Читать книгу Der Fremde in meinem Haus - Gloria Murphy - Страница 4
KAPITEL 1
ОглавлениеSprich nicht mit Fremden, lautet eine der wichtigsten Regeln, die Mütter permanent ihren Kindern einzubleuen versuchen. Auch Lauren Sandler, eine junge, alleinerziehende Mutter, bildete da keine Ausnahme. Lauren, die mit ihrer Tochter in einem kleinen Loft im obersten Stockwerk eines ehemaligen Bürogebäudes mitten in New York lebte, tat ihr Bestes, ihren eigenen Ratschlag zu befolgen. Doch ab und zu sollten selbst die besten Regeln gebrochen werden.
Vielleicht lag es an dem herrlichen Frühlingstag. Lauren und die fünf Jahre alte Chelsea genossen ihn auf dem Rummelplatz von Orange County in Elmwood Valley, das sich gerade mal fünfzehn Minuten vom Haus ihrer Schwester Fern, aber über achtzig Meilen vom Streß der Großstadt entfernt befand. Oder vielleicht hatte es auch mit dem Fremden selbst zu tun, der zwar nicht unbedingt einen besonders freundlichen Eindruck gemacht hatte, als sie ihn das erste Mal vor der Schießbude sah, wo er mit einem elektronischen Gewehr auf Holzenten zielte, die munter auf einem Wasserstrahl tanzten. Dem Stapel bunter Preise nach zu schließen, die neben ihm auf der Theke lagen, schien er sich dabei recht geschickt anzustellen. Ihre eigene Tochter hatte sie schließlich bei der Hand genommen und zu dem Stand gezerrt.
Aber es waren nicht die vielen Preise neben dem Fremden, die Marionetten, die Gummischlangen, die Plastikdinos oder die Sonnenschirmchen und Fächer aus buntem Papier, die Chelseas Aufmerksamkeit auf sich zogen. Sie deutete nämlich auf das oberste Regal hinter der Theke mit den Gewinnen, wo ein schwarzweißer, flauschiger Dalmatiner hockte, ein Schild zwischen seinen dicken Vorderpfoten, auf dem stand, daß er für fünfundzwanzig Punkte zu haben sei. »Mommy, schau mal«, strahlte sie. »Sieht der nicht aus wie echt?«
Sie hatte nicht gebettelt, und vielleicht war es genau das, was in Lauren den Wunsch wachrief, den Hund für sie zu gewinnen. Aber der Wunsch allein genügte in diesem Fall nicht; Lauren hatte in ihrem Leben noch nie ein Gewehr abgefeuert und kam einfach nicht dahinter, wie die Sache funktionierte. Und so ließ sie nach einem Dutzend vergeblicher Versuche das Gewehr auf die Theke sinken und gestand ihre Niederlage ein. Genau in dem Moment blickte der Fremde, der bisher schweigend daneben gestanden hatte, in ihre Richtung und lenkte die Aufmerksamkeit des Budenbesitzers auf sich. Mit dem Kopf auf seine Preise deutend, sagte er zu ihm: »Was meinen Sie, wie viele Punkte sind das, fünfunddreißig?«
Der Mann schien im Kopf rasch die Zahlen zu überschlagen und nickte bestätigend.
»Gut, dann tausche ich sie ein.« Mit einer Geste in Richtung des obersten Regals fügte er hinzu: »Geben Sie dem kleinen Mädchen dafür den Hund.«
Der Besitzer der Schießbude überreichte einer staunenden Chelsea das Plüschtier, noch ehe ihre Mutter Gelegenheit zum Reagieren hatte. Doch falls sie verärgert darüber gewesen sein sollte, daß man sie vorher nicht gefragt hatte, oder Chelsea hatte bitten wollen, das Geschenk zurückzugeben – alles löste sich in Wohlgefallen auf, als der Fremde sie schließlich ansprach. »Ich schätze, ich sollte mich bei Ihnen entschuldigen«, begann er. »Ich hätte mich zuerst mit Ihnen absprechen sollen, aber sie schien mir so ... na ja, sie schien ihn sich einfach so sehr zu wünschen.«
Er war groß, schlank, gutaussehend. Er trug braune Baumwollhosen und ein curryfarbenes Jackett. Er hatte die schönsten, traurigen dunklen Augen, die man sich vorstellen konnte, und ein energisches Kinn mit einem tiefen Grübchen in der Mitte. Er streckte ihr die Hand entgegen – kein Ring. Sie schätzte ihn auf Anfang Vierzig, aber der Altersunterschied bereitete ihr keine Kopfzerbrechen. Ihre Schwester würde sich ihren Kommentar natürlich nicht verkneifen können, aber im Augenblick wünschte Lauren sich nur, sie hätte sich etwas Hübscheres als ein Paar alte Jeans angezogen.
