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Kapitel 5

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Der Regen spritzte an die Fensterscheibe. Hanna Wolf sah zum Fenster hinaus. Einen goldenen Oktober würde es dieses Jahr nicht mehr geben. Ihr Telefon klingelte. Sie griff nach dem Handy: „K13, Wolf.“

Während sie dem Anrufer zuhörte, verdüsterte sich ihre Miene: „Häuslicher Unfall?“

Der Notarzt wiederholte seine Meldung:

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Frau sich selbst die Treppe hinuntergestürzt hat. Eine Schwester des Pflegedienstes hat sie gefunden. Die Schwestern haben einen Schlüssel zur Wohnung. Der Ehemann der Toten soll sich zurzeit auf einer Geschäftsreise in Berlin aufhalten.“

„Wann genau wurde die Frau gefunden?“

„Etwa vor einer halben Stunde.“

„Gut. Lassen Sie alles so, wie Sie es vorgefunden haben. Die Mitarbeiterin des Pflegedienstes soll auf uns warten, wir sind in fünfzehn Minuten vor Ort.“

Danach wählte die Kommissarin die Nummer des Archivs. Eine ältere Männerstimme meldete sich:

„Kerner, was gibt’s?“

„Hier ist Hanna. Sagst du bitte Torsten, dass er in die Tiefgarage kommen soll, wir sind zu einem häuslichen Unfall gerufen worden.“

„Ja, mach‘ ich“, es knackte in der Leitung. Er hatte aufgelegt.

Hanna alarmierte die Spurensicherung. Anschließend fuhr sie mit dem Aufzug zum Fuhrpark, setzte sich in den Wagen und notierte die Uhrzeit. Kurze Zeit später kam Torsten im Laufschritt angerannt. Er ließ sich außer Atem in den Sitz fallen:

„Wo müssen wir hin, was ist los?“

„Häuslicher Unfall mit tödlichem Ausgang. Die Rettung glaubt, dass jemand nachgeholfen hat.“

„Hören die mal wieder das Gras wachsen? Was ist denn momentan los? Haben wir es nur noch mit alten Leuten zu tun, die irgendeiner um die Ecke bringen will?“

„Keine Ahnung. Eine Frau ist mit dem Rollstuhl eine Außentreppe hinabgestürzt.“

Torsten verzog das Gesicht und sah Hanna von der Seite an:

„Wird kein schöner Anblick sein. Worauf warten wir noch?“

Sie fuhr los und versuchte sich in die Autoschlange einzureihen.

„Wo und wann ist das passiert?“

„Wir fahren Richtung Innenstadt zur Böhmerstraße. Nach Auskunft des Notarztes muss der Unfall gestern passiert sein. Die Frau war nach ersten Erkenntnissen allein zu Hause. Den genauen Todeszeitpunkt werden wir erst später von den Gerichtsmedizinern erfahren.“

Torsten strich sich über die Hose und zog sein Hemd gerade. Es war ziemlich zerknittert, aber noch sauber. Hanna musste insgeheim grinsen.

„Wir fahren ins Westend, noble Gegend. Passieren dort auch Verbrechen? In diesem Teil von Frankfurt wohnen doch nur reiche Leute. Keine nette Lösung, die Ehefrau die Treppe hinunter zu schubsen“, lästerte er so vor sich hin.

Hanna blinzelte ihn von der Seite an.

„Kannst beruhigt sein, so einfach wird der Fall nicht zu lösen sein. Der Ehemann war nicht zu Hause. Die Fassaden in dieser Gegend sind zwar glanzvoller als anderswo, aber dahinter tobt der gleiche Kampf um Liebe und Hass. Außerdem geht es in noblen Gegenden meist um Geld, viel Geld. Vielleicht war das der Grund.“

Hanna überquerte die Miquelallee und wählte die Spur zum Reuterweg, in den sie an der nächsten Ampel einbog. Wenige Minuten später erreichten sie das Haus im Westend. Sie parkte vor einer stilvollen Villa, die der Eigentümer in Mietwohnungen umgebaut hatte. Das Haus stand mit Abstand zu den Nachbarn und war von einem großen Grundstück umgeben. An die Zaunanlage waren nachträglich drei Briefkästen montiert worden. Vor der Garageneinfahrt stand der Notarztwagen. Hanna parkte hinter dem Transporter. Die Kriminalbeamten stiegen aus und liefen die Einfahrt hoch. Die Haustür wurde schon geöffnet, bevor sie das Gebäude erreicht hatten. Ein Mann im roten Rettungs-Anorak kam auf sie zugelaufen.

