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Kapitel 2

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Kommissarin Wolf war aus einer Besprechung heraus nach Eschersheim gerufen worden. Man hatte eine Tote am Ginnheimer Hang gefunden. Sie zog ihr Handy aus der Tasche:

„K13, Wolf. Ich bin jetzt in der Kurhessenstraße. Wo steht ihr?“

„Erste Straße rechts, vor dem Spielplatz.“

Hanna Wolf fuhr bis zur nächsten Ecke und bog rechts in den Weg ein. Sie parkte den Wagen vor einer alten Villa und sah sich erst einmal um. In dieser Gegend gab es schöne alte Häuser, die mit reichlich Gartengelände umgeben waren. Die Mannschaft des Rettungswagens saß bereits wieder im Fahrzeug. Schon alles erledigt? Hanna stieg aus und lief zu den Polizisten, die neben der Toten standen.

„Morgen, Kollegen. Wer hat die Frau gefunden?“

„Ich. Mein Name ist Elisabeth Schwarz. Ich war mit dem Hund unterwegs, als ich die Frau so schief auf der Bank sitzen sah. Ich bin näher herangegangen. Naja, und dann habe ich bemerkt, dass sie nicht mehr geatmet hat.“

„Kennen Sie die alte Dame?“, wollte die Kommissarin wissen.

Frau Schwarz sah sie verwundert an:

„Kennen? Nein. Sie ist mir manchmal begegnet, wenn ich meinen Hund ausgeführt habe. Aber ich weiß nicht, wie sie heißt.“

Franziska hatte abseitsgestanden und gewartet. Jetzt ging sie auf die Gruppe zu und meldete sich aus dem Hintergrund zu Wort:

„Es ist unsere Patientin, Frau Führer. Als ich heute Morgen kam, war sie nicht in ihrer Wohnung.“

Die Kommissarin drehte sich zu ihr um: „Wissen Sie weshalb?“

„Sie war vergesslich. Anstatt morgens auf uns zu warten, ist oft spazieren gegangen. Wir haben sie immer wieder gebeten, das nicht zu tun. Aber sie hat unsere Bitten von einem zum anderen Tag vergessen. Vielleicht hat sie einen Schwindel gespürt und sich dann auf die Bank gesetzt. Es könnte das Herz gewesen sein.“

„Hatte sie eine Erkrankung?“

„Nur Bluthochdruck, aber der war mit Medikamenten gut eingestellt“, erwiderte Franziska schnell.

Hanna wandte sich wieder an den Polizisten:

„Was hat der Notarzt gesagt?“

„In ihrem Alter. Können Sie sich doch denken, aber fragen Sie ihn doch selbst. Es ist ja noch da“, der Polizeibeamte vergrub seine Hände in den Hosentaschen und schwieg. Die Kommissarin lief die wenigen Schritte bis zum Rettungswagen und klopfte an die Scheibe. Das Fenster öffnete sich.

„Mein Name ist Wolf, Kripo Frankfurt. Woran ist die Frau gestorben?“

Der Arzt blickte erstaunt auf und beugte sich zu Hanna herunter:

„Frau Kommissarin, das sehen Sie doch. Keine Gewalteinwirkung, keinerlei Verletzungen. Ich gehe von Herzversagen aus. Die Frau hat einen Schwächeanfall erlitten und ist nicht wieder aufgewacht. Ich kann keine Anzeichen erkennen, die auf einen gewaltsamen Tod hindeuten. So wollen wir doch alle sterben, oder?“

Hanna beantwortete seine Frage nicht. Sie hatte jetzt Wichtigeres zu tun.

„Ich benötige eine Kopie des Totenscheins für die Ermittlungsunterlagen.“

Sie reichte dem Arzt ihre Visitenkarte. Er steckte sie ein und nickte ihr zu:

„Wir faxen Ihnen eine Kopie. Bis dann.“

Die Kommissarin lief zu der kleinen Gruppe zurück, die sich um die Tote geschart hatte. Sie zog die Schwester des Pflegedienstes zur Seite. Nicht jeder sollte hören, was sie wissen wollte.

„Hat die Verstorbene Angehörige?“

Franziska schüttelte den Kopf:

„Soviel ich weiß, nein. Das Nachlassgericht wird nach Erben für das Haus suchen müssen.“

War die Frau vermögend?“, die Kommissarin sah die Schwester aufmerksam an.

Franziska antwortete nicht sofort. Solche Fragen waren ein zweischneidiges Schwert. Als Schwester kümmerte man sich um pflegerische Dinge, soweit es die Patienten zuließen. Für alles andere waren sie nicht zuständig. Nur widerwillig gab sie Auskunft:

„Ich weiß nicht, was das Haus wert ist. Wer auch immer den Kasten erben wird, braucht Geld, um das marode Gebäude wieder in Ordnung zu bringen.“

„Hm“, für Kommissarin Wolf klang das auf den ersten Blick plausibel.

