Читать книгу Die Leiche im Hühnermoor - Gisela Garnschröder - Страница 7

Оглавление

II

Herzhaft gähnend öffnete Hauptkommissar Tann die Tür zu seinem Büro im Kommissariat an der Herzebrocker Straße und setzte als Erstes die Kaffeemaschine in Gang. Erst danach schaltete er den Computer ein und sah flüchtig die Post durch. Er war völlig übermüdet. Vor drei Tagen war seine Frau mit dem Erstgeborenen aus dem Krankenhaus zurückgekommen und seitdem gab es in seinem Hause keine ruhige Nacht mehr. Das kleine Windelbündel hatte es geschafft, seine Eltern mit seiner durchdringenden Stimme zu steter Wachsamkeit zu zwingen. Fahrig goss er sich einen Kaffee ein und studierte gerade die Bilder des Polizeifotografen von der Moorleiche, als sein Kollege Alfons Weiß hereinkam.

»Na, wie geht es der jungen Familie?«, sprudelte er schmunzelnd heraus und nahm sich ebenfalls einen Kaffee.

Tann grinste. »Hervorragend! Mutter und Sohn wohlauf, Vater k.o.«

Weiß fuhr sich durch sein struppiges, rotes Haar und stichelte freundschaftlich: »So muss das sein! Warum soll es dir besser gehen als anderen? So ein Wonneproppen macht die Nacht zum Tag.«

»Trotzdem ist es ein irres Gefühl, so einen Winzling im Arm zu halten«, lächelte Tann versonnen und schenkte sich erneut Kaffee ein.

Einen kurzen Moment war es still, bis Alfons Weiß sich nach dem neuen Fall erkundigte.

»Morgen bekomme ich den Bericht der Rechtsmedizin. Die Leiche lag einige Tage im Moor, das ist sicher«, sagte Tann, fischte aus seinem Ablagekörbchen ein Schreiben und reichte es Weiß.

»Was ist mit dieser Lehrerin, die die Leiche gefunden hat?«, hakte Weiß nach, nachdem er den Text gelesen hatte.

»Eine merkwürdige Person, behauptet, schon zwei Tage vorher das Bündel gefunden zu haben. Anstatt die Polizei zu rufen, hat sie erst abgewartet, dadurch sind uns sicher wichtige Spuren verloren gegangen«, ärgerte sich Tann.

»Hast du sie überprüfen lassen?«

Tann nickte. »Keine Auffälligkeiten. Neunundvierzig Jahre alt, früh pensioniert, eine von diesen alten Schachteln, die immer alles besser wissen, aber ansonsten harmlos sind.«

»Alte Schachtel? Mit neunundvierzig? Das solltest du mal meiner Schwester erzählen, sie würde dich lynchen«, lachte Weiß. »Gibt es sonstige Anhaltspunkte zu der Getöteten, Freunde, Familie?«

Tann stand auf, ging ans Fenster, öffnete es weit und sah hinaus. »Die Familie wohnt in Bad Oeynhausen, die Vernehmung wird dort vor Ort gemacht. Sie wohnte zusammen mit ihrem Freund in Harsewinkel in einer gemeinsamen Wohnung. Sein Alibi ist absolut wasserdicht. Die Kleine war Kellnerin im Stadtcafé. Vielleicht können wir dort etwas erfahren.«

»Ich mache mich gleich auf den Weg«, kündigte Weiß an, ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und schlug grinsend vor: »Mach heute früher Schluss, frisch gebackene Väter werden zu Hause gebraucht!«

Tann seufzte tief und dachte etwas wehmütig, aber voller Stolz an seinen Sohn, der mit Inbrunst nach seiner Mutter schrie, bis sie ihn an die Brust nahm und seinen Hunger stillte.

Die Sonne stand hoch am Himmel, als ich erwachte. Es war bereits neun Uhr und vom Hof her hallten die Geräusche des laufenden Traktors. Schnell sprang ich aus dem Bett und eine Stunde später saß ich im Wagen, fuhr am Flughafen vorbei in Richtung Gütersloh.

