Читать книгу Ein perfektes Opfer - Gloria Murphy - Страница 3
Prolog
ОглавлениеHollie fand Ungeziefer ekelerregend. Doch nachdem sie bereits eine Woche in dem neuen Haus war, steckte sie entschlossen ihr dunkelblondes Haar aus dem Gesicht, zog ein paar alte Jeans und ein viel zu weites T-Shirt an und machte sich im Keller an die Arbeit. Sie mußte dringend ausmisten, Ordnung schaffen und all die beschrifteten Umzugkartons verstauen, die sie aus dem alten Haus mitgebracht hatte und die voller nutzlosem Krempel waren, den sie längst hätte wegwerfen sollen. Sich von Altvertrautem zu lösen war niemals leicht – weder von Dingen noch von Beziehungen.
Zwischen den kupfernen Rohrleitungen über ihrem Kopf entdeckte sie ein Spinnennetz, und als sie den Besen in die Höhe hob, zuckte sie vor Schmerz zusammen. Obwohl die Prellung an ihrem rechten Oberarm bereits eine Woche alt und kaum mehr zu sehen war, machte sie sich jetzt bemerkbar, als sie mit einer schwungvollen Bewegung des Besens außer den verstaubten Fäden des Spinnennetzes auch noch einen langbeinigen Weberknecht herunterholte. Er fiel auf den Betonboden und ließ Hollies Herz schneller schlagen, bis sie ihn mit den dicken Sohlen ihrer Turnschuhe sicher ins Jenseits befördert hatte.
Die Treppe, die aus der Küche im Erdgeschoß in den Keller hinunterführte, endete mitten im Raum. In der linken hinteren Ecke standen der Gasbrenner und der Heißwasserbereiter. An der leeren Wand, die sich daran anschloß, hatte Hollie den größten Teil der Kartons aufgestapelt. Gleich gegenüber der Treppe, direkt neben dem Sicherungskasten, befanden sich die Waschmaschine, der Wäschetrockner und der Gefrierschrank – die Anschlüsse dafür hatte sie bei ihrem Einzug dort vorgefunden. Rechts von der Treppe kam man über drei kleinere Stufen hinauf zu einer grünen Falltür, die auf den Hinterhof hinausging. Das einzige, was Hollie an ihrem neuen Keller wirklich gefiel, war der kleine Raum, der sich linker Hand anschloß und völlig mit Holz verkleidet war.
»Wie haben Sie eigentlich davon erfahren?« Als Hollie sich vor ein paar Monaten bei Sampsons Immobilienbüro nach dem Haus erkundigte, schien Kathy Morrison, die junge Maklerin mit der elfenbeinfarbenen Haut und dem leuchtend roten Zopf, vor allem an dieser Frage interessiert gewesen zu sein.
»Mein Chef hat mich darauf gebracht«, antwortete Hollie. »Ich glaube, irgend jemand hatte ihm davon erzählt. Er wußte natürlich, daß ich in dieser Gegend etwas suche, und das zu einem günstigen Preis. Und da das Haus bereits so lange ausgeschrieben war . . . Nun, da dachte er wohl, daß der Besitzer es gerne endlich los wäre.«
Kathy ging zu einem Aktenschrank, suchte das Angebot heraus, kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück und gab Hollie die Objektbeschreibung. »Hier, es muß allerdings einiges daran gemacht werden, außen und innen. Das ist auch der Grund, weshalb es bereits so lange auf dem Markt ist. Um ganz offen zu sein, wir hatten es sogar schon eine ganze Weile nicht mehr inseriert«
Hollie betrachtete die Aufnahme der Außenansicht und versuchte sich vorzustellen, welche Möglichkeiten in dem Haus steckten, wenn man mal über die abblätternde Farbe und den generellen Eindruck der Vernachlässigung hinwegsah. Auch der Garten war völlig verwahrlost. Der Zustand des Hauses zeugte nicht gerade von der Geschäftstüchtigkeit der Besitzer. Weshalb hatten sie nicht einfach eine Firma mit Schönheitsreparaturen beauftragt und so den Preis in die Höhe getrieben?
»Aber es steht doch immer noch zum Verkauf?« fragte sie schließlich.
