Читать книгу Roman Paket 9 Glenn Stirling Liebesromane für den Strand - Glenn Stirling - Страница 25

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Die Morgenbesprechung bei Gött war zu Ende. Alle Ärzte, bis auf Ina Bender, waren inzwischen gegangen. Und Gött hielt noch immer die Zeitung mit dem Bericht über den Unglücksfall im Freihafen in den Händen.

Ina hatte ebenfalls die Fotos und Berichte gesehen. Fotos des Kollegen Dr. Harald Preiß und seiner Helferin Schwester Marita. Aber auch Fotos von Dr. Sanders, als der auf der Trage ins Klinomobil geschafft worden war.

„Wie geht es dem Kollegen Sanders eigentlich?“, fragte Ina.

„Ja, Frau Bender“, erwiderte Gött, „der macht sich prächtig, muss aber noch liegen, hat ganz schön einen auf den Ballon bekommen. Naja, das heilt rasch. Und was wichtiger ist, diesem Arbeiter, den Sanders und Preiß mit Schwester Maritas Hilfe operiert haben, geht es den Umständen gemäß nicht schlecht. Sie werden ihn noch sicherheitshalber eine Weile in der Intensivstation zur Beobachtung halten, weil ja mit Entzündungen gerechnet werden muss.“ Er schob die Zeitung beiseite und sah Ina an. „Nun setzen Sie sich, Frau Bender, Sie haben doch irgendetwas auf dem Herzen. Übrigens, das wäre fast unter dieser Sache von gestern untergegangen, bin ich verdammt froh, dass es mit Ihrem Bernd Kluge ein Irrtum war.“

„Deswegen wollte ich mit Ihnen reden, Herr Chefarzt“, erklärte Ina und sah ihn ernst an.

Er lehnte sich zurück und machte ein gespannt wirkendes Gesicht. „Also heraus damit, was ist los?“

„Ich möchte vier Tage Urlaub haben, Herr Professor.“

Er richtete sich spontan auf, als sei er mit einer Nadel gepiekt worden. „Urlaub? Das ist ausgeschlossen! Menschenskind, Frau Bender, Sie wissen doch, was bei uns los ist. Wieso denn Urlaub?“

„Ich will zu ihm. Herr Chefarzt, es dauert nur vier Tage, dann bin ich wieder hier, mache meinen Dienst. Und solange muss es ja einmal möglich sein. Ich möchte mich nicht krankmelden und Ihnen etwas vorschwindeln. Ich werde zu ihm fahren und dafür sorgen, dass er mitkommt, dass er das da aufgibt. Oder er gibt mich auf.“

„Aber Mädchen, nun hören Sie doch mal zu“, sagte Gött beschwichtigend. „Ich brauche Sie hier so dringend. Sie wissen doch genau, dass Preiß verletzt ist und für den Notdienst ausfällt. Da muss ich jemand anderen hinschicken. Die Grund kann das nicht. Ich frage mich überhaupt, wie die jemals mit ihrer Facharztausbildung zurande kommen will. Und alle anderen brauche ich hier dringend. Glücklicherweise habe ich das Glück, dass der Kollege Fink mir einen Anästhesisten, der sich in Facharztausbildung befindet, für den Notdienst herausgibt. Das sind schon mal s die winzigen Erfolge, die man haben kann. Aber wen soll ich denn für Sie hier einsetzen? Breitenbacher hüpft mit einem Gipsfuß herum. Und wenn ich den schon sehe mit seinem Märtyrerblick, wird mir schwarz vor Augen. Aber ich gebe ja zu, es fällt ihm nicht leicht, Dienst zu machen. Doch er tut ihn, weil ich ihn darum gebeten habe und weil ich ihn brauche. Wir können auf niemanden verzichten, unseren Patienten zuliebe nicht. Sehen Sie, Ihrem Bernd geht es doch gut da unten, es ist ihm nichts passiert, und er ... “

„Gutgehen?“, fauchte Ina zornig. „Wie kann es einem Arzt gutgehen, der in einem Katastrophengebiet arbeitet, wo, wie ich gestern Abend noch im Fernsehen gesehen habe, nicht einmal Unterkünfte für die Menschen sind, die obdachlos wurden. Es ist ein Jammer, wie die da leben und es ist kalt da.“