„Haben Sie Schlüssel zur Wohnung?“

Statt einer Antwort zog Franziska das Mäppchen aus der Tasche und überreichte es der Kriminalbeamtin. Die griff danach, ließ es in ihre Manteltasche gleiten und beobachtete dabei die Schwester. Der Tag hatte gerade erst begonnen, und die Frau sah schon müde aus. Hanna Wolf wandte ihren Blick ab und meinte im Gehen:

„Bitte warten Sie dort drüben an meinem Auto. Sie müssen mich in die Wohnung der Toten begleiten.“

Franziska hatte damit gerechnet. Widerwillig lief sie zum Wagen der Kommissarin. Vorsicht war geboten. Außenstehende hatten keine Ahnung. Der Alltag in der ambulanten Pflege sieht anders aus, als auf den Bildern der Hochglanzbroschüren.

Bevor die Kommissarin den Spielplatz verlassen konnte, ging sie zu den Polizisten.

„Lasst die Tote von der städtischen Pietät abholen. Bis die Angehörigenfrage geklärt ist, muss die Leiche im Kühlhaus gelagert werden. Wir melden uns, sobald wir mehr wissen.“

Einer der beiden Beamten hob die Hand zum Gruß, stieg in den Streifenwagen ein und griff zum Telefon.

Franziska drehte sich noch einmal nach der schmalen Gestalt auf der Bank um. Es tat ihr leid, was geschehen war. Sie zuckte zusammen. Die Kommissarin hatte sie leicht am Arm berührt.

„Steigen Sie ein.“

Als die Frauen in der Kurhessenstraße ankamen, war die Nachbarin verschwunden. Die Wohnungstür stand noch immer offen. Hanna Wolf warf ihrer Begleiterin einen fragenden Blick zu. Doch die zuckte nur mit den Schultern.

„Die Tür ist meistens unverschlossen. Frau Führer hatte kein Geld. Diebe hätten bei ihr nichts holen können.“

Ein kleines Lächeln huschte über Hannas Gesicht. Sie betrat den Flur und durchquerte die große Wohnung. Der Anblick war unfassbar. In allen Ecken lag schmutzige Wäsche herum. Es roch muffig, kein Lüftchen bewegte sich in den Räumen. In jedem Zimmer stand benutztes Geschirr. Auf der Küchenanrichte lag ein angefaulter Apfel, um den Fliegen kreisten. Es roch säuerlich nach Fäulnis. Sie drehte sich nach der Schwester um:

„Warum wurde die Wohnung nicht geputzt? Die Frau hat völlig verwahrlost gelebt.“

Franziska lachte kurz auf. Es klang wie ein Bellen.

„Sie war kein Fall für das Sozialamt. Das Haus ist zwar alt, aber das Grundstück ist eine Menge Geld wert. Aber Steine kann man nicht essen. Hausbesitzer bekommen nichts vom Sozialamt. Es sei denn, sie sind damit einverstanden, dass die Behörden eine Hypothek auf ihr Eigentum nehmen. Erst dann gibt es Geld vom Sozialamt. Das hat Frau Führer abgelehnt. Die Reparaturen haben sie in den Ruin getrieben. Ihr blieb nicht viel zum Leben. Die Mieter wollten das Haus kaufen und sie ins Pflegeheim abschieben, aber das wollte sie nicht.“

Auf dem Gesicht der Kommissarin erschien ein Ausdruck von Resignation. Immer die gleiche Leier. Sie konstatierte knapp:

Frau Führer hätte ihr Haus verloren und Geld bekommen, mit dem sie nichts mehr anfangen konnte.“

Franziska verzog ihr Gesicht und seufzte. Dann meinte sie leise:

„Ein Teil des Geldes wäre vermutlich für Schulden draufgegangen. Ich weiß nichts über ihre Finanzen, aber Frau Führer hatte Angst. Sie fühlte sich verfolgt. In ihrer Wohnung war sie frei und konnte tun und lassen, was sie wollte.“

„Haben die Mieter Druck auf sie ausgeübt?“, hakte die Kommissarin nach.

Die Schwester wiegte den Kopf hin und her. Sie wollte sich aus der Sache raushalten. Frau Führer hatte ihr erzählt, dass Frau Eckermann sie nervte. Die Nachbarin war für ihre üble Nachrede in der Straße bekannt. Das hatte auch sie schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Doch das war alles Schnee von gestern. Sie hielt besser den Mund.

Die Kommissarin ließ aber nicht locker und ging einen Schritt auf sie zu:

„Ich muss Sie das fragen. Wir finden sowieso heraus, wenn etwas an der Sache faul ist“, meinte sie leichthin.

