren zusammengelaufen und zogen die Hüte, als Pearson die Leinen nahm und anfuhr.
Das kleine Haus lag weiß und sauber hinter der Dornbuschhecke. Weit hinten sah Murdock McCallum die blassroten Ziegeldächer einer Hazienda unter vielen Bäumen. Vieh weidete rechts und links des breiten Weges, und hinter mexikanischen Akazien, mit deren dünnen Blättern der Wind spielte, ritten ein paar Vaqueros hinter einem Rudel Pferde her.
Der Wagen hielt, Pearson sah geradeaus. Hinter dem einen Fenster des kleinen Hauses unter den Bäumen bewegte sich eine Gardine, und Murdock sah einen Moment weißes Haar und ein Frauengesicht, dessen große Augen ihn an jemand erinnerten.
Darum ist er hergefahren, dachte Murdock, ihre Mutter hat mich sehen wollen – so ist das!
»Murdock, ich habe nichts gegen Sie, das verstehen Sie doch?«, murmelte Pearson. »Sie haben einen Mann getötet – alle, die mit Ihnen flohen, sind jetzt tot. Es war Notwehr, sicher, aber …«
Pearson schwieg nach einem Hüsteln.
»Aber ich bin ein Verräter und Mörder, ich verstehe vollkommen, Sir«, erwiderte Murdock ruhig. »Sie haben sich verpflichtet gefühlt, Sie sind von jemand bestürmt worden, sich um mich zu kümmern – und Sie haben das getan. Jetzt soll ich fortreiten, weil dieser Jemand mich nicht wiedersehen soll, wie? Das einzige Kind eines reichen Mannes soll sich nicht für einen Schurken interessieren.«
»Herrgott noch mal, Murdock, Sie sind doch klug genug, um das einzusehen, oder?«
»Ja, natürlich«, sagte Murdock leise. »Ein Narr würde es einsehen müssen, Sir. Ich will keine Unruhe in Ihr Haus bringen. Also gut, ich reite fort – in ein paar Tagen, wenn jemand gekommen ist, auf den ich warte.«
»Murdock, verlassen Sie Santa Cruz, gehen Sie weit fort!«
»In einigen Tagen!«
»Ich kann doch meine Tochter nicht anbinden!«, keuchte Pearson. »Sie wollte unbedingt mit Ihnen sprechen, Murdock, ich habe auch einige Leute, die schnell mit dem Revolver sind. Jetzt bewachen Sie meine Tochter, ich kann sie aber auch …«
»Auf mich loslassen?«, fragte Murdock. »Sir, das würden Sie nicht tun, Sie sind nicht der Mann dafür. Ich brauche zwei, drei Tage, mehr werden es kaum sein, dann gehe ich fort. Sollte Ihre Tochter nach Santa Cruz kommen, werde ich ihr klarmachen, dass nie etwas zwischen uns sein wird. Ein Verbrecher und Ihre Tochter, es wäre absurd, und ich würde Ihnen das nicht antun – genügt Ihnen das Versprechen eines Banditen?« Pearson sah ihn groß an und nickte düster.
»Gut, Murdock. Ich habe befürchtet, dass Sie dasselbe empfinden könnten, was meine Tochter zu empfinden glaubt. Ich verlasse mich auf Ihr Wort, Murdock! Sie – Sie lieben Elena nicht?«
Murdock sah fort und schwieg.
»Murdock!«, keuchte Pearson. »Sie lieben sie? Ich schwöre Ihnen, wenn Sie mir mein Kind unglücklich machen, sind Sie ein toter Mann!«
»Ich habe noch nie ein Versprechen gebrochen, Sir, genügt Ihnen das?«
»Nun gut«, sagte Pearson schwer atmend fest. »Murdock, nehmen Sie das Pferd und die Ausrüstung. Sie haben, wenn Sie das andere Pferd holen, ein Ersatzpferd. Leben Sie wohl, Murdock. Ach – in der Satteltasche finden Sie noch etwas, es wird Ihnen einige Zeit helfen.«
Murdock sah ihn durchdringend an, ehe er auf das Pferd stieg und die Satteltasche öffnete. Er wog den Geldbeutel in der Rechten. Dann warf er ihn mit einem kargen Lächeln auf den Wagen.
»Das ist kein Geschenk, das ich annehmen würde, Sir«, sagte er kühl. »Geld, Sir, verdirbt zu viel! Dennoch – danke, Sir!«
Er zog sein Pferd herum und sah wieder das Gesicht, dessen Augen ihn so an Elena erinnerten. Die alte weißhaarige Frau sah ihn durch die Gardine an, und er lächelte einen winzigen Moment, ehe er davonritt.
Ein Leben ist das, dachte Murdock bitter, ein Leben für einen streunenden Hund, wie ich einer bin. Sperrt der Narr Elena ein! Hol’s der Teufel, heute werde ich mich besaufen, sinnlos besaufen – oder nicht? Manchmal hängt mir das Leben zum Hals heraus!
Das Pferd ging so leicht, der Sattel knarrte leise. Er ritt wieder und war frei. Hatte er noch mehr erwartet?
*
Es war still in der Bodega Juans. Ein paar neue Perlenschnüre hingen wieder vor der Tür, Männer umlagerten den Tisch, auf dem Karten und viel Geld lagen. Sie wichen jetzt zurück, denn ein Yankee stand hinter Murdock McCallum, ein zweiter lehnte neben der Tür. Der dritte Mann war Mexikaner, ein schnauzbärtiger und stämmiger Bursche mit zwei Revolvern und drei Messern. Er stand so, dass er nur die Hand zu senken und Murdock eins seiner Messer in den Bauch jagen konnte.
»Das Spiel ist beendet!«, sagte der eine Yankee sanft. Er war groß, hager und dunkel gekleidet, auch sein Revolver war schwarz wie die Nacht. »Murdock, nimm deinen Gewinn und komm mit, aber friedlich bleiben, Murdock!«
Ich kann mich nie richtig besaufen, dachte Murdock und schätzte nach einem Rundblick seine Chancen ein – es gab keine!
»Was wird das?«, erkundigte er sich kühl. »Seid ihr etwa Freunde von Darrey?«
»Nein, aber vielleicht deine?«, grinste der Yankee. »Jemand will mit dir reden, also komm und sei friedlich, dir passiert schon nichts!«
Juan, der Bodegabesitzer, starrte Murdock furchtsam an. Er schien auf die nächste Schießerei zu warten.
»Wenn das so ist?«, brummte Murdock und erhob sich vorsichtig. »Ich bin nicht für Ärger, mein Bedarf ist gedeckt. Wohin gehen wir, mein Freund?«
»Ein Stück – nicht sehr weit!«
Murdock nickte, steckte sein Geld ein und ging zwischen den beiden Yankees und dem Mexikaner, der sich ihnen anschloss, hinaus in die Nacht über Santa Cruz. Neben der Tür saß ein kleiner Mann, ein Halbblut. Der Mann war betrunken, lallte und schwenkte eine Flasche. Dann fiel er um, dem Mexikaner auf die Zehen. Der stieß ihn mit dem Fuß zurück und fluchte: »Pass auf, wo du hinkippst, du besoffenes Schwein!«
Der kleine Mann fiel auf den Rücken und kicherte blöde. Und Murdock ging weiter, er wusste nun, wie rau die Kerle waren.
*
John Paisly, dachte Murdock und sah den großen, schweren Mann hinter dem breiten Tisch scharf an, John Paisly, Besitzer von sechs Stores, drei Mietställen, etlichen Wagen, ein reicher Mann, dessen Hauptsitz Phoenix ist, der überall handelt …, er …?
»Na?«, fragte Paisly und lächelte wohlgefällig. »Mach die Tür zu, Kildare!«
Sam Kildare – das war Kildare, der berüchtigte Sam Kildare, der angeblich mehr als zwanzig Männer erschossen haben sollte, darunter zwei Sheriffs in New Mexico?
Murdock hatte nur von ihm gehört, gesehen hatte er ihn nie, aber er wusste nun, wer ihn zu Paisly in Miguel Cerridas Store in Santa Cruz gebracht hatte. Natürlich gehörte der Store Paisly und nicht etwa Miguel Cerrida.
