Читать книгу Die Leiche im Hühnermoor - Gisela Garnschröder - Страница 8

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III

Mittlerweile hatte die Polizei nähere Erkenntnisse zum Mordfall Sonja Bonder. Es handelte sich bei der Toten um eine junge Frau aus Bad Oeynhausen, die einige Zeit in Gütersloh gewohnt hatte. Die Eltern hatten ihre Tochter als vermisst gemeldet, weil sie seit Kurzem wie vom Erdboden verschwunden war. Ihr richtiger Name war Sonja Manuela Bonder, sie war zweiundzwanzig Jahre alt, blond und etwa ein Meter fünfundsiebzig groß. Sie hatte im Sommer des vergangenen Jahres in Gütersloh ein Praktikum bei der Stadtverwaltung absolviert.

Sofort nachdem ich diese Neuigkeiten erfahren hatte, machte ich mich auf den Weg zu Kirsten Vollmann.

Kirsten hatte mich schon erwartet und teilte mir mit, dass ihre Nachfragen im Eiscafé ebenso negativ verlaufen waren wie meine und rätselte: »Warum sollte ein Mädchen als Bedienung aushelfen, wenn es bei der Stadtverwaltung ein Praktikum macht?«

Ich nahm einen ihrer Reklamezettel zur Hand und sah nachdenklich auf den Spruch: ›Vor Vollmann ist kein Geheimnis sicher!‹

»Dein Spruch ist nicht unbedingt richtig. Zumindest Raouls Geheimnis hast du nicht gelüftet«, lästerte ich freundschaftlich.

»Es ist alles eine Frage der Zeit«, ging sie auf meinen Ton ein und zwinkerte mir zu. Sie holte einen Ordner aus dem Regal und zeigte mir ein Foto. »Ist das die Gesuchte?«

Ich sah verblüfft auf das Bild. Es war im Sommer aufgenommen worden. Vor einem Tisch mit mehreren Personen stand eine Blondine mit einer braunen, langen Schürze. Sie hielt einen Block in der Hand, um eine Bestellung zu notieren. Die junge Frau trug ihr Haar hochgesteckt und ein roter Ohrring hing ihr bis auf die Schulter.

»Woher hast du das?«

Kirsten grinste. »Mein Geheimnis! Das Bild wurde am Dreiecksplatz aufgenommen.«

»Ich sehe es. Also hat Raoul gelogen!«

Kirsten wiegte den Kopf bedächtig hin und her und die lange Kette aus grünen Steinen schwang auf ihrem Dekolleté sanft mit.

»Ich würde nicht behaupten, dass er gelogen hat. Ich würde eher sagen, es ist ihm entfallen.«

Ich starrte sie ungläubig an. »Du meinst, er hat es nur vergessen?«

»So könnte man es nennen. Es gibt Menschen, die streichen Dinge aus ihrem Gedächtnis, die ihnen unangenehm sind.«

Ich lachte auf. »Also wirklich, Kirsten! Du willst mir doch nicht weismachen, dass Raoul es vergisst, wenn er eine Bedienung rausschmeißt, weil sie einen Ohrring im Eisbecher verloren hat. Die Kündigung war durchaus legitim. Außerdem war das erst im vorigen Jahr!«

Sie sah mich überrascht an. »Sie hat einen Ohrring verloren?«

Ich nickte. »Eines der Mädchen erzählte von einer blonden Manuela, deren Ohrring von einem Gast im Eisbecher gefunden wurde. Sie ist daraufhin rausgeflogen. Es war genau so ein Ohrring wie der auf dem Foto.«

Kirsten stand auf, ging an ihr Barfach und holte zwei Gläser und eine Flasche Wasser heraus.

»Ich habe Durst. Möchtest du auch Wasser oder soll ich einen Kaffee kommen lassen?«

»Danke, ich nehme Wasser.«

Nachdem sie sich gesetzt hatte, sagte sie: »Ich habe mich bei einem Juwelier erkundigt. Den Ohrring auf dem Bild gibt es aus hochkarätigem Gelbgold mit einem eingefassten Granaten, ein Paar kostet etwa fünfhundert Euro.«

»Der Wert ist nicht so bedeutend. Wichtig ist, was das Mädchen in Gütersloh wollte und wo zum Teufel der andere Ohrring ist«, schärfte ich ihr ein.

