Читать книгу Großmütter im hinterberlin'schen nach-sozialistischen Land - Gisela Kalina - Страница 7

RETOUR-VOLUTION

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Am Rande des Cottbuser Stadtteils aus Platten-Wohnblöcken der 19ndertsiebziger Jahre – oft würfelähnliche Bauten sind es mit sechs Etagen – stehn die zwei älteren Häuschen. Putz blättert hier und da ab, Dachrinnen schadhaft, Fensterrahmen ergraut. Caminchen in Parka mit Rucksack – die üppige Haarpracht flüchtig nach hinten gebündelt – rollt auf dem Fahrrad heran. Beim Absteigen schwankt sie ein bisschen. Vor den wackligen Gartenpforten trifft sie auf ihre Nachbarin. Die kommt – mit langem, schwarz-vornehmen Mantel und mit Hut auf dem Kopf – vom Einkauf zurück.

Da schau her, Frau Kamjenski! Gut dass ich Sie treff, ich hätt ein paar Fragen. Alle ihre Freundinnen habens so komische Namen?

Ja, das sind so Geschichten. Gehn wir hinter die Hauswand, bei dem Lärm vom Schulabriss drüben verstehn wir das eig’ne Wort nicht und auch die Staubwolken... ich stell mal mein Fahrrad...

Hm ja, die Namen. Die sind langsam gewachsen... Euline heißt eigentlich Heuelwitz, Uline-Margret. Und weil sie oftmals mit Tränen kämpft, hat sie den Namen verpasst gekriegt: Heuli, daraus Euli, schließlich Euline.

Ja, das hab ich schon g’merkt, ständig wischt sie an ihrem Gesicht. Sind’s nur die Augen oder…

Sie trägt einen Kummer mit sich herum und behauptet, sie hätt sich »versündigt«, sogar Verbrechen begangen, was ich nicht glaube. Hm, und unsere Isi heißt Linnekogel, Georgetta, Maria, ja und Isolde. So will sie am liebsten genannt sein: Isolde = Ichsollte, sie sollte ein Junge sein, erklärt sie uns oft. ... Hmm, warum wir auch Lesbili oder so Ähnliches sagen? Ja, es steckt das Wort »lesbisch« darin − das muss sie mal selber erzählen, da hängt eine Story daran, mir ist das peinlich, weil ich mit drin vorkomm in ihrer Geschichte. Und... Waltraud Borman: Sie will den Namen Božena tragen, das hat sie verfügt. Warum sie so heißen will, soll’n wir selber rauskriegen, das verrät sie nicht.

Recht bald werdens für mich auch Spottnamen haben, denkt Frau Westphahl laut vor sich hin. Ich hab’s auch gesehn, wie Frau Božena ihre Augen verdrehte, als ich ein-, zweimal »vom Feinsten« was g’sagt hab. Die Formulierung kennens wohl hier nicht so gut, in den kommunistischen Jahren gab’s ja kaum was vom Feinsten?!

Sinnend wiederholt Caminchen: Kommunistische Jahre?

Hm ja, sagt sie endlich, man wird Sie am Anfang vielleicht... hm... »Frau vom Feinsten« benennen, natürlich nur hinter dem Rücken. Allmählich könnte von Ihren Vornamen was bleiben, die Sie uns neulich verraten haben, Hildegard Gunhilda. Dazu ein Stück vom Familiennamen. West-Hilda vielleicht, das passt auch zu Ihrer Herkunft aus dem westlichen Deutschland.

Spielt denn das noch eine Roll’ im hiesigen Denken, ob man Ost- oder Westbürger ist oder war?

Hmm... ja... wir sind etwas verletzt. Vor allem Božena.

Versteh ich nicht. Jetzt gibt’s doch hier alles. Vom Feinsten, und… Sie und Ihre Freundinnen-Fraun, jede hat eigene Pension... oder... ja Rente. Ganz so fein hab ich’s net.