„Mein Gott“, knurrte er, „ich verstehe Sie ja. Aber nun seien Sie doch einmal vernünftig. Hier liegen hunderte Patienten, die unsere Hilfe brauchen. Wir müssen uns um sie kümmern. Wir können doch nicht einfach einer persönlichen Frage wegen alles hinschmeißen. Ich habe Kiesewetter ja schon in den aktiven Dienst gesteckt und mache seine Arbeit, weil wir eben niemanden haben, weil überall Ärzte fehlen. Kiesewetter hilft da und dort als Oberarzt, das ist auch nicht die Regel. Wenn Sie jetzt noch ausfallen, wie soll das denn weitergehen? Immerhin wird hier rund um die Uhr gearbeitet. Wir sind nun mal nicht irgendein Kreiskrankenhaus in Hintertupfingen. Dies ist das Hafenkrankenhaus in Hamburg.“

Ina sah ja ein, dass er im Grunde recht hatte. Aber sie hatte die letzte Nacht aus Sorge um Bernd schon nicht mehr schlafen können. Der Schock von dieser falschen Todesmeldung saß ihr noch in den Gliedern. Nein, sagte sie sich, ich halte das wirklich nicht aus. Gött erklärte sie:

„Ich habe Sie selten um etwas gebeten, was mir so ernst war wie das.“

„Aber Sie können doch nicht einfach da runter reisen, das ist ein Katastrophengebiet. Sie kommen da überhaupt nicht hin. Ich habe auch Fernsehen geguckt wie Sie. Immer wieder war davon die Rede, dass es ein unzugängliches Gebiet ist, das nur über Hubschrauber erreicht werden kann oder über was weiß ich was. Sie können sich doch nicht von der Armee dort einen Panzer mieten, nur um dahinzukommen, damit Sie sehen, dass es Ihrem Freund gutgeht. Dafür hat doch niemand Verständnis. Und wenn Sie als Ärztin hinkommen, dann wird, wenn die Leute noch ganz bei Tröste sind, die erste Frage die sein: Wollen Sie uns helfen? Naja, und das finde ich normal. Also, warten Sie, bis er kommt. Sie haben mir doch selbst erzählt, dass es nur vierzehn Tage oder drei Wochen dauert. Er ist ja schon eine ganze Zeit dort, dann kommt er doch bald zurück.“

„Sie wollen also“, erklärte sie beharrlich, „dass ich Ihnen mit einer Krankmeldung komme?“

„Verdammt, nein, das will ich nicht!“, polterte er und klatschte mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. „Ich will, dass Sie Ihren Dienst machen und nicht nur ich will das, sondern es muss sein, der Patienten wegen. Die anderen bekommen die Kurve nicht. Ich kann doch nicht mit lauter Leuten, die sich noch in der Ausbildung befinden, die schwierigen Fälle behandeln. Das ist einfach unmöglich. Außer Breitenbacher, Kiesewetter und mir muss es noch einen vierten Arzt geben, der absolut fach- und sachkundig ist. Und Sie sind das. Sie sind eine voll ausgebildete Fachärztin. Wir haben schwierige Probleme und Sie wissen, dass wir die Besatzung des Quarantäneschiffes seit gestern auch hier im Hause haben. Die Isolierstation ist voll besetzt. Das fällt unter unsere Obhut. Ich kann es nicht ändern, aber ich brauche Sie und kann Sie keine Stunde entbehren. Und damit ist das Thema bewältigt. Ich glaube, Ihre Patienten warten, Frau Bender.“

Sie war in diesem Moment so wütend auf ihn, dass sie ihn keines Blickes mehr würdigte, auf dem Absatz kehrtmachte und hinausging. Etwas lauter als sonst fiel die Tür zu.

Gött zuckte nur die Schultern und vertiefte sich dann wieder in den Zeitungsartikel. Aber lange hatte er nicht die Muße dazu. Dr. Fink, der Oberarzt der Intensivstation, rief an und bat ihn, nach einer Patientin zu sehen, der es sehr schlecht ging.

„Ich komme“, ächzte Gött, legte auf und stemmte sich von seinem Stuhl hoch. Mürrisch brummte er: „Na, dann mal ab die Post ...“

Ina verließ die Klinik pünktlicher als sonst, fuhr rasch nach Hause, wo sie von ihrer verwundert dreinblickenden Tante Hilde mit den Worten empfangen wurde:

„Du bist schon da, Kind?“

„Ja, das bin ich, wie du siehst“, entgegnete Ina knapp.

„Na hör mal, eine Laune hast du wieder. Du könntest doch so froh sein.“

Ina gab ihrer Tante keine Antwort, ging ins Esszimmer und war froh, dass dort niemand war. Sie hatte sich ein paar Telefonnummern aufgeschrieben, setzte sich an den Tisch, zog das Telefon zu sich heran, nahm den Hörer ab und begann zu wählen.