Mein erster Weg führte vom Parkplatz neben dem Wasserturm zum Eiscafé am Dreiecksplatz. Ich bestellte einen Kaffee und musterte die drei Kellnerinnen. Die hatten dunkles Haar. Nach einiger Zeit erkundigte ich nach ihrer Kollegin mit den blonden Haaren, die vor einem Jahr hier bedient hatte. Die Serviererin vor mir klimperte mit ihrer Geldtasche und schüttelte bedauernd den Kopf.

»Blond? Wir haben keine Blonde, wir sind alle brünett«, entgegnete sie mit leichtem Akzent und schaute dabei ratlos zu ihrer Kollegin hinüber, die hinter der Theke gerade Spaghetti-Eis presste und es mit rotem Erdbeersaft und Kokosflocken verzierte. Kurz darauf gesellte sich diese zu uns und ich wiederholte meine Frage nach der Blondine.

»Bestimmt eine Aushilfe«, sinnierte sie, hob den Kopf in den Nacken, als schaue sie den Tauben nach, die über den Platz hinwegflogen, und nach einigem Nachdenken fuhr sie fort: »Ich weiß jetzt, wen Sie meinen könnten. Es war bestimmt Manuela. Sie ging noch zur Schule, hatte so rote Hänger in den Ohren.« Sie stieß ihre Kollegin an und beide bemühten sich, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.

Unter Prusten und Kichern erzählten sie mir dann, dass ein blondes Mädchen ausgeholfen habe und plötzlich ein Gast einen ihrer Ohrringe im Eis entdeckt habe. Nach seiner Beschwerde habe der Chef Manuela sofort gekündigt.

»Können Sie mir den Ohrring beschreiben?«

Sie nickte. »Rot war er, wie ein Tropfen, der an einer kleinen Kette baumelte. Ich glaube, es war ein Granat.«

In diesem Augenblick rief jemand und die beiden Mädchen schwirrten kichernd davon, um neue Gäste zu bedienen. Ich rührte gedankenverloren in meinem Kaffee und betrachtete dabei einen Gärtner, der dem Rasen auf dem Dreiecksplatz einen neuen Schnitt verpasste. In der Annahme, mehr zu erfahren, zahlte ich an der Kasse und erkundigte mich bei einem Herrn, der seine schwarzen, dichten Haare modisch mit hellen Strähnen aufgepeppt hatte und allem Anschein nach der Chef war, ob die blonde Kellnerin, die in den Sommerferien bedient hatte, gerade Urlaub machte.

»Blond?« Er kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und blockte ab: »Eine Blondine haben wir hier nicht beschäftigt.«

»Ich bin im vorigen Jahr von ihr bedient worden«, beharrte ich.

»Bedaure, Madame, das kann sich nur um einen Irrtum handeln«, wiegelte er ab, drehte sich abrupt um und kümmerte sich, ohne ein weiteres Wort an mich zu verschwenden, um die Befüllung des Sahneautomaten.

Einen Moment lang zögerte ich, dann ging ich schnellen Schrittes davon. Warum wollte der Besitzer der Eisdiele mir keine Auskunft geben? Nachdem die beiden Kellnerinnen mir den Namen Manuela genannt hatten, war ich sicher, dass ich mich nicht irrte und sie hier gearbeitet hatte.

Nachdenklich flanierte ich durch die Stadt und plötzlich stand ich, ganz ohne es zu wollen, vor Kirsten Vollmanns Tür und klingelte.

Kirsten war natürlich nicht zu Hause, aber eine freundliche Sekretärin öffnete, bat mich herein und verkündete fröhlich: »Frau Vollmann wird jede Minute zurück sein.«

Ich setzte mich in den kleinen Sessel neben der Tür und stellte erstaunt fest, dass seit meinem letzten Besuch nicht nur die Bürokraft, sondern auch noch einiges andere neu war.

Kirsten kannte ich seit unserer gemeinsamen Schulzeit. Sie hatte nach dem Abitur eine Ausbildung bei der Polizei gemacht, damals ein seltener Frauenberuf, den sie später wieder aufgab, um sich selbstständig zu machen. Vor zehn Jahren, als ich zur Einweihung von Kirstens Detektivbüro eingeladen war, hatte sie nur einen Raum mit einem Schreibtisch und einem Computer, mittlerweile waren es zwei verbundene Räume mit einer Glastür, die jetzt offen stand. Die Regale an den Wänden waren bis zur Decke mit Aktenordnern vollgestopft. Die Sekretärin saß, mit einem Kopfhörer versehen und ohne sich weiter um mich zu kümmern, vor ihrem Bildschirm und hämmerte wie wild auf den Tasten herum. Ab und zu drückte sie den Knopf des Diktiergerätes, spulte das Diktat zurück und verglich konzentriert das Geschriebene mit dem Gehörten.