Kirsten sah mich siegesgewiss an. »Wir werden es herausfinden!«

»Wenn du dabei genauso viel Glück hast wie bei der Befragung im Eiscafé, wirst du nichts herausbekommen«, erwiderte ich skeptisch.

Sie lachte. »Sei nicht so pingelig. Sicher kennt Raoul das Mädchen. Ich glaube sogar, er hatte ein Techtelmechtel mit ihr. Ist es da nicht verständlich, dass er sich unwissend stellt? Sie war im vorigen Jahr bei ihm. Soll er sich deshalb heute völlig unnütz von der Polizei ausquetschen lassen?«

»Und wenn er der Mörder ist?«, empörte ich mich.

»Das ist er nicht, da bin ich ganz sicher. Ich vermute eher, dass sie hier in der Gegend einen Freund hatte, der als Täter infrage kommt.«

Ich konnte ihr zwar nicht zustimmen, allerdings war ihre These nicht von der Hand zu weisen, außerdem hatte ich ohnehin eigene Vorstellungen vom Täter und der arbeitete nicht in einem Eiscafé.

Die Tage vergingen schnell. Es war schon wieder Dienstag und der Nachhilfeunterricht stand an. Edvina Schneeberg kam etwas später und ich widmete mich inzwischen zwei anderen Schülern, die gerade erst angefangen hatten, bis sie eine Entschuldigung murmelnd, hereinkam und ihre Utensilien ausbreitete.

Sie reichte mir ihr Heft zur Korrektur. Alle Schüler erhielten nach dem Unterricht von mir eine kleine Aufgabe, die sie möglichst selbstständig erledigen sollten. Sie sah mich gespannt an. Es war eine Zusammenfassung über ihren Tagesablauf, ähnlich einem Tagebuch in Englisch. Edvina hatte sich Mühe gegeben und ich hatte wenig auszusetzen. Mit ihrer schönen, klaren Schrift hatte sie einen fehlerfreien Text zu Papier gebracht, der bei einer Klassenarbeit mit Sicherheit eine gute Note bekommen hätte. Zwar war die Ausdrucksweise manchmal nicht ganz korrekt, aber ich war begeistert, wie sich meine Schülerin verbessert hatte.

»Das Abitur dürfte für dich kein Problem sein, Edvina«, lobte ich und erklärte ihr einige Feinheiten.

»Papa hat auch gesagt, es ist gut«, verriet sie fröhlich und warf ihr Haar zurück, sodass der rote Ohrring hin und her schwang.

»Du hast wunderschöne Ohrringe«, wechselte ich das Thema.

Edvina lächelte stolz. »Es ist nur einer, Frau Landner. Papa war in dieser Woche zwei Tage zu Hause. Gestern Abend musste er leider weg und heute Morgen, als ich die Zeitung geholt habe, lag ein Umschlag im Briefkasten, da war der Ohrring drin.«

Ich starrte sie an, wollte etwas antworten, überlegte es mir anders und besprach mit ihr stattdessen ihren Text. Sie bemerkte meine Unruhe.

»Ist etwas nicht in Ordnung? Sie sind so blass?«, erkundigte sie sich besorgt.

»Meine Migräne macht mir momentan zu schaffen. Es ist nicht so wichtig.«

»Sie sollten sich unbedingt untersuchen lassen. Meine Mutti hatte ständig Kopfschmerzen, und dann fanden die Ärzte heraus, dass es es ein Tumor war.«

Sie sah mich bei diesen Worten traurig an und ich stellte ihr die Frage, die mich seit Langem interessierte: »Wie alt warst du, als deine Mutter starb?«

»Dreizehn, aber sie fehlt mir bis heute.« Die direkte Antwort brachte mich in Verlegenheit, doch Edvina lächelte schon wieder. »In der ersten Zeit nach ihrem Tod bin ich jeden Tag zum Friedhof gegangen und habe ihr erzählt, was ich gemacht habe, wenn Papa nicht zu Hause war.«

Ich hätte sie am liebsten in den Arm genommen und mir wurde zum ersten Mal schmerzlich bewusst, dass es nie ein Kind geben würde, das so von mir sprach.

»Deinen Vater hat es sicher genauso schwer getroffen.«

Sie nickte nur schweigend und vertiefte sich nun intensiv in den Text, den ich ihr zum Durcharbeiten gegeben hatte.