„Morgen mein Name ist Münster. Ich bin der Notarzt. Der Unfall hat sonderbar auf mich gewirkt. Nach Auskunft der Schwester war die Verunfallte am Samstag und Sonntag allein in ihrer Wohnung. Der Ehemann ist auf Geschäftsreise.“

„Ist die Pflegerin noch da?

„Ja, sie wartet im Wohnzimmer.“

Hanna sprang die wenigen Stufen bis zum Eingang hoch und betrat das kleine Treppenhaus. Die Eingangstür der Erdgeschosswohnung stand offen. Der Flur führte direkt in den Wohnraum. Eine Frau im weißen Kittel saß auf der Ledercouch. Sie hielt den Kopf in die Hände gestützt. Als die Beamten das Zimmer betraten, sah sie erschrocken auf. Sie war blass im Gesicht und drückte vor Aufregung ihr Taschentuch von einer Hand in die andere. Bevor sie überhaupt reden konnte, musste sie sich die Nase schnäuzen. Dann stammelte sie:

„Ich habe Frau Sager heute Morgen gegen neun Uhr gefunden. Sie war nicht im Wohnzimmer, aber die Terrassentür stand offen. Ich lief in den Garten und rief nach ihr, doch es antwortete niemand. Dann bin ich wieder ins Haus gegangen und habe nach ihr gesucht. Alles sah wie immer aus, aber sie war auch nicht in ihrem Schlafzimmer. Ich bekam Angst. Erst als ich das zweite Mal im Garten nachsah, habe ich sie entdeckt.“

„Mein Name ist Wolf, Kripo Frankfurt. Können Sie uns die Stelle bitte zeigen?“

Die Schwester hielt sich die Hand vor die Brust und flüsterte: „Ja.“

Sie stand auf und Hanna ging mit ihr zusammen nach draußen. Der Eingang zum Keller lag auf der rechten Seite des Gebäudes. Es führten sechszehn Steinstufen in die Tiefe. Vor der Tür zum Kellereingang war ein kleiner Vorplatz. Die Tote lag unter ihrem Rollstuhl auf dem Betonboden. Ihr Kopf war durch den Sturz mehrfach aufgeschlagen. An der rechten Seite des Schädels klaffte eine große offene Wunde. Arme und Beine schienen gebrochen zu sein. Es sah aus, als wenn jemand den leblosen Körper zusammengefaltet hätte.

In der Nacht hatte es geregnet, aber auf dem Boden konnte man noch einen dunklen Fleck erkennen. Vermutlich war sie vor Beginn des Regens gestürzt. An Armen und Beinen gab es zahlreiche Schürfwunden. Ihre Fingerkuppen waren blutig aufgerissen. Sie trug einen blauen Bademantel und hatte darunter nur Unterwäsche an.

Hanna stieg die Stufen hinab. Man konnte leicht erkennen, dass die Frau schon länger dort lag. Sie sah steif und blutleer aus. Ihr Unterkiefer war nach unten gerutscht. Sie starrte mit vor Schreck aufgerissenen Augen in den Himmel. An ihren Füßen und Unterschenkeln waren blauviolette Flecken. Alles in allem ein scheußlicher Anblick. Hanna drehte sich um:

„Alles Weitere überlassen wir der Spurensicherung. Wir brauchen Fotos aus allen Blickwinkeln. Die Tote muss zur Obduktion ins Institut gebracht werden. Mal sehen, was die Pathologen zu dem Unfallgeschehen sagen können.“

Hanna Wolf ging die Stufen wieder hoch. Die Pflegerin stand abseits. Sie hatte sich an die Hauswand gelehnt und atmete schwer. Die Kommissarin ging auf sie zu:

„Wie heißen Sie?“

„Waltraud Roth. Ich arbeite für den Pflegedienst Zuhause.“

„Wir benötigen den Namen der Schwester, die als letzte die Frau lebend gesehen hat. Außerdem, wer ist der Besitzer der Firma?“, wollte Hanna wissen.

„Es ist Verena Schneider.“

Schwester Waltraud nahm eine Visitenkarte aus ihrer Kitteltasche und überreichte sie der Kommissarin:

„Wir betreuen Frau Sager schon seit zwei Jahren. Ich glaube, Schwester Franziska hat sie am Freitag versorgt.“

Hanna hielt inne. Den Namen hatte sie doch kürzlich schon mal gehört?