Ein volles Portemonnaie allein macht uns nicht glücklich.

Sie können doch alles Glück damit kaufen, ihr Frauen im Osten.

Glück kaufen? zweifelt Caminchen und neigt ihren Kopf hin und her. Hmm... ich erzähl mal von meinem Befinden in dem schönen Schlaraffenland, in dem wir jetzt leben... Eine Enkelin wohnt in... bei Berlin. In den Ferien laden die Eltern das Urenkel-Mädchen − zweite Klasse geht sie inzwischen − auch mal bei mir ab. Da wird’s mir oft klar, wie ich mich fühle

In diesem schlampampigen Leben. Ja, ziemlich viel kann ich kaufen, brauch den Groschen nicht siebenmal umzudrehn. Warum bin ich trotzdem nicht immer glücklich? Weil ich zum Beispiel mit ansehn muss, wie das Kind mit Luxus vollgestopft ...hmm, wie ihre Seele im glitzernden Spielzeug verschüttet wird. In sinnlosem Krimskrams. Mehr als vierzig Kuscheltiere besitzt sie − hab gezählt − aber es kommen immer noch welche dazu. Neuerdings gibt’s auch in der Schule noch Kuschelkaninchen − für gutes Einmal-eins-Lernen. Und auch scheußlich die kleinen Plast-Viecher aus China: wackelköpfige Minimonster, geflügelte Einhorn-Zauber-Pferde mit Kronen, Glitzer-Prachtschwänzen und eklem Chemiegeruch. Und Littlest petshops. Bei jeder Gelegenheit kriegt das Kind so eine Schweinerei als »Belohnung«, markt-wirksam und umwelt-verschlingend verpackt hinter Klarsicht-Hüllen und bunten Pappen, worauf verlockend bebildert noch tollerer Sammel-Müll lockt und die Gier des Kindes entzündet. Da bin ich unglücklich, weil ich das mit ansehn muss und nicht reinreden darf, denn man will es ja nicht verderben mit seinen Nachkommen.

Ja, das versteh ich, bestätigt Frau Westphahl. Hab ich auch erlebt mit der Schwiegertochter.

Wann ich glücklich bin? fragt Caminchen weiter. Ja, auch mit dem Kind. Wenn ich sage: Komm Herzl, hilf mir, Eulen zu malen. Im Park wird morgen die Wiese gemäht, und du weißt doch, da wachsen die Königskerzen mit diesen Großblüten, die’s auch auf Hiddensee gibt. Damit die nicht untergerattert werden, hängen wir an die Pflanzen so Bildchen, die jeder versteht: »Natur − geschützt!« Schwarze Uhus auf gelbem Papier. … Und mein Kind malt mit Eifer und sie berät mich, wie wir die Schildchen festmachen könnten. Mit Büroklammern oder Bändchen markieren wir Pflanzen: die kräftigsten, die schon einen Meter hoch sind.

Am Mittag des nächsten Tages – schwarze Wolken in meinem Gemüt. Die Königskerzen sind weg. Nur Schnipsel von den gemalten Eulen und von großen pelzigen Blättern. Zerfetzt von den Krachmach-Maschinen.

Du musst denen die Eulen erklären, rät mein Kind.

Leider, das hilft nicht, hab’s im Vorjahr probiert.

Dann musst du dich bei dem Chef beschweren oder – was schenken, schlägt sie mir vor.

Was schenken? überlege ich laut. Tasse Kaffee bezahlen?

Ich könnte ein Littlest petshop geben, bietet sie an. Von der alten Serie hab ich eins doppelt.

Ich seufze: Lieb von dir. Aber meinst du, dass so ein Arbeiter sich freuen kann über den Schnickschnack?

Vielleicht hat er ein Kind, dem er’s schenkt. Und ich hab eine gute Idee: Eine Königskerze wächst doch in deinem Garten. Den Samen davon können wir überall ausstreuen, und nächstes Jahr machen wir größere Eulen, und wir schenken dem Arbeiter was, und wir stellen uns hin vor die Blumen und erklären ihm alles.