Tante Hilde hatte sich lautlos der Tür genähert und stellte verärgert fest. dass die nicht angelehnt, sondern verschlossen war. Das hinderte Tante Hilde aber nicht daran, das Ohr an die Tür zu legen und zu lauschen. Irgendetwas, sagte sich die Frau, ist mit Ina passiert. Wieso will sie sofort telefonieren?

Sie musste wissen, worum es ging. Aber dann sprach zu ihrer Enttäuschung Ina Französisch und mit dieser Sprache hatte sie trotz der Anwesenheit der gebürtigen Französin Marie ihre Probleme. Vor allen Dingen, wenn es so schnell gesprochen wurde und so fließend, wie das Ina tat. Sie verstand nur einzelne Wörter, begriff aber den Zusammenhang nicht.

Nach einer Weile war Pause, doch dann schien Ina wieder zu wählen, das konnte sie deutlich durch die Tür hören. In der Hoffnung, nun doch noch etwas zu erfahren, lauschte sie weiter.

Da sprach Ina zu Tante Hildes große Enttäuschung plötzlich Englisch.

Das konnte Tante Hilde schon etwas mehr begreifen, aber dennoch entging ihr der Sinn des Gesprächs. Nur so viel verstand sie, dass es um Dr. Kluge zu gehen schien, denn diesen Namen erwähnte Ina immer wieder.

Tante Hilde hätte wahrscheinlich noch länger gehorcht, hätte sie nicht plötzlich ein Räuspern von der Treppe her gehört, was sie zusammenschrecken ließ. Sie ging sofort von der Tür weg, schaute verlegen zur Treppe, wo Marie stand. „Och“, meinte sie, „ich habe mir eingebildet, wir hätten den Holzwurm in der Tür, es knackt da immer so.“

Marie hatte das Wort Holzwurm noch nicht gehört, versuchte zu begreifen, was es bedeutete. Aber mit ihrem feinen Gespür für das, was wirklich war, ahnte sie, was sich hier wirklich abgespielt hatte. Sie lächelte und sagte mit ihrem zarten Akzent: „Was ist Holzwurm?“

„Ein kleiner Wurm, der im Holz herumkriecht. Davon geht das Holz kaputt, und die Türen sind nicht einmal alt.“

Marie war fast sicher, dass Tante Hilde nur gehorcht hatte, wollte sie aber nicht in Verlegenheit bringen und sagte: „Mein kleine Chou Chou wird nicht mehr satt. Ich muss jetzt auf die Flasche gehen.“

Sie nannte ihre kleine Marie Chou Chou. Das klang so reizend, dass Tante Hilde immer schmunzeln musste, wenn Marie das sagte.

„Aber die Ärztin hatte doch gesagt, dass du eine Flasche dazugeben kannst. Marie wächst gut, das ist doch schön.“ Marie blickte auf ihre Armbanduhr. „Thomas ist noch nicht zurück. Ich werde bald wahnsinnig. Er ist so lange heute weg. Er hat mir erzählt, dass er auf dem Rückweg ein Auto reparieren will. Ich sollte nicht mit dem Abendbrot auf ihn warten. Aber Opa ist auch noch nicht da.“

Marie war ans Fenster getreten und schaute hinaus. „Es ist viel Regen hier in Hamburg, viel mehr als bei mir zu Hause in Frankreich.“

„Ja, das ist nun mal so. Aber nichts bleibt hier lange. Und das Barometer steigt, pass mal auf, morgen wird es schön. Und glatt auf den Straßen, sie haben Frost angesagt, ich habe es vorhin in den Nachrichten gehört.“

Bevor Marie etwas darauf erwidern konnte, ging die Tür zum Esszimmer auf, und Ina trat heraus. Überrascht, dass die beiden hier standen, grüßte sie Marie, blickte dann auf Tante Hilde und sagte:

„Ich erwarte einen wichtigen Anruf. Ich werde hier unten bleiben. Und wenn er kommt, dann bitte ich euch, mich nicht zu stören.“ Sie schaute wieder auf Marie. „Nimm es mir nicht übel, aber bring bitte deine kleine Tochter nicht herunter, wenn ich telefoniere. Es ist ein Auslandsgespräch mit einer sicherlich schwierigen Verständigung.“

Tante Hilde ahnte sofort, woher dieser Anruf kommen würde. „Ruft Doktor Kluge aus der Türkei an?“, fragte sie prompt.