„Das ist doch die gleiche Schwester, die in Eschersheim die alte Frau betreut hat? Beziehungsweise die Tote vom Spielplatz.“

Frau Roth warf Hanna einen ärgerlichen Blick zu. Sie rieb sich nervös die Nase. Dann erwiderte sie:

„Wir pflegen kranke Menschen und werden jeden Tag mit dem Tod konfrontiert. Wer das außer Acht lässt, hat etwas nicht verstanden. Unsere Arbeit kann uns jedenfalls nicht zum Vorwurf gemacht werden.“

Ihre Stimme hatte zum Schluss weinerlich geklungen. Keine Frage, sie war mit den Nerven am Ende. Hanna war ungewollt in ein Fettnäpfchen getappt. Die Frau fühlte sich in ihrer Berufsehre verletzt. Die Kommissarin schwieg und sah sich die Schwester genauer an. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und wirkte kraftlos. Vielleicht macht ihr der Anblick der Toten zu schaffen? Mordopfer sehen anders aus als Kranke. Da hilft auch keine noch so hohe Professionalität. Der Schädel der Toten war schwer deformiert. In der Tat ein Bild, das einem Schauer über den Rücken laufen lassen konnte. Vermutlich war sie als Kripobeamtin schon zu abgestumpft.

„Kommen Sie, wir gehen ins Haus zurück. Haben Sie die Krankenakte dabei?“

Sie nickte: „Ja, die Unterlagen liegen noch im Auto.“

Hanna ging voraus. Als sie in der Küche standen, zog sie einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich hin. Frau Roth blieb verunsichert stehen. Sie wirkte abwesend. Hanna räusperte sich:

„Frau Roth, würden Sie mir bitte die Patientenakte holen?“

Die Schwester verschwand wortlos Richtung Ausgang. Hanna sah sich in der Zwischenzeit in der Küche um. Wände und Fußboden waren weiß gefliest. Alles wirkte peinlich sauber. Kein gebrauchtes Geschirr stand herum. Irgendwie erinnert sie der Raum an ein Labor. Hier wurde anscheinend nicht gekocht. In diesem Haus arbeitete der gleiche Pflegedienst wie bei der Toten vom Spielplatz. Was war los mit dieser Firma? Kassierten die nur das Geld und kümmerten sich nicht richtig um ihre Patienten?

Frau Roth kam zurück und legte die Unterlagen auf den Küchentisch.

„Warum haben Sie den Notarztwagen und nicht den Hausarzt gerufen? Sie haben doch sicherlich erkannt, dass die Frau tot war?“, wollte Hanna wissen.

Die Schwester setzte sich auf einen der Stühle. Sie wich Hannas Blick aus und starrte auf ihre Hände. Sie hatte Mühe, sich zu konzentrieren und wirkte zerfahren. Nach einer kleinen Pause begann sie, zu reden:

„Der furchtbare Anblick. Ich bin so erschrocken. Bei Unfällen benachrichtigen wir immer den Notarzt. Schon zur eigenen Absicherung. Ich habe automatisch reagiert. Im Normalfall sterben unsere Patienten an ihrer Krankheit. Dann benachrichtigen wir den Hausarzt. Der stellt den Totenschein aus und wir, oder die Familie, informieren den Bestatter. Es hat sich hier aber um eine ganz andere Situation gehandelt. Frau Sager saß oft im Garten und ihr ist nie etwas passiert.“

Hanna erwiderte nichts, zog die Unterlagen zu sich heran und öffnete die Mappe. Alle Pflegeberichte waren mit Datum und Handzeichen versehen. Für den heutigen Tag fehlten allerdings die Eintragungen. Es waren standardisierte Aufzeichnungen. Über das tatsächliche Befinden der Patientin sagten sie nur wenig aus. Die Krankenberichte wiederholten sich in bedrückender Eintönigkeit. Die Kommissarin legte den Ordner zur Seite und meinte:

„Wir müssen die Papiere mitnehmen und auswerten.“

Danach griff sie zum Handy und wählte Torsten an.