Obwohl ich weiß, dass ihr solche Aktionen im nächsten Jahr peinlich sein werden, muss ich lachen. Bin glücklich trotz schlemmer-verschwenderisch’ Vaterland.◄

Ja, nickt Frau Westphahl, versteh ich. Aber warum man uns aus den alten, den... westlichen Bundesländern so… so distanziert begegnet, das kann ich net nachfühl’n.

Sie müssen uns halt näher kennen lernen. Kommen Sie doch gegen Abend ein Stündchen rüber zu mir. Wir können plaudern und auf hm... ein nachbarschaftliches Du anstoßen. Und jetzt... so bis nachher, ich muss mein’m Urenkel Schnitzelchen braten, der will heut noch zum Flughafen Dresden. Also dann Tschüss... oh, und ich höre das Telefon, das ist meine Kleine aus Rosenheim. Enkelin, 14 Jahr alt, ruft jeden Tag an, braucht meinen Rat oder vielmehr mein Ohr...

Viel später am Abend stoßen die beiden mit Apfelsaft an auf das Du, und plaudern von Haus, Blumen, Katzen und Hunden, von Kindern, Einkauf und allerlei. Auch Thema West-Ost kommt wieder zur Sprache. Wieso, fragt Frau Westphahl noch einmal, wieso hat man Vorbehalt gegen uns Deu... gegen uns aus den Altbundesländern?

Hmm... tja, allgemein, man hat uns doch allerlei übergestülpt an Gesetzen, Beamten und Besserwissern. Und wir erlebten noch ganz persönlich so... so manches Absurde. Ich selbst mit meiner Wessi-Cousine, na das wird Sie... wird dich nicht interessieren.

Doch, unbedingt, sagt Frau Westphahl mit Nachdruck.

Hm. Ich erzähl lieber erstmal ein schönes Erlebnis, das ich in der Wendezeit mit dem Wessi-Volk hatte. Mit unsern zwei jüngsten, damals halbstarken Enkeln, fuhren wir zwischen Weihnacht und Neujahr nach Westberlin.

Das Empfangsgeld für Bürger der DDR, das holten wir von einer Westberlin-Bank: das »Beitritts«geschenk, 100 DM pro Kopf. Kostenlos durften wir uns mit einem Super-Bus rumschaukeln lassen, der Kraftfahrer trug weißes Hemd und Schlips. Wir staunten und kritisierten den Luxus der 1000 Lichter an Läden und Häusern und Bäumen.

Dann schlenderten wir durch Neukölln und da war ein Bäckerstand vor einem Geschäft und mein Ilja, ohne mich mit einem Wörtchen zu fragen, kaufte für sich und die Jungen drei von den prachtvoll riesigen Super-Pfannkuchen – so was hatten wir niemals vorher gesehn – ja kaufte: für je eine Westmark, wechselte einen von diesen heil’gen Geldscheinen ... hmm... Pfannkuchen ach, bei uns kosteten die – zwar etwas kleineren, nicht luft-aufgeblöfften – nur 0,30 Ostmark. Ich wurde innerlich blass, mir verschlug’s vor Empörung die Sprache, denn ich hatte für alle Stullen im Rucksack. Aber sie fraßen – so muss ich es nennen – das kostbare Westgeld in sich hinein, und sie sollten es bald bereuen.

Wir neugierten dann durch ein Kaufhaus und entdeckten ein kleines Farb-Fernsehgerät. Wir standen entzückt und enttäuscht, fast heulend vor diesem Traum, denn es fehlten uns – grade die eben verschlungnen drei DM.

