Читать книгу DENKSÄULE - Gloria Fröhlich - Страница 5

3. Kapitel

Оглавление

Nach der ersten Rollbraten-Mahlzeit, drängt es die Frau zurück zu dem Foto. Es hat sich ein wenig verformt, während die Farben auftrockneten. Die Frau benutzt nun die schwarze Farbe und übermalt jedes Auge mit einem größeren Kreis, und hält danach versonnen inne. Sie konzentriert sich und geht wieder ans Werk. Von der Mitte der Augenbrauen aus, zieht sie über den Nasenrücken bis zur Spitze einschließlich der Nasenflügel einen dicken Strich und lässt dabei auch die Nasenlöcher verschwinden. Mit Titanweiß malt sie sorgfältig um die schwarzen Kreise und bemalt die Wangen bis zur Oberlippe. Sie ist zufrieden. Das ursprüngliche Gesicht ist nun bis auf den Mund und das Kinn verschwunden. ** Brustkorb, sternenklar, Rabeneltern, Auslaufschutz, Sturmtief, Verkehrsberuhigung. ** Die Frau geht ins Badezimmer und wäscht die Pinsel aus. ** Überlaufbecken, Selbstbehauptung, Bartflechte, Millimeterarbeit, Habenichts, Schandmäuler. Davon gibt es übrigens viele und Quarkbällchen auch, es sei denn, man erwartet sie noch reichlich kurz vor Ladenschluss, dann könnte es eine Enttäuschung geben, die so richtig runterzieht. ** Strickmütze, Lichtreflex, Hungerharke, Überlegung, Gemeinheit, Rumpelstilzchen, Wollhandschuh. Schweinsleder, Ziegenleder, Streichelzoo, Zynismus, Glacehandschuhe, Samthandschuh. Den gibt es nur in meinem Kopf, um mit jemandem vorsichtig umzugehen, der Grobheiten nicht verträgt. „Das Kleid steht Dir gut, der Stehkragen ist sehr vorteilhaft, man sieht nicht gleich Deinen dicken Hals.“ Schweine gehen nicht unter, sie sind ausgezeichnete Schwimmer. Grob gestrickt, Grobian, grobe Leberwurst, meistens in einem eindeutigen und grautonigen Abschnitt des absteigenden Dickdarms eines toten Tieres. ** Bohrwurst, Brüllaffe, grobschlächtig, Gewebeprobe, Stressfaktor. ** Die Frau schläft in der Nacht ziemlich unruhig, steht auf und schaut aus dem Fenster in die tiefschwarze Nacht. Sie lauscht in die Stille, sieht die dunklen Baumriesen zwischen den Häusern in den Himmel ragen, fühlt sich allein, aber nicht einsam. In keinem der vielen Fenster brennt Licht. Sie beginnt an den nackten Beinen zu frieren. ** Kupferdraht, Bernsteinzimmer, Rentenanspruch, Achselhaare, Planwirtschaft, Kuchengabel, Falschgeld, Spaßgesellschaft, Mundspülung, Trotzalter, Restmüll. Das ist der absolute Müll. Mit vorbildlichem Trennungsgrund geschrumpft und dann die endgültige Raumtrennung. In die Mülltonne oder in Müllsäcke. So sorgt der Restmüll nicht mehr für großartige Fantasien. Ein wild zusammen gewürfelter Haufen durch sorgfältiges Aussortieren nach noch verwertbar und sonder, bis man ihm in der nach ihm benannten, beeindruckenden Anlage an der Peripherie der Stadt, so richtig Feuer unterm Hintern, quasi die Hölle heiß macht. Mit gewaltigen, weißen, sich aufbäumenden Wolken zieht er sich ins Universum zurück. ** Trennungsschmerz, Trennkost, Trennlinie, auftrennen, Tinktur, Scheidungskrüppel, abgetrennt, Singlehaushalt, Trauerarbeit, Resteessen. Das ist Verschmähtes vom Vortag und immer wenig, aber aufgewärmt, ist jeder gierig danach aus eben diesem Grund. ** Schlafsack, Fettsack, Butterschmalz, Zwiespalt oder deutlicher, Fett für Unentschlossene. Höhenangst, Buntstifte, Abluft, rostig, Tunnelblick, Faltenwurf, Taschenkäse. Den findet jeder bei sich, wenn er etwas anderes sucht und sich so richtig bis in die Taschenabgründe mit den Fingerspitzen wagt. Taschenkäse ist übrigens eine interessante Ansammlung von winzigen, harten Krümeln in dunklen Flusen, zusammen mit manchmal unwillkürlich, künstlerisch erstaunlich fest gefaltetem Bonbonpapier, auch einem porösen Gummiband oder einer aufgebogenen Büroklammer. So ein Käse! ** Gesetzmäßigkeiten, Ebbe und Flut, Blitz und Donner, wankelmütig, Wanderzirkus, Gefrierbeutel, Kränkung, Eiertanz, Kamillentee, Ziegenbock. „Der grandiose Ziegenbock ist ohne seine Leine, er möchte wieder an den Pflock, dann sind die Kreise seine“. Ist von mir. ** Familienvater, Schwitzwasser, Rockmusiker, Dackelmuseum, Dudelsackspieler, Samentüten, Samenbank, Hirntod, Menschenpyramide, Schwertschlucker. „Einer macht es, der andre belacht es, was macht es?