An diesem Tag ging ich nach der Unterrichtsstunde einkaufen und kam spät heim. Mein Anrufbeantworter hatte eine Nachricht von Kirsten Vollmann gespeichert. Ich rief sie sofort an und erfuhr, dass die tote junge Frau, die ich im letzten Jahr im Eiscafé gesehen hatte, im Frühling im Stadtcafé bedient hatte.

»Man konnte sie nach dem Praktikum in der Stadtverwaltung nicht übernehmen. Sie hat dann kurzfristig bei ihren Eltern in Bad Oeynhausen gelebt. Im Frühling ist sie mit einem Freund zusammengezogen, der in Harsewinkel wohnt und hat dort bis zu ihrem Tod als Bedienung im Stadtcafé gearbeitet«, berichtete Kerstin.

»Merkwürdig, ich war erst vor einigen Wochen da, habe sie aber nicht gesehen«, murmelte ich nachdenklich.

»Vielleicht hatte sie Urlaub oder gerade ihren freien Tag, als du da warst«, meinte Kirsten. »Du könntest dich ein wenig umhören.« Ich versprach es. »Elli, ich muss jetzt leider auflegen, im Büro ist momentan der Teufel los!«, verabschiedete sie sich hektisch von mir.

Schade, denn ich wollte ihr von Edvinas Ohrring erzählen. Ich musste wohl oder übel auf einen günstigeren Zeitpunkt warten.

An diesem Abend blieb ich bis nach Mitternacht auf und schlief dementsprechend bis zum Morgen durch, unternahm einen weiten Spaziergang und kam zu Mittag zurück. Nach dem Essen las ich die Zeitung, schrieb einige längst fällige Briefe, duschte und kleidete mich sorgfältig an. Am Nachmittag wollte ich mich einmal richtig verwöhnen und machte mich gegen vier Uhr auf ins Stadtcafé. Mitten im Zentrum der Stadt in einer kleinen Sackgasse, berankt mit Weinlaub, lag das Café. Seele und Besitzerin war Karin Mann, eine reizende, etwas rundliche Mittfünfzigerin, mit freundlichen braunen Augen und einem umwerfenden Lächeln.

Als ich den gemütlichen Raum betrat, wählte ich den Tisch in der Fensterecke und bestellte Karins berühmte Preiselbeertorte. Während ich Kaffee und Kuchen genoss, beobachtete ich verstohlen die anderen Gäste. Zwei Herren mittleren Alters unterhielten sich angeregt. Die beiden Frauen, die an verschiedenen Tischen an ihrem Kaffee nippten, hatten sich in die Tagespresse vertieft und ein wenig abseits saßen vier ältere Damen, deren munteres Geplauder immer wieder durch ein Lachen unterbrochen wurde.

Die Kellnerin, eine dunkelhaarige Frau Mitte dreißig, klapperte mit dem Geschirr, als erwarte sie Heerscharen von Gästen. Leise Musik überdeckte sanft alle anderen Geräusche, wenn nicht gerade das helle Lachen vom Kaffeekränzchen herüberschallte.

Fast eine Stunde lang saß ich in meiner Ecke, rief dann die Bedienung und zahlte. Sie räumte mein Geschirr auf ein Tablett und ich schlüpfte in meine Jacke, als plötzlich Karin Mann auftauchte und mich herzlich begrüßte. Wir hatten uns lange nicht gesehen und ich begleitete sie in die Küche.

Als ich mich bei ihr nach der blonden Serviererin erkundigte, wurde sie ärgerlich und schimpfte: »Das sind die jungen Dinger! Erst betteln sie, dass man sie einstellt und wenn es darauf ankommt, bleiben sie einfach weg!«

Ich verriet ihr nicht, dass ihre Kellnerin tot war, das würde sie früh genug von der Polizei erfahren, und sagte nur: »Vielleicht gibt es nachvollziehbare Gründe, warum sie nicht zurückgekommen ist. Hast du nicht bei ihr angerufen?«

»Anrufen? Ich?«, empörte sie sich. »So weit kommt das noch! Ich habe die Papiere fertig gemacht und sie ihr zugeschickt. Hier will ich sie nicht mehr sehen. In letzter Zeit habe ich ohnehin nur Scherereien mit dem Personal!«

»Wieso? Hat das Mädchen etwas angestellt?«

Sie winkte entrüstet ab. »Unpünktlich war sie und eine Lügnerin obendrein! So etwas kann ich nicht gebrauchen! Ich erwarte von einer Arbeitskraft korrektes, ordentliches Verhalten.«

»Lügnerin, wieso?«

Karin machte eine abwertende Handbewegung. »Immer dasselbe. Kaum fangen sie an, wollen sie gleich einen freien Tag oder etwas eher gehen. Sie erzählte mir, sie habe einen Zahnarzttermin. Wenn du das Auto gesehen hättest, mit dem sie abgeholt wurde, wüsstest du, dass sie etwas anderes vorhatte.«

»Was war es denn für ein Wagen?«, hakte ich nach.

