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Kapitel 10

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Herbst 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Als Ali Ibn al-Ḥawwās den Rabad verließ, um nach Qasr Yanna zurückzukehren, wollte Nadira keine Gabe für sich, obwohl ihr der Qā’id den Mond versprochen hatte. Schließlich forderte Nadira nach tausend Beharrungen, ihr eine Kopie des Textes des Dichters Mus’ab zu geben, da er mehr zu ihr gehörte als zu den anderen. Baschir, der Wesir, schrieb dann eilig diese Worte auf ein Blatt von edlem Papier, das aus den Fabriken von Balarm kam.

Nadira hatte nicht viel Übung im Schreiben und musste sich an den Imam47 des Rabad wenden, der das ungeduldige Mädchen nach drei Tagen Lesen und Wiederlesen der Poesie, wegjagte. Sie hatte in der Zwischenzeit alle diese Verse auswendig gelernt, und infolgedessen erlernte auch die Dienerschaft bald viele der Worte, die ihre Herrin in ihrer Gegenwart rezitierte. “Kennst du, oh mein Herr, den Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen?”, das war der Vers an den man sich am häufigsten erinnerte.

Wie man sich vorstellen konnte, verstreuten sich die Nachrichten über die bevorstehende Hochzeit zwischen Nadira und dem Qā’id mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit auch außerhalb Umars Haus. Unter den Menschen im Rabad entstand darüber eine so große Begeisterung, dass das Mädchen nicht selten mit der Verlegenheit konfrontiert war, den Verneigungen und Unterwerfungen von Menschen, mit denen sie sogar aufgewachsen war, beizuwohnen. Und schließlich erreichte die Nachricht vom “Himmel von Nadira” und der Hochzeit des Mädchens mit dem Qā’id auch das Haus, in dem die Christen des Rabad lebten.

Eines Tages rief das Familienoberhaupt Alfeo, ein armer Mann, der zwanzig Jahre älter aussah als er war, alle seine Kinder an den Tisch. Es war Mittagspause und an diesem Tag waren auch Apollonia und ihre Mutter Katharina den Männern in den Gemüsegarten gefolgt, um zu helfen und um mit der Familie zu essen, ohne auf den Abend warten zu müssen. Alfeo und Michele waren gerade damit fertig, den Gemüsegarten mit den Brokkoli zu bewässern. Beim Schließen der Schotte des Saqija48, das durch das Land ging, legten sie die Hacke beiseite, um zu essen. Michele pfiff Corrado zu, der seit dem Morgen im Shaduf49 war, um Wasser aus dem Gabiya50 zu schöpfen; um die kleinen Kanäle und Gemüsegärten zu versorgen.

Katharina kochte Ziegenmilch in einem großen Topf und Apollonia warf Holz in das Feuer, als Alfeo alle zusammenrief und bat sich an den Tisch unter dem Dach des ländlichen Treffpunkts zu setzen. Zahlreich und oft nicht weit voneinander entfernt, waren die über die Bezirke der Insel verstreuten Bauernhöfe und die einfachen Unterkünfte für die Bauern, da die Sarazenen von Anfang an den intensiven Anbau von den Kleinbauern gefordert hatten.

Jetzt hatte er sie alle vor sich, Corrado, Michele und Apollonia, während seine Frau noch mit der Zubereitung des Essens beschäftigt war. Alfeo hatte erst vor einem Tag die Neuigkeit über Nadira erfahren. Er hatte gehört, wie seine Jungen darüber sprachen und dass Apollonia das blauäugige Mädchen bewunderte. Deshalb konnte er als Vater nicht anders, als darüber nachzudenken, wie die Zukunft seiner drei Kinder aussehen würde.

“Umars Schwester wurde dem Qā’id als Frau versprochen.” er zögerte und überbrachte ihnen die Nachricht, die sie alle schon kannten.

“Vater, man spricht überall darüber!” antwortete Corrado.

“Der Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen.”” fügte Apollonia hinzu, während sie ihre Hände rieb, um den Schmutz der Kohle zu entfernen, der sich auch in ihrem Gesicht befand. Es war noch schwärzer, ohne dass sie es gemerkt hatte.

„Tochter, es müsste auch einen Qā’id für dich geben.“

“Vater, was sagt Ihr da?” fragte Apollonia verwirrt, verlegen und überrascht.

“Einen christlichen Qā’id natürlich.” setzte Alfeo seine Überlegungen fort.

“Es gibt keinen christlichen Qā’id.” sagte Katharina, die so viel von ihrem Aussehen und ihrem Charakter an die Tochter vererbt hatte, nun aber leider deutlich von Alter und Armut gezeichnet war.

“Natürlich keinen Qā’id, aber ich möchte trotzdem eine gute Partie für Apollonia finden.”

“Vater, für mich ist es in Ordnung, so wie es ist!” erklärte das Mädchen und sah einen Moment Corrado an.

