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PROLOG

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Es war acht Uhr abends. Dexter King, der von seinem Producer Rudy eben grünes Licht zum Senden bekommen hatte, beugte sich über das Mikrofon. »Räumt die Fahrradwege und Joggingpfade, Freunde«, rief er hinein. »In Boston sind die Kojoten unterwegs! Yeah, ihr habt mich schon richtig verstanden, Kojoten treiben sich bei hellem Tageslicht bei uns herum ... laut meiner verläßlichen Quellen wurde bereits ein halbes Dutzend dabei gesichtet, wie sie nichtsahnenden Passanten einen Heidenschrecken einjagten, einige gar mitten im Zentrum, in Boston Common.

Laut Aussage von Experten«, fuhr Dexter fort, und seine warme, tiefe Stimme betonte ironisch das letzte Wort. »Ja, ja, Freunde, wir sind wieder einmal soweit... Plötzlich tauchen Experten – von denen wir bisher nicht einmal wußten, daß es sie gibt – wie eine Erscheinung aus dem Nichts auf und müssen unbedingt ihren Senf dazugeben. Da muß ich mir doch wirklich die Frage stellen, was macht denn einen solchen Kojotenexperten nun aus? Kenntnisse in Psychologie, doppelter Buchführung ... Haushaltswissenschaften?

Auf jeden Fall behaupten die selbsternannten Seher, diese Kreaturen seien nichts weiter als harmlose Aasfresser von der Sorte: ›Tust du mir nichts, tu ich dir auch nichts‹. Aber als alter Bedenkenträger mache ich mir einfach so meine Gedanken. Müssen wir denn nun befürchten, daß eines Tages, wenn der Vorrat an Müll und sonstigem Fraß zur Neige geht, einer dieser räudigen Teufel vor lauter Hunger hergeht und sich ein menschliches Bein direkt vom Erzeuger schnappt?«

Nach einer effektvollen Pause fuhr Dexter fort: »Also, Freunde, was sagt ihr nun, steigt heute abend das große Kojotenfressen, oder schlucken wir den Köder unserer aufrechten Aktivisten für den Tierschutz und beteiligen uns an ihrem Programm ›Hol dir einen verwaisten Kojoten ins Haus‹? Ruft mich an und sagt mir, was ihr dazu denkt... oder was immer ihr sonst auf dem Herzen habt. Hier spricht Dexter King, unter 555-3073 auf WBZY, dem Talk-Sender von Boston.«

Es folgte ein Werbespot für Orville Redenbachers fettfreies Mikrowellenpopcorn, dann wurde eine Anruferin angekündigt, die sich mit kieksiger, nervöser Stimme meldete. »Ach Gott... Spreche ich wirklich mit Dexter King?«

Während die Anruferin sich weiterhin vor Begeisterung überschlug, verließ Angela King in ihrer Wohnung in der Beacon Street gerade die Küche und kehrte in ihr Schlafzimmer zurück, die Milchflasche für das Baby in der Hand. Sie wechselte das Programm und schaltete das Radio auf dem Nachttisch auf Unterhaltungsmusik um. Sie wußte immer noch nicht, was sie von Dexters bizarrer Kojotengeschichte zu halten hatte, ob sie nicht nur eine weitere seiner symbolischen Falschmeldungen war. Gab es im Nordosten des Landes überhaupt Kojoten?

Die Wohnung im ersten Stock des Reihenhauses aus braunem Sandstein hatte nur drei Zimmer, aber das einzige Schlafzimmer mit der hohen Decke war von beachtlichen Ausmaßen und bot nicht nur Platz für das große Doppelbett, sondern auch für Sams Kinderbettchen, eine Kommode, einen Wickeltisch und einen Laufstall, in den der Kleine sich zur Zeit jedoch nur widerwillig setzen ließ.

Zwischen dem Doppelbett und dem mit dichten Gardinen verhängten Panoramafenster befand sich ein großer, runder Tisch mit einem Computer, Schreibpapier und Lehrbüchern. Seit Dexters Auszug, seit sie sich den Luxus gestatten konnte, endlich mehr nach ihrem Rhythmus zu leben, sah es hier viel unordentlicher aus, wie sie zugeben mußte.

»Denk dir nichts, mein Schatz, das ist nur eine von Daddys hirnlosen Verehrerinnen«, kommentierte Angela die Anruferin, während sie das Kind aus dem Laufstall hob. Doch noch während sie das sagte, verspürte sie bereits Schuldgefühle; sie sollte Dexter dem Kind gegenüber nicht schlechtmachen. Sam war mit seinen zwanzig Monaten noch zu klein, um ihre negative Haltung zu verstehen, aber eines Tages würde sich das ändern. Sie sollte die Probleme, die sie mit Dexter hatte, besser für sich behalten. Wer weiß, vielleicht wünschte sich Dexter eines Tages, eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen.

Außerdem sah die Wahrheit anders aus. Dexter besaß in ganz Massachusetts eine immer größer werdende Fangemeinde, und seine Fans waren mit Sicherheit nicht alle hirnlos. Es waren alle Altersstufen darunter, angefangen bei Teenagern bis hin zu älteren Damen, und es waren vornehmlich Frauen, die ihn anbeteten, die ihn bewunderten für seine vermeintliche Sensibilität, seine Intelligenz, seine Phantasie und seinen Witz ... ganz zu schweigen von seinem rassigen Aussehen mit den dunklen Haaren. War sie schließlich nicht auch einmal eine von seinen Verehrerinnen gewesen?