“ Alter Spruch. Lösungsmittel, Selbsthilfegruppe, Gespräche, Alternativen, vergiften, Mordabsichten, Graubrot, Intensivtäter, Kompromisse, Lichtgeschwindigkeit, Tigerkralle, Gefrierbrand. Was für ein Wortspiel mit Gegensätzen. Tranfunzel ist dagegen eine starke Aussage für zwei Schwächen. Paradebeispiel, Wetterscheide. Das ist zum Beispiel der Nord-Ostsee-Kanal oder auch Kaiser-Wilhelm-Kanal genannt. Eine künstliche, geschwungen gebuddelte 98,6 km lange Wasserstraße, die die Nordsee mit der Ostsee verbindet, das Land Schleswig-Holstein aber auch diagonal von Holtenau, Kieler Förde, bis Brunsbüttelkoog, voneinander trennt, was auch durch den Bindestrich in der Landesbezeichnung gut zu erkennen ist. Der Kaiser-Wilhelm-Kanal wurde von der Sektsteuer bezahlt. Es ist zu vermuten, dass diese Tatsache Einfluss auf den Kanal hat, denn er steuert munter das Wetter. Alkohol hat also auch hier eine unterschiedlich empfundene Wirkung, sowohl auf der einen, als auch auf der anderen Seite des Kanals. ** Durstlöscher, Sammelleidenschaft, Lesestoff, Essgeschirr. Pfadfinder und Globetrotter, Blechnäpfe. Fressfeinde. Davor fürchten sich die Weißkohlköpfe auf den riesigen Feldern auf der Ostseeinsel Fehmarn nicht so sehr, wie vor den anrückenden Erntewagen. Die sind radikal. Mehr als die wunderschön gemusterten Raupen der Kohlweißlinge, die ihnen lediglich durch Perforationen Schaden zufügen. ** Geldmangel, Laugenstange, Schwalbenschwanz, Kiesaufschüttung, Leberblümchen. Diese Anemonensorte blüht in einem wunderschönen Blau. Der erste Gedanke ist natürlich, wieso sie mit der Leber in Verbindung gebracht wird, die doch rotbraun ist, wenn man nicht weiß, dass sich der Name der Frühblüher auf die Form der Laubblätter bezieht, so wie ich. Interessant ist es, wie es sich mit dem Wort Blaustrumpf verhält. Die Farbe bleibt mir ein Rätsel, aber je nachdem in welchem Nachschlagewerk nach dem Begriff gesucht wird, gibt es etwas zum Schmunzeln. So auch bei dem alten Volkslied „Ade, zur guten Nacht“. Da werden die ersten beiden Zeilen der vierten Strophe aus vollem Hals ganz ohne Bedenken gesungen: „Die Mädchen in der Welt, sind falscher als das Geld“. Die Steigerung von „falsch“ in „falscher“ ist wohl ein anerkannt, hart erarbeiteter Verdienst der Mädchen. Aber nun noch einmal zurück zu dem Begriff Blaustrumpf. In dem Lexikon aus dem Jahr 1950 zum Beispiel wird das Wissen darüber, was ein Blaustrumpf ist, lediglich mit zwei haargenau zutreffenden Worten erklärt: „Unweibliche Frau“. Da wussten dann auch schon die kleinen Mädchen Bescheid. „Wenn ich Brüste kriege werde ich Mutter, wenn nicht, dann werde ich eben Lehrerin“. Eine plausible, kurze und bündige Antwort auf eine Frage zur weiblichen Lebensplanung, die scheinbar, wenn auch oberflächlich, doch interessierte. Aber nichts bleibt wie es ist. Alles ist in Bewegung. Und auch Ansichten und Einsichten können sich wandeln, wenn man sich auch mal intensiv mit dem Thema Weib und Intelligenz im Großen und Ganzen beschäftigt hat. Und das hatte man tatsächlich. Der Fortschritt machte sich auch in Gehirnen mit Einfluss breit, denn im „Neuen Wörterbuch der Deutschen Sprache“, da gibt es leider keine Jahreszahl, die über den Zeitraum, in dem der Wandel stattfand, Auskunft geben würde, wird bei dem Begriff Blaustrumpf das Attribut „unweiblich“ durch „gelehrte“ ersetzt. Immerhin hat schon jemand herausgefunden, dass unweiblich nicht mit doof gleichzusetzen ist. Unter Emanzipation ist zu lesen: (Freilassung von Sklaven, Kinder – aus elterlicher Vormundschaft). Den Begriff Emanze findet man nicht. Und heute? Die Bezeichnung