Etwa eine Viertelstunde wartete ich und wollte gerade unverrichteter Dinge gehen, als Kirsten in einem sportlichen schwarzen Lederanzug hereinkam und mich herzlich umarmte.

»Elli, wie schön! Wartest du schon lange?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nur ein Viertelstündchen!« Mit einem anerkennenden Blick in die Runde fuhr ich fort: »Hier hat sich ja einiges verändert, da musste ich mich endlich mal sehen lassen!«

Kirsten zog mich am Arm durch die Glastür, schloss sie hinter sich und ließ sich hinter einem riesigen Schreibtisch aus Buche nieder, bot mir den Platz gegenüber an und nahm den Hörer ab, um bei ihrer Vorzimmerdame einen Kaffee zu ordern.

Ich sah mich um und stellte fest, dass dieser Raum ganz anders war als das Vorzimmer. Alle Möbel waren aus Buche, gegenüber der Tür lud eine gemütliche Sitzgruppe aus rotem Leder zum Verweilen ein und zu meiner Überraschung standen überall Blumen, rote Rosen wohlgemerkt.

Kirsten lachte plötzlich schallend. »Ich habe einen Verehrer, Elli. Man kann deinem Gesicht ansehen, dass du dir wegen der Rosen Gedanken gemacht hast.«

»Keine Spur«, sagte ich, doch das Brennen auf meinen Wangen verriet mich. Zum Glück erschien die Sekretärin mit dem Kaffee und ich wurde so einer weiteren Antwort enthoben.

Kirsten schenkte ein und als der dienstbare Geist verschwunden war, belustigte sie sich: »Es ist immer wieder schön, zu sehen, wie es im Gehirn anderer arbeitet, wenn bei einer alleinstehenden Frau Rosen den Raum verschönern.«

Ich führte umständlich die Tasse zum Mund und musste unwillkürlich lächeln. »Du hast recht, ich habe mir auch Gedanken gemacht und nun will ich wissen, was an der Sache dran ist!«

»Nichts, zumindest nicht das, was du denkst. Ich hatte bei Walter Mohrer, vom Blumengeschäft Mohrer, Gestecke für das Büro bestellt, und er empfahl Rosen, das ist alles.«

»Und Mohrer ist Familienvater mit Frau und drei Kindern!?«, scherzte ich und Kirstens schönes, dunkles Lachen erschallte erneut.

»Du könntest bei mir anfangen, deine Fragen locken selbst dem Verbocktesten noch ein Geständnis ab.«

»War nur so eine Vermutung«, lächelte ich und Kirsten nickte zustimmend.

»Womit du absolut recht hast, denn Walter ist seit Jahren geschieden und macht mir seit einiger Zeit eindeutige Angebote. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du deshalb gekommen bist, nach so langer Zeit. Was macht die Schule?«

Jetzt war es an mir zu lachen. »Nichts, ich habe den Job aufgegeben.«

»Was?« Ihre großen, grauen Augen sahen mich entsetzt an.

»Du warst Lehrerin aus Leidenschaft, Elli. Wie konnte das passieren?«

»Nun, eine kleine Erbschaft und ein Vertrag mit einem Übersetzungsbüro, schon hatte ich neue Pläne.«

Kirsten schüttelte tadelnd den Kopf und lehnte sich zurück, bevor sie sich zu einer Äußerung entschloss, die eher ein Statement war.