„Es kann sein, dass er es tut. Auf alle Fälle hat man mir zugesagt, dass er oder jemand anderer mich anrufen wird. Es ist nicht so einfach, sie haben dort nur eine Funkverbindung.“

„Wenn du willst, kann ich dir etwas zu essen zurecht machen“, bot sich Tante Hilde an. „Ich setze es dir neben das Telefon, dann kannst du dort essen. Die anderen sind ja noch nicht da und ich weiß nicht, ob wir warten sollen. Thomas kommt viel später.“

Ina nickte nur und verschwand wieder im Esszimmer.

„Was sie nur hat?“, meinte Tante Hilde. „Sie könnte doch froh sein, dass er noch lebt.“

„Ich verstehe sie schon“, behauptete Marie. „Sehnsucht nach einem, der einen liebt, ist schlimmer als Heimweh.“ „Na ja, du musst es ja wissen“, stimmte ihr Tante Hilde zu. „Du hast das ja alles schon erlebt.“

Plötzlich schellte drinnen das Telefon. Am liebsten wäre ja Tante Hilde hineingelaufen, aber sie beherrschte sich und wartete in der Küche. Marie leistete ihr Gesellschaft.

Nach einer ganzen Weile tauchte Ina plötzlich in der Küche auf. „Tante“, sagte sie, „hast du zufällig meine blaue Bluse schon fertig?“

„Nein, Kind, die hängt noch auf dem Speicher, die ist noch nicht trocken. Warum fragst du?“

„Werde ich eine andere nehmen“, erklärte Ina und wandte sich um. Über die Schulter sagte sie im Gehen:

„Ich fliege noch heute Abend über Frankfurt nach Ankara. In zwei Stunden geht meine Maschine. Aber du brauchst dich um nichts zu kümmern, ich komme schon zurecht. Oder doch, eine Bitte habe ich. Hast du vielleicht etwas Bargeld im Haus? Ich habe nur Schecks und fünfzig Mark, das wird nicht reichen. Vielleicht kannst du mir mit etwas Bargeld aushelfen. Ich kann dir einen Scheck dafür geben, wenn du willst.“

„Aber Ina, du kannst so viel bekommen wie du willst. Ich habe fast dreitausend Mark in meiner Sparbüchse.“ „Dreitausend Mark in der Sparbüchse? Aber Tante Hilde“, rief Ina bestürzt, „so etwas schafft man doch auf die Bank!“

„Trau schau wem“, meinte Tante Hilde, „es sind alles Fünfmarkstücke.“ „O du lieber Gott! Wer soll die mit sich herumschleppen?“

„Ich kann dir fünfhundert Mark geben, wenn du willst“, sagte Marie, lachte und fügte hinzu: „Aber in Scheinen.“ „Na, wenn dir mein Geld nicht gut genug ist“, rief Tante Hilde pikiert. „Hier in diesem Haus kann man tun, was man will, man macht es keinem recht“, und verschwand in ihrer Küche.

Der einundachtzigjährige Großvater Inas war nach Hause gekommen und sein erster Gang führte ihn schnuppernd in die Küche. Seine Tochter stand am Herd und rührte in einer Pfanne.

„Riecht gut, was gibt es?“, wollte der alte Herr wissen.

„Rührei. Muss schnell gehen, Ina will weg.“

„Ina will weg? Schon wieder in die Klinik?“

„Nein, Ina will in knapp zwei Stunden in die Türkei fliegen.“

„In die Türkei, zu Bernd?“

„Sieht so aus.“

„Aber da kann sie doch nicht hin, wo er ist. Ich habe doch im Fernsehen gesehen, was sich da abspielt.“

„Sag ihr das selbst. Uns hat sie jedenfalls nichts erzählt. Vorhin, da telefonierte sie eine ganze Weile und dann hat sie uns mit der Nachricht überrascht. Nicht wahr, Marie?“

Marie saß hinten auf dem Küchenstuhl und putzte Sellerieköpfe. Sie schaute auf und nickte beipflichtend.

„Was macht dein kleiner Quäkemus?“, fragte Opa.

Marie, die Opas Art kannte, lachte. „Sie schläft. Sie hat zu viel getrunken und ich denke, dass sie immer mehr Hunger hat“

„Ist ja auch richtig so. Sie kann ja auch nicht so klein bleiben, wie sie ist“, stellte Opa fest. „Also, dann will ich mal sehen, was auf dem Programm ist, heute Abend.“

„Vater“, sagte Tante Hilde, „du kannst dich doch jetzt nicht vor den Farnseher setzen!“

Der alte Herr schaute sie verwundert an. „Und wieso nicht?“

„Du musst mit Ina reden! Sie kann doch nicht in die Türkei fahren, sie muss verrückt sein.“