»Da bist du ja, McCallum«, sagte Paisly ölig. »Du bist vielleicht ein Bursche, alle Achtung, Mann! Warum hast du Caldwell und die anderen getrickst, warum die Pferde genommen?«
Paisly wusste alles, alle Teufel!
»Antworte ihm!«, knarrte Kildare. »Er hat dich etwas gefragt, McCallum!«
»He, he, Freundchen!«, murmelte Murdock träge. »Nur nicht unfreundlich werden, Paisly, kann ich etwas trinken?«
»Sei ruhig, Sam!«, brummte Paisly, seine Stimme war nun nicht mehr ölig und klang auch nicht mehr wohlwollend. »Du kannst trinken und auch eine meiner Zigarren rauchen, McCallum. Und dann erzähle mal alles – fang mit Bishop, diesem Narren, an und vergiss nichts!«
Murdock goss sich ein Glas Whisky ein und nahm auch eine Zigarre, ehe er sprach. Er erzählte von Bishop und wie er den Mann erwischt hatte, wie Bishop heulend und zähneklappernd vor Angst seine dicke Geldkatze geleert hatte, die er ständig um den Bauch geschnallt getragen hatte.
»Du musst ihn mächtig unter Druck gesetzt haben«, unterbrach ihn Paisly. »Warum hat er mir nichts von der Sache gesagt, das frage ich mich die ganze Zeit. Warum hat er es mir nicht erzählt?«
»Du bist also der Mann gewesen, der ihn mit dem Zeug beliefert hat?«, staunte Murdock. »Und ich habe gedacht, der Bursche arbeitet auf eigene Rechnung, er beschwor es, Paisly! Warum er dir nichts erzählt hat? Mein lieber Mann, ich habe so meine eigenen Methoden jemandem beizubringen, dass er zu schweigen hat. Das Geschäft sollte unter uns bleiben. Moment mal – Teufel, darum fragte er mich, was ich vorhätte, wenn ich aus der Armee ausschiede. Ist das ein gerissener Hundesohn gewesen! Er wollte, dass ich für ihn über die nur mir bekannten Grenzwege Ware aus Mexiko herüberschmuggelte, sobald ich entlassen wäre. Der Halunke hat ja gar nicht aus Angst vor meinen Methoden geschwiegen – der hat das Geschäft endlich allein machen wollen!«
»Hölle und Verdammnis!«, keuchte Paisly und sprang fluchend auf. »Der Dreckskerl, dieser hinterhältige Lump! Darum hat er mir nichts über eure Zusammenarbeit verraten, jetzt begreife ich erst, was der Hund geplant gehabt hat. Hat das Geschäft allein machen wollen. Kildare, was sagst du nun?«
»Hat der Kerl ein Glück, dass er schon tot ist«, knurrte Kildare finster. »Sich selbstständig machen – mit dem besten Mann als Maultierkolonnenführer, den es gibt! Paisly, jetzt sehe ich klar. Er hätte nichts mehr von uns zu beziehen brauchen, er hätte den Fusel und die Waffen direkt aus Mexiko von McCallum über die Grenze zu den Indianern schaffen lassen. Ist das ein hinterhältiger Lump gewesen!«
Sie fluchten alle, bis Paisly sich beruhigte und sich kopfschüttelnd auf seinen Stuhl fallen ließ.
»Man kann doch keinem mehr trauen«, sagte er giftig. »Weiter, McCallum, warum hast du den Kerlen die Pferde wieder abgenommen?«
»Hat Darrey das nicht erzählt?«, wunderte sich Murdock und berichtete, was die drei Burschen von ihm gewollt hatten, dass er sicher gewesen war, von ihnen, sobald sie das Geld geholt hatten, auf die Nase gelegt zu werden. »Na, begreift ihr jetzt?«
»Die haben Folsom also wirklich umgelegt«, brummte Paisly. »Denen hätte ich auch nicht getraut, hol’s der Teufel! Musstest du denn die Pferde so anbinden, dass der Captain sie fand, he?«
»Musste ich nicht, aber ich wollte nicht unbedingt schuld daran sein, dass die Apachen sie sozusagen wehrlos erwischten«, erwiderte Murdock. »Es ist etwas anderes, wenn man kämpfend stirbt, als wenn man abgeschlachtet wird. Ich dachte, die Apachen würden über den Captain und seinen Haufen herfallen. Dass sie ausgerechnet Caldwell und Huston erwischten und sich damit zufriedengaben, konnte ich nicht ahnen. Normalerweise hätten sie auf den Captain losgehen müssen. Man weiß eben nie, was Apachen tun. Paisly, ich kann mich auch mal irren!«
»Nun gut«, nickte Paisly. »Bishop, der Schurke, hat dir ein Angebot gemacht gehabt. Du hättest viel Geld verdienen können, wenn du für ihn geschmuggelt hättest. Bishop ist tot, kein Geschäft mehr, was, McCallum? Oder würdest du auch welche mit mir machen?«
»Was?«, schnaufte Murdock. »Hör mal, Mister, sie suchen mich noch wochenlang, ich gehe um keinen Preis über die Grenze zurück!«
»Sie suchen dich nicht mehr, sie wissen längst, dass du hier bist – ich habe dafür gesorgt, und sie haben ihre Suchtrupps zurückgerufen – was sagst du nun?«
Murdock sagte nichts mehr, er wusste, dass Paisly die Wahrheit gesagt hatte.
»Bist du stumm, Murdock?«
»Ich überlege«, sagte Murdock. »Mir fällt da etwas ein …«
»Das lass dir ganz schnell wieder ausfallen!«, fauchte Kildare. »Mann, wenn du glaubst, du könntest dir von Pearson Geld borgen und dann auf eigene Faust Handel über die Grenze treiben, uns das Geschäft verderben, bist du nicht lange genug am Leben, um etwas davon zu haben.«
»Aha, so läuft das?«, murrte Murdock bissig. »Kildare sorgt dafür, dass du keine Konkurrenz bekommst, was, Paisly? Wer dir das Geschäft verdirbt, der stirbt. Auch eine Methode.«
»Eine sehr gute«, lächelte Paisly kalt. »Du kannst im Monat bis zu dreihundert Dollar machen. Wir haben Ärger, die Armee kontrolliert fast alle Wege, wir kommen kaum noch durch. Seit einigen Wochen verdienen wir nichts mehr. Wir haben drei Ladungen Waffen und Fusel aufgeben müssen, um das nackte Leben zu retten. Dabei war es monatelang ein so gutes Geschäft! Ich habe meine Abnehmer, sobald die Sachen erst weit genug im Land und jenseits der Grenze sind, aber sie bekommen nun kaum noch etwas. Murdock, du kennst doch Wege, die nicht mal Indianer bekannt sein dürften, oder?«
»Ja«, sagte Murdock leise. »Nur, mein Freund, die sind mehr wert als dreihundert schäbige Dollar, das darfst du annehmen. Wenn ich schon meinen Hals riskiere, dann will ich fünf Prozent der Ladung haben.«
»Bist du wahnsinnig?«, fauchte Kildare. »Mensch, ich blase dich um!«
»Kildare!«, fluchte Paisly. »Wir brauchen ihn! Nimm dich zusammen! Das ist nicht mal zu viel von ihm verlangt. Dann werden wir eben mit etwas weniger rechnen müssen, aber es ist besser als gar nichts zu verdienen, Mann! Ich bin einverstanden, Murdock. Aber ein Wort, nur ein einziges Wort, dann …«
»Ja«, sagte Murdock träge. »Bin ich ein Idiot? Wenn dieser sterbende Hundesohn Bishop nicht das Maul aufgetan hätte, wäre ich bald reich gewesen. Musste der Trottel Sergeant Roscoe in die Arme fahren? Hör mal, Paisly, ich will mich besaufen, ich will mich vier Tage besaufen, weil ich meine Freiheit feiern möchte. Kann ich das vielleicht endlich tun, oder brauchst du mich noch?«
»Wir brauchen dich morgen.«
»Also gut, dann gehe ich«, grinste Murdock. »Kildare, pass nicht zu sehr auf mich auf, es könnte mich stören. Du machst das nicht geschickt genug.«
Kildare fluchte, als Murdock mit einem spöttischen Grinsen hinausging.