Emanze ist eher negativ besetzt, wird immer versteckt mit einer klitzekleinen verächtlichen Gegenwehr gebraucht und taucht dann auf, wenn die Rede von selbstständigen, klugen, gebildeten Frauen ist, die sich von niemandem in ihr Leben reinreden lassen. Die viel zu weibliche Frau, die vielleicht sogar auch noch viel zu viel kann, weiß und zu viel will, und was das dann genau bedeutet, empfinden einige Männer ganz stark als Bedrohung, und die Frau bekommt schlichtweg das Substantiv Schlampe. ** Weiberheld, Lustmolch, Schürzenjäger, Heiratsschwindler, Herzensbrecher, Seelenfresser, Festbeißer, Aufreißer, Treuloser, Frauenfeind. Der italienische Casanova (Frauenheld, Liebhaber vieler Frauen, Verführer) Im verregneten, kühlen England, wird er kurz und bündig Lover genannt. Das ist der, um den jede Frau einen großen Bogen machen sollte, wenn es irgendwie möglich und der Verstand noch einigermaßen funktioniert und nicht der Liebe gewichen ist. Die Liebe vergeht vielleicht, aber es ist nicht selbstverständlich, dass der Verstand sich regeneriert. Es gibt aber auch die vielen anderen. Zum Beispiel den Traummann, den Traumtänzer, den Beschützer, den Schönling, den Romantiker, den Frauenkenner und den Frauenversteher. Dann noch den Muskelprotz, den Bürohengst, den Klugscheißer, Gernegroß und Lackaffen, das sind dann eher die harmloseren Typen. Aber trotzdem so viel Vergleichsmaterial. Es ist kaum zu glauben! Aber das gibt allen Frauen, auch den Naiven, den Verklemmten, den Besitzergreifenden, den Treulosen, den Raffinierten, den Berechnenden, den Gemeinen und Hinterlistigen und den schwer zu erkennenden echten Tussen, die Möglichkeit zuzuordnen, ganz subjektiv zu entscheiden, wer gemeint ist, ohne sich für immer festzulegen und gleich mit allen einig zu sein. ** Fremdschämen, zahnschonend, Bettschwere, Zaungast, saudoof, Lebensgeister, Waldsterben. ** Die Anemone der Wälder ist die, die den Waldboden im Frühling mit einem dichten, weißen Teppich bedeckt und die Menschen fröhlich macht. Frühblüher brauchen keine Insekten für den Fortbestand, die machen das unter der Erde unter sich ab. Kleeblatt, Spätentwickler, Meeresungeheuer, Missernte, eine Anwärterin für die Misswahl, die Missfallen erntet, weil sie nicht missmutig ist und leicht bekleidet körperliche Unzulänglichkeiten ungeniert zu Markte trägt. ** Gassi gehen, Perlhuhn, Pfandflasche, Milchstraße, Rufmord, Walnussöl, Raub. ** Raub ist ein gewaltsamer Diebstahl mit der Absicht auf Beute. Diese Absicht hat auch der einfache, bescheidene Räuber. Ebenso der Taschendieb, der Taschen klaut oder mit viel Geschick lediglich mit deren Inhalt zufrieden ist und seine Beute unter seinem Bett versteckt. Ganz anders als ein Raubritter. Einen Raubritter findet man auf einer beeindruckenden Raubritterburg, dem Raubnest, wenn er inmitten einer Räuberbande von seinen Raubzügen mit einem erbeuteten Raubtier, einem jagdbaren Raubwild oder einem Raubfisch zurückgekehrt ist. Über ihm kreisen vielleicht hungrige Raubvögel, in der Hoffnung, dort etwas erbeuten zu können. Und ein Raubstaat führt Eroberungskriege. Es gibt auch den Frauenraub. Das ist die gewaltsame Entführung einer Frau, die in einer Räubergeschichte für Spannung sorgt. ** Klauen, kommt vielleicht von der Klaue, mit der zugepackt wird. Bärenklau. Eine Klaue ist auch eine schlechte Handschrift, Clown, Klaustrophobie, Ladendiebstahl. Es ist viel kriminelle Energie und großes Organisationstalent nötig, gleich einen ganzen Laden zu klauen. Aber es ist für alle Beteiligten ein eher angenehmeres Vergehen, als zum Beispiel ein Autodiebstahl. Man kommt von Nun auf Jetzt nicht mehr von A nach B. Aber schon durch einen einzigen Ladendiebstahl ist es möglich, die Anzahl der Diebstähle drastisch zu reduzieren und somit die besorgten Bürger und die Statistiken zu beruhigen. Denn wenn die Ware in einzelnen, kleinen Mengen aus dem Laden geschafft wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dabei entdeckt zu werden und dadurch natürlich die Anzahl der Diebstähle, die gemeldet werden, weitaus größer, als wenn gleich der ganze Laden stibitzt wird. Das kann jedoch nur einmal bei ein und demselben Laden geschehen, und dadurch ist dann eine Wiederholungstat nicht zu erwarten. Ein Ladendiebstahl hat außerdem den Vorteil, dass der Bestohlene den Verlust mit nur einem Wort bei seiner Versicherung melden kann. „Ladendiebstahl“. Das erspart unnötigen Papierkram, wie lange Auflistung der einzelnen Posten, die verlustig gegangen und jetzt als Diebesgut unauffällig untergetaucht sind. Auch ein Hausverbot wird mangels Laden völlig überflüssig, falls der Ladendieb gefasst wird und selbstverständlich bestraft werden soll. Und ein Ladendiebstahl muss auch noch unter einem sozialen Aspekt gesehen werden. Bei einem gelungenen Ladendiebstahl kann der Ladendieb mit einem einzigen Zugriff all seine dringenden, lebensnotwendigen Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum komplett abdecken, ohne das Haus verlassen zu müssen. Dadurch bleibt er länger fern von Läden und frei von Verführung und Habsucht und dem Zwang, sich an fremdem Eigentum vergreifen zu müssen. Drei Untugenden, die andere schädigen würden, kämen nicht zum Zuge, und eine Selbsthilfegruppe müsste nicht enger zusammenrücken. ** Koexistenz, Regenrinne, Senfeier, Notbremse, Silberrücken, Schichtwechsel, Bodenturnen. Das ist auch so eine Sache, die besprochen werden muss, um nicht immer wieder falsch interpretiert zu werden. Wenn der Boden sich aus der Starre löst und zu turnen beginnt, dann ist Holland in Not, wenn es zum Beispiel in Japan passiert. Bodenturnen ist eine Disziplin, die die Natur uns gelegentlich als normales Ereignis vorführt, das regional erlebt und fälschlicherweise als Naturkatastrophe wahrgenommen wird. Es beginnt damit, dass alles, was bebenden Boden unter den Füßen hat, ganz erheblich in Bewegung gerät, auch wankt, aufreißt, ein- und wegbricht. Dann ist Aufregung angesagt, es wird Alarm geschlagen, Warnrufe ausgestoßen, und es ist größte Vorsicht geboten, weil alles auf den Beinen ist, was noch nicht am turnenden Boden liegt. Dann wackeln die Wände, die Bücherregale kippen nach vorne weg, es staubt, Straßen brechen auf, Brücken stürzen ein, im Vertiko purzelt das Bleikristall durcheinander und ganze Häuserzeilen fallen wie Kartenhäuser in sich zusammen und begraben unter sich, was nicht schnell genug raus- und wegrennen kann. Im schlimmsten Fall gibt es manchmal sogar einen Tsunami mit ebenso vielen Opfern von Mensch und Tier, wenn sich eine riesige Flutwelle vom Meer aus aufmacht, sich ins Land ergießt und alles aufweicht und mit sich reißt. Bodenturnen wird im allgemeinen als Erdbeben bezeichnet, wenn von ziemlich starken Erdkrustenerschütterungen gesprochen wird, die meistens nur wenige Sekunden dauern und durch Verschiebungen der Erdkruste entstehen. Auch Beurteilungen gibt es. Und zwar Noten in Form von Stärken werden vergeben, zum Beispiel für ein ordentliches Beben gibt es schon mal eine Acht. Das ist dann eine ziemlich bemerkenswerte natürliche Darbietung. die mit grauenhaften und aussagekräftigen Bildern der totalen Verwüstung um die ganze Welt geht. Die Erschütterung wegen der enormen Zerstörung ganzer Städte ist dann erheblich, dass sie Mitleid erregt und die Herzen der unbetroffenen Menschen erreicht und sie weich und weit werden lässt. Die Spendenbereitschaft ist enorm, damit genug Geld zur Verfügung steht, um für das nächste Beben alles wieder vorzubereiten. Denn ohne Häuser, Brücken, Straßen und Kristall im Vertiko und ohne Tsunami würde ein Bodenturnen von niemandem in der fürchterlichen Art und Weise wahrgenommen werden. Es gäbe somit gar keine Naturkatastrophen, wie wir sie empfinden und erleben müssen, bloß weil wir Stein auf Stein setzen.

DENKSÄULE

Подняться наверх