Читать книгу Die schöne Gruft - Gitte Loew - Страница 6

Kapitel 3

Оглавление

Hanna blinzelte in die Sonne. Obwohl heute erst Donnerstag war, sehnte sie sich nach einem freien Wochenende. Vielleicht würde es noch ein paar schöne Herbsttage geben. Sie könnte mit Max einen Kurztrip nach Wien unternehmen. Ein ausgiebiges Frühstück in einem der schönen Kaffeehäuser. Es klopfte an ihrer Tür. Sie wurde aus dem schönen Traum in die raue Wirklichkeit zurückgeholt.

„Herein.“

Torsten kam ins Zimmer und grinste sie gut gelaunt an. Er trug eine neue Lederjacke und stolzierte wie ein Gockel vor ihrer Nase herum.

„Hast du unseren Termin vergessen?“

Hanna sah ihn verwundert an. Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

„Sorry, aber ich hatte die Frau völlig vergessen.“

Sie stand auf und schlüpfte in ihre Jacke. Torsten murmelte etwas von Freud‘scher Fehlleistung. An der Tür wären sie beinahe mit Max Adler zusammengestoßen.

„Nanu, wo wollt ihr denn hin?“, er blieb stehen.

„Ich hatte es auch nicht mehr auf dem Schirm. Wir fahren nach Eschersheim, zur Nachbarin der verstorbenen Rentnerin.

„Die Sache ist doch erledigt, oder? Also ich nehme ab heute Überstunden, da ich einiges zu erledigen habe. Dann bis Montag“, mit diesen Worten verschwand Max Richtung Treppenhaus.

Hanna sah ihm nach und wäre ihm am liebsten nachgelaufen. Sie brummelte etwas Unverständliches vor sich hin. Torsten gab ihr einen freundschaftlichen Stoß in die Rippen:

„Jetzt sag doch mal, das Teil ist doch toll?“, dabei öffnete er die neue Jacke und Hanna sah zuerst die Flecken auf seinem T-Shirt. Es war Kakao.

„Damit kriegst du jede, ganz sicher“, dabei kniff sie ihm unauffällig in den Hintern.

Torsten schien es kaum bemerkt zu haben. Er stolzierte wie ein Pfau im Zimmer auf und ab und schwelgte in Gedanken schon im Wochenende.

„Vielleicht haben wir Glück und die Dame fasst sich kurz. Dann könnten wir auch mal früher Schluss machen“, dabei blickte er gut gelaunt zu Hanna.

Seit einiger Zeit vermutete Torsten, dass Hanna ihm nicht mehr alles erzählte. Er schielte sie von der Seite an. Sie grübelte vor sich hin. Doch was ging ihn das Privatleben seiner Kollegen an?

Sie liefen zum Auto und Torsten übernahm das Steuer. Zehn Minuten später standen die beiden vor dem Haus in der Kurhessenstraße. Im Garten hatte jemand gearbeitet. Ein großer Berg mit herausgerissenen Pflanzen lag im Vorgarten. Sträucher waren geschnitten worden. Hanna schüttelte den Kopf.

„Was für ein Glück, das die alte Frau das nicht mehr sehen kann.

Torsten war genervt. Er ahnte, dass an der Sache etwas faul war und es Ärger geben würde. Auf ihr Klingeln summte der Türöffner und die Kriminalbeamten traten ins Treppenhaus. Die Tür der Parterrewohnung stand offen. Die Siegel der Polizei waren verschwunden. Ein Blick genügte und man konnte sehen, dass auch in der Wohnung irgendwer mit der Entrümpelung begonnen hatte.

„Verdammt schnell“, murmelte die Kommissarin.

„Hallo, wer ist da?“, rief eine Frauenstimme vom ersten Stock herunter.

„Wir sind von der Kripo“, antwortete Hanna und stieg die Treppe nach oben.

Frau Eckermann hatte sich wie ein Wächter vor ihrer Wohnungstür aufgepflanzt. Sie trug eine alte Schürze und hatte die Haare unter einem Tuch zusammengebunden. Torsten, der hinter Hanna stand, kicherte leise. Dann meinte er spöttisch:

„Sie sind schon kräftig am Ausräumen. Ziehen Sie aus?“

Frau Eckermann verdrehte die Augen und wischte sich mit dem Arm über die Stirn.