»Der verdammte Kerl ist eiskalt und frech wie eine Elster!«, schnaubte Kildare. »Dein Freund Wadstone hat ihn richtig beschrieben, der Bursche hat keine Angst. Wenn er mir zu sehr auf die Zehen tritt …«
»Kildare, ich warne dich«, sagte Paisly scharf. »Ich brauche ihn, er kann all das, was du fertigbringst. Wenn ich will, schießt er mir meine Konkurrenz genauso weg, klar? Aber außerdem kennt er alle Stege und Wege – und du kennst sie nicht! Ich brauche euch beide, verstanden? Lass McCallum in Frieden!«
»Wie du willst«, knurrte Kildare. »Drohe mir nicht, ich bin unersetzlich für dich. Wann brechen wir mit ihm auf?«
»Morgen«, entschied Paisly mürrisch. »Ich werde dabei sein, ich muss sehen, wie Murdock arbeitet, dabei kann ich nur lernen. Lass ihn nicht aus den Augen!«
Paisly nickte kurz und verschwand …
*
Das Klirren saß in seinem Kopf, es kam nicht von der Tür. Jemand schlug mit einem Hammer auf Murdocks Gehirn herum und trat dabei mit Stiefeln auf Murdocks Augapfelbänder.
Murdock fuhr hoch, riss die Hände an den schmerzenden Schädel.
Aufhören, dachte er, aufhören, verdammt noch mal! Wer klopft denn da in meinem Schädel? Das ist ja doch an der Tür …
»Ja«, sagte er mürrisch, schmerzzerrissen und wütend. »Aufhören, verdammt, ich komme schon! Wer ist draußen, wer macht solchen Lärm?«
Es musste nach Mitternacht sein, die Lampe brannte noch. Murdock erinnerte sich dunkel, dass man ihn hochgeschleppt hatte. Juan war dabei gewesen, irgendwer aus Paislys Verein hatte ihn gestützt.
»Wer ist da, verdammt?«
»Ich – ich!«
Die Stimme machte ihn ganz munter. Sie, dachte er, sie? Du großer Gott, was will sie hier? Ist sie zu Hause ausgerissen?
Murdock fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und torkelte zur Tür. Dann öffnete er und trat zur Seite. Das Mädchen blieb nach einem Schritt stehen und sog die Luft ein, roch den Tequiladunst, der im schäbigen Zimmer lag und ging dann tapfer weiter. Schließlich sah Elena den Mann an, der sich auf das zerwühlte Bett fallen ließ und die Hände an den schmerzenden Kopf presste. Die Tür war wieder geschlossen, die Lampe warf ihren Schatten gegen die schmutzige Wand.
»Murdock, was haben Sie getan?«
»Was denn?«, ächzte er. »Nicht so laut reden, bitte, nicht laut reden! Mein armer Kopf!«
»Murdock, warum haben Sie sich mit Paisly eingelassen? Sie müssen verrückt geworden sein! Wissen Sie nicht, dass Paisly den Grenzhandel kontrolliert, dass er ein Schurke ist? Was sollen Sie für ihn tun, sollen Sie seine Schmuggelkolonnen sicher über die Grenze führen? Antworten Sie, Murdock!«
»O Gott, mein Kopf platzt!«, stöhnte Murdock. Er blinzelte zu ihr hin, sah ihr aufgelöstes Haar, ihre großen Augen, das Zittern ihrer Lippen – und Angst in diesem Gesicht, das er vom ersten Sehen an gemocht hatte. »Sind Sie verrückt. Weiß Ihr Vater, dass Sie hier sind? Elena, was wollen Sie von mir?«
»Sie arbeiten für Paisly, ich weiß es.«
»Blödsinn!«, knurrte er. »Wer das sagt, der lügt. Ich arbeite für niemand.«
»Lügen Sie nicht, Murdock, ich weiß, dass Sie für ihn arbeiten werden, wir haben unsere Leute, uns bleibt nichts verborgen! Murdock, gehen Sie fort, hören Sie, gehen Sie fort! Wenn man Sie jenseits der Grenze erwischt, wird man Sie aufhängen, Murdock, ich – ich habe etwas mitgebracht, die Kette hier, die beiden Ringe und etwas Geld. Nehmen Sie es und gehen Sie fort, ehe es zu spät ist. O Gott, das ist doch nichts für Sie, das wird Ihr Tod sein, Murdock!«
»Hören Sie auf!«, sagte er barsch und setzte sich hin. »Was reden Sie da für Unsinn, was soll ich mit dem verdammten Plunder hier? Was bilden Sie sich eigentlich ein? Ich habe Ihnen zufällig das Leben gerettet, na und? Was ich tue, das ist doch wohl meine Sache! Niemand hat Sie gebeten, sich Sorgen um mich zu machen – außerdem will ich das auch gar nicht. Was wollen Sie hier? Ich will mein Leben führen, es geht Sie gar nichts an, Miss Pearson! Ich bin frei, ich bin kein Gefangener mehr, der froh war, wenn ihn ein Mädchen dankbar ansah. Ich will endlich leben, verstanden?«
»Mein Gott, wie reden Sie denn, Murdock? Ich dachte, ich hoffte …«
»Was denn, Sie Närrin?«, fragte er brutal und stand auf. »Die Laune eines reichen Mädchens, was? Man muss sich um einen Banditen kümmern, sie könnten ja noch zu retten sein, he? Liebe und Barmherzigkeit, na, das ist es doch, oder? Sie sind ja nicht ganz bei Verstand, Miss. Ich bin durch und durch verfault, ich habe manchmal Launen, dann helfe ich jemandem, aber ich denke immer nur an mich, an niemand sonst! Raus jetzt, verschwinden Sie, ehe noch mehr Leute merken, dass Charles Pearsons Tochter sich am untauglichen Objekt versucht hat! Raus, sage ich! Ich bin ein Bandit, ich tauge nichts. Sie machen sich ja lächerlich, merken Sie das nicht endlich?«
»Murdock, lassen Sie mich los, Sie tun mir weh!«
»Raus!«, schrie er wütend. »Ich habe keine Zeit, mich um das Geschwätz eines verdrehten Mädchens zu kümmern. Kümmern Sie sich um Ihre Peones, oder sticken Sie die Tischdecken für Ihre Aussteuer, das ist hier ja so üblich! Warten Sie auf einen Caballero, der zu Ihnen passt, aber bilden Sie sich nie wieder ein, Sie müssten Ihre Zeit an mich verschwenden! Raus mit Ihnen, nehmen Sie den Plunder mit! Ich lache mich tot, sie will mich bekehren, die feine Lady …! Haha!«
Er packte sie und schob sie hinaus, warf ihr die Kette, die Ringe und das Geld hinterher, dann knallte er die Tür zu und hörte ihr Schluchzen.
Erledigt, dachte er, ihm war schlecht, er war bleich, aber es war vorbei, er wusste es. Sie kam nie wieder, dazu war sie zu stolz. Von nun an würde sie ihn hassen.
Ihr Schluchzen verlor sich, ihre Schritte hasteten die Treppe hinab. Draußen jagte gleich darauf ein Pferd an. Und im Flur hustete jemand, kam zur Tür, machte sie auf und stand in ihr – Sam Kildare, der Killer.