„Wieso kann sie das nicht? Das ist ein zivilisiertes Land, es sind doch keine Wilden. Wieso soll sie nicht dahinfahren? Und außerdem ist Bernd dort, das ist doch ein Argument.“

„Aber Vater! Wo dieses Erdbeben passiert ist, kann sie nicht hin, das hast du selbst gesagt. Das wird sie aber wollen.“

„Hör mir zu, Hilde. Ina ist ein erwachsener Mensch und erwachsen ist sie schon eine ganze Reihe von Jahren. Und ein Dummkopf ist unsere Ina auch nicht. Wenn sie das also will, hat sie darüber nachgedacht. Du musst damit aufhören, ihr in alles hineinzureden.“

„Ich mache mir eben Sorgen. Wie dir das alles so ganz egal ist!“

Er schüttelte den Kopf „Wie kannst du so etwas sagen, Hilde! Das ist mir niemals egal. Ich liebe meine Enkeltochter. Aber sie hat auch einen Anspruch darauf, dass ich sie als Erwachsene betrachte. Und das tust du nicht. Wenn ich Thomas wäre, würde ich sagen: Du gehst mir auf den Geist.“

„Das war deutlich!“, rief Tante Hilde empört. „Du stellst dich auch noch auf ihre Seite. Während wir vor Sorge fast vergehen ...“

„Deine Rühreier brennen an, wenn du nicht darauf achtest“, maßregelte Opa sie und dann verschwand er.

„Unerhört, setzt sich jetzt vor den Fernseher, als wenn gar nichts wäre.“

Marie sagte nichts. Mittlerweile kannte sie die Spielregeln in diesem Haus. Das einzige, um das sie sich wirklich kümmerte, waren ihre kleine Tochter und ihr Mann. Aus den Reibereien, die zwischen Opa und Tante Hilde einerseits, Opa und Thomas andererseits stattfanden, hielt sie sich heraus.

Da tauchte Ina wieder auf, im weinroten Reisekostüm, ihre Flugtasche in der Hand und fragte:

„Hast du vielleicht schon etwas zu essen fertig?“

„Mache ich doch für dich, Kind!“ rief Tante Hilde. „Fünf Minuten und du kannst dich an den Tisch setzen.“

Ina blickte auf die Uhr, warf dann einen Blick auf die dampfende Pfanne und sagte: „Das wird zu heiß sein. Ich bin knapp an der Zeit.“ „Du hattest gesagt, zwei Stunden.“ „Ich muß aber eine Stunde vorher auf dem Flughafen sein. Also gut, es wird schon klappen.“

Aber dann klappte es doch nicht, denn das Essen war glühend heiß, sie hätte sich den Mund verbrannt. Und warten wollte sie nicht. So nahm sie sich nur eine Scheibe Brot, legte etwas Wurst darauf und aß, während sie auf das Taxi wartete. Thomas hätte sie sicherlich zum Flughafen gefahren, aber der war nicht da.

Tante Hilde nahm noch einmal Anlauf, ihre Neugierde zu befriedigen. „Was ist denn nun wirklich, Kind? Nun sag doch mal, ist was mit Bernd passiert?“

Ina nickte. „Er ist erkrankt. Er liegt in Ankara in einer Klinik, einem ziemlich bescheidenen Typus von Klinik. Er hat die Gelbsucht. Ich vermute, eine Hepatitis. Ich muss zu ihm, so schnell wie möglich.“

„In Ankara? Aber Kind, die haben doch dort auch Ärzte.“

„Hast du eine Ahnung von den Krankenhäusern, die es dort gibt?“, fragte Ina. „Ich werde dafür sorgen, dass er schnellstens nach Deutschland kommt. Und ich habe die Zusage, dass man mich dabei unterstützt. Aber ich werde es selbst in die Hand nehmen. Übrigens habe ich den Chef anrufen wollen, aber nicht erreicht. Stattdessen ist es mir gelungen, Oberarzt Dr. Kiesewetter zu sprechen. Er wird den Chef unterrichten, dass ich morgen nicht komme. Ich habe heute schon einmal darum gebeten, frei zu erhalten; er hat es mir nicht gewährt. Ganz gleich, was geschieht, für mich ist Bernd wichtiger als irgendetwas anderes auf der Welt. Ich wollte nur, dass ihr es wisst.“

Es klingelte.

„Das wird das Taxi sein“, rief Tante Hilde und humpelte sofort zur Tür.

Es war das Taxi.

Ina verabschiedete sich von Marie, Tante Hilde und Opa. Dann lief sie nach draußen. Tante Hilde hörte noch, wie Ina sagte: „Zum Flughafen ...“

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