Sam wollte abends vor dem Schlafengehen immer noch nicht auf seine Flasche verzichten, und so zog ihm Angela seinen Flanellpyjama an, nachdem sie noch eine Weile mit ihm gespielt hatte, und legte ihn mit seinem Fläschchen ins Bett. Die nächsten fünf Stunden verbrachte sie über ihre Lehrbücher gebeugt in der Vorbereitung auf ihre Semesterprüfungen. Da hörte sie plötzlich den Holzboden knarzen, und kurz danach ging die Schlafzimmertür zu. Angela wirbelte herum und bekam aus dem Augenwinkel heraus gerade noch mit, wie Dexter einen langen, metallisch glänzenden Dietrich im Schloß umdrehte und anschließend den Schlüssel in seine Tasche gleiten ließ. Er hatte sie alle zusammen eingeschlossen.

Sie holte tief Luft. Sie würde ihm nicht den Gefallen tun und ihm zeigen, welche Angst sie hatte. »Sperr die Tür wieder auf, Dexter. Sofort«, sagte sie und stand dabei vom Stuhl auf.

Er führte die Finger an seine Lippen und deutete mit einem Kopfnicken auf seinen Sohn, der friedlich in seinem Bettchen schlummerte.

Langsam ging sie auf ihn zu; er war unrasiert, hatte dunkle Ringe unter den Augen und stank nach Alkohol und Tabak. Sie hatte es als gutes Zeichen angesehen, daß er sich die letzten paar Wochen von ihnen ferngehalten hatte, und daraus geschlossen, daß er ihre Trennung zu akzeptieren begann. Doch jetzt war sie sich nicht mehr sicher, ob er diese Tatsache einfach nur total verdrängt hatte.

»Gib mir den Schlüssel. Bitte.«

Er machte einen Schritt auf sie zu, streckte den Arm aus und zog sie an sich. Sie versuchte verzweifelt, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen, seine Hände abzuschütteln, aber seine Arme waren wie aus Stahl. »Bitte nicht... hör auf damit«, flehte sie, wütend über das Zittern in ihrer Stimme.

»Nun mal langsam, Angela, mein Engelchen, entspann dich und hör mir zu. Du brauchst keine Angst zu haben, ich werde mich gut um dich kümmern – wie ich es immer getan habe«, sagte er mit drängender Stimme, während er mit seiner freien Hand über ihr Gesicht und Haar strich. »Auf jedes Töpfchen gehört sein Deckelchen, und für mich bist du das. Und umgekehrt. Kapiert? Wir werden jetzt nicht groß zu diskutieren anfangen, hier geht es nicht um eine Geld-zurück-Garantie für irgendwelche nachgemachten Designerjeans ... Du bist schön und sehr verletzlich, eine Frau, die sich die Arschlöcher, die bei mir anrufen, gerne zur Brust nehmen würden ... Aber sie werden dich nicht in die Finger bekommen, nicht wenn ich es verhindern kann. Ich werde immer dazwischenfunken und ihre Schädel zusammenkrachen lassen –« Es war ihm kein Ärger anzumerken, während er das sagte, weder in der Stimme noch im Ausdruck ... Deswegen kam der erste Schlag, der sie im Magen traf, auch so überraschend für sie.

Und während er weiter seine krankhaften Behauptungen aufzählte, folgte ein Schlag auf den anderen. Seine harten Knöchel trafen sie an Brust und Armen und im Gesicht, bis er jeden Widerstand aus ihr herausgeprügelt hatte. Dann legte er sie sanft auf das Bett, riß ihre Bluse auf, zerrte ihre Jeans über die Hüften, zerriß ihren Slip und ihre Strumpfhose und drang in sie ein.

Es war nicht ein normales Weinen, das Angela hörte, es war ein jämmerliches Schluchzen, und es kam nicht von ihr. Sie war sich nicht sicher, wie lange sie mit angezogenen Beinen dagelegen hatte, die Arme fest um ihre Brust geschlungen, aber jetzt zwang sie sich, die Augen aufzuschlagen. Dexter stand am Fuß des Bettes und hatte sich das Kind, das nackt war bis auf die Windel und sein Unterhemdchen, merkwürdig quer unter den Arm geklemmt. Sams Gesicht war rot und wutverzerrt, und er ruderte heftig mit Armen und Beinen, als versuchte er, festen Boden unter die Füße zu bekommen.

Angela konnte nicht viel anfangen mit dem absurden Bild, das sich ihr bot, sie hatte keine Ahnung, was Dexter vorhatte. Doch panisch vor Angst, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, rappelte sie sich mühevoll in eine sitzende Position auf. Als Dexter bemerkte, daß er ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, nahm er mit seiner freien Hand langsam etwas von ihrem Arbeitstisch. Der durchsichtige Plastikumschlag zeigte ihr, daß es sich um eine ihrer Semesterarbeiten handelte, die Dexter nun an seiner Brust zusammenrollte. Dann holte er ein Feuerzeug aus seiner Brusttasche, entzündete es und hielt die Flamme an das Ende der Rolle. Zentimeter für Zentimeter rückte er mit der Fackel näher an Sam heran.

Angela warf sich mit ausgestreckten Armen nach vorn, in dem verzweifelten Versuch, ihren Sohn an sich zu reißen. Ob ihre Kraft noch ausreichen würde, wußte sie nicht. Sie erwischte ihren Sohn zwar noch, aber nicht mehr rechtzeitig genug: Die Flamme hatte Sam bereits erfaßt und sein Hemdchen in Brand gesetzt. Dexter war von ihrem Sprung völlig überrumpelt worden; er hatte das Gleichgewicht verloren, war nach hinten getaumelt, hingefallen und hart mit dem Kopf gegen die Kante der Kommode geschlagen.

Nur der Tod soll uns scheiden

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