„Ich habe gerade den Namen und die Handynummer des Ehemanns entdeckt. Komm bitte in die Küche und hol‘ dir die Akte ab, damit du ihn verständigen kannst.“

„Bin sofort bei dir.“

Die Kommissarin wandte sich wieder der Schwester zu:

„Wie gut haben Sie Frau Sager gekannt?“

„Nicht nur ich habe bei ihr gearbeitet. Wir sind ein Team. Der Dienstplan entscheidet, wer wann bei wem die Pflege durchführt. Unsere Patienten werden zum Teil rund um die Uhr versorgt. Wir arbeiten alle im Schichtdienst. Als ich vor zwei Jahren begann, die Patientin zu versorgen, kamen wir nur dreimal die Woche ins Haus. Ihr Zustand hat sich im Laufe des letzten Jahres sehr verschlechtert. Mittlerweile waren wir jeden Tag hier. Am Wochenende kümmerte sich der Ehemann um seine Frau.“

„Woran war die Verstorbene erkrankt“, wollte die Kommissarin wissen.

„Frau Sager hatte seit achtzehn Jahren Multiple Sklerose. Mittlerweile im fortgeschrittenen Stadium.“

Hanna sah überrascht auf. Das war eine lange Zeit.

„Frau Sager hat einen Rollstuhl benutzt. Das bedeutet, sie konnte überhaupt nicht mehr laufen, oder?“

„Das ist vor einem Jahr passiert. Davor konnte sie noch mithilfe eines Stocks gehen.“

„Hm, wie lange hatten Sie täglich hier zu tun?“

„Wir kamen um neun Uhr und halfen beim Waschen und Ankleiden. Danach richteten wir das Frühstück. Außerdem stellten wir alles bereit, damit sich die Patientin das Mittagessen in der Mikrowelle aufwärmen konnte. Um elf Uhr endete unsere Dienstzeit. Die Arbeitszeit wurde nur zum Teil von der Krankenkasse übernommen. Dorothee Sager wurde auch als Privatpatientin abgerechnet.“

„Dann war die Frau den Nachmittag über allein. Kam sie ohne Hilfe zurecht?“

„Ja, es gibt technische Hilfsmittel, die sie noch bedienen konnte. Nachmittags kam außerdem eine Putzfrau und dreimal die Woche eine Krankengymnastin. Am Abend wurde sie von ihrem Mann versorgt.“

„Welchen Eindruck hatten Sie von dem Ehepaar Sager?“

Die Schwester blickte verwundert auf. Sie rutsche unruhig auf dem Stuhl hin und her.

„Der Ehemann war um seine Frau sehr besorgt. Sie hat sich nie bei mir beschwert.“

„Immerhin war die Patientin seit fast zwei Jahrzehnten behindert“, gab die Kommissarin zu bedenken.

„Ja, aber wenn es den Ehemann gestört hätte, wäre sie nicht zu Hause betreut, sondern in einem Pflegeheim versorgt worden.“

Torsten kam in die Küche. Hanna übergab ihm ohne jeden Kommentar die Krankenakte. Dann wandte sie sich wieder der Schwester zu.

„War Frau Sager eine schwierige Patientin?“

Die Schwester fühlte sich verunsichert. Was waren das für Fragen? Sie beäugte Hanna misstrauisch und zögerte. Nach einer Weile begann sie, zaghaft zu reden:

„Wir dürfen über Patienten keine Auskünfte erteilen. Das sind persönliche Daten, die unter die Schweigepflicht fallen. Sie möchten auch nicht, dass Ihre Krankengeschichte öffentlich gemacht wird.“

Hanna nickte: „Selbstverständlich, aber hier geht es unter Umständen um Mord. Sie plaudern nichts aus. Im Gegenteil, sie helfen der Kriminalpolizei bei der Aufklärung eines Verbrechens.“

Frau Roth blickte erschrocken zu der Kommissarin. Hanna fragte sich in diesem Moment, ob die Schwester überhaupt realisierte, dass es sich auch um Mord handeln könnte? Sie schien ganz durcheinander zu sein. Doch dann entschied sich Frau Roth, zu reden.

„Ich habe bereits gesagt, dass sie an Multipler Sklerose litt. Die Betroffenen sind bei klarem Verstand und erleben mit jedem Krankheitsschub, dass es ihnen schlechter geht. Sie können sich von Mal zu Mal weniger bewegen. Frau Sager war sehr diszipliniert und hat nicht gejammert. Seit sie nicht mehr allein laufen konnte, wirkte sie auf mich allerdings wie eingefroren. Ich vermute, dass sie gegen Depressionen angekämpft hat.“

„Die Kommissarin zog verwundert die Augenbrauen hoch:

„Wie äußert sich das?“

Frau Roth war durcheinander. Sie sucht nach den richtigen Worten.