„Aber nein, der Dreck muss aus dem Haus geschafft werden. Wir haben in der Wohnung von Frau Führer Mäuse entdeckt. Entsetzlich, dieses Ungeziefer. Mein Mann hat den Kammerjäger bestellt.

„Haben Sie auch schon Erben gefunden?“, lästerte Torsten.

„Ach, wo denken Sie hin. Hier hat sich die letzten zehn Jahre niemand sehen lassen. Das Ehepaar war kinderlos. Bis das Gericht in die Gänge kommt, laufen die Kakerlaken in Scharen durchs Haus. Das kann uns niemand zumuten, da wir weiter in so einem Dreck wohnen sollen.“

Torsten zischte Hanna ins Ohr:

„Sind es nun Mäuse oder Kakerlaken? Warum sind die Eckermanns nicht schon früher ausgezogen?“

Hanna erwiderte nichts. Sie gab Torsten einen kleinen Schubs. So kamen sie nicht weiter. Sie starrte diese widerliche Frau an, die ihre Hände in die Taille gestützt hatte und die Beamten böse anfunkelte. Hanna schluckte ihre Verärgerung hinunter. Sie versuchte, mit der Nachbarin in Ruhe zu reden.

„Wir möchten von Ihnen wissen, wer sich um Frau Führer gekümmert hat und wie ihr Tagesablauf aussah.“

Frau Eckermann machte keinerlei Anstalten, sie in die Wohnung zu bitten. Die Kommissarin lehnte sich ans Treppengeländer und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie wartete auf eine Antwort.

„Keiner hat sich um Frau Führer gekümmert. Nur wir haben das getan. Sie war aber auch sehr eigensinnig. Wir schlugen ihr vor, Essen auf Rädern zu bestellen, doch das hat sie abgelehnt. Sie hat den ganzen Winter ihre alten Apfel gegessen und Haferschleim gekocht. Die Schwestern sind zwar jeden Tag gekommen, aber schnell wieder verschwunden. In der Wohnung herrscht ein einziges Chaos, das haben Sie selbst gesehen. Schrecklich, wie in Kriegszeiten. Keiner der Nachbarn kann verstehen, warum die Behörden so etwas zulassen.“

Sie wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah die Beamten dabei böse an. Es passte ihr ganz offensichtlich nicht, dass sie bei ihrer Räumaktion gestört worden war. Hanna blieb hartnäckig.

„Schwester Franziska, die am Tag des Todes bei Frau Führer war, hatte aber einen guten Kontakt zu der alten Dame“, behauptete sie und war gespannt auf ihre Antwort.

Frau Eckermann schüttelte den Kopf und kniff die Lippen zusammen.

„Warum sagen Sie nichts?“, Torsten konnte förmlich sehen, was in ihr vorging und versuchte sie zu provozieren.

„Gehen Sie mal ein paar Häuser weiter und fragen Sie Herrn Ebner. Er hat eine kranke Frau, die vom gleichen Pflegedienst versorgt wird. Schwester Franziska hat den Sohn der Familie darin bestärkt, die künstliche Ernährung für seine Mutter einzustellen. Der Ehemann war außer sich, als ihm das zu Ohren kam. Er hat sich bei der Firma beschwert und durchgesetzt, dass sie nicht mehr ins Haus kam. Es gab einen großen Krach zwischen Vater und Sohn. Seit dieser Zeit reden die beiden nicht mehr miteinander.“

„Vielleicht hatte die Schwester ernste Gründe.“

„Ach, hören Sie doch auf, wo kommen wir denn hin, wenn schon Krankenschwestern Sterbehilfe leisten“, giftete sie gehässig.

Hanna schüttelte den Kopf.

„Unter Sterbehilfe verstehen die Gerichte etwas anderes. Und wenn wir schon bei strafbaren Handlungen sind, muss ich Sie auffordern, nicht mehr die Wohnung der Verstorbenen zu betreten. Das ist Sache des Gerichts. Sie könnten andernfalls in Verdacht geraten, sich bereichern zu wollen.“

„Bereichern? An dem Dreck? Dass ich nicht lache.“

Frau Eckermann lachte allerdings nicht, sondern sah die Beamten wütend an. Sie stand wie ein Bollwerk vor ihrer Wohnungstür. Hanna blieb unbeeindruckt.