»Mensch!«, schnaufte Kildare. »Gehst du immer so mit einer Lady um? Du bist doch ein eiskalter Hundesohn – und zugleich ein Narr! Sie kam zu dir, du hättest ihr nur was vorzuspinnen brauchen, den Zerknirschten machen müssen, und ich wette, du hättest nicht mehr allein in diesem Bett gelegen. Mal eine reiche Lady wie die im Bett haben – und der Narr jagt sie davon! Wie kann man nur so blöde sein?«
»Blöde?«, fauchte Murdock. »Warst du nebenan im Zimmer, du Schleicher? Ich habe dir doch gesagt, du sollst das sein lassen, oder? Was soll ich denn mit einem reichen Girl im Bett, das keine Ahnung von Liebe hat, he? Da habe ich ja mehr Arbeit mit, als ich Vergnügen ernten könnte. Na, so weit kannst du nicht denken, was? Und dann den Ärger mit ihrem Alten, den lade ich mir auch noch auf? Bin ich denn total behämmert? Scher dich raus, ich will endlich meine Ruhe haben!«
»Mensch, was bist du für ein Eisklotz!«, ächzte Kildare. »So eine Gelegenheit möchte ich mal haben. Aber du hast vielleicht recht – mehr Arbeit als Vergnügen – ich lach mich tot, daran denkt der Kerl auch noch. Willst du, dass ich dir ein Girl hochschicke?«
»Blödes Weibervolk, was soll ich damit? Hau schon ab, Kildare!«
»In Ordnung, du Narr! Na, dann bis morgen, wir brechen nach Einbruch der Nacht auf. Überlege dir, wo du uns über die Grenze bringst. Der Boss wird dabei sein, er will sehen, was du anstellst und wie sicher es mit dir ist. Reiß dich also zusammen.«
Er schloss die Tür und ging davon. Morgen, dachte Murdock, morgen schon …
*
Ein Maultier knarrte schnarrend, wie nur Maultiere knarren konnten, wenn sie sich anstrengen mussten. Murdock sah sich um und die Reihe der Lasttiere und Reiter entlang, die sich durch die Dragoon Mountains auf die Chiricahua Agency zu bewegte. Neunzehn Maultiere, acht Reiter, alle schwer bewaffnet. Gestern waren es noch achtundzwanzig Maultiere gewesen und hatten sich getrennt, weil Kildare mit neun hoch bepackten Tieren nach Cochise Springs musste, um Dean, Paislys Zwischenhändler, zu beliefern.
Der Haupttrupp marschierte zur Chiricahua Agency, wo James Wadstone, der Indianerbeauftragte der Armee, schon auf Paislys Kolonne wartete. Er brauchte Waffen und Fusel für die Chiricahua, aber natürlich wusste die Armee nichts davon, dass ihr Chief-Agent ein Lump war, wie sollte sie auch auf die Idee kommen?
Hufschlag kam von hinten. Paisly ritt heran, ein zufriedenes Lächeln auf dem breiten Gesicht.
»Weiter!«, sagte Murdock kurz. »Paisly, in drei Stunden wird es hell. Es ist schon gefährlich genug, im hellen Mondlicht zu reiten.«
»Machst du dir etwa Sorgen?«, lachte Paisly. »Wie du uns an den Grenzpatrouillen vorbeigebracht hast – einmalig, McCallum! Wir haben sie gesehen, sie uns nicht, wenn das nichts war! Hier ist doch keine Patrouille mehr, oder?«
»Hier reiten sie selten, und wenn, dann nur in Richtung zur Grenze«, erwiderte Murdock. »Dennoch, Mann, Vorsicht hat noch niemals geschadet.«
Die ersten Maultiere trotteten den steilen Hang hoch und kamen auf den Gratweg. Rechts gähnte eine Schlucht, links wartete die steile Kehre. Murdock ritt an, den pausenlos schwätzenden und ihn lobenden Paisly hinter sich. So kam er um die Kehre und sah die beiden Männer jäh aus dem Schatten der Felswand reiten. Mondlicht fiel auf das Gewehr Sam Kildares. In den tief liegenden Augen Palmettos, des Mexikaners mit den drei Messern, war ein Glitzern, auch sein Gewehr zeigte auf Murdocks Brust.
»Streck sie hoch!«, fauchte Kildare. »Hoch mit den Händen, du Satan!«
Links nichts als die Schlucht, rechts zwei Gewehre. Beides konnte nur Tod bedeuten.
Hinter Murdock verstummte Paislys Gerede schlagartig. Der große, schwere Mann starrte an Murdock vorbei auf seinen Revolvermann, der zu Dean unterwegs gewesen war und von dort aus längst wieder auf dem Weg zur Grenze sein sollte.
»Sam, was soll das?«, fragte Paisly schrill. »Bist du verrückt geworden, Sam? Das Gewehr weg!«
»Nein!«, sagte Kildare bissig und zielte auf Murdocks Brust. »Zieh den Revolver, Paisly, pass auf, dass der Hund keinen Trick versucht! Einen hat er schon gelandet, und der hat dich vier Männer gekostet. Sie sind tot, von denen lebt keiner mehr. Auch Dean ist erwischt worden, er dürfte jetzt unterwegs nach Fort Huachuca sein – gefesselt!«
»Was ist das?«, keuchte Paisly, riss dann den Colt heraus. Der Hammer knackte hässlich, als er ihn spannte. »Sam, was hat das zu bedeuten?«
»Frage doch mal diesen Hund!«, zischte Kildare voller Hass. »Frage ihn, ehe ich ihn umblase! Die Armee hat bei Dean gewartet, sie hockten mit etwa dreißig Mann in seiner Station. Sie müssen ihn gezwungen haben mitzuspielen, darum lebt er wohl auch noch. Palmetto und ich blieben kurz vor Deans Station zurück, weil ein Maultier lahmte. Wir ritten langsam hinter den anderen her, der Abstand wurde immer größer. Dann krachten vor uns die Schüsse, wir hörten Schreie, flüchteten sofort unter Zurücklassung des Maultieres in die Felsklippen und sahen nach einer Viertelstunde bei Sonnenaufgang, was sich auf der Station abgespielt hatte. Es wimmelte von Uniformen, man war dabei, die Ladung zu sortieren. Bei den Kavalleristen war ein kleiner Mann, ein Halbblut! Der Bursche war in Santa Cruz, er hockte betrunken neben der Tür von Juans Bodega. Palmetto stieß ihn zur Seite, als wir mit McCallum zu dir gingen.«
»McCallum!«, flüsterte John Paisly. »McCallum, hast du noch etwas zu sagen?«
Er zielt auf meinen Hinterkopf, dachte Murdock, gleich drückt er ab.
»Nicht schießen!«, keuchte Kildare. »Wir müssen erst alles wissen, Paisly. Versuche nicht, dich herauszureden, McCallum. Der kleine Kerl ritt sofort mit den meisten Leuten unter Sergeant Roscoe nach Nordwesten davon, er ließ nur einige Männer zurück. Nach Nordwesten, verstehst du, Paisly? Wollen wir wetten, dass Captain Spalding dort wartet – bei Wadstone? Sie wissen alles, und ich wette meinen Hals darauf, dass sie uns in der Chiricahua Agency genauso empfangen wollen, wie sie die anderen bei Dean empfangen haben. McCallum hat dem kleinen Kerl irgendwie Nachricht geben können, obgleich wir den Hund nie aus den Augen ließen. Wie hast du es angestellt, du hinterhältiger Schurke?«
Kildare saß vorsichtig ab, dann kam er und jagte Murdock den Gewehrlauf in den Rücken.
»Runter!«, zischte er. »Aus dem Sattel, du Hund, oder ich schieße dich mittendurch! Langsam, Spitzel, langsam!«
Der Mexikaner war schon da, nahm Murdock in Empfang und ihm die Waffen ab. Es war nichts als flimmernde Rachsucht in seinen tief liegenden Augen zu sehen. Murdock stand still, er wusste, was kam, als Kildare zurücktrat.
»Hund!«, sagte Kildare und schlug ihm den Gewehrlauf über den Kopf. »Hund, du wirst reden!«
Vorläufig redete Murdock nicht, er fiel wie ein Klotz um und rührte sich nicht mehr …
*
Der Schmerz blieb – ein nagender, bohrender Schmerz, der sich in seinen Hinterkopf fraß und seine Augen tränen ließ. Dann spürte er, dass es keine Tränen waren, sondern nur Wasser über seinen Kopf gegossen worden war. Helligkeit blendete Murdock. Grauschwarz stand eine Felswand über ihm, schien auf ihn herabfallen zu wollen.
Mein Gott, dachte Murdock, der hätte mich beinahe erschlagen, der Killer. Schon hell, schon Sonnenlicht – wo bin ich hier?
Er wollte sich umsehen, als ihm der Stiefel in die Rippen krachte und Paisly hämisch lachte.