Bis eine Verkäuferin unseren Kummer bemerkte. Sie holte aus ihrer eigenen Tasche die fehlenden Münzen, und wir zogen davon mit unsrer Bunt-Flimmerkiste, beglückt von der freigebigen Seele des westdeutschen Volkes.◄

Frau Westphahl bestätigt: Ja, wir freuten uns alle, dass ihr nun wieder mit uns vereint seid, da war auch die Gebe-Lust groß, heut ist’s bissel abgeflaut. Aber erzählens mir bitte auch von Ihrer Verwandten, ich muss doch wissen, womit man ins ostdeutsche Fettnäpfchen tritt, möcht mich, wenn möglich, ein bissel anpassen.

Es geht um die Unterwäsche meiner Cousine in Bamberg. Erst tat sie mir leid, aber dann war ich stinkwütend: Ich hatte hmm, eine... ich nenn’s mal

Büstenhalter-Empörung. Der Anfang war bald nach der Wende, als wir ein paar Tage in ihrem Traumhaus verbrachten. Am ersten Tag nach dem Abendbrot stell ich das Geschirr und alle Rester auf ein Tablett, während sie schon Weingläser ranholt. Dann will ich raustragen, aber es ist ziemlich schwer und so sage ich ihrem Mann, der grade steht: Bring mal raus! Er guckt verblüfft, stutzt lange, aber schließlich nimmt er’s und bringt’s in die Küche.

Als wir Frauen später allein sind, sagt sie: Was du dich getraust!

Da kapierte ich und sie tat mir leid. Aber am Ende – was sie uns da unterstellte – da konnt ich nicht mehr begreifen, das war empörend. Na, ich erzähl mal der Reihe nach. ... Früher also, in Vorwende-Zeiten, schickte sie uns Pakete mit abgelegten Klamotten. Oft waren nette Sachen da drin, die Kinderkleidung meist noch sehr ordentlich und aus guten Stoffen. Was mich damals schon ärgerte, waren die abtragnen BHs. Die hatten erstens ausgeleierte Gummis, zweitens verfärbte, verwaschene Teile. Na, dachte ich damals, die denkt wohl, wir laufen hier nackt rum im Osten. Zeit hatte ich nicht zum Einnähen neuer Bänder und Häkchen; Kinder, Mann und Beruf waren mir wichtiger. Aber ich wollte nicht meckern, dem aus dem Westen geschenkten Gaul guckte man im Osten nicht ins Maul. Und außerdem hatte sie es nicht leicht damals: Vier Kinder und jahrelang pflegte sie ihre grätige Schwiegermutter. Ja, und der Haushalt, dafür hatte sie zwar eine Putzfrau, aber trotzdem blieb noch reichlich zu tun und der Mann rührte keinen Finger. … Hm, ja... und weiter. Im Herbst 19/90 waren wir drüben zum Schlussverkauf. Eines Tages fuhren wir, die Cousine und ich, in die Stadt. Ich suchte ein bisschen Unterwäsche zu günstigen Preisen. Ja, sagt sie, ich nehme immer Triumph. Meine Güte, denk ich bei mir, aber doch ich nicht mit meinen paar Kröten vom neuen Geld und ich frage unsicher: Markenfirma? Na, für mich kein Thema.

Wir stöbern also im Kaufhaus herum. Warte mal, sagt sie auf einmal, ich brauch neue Knöpfe für eine Bluse. Acht D-Mark achtzig. Ach Schreck, sagt sie an der Kasse, ich hab vergessen, mir einen Hunderter einzustecken, kannst du mal eben aushelfen?