„Unsere Kollegen haben die Wohnung versiegelt. Wer hat das Siegel entfernt?“

„Was reden Sie für dummes Zeug“, schimpfte Frau Eckermann aufgebracht, trat einen Schritt zurück und schlug den Kriminalbeamten die Tür vor der Nase zu.

Torsten verdrehte die Augen gen Himmel und meinte sarkastisch:

„Solche Leute haben keinerlei Skrupel. Die glaubt allen Ernstes, dass ihr das Haus schon gehören würde. Ich wette, die hat noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Wir werden neue Siegel anbringen müssen. Am besten in mehrfacher Ausfertigung.“

Hanna hatte genug von dieser unverschämten Person. Sie würde kein weiteres Mal klingeln. Dann musste die Dame halt zur Vernehmung ins Präsidium kommen. Eine kostenpflichtige Verwarnung war ihr sicher, dafür würde sie sorgen. Sie stieg die Treppe hinunter, zog den Wohnungsschlüssel aus der Tasche und verriegelte die Tür. Torsten klebte vier Schilder über den Spalt.

„Ich rufe das Gericht an, damit die nicht noch mehr umkrempeln, bevor Erben gefunden werden. Übrigens, hast du Lust auf etwas Vegetarisches?“

„Hier, in dieser Gegend?“

„Am weißen Stein ist ein Naturkostladen, da gibt es kleinere Gerichte und einen guten Cappuccino.“

„Sag mal, wenn wir schon hier sind, wäre es nicht besser, bei dieser Familie Ebner nachzufragen?“

„Du hast recht Torsten, das habe ich vor lauter Ärger vergessen. Die Schwester hat zwar einen sympathischen Eindruck auf mich gemacht, aber was will das schon heißen.“

Torsten erwiderte nichts. Er hielt das ganze Gerede der Frau für bösartigen Tratsch. Sie verschwanden eilige aus dem vermüllten Haus und liefen den kurzen Weg bis zum Nachbarn zu Fuß. Es war ein schönes Anwesen. Im Giebel des Hauses war die Jahreszahl 1930 angebracht worden. Hanna hob den schweren Messingklopfer hoch, der an der Haustür angebracht worden war. Es dauerte eine Weile, bis eine ältere Frau öffnete.

„Ja, bitte?“

„Ist Herr Ebner zu Hause?“ Wir sind von der Kripo und möchten ihn gern sprechen.“

„Kommen Sie bitte herein. Ich muss ihn holen. Er hört schlecht.“

Sie drehte sich um und verschwand hinter einer der vielen Türen. Hanna blieb vor einem alten Schrank stehen. Solche Schränke standen früher in der Diele wohlhabender Frankfurter Bürger. Sie inspizierte das Prachtstück aufmerksam. Er war aus Eiche gefertigt und an den Ecken verkeilt. Eine echte Antiquität. Wer es sich heutzutage leisten konnte, ein kleines Vermögen in den Flur zu stellen, galt als wohlhabend.

Kurze Zeit später erschien ein älterer Herr, der schon etwas gebückt auf sie zugelaufen kam.

„Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“

„Herr Ebner, wir hatten wegen der verstorbenen Frau Führer in der Gegend zu tun. Dabei haben wir erfahren, dass es bei Ihnen Probleme mit dem Pflegedienst Zuhause gab.“

Er trat einen Schritt zur Seite und öffnete eine Tür.

„Kommen Sie, gehen wir ins Wohnzimmer.“

Sie folgten ihm in einen größeren Raum, der zur Straße hin einen Erker hatte. An den Wänden waren Bücherregale eingebaut worden, die von der Decke bis zum Fußboden reichten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes fiel Sonnenlicht durch raumhohe Terrassentüren, die in den Garten führten. Herr Ebner ließ sich in ein Sofa fallen.

„Nehmen Sie bitte Platz“, er zeigte auf einen Sessel.