»O ja, natürlich. Wie ich allerdings bereits erwähnt habe, muß einiges daran gemacht werden. Und da Sie allein sind . . .«
»Sie wollen damit wohl sagen – wenn ich ein Mann wäre.«
»Ach du meine Güte, hat sich das so angehört?« Kathy verzog das Gesicht, als könnte Hollie gleich mit einem Vortrag über Sexismus loslegen.
Klang sie denn bereits wie eine dieser Frauen, die in allem einen Angriff witterten und in ihrer Unsicherheit dauernd auf einen Streit aus waren? Vorsichtig trat Hollie den Rückzug an. »Tut mir leid, ich bin zur Zeit nur etwas empfindlich, das ist alles. Nehmen Sie mich einfach nicht so ernst.«
»Ist schon in Ordnung. Sie haben ja bereits erwähnt, daß Sie in Scheidung leben.« Kathy legte einen dicken Aktenordner mit der Aufschrift GEMISCHTE ANGEBOTE auf den Schreibtisch und fing an, ihn nach ähnlich preisgünstigen Objekten durchzusehen. »Meine Eltern waren vor Jahren in derselben Situation. Und obwohl die beiden immer wieder betonten, daß es so das Beste sei, fragte ich mich damals doch: für wen? Ein kleiner Fehltritt – wie sie es nennen –, und ich mußte mit ansehen, wie sich zwei völlig normale, nette Menschen in innerlich zerrissene, gewalttätige und rachsüchtige Monster verwandelten.«
Kein schönes Bild, das sie da zeichnete, und wenn man sie gelassen hätte, hätte Kathy bestimmt noch mehr erzählt. Aber Hollie, die das Gespräch lieber wieder auf das Haus brachte, warf schnell ein: »Also, mal abgesehen von dem Problem mit dem fehlenden Mann, für mich ist die Lage ausschlaggebend. Ich habe zwei Kinder, die jeden Tag nach der Schule allein bleiben müssen, weshalb eine sichere Nachbarschaft das Allerwichtigste für mich ist.«
Kathy, die merkwürdigerweise über Hollies nicht nachlassendes Interesse an dem Haus nicht sehr erfreut zu sein schien, klappte schließlich den Aktenordner mit den gemischten Angeboten wieder zu und zuckte resigniert mit den Schultern. »Na ja, sicher ist das Viertel schon. Als Kind war ich sogar selbst oft in der Gegend. Es ist recht ruhig da, die Häuser sind solide gebaut, weit von der Straße zurückgesetzt, und die Gärten sind gepflegt. Nur dieses eine spezielle Haus ist so etwas wie ein Stiefkind. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn ich das so sage. Es ist nämlich um einiges kleiner als die anderen, und auch das Grundstück ist bei weitem nicht so groß wie die übrigen.«
Ein Außenseiter also, dachte Hollie kurz, vergaß den Gedanken jedoch gleich wieder. Kein Problem für sie.
Kathy lächelte aufmunternd, brachte aber noch einen weiteren Einwand vor. »Sie haben gerade Ihre Kinder erwähnt. Ich fürchte, in dem Viertel gibt es, wenn überhaupt welche da sind, nicht sehr viele. Die meisten Leute dort sind in mittleren Jahren oder bereits in Rente, ihre Kinder sind fast alle längst erwachsen und weggezogen.«
Ihre Taktik, einen potentiellen Käufer durch mögliche Mängel abzuschrecken – wenn das tatsächlich ihre Absicht war –, ging auf und stellte Hollies Geduld auf eine harte Probe. »Wollen Sie das Haus jetzt eigentlich verkaufen oder selbst behalten?« fragte sie schließlich.
»Wie bitte?«
»Oder vielleicht wollen Sie es mir ja gerade auf diese Weise schmackhaft machen?«
»Das Haus?« Hollies Direktangriff schien ebenfalls Wirkung zu zeigen. Kathys weiße Wangen verfärbten sich rosa.
»Nein, nein, so war das doch nicht gemeint.«
»Gut, dann zeigen Sie es mir bitte.«
Garden Place Nummer acht war ein simpler Bungalow mit flachem Dach, blaßgelber Anstrich, fünf Zimmer, ein Bad, eine Auffahrt, aber keine Garage. Seine Pluspunkte waren die Klimaanlage, die herrlichen Messinglampen in allen Räumen und dann das holzgetäfelte Zimmer im Keller, dessen eine Wand ganz aus Bücherregalen bestand. Auf einem davon lagen zwei Kohlezeichnungen, in der Wand selbst steckten ein paar vergessene Reißzwecken, und unter einer schaute sogar noch ein Fetzen blaues Kreppapier hervor.