»Setz dich auf, du Hund!«
Murdock saß gleich darauf, schwankte jedoch so wild, dass ihn ein Mann festhalten musste. Jetzt erkannte er, dass sie in einem engen Tal steckten. Am Ausgang lagerten die Grenzbanditen und sperrten ihn. Zudem hockte noch ein Posten auf der rechten Wand und sah sicher alles. Heller Tag, grübelte Murdock, aber sie sind nach Osten geritten, sie sind von meiner Route abgewichen und haben sich verkrochen. Sicher haben sie auch alle Spuren verwischt und werden sich am Tag nicht von der Stelle rühren. Mein Gott, in der kommenden Nacht wollten wir in der Chiricahua Agency sein. Spalding wird warten, aber niemand wird kommen. Alles umsonst, alles vergebens gewesen. Die Kerle reiten in der Nacht zurück. Ehe Spalding merkt, dass sie nicht kommen, sind sie wieder hart vor der Grenze, und dann ist es für eine Verfolgung zu spät. Roscoe hat nur die Maultiertreiber erwischt, keinen wichtigen Mann!
»Na, endlich munter genug?«, knurrte Paisly. »Rede, du Hund, rede, sonst trete ich dir den Bauch entzwei, das schwöre ich dir! Wie war das mit Bishop?«
»Ich erwischte ihn mit Roscoe, Lannon und noch zwei Mann«, sagte Murdock dünn. Er konnte kaum sprechen, denn der Schmerz strahlte vom Hinterkopf bis in seine Kiefer aus. »Er starb langsam, aber er verriet nicht, wer hinter ihm steckte. Mir war immer klar, dass ein großer Mann hinter dem Gewehr- und Fuselhandel mit den Indianern stecken musste. Seit Monaten tappten wir wie Blinde herum, fanden mal zurückgelassene Schmuggelware, aber nie einen Mann. Ich arbeitete die Pläne zur Grenzkontrolle aus, wir hatten auch Erfolg, doch wir erwischten niemanden, bis ich Bishop stellte.«
»Du hast ihn erschossen, du?«
»Ja«, antwortete Murdock, »ich! Als ich seine Geldkatze nahm, redete er doch noch. Er wollte mit seinem Geld sterben, und er sagte auf meine Frage, er hätte es immer bei sich. Da kam ich auf die Idee, die nachher alle geschluckt haben – Bestechung!«
»Warum redet der?«, fragte Kildare nachdenklich und lauernd. »Paisly, da stimmt was nicht, der würde nicht sprechen, um sich Schmerzen zu ersparen. Wir hätten ihn foltern können, aber ich wette, er hätte niemals gesprochen. Warum redet der Hund jetzt?«
»Du irrst dich«, sagte Murdock leise. »Ich habe Angst vor Schmerzen, ich weiß, was ich aushalten kann. Ihr werdet mich ja doch umbringen, also – warum soll ich schweigen und Schmerzen ertragen müssen, wenn der Tod schnell kommen kann?«
Sie starrten ihn an, Hass in den Augen.
»Du wirst langsam sterben, wenn wir wieder mit dir über die Grenze sind«, knirschte Paisly. »Ah, ich verstehe alles! Du hast gewusst, dass jemand hinter Bishop stecken musste, du wolltest erreichen, dass du an mich herankamst – hast du mich verdächtigt?«
»Ja!«
»Was? Und dann diese Umstände? Du lässt dich von deinen Kavalleristen misshandeln, du nimmst alles in Kauf, ihre Verachtung, ihren Hass, nur, um mich zu schnappen?«
»Hättest du geredet?«, fragte Murdock. »Wir hatten keine Beweise, wir hatten keine Ahnung, ob du wirklich der Mann warst, den wir suchten. Wir wollten auch die Zwischenhändler haben – und den Mann, der die Apachen immer wieder mit Fusel versorgte, der dich warnte, wenn wir unterwegs waren, um deine Transporte abzufangen: Wadstone, den Chief-Agenten. Auf den wären wir sonst nie gekommen, der sieht so ehrbar und bieder aus, der Lump …«
Die Banditen sahen sich an, erkannten nun erst richtig, dass der Handel auf Monate tot war, selbst wenn sie ihr Leben retten konnten. Murdock kannte alle Abnehmer, alle Zwischenhändler, jeden Schurken diesseits der Grenze. Er hatte sein Wissen jenem kleinen Halbblutmann mitgeteilt, aber wie?
»Wie hast du ihm Nachricht geschickt?«, fauchte Paisly. »Man hat dich nicht aus den Augen gelassen, und doch hast du ihn benachrichtigt, diesen kleinen Kerl! Wer ist der Mann?«
»Er heißt Pescanto«, sagte Murdock, »hier kennt ihn niemand. Er ist Chiefscout der Armee in Utah, ein Freund von mir. Wie ich ihm Nachricht gab?«
Murdock lächelte dünn.
»Jeder Mensch muss ja mal«, murmelte er dann. »Ich habe einen Zettel unter der Holzbrille angeheftet. Dabei stand Kildare an der Hausecke und beobachtete mich, aber er sah nicht, was ich hinter der Tür tat, wie?«
»Verfluchter Hund!«, zischte Kildare. »Lässt sich die Schlinge um den Hals legen, spielt den Verräter so echt, dass alle es glauben, selbst die, die jeden Tag mit ihm zusammen gewesen sind! Mensch, hat dich Roscoe wirklich geschlagen, war das alles echt?«
»Absolut echt!«
»Was hält der alles aus?«, staunte Paisly. »Läuft, bis er zusammenbricht, hinter dem Gefangenenwagen her. Und alles umsonst, du Narr, du verdammter, eins freut mich – es war umsonst!«
»Nein«, antwortete Murdock leise. »Noch ist nichts umsonst gewesen. Ihr seid noch lange nicht über die Grenze. Und dann haben wir alle deine Zwischenhändler, Paisly. Du verlierst deinen Besitz in den Staaten, du wirst einige Monate, wenn nicht für Jahre ziemlich arm sein. Aber – versucht doch erst, ob ihr über die Grenze kommt, danach reden wir weiter!«
Paisly zitterte vor Wut, holte aus und stieß ihm den Stiefel in den Bauch, dass Murdock hintenüberkippte und stöhnend liegen blieb.
»Einmal haben wir dich«, stieß Paisly danach hervor. »Sie werden sich hüten uns anzugreifen, solange wir dich haben, den besten Sergeanten der Armee! Und dann haben wir etwas geändert, du Schlaukopf … Greer, mein zweiter Revolvermann, ist bereits zu den Chiricahua-Apachen unterwegs. Ein einzelner Mann fällt nicht auf, er wird zu den Apachen kommen und ihnen sagen, dass hier sechzehn Tonnen Pulver, achtzig Gewehre samt Patronen und eine Menge kleiner Brandytonnen auf sie warten.
Greer kennt sie, sie tun ihm nichts, verstehst du? Kommende Nacht, wenn dein Captain auf uns wartet, sind die Apachen hier. Sie werden die Ladung übernehmen und uns zur Grenze bringen – sicher, McCallum, so sicher, wie du es nicht besser könntest.«
Sein Fuß schnellte noch einmal vorwärts. Murdock McCallum flog herum und sah die gesamte Ladung auf einen Haufen unter der zerklüfteten Felswand liegen. Man hatte sie dort abgeladen, um im Notfall mit den Maultieren schnell fliehen zu können.
»Schade, dass ich keine Handschellen für dich habe«, knurrte Paisly. »Diesmal wäre alles echt, du Hund – die Schellen, die Ketten, und das, was auf dich wartet – der Tod! Heute Nacht kommen die Apachen …«
*
Seine Hände bogen den breiten Hosenriemen wieder nach außen. Dann begann er die breite Lasche zu packen, in der sonst sein Messer gesteckt hatte. Es war nicht leicht, mit gebundenen Händen den Riemen noch ein Stück um den Leib zu zerren, aber schließlich saß die schwere Lederlasche richtig, und Murdock McCallum zwängte seinen Daumennagel mit aller Gewalt unter sie.
Die Messingnieten mussten ausreißen, die Lasche aufklappen.
Das Feuer brannte kurz vor dem Eingang, der Flammenschein fiel nicht mehr ganz bis zu Murdock. Zehn Schritt weiter hockte der Posten auf einem Felsblock unter der schroffen Wand. Fünfzehn Schritt weiter schliefen die Banditen, sie lagen genau im Talausgang. Da kam keine Maus vorbei.