»So ein aufgeputzter Schickimicki-Schlitten, die Marke kenne ich nicht.«

»Vielleicht hat ihr Freund so einen Wagen«, warf ich ein.

»Auf keinen Fall«, hielt sie dagegen. »Der hat sie einmal vorbeigebracht, der machte einen vernünftigen Eindruck.«

»Und wie sah der Mann aus, der sie abgeholt hat?«

»Keine Ahnung, ich habe nur das Auto gesehen. Zum Zahnarzt sind die bestimmt nicht gefahren!«, ließ sie sich von ihrer Meinung nicht abbringen.

Zu Hause dachte ich noch einmal über ihre Worte nach und musste ihr recht geben. Sie lebte von den Gästen und kam nicht umhin, darauf zu achten, dass ihre Bedienung dem gehobenen Anspruch ihres Hauses gerecht wurde. Trotzdem wollte ich versuchen, mehr zu erfahren. Besonders interessierte mich, wer ihr Freund und wer die Person war, die sie vom Café abgeholt hatte.

Kirsten Vollmann hatte mir eine Adresse genannt und weil ich eine begeisterte Radfahrerin bin, machte ich mich abends auf den Weg, über den Golfplatz bis zum Berliner Ring. Langsam, die Hausnummern im Blick, fuhr ich die Straße entlang. Endlich hatte ich das Haus gefunden, stellte mein Rad ab und prüfte die Namen auf den Briefkästen, wurde fündig und klingelte mehrmals.

Nach zehn Minuten gab ich auf und wollte gerade wieder auf mein Rad steigen, als ein junger Mann seinen Wagen, einen ganz normalen VW Golf, an der Straße abstellte. Eilig ging er zur Haustür und schloss sie auf.

»Kennen Sie Frau Bonder?«, erkundigte ich mich hastig.

Er drehte sich zu mir um. Ärgerlich über die Störung fragte er zurück: »Was wollen Sie von ihr?«

Deutlich ließ er seinen Unmut erkennen und wollte in den Hausflur gehen.

»Ich habe sie im Stadtcafé kennengelernt«, sagte ich schnell.

Er blieb einen Moment stehen. »Wie schön für Sie«, entgegnete er, dann knallte die Tür vor meiner Nase zu.

Etwas empört über seine Unfreundlichkeit stand ich draußen, stieg auf mein Rad und fuhr heim.

Drei Tage später fuhr ich noch einmal zu dem Haus und befragte eine ältere Dame, die gerade ihre Mülltonne leerte. Sofort stellte sie ihren Eimer beiseite, schaute sich nach allen Seiten um und flüsterte: »Die Kleine wurde umgebracht! Stellen Sie sich das vor! Der junge Mann ist gestern von der Polizei abgeholt worden, seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

Die Haustür öffnete sich und ein Mann kam heraus. Die Frau schnappte sich ihren Eimer und verschwand ohne ein weiteres Wort. Nachdenklich fuhr ich davon.

Es vergingen weitere drei Tage, da erfuhr ich von Kirsten Vollmann, dass der Freund von Sonja Bonder von der Polizei vernommen und nach einem Tag wieder freigelassen worden war, weil er wohl als Täter nicht infrage kam.

Am Dienstag beim Nachhilfeunterricht trug Edvina Schneeberg den Ohrring nicht mehr und machte einen traurigen Eindruck. Ich erkundigte mich nach dem Grund.

»Haben Sie denn nicht in der Zeitung von dem Mord gelesen?«, fragte sie mit Tränen in den Augen. »Sonja Bonder ist tot. Sie ist die Tochter von Muttis bester Freundin. Früher waren sie oft bei uns zu Besuch.«

»Das tut mir leid, Edvina«, sagte ich, wagte es aber nicht, ihr zu erzählen, dass ich die Tote gefunden hatte. »Habt ihr in letzter Zeit denn noch Kontakt gehabt?«, fragte ich stattdessen.

