Читать книгу Körper in Trance - Gilles Michaux - Страница 9

2 Atem-Rhythmisierung oder Wie man die Atmung in Fluss bringt

Оглавление

Der Atmung und ihrer Regulierung kommt bei praktisch allen Entspannungsverfahren eine besondere, oft übergeordnete Bedeutung zu. Dies hat damit zu tun, dass über die Atmung eine Regulation wichtiger Körperfunktionen, insbesondere des körperlichen Stresssystems möglich ist. Deshalb soll hier zunächst auf das grundlegende Prinzip der kontrollierten Atmung, sprich Atem-Rhythmisierung, eingegangen werden.

Die Atemfunktion wird genau wie etwa der Herzschlag und der Blutdruck vom lebenserhaltenden vegetativen Nervensystem völlig autonom geregelt und an den Bedarf angepasst. Das geschieht über die zwei Äste des vegetativen Nervensystems, den aktivierenden Sympathikus und den desaktivierenden Parasympathikus. Anders aber als die kardiovaskulären Prozesse, die nicht willkürlich steuerbar sind, können wir den Rhythmus der Atmung, Atemfrequenz und -tiefe, bis zu einem gewissen Grad auch willentlich beeinflussen, z. B. beim Singen, Spielen eines Blasinstruments oder Kraulschwimmen.

Da die Atmung über verschiedene Nervenschaltungen mit dem Herzkreislauf gekoppelt ist, führt eine bewusste Modulation des Atmens auch zu einer veränderten Herzfrequenz. Das Ausmaß dieses Einklangs zwischen Herzschlag und Atemzug bezeichnet man als Herzkohärenz. Beim Einatmen beschleunigt sich der Herzschlag relativ zur Ausatmung, während derer er sich wieder beruhigt. Auf diese Weise lässt sich durch eine ruhigere und gleichmäßigere Atmung auch eine Ruheeinstellung der Herzschlagrate bewirken. Das Gesagte gilt auch für zentralnervöse Prozesse, das heißt die Gehirnaktivität und ihre Beruhigung. Interessanterweise besteht zwischen einer entspannten mittleren Atemfrequenz von 0,1 Hertz (Hz) mit sechs Atemzügen pro Minute, einer durchschnittlichen Herzschlagfrequenz von 1 Hz mit 60 Schlägen pro Minute und einer entspannten Hirnwellenfrequenz im mittleren Alphawellenbereich von 10 Hz sogar ein perfekter mathematischer Zusammenhang (vgl. Zaccaro et al. 2018).

Im Gegensatz zu passiveren Entspannungsmethoden wird bei der Dynamischen Relaxation nicht ausschließlich eine Verlangsamung der Atmungsrate zu bewirken versucht, sondern auch der bewusste Wechsel zwischen körperlicher Aktivierung und Deaktivierung eingeübt. Nun wird aber nicht nur die Reglung der Atemfrequenz aktiv trainiert, sondern auch die Atemtiefe, wobei der Fokus auf die Zwerchfell- bzw. Bauchatmung gelegt wird. Das Zwerchfell ist ein Atemmuskel, der unter der Lunge in der Bauchhöhle liegt und bei Anspannung dazu führt, dass die Lungenflügel nach unten gezogen werden und somit die Atemluft eingesogen wird. Es ermöglicht zusätzlich zur Brustkorbatmung ein ausgeprägtes und zugleich freieres Einatmen.

So liegt eine Besonderheit der in Kapitel 3 behandelten Dynamischen Relaxation in dem gezielten Atemanhalten bei einigen Übungen, insbesondere den speziellen Atemübungen Nr. 1 bis 4 (siehe Kap. 3.1.2). Hierdurch soll das Pausieren der Atmung zwischen Ein- und Ausatmen eingeübt und auf diese Weise der Lunge Zeit für ihre eigentliche Aufgabe, den Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid, gelassen werden. Zugleich soll so ein Hyperventilieren vermieden werden, das heißt ein zu schnelles und übermäßiges Ein- und Nachatmen ohne Atempause, was den Gashaushalt im Körper sensibel stören und zu starker Erregtheit führen kann. Als Nebeneffekt des Atemanhaltens tritt dagegen innere Ruhe auf. Nicht umsonst sagt deswegen der Volksmund »Halt mal die Luft an!«, wenn gewünscht ist, dass jemand sich beruhigt.

Mit dem Atemanhalten ist dabei lediglich eine Atempause ohne jedwedes muskuläre Zutun gemeint, ein ganz sanftes Innehalten beim Atmen, das komplett entkrampft erfolgen sollte. Dabei ist jegliche Form von Pressatmung gerade auch beim Ausatmen zu vermeiden. Der Atem sollte bei der Ausatmung durch Nase oder Mund herausströmen, wie bei einem Luftballon, bei dem die Luft herausgelassen wird. Die Pause sollte nur wenige Sekunden respektive so lang sein, wie es sich angenehm anfühlt. Schließlich trainieren wir mit dem Ziel der Entspannung und nicht fürs Freitauchen. Dennoch sollten Personen, die sich in Rehabilitation etwa nach einem Infarkt befinden, auf die Gefahr einer möglichen Pressatmung hin diese Übungen nur nach sorgfältiger ärztlicher Abklärung durchführen.