„Chronisch Kranke sehnen sich irgendwann nach dem Tod. Das ist nach langem Leiden verständlich. Sie fühlen sich müde. Es fällt ihnen immer schwerer, ein freundliches Gesicht zu machen. Sie wissen, dass sie dazu verdammt sind, auf den Tod zu warten. Die Hoffnung, wieder gesund zu werden, verschwindet im Laufe der Zeit. Unsere Gespräche verliefen mehr und mehr nach einem Schema. Es waren die immer gleichen Fragen und Antworten. Für mehr haben wir Schwestern auch keine Zeit.“

„Ist das auch den anderen Betreuern aufgefallen?“

„Es ist uns allen bekannt, dass sich im Verlauf des Leidens die Persönlichkeit des Patienten verändert. Sie schwanken zwischen irrationaler Hoffnung und emotionaler Erschöpfung. Es gibt fünf Phasen im Sterbeprozess.“

Hanna beugte sich vor. Sie war neugierig geworden und wollte mehr wissen.

„Was verstehen Sie unter diesen fünf Phasen?“

„Die erste Phase ist das Nicht-Wahrhaben-Wollen. Das Verleugnen. Die zweite Stufe beseht aus Zorn, Ärger und der Frage: Warum gerade ich? Die Patienten sind verzweifelt. In der dritten Phase versuchen die Kranken, zu verhandeln. Sie hoffen, durch Änderung ihrer Lebensweise noch eine Chance zu bekommen. Ab der vierten Phase werden die depressiven Verstimmungen immer stärker. Die Patienten erkennen, dass es für sie keine Hoffnung mehr gibt. In der fünften und letzten Phase sollte die Akzeptanz des bevorstehenden Todes erreicht werden, aber das gelingt nicht jedem.“

Die Kommissarin hielt überrascht inne. Sie dachte über diese fünf Phasen nach. Um sie herum bewegten sich die Kollegen der Spurensicherung. Es herrschte die übliche Unruhe und Geschäftigkeit am Tatort.

„Ich wusste nichts über das, was Sie mir gerade berichtet haben. Vermutlich läuft dieser Prozess auch nicht immer so reibungslos ab, wie Sie es gerade geschildert haben. Glauben Sie, dass sich Frau Sager umgebracht hat?“

Die Schwester schüttelte heftig den Kopf:

„Nein, Frau Sager hat still gelitten. Um sich selbst töten zu können, bedarf es einer stärkeren Autoaggression.“

Hanna hatte so ihre Zweifel und wollte mehr wissen:

„Sie wäre aber aufgrund ihrer Körperkräfte noch dazu in der Lage gewesen?“

„Ja, in der Wohnung konnte sie sich mit dem Rollstuhl frei bewegen. Ihre Hände waren noch kraftvoll genug, um die Bremsen des Rollstuhls zu lösen und wieder festzustellen. Zum Rauchen ist sie immer auf die Terrasse gefahren. Ihr Mann ist Nichtraucher und mochte den Qualm in der Wohnung nicht.“

Die Kommissarin notierte mit schnellen Bewegungen einige wichtige Gedanken. Dann wandte sie sich wieder der Schwester zu:

„Ich muss ein Protokoll aufsetzen. Können Sie heute Nachmittag ins Präsidium kommen und ihre Aussage unterschreiben?“

Frau Roth nickte und fügte hinzu:

„Ich kläre das mit meiner Chefin. Kann ich jetzt gehen, ich muss noch zu anderen Patienten?“

Hanna nickte: „Ja, natürlich, bis später.“

Kurz darauf erschien der Ehemann der Toten am Tatort. Torsten wollte ihn vorm Haus abfangen und verhindern, dass er seine Frau in diesem Zustand sah. Doch Walter Sager stieß ihn zur Seite und stürmte durch die Wohnung. Er schob die Männer von der Treppe weg und starrte in den Abgrund. Dann wurde er weiß im Gesicht, taumelte nach hinten und stolperte in den Garten. Dort fiel er plötzlich der Länge nach hin. Torsten rannte zu ihm. Er tastete nach seinem Puls und rief den anderen zu: „Ordert einen Rettungswagen.“

Die schöne Gruft

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