Sie schüttelte den Kopf. »Nachdem Mutti tot war, habe ich sie selten gesehen. Im vorigen Jahr hat sie in der Eisdiele gejobbt und war vor kurzem…«

»Du hast sie dort getroffen?«, unterbrach ich sie überrascht.

Sie sah mich merkwürdig an. »Kannten Sie Sonja auch?«, wollte sie erstaunt wissen.

»Nein, ich war nur verblüfft, dass du sie im Eiscafé gesehen hast, weil ich von einer Bekannten erfahren habe, dass sie bei der Stadtverwaltung gearbeitet hat«, erklärte ich.

»Dort hat sie ein Praktikum gemacht. Im Eiscafé hat sie sich nur etwas dazuverdient.« Edvina wollte sich wieder ihrem Text widmen, als mir einfiel, dass ich sie vorhin mitten im Satz unterbrochen hatte.

»Entschuldige bitte, dass ich dich unterbrochen habe. Was wolltest du mir noch sagen?«

»Nichts Besonderes«, winkte sie ab, beugte ihren Kopf über den Text und ich wagte nicht, weiter in sie zu dringen.

Am nächsten Tag fuhr ich zum Einkaufen in die Kreisstadt, parkte wie immer am Wasserturm und schlenderte an den Geschäften vorbei bis zum Kolbeplatz. Dort machte ich Pause und bestellte im Café an der Ecke einen Cappuccino. Ich betrachtete die Menschen auf dem Platz, das Hasten und Eilen und plötzlich sah ich Edvina in Begleitung eines Herrn. Der Mann drehte mir den Rücken zu. Er war groß und hatte grau meliertes Haar. Sie standen vor dem Buchgeschäft auf der anderen Seite des Platzes und unterhielten sich angeregt.

Gerade stellte sich Edvina auf die Zehenspitzen und gab dem Herrn einen kleinen, schnellen Kuss auf die Wange. In diesem Moment drehte er sich etwas zur Seite und mich traf fast der Schlag - der Mann dort war Alfred Derfeld!

Die Röte schoss mir ins Gesicht und mein Herz raste. Jetzt hakte sich Edvina bei ihm ein und sie kamen geradewegs auf mich zu. Instinktiv nahm ich die Zeitschrift, die ich mir zuvor gekauft hatte, aus der Tasche und vertiefte mich darin, in der Hoffnung, nicht von ihnen gesehen zu werden. Zu spät! Edvina steuerte auf meinen Tisch zu, blieb vor mir stehen und grüßte: »Guten Tag, Frau Landner.«

Ich legte die Zeitschrift neben meine Tasse und sah direkt in Alfreds bleiches Gesicht. Keiner von uns beiden brachte ein Wort heraus.

Edvina sah konsterniert von einem zum anderen und fragte erstaunt: »Kennt ihr euch?«

In dem Moment erwachte ich aus meiner Erstarrung, reichte Alfred die Hand und sagte betont locker: »Lange nicht gesehen. Wie geht es dir?«

Er fing sich nicht so schnell, räusperte sich, nahm meine Hand, als sei sie ein rohes Ei, drückte sie lasch und ließ sie fallen wie glühendes Eisen.

»Du, du hast dich kaum verändert, Betty«, stammelte er.

Ich war aufgestanden und sah in diese braunen Augen, die trotz der vielen vergangenen Jahre eine Hitzewelle bei mir auslösten und war mit einem Schlag wieder jung.

Edvina hatte uns eine Weile beobachtet und meldete sich zu Wort: »Papa, wir müssen weiter.«

»Ja«, antwortete er zerstreut. »Geh inzwischen vor«, und als sie zögerte, fügte er noch »Bitte!« hinzu.

Sie setzte sich langsam in Bewegung, nicht ohne sich mehrmals erstaunt nach uns umzusehen.

»Ich muss unbedingt mit dir reden, Betty«, drängte er, als seine Tochter gegangen war.

»Ja, wir sollten reden«, stimmte ich ihm zu.

»In Ordnung, ich ruf dich an«, erwiderte er knapp und eilte seiner Tochter hinterher.

Die Leiche im Hühnermoor

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