Knack …, krchzzz!
Die Lasche riss aus, die Klinge berührte Murdocks Handfläche. Sie war haarscharf geschliffen und sehr dünn an einem Ende. Am anderen Ende war sie an der Lasche vernäht worden.
Murdock zerrte und riss, bis er die Lasche in der Hand hielt und die Klinge an die Handfessel brachte. Als der Posten kam, lag er ganz still. Der Mann stieß ihn an, grinste teuflisch, ehe er zurückging und seinen Platz wieder einnahm. Kaum war er fort, machte Murdock weiter und starrte zur schroffen Felswand empor. Dort war der Ausgang, dort musste er hochsteigen. Und war er oben, würde er laufen müssen, viele Meilen laufen …, laufen – laufen!
Drei Minuten später waren die Handfesseln durchtrennt, zwei Minuten darauf waren auch die Beine frei. Dann kam der Posten wieder zu ihm, bückte sich, grinste breit und sah es zu spät! Murdocks Hände schossen in die Höhe, krallten sich um seinen Hals.
Dem Banditen quollen die Augen heraus, als Murdock ihn auf sich herabriss, das Gewehr des Burschen auf seine Brust knallte. Murdock hielt den Kerl gleich darauf nur mit einer Hand, die andere fuhr zur Hüfte des Banditen, packte das Messer, riss es heraus, stach zwei-, dreimal zu.
Du oder ich, dachte Murdock – du, nicht ich! Runter mit ihm! Er rollte nach rechts, legte den Mann sacht an seinen Platz. Dann stand er langsam auf und nahm das Gewehr, hängte es sich auf den Rücken und ging gemütlich los. Sein Blick flog zu den Schläfern, ehe er an der Wand hochfuhr und jene Stelle suchte, die Murdock während des Tages immer wieder betrachtet hatte. Noch zehn Schritte bis zum untersten Spalt in der Wand – fünf …, drei. Nichts geschah, niemand schrie los, keiner wachte auf.
Los, dachte Murdock, in die Rinne und hochsteigen. In einer halben Stunde liegt das Mondlicht auf der Wand, dann muss ich oben sein. Solange es dunkel ist, sehen sie mich nicht, sie werden glauben, dass ich an ihnen vorbeigeschlichen und längst davongerannt bin. Wenn jemand erwacht und zu mir hinblickt, wird er den toten Posten für mich halten, hoffe ich. Nur hinauf, aber vorsichtig!
*
»Paisly – Boss, wach auf!«
Aus, dachte Murdock, alles aus. Die Indianer sind da. Ich bin verloren!
Hufgetrappel, Rufe erschallten, Paisly war mit einem Satz auf den Beinen – und Murdock klebte an der Wand, zog sich gerade über einen Vorsprung und sah dann den tiefen Spalt, das dunkle Loch dahinter. Fünfzehn Schritte über ihm lag der Schluchtrand.
Die Apachen kamen zehn Minuten zu früh.
»He, Jube, Jube, wo bist du, Mann? Jube, du verdammter Narr, wo steckst du? Jube?«
Der Posten hieß Jube, aber er antwortete nicht, denn er war tot. Kildare rannte plötzlich los, stürzte zu dem vermeintlichen Murdock McCallum und riss ihn herum. Dann starrte er in das bleiche Gesicht des Toten.
»Paisly, Jube liegt hier, McCallum ist weg!«
Eine Bombe, die mitten unter ihnen explodierte, hätte nicht schlimmer wirken können. Männer rannten wie aufgescheuchte Hühner durcheinander, einige stürzten zu den Pferden, aber von denen fehlte keins.
»Das Feuer höher!«, schrie Paisly gellend. »Greer, Greer, komm schnell her, bring den besten Spurenleser der Apachen mit! Sucht dort vorn am Talausgang, sucht doch, aber zertrampelt nicht die Spuren! Murdock ist entwischt, der verfluchte Teufel!«
Herrgott, dachte Murdock, die Apachen finden alles. Wenn sie nicht wären, würden sie mich sonst wo suchen, aber nun hat Paisly die besten Spürhunde der Welt, ich bin am Ende, ich komme nicht mehr hoch, ich käme auch nicht mehr davon. Dies ist das Ende!
Er ließ das Gewehr auf dem Vorsprung liegen, kroch in den Felsspalt und kam in eine tiefe Höhle. Sie hatte keinen anderen Ausgang, aber sie war nur ein langes, tiefes Loch in der Wand – gut als Grab.
Murdock kroch zurück, sah von oben auf die winzig klein wirkenden Gestalten hinab. Apachen rannten vorn am Eingang hin und her, das Feuer wuchs und beschien schon die Wand. Gleich musste auch noch das Mondlicht auf die Wand fallen.
Greer lief nun zu Paisly, seine Stimme schallte bis zu Murdock empor: »Boss, er kann nicht aus dem Tal geflohen sein!«, brüllte Greer. »Die Apachen sagen, niemand hätte das Tal zu Fuß verlassen. Wo steckt der Hund?«
Greer winkte einigen Apachen. Sie kamen zu dem Toten, deuteten auf den Boden, gingen in einem Pulk los und näherten sich der Felswand.
»Er soll hier hinaufgestiegen sein, Boss!«, schrie Greer. »Boss, er muss noch in der Wand stecken, meinen die Apachen.«
Murdock lag still, das Gewehr an der Schulter, als die Apachen losrannten und sich auf ihre Mustangs schwangen. Ihre Schreie hallten zu ihm herauf, Schreie, die er tausendmal gehört hatte, wenn sie jemand gehetzt hatten. Unten spritzten Männer auseinander, verschwand der Schwarze Falke blitzschnell hinter den Tonnen. Er war mit einigen White-Mountain-Indianern bei den Chiricahuas gewesen und hatte eine Pulvertonne, eine Patronenkiste und einige Gewehre aus ihrer Verpackung gerissen.
Der Schwarze Falke tauchte weg, ehe Murdock schießen konnte. Feuerschein wuchs, strahlte die goldgelben Patronenhülsen an. Zwischen den Fuseltonnen war Paisly verschwunden.
Die Tonnen, dachte Murdock, da stehen sie – man brauchte nur …
In der nächsten Sekunde feuerte er.
*
Die Kugeln ließen die eine Tonne umkippen, die nächsten Schüsse jagten in andere. Dann kreischte ein Geschoss vom Reifen der auf das Feuer zukollernden Fuseltonnen ab. Der nächste Schuss ließ die Tonne noch schneller rollen.
Murdock sah die glitzernde Spur von den anderen Tonnen zum Feuer laufen, jagte noch einen Schuss heraus.
Und dann erreichte die Tonne die Flammen, während Kugeln neben ihm gegen den Fels klatschten, Steinsplitter durch die Luft heulten. Über ihm raste Hufgetrappel heran, die gellenden Schreie der Indianer waren ganz nahe. In derselben Sekunde schlug unten die blaurote Fuselflamme in den Himmel, ein Feuerstrahl raste auf die anderen Tonnen zu. Der Feuerball schoss in die Höhe.
Paisly schrie wie ein Tier in höchster Not. Er stürzte brennend wie eine lebende Fackel aus den Flammen und wälzte sich heulend am Boden. Der Schwarze Falke brüllte schaurig, auf seiner nackten Haut tanzten die Flammen. Drei, vier Männer wälzten sich unter entsetzlichen Schreien am Boden.
Das war alles, was Murdock sah, denn er rannte zurück, stürzte im Schwirren eines Pfeiles und Krachen mehrerer Schüsse in die rettende Höhle.
Das Pulver, dachte Murdock, warf sich hin, krallte die Hände um einen Felsvorsprung – jetzt muss es doch …
Der Knall spaltete die Welt um Murdock McCallum und ließ sie in einem einzigen Brüllen auseinanderbersten. Grellrotes Licht schlug blitzend in die Höhle. Danach war die Hölle los. Der Fels knirschte, von der Decke fielen schwere Brocken herab. Und dann kam das Grollen, drang das Fallgeräusch tonnenschwerer Felsblöcke, die von der Wand herabdonnerten und sie einrissen, eine gigantische Lawine aus Staub, Geröll, großen und kleinen Felsen in die Tiefe stürzen ließen, an Murdocks schon halb taube Ohren.
