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5. Kapitel

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Dritte Rollbraten-Mahlzeit. Beim ersten Bissen überlegt die Frau, und das geschieht aus heiterem Himmel und zum ersten Mal in ihrem Leben, welche Körperteile des Schweins wohl gerade ihren Magen füllen. Schweinebacke, grob aus dem Schweinegesicht geschnitten, vielleicht ein muskulöses Stück vom Nacken, von der Schulter oder vom Bein? Es fühlt sich nicht gut an. Sie sieht im Geiste das entstellte Tier vor sich, und ihr Appetit schwindet, noch bevor sie satt ist. ** Wollreste, Erinnerung, Risikofalle, stupide, schmerzfrei, Beeteinfassung, Armbeuge, schonungslos, Verwandtschaftsgrad, Kabeltrommel, Glasknochen, Wellblech, Ringelschwanz, lammfromm, Weißkohlsaft. ** Der soll helfen bei Helicobacter pylori, diesem widerlichen Magenkeim. Es wird vermutet, dass ihn etwa 20 Prozent der Bevölkerung in sich trägt. Und der kann Probleme machen, wie Übelkeit, Mundgeruch und Durchfall. ** Die Frau denkt an eine kräftige, sämige Ochsenschwanzsuppe in einer antiken Terrine mit Goldrand und überlegt, wo eigentlich die wunderschöne, silberne Schöpfkelle ist. Sie hat sie lange nicht gesehen und sucht sie sofort in allen Schubladen. ** Großkundgebung, Gnadenbrot, Zwangsräumung, Zahnstein. Einmal im Jahr hat jeder Kassenpatient Anspruch auf kostenlose Beseitigung dieser weißen Brutstätte für Bakterien. Danach ist das Zahnfleisch entsetzlich zugerichtet, blutig, wund und tut zwei Tage lang weh. Unkontrolliert produziert der Speichel sofort neuen Zahnstein für das kontrollierte Unbehagen im nächsten Jahr. ** Rohstoffe, Kartoffeln, Steckrüben, roh weniger oder gar nicht bekömmlich. Witzfigur, Selbstzweifel, Pannenhilfe, Dreireiher, Sparschäler, Flusensieb, Hasenscharte, Künstlerbedarfsladen. Da gibt es alles, was ein Künstler für seine Arbeit braucht, außer Talent. Künstlerpech. Das ist ähnlich wie Reinmachefrauenpech, wenn der Eimer mit dem Dreckwasser auf der Auslegeware umkippt. Kunstdünger, vielleicht hilft der bei künstlerischer Schwäche. Der Impressionist Max Liebermann, „Rasenbleiche“, „Gänserupferinnen“, soll folgender Ansicht gewesen sein: „Wer malen kann, hat eine Ausbildung nicht nötig, wer sie nötig hat, soll die Finger vom Malen lassen. ** Kunst, ein großartiges Stichwort, jetzt sprudelt es: „In wessen Herz die Kunst sich niederließ, der ist vom Sturm der Welt geschieden, dem öffnet sich, durchwallt von süßem Frieden, im ew’gen Lenz ein stilles Paradies“, so empfand sie der Romantiker und Philosoph Jean Paul (1763-1825). ** Kunst sind alle menschlichen, nicht unbedingt zweckbedingten Schöpfungen, so prosaisch steht es im neuen Wörterbuch der Deutschen Sprache. Gestaltungsgabe, Fertigkeit in der Malerei, Bildhauerei, Musik und Dichtung. „Dichterwort gleicht einer Flamme, die das Herz erwärmt, erhellt. Dichterwort wirkt wie ein Balsam, wenn es in die Seele fällt“. Die deutsche Dichterin Helene Krüger (1861-1940) hat diese Art der Kunst in wunderschöne Worte gefasst. ** Brotlos. Die Kunst ist zwar nicht das Brot, aber der Wein des Lebens. Diese Meinung vertrat Jean Paul. Und Lebenskünstler kommen mit ganz wenig aus. Kunstturnen, das besteht aus graziösem Verbiegen. „Schnurgerade fließt das Fleet, bis ins Moor, so weit es geht. Würde es sich gern verbiegen, um was andres hinzukriegen?