Ich leg also aus. Wir durchschnüffeln weiter die Angebote, schließlich finde ich baumwollne Schlüpfer. Ganz einfache, zehn Stück für 12 D-Mark. Sehr schön, nehm ich zwei Päckchen, da kann ich meinen Mädels zu Hause noch schenken. Aber sonst find ich nichts für meine Preisklasse. Mir reicht’s, sage ich. Wo ist die Kasse? – Warte mal, sagt sie, ich brauch einen neuen BH, leg mir den auch noch mal aus.... Und sie schmeißt einen Büstenhalter so ganz beiläufig in meinen Korb. 22 DM, war ja damals noch relativ billig. Aber... jey... was passiert? Sie hat mir das Geld nicht zurückgegeben. Weder das Knopf-, noch das BH-Geld. Natürlich war ich stinkwütend, aber ich brachte’s nicht fertig, das Geld zu verlangen, schließlich fraßen wir uns eine Woche lang bei ihnen durch. An einem Abend erzählt noch mein Ilja, dass wir, Mann und Frau, getrennte Gehaltskonten führen. Ich, zur Verteidigung, gebe zum Besten, wie es dazu gekommen war. Na, das war so eine Geschichte mit einem Auto, das er gekauft hat, ohne mich vorher mit einer einzigen Silbe zu fragen. Und wie mich danach die Wut gepackt hat, so dass ich ein eigenes Konto... Da hörte sie ganz ergriffen zu und ein bisschen Neid stand in ihren Augen: Als Frau Gattin-Gemahlin ein eigenes Konto – undenkbar für sie. … Damals verstand ich jedenfalls wenig, dass sie mich um 30 Mark prellte, drei- oder viermal hatten wir erst das Gehalt in Westmark bekommen und der Arbeitsplatz meines Ilja fing schon an zu wackeln. Und da musste ich für die West-Cousine einen Büstenhalter bezahlen?! ... Mit der Zeit war’s vergeben und auch vergessen. Aber der Hammer kam vier Jahre später. Da waren wir, Ilja und ich, auf der Durchreise zu einem Frankreich-Urlaub kurz zu Besuch in Bamberg in ihrem Traumhaus. Und bald danach kriegt ich den Brief: Liebe Gudrun, ... d d d Wetter... Urlaub... Kinder.. was weiß ich noch. Und am Schluss der Knüller: Ich suche mein türkisblaues Top, das mit Bustier. Hast du es zufällig mitgenommen? Liebe Grüße deine...

Hmm. Ist das nicht ein fettes Ding?! Natürlich habe ich damals einen Antwort-Brief rübergedonnert, und seitdem herrscht Funkstille zwischen uns.◄

Hast wohl recht, urteilt Frau Westphahl. Etwas verdreht.

Ja, aber wodurch denn verdreht? Auch Isolde und Božena haben so Sachen erlebt mit West-Bekannten und -Tanten.

Was hat mir denn trotzdem dein... eure Gunst verschafft?

Na, du bist ein ganz andrer Typ. Wenn du lachst, dein kleines Ling-Lang, und wenn ich dein’n Singsang höre, der so oft – manchmal traurig – bis zu mir rüberschallt, dann merk ich, dass du aus gutem Holz bist... ein Klanginstrument... hm... ein Cello vielleicht?

Ich geb mir Müh, sagt Frau Westphahl verlegen. So. ’S ist Zeit. Danke! Pfüati! Quatsch, das verstehst du ja nicht. Servus, Adieu, bis...? Du meinst, sie laden mich wieder ein zu euerm... bei Božena nächstens, zu dem Freundinnen-Kreis?

Im Seniorenheim. Božena in ihrem Zimmer, stiert in den PC auf ihrem Schoß. Was wollt ich noch dokumentieren? ... Ja, was Euline gestern erlebt hat. Wie schreib ich’s? … Gleich erstmal in Ich-Form, klingt mir noch im Ohr, Eulchens Ääh-Pausen und Heuler, die lass ich weg und die »Nicht wahr?«-Seufzerei:

