Читать книгу Die schöne Gruft - Gitte Loew - Страница 4

Kapitel 1

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Franziskas Herz klopfte wie wild. Sie konnte kaum Luft holen, so heftig war das Pochen in ihrer Brust. Was hatte sie gerade geträumt? Eine Tote? Ihr Herzschlag beruhigte sich nur langsam. Was war los? Sie hob den Kopf und knipste die Nachttischlampe an. Der Radiowecker zeigte auf halb sieben. Ihr war schwindlig, obwohl sie noch im Bett lag. Das Tageslicht schimmerte durch den Rollladen.

Langsam richtete sie sich auf und tappte ins Bad. Während sie unter der Dusche stand, fiel ihr Blick auf das Wasser, das in kleinen Tropfen über ihre Haut perlte. Sie stierte in den Ablauf der Duschwanne und stellte sich vor, dass der Spuk der Nacht in diesem kleinen Loch verschwinden würde. Alles wegspülen. Nach fünf Minuten Dauerberieselung drehte sie den Hahn zu und trocknete sich ab.

Sie griff ins Regal, zog einen frischen Body hervor und schlüpfte hinein. Keinen Slip, keinen BH, nur diese weiße Hülle. Nach Dienstende würde sie die zweite Haut abstreifen und in die Wäsche entsorgen. Das Ritual vollzog sie jeden Tag. Ein Blick in den Spiegel. Alles war gut. Sie ging in die Küche, stellte die Kaffeemaschine an und sah zum Fenster hinaus. Draußen war es noch dämmerig, hinter einigen Fenstern brannten schon Lichter.

Erst als sie sich umdrehte, sah sie den Zettel auf dem Tisch liegen. Es war eine herausgerissene Seite aus einem Heft. Lars hatte ihr eine Nachricht geschrieben. Er würde Ende des Monats ausziehen. Jetzt war es endgültig und fühlte sich eigenartig an.

Dreißig Minuten später saß Franziska im Auto und lenkte den Wagen durch Eschersheim. Am Morgen kam man schlecht voran. Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. Als ihr Handy klingelte, drehte sie das Radio leiser. Ein Blick aufs Display genügte und sie schüttelte den Kopf. Nein, das kam überhaupt nicht infrage. Sie war im Dienst.

„Oh, fahre doch endlich“, sie bremste scharf. Die Ampel war plötzlich auf Rot umgesprungen.

„Der Teufel soll ihn holen“, schimpfte sie vor sich hin. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte sie weiterfahren. Nur keine Hektik am frühen Morgen. Das einzig Gute an der Sache war, dass Lars ihr die Entscheidung abgenommen hatte.

Franziska bog in die Kurhessenstraße ein und sucht nach einem Parkplatz. Hoffentlich war Frau Führer zu Hause. Sie geisterte oft orientierungslos in der Gegend umher. Dann musste man sie suchen, oder die Adresse ein zweites Mal anfahren. Das kostete Zeit. Sie parkte den Wagen halb auf dem Gehweg und eilte zur Haustür. Wühlte in der Tasche nach dem Schlüsseletui. In diesem Augenblick wurde die Tür von innen geöffnet und ihr Blick fiel auf die ausgelatschten Schuhe von Frau Eckermann. Augenblicklich ging die Fragerei los:

„Morgen, was suchen Sie?“

„Nur den Wohnungsschlüssel, aber ich habe ihn schon gefunden.“

Franziska hielt das Mäppchen hoch, lächelte und eilte schnell an ihr vorbei. Frau Eckermann drehte sich um und rief ihr nach:

„Zur Not hätten Sie auch bei mir klingeln können.“

Franziska achtete nicht weiter auf sie, sondern schloss die Wohnungstür auf. Ein dumpfer Geruch schlug ihr entgegen. Verflucht. Die alte Frau hatte wieder alle Fenster geschlossen. Es roch nach verfaultem Obst.

„Hallo Frau Führer, ich bin es.“

Die Nachbarin stand noch immer im Treppenhaus und reckte neugierig den Hals.

„Ist sie wieder verschwunden? So früh am Morgen. Es wird von Tag zu Tag schlimmer mit ihr“, schimpfte sie laut.

Franziska rannte durch den Flur und suchte nach ihrer Patientin. In der Eile hatte sie die Wohnungstür offen stehen lassen. Als sie in die Küche kam, fiel ihr erster Blick auf die Packung mit den Blutdrucksenkern, die noch auf dem Tisch lag. Mein Gott, eilig stopfte sie die Schachtel in ihre Jackentasche. Sie hatte gestern vergessen, die Tabletten wieder einzustecken. Die Küchentür wurde aufgestoßen. Franziska fuhr erschrocken herum. Die Nachbarin stand hinter ihr.

