Читать книгу Der Fremde in meinem Haus - Gloria Murphy - Страница 3
PROLOG
ОглавлениеEs war, als hätte sich ein Vogel in ihrem Kopf eingenistet und angefangen, an ihrem Gehirn zu picken, das er für ein riesiges Samenkorn hielt. Eine Art supermoderner Gehirnschaber, den sich die Polizei hatte einfallen lassen, um sie abzuschalten und gleichzeitig anzuheizen. Was natürlich schwierig war, ungefähr so, als würde man ein Jo-Jo mit einem Stock statt mit einer Schnur tanzen lassen. Was die Polizei von dem Mädchen wollte, war, daß es endlich mit der Sprache herausrückte und erzählte, was es gesehen, was es getan hatte. Aber nicht, hier rumzusitzen und sie verständnislos anzustarren, auch nicht, herumzubrüllen und zu fluchen wie ein Landsknecht.
Landsknecht, Soldat, Polizist – sie konnte nicht anders, als sich immer wieder diese Wörter vorzusagen, bis ein Gefühl der Hitze und der klebrigen Sentimentalität in ihr hochstieg. Ein Eiswürfel wäre nicht schlecht, um der Sache mehr Biß zu verleihen, dachte sie, und während ihr das Wort Staatspolizist wieder durch den Kopf schoß, spürte sie, daß etwas Kaltes gegen ihre Stirn gepreßt wurde. O ja, entschuldigen Sie bitte, aber wovon ist hier eigentlich die Rede, Sir? Von einem berittenen Staatspolizisten, einem Nazi oder einfach einem x-beliebigen Wald-und-Wiesen-Uniformierten? Die Reise nach Jerusalem, wer keinen Stuhl erwischt, muß gehn ... Igitt, igitt, pfui Teufel. Okay, okay ich habe schon genug Zeit vertan, wo bist du, mein charmanter Prinz auf deinem weißen Schimmel? Los, schwing dich auf deinen Gaul und komm hierher, bevor die mir endgültig das Gehirn rauspicken.
Heute war ihrem langen, dunklen Haar nichts von seinem üblichen Glanz oder ihrer Haut von ihrer sonstigen rosigen Frische anzumerken; trotzdem wirkte sie im Schlaf noch immer heiter und war hübsch anzusehen, fast wie ein Engel. Zwei Pfleger in krankenhausgrünen Anzügen schoben ihre Bahre durch die Schwingtüren der Ambulanz hinaus auf den Korridor, wo ihr Vater wartete.
Er eilte sofort an ihre Seite; an einer Stange, die neben der Bahre hergeschoben wurde, hing ein durchsichtiges Plastik-säckchen, von dem aus eine klare Flüssigkeit in ihre Venen tropfte; ein Eisbeutel thronte auf ihrer Stirn und verbarg die Beule, die sie sich beim Sturz gegen das Waschbecken im Bad zugezogen hatte. »Wird sie wieder gesund werden?« fragte er. Eine dumme Frage. Er wußte, daß die beiden nur Pfleger waren, aber er brauchte verzweifelt Trost. »Hören Sie, ich muß unbedingt mit dem zuständigen Arzt sprechen.«
»Kommen Sie doch mit in ihr Zimmer. Der Doktor wird dann auch gleich nachkommen und Ihre Fragen beantworten«, erwiderte einer der Männer. Das Mädchen wurde in ein Bett umgelagert, und eine Schwester mit einem Klemmbrett kam und maß ihr den Puls und den Blutdruck; gleich nach ihr kam derselbe Arzt, den der Vater zuvor schon einmal gesehen hatte.
Ehe er ihn mit Fragen bombardieren konnte, hob der Arzt abwehrend beide Hände. »Sie wird wieder völlig in Ordnung kommen, Mr. Grant«, beschwichtigte er ihn. »Zumindest körperlich. Wir vermuten, daß sie mindestens ein gutes Dutzend Schlaftabletten genommen hat, genug, um einen kräftigen Ackergaul schachmatt zu setzen. Eine Weile stand es sogar Spitz auf Knopf ... Ja, ich würde sagen, Sie haben sie keinen Moment zu früh gefunden.«
Der Arzt strich sich mit der Handfläche über seinen schütteren Haarkranz, auf seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Mitleid und Fassungslosigkeit wider. »Himmel, erst zehn Jahre alt. Warum sollte sich ein Mädchen in dem Alter umbringen wollen?«