»Sie hat als Babysitter gearbeitet«, erklärte Kathy.
Hollie hatte sich gleich auf den ersten Blick gedacht, was für ein schönes Arbeitszimmer das doch wäre. Sie besaß nämlich einen wunderbaren alten Mahagonischreibtisch, den sie von ihren Eltern geerbt hatte, als diese in Pension gegangen waren, und sie hatte nie einen passenden Platz für ihn finden können. Vielleicht trieb sie ja auch noch irgendwo einen gebrauchten PC auf. Wenn sie ab und zu mal Arbeit mit nach Hause nähme, könnte sie die Überstunden möglicherweise auf ein absolutes Minimum beschränken. Sie würde die Kinder ohnehin schon mehr sich selbst überlassen, als ihr lieb war.
Nicht nur außen, auch innen mußte das Haus dringend saubergemacht und gestrichen werden. Laut Kathy war die Vormieterin eine Nina Richards, bereits vor mehr als zwei Jahren nach Colorado weggezogen, und das während einer der schlimmsten Immobilienflauten seit Jahren. Hollie behagte der Gedanke an die viele Dreckarbeit, die nötig war, um das Haus wieder bewohnbar zu machen, zwar ganz und gar nicht, aber so etwas konnte sie, und davon würde sie sich auch nicht abschrecken lassen.
Eine knappe Woche später erschien ein Bausachverständiger, der die Wasser- und Gasleitungen, die Heizung und die Bausubstanz überprüfte. Die meisten Schäden waren nur geringfügig: ein zerbrochenes Geländer an der Hintertreppe, die nach draußen führte, zwei Türknäufe, die ersetzt werden mußten, drei lose Fußbodenfliesen in der Küche. Manches davon konnte sie selbst sofort in Ordnung bringen, andere Reparaturen würde sie im Lauf der Zeit erledigen lassen. Das größte Problem – das sie auch fest vom Kauf abgehalten hätte – war jedoch das Dach. Das konnte sie beim besten Willen nicht selbst reparieren, und auch wenn es nicht sofort neu gedeckt werden mußte, länger als über den nächsten Winter würde es bestimmt nicht mehr halten. Aber Hollie war offensichtlich genau im richtigen Moment gekommen. Obwohl der Besitzer vorher auf seinem Preis beharrte, gelang es ihr jetzt, ihn noch etwas weiter herunterzuhandeln, als sie sich selbst in ihren kühnsten Träumen erwartet hatte. Laut Aussage ihrer besten Freundin Elaine Byers, die selbst ein Immobilienbüro in Bloomfield betrieb, hatte Hollie den Besitz für einen Apfel und ein Ei erworben.
Nachdem sie erst unzählige Müllsäcke mit dem von der vorherigen Mieterin ererbten Ramsch gefüllt und fest verschnürt hatte, putzte und polierte Hollie die Holzvertäfelung ihres zukünftigen Arbeitszimmers. Anschließend schrubbte sie den roten Fliesenboden mit Wasser und Desinfektionsmittel. Das niedrige kleine Einbauschränkchen war ihr vorher gar nicht aufgefallen, erst als sie jetzt direkt davorstand. Die Tür war einen Spalt offen – vielleicht ein geeigneter Aufbewahrungsort für Büromaterial. Hollie lehnte den Schrubber an die Wand, ging in die Knie und zog die Tür weiter auf.
Ein modriger Verwesungsgeruch ließ sie erst zurückschrecken, aber dann entdeckte sie das tote Kätzchen in der Ecke. Sie holte einen abgebrochenen Besenstiel aus dem Müllsack, schob ihn unter das grauweiße Tier und zog es vorsichtig zu sich heran. Zuerst kamen die blutverkrusteten Pfoten, dann der Kopf zum Vorschein. Hollie ließ erschrocken den Stock fallen, stieß ein unterdrücktes Keuchen aus und schlug die Hände vor den Mund. Die Augen der toten Katze baumelten wie an Fäden an ihrem Kopf – als ob sich das Tier selbst die Augen ausgekratzt hätte.