„Haben Sie Frau Führer heute schon gesehen?“, wollte sie ärgerlich wissen.

„Nein, sie liegt auch nicht auf ihrem Bett im Schlafzimmer. Wir sagen schon seit Monaten, dass sie nicht mehr allein wohnen kann.

Jeden Tag den gleichen Sermon. Franziska zischte wütend:

„Frau Führer ist vergesslich. Mit 89 Jahren ist das kein Wunder.“

Sie ließ die Nachbarin einfach stehen und eilte in den Garten, der hinter dem Haus lag. Rosen schlängelten sich am Apfelbaum hoch. In einem krummen Ast hing ein verlassenes Vogelnest. Die alte Frau war verschwunden. Die Schwester blieb unschlüssig stehen. Hoffentlich war ihr nichts passiert. Wie immer drängte die Zeit, aber die Sache mit den Tabletten könnte gefährlich für sie werden. Sie drückte auf die Kurzwahl ihres Handys.

„Hallo, hier ist Engler, Pflegedienst Zuhause. Eine Patientin von uns ist verschwunden. Gerda Führer, wohnhaft...“

Der Polizeibeamte unterbrach sie:

Da haben Sie Glück. Vor fünfzehn Minuten hat jemand angerufen. Eine Frau ist am Ginnheimer Hang von einer Spaziergängerin gefunden worden. Der Krankenwagen ist schon unterwegs zu ihr.“

„Vielen Dank, ich gehe schnell hin.“

Die Schwester ließ die verdutzte Nachbarin stehen, die ihr nachgelaufen war und hastete nach draußen. Als sie auf der Straße stand, fuhr ein Rettungswagen an ihr vorüber. Das Auto bog in die nächste Straße ein. Sie spürte, wie sich ein maues Gefühl in ihrem Magen ausbreitete. Mit schnellen Schritten folgte sie dem Notarztwagen. Es war der Weg, den die alte Frau täglich entlangging.

Nachdem Franziska die Biegung erreicht hatte, sah sie eine Spaziergängerin, die mit der Hand winkte. Sie hielt einen Hund an der Leine. Der Notarzt lief schon in Richtung Spielplatz. Sie blieb in einiger Entfernung stehen und beobachtete, was geschehen würde. Zwei Polizeibeamte standen bereits neben der Bank, auf der eine alte Frau saß. Franziskas Herz schlug schneller. Sie erkannte von Weitem die schmale Gestalt, die in einen dunklen Mantel gehüllt war. Ihr Oberkörper neigte sich leicht zur Seite. Der Arzt stand vor ihr und tastete nach ihrer Halsschlagader. Zog mit der anderen Hand eines ihrer Augenlider hoch und schüttelte kaum merklich den Kopf. Er öffnete ihren Mantel, fühlte die Temperatur des Körpers und griff dann nach ihren Händen. Er sagte etwas zu dem Polizeibeamten, der neben ihm stand.

Franziska griff reflexartig nach ihrem Handy und drückte auf die Taste Zentrale. Die Mailbox sprang an:

„Hallo Verena. Die Polizei hat Frau Führer tot auf dem Spielplatz gefunden. Ich werde mit den Beamten reden müssen. Bitte ändere den Einsatzplan. Ich melde mich wieder, wenn ich hier fertig bin.“

Sie ging auf die Gruppe zu. Der Notarzt sah auf, als Franziska vor ihm stehen blieb.

„Guten Morgen. Ich kenne die Frau. Wir betreuen sie über den Pflegedienst.“

Ein Polizist drehte sich zu ihr um:

„Wie heißen Sie?“

„Engler, ich habe meinen Ausweis im Auto liegen“, antwortete sie schnell.

„Was ist los mit der Frau? Warum sitzt sie hier auf der Bank?“, wollte er wissen.

Typisch. Hätte man die alte Frau auf dem Stuhl festbinden sollen? Franziska schluckte ihren Ärger hinunter. Die Angelegenheit war schon unangenehm genug. Sie räusperte sich:

„Frau Führer ging jeden Tag spazieren. Manchmal hat sie sich hier hingesetzt und den Kindern beim Spielen zugesehen. Vielleicht bekam sie Herzschmerzen und niemand hat es bemerkt?“

„Sie müssen trotzdem warten. Wir haben die Kriminalpolizei verständigt“, der Polizist beäugte sie misstrauisch von der Seite.

Franziska erwiderte nichts, blickte nur stumm zu der Toten und spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust. Die Männer des Rettungsdienstes packten ihre Taschen zusammen und kehrten zum Einsatzwagen zurück. Ihr Auftrag war erledigt.

Die schöne Gruft

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