»Bei dir hat alles ein Ende. Erst die Verlobung, dann der Aufenthalt in Süddeutschland und zu guter Letzt deine Lehramtstätigkeit.«

»Du hast meine Ehe vergessen«, sagte ich lakonisch und der überraschte Ausdruck in ihrem Gesicht, ließ mich ergänzen: »Schau an, die beste Detektivin aus dem Kreis ist ahnungslos.«

Sie zog eine Schnute und erkundigte sich: »Also hast du Alfred doch noch geheiratet, oder?«

Ich winkte ab und berichtete ihr von meiner kurzen Ehe mit Norbert Vemo und endete mit dem Satz: »Ich habe seit zehn Jahren nichts mehr von ihm gehört.«

Kirsten stand auf, ging zu dem Schrank gegenüber, öffnete eine Tür, holte zwei Gläser und eine Flasche Sherry heraus, schenkte uns ein und prostete mir zu: »Auf dein bewegtes Leben!«

Ich nahm mein Glas und und fügte hinzu. »Und auf deine Detektei.«

In der nächsten halben Stunde unterhielten wir uns angeregt über ihren Beruf, was mich endlich dazu veranlasste, mein Anliegen vorzubringen.

»Du musst Alfred suchen!«, bat ich sie.

Dann erzählte ich ihr von dem Leichenfund, meiner Fahrt nach Singen und natürlich von dem Ohrring.

Sie lehnte sich weit zurück und fuhr sich mit beiden Händen durch ihre schwarze, schulterlange Mähne.

»Und du denkst, der Chef des Eiscafés verbirgt etwas?«

Ich nickte. »Die Kellnerin sprach von einer Manuela, die dort ausgeholfen hat und Granatohrringe trug. Der Chef kannte sie angeblich nicht.«

»Er ist Franzose und leitet das Café erst seit zwei Jahren. Vielleicht weiß er wirklich nichts. Die Mädchen werden oft von Marietta, seiner Partnerin, angeheuert. Außerdem ist ein Jahr eine lange Zeit, trotzdem müsste er sich eigentlich erinnern. Ich kenne ihn recht gut. Mach dir mal keine Sorgen, ich werde der Sache nachgehen.«

Wir unterhielten uns, bis ein Kunde von der Sekretärin gemeldet wurde, und verabredeten uns für die kommende Woche.

In den nächsten Tagen ergriff mich eine Rastlosigkeit, die ich mit allerhand Tätigkeiten auszufüllen versuchte, was mir jedoch nur schwer gelang. Selbst meine Schüler - ich gab regelmäßig Unterricht in einer Nachhilfeeinrichtung - bemerkten meine Zerstreutheit und Unruhe.

Edvina Schneeberg stand kurz vor dem Abitur und kam gewöhnlich zur Nachhilfe für Mathematik und Englisch. Sie hatte gute Fortschritte gemacht und würde das Abitur im nächsten Jahr ohne große Probleme schaffen. Edvina war Halbwaise und lebte mit ihrem Vater am Ohlbrocksweg, in einem alten, etwas heruntergekommenen Haus. Sie war fast immer allein, weil ihr Vater ständig auf Reisen war. Ich kannte den Mann nicht, war allerdings erstaunt, dass er seine Tochter so allein in dem Haus zurückließ. Edvina schien jedoch gut damit zurechtzukommen.

Als ich sie einmal nach ihrem Tagesablauf befragte, wiegelte sie ab: »Ich habe ›Big Man‹. Er ist den ganzen Tag bei mir und beschützt mich.«

Sie erzählte mir begeistert von ihrem Bernhardiner und ich verkniff mir jegliche Kritik an ihrem Vater, der aus beruflichen Gründen nur selten zu Hause sein konnte und seine Tochter, wie mir schien, zu oft allein ließ.

Heute strahlte sie vor Freude, weil ihr Vater zurückgekommen war und für eine Woche bleiben wollte.

»Dann wollen wir die Stunde nicht zu lange ausdehnen, damit du mit deinem Vater noch etwas unternehmen kannst«, spornte ich sie an und begann mit einem kurzen englischen Diktat.

Nach dem Unterricht fuhr ich zur Polizei, denn ich musste das Protokoll meiner Aussage vom Tag zuvor unterschreiben.

Wie erwartet, hatten die Beamten bisher nicht viel herausgefunden. Die Kontokarte auf den Namen Sonja Bonder hatte nichts Konkretes gebracht. Bei der Sparkasse existierte zwar ein Konto, es hatten aber schon längere Zeit keine Bewegungen mehr stattgefunden und die Anschrift, die bei der Sparkasse angegeben wurde, entpuppte sich als falsch. Allerdings war es den Polizisten gelungen, ein Foto der Toten zu bekommen, das am selben Tag veröffentlicht wurde, um eventuelle Zeugen zu finden.