»Nett, Sie kennenzulernen. Ich heiße Jonathan Grant«, fuhr er fort; offensichtlich sah sie ihn erwartungsvoll an, denn er fügte umgehend hinzu: »Die meisten Leute hier in der Gegend kennen mich. Grant – Architekturbüro und Bauunternehmen. Unsere Firma arbeitet auch für die Stadt.«
Jetzt zögerte sie nicht mehr, die Hand zu ergreifen, die er ihr entgegenstreckte. »Ich bin Lauren Sandler«, erwiderte sie und wandte sich an ihre Tochter, die mit Sicherheit eine Auffrischung der Warnung vor Fremden nötig hatte. »Und diese kleine Dalmatiner-Liebhaberin hier heißt Chelsea.«
Er blickte auf Chelsea hinab, die mit ihrem neuen Freund, der nur unwesentlich kleiner als sie selbst war, fröhlich herumtollte. Dabei grinste sie übers ganze Gesicht, dessen rundliche Wangen von einem widerspenstigen Schopf goldener Locken eingerahmt wurden. »Sie ist ein ganz entzückendes Kind.«
Lauren nickte. »Danke. Und auch für das Geschenk, das war sehr großzügig von Ihnen.«
Mit einem Achselzucken ging er über ihre Dankbarkeitsbeteuerung hinweg; er machte aber auch keine Anstalten, das Gespräch mit ihr fortzusetzen.
»Der Rummelplatz ist wirklich schön dieses Jahr, viele neue Buden und Stände«, sagte sie deshalb. »Sind Sie heuer das erste Mal hier?« Mit einer Ausdehnung von fast achtzehn Hektar war das Volksfest von Orange County ein bedeutendes, jährlich wiederkehrendes Ereignis, das im Mai begann und bis zum Ende der Ferien im September dauerte. Als größte Einnahmequelle des Countys war hier von allem etwas geboten: Ausstellungen über Wissenschaft und Geschichte, Buden mit Kunstgewerbe und Handwerk, ausländische Spezialitäten, Tierschauen, Fahrgeschäfte und sportliche Wettbewerbe – nicht zu vergessen das nette kleine Wäldchen mit dem Ententeich und den Picknicktischen, das ungefähr eine halbe Meile entfernt lag.
»Es mag zwar nicht so aussehen«, entgegnete er mit einem leicht schiefen Grinsen, das ihr sofort sympathisch war, »aber ich bin aus beruflichen Gründen hier, um das Gerüst des Amphitheaters zu überprüfen.«
Lauren war in Gedanken bereits mit Planen beschäftigt; sie würde bis zum Wochenende bei Fern bleiben, und wenn er nicht zu weit weg wohnte ... aber seiner Körpersprache war zu entnehmen, daß er sich schon wieder auf dem Rückzug befand und ihn auch antreten würde, wenn sie die Sache nicht umgehend in die Hand nähme. »Jonathan, ich wollte Sie fragen –«, setzte sie an. Sie hielt inne und begann von vorne. »Also, wenn Sie noch nichts anderes vorhaben ... hätten Sie vielleicht später Lust auf einen Drink?«
Okay, sie hatte es gesagt. Offensichtlich wußte er mit ihrer Direktheit nichts anzufangen, denn er stand unentschlossen da, als würde er die Situation genauestens abwägen. Aber man schrieb schließlich die neunziger Jahre, und als achtundzwanzigjährige, berufstätige Frau, einmal verheiratet, geschieden, war es für sie nicht das erste Mal, daß sie einen Mann ansprach. Doch jetzt schmolz unter seinem prüfenden Blick ihre normalerweise recht ausgeprägte Selbstsicherheit wie Schnee in der Sonne dahin, während sie darauf wartete, ob der Fremde vielleicht die Freundlichkeit besaß, sie aus ihrer Verlegenheit zu erlösen oder ihr gar noch weiter entgegenzukommen. Was war sie doch für ein Vorbild für Chelsea.