Franziska fühlte sich in die Enge getrieben. Es würde sinnlos sein, zu schweigen. Sie erzählte der Kommissarin, was sie wusste.

„Die Familie Eckermann wollte ihr das Haus abkaufen und den Preis möglichst niedrig halten. Frau Führer hat gespürt, dass sie solchen Verhandlungen nicht mehr gewachsen war. Sie sprach hin und wieder von ihrer Angst. Sie behauptete, von Ratten umzingelt zu sein.“

Die Kommissarin dachte einen Augenblick nach. Der Zustand der Wohnung sprach Bände. Dieser Hinweis führte zu neuen Vermutungen und belastete die Mieter. Vielleicht war alles nicht so harmlos, wie es auf den ersten Blick aussah? Was spielt der Pflegedienst dabei für eine Rolle?

„Ihre Auskunft ist wichtig. Haben Sie etwas gegen die Familie Eckermann?“

Franziska verzog die Mundwinkel nach unten. Hätte sie nur den Mund gehalten. Aber jetzt musste sie Farbe bekennen.

„Ich konnte die Familie von Anfang an nicht leiden. Sie waren Frau Führer gegenüber freundlich, aber hinter ihrem Rücken haben sie über sie hergezogen. Die alte Frau war eine leichte Beute.“

Hanna konnte sich in etwa vorstellen, was in diesem Haus abgelaufen war. Dem musste nachgegangen werden.

„Ich werde Ihre Aussage notieren. Sie müssen ins Polizeipräsidium kommen und das Protokoll unterschreiben. Bitte geben Sie mir Ihre Telefonnummer. Ich rufe Sie an.“

Franziska zog eine Visitenkarte aus der Tasche und überreichte sie der Kommissarin.

„Steht alles drauf. Wenn Sie mich im Moment nicht mehr brauchen, würde ich gern gehen. Ich werde erwartet.“

Die Kommissarin lächelte schwach:

„Verstehe, Zeitdruck. Ich melde mich bei Ihnen.“

***

Franziska verschwand aus der übel riechenden Wohnung und ging nach draußen. Bevor sie ins Auto einstieg, holte sie erst einmal Luft. Das hatte gerade noch gefehlt. Sie rief nicht im Büro an, sondern fuhr stattdessen nach Hause. Meine Güte, wie hatte ihr das nur passieren können?

In ihrer Wohnung angekommen ließ sie sich zuerst in einen Sessel fallen. Sylvester kam unter dem Sofa hervorgekrochen und sprang auf ihren Schoß. Sie graulte den Kater und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Es dauerte eine Weile, bis sie sich innerlich beruhigt hatte. Es war nicht mehr wichtig, ob und wie viel Tabletten Frau Führer geschluckt hatte. Die alte Frau war tot. So, wie es im Augenblick aussah, war niemand misstrauisch geworden. Keiner der Beteiligten hatte den Gedanken an eine Obduktion erwähnt. Sie konnte nur hoffen, dass die Kommissarin den Fall ruhen lassen würde. Andernfalls würde sie ernsthafte Probleme bekommen.

Ihr fiel mit einem Mal der Traum der vergangenen Nacht ein. Unsinn. Sie arbeitete zu viel. Es war gut, dass Lars aus ihrem Leben verschwand und die Streitereien endlich aufhörten. Auf der anderen Seite musste sie ab nächsten Monat die Miete allein bezahlen. Franziska legte die Hände vors Gesicht und heulte los. Sylvester rekelte sich auf ihrem Schoß und maunzte ungeduldig.

Nach einer Viertelstunde hatte sie sich einigermaßen beruhigt. Sie nahm das Handy und meldete sich bei der Einsatzzentrale:

„Hallo, Verena, ich habe der Kommissarin die Wohnung gezeigt und mir ihr über Frau Führer gesprochen. Die Kripo verlangt, dass ich ins Polizeipräsidium kommen und das Protokoll unterschreiben soll.“

„Jetzt gleich? Du weißt, wir sind im Augenblick sehr knapp mit Personal.“

„Keine Panik. Ich weiß noch nicht, wann ich dort antanzen muss. Die Kommissarin wird mich anrufen. Du musst das Gericht wegen des Nachlasses informieren. Den Wohnungsschlüssel habe ich der Kripobeamtin gegeben. Sie heißt Wolf. Soll ich die Nachtschicht übernehmen?“

„Ja, aber komm‘ vorher ins Büro. Wir haben einen neuen Patienten in Rödelheim. Du brauchst seine Wohnungsschlüssel und die Krankenakte.“

„Geht in Ordnung, bis gleich.“

Franziska setzte den maulenden Kater auf die Couch zurück. Dabei biss er ihr leicht in die Hand und setzte sein freches Katzenlachen auf. „Mistkerl“, schimpfte sie und verließ eilig die Wohnung.

Die schöne Gruft

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