Überfall am hellerlichten Tag: Kurz vor Camin-chens Haus kamen von hinten zwei junge Männ... oder nein, es war’n fast noch Kinder. Ich kriegte schon bisschen Angst, als sie hinter mir mit ihren Hähnchenstimmen krakeelten und rülpsten und ballerten, hin und her, mit irgendwas. Dann kam eine Plastflasche an mir vorbei, gleich noch eine, fast in Kopfhöhe, da bin ich furchtbar erschrocken. Dann waren sie rechts und links bei mir angelangt, marschierten neben mir eine Weile – da wurde ich zittrig, noch mehr als sonst... ach, hätt ich doch meinen Rolli genommen, dacht ich – sie rückten mir auf die Pelle, näher und näher, und dann trat einer vor meinen Stock, so dass ich ins Wackeln kam. Der andre sagte: Sorry, alter Uhu! Er grölte dazu, höhöhö, und der andre krächzte: Oma-Schmarotzer, mach Platz, jetzt sind wir dran!

Dann waren sie schnell vorbei, schossen die Flaschen nochmal zurück, direkt auf mich zu. Eine prasselte an meine Tasche, hier, der Verschluss sprang gleich auf. Die andre sauste auf meinen Kopf zu, ich wollte abwehren, verlor das Gleichgewicht und fiel auf meine schmerzende Seite. Die Jungen verschwanden in Richtung zur Schule da vorn. Ich lag, ich wimmerte, denn meine Hüfte, ihr wisst ja. Zum Glück kamen zwei Mädels, halfen mir hoch und fragten, ob ich verletzt bin.

Was habe ich denen getan? fragte... nein, weinte ich.

Ich sollte es nicht persönlich nehmen, wollte die Klein’re mich trösten, die mit den kringligen Löckchen: Das sind zwei Idioten, und jetzt hätten die sich noch ’ne Schnapsidee in ihr Spatzenhirn reingeholt: Dass die Alten an allem schuld sind.

Wieso schuld, woran denn? fragte ich ganz erschrocken.

Schuld an den Schulden. Sie hätten grade in »Ethik« das Problem diskutiert und da behaupten die halt, erklärten die Mädchen, dass die Alten zu sehr geprasst haben und noch schwimmen im Geld, und die Jugend muss Zinsen und alles abzahlen.◄

So, Punkt. So lass ich’s, spricht Božena zu sich selbst. Und sind wir wirklich schuld an den Schulden? überlegt sie. Seit der Wende sind uns ja fette Bäuche gewachsen. Obwohl doch viele sich nicht von gebratenen Tauben ernähren oder von Lindt-Schokoladen-Torten. Wo lag, wo liegt unser Fehlverhalten? Nie habe ich Schulden gemacht und wir alle nicht. Ich kenne doch meine Freundinnen-Truppe, keine würde etwas verprassen, was unsre Kinder und Enkel dann abzahlen müssten. Und doch: Als Volk, mit dem Volk stecken wir tief in der Kreide und die Jugend muss jetzt schon wie alle die Zinsen bezahlen. Da stand doch neulich ein Text...

Sie steht mühsam auf, kramt in der Zeitungsablage. Die Mäuse-Zinsen-Plage, satirisch. Geschrieben von meinem Schreibfreund Plotzek. Ein aufmöpfiger Text, der gar nicht in jetzige Trends passt. Das muss ich den andern vorlesen.

Mäuse-Zinsenplage (für die Volksochsen-Herde).

Wie kommen wir raus aus der Schuldenfalle? frage ich meinen Freund Plauschi, als wir vor der Sparkasse stehn.

Wieso Schulden? fragt er. Ich kauf nichts mehr auf Pump.

Na, die großen Schulden, die wir alle zusammen, die auf den Schultern des Volkes lasten.

Merk ich doch gar nicht als einzelne Volksgestalt.

Doch merkst du’s. Nämlich an deiner Geldbörse, weil die an galoppierender Schwindsucht leidet. Du bezahlst bei jedem Brötchen fast die Hälfte nur für die Schulden und bei jedem Bierchen und überhaupt.