Endlich kam er ihr zu Hilfe und bestand sogar darauf, statt des von ihr vorgeschlagenen Drinks sie und Chelsea zu einem tollen kleinen Italiener an der Route 95 auszuführen, den er recht gut kannte. Ehe sie den Rummelplatz verließen, rief Lauren noch in Ferns Immobilienbüro an, um ihr zu sagen, daß und warum sie später nach Hause kämen. Ihre Schwester konnte es sich zwar nicht verkneifen, sie sofort darauf hinzuweisen, daß es nicht sehr klug wäre, die Einladung eines völlig Fremden anzunehmen, aber sobald Lauren den Namen Jonathan Grant fallenließ, änderte Fern schlagartig ihre Meinung.
Als sie später wieder zu ihrem Wagen zurückkehrten, den sie auf dem Rummelplatz hatte stehenlassen, war es bereits zehn Uhr, und der Parkplatz war fast leer. Chelsea schlief, und Jonathan nahm sie, zusammen mit dem Plüschdalmatiner, den sie im Schlaf fest umklammert hielt, auf den Arm und legte sie auf den Rücksitz des Wagens ihrer Mutter. Die Erwachsenen, die sich offensichtlich nicht so leicht voneinander trennen konnten, blieben in der Dunkelheit draußen stehen und unterhielten sich angeregt. Jetzt fühlte man sich bereits etwas sicherer und konnte zu persönlicheren Themen übergehen. »Sie wollten mich heute nachmittag also tatsächlich stehenlassen und weggehen, einfach so?« meinte Lauren ironisch.
»Kann schon sein. Eigentlich wollte ich es ja nicht ...« Er verstummte einen Moment, als überlegte er, wieviel er sagen sollte, aber als er seine Entscheidung getroffen hatte, fuhr er fort: »Es ist schon eine Weile her, daß ich eine Frau kennengelernt habe, ich meine, eine, mit der ich mich hätte verabreden wollen. Ich habe eine sehr gute Ehe geführt, und wahrscheinlich erschien es mir einfach unvorstellbar, so etwas noch einmal zu erleben. Außerdem bin ich völlig aus der Übung.« Sie spürte, daß seine dunklen Augen prüfend auf ihr lagen. Als sie seinen Blick erwiderte, kroch langsam ein wohliger Schauer über ihren Rücken, und sie wußte, daß er dasselbe empfand. »Ich fühlte mich noch nicht bereit, Lauren. Nicht bis heute abend.«
In ihrem Gespräch zuvor hatte er erwähnt, daß seine Frau tot sei, aber sie war nicht weiter in ihn gedrungen, und er hatte auch nicht weiter ausgeholt. Doch jetzt sprudelte die ganze Geschichte aus ihm heraus wie ein Wasserfall und lieferte Lauren eine Erklärung für die Traurigkeit, die sie bereits den ganzen Abend an ihm bemerkt hatte. »Meine Frau ist nicht einfach so gestorben«, erzählte er. »Nancy wurde ermordet. Und um die Sache noch schlimmer zu machen, falls so etwas überhaupt vorstellbar ist, sie war schwanger, am Anfang des vierten Monats. Wir hatten es schon eine ganze Weile versucht ...«
Er verstummte; es dauerte eine Zeit, bis er sich wieder im Griff hatte. Es war bestimmt nicht leicht für ihn, ihr dies zu erzählen, dachte Lauren und fragte sich, ob es vielleicht sogar das erste Mal war, daß er darüber sprach. »Das Baby ... es wäre ein Junge geworden«, sagte er schließlich. »Das ist jetzt alles ein Jahr her. Eines der Fenster im Erdgeschoß war eingeschlagen worden – so ist der Eindringling ins Haus gekommen. Wie es aussah, war es ein versuchter Raubüberfall, aber das einzige, das der Räuber erwischen konnte, war der Schmuck, den Nancy am Leib trug: ein Verlobungsring, ihr Ehering, eine Halskette aus Jade. Die Polizei vermutet, daß sie unten im Keller in ihrem Nähzimmer war und dann nach oben in die Küche ging. Sie war eine ausgezeichnete Hausfrau ... Sie kochte, sie nähte ... Sie arbeitete gerade an der Ausstattung für das Baby.«
Lauren nickte; sie hatte Frauen, die über ausgeprägte hausfrauliche Talente verfügten, immer schon bewundert, sich aber nie sonderlich bemüht, selbst welche zu entwickeln. »Er muß ihre Schritte auf der Treppe gehört haben, da die Polizei annimmt, daß er sich irgendwo versteckte, sie überrumpelte und mit einem Baseballschläger niederschlug. Sie ist rückwärts die Treppe hinuntergestürzt ...«
»Gott, wie schrecklich«, bemerkte Lauren, die erneut einen Schauer über ihren Rücken laufen spürte. Sie war entsetzt, daß in einem so verschlafenen Städtchen wie Elmwood Valley etwas so Gräßliches passieren konnte. »Ich hoffe, sie haben ihn erwischt –«, setzte sie im Überschwang ihrer eigenen Wut an, verstummte aber sofort wieder.