Der Boden bebte, der Fels kreischte in irren Tönen, als er sich verschob.
Irgendwo in diesem Inferno gellten ein paar Schreie, wieherten Pferde. Was dann kam, war grauenhafte Stille, durch die endlich das entsetzliche Wimmern einer Stimme drang, während Mondlicht durch Staub und Dunst, Gestank nach Schwefel und Tod in die halb eingestürzte Höhle griff.
Das Gewehr, dachte Murdock, mein Gewehr! Sie werden kommen, sie werden mir die Haare abschneiden wollen. Mein Gott, ich lebe noch, nur mein Rücken schmerzt. Raus hier, raus!
Er wollte laufen, wollte nach vorn zum Ausgang und blieb jäh stehen, denn der Himmel war plötzlich über ihm, und er begriff, dass er, wenn er nicht bis zum hintersten Ende der Höhle gelaufen wäre, jetzt unten gelegen hätte. Die halbe Höhle war mit der rissigen Wand ausgebrochen und nach unten gestürzt. Die Decke hatte den gleichen Weg genommen, der Nachthimmel mit seinen Sternen und dem seidigen Silberglanz des Mondes lag weit und offen über ihm. Ein Trichter klaffte dort, wo einmal die Kante der Schlucht gewesen war.
Murdock McCallum sah sich verstört um, ehe ihm dämmerte, dass alles, was an Apachen auf der Wand gelegen und auf ihn geschossen hatte, in die Tiefe gestürzt sein musste. Hustend, Staub in der Kehle, aber sein Gewehr schussbereit haltend, kletterte Murdock McCallum, der beste Sergeant der Armee, über Steine und Geröll aus dem Trichter. Er sah im Mondlicht ein halbes Dutzend Mustangs davonjagen, Indianer auf dem Rücken, die wie von Furien gehetzt, die Tiere antrieben und in wilder Panik flohen.
Aus dem Tal dröhnte Hufschlag, ein paar Schüsse krachten, Männer schrien furchtsam.
Murdock lag wieder in Deckung und lauschte.
»Murdock – Murdock!«, schrie ein Mann verzweifelt. »Wo ist Murdock, ihr Strolche, wo ist Murdock McCallum? Mein Gott, wie sieht es hier aus? Wo ist Paisly, wo ist Kildare? Was, tot, unter den Trümmern begraben? Und Murdock? Was sagst du, Hundesohn, er hat dort oben gelegen und geschossen – dort oben, wo jetzt nichts mehr ist? Was muss er – heruntergefallen sein, begraben sein? Sucht, sucht doch, aus den Sätteln, räumt die Felsbrocken weg, sucht Murdock, schnell, schnell, vielleicht hat er Glück gehabt, vielleicht lebt er noch. Ein Wunder, ich will beten, dass er lebt und ein Wunder geschehen ist. O Gott, ich habe ihm die Schlinge um den Hals gelegt, ich habe ihn am Lasso hinter dem verfluchten Wagen laufen lassen und ihn schlagen müssen, ich, der Bulle Roscoe. Sucht doch, helft mir suchen! Murdock, ich komme, ich finde dich! Murdock, Murdock!«
Der Mann erhob sich langsam und trat vorsichtig an den Rand des Felsabrisses. Dort blieb er stehen und sah auf den Bullen hinab, der heulend und schreiend wie ein Rasender Steine aufhob und forttrug, seinen Namen brüllte und sich anklagte.
»Bulle!«, rief Murdock leise. »Bulle, hier bin ich – hier!«
Der Bulle Roscoe hielt inne in seinem sinnlosen Steinewerfen und hob den Kopf. Und der Mann stand dort oben, das Gewehr unter dem rechten Arm, umflossen vom bleichen Mondlicht – der Mann lächelte. Er hatte alles riskiert, er hatte sich Verräter nennen lassen und jeden Schimpf ertragen, Püffe und Schläge, Hunger und Durst – und er hatte sein Patenkind begraben, die Frau und alles, was Hartney Shelby, sein Lehrmeister, jemals geliebt hatte.
»Murdock«, stammelte Roscoe und wischte sich mit dem staubigen Uniformärmel über die tränenden Augen. »Murdock, ist das ein Geist? Murdock, alter Junge!«
Und dann rannte er, rannte, bis seine Lungen schmerzten und seine Knie das verdammte Zittern verloren, bis er Murdock erreichte und umklammerte.
»Murdock, war ich zu rau? Musst du mir nicht nachtragen, musste ja echt aussehen. Hab jeden Schlag und jeden Knuff gespürt, als hätte ich ihn dir doppelt erteilt. Murdock, hau mich, hau mich um, gib mir ein bisschen zurück, nur ein bisschen!«
»Du alter Narr! Ich hab’s doch ausgehalten, also, was soll es?«
Dann sprangen sie beide zurück, denn der Fels knirschte unter ihren Stiefeln. Sie kamen gerade noch davon, ehe noch ein Stück der Wand abbrach und donnernd auf das fiel, was von Paisly, Kildare und dem Schwarzen Falken schon begraben war.
»Teufel auch!«, sagte Roscoe, der Bulle, indem er dem Donnern lauschte. »Wollte uns beide der Teufel holen? Wir müssen noch ein Weilchen leben, glaube ich, Murdock, was? Da kommt doch dieses Rindvieh Seaton hinter uns her, als hätte ihn der wilde Satan in den Hintern gebissen und erzählt, ein einsames Maultier wäre ihnen auf Deans Station zugelaufen. Da bin ich umgekehrt und habe Spuren gefunden. War aber eine verdammt elend lange Suche, bis ich wusste, dass zwei der Kerle gar nicht bis zu Deans Station gekommen und rechtzeitig abgehauen waren. So bin ich dann vorsichtig herangeritten, sah am Tag den Posten der Kerle und konnte nichts tun, um dir zu helfen. Habe ich es richtig gemacht, Murdock?«
»Ja, richtig, Jim«, nickte Murdock. »Dann wollen wir mal reiten, und zusehen, dass wir zum Captain kommen.«
»Der wird sich freuen und doch traurig sein, denn du wirst bald entlassen«, seufzte Roscoe. »Willst du nicht bei der Armee bleiben, Murdock? Was sollen wir denn ohne dich anfangen?«
»Wer braucht mich denn schon, Jim?«
»Wer?«, ächzte Roscoe. »Alle! Dieses ganze Land wird dich brauchen, bis es friedlich ist. Wenn du entlassen wirst, ist es ein Trauertag für uns alle. Ich werde nicht mit den anderen zu deinem Abschied antreten, Mastersergeant, ich nicht, das sage ich dir. Das überlebe ich nicht!«
»Du wirst antreten«, sagte Murdock. »Das ist ein Befehl, Sergeant!«
»Ich verweigere den Befehl, verstanden?«
»Dann loche ich dich ein – und wenn es das Letzte ist, was ich tue! Du bist bei meinem Abschied dabei!«
»Nein!«
»Wir werden sehen, Roscoe.«
*
Da kommt er, dachte Roscoe und schielte nach links, weil er sehen wollte, was der Major Morgan unter dem großen Tuch trug. Das sah beinahe aus wie ein Säbel.
Sie schielten alle hin und rätselten, was der Major dort hinter dem Colonel hertrug. Der stolzierte vor das Podium, das sie extra aufgebaut hatten, und der Captain Spalding meldete beide Schwadronen vollzählig angetreten. Danach stakste der Colonel in seiner Paradeuniform mit den blank geputzten Stiefeln auf das Podium und sah kurz über das offene Viereck der Pferde und der Reiter. Auf dem einen Reiter blieb sein Blick etwas länger und schärfer liegen.
»Mastersergeant Murdock William David McCallum!«
»Sir!«
Was, dachte Roscoe, Murdock William David heißt er? Habe ich gar nicht gewusst, verdammt. Ist mir auch egal, wie viele blödsinnige Vornamen ihm sein Vater gegeben hat. Mir ist schlecht, ich falle gleich um. Der geht wirklich, er verlässt uns, das überlebe ich nicht. Was plinkert dieser blöde Joe Lannon da drüben, ist dem was ins Auge geflogen? Und warum wackelt Seaton, dieser blöde Hund mit der Nasenspitze? Herrgott, ist mir speiübel!