Ach so. Tjaa. Den Gürtel müssen wir immer wieder mal enger schnallen. Aber bevor wir am Hungertuch nagen: Das Volk hat ’nen dicken Bauch, guck mich an. Und breite Schultern. Und irgendwann irgendwie werden Die-Oben das schon hinkriegen, dass wir alles zurückgezahlt haben. Aber sagge mal, bei wem eigentlich haben wir die Billiarden Schulden, oder wie viel sind’s inzwischen?

Na, bei privaten »Geldgebern«. Den Aktionären. Und bei Banken, die für private Geldgeber Geld machen. Stinkreiche Millio-, Billio- Trillionäre, die ständig Tausende von uns einfahren, ohne den Finger zu rühren.

Woll’n die ihr Geld nicht langsam zurückhaben, diese Privaten?

Nee, woll’n die eben grad nicht. Endlos vermehrt sich ihr Geld durch die Zinseszinsen. Und die »erarbeiten« wiederum Zinses-Zinses-Zinsen. Jeden Tag hecken die wie die Mäuse und Ratten neue Zinses-Zinses-Zinses-Zinses-Zinses… Unendlich, weil wir Volk es nie schaffen abzuzahl’n.

Tjaa? Gegen Mäuse und Ratten hilft ’ne anständige Ladung Gift. Das heißt... nee, vergiften brauchen wir sie nicht gleich, aber… Enteignung würde helfen. Ach, aber ja: Das geht gar nicht, wär ja Kommunismus und Diktatur. Jetzt herrscht schließlich Freiheit.

Freiheit? Nee, für dich und mich gewissermaßen noch lang nicht, wir müssen doch Zinsen bezahlen.

Tjaa. Freiwillig in unfreier Freiheitlichkeit. Wie könnte man sich aber rausretten aus der Zinsen-Plage?

Tjaa, schlimm. Alles muss verhökert werden, was den Volksochsen eigentlich gehört. In Österreich werden Berge verschleudert. Die Griechen sollen bald den Olymp und so weiter veräußern. Aber sage mal, ist doch Quatsch, keiner wird so viel flüssig machen, dass er Hiddensee und Tatra und Kilimandscharo bezahlen kann?

Na, was soll’n die denn mit den Mäusen machen, die ständig Zinsen kassieren von breitschult’rigen Völkern?

Tjaa? Aber wir Deutschvolk steck’n da im Schlamassel, was könn wir schon groß verscherbeln? Vielleicht Kulturschätze, wie?

Das ginge. Ob ein Opernhaus mir gehört oder irgendei’m Privat-Arsch, ist doch egal. Ich geh sowieso nicht mehr rein in unser Jugendstil-Prachtstück, seitdem die Karten so teuer sind und seitdem ’s kein Anrecht mehr gibt von unserm Betrieb, weil der... ist auch verhökert.

Tja, das Volk bleibt halt immer der Dumme.

O ja, wie schön und einfach, dumm zu sein. Selbstkastriertes Menschen-Rindvieh. Uns müssen sie erst den Gürtel um den Hals schnallen und immer enger zurren.

Nana, jetzt brems mal deine aufsässige Fantasie.

Die malt noch wildere Bilder, wenn sie wütend wird. Zum Beispiel so: Erst wenn die heckenden Mäuse-Monster an dir hochkrabbeln, Wimpern und Nase anknabbern und eine Ratte sich in deiner Zunge festbeißt, falls du doch noch deine Redefreiheit gebrauchen willst… dann...

Huuch! Tjaa? Na, dann ist alles zu spät.◄

Nicht schlecht, sagt Božena laut zu sich selbst. Kurz vor Schluss ein bisschen verläppert – ver-märchent. Ja, der Herr Plotzek aus meiner Zeitzeugen-Gruppe kann solche Wut-Storys schreiben, mit seiner Sarkasper-Figur, dem Plauschi. Wie hat der das in die Zeitung geschafft!? – Und ich? Komme nicht aus der Schublade raus. … Müsste vielleicht die »West-Hilde« ins Schreib-Auge fassen?

Großmütter im hinterberlin'schen nach-sozialistischen Land

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