Auf dem Bild sah die Frau der ehemaligen Kellnerin des Eiscafés sehr ähnlich und ich gab dem Beamten einen Hinweis, der ebenfalls zu Protokoll genommen wurde.

Es war schon spät, als ich an diesem Tag heimkam und überrascht feststellte, dass ich Besuch bekommen hatte. Vor meiner Haustür saß meine Freundin Marita Jonas auf den Treppenstufen. Sie hielt ihren Kopf weit nach hinten gebeugt und ließ sich von der Sonne bescheinen.

»Deine Schwägerin war sicher, dass du bald zurück sein würdest und hier können wir uns wenigstens nicht verfehlen«, lachte sie und folgte mir gut gelaunt ins Haus. »Du solltest eine Bank neben deinen Eingang stellen, dort ist es wunderschön in der Sonne.«

»Ich habe im Garten einen bequemeren Sonnenplatz«, schmunzelte ich, zeigte ihr die neue überdachte Terrasse und begleitete sie anschließend in das Gästezimmer im Obergeschoss.

Während Marita ihren Koffer auspackte, bereitete ich einen kleinen Imbiss vor und kurz darauf aßen wir draußen und genossen die Aussicht meines Gartens auf den angrenzenden Wald. Die Nachmittagssonne warf ihre Strahlen durch die Zweige der hohen Bäume und malte goldene Muster auf meinen Rasen.

Marita hatte sich zurückgelehnt und seufzte. »Herrlich hast du es hier. Wie hast du es nur so lange in Singen ausgehalten?«

»Singen ist auch sehr schön. Du wohnst schließlich da«, lächelte ich, während ich das Geschirr zusammenräumte.

»Ich bin dort geboren, das ist etwas anderes, du stammst von hier.«

Ich schwebte mit dem Tablett davon und überließ sie ihren Betrachtungen. Sie war schon häufiger für einige Tage mein Gast gewesen und ich war glücklich, dass sie unseren kleinen Disput mit keinem Wort erwähnte. Trotzdem war ich gespannt, welche Neuigkeit sie so überraschend zu mir geführt hatte.

Mit Gläsern und einer Flasche Wein ging ich zurück zur Terrasse, wo ich Maritas Platz verwaist vorfand. Bei einem Blick in die Runde entdeckte ich sie an meinem Kräuterbeet hinter dem großen Kirschbaum. Ich schenkte Wein ein und ging ihr mit dem Glas in der Hand entgegen.

»Dein Kräutergarten ist gut bestückt«, meinte sie anerkennend und nahm den Wein. Wir prosteten einander zu und gingen langsam zum Freisitz zurück.

»Bist du eigentlich gar nicht neugierig, was mich so kurz nach deinem Besuch zu dir führt?«, erkundigte sich Marita, nachdem wir unsere Plätze eingenommen hatten.

»Du wirst es mir sicher gleich erzählen«, gab ich vorsichtig zur Antwort, wohl wissend, dass ihre Eröffnung mich in irgendeiner Weise betreffen würde.

»Ich habe bei allen Haftanstalten in unserer Umgebung geforscht. Der Name Alfred Derfeld taucht nirgends auf. Wer auch immer damals in Haft war, Derfeld jedenfalls nicht, es sei denn, er wurde kurzfristig wieder entlassen, da werden die Daten wohl längst gelöscht sein.«

»Die Zeitungen haben berichtet, dass der Mann unter falschem Namen gelebt haben soll«, konterte ich matt.

Marita lachte hart auf. »Dein Derfeld lebte nicht unter falschem Namen oder?«

Ich rang die Hände und flüsterte: »Ich weiß es nicht.«

»Sagtest du nicht, dass ihr zwei Jahre zusammen wart?« Ich nickte und sie fuhr fort: »Na also, er hatte ein Bankkonto, eine Wohnung und bei eurem Urlaub einen Pass. Wenn irgendetwas daran gefälscht gewesen wäre, hättest du garantiert etwas gemerkt.«

»Und was ist mit dem Ohrring? Woher hatte er den?«

»Wenn es wahr ist, was er dir gesagt hat, dann hat ihm tatsächlich jemand einen bösen Streich gespielt.«

Ich zuckte resigniert die Schultern. »Du hast recht, ich hätte damals nicht so schnell aufgeben sollen, aber ich war verletzt und wütend, weil er mich belogen hatte. Wir sollten uns lieber mit dem neuen Mord beschäftigen. Die Polizei hat ein Bild der Toten veröffentlicht.«

»Vermisst denn niemand die junge Frau?«, fragte Marita und genoss den Wein in kleinen Schlucken.