„Sie haben die Angelegenheit bestimmt von der Nachbarin gehört. Die hat sich auch über den Pflegedienst beschwert. Das Problem ist, dass die Schwestern immer in Eile sind. Nach Auskunft der Firmenbesitzerin zahlt die Pflegekasse standardisierte Zeitvorgaben. Wer mehr Hilfe haben möchte, muss es aus eigener Tasche zahlen. Meine Haushälterin hat wohl mit dieser Frau Eckermann geschwatzt. Sie ist eine unangenehme Person. Es stimmt allerdings, dass es wegen der Sondenernährung meiner Frau einen heftigen Streit gab. Diese Schwester Franziska hat meinen Sohn darin bestärkt, die künstliche Ernährung für meine Frau abzusetzen. Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Der eigene Sohn will seiner Mutter die Nahrung verweigern und diese blöde Schwester bestärkt ihn auch noch darin. Ich habe mich natürlich dagegen gewehrt. Dieser Todesengel kam mir nicht mehr ins Haus.“

Hanna hüstelte ein bisschen. Starker Tobak, was der Mann da von sich gab. Erst nachdem sie durchgeatmet hatte, konnte sie die nächste Frage an ihn richten:

„Was hat denn Ihr Hausarzt dazu gesagt?“

„Die Hausärzte haben doch auch keine Zeit. Unser Arzt hat mir die Entscheidung überlassen. Niemand kann meiner Frau helfen. Sie hat einen Gehirntumor. Nach fünfzig Jahren Ehe stehe ich ihr bei. Egal, wie lange es dauern wird. Sie würde es im umgekehrten Fall genauso für mich tun. Das ist altmodisch, aber das interessiert mich nicht. Mit meinem Sohn bin ich fertig. Ich habe mithilfe meines Anwalts alles geregelt. Er wird, was mich betrifft, nichts entscheiden.“

Hanna blickte in das verbitterte Gesicht des alten Mannes. Er war gut gekleidet, lebte in einer luxuriösen Umgebung und schien der unglücklichste Mensch auf der Welt zu sein.

„Wohnt Ihr Sohn noch hier im Haus?“

„Ja, das wird auch so bleiben. Er wird keine Familie haben, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er ist Maler und hat in Frankfurt studiert. Seine Bilder verkaufen sich kaum. Von was er lebt, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich will es auch gar nicht wissen. Er haust mit seinen obskuren Freunden im Souterrain des Hauses. Die Wohnung hat einen separaten Eingang. Wir begegnen uns kaum.

Torsten warf Hanna einen fragenden Blick zu. Sie schüttelte leicht den Kopf und wartete, ob Herr Ebner noch etwas erzählen würde. Doch der stierte vor sich hin und schwieg. Nach wenigen Minuten durchbrach sie die Stille:

„Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie uns so offen Auskunft gegeben haben. Das erleichtert unsere Ermittlungen.“

„Glauben Sie denn, dass jemand bei der alten Frau nachgeholfen hat?“, der Mann sah sie dabei von der Seite an. Sein Blick hatte etwas Lauerndes.

„Das wissen wir nicht. Wir stellen solche Nachforschungen routinemäßig an. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.“

Die Kommissarin erhob sich und reichte Herrn Ebner die Hand:

„Alles Gute für Sie und Ihre Frau. Sie brauchen uns nicht zur Tür begleiten. Wir finden den Weg allein. Auf Wiedersehen.“

Der Mann neigte den Kopf und blieb sitzen. Torsten gab ihm die Hand zum Abschied und folgte Hanna zur Tür. Als sie im Flur standen, wollte er etwas fragen, aber sie legte ihm schnell den Finger auf den Mund. Torsten hielt verwundert inne. Erst als sie wieder auf der Straße standen, begann Hanna zu reden:

„Die Schwestern bekommen von den Familien ihrer Patienten sehr viel mit. Da ist es schwer, unparteiisch zu bleiben. Du weißt selbst, was wir manchmal zu hören bekommen. Die Nachbarn wissen bestimmt auch einiges, aber keiner wird ein Wort sagen. Erst hinterher haben alle gewusst, dass da etwas nicht in Ordnung war. Die Pflegekräfte arbeiten in der Regel allein, das bedeutet, es gibt keine Zeugen.“

Torsten hörte Hanna im Moment nicht zu, was sie da alles vor sich hinmurmelte. Missgelaunt lief er zum Auto.

„Was für ein Irrsinn. Das ganze Geschwätz von dieser Frau Eckermann muss protokolliert werden. Das wird dauern.“

Torsten hasst es, lange Berichte schreiben zu müssen. An einen baldigen Feierabend war nicht mehr zu denken.

Die schöne Gruft

Подняться наверх