Das von Caycedo vorgeschlagene Atmungsprinzip wird im Französischen mit dem Kürzel I. R. T. E. R. zusammengefasst, abkürzend für inspiration, rétention, tension, expiration und relaxation – auf Deutsch: Einatmung, Atemanhalten, Spannung, Ausatmung und Entspannung. Zur besseren Einprägung sei hier ein entsprechendes Akronym für die deutschen Begriffe vorgeschlagen, und zwar EASAE mit:

E wie EINATMEN
A wie ATEM ANHALTEN
S wie SPANNUNG
A wie AUSATMEN
E wie ENTSPANNEN

Das Ganze ausgesprochen als ease-aye, wie die Kombination aus dem englischen Wort ease für Ruhe oder Leichtigkeit, und aye, dem schottischen Ja. Ein »Ja« zur Leichtigkeit und Ruhe!

Bei einigen Übungen der Dynamischen Relaxation werden die dazugehörigen Bewegungen an die beschriebenen Atemphasen angepasst. Im Zuge dieser Atemsynchronisierung wird dabei das Atmungsprinzip geradezu beiläufig gelernt und verinnerlicht. Durch die atem- und kreislaufaktivierenden Komponenten der Dynamischen Relaxation wird deren Wirkung im Anschluss an das Üben in aller Regel eher dynamisierender erlebt als die von statischeren Entspannungstechniken, was vor allem auf die durch das Atemanhalten verlängerte Einatmungsphase und die physiologisch damit – wie oben beschrieben – gekoppelte Akzeleration der Herzschlagfrequenz zurückgeht.

Einprägsamer wird das Prinzip, wenn man sich das Atmen bildhaft wie ein Dreieck oder Rechteck vorstellt, bei dem Ein- und Ausatmen den zwei Schenkeln bzw. Längen und die Atempausen als Zwischenbereich der Basis respektive der Breite entspricht. Durch Anpassung des Verhältnisses von Ein- zu Ausatmungszeit und Atempause und deren entsprechender Dauer können damit sogar gezielt spezifische Körper- und Bewusstseinszustände erzeugt werden, z. B. innere Beruhigung und zugleich mentale Fokussierung durch Dreiecksatmung oder rechteckige Atmung (siehe Abb. 3). Diese Atemmuster dienen explizit nicht der Tiefenentspannung, was beispielsweise durch verlängerte Ausatmung über 6 Sekunden gegenüber 4-sekündiger Einatmung zu erzielen wäre, sondern der Förderung der vegetativen Balance und Steigerung der Geistesgegenwärtigkeit.


Abb. 3: Dreieckiges, rechteckiges und quadratisches Atemmuster; E = Einatmen, A = Ausatmen und P = Atempause

Zur Gedankenkontrolle im Sinne des Umgangs mit störenden Gedanken etwa bei der Meditation kann zudem die Atmung im Quadrat praktiziert werden. Dies sollte aber nur geführten Meditationen oder Geübten vorbehalten bleiben.

Das Verhältnis von Einatmungszeit, Atempause und Ausatmungszeit ist bei den einzelnen Atemmustern wie folgt:

Dreiecksatmung 4:2:4 Sek.
Rechteckige Atmung 3:2:3:2 Sek.
Quadratische Atmung 3:3:3:3 Sek.

Auch im AT spielt die Atmung eine besondere Rolle, wobei hier durch eine spezifische autosuggestive Formel die Atmung in eine entspannte, ruhige und gleichmäßige Form gebracht werden soll (siehe Kap. 4). Anders als bei der Dynamischen Relaxation wird hierbei das Atemmuster nicht über getaktete Atmungszyklen eintrainiert, sondern soll sich aufgrund der mentalen Einstellung auf die Atemformel in ganz natürlicher Weise ergeben. Mit »ruhig« ist dabei die Atemfrequenz mit weniger als 10 Atemzügen pro Minute gemeint und mit »gleichmäßig« das Verhältnis von Ein- zu Ausatmungsvolumen – und nicht Ein- zu Ausatmungszeit! Beim Ausatmen besteht ein leichter Widerstand aufgrund der Beschaffenheit der Atemwege, wodurch wir bei einem Atemzug durch die Nase mehr Luft einatmen als wir in derselben Zeit und vor allem bei leicht geschlossenen Lippen, der sogenannten Lippenbremse, ausatmen können. Um das gleiche Maß an Luft ausatmen zu können, wie wir eingeatmet haben, bedarf es deshalb einer längeren Ausatmungs- als Einatmungszeit. Dies ist, was mit der Vorgabe der Gleichmäßigkeit bei der Atemformel beim AT gemeint ist (siehe Kap. 4).

Körper in Trance

Подняться наверх