»Davon gehe ich doch aus«, merkte ich an. »Sie hatte eine Bankkarte bei sich, auf der der Name Sonja Bonder steht. Ich habe vor einem Jahr eine Bedienung im Eiscafé am Dreiecksplatz gesehen, die denselben Ohrring trug wie die Tote. Die junge Frau war ebenfalls blond.«

»Wie ich dich kenne, hast du bestimmt nachgeforscht«, meinte Marita lächelnd und sah mich gespannt an.

»Der Chef des Cafés behauptet, eine Blondine habe nie bei ihm serviert.«

»Was dich zu besonderen Ermittlungen anspornen wird!«, grinste Marita und reckte sich ausgiebig, bevor sie fortfuhr: »Schade, dass ich nur kurze Zeit bleiben kann, die Sache interessiert mich.«

»Mir wäre es lieber, ich hätte die Tote nicht gefunden«, versicherte ich lakonisch und verteilte den letzten Wein in unsere Gläser.

Marita ging sehr früh zu Bett, weil sie nach dem Wein und der langen Fahrt müde war. Ich sah bis Mitternacht fern und war gerade eingeschlafen, als das Telefon mich aufschreckte. Einen Moment lang hörte ich nichts, nur den Atem eines Menschen.

»Hallo, wer ist denn da?«

Eine leise Männerstimme antwortete: »Oh, pardon, ich habe mich verwählt.«

Ich legte wütend auf und rollte mich in meine Decke, aber der Schlaf wollte sich nicht gleich einstellen. Im Nachhinein kam mir die Stimme merkwürdig vor, überbetont langsam und höflich. Vielleicht hatte sich der Mann gar nicht verwählt, sondern wollte nur testen, ob jemand daheim war. Lag es am Wein oder wirkte der Fund der Toten sich noch aus? Auf jeden Fall steigerte ich mich in eine solche Unruhe hinein, dass ich leise aufstand, mir einen Tee kochte und erst gegen drei Uhr in der Frühe in einen kurzen Schlaf fiel.

Diesmal war es nicht das Telefon, das mich weckte, sondern Schritte! Unten im Wohnzimmer lief jemand auf und ab. Dann war alles wieder still. Mit angehaltenem Atem lag ich im Bett, bis mir einfiel, dass Marita im Gästezimmer war. Sicher war sie ebenfalls aufgestanden, um etwas zu trinken. Ich wartete ein wenig ab und schlief dann endlich fest ein.

Am nächsten Morgen erschien Marita verschlafen am Frühstückstisch. »Meine Güte, ich habe geschlafen wie ein Stein.«

»Bist du nicht in der Nacht aufgestanden? Ich habe dich unten gehört.«

Sie zuckte die Schultern. »Mich mit Sicherheit nicht. Nach dem Wein und der Fahrt hätte man mich aus dem Bett klauen können, ich hätte es nicht bemerkt.« Sie gähnte herzhaft und ich berichtete ihr von meiner unruhigen Nacht.

»Es kann doch niemand herein. Oder hat noch jemand einen Schlüssel?«, wollte Marita wissen.

»Auf dem Hof gibt es einen Schlüssel, aber keiner meiner Verwandten würde auf die Idee kommen, hier des Nachts herumzuspazieren. Bist du sicher, dass du nicht aufgestanden bist, Marita?«

Marita sah mich empört an. »Erlaube mal! Ich weiß schließlich, was ich tue! Lass uns lieber nachsehen, ob etwas fehlt.«

Ich holte tief Luft. »Es fehlt nichts. Ich habe bereits nachgeschaut. Sogar die Haustür habe ich überprüft, sie ist unversehrt und abgeschlossen.«

Marita schmierte langsam und sorgfältig ihr Brötchen, biss herzhaft hinein und ich tat es ihr gleich. So saßen wir wortlos einander gegenüber, jede mit den Gedanken weit weg und erst nachdem wir beide ausgiebig gefrühstückt hatten, erklärte Marita: »Du hast ein wunderschönes altes Haus, mit viel Holz, da könnte es sein, dass die Geräusche vom Holz verursacht wurden. Dielen knarren manchmal durch Temperaturschwankungen oder Feuchtigkeit, dehnen sich oder ziehen sich zusammen.«

Ich nickte. »Daran habe ich ebenfalls gedacht. Vielleicht lag es auch an dem Telefongespräch, dass ich mich so aufgeregt habe.«

»Telefongespräch?« Marita sah mich erstaunt an.