Die Sporen klirrten, als McCallum über den Hof von Fort Grant in Arizona marschierte und vor dem Podium stehen blieb.
»Ich verlese jetzt eine Urkunde«, sagte der Colonel etwas heiser. Papier raschelte, als der Wind es packte. »Washington D.C. White House.
Ich, James A. Garfield, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, verleihe hiermit dem Mastersergeanten Murdock William …«
Ich werde verrückt, dachte Roscoe, immer diese Vornamen. Vom Präsidenten persönlich, ich werde irre! Was verleiht er ihm? Großer Geist, ich falle um, die Tapferkeitsmedaille! Weil er sich selbst in die Luft sprengen wollte? Hat er sich gar nicht wollen, ist nicht wahr! Was kommt denn jetzt noch, noch eine Urkunde? Zuerst die Tapferkeitsmedaille, die kaum ein General trägt, ich habe noch nie einen General gesehen, der sie besitzt. Ist wahr, Murdock kann viel mehr als ein blöder General, also hat er das Ding auch verdient, yes! Was sagt der Colonel da?
»… verleihe ich hiermit dem Mastersergeanten Murdock William David McCallum den Ehrensäbel und befördere ihn gleichzeitig zum Captain der US-Cavalry!«
Einen Moment war es totenstill. Dann holten zwei Schwadronen gemeinsam Luft, und dann brüllten sie los, dass Fort Grant in seinen Grundfesten erzitterte.
Der Colonel erlebte es zum ersten Mal in seinen vielen Dienstjahren, dass zwei Schwadronen die Formation ohne Befehl verließen, ein ungeheures Durcheinander losbrach und Murdock McCallum in einer Traube aus Pferden und Männer verschwand, bis er hochgehoben wurde und das Gebrüll sich zum Tosen steigerte.
»Seid ihr verrückt!«, schrie Murdock. »Das könnt ihr doch nicht machen, ihr Narren! Lasst mich herunter und nehmt die Formation wieder ein. Roscoe, du Bulle, wirst du mich wohl loslassen?«
»Captain, Captain«, brüllte Roscoe. »Jawohl, Sir, Befehl, Sir! Setzt ihn ab, ihr blutigen Narren! Wer hat euch denn erlaubt, die Reihen zu verlassen? Wie bin ich denn hierhergekommen, he?«
Es dauerte etwas, bis wieder Ruhe und Formation eingenommen war.
»Captain McCallum?«, fragte der Colonel spröde und tat, als wäre nichts gewesen. »Captain, ich frage Sie, wollen Sie die Armee verlassen?«
Wieder war es totenstill.
Mein Gott, er geht, dachte Roscoe, er hat mehr erreicht als je ein Kavallerist zuvor. Nun bekommt er Captains-Pension, davon kann er gut leben, wenn er keine zu großen Ansprüche stellt. Wer könnte ihm verdenken, wenn er jetzt den Abschied nimmt?
»Captain!«
»Ich bitte im Dienst bleiben zu dürfen, Sir!«
»Yiaaah!«, schrie Roscoe gellend. »Yiaaah!«
Sie hatten ihn behalten den Captain Murdock McCallum. Und es war sehr gut für sie und das Beste für dieses Land.
»Colonel«, ächzte der Major, als das Geschrei nicht enden wollte. »Sir, aber sonst herrscht hier Disziplin, Sir!«
»Das weiß ich«, antwortete der Colonel mit einem kleinen Zwinkern. »Ich bin stolz darauf, dass ich solche Männer habe, Morgan.«
Noch jemand war stolz. Er stand unter den Zuschauern und drehte sich um. Dann stolperte er davon und nahm sein großes Taschentuch vor das Gesicht – der alte Hartney Shelby.
»Der Junge«, stammelte Hat Shelby, »o Gott, der Junge ist Captain geworden, der erste Sergeant der Armee, der es zum Captain gebracht hat. Niemand kann mir Mary und die Kinder ersetzen, aber ich hoffe, sie brauchen einen ausgedienten Sergeanten zu irgendetwas bei der Armee. Vielleicht kann ich ihre Pferde versorgen und seins dazu. Seht ihr, ich habe es gewusst, dass Murdock niemals etwas Schlechtes tun konnte. Und nun ist er Captain, der kleine Bursche, dem ich beibringen musste, was ein Befehl bedeutet. Dies ist ein stolzer Tag für uns alle. Wenn ich noch mal neben dir reiten dürfte, Captain, das wäre mein schönster Tag. Einmal noch neben dir reiten, Captain …«
*
Es war brütend heiß in Tucson. Staub zog über Pferde und Reiter, als die Schwadron in die Stadt einritt, der Captain voran, dann der Mastersergeant Hartney Shelby neben dem Bullen Roscoe. Eine Schwadron auf dem Ritt zu ihrem neuen Standort an der Grenze – Fort Mason.
Aus den beiden Saloons stürmten die Menschen – vor dem Hotel hielt eine Kutsche, aus der Tür trat ein Mann und legte die Hand über die Augen. Dann hörte er einen erstickten Seufzer hinter sich und sah sich hastig nach seiner Tochter um.
»Mein Gott, er!«, sagte Elena Pearson ganz dünn und zittrig. »Vater – er kommt!«
Der Captain nahm langsam den Kopf herum.
»Mastersergeant Shelby …!«
»Sir?«
»Führen Sie weiter!«
»Befehl, Sir!«
Der Captain trieb sein Pferd nach links, hielt vor dem Vorbau an und stieg langsam ab. Seine Männer schielten alle, sie mussten dringend zum Augen-Doc. Roscoe hielt die Luft an und wartete, was nun passieren würde. Er wusste, dass die Pearsons mit dem Colonel gerade über den Verkauf von Pferden verhandelt hatten und der Colonel sicherlich einige Erklärungen zum Fall des Verräters McCallum abgegeben haben würde.
Der Captain blieb drei Schritt vor den Pearsons stehen und nahm den Hut ab. Nun war er Captain und musste zu oft einen Hut tragen.
Er schwieg, der baumlange Captain, er sah zuerst Charles Pearson an. Dann ließ er kein Auge von dessen Tochter.
»Ich habe Ihnen einen Brief geschrieben, Mister Pearson«, sagte der Captain, sah aber nur das Mädchen an. »Darf ich fragen, ob der Inhalt Ihrer Tochter bekannt ist, Sir?«
»Ja, Captain, er ist bekannt«, röchelte der Alte, als müsste er ersticken. »Ich hoffe, Sie haben meine Antwort erhalten.«
»Das habe ich«, murmelte der Captain. »Aber ich hatte vergebens auf das versprochene Schreiben Ihrer Tochter gewartet, Sir.«
»Sie – Sie hat es Ihnen persönlich sagen wollen, Captain, sobald Sie in Fort Mason stationiert sind.«
»So? Nun, Sir, manchmal bin ich ungeduldig und kann nicht warten. Deine Antwort, Elena!«
Sie wird rot und blass, dachte Roscoe, Teufel auch, man kann nicht verstehen, was sie sagt, aber – sie rennt auf ihn zu und wirft sich in seine Arme! Na, also! Als Captain braucht er keine Heiratsgenehmigung mehr und kann eine Frau auch ernähren. Sie wird ihm eine prächtige Frau sein, wette ich. Ist doch klar, dass sie bei uns wohnen wird, bis er in zehn Jahren seine Dienstzeit herum hat. Das hat er ihr zur Bedingung gestellt – entweder heiraten und bei ihm leben, oder zehn Jahre warten! Sie müsste ja verrückt sein, wollte sie zehn Jahre auf ihn warten!
Roscoe blinzelte verstohlen zu Shelby hinüber, dachte Shelby jetzt an seine Frau, oder? Nein, Shelby lächelte still vor sich hin. Vielleicht wusste er mehr als andere, was Glück bedeutete, denn es konnte so schnell wieder fort sein, verflogen wie Spreu im Wind – oder Asche einer verbrannten Ranch …
– E N D E –