Die Angst, sich von der Familie und damit von ihrem Bruder trennen zu müssen, quälte sie seit Jahren. Doch nun, da sich diese Vorstellung im Willen ihres Vaters zeigte, fühlte sie sich unfähig, sich selbst zu verteidigen. Ihre einzige Waffe wäre es gewesen, ihre Gefühle zu Corrado zu offenbaren… eine Möglichkeit, vor der sie noch mehr Angst hatte.

„Rede keinen Unsinn! Für niemanden ist es in deinem Alter “so in Ordnung”. Corrado und Michele werden für dich einen Ehemann finden… einer, der auf dem Markt verfügbar ist, natürlich… keinen Qā’id…, sondern den Besten von denen, die Sie finden. Ich habe eine einzige Tochter, und ich möchte das Beste aus dieser Situation herausholen.“

“Aber Vater, was denkt Ihr, wie könntet Ihr Euch das leisten? Habt Ihr bemerkt, welche Kleidung wir tragen?” sagte Michele polemisch, während er sich erhob und die Risse und Flicken auf seiner Tunica zeigte.

„Apollonia ist eine schöne Frau und es gibt nichts, worum sie Umars Schwester beneiden müsste. Wenn es nicht um die Fetzen ginge, die wir uns leisten können, hätte sie auch einen Qā’id gefunden.” endete Alfeo zornig.

“Ihr sprecht mit dem Herzen eines Vaters, aber alles, was ich für mich wünsche, liegt wirklich zwischen diesen vier Wänden.” erklärte Apollonia, streichelte die Hand ihres Vaters und veranlasste ihn, sich zu beruhigen.

Dann versuchte sie, Corrado nicht anzusehen, aus Furcht, er könnte verstehen, auf was und wen sich ihr letzter Satz bezog.

“Okay, Vater, sagt uns, wenn Ihr jemanden im Kopf habt, und ich und Michele werden das schon schaukeln.”

Diese Worte aus Corrados Mund zu hören, war für Apollonia ein Stich ins Herz. Sie hatte jahrelang gehofft, dass ihr Bruder für sie etwas empfinden könnte, das über die in zwanzig Jahren des Zusammenlebens gewachsene Zuneigung hinausgeht. Sie hatte gehofft, dass er sie verstehen würde, ohne dass sie sich ihm offenbaren müsste. Sie hatte sich ein Traumbild geschaffen und jetzt stürzte das ganze Schloss in sich zusammen. Von nun an verlor sich ihr Blick ins Leere und sie starrte auf einen unbestimmten Punkt an der Tür.

“Ich habe unter den Christen von Qasr Yanna niemanden gefunden, der unsere Situation durch die Hochzeit mit Apollonia verbessern könnte.“

“Alessandro! Ich habe selbst gesehen, wie er sie umwarb.» schlug Michele vor.

“Er ist ein Frauenheld.”, erklärte Corrado.

“Und was interessiert uns das?” fragte Michele.

“Das ist wichtig, weil Laster teuer sind.“

“Gut gesagt, Corrado. Und dann hat er bereits dreimal versucht, mich auf dem Markt zu betrügen. Nein, keiner aus Qasr Yanna. Ich möchte, dass ihr nach dem Christoúgenna51, wenn die Erde nicht bearbeitet wird, in den Iqlīm von Demona geht, wo die Menschen immer noch Griechisch kennen und in den meisten Fällen Christen sind. Geht dorthin und findet einen Mann für Eure Schwester… und denkt dann auch an Euch.”

Corrado und Michele sahen sich an und lachten einen Moment später bei dem Gedanken, sich eine Frau suchen zu müssen.

“Corrado, du warst schon mal dort; was weißt du über die Mädchen?“ fragte Michele enthusiastisch.

“Ich war erst neun Jahre alt.”

“Aber du wirst dich doch an die Frauen erinnern…”

“Ich erinnere mich an die Bewohner von Rametta52… helle Haut und Haselnuss-Augen!”

“Genug!” schalt Alfeo und sagte:

„Wie oft habe ich euch gesagt, dass ihr nicht über diese Jahre sprechen sollt? Corrado ist es, als wäre er in diesem Haus geboren worden!”

Dann tauschten die beiden Jungen einen wissenden Blick aus: Auf Michelles Geste, die auf seine Brust zeigte, antwortete Corrado, indem er mit beiden Händen gestikulierte, um darauf hinzuweisen, dass die Brüste der Mädchen des Iqlīm von Demona üppig waren. Apollonia hatte es bemerkt; es war zu viel! Sie lief ohne Erklärungen und in Tränen aufgelöst hinaus. Sie versteckte sich hinter den Gemüsegärten auf einer Sumach Plantage. An diesem Tag aß sie nicht und als Corrado nahe an ihr vorbei ging, weil er sie suchte, duckte sie sich vorsichtig, um nicht entdeckt zu werden.

Der Himmel Von Nadira

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