»Du warst längst im Bett. Nach Mitternacht rief jemand an, er hatte sich verwählt.«

Wir standen auf, räumten gemeinsam den Tisch ab und plötzlich meinte Marita: »Du wohnst über ein Jahr hier im Haus. Wie ist es möglich, dass du sonst nie etwas gehört hast?«

Ich zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, in der Regel schlafe ich fest.«

»Dann sollten wir das Ganze vergessen. Sicher hat deine Wahrnehmung dir einen Streich gespielt.«

Marita nahm meinen Arm und wir gingen in den Garten.

In der nächsten Nacht schlief ich tief wie immer.

Am Morgen bedauerte mich Marita: »Du konntest wieder nicht schlafen, nicht wahr?«

»Im Gegenteil, ich habe von der Nacht nichts mitbekommen«, sagte ich, während ich die Frühstücksbrötchen in den Backofen legte.

»Nun mach mal einen Punkt. Ich habe dich gehört, sogar deine Schritte auf der Treppe.« Ich sah sie so entsetzt an, dass sie blass wurde. »Die Schritte haben vor meiner Tür angehalten, ich wollte dich rufen, habe es aber unterlassen«, brachte sie kleinlaut heraus.

Sie setzte sich an den Tisch und ich schenkte Kaffee ein. Sie führte die Tasse zum Mund und ihre Hand zitterte.

»Es war jemand im Haus, Elli. Ganz sicher.«

Der Duft frischer Brötchen verteilte sich langsam in der Küche, doch wir saßen am Tisch und es lief uns kalt über den Rücken.

»Gestern hast du das noch ganz anders gesehen«, flüsterte ich schwach.

Marita, deren Gesicht allmählich Farbe bekam, wisperte: »Tut mir leid, ich habe dir nicht geglaubt. Jetzt habe ich es selbst gehört. Du darfst auf gar keinen Fall allein hier im Haus bleiben!«

Ich stand auf, holte die Brötchen aus dem Backofen, stellte sie auf den Tisch und zerstreute Maritas Bedenken. »Von einem Geist werde ich mich garantiert nicht vertreiben lassen!«

Am Nachmittag, nachdem Marita abgereist war, untersuchte ich gründlich das Haus. Anschließend sprach ich mit meiner Schwägerin. Auch sie konnte sich die Geräusche nur als Dehnungsgeräusche im Holz erklären.

Gerda war nicht gut auf mich zu sprechen, weil sie erst aus der Zeitung erfahren hatte, dass ich im Hühnermoor eine Leiche entdeckt hatte.

»Dreimal war heute ein Reporter hier und hat mich gefragt, ob uns etwas aufgefallen sei, dabei liegt das Moor fast zwei Kilometer entfernt«, empörte sie sich. »Wenn du schon dort des Nachts Leichen aufstöberst, dann informiere uns bitte demnächst.«

Ich wollte keinen Streit und entschuldigte mich bei ihr, worauf sie leicht grinsend bemerkte: »Besser, du findest sie als ich.«

In dem Moment kam mein Bruder hinzu und machte seinem Ärger Luft. »Diese Reporter stöbern überall herum. Sie stiefeln rücksichtslos durch das Korn und zertrampeln mir die Äcker!«

Als Gerda ihm von den nächtlichen Geräuschen erzählte, fauchte er mich an: »Wenn ich eine Leiche ausgebuddelt hätte, würde ich ebenso an Halluzinationen leiden! Was stromerst du eigentlich im Dunkeln durchs Moor?«

Damit war für ihn das Thema erledigt und ich schlief in den nächsten Tagen trotzdem gut, denn die Geräusche traten nicht wieder auf.

Die Leiche im Hühnermoor

Подняться наверх