“, Das frage ich. ** Kunstgeschichte. Die beginnt im Altertum in Ägypten, auf Kreta, in Griechenland, in Italien. Etruskische Kunst und die Römische Kunst. Sie setzt sich fort im Mittelalter mit der Völkerwanderungskunst. Da wurde der primitive, geometrische und ornamentale Stil gemischt. Altchristliche Kunst, Byzantinische Kunst, Karolingische Kunst, Ottonische Kunst, Romantische Kunst, Gotik, dann in der Neuzeit, die Renaissance, Barock, Rokoko, Klassizismus, Romantik, Protest gegen akademischen Klassizismus. Dann Neue Zeit, 19tes Jahrhundert, Zeitalter des Individualstils, Historismus und Relativismus. Alle Bindungen werden aufgehoben. Die Kunst in Amerika orientierte sich zunächst an europäischen Vorbildern. Danach die Vorderasiatische, die chinesische und japanische Kunst und die Altamerikanische Kunst, Altmexiko, Reich der Asketen. Enthaltsamkeit. Es gibt sogar eine Waffenkunst, eine Brücken- und Tunnel- und Dämmekunst. Sammelbegriff Ingenieurskunst. Und Kunstarrak ist ein unechter Reisbranntwein. Kunststoff, Kunsthaar, Kunstobjekt, Kunsthalle, Kunstfehler, der hat etwas mit unfähigen Ärzten zu tun, deren Unvermögen man erleidet, weil man ihnen vertraut hat. Kunstseide, Kunstrasen. Das ist eine saftiggrüne, struppige Auslegeware aus Kunststoff für draußen, wenn auf dem Balkon kein Gras wächst aber man trotzdem das Gefühl haben möchte, dass es so ist. Künstlertreffpunkt, Kunstleder ist eine gepresste Masse aus Lederabfällen, und die Kunst ist, erstmal darauf zu kommen, dass viele Reste dann keine mehr sind. Kunstschnee, Kunstkenner, Kunstkritiker. Die Kunstkritiker sind aus der Kunstszene gar nicht wegzudenken. Die werden immer wieder gebeten, Kritik zu „üben“. Solange jemand etwas übt, befindet er sich, wie allgemein angenommen, noch in der Lernphase. Daher braucht sich kein Künstler vor Kunstkritikern zu fürchten, sondern sollte mit ihnen nachsichtig umgehen. Man fürchtet sich ja auch nicht vor anderen Auszubildenden, sondern zeigt Verständnis. Kritik steht in erster Linie für Beanstandung, für Tadel, so wie Regen immer für Nässe und Sonne für Licht und Wärme steht. Die Arbeit des Kunstkritikers besteht darin, mit gutem Willen immer wieder zu üben, das in Worte zu fassen, was er sieht und vielleicht auch mit den Händen im Beisein des Künstlers berühren und sich erklären lassen darf. So lange er das aber noch übt, unterscheidet sich die Beurteilung erfahrungsgemäß ganz erheblich von dem, was er nicht sehen, nicht berühren, nicht versteht und einfach nicht empfindet, wofür er jedoch nichts kann, weil es nicht seinem Wesen entspricht, sonst wäre er ja selbst ein Künstler und kein Kritiker. Es könnte sein, dass Kritik den empfindsamen Künstler, der auch noch übt, kritikfähig zu sein, ganz erheblich verletzt und ihn sogar in schwere Depressionen stürzt. Und das könnte selbstverständlich Konsequenzen haben. Der missverstandene und gekränkte Künstler könnte den Spieß umdrehen und als Laie am Kunstkritiker Kritik üben. Es entsteht also eine Win-Win-Situation, in der beide voneinander lernen können. Ein Kunstfärber ist hingegen ein Schönredner, dem auch nicht unbedingt zu trauen ist, von dem aus Eitelkeit aber alle Künstler gerne hören, dass sie große Künstler sind. Eine Kunstgröße ist ein schon bedeutender Künstler, der die Kunstszene beherrscht. Um den reißen sich selbstverständlich der Kunsthandel und die Kunsthallen, inzwischen völlig unabhängig von Kritik noch übender Kunstkritiker. Und was manchmal dabei herauskommt, weiß jeder. ** Kunstbaumwolle. Das ist ein aus Abfällen gewonnenes Gespinst. Kunstpostkarten, Künstlerkolonie, Worpswede, dort waren meine Erwartungen zu hoch. Es gab dort nicht einen einzigen Worps. Ich wähnte sie noch hoffnungsvoll im Teufelsmoor, suchte sie aber vergeblich. ** Kunsthonig, Sirup aus eingedampfter Rohrzuckerlösung. Kunsthistoriker, der hat die Kunstgeschichte erforscht und sein Wissen darüber aufgeschrieben. Kunstliebhaber. Der sammelt wie verrückt alles, was er für Kunst hält. Kunstmäzen. So ein kunstbegeisterter Mensch unterstützt großherzig und fördert Künstler, weil er glaubt, dass es sich vielleicht irgendwann einmal für ihn lohnen könnte. Ganz anders als der Kunstbanause, ein unkünstlerischer, kleinlicher Mensch, so steht es jedenfalls in einem Lexikon aus dem vergangenen Jahrhundert. Banausen sollen angeblich keinen Sinn für Höheres haben. Spießbürger oder Spießer. Ein Spießer war im Mittelalter ein armer Bürger, der mit nur einem Spieß bewaffnet war. Spießrutenlaufen war eine militärische Strafe im 18. Jahrhundert und wird heute im übertragenen Sinne und scherzhaft „durch eine gaffende Menge gehen“ beschrieben, wie zum Beispiel bei einer Modenschau, allerdings ohne Rutenhiebe von Soldaten, sondern von scharfen Zungen. Kunstband, ist nicht aus Hanf oder Sisal, manchmal sogar aus Satin, aus Kunstseide oder Glanzgarnen. Es könnte aber auch ein Buch sein, vielleicht eins mit sieben Siegeln, den sieben Weltwundern oder den sieben Weisen. Kunstbeflissen, Kunstunterricht, Kunstfigur, das ist die künstlerisch gestaltete Vogelscheuche gewesen, die der reichen Erbtante eines Bio-Bauern im Thüringer Wald mit deren abgelegten Kleidern bis aufs Haar glich und eines nachts vom Erdbeerfeld statt der Erdbeeren geklaut wurde. Mindestens einen Monat lang wurde intensiv und doch vergeblich nach ihr gesucht. Erst viel später verplapperte sich der rothaarige, drahtige Fußpfleger der Erbtante beim raffinierten Massieren ihrer Füße, ohne es sofort zu merken. Erst als die Erbtante ihm abrupt ihre Gehwerkzeuge entzog und einen kleinen, empörten Schrei ausstieß, den der Fußpfleger zunächst falsch deutete und die Erbtante anfing zu keifen, bemerkte er seine Unvorsicht und erschrak heftig, dass er aufgeflogen war. Schockiert erfuhr die Erbtante, dass er es war, der seine heimliche Liebe zu ihr und seine Habsucht nicht beherrschen konnte und die Vogelscheuche in seinen Besitz gezwungen hatte, sie vor neugierigen und wissenden Blicken geschützt, in seinem Hühnerstall versteckt gehalten und den Fuchs tatsächlich damit abgeschreckt und seiner Hühnerschar ruhige Nächte beschert hatte. Die Erbtante war zunächst mit Recht zornig und dann ziemlich überrascht, dass sich der gemeine Diebstahl durch den Dieb selbst aufgeklärt hatte. Da er sich aber überwinden konnte und sich traute, bei der Gelegenheit zu beichten, dass er ihr emotional mehr als zugetan war, fiel sie beinahe in Ohnmacht und war mehr als gerührt und sofort milde gestimmt. Seine Liebe zu ihr war so weit gegangen, sie mit der Vogelscheuche in Verbindung zu bringen und seine Hühner an dieser Verehrung teilhaben zu lassen, dass sie ihm umgehend umso lieber ihre Füße überließ und mit Herzklopfen und einem süßen Lächeln die Fußmassage mehr als sonst genoss und darauf verzichtete, eine Strafanzeige zu stellen. Der Fußpfleger ließ sich nicht lumpen, und er opferte als Entschuldigung ein mächtig großes Suppenhuhn, das ihren Magen drei Tage lang füllte. ** Kunstblumen, Kunsteis, Eiskunstlauf, erst die Pflicht, dann die Kunst, also die Kür und später die entsetzten Augen bei der als äußerst ungerecht empfundenen Wertung der Jury für so viel Anstrengung. Verdrehungskünstler, vor dem sollte man sich in Acht nehmen, wenn es nicht darum geht, sich im Kreis oder um die eigene Achse zu drehen. Verkleidungskünstler, Kunstausstellung. So viel zu Kunst. Und das kommt alles in einen Topf und ist doch so verschieden. ** Die Frau ist beruhigt, nachdem sie die Schöpfkelle gefunden hat, die angelaufen, an Zauber verloren hat. Wenn sie wollte, könnte sie sofort dafür sorgen, sie in leuchtendem Silber strahlen zu lassen. Aber sie will sich nicht die Hände schmutzig machen und legt sie zurück in die Schublade, ohne dass es ihr schwer fällt. ** Aushängeschild, Nebensache, Schlafstörung, Knollennase, Klappstuhl, Kaltschale, federführend, Bildmaterial, Rutschpartie, Schneidersitz, Wirkungskreis.

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