Er steckte seine Hände in die Hosentaschen, lehnte sich an den Wagen und starrte hinauf zu den Sternen. »Oh, sie hatten sofort einen Verdächtigen bei der Hand, aber außer dessen erbärmlicher krimineller Vergangenheit gab es nichts, was diesen Burschen mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht hätte.«
Er senkte den Blick und sah sie an. »Der Verdächtige hieß Jay Philips, ein Bursche aus Monticello. Mit fünfzehn hatte er seiner Schwester mit einem Stein den Schädel eingeschlagen, aber da er nach den Gesetzen des Staates New York noch unter das Jugendstrafrecht fiel, hatte er Glück – er wurde in eine Besserungsanstalt verfrachtet und mit achtzehn mit einer weißen Weste wieder entlassen. Soviel zum Thema Gerechtigkeit. Ich behaupte ja gar nicht, daß er Nancy getötet hat ... Ich weiß es nicht. Ich glaube nur nicht daran, daß Leute wie er sich jemals bessern werden.«
Lauren fiel dabei ein, daß sie einmal gelesen hatte, wie erschreckend niedrig die Aufklärungsquote bei Mordfällen war. »Ich nehme an, ohne Augenzeugen wird es nicht viel Hoffnung geben«, sagte sie.
»Es gibt vielleicht sogar einen Augenzeugen.«
»Aber?«
»Tja, das ist ziemlich kompliziert. Die Zeugin, jedenfalls glauben wir das, ist meine Tochter.«
Überrascht zu hören, daß er eine Tochter hatte, wartete Lauren neugierig, daß er fortfuhr.
»Sie heißt Emily und ist erst vor ein paar Wochen elf Jahre alt geworden. Das ist der Grund ...«, fügte er hinzu, machte aber gleich wieder eine Pause und spähte besorgt auf den Rücksitz, wo Chelsea mit angezogenen Armen und Beinen fest schlief. Wortlos zog er sein Jackett aus und deckte sie vorsichtig damit zu, ehe er sich wieder an Lauren wandte. »Ich versuche, sowenig wie möglich über sie zu reden. Denn jedesmal macht mich das entweder unglaublich traurig oder wütend, und mit beiden Gefühlen kann ich nicht besonders gut umgehen. Ich gehe ab und zu mal zu einem Schießstand, um meinen Ärger abzureagieren, und dann mache ich auch noch so nützliche Dinge wie auf Holzenten auf dem Rummelplatz schießen.«
Ein zynisches Lächeln krauste seine Mundwinkel. »Emily war in der fünften Klasse ... Nancy hatte sie an diesem Mittag von der Schule abgeholt. Die Schulkrankenschwester hatte angerufen und erzählt, daß sie mit einem ihrer Klassenkameraden zusammengestoßen und auf das harte Pflaster gefallen sei. Es war nichts Ernstes, nur ein paar Abschürfungen und blaue Flecken. Wer immer Nancy getötet hat, wußte nicht, daß Emily im Haus war. Gott sei Dank. Sonst wäre sie heute vielleicht nicht mehr am Leben.«
Lauren tauschte im Geist automatisch das Gesicht von Jonathans Tochter gegen das ihrer eigenen aus und empfand großes Entsetzen. »Aber wenn sie gesehen hat, wer es war?« »Wir wissen mit Sicherheit eigentlich nur, daß Emily, sobald sie dazu in der Lage war, sich das Telefon in der Küche schnappte, den Notruf 911 wählte und in den Hörer brüllte: ›Es war ein Fremder!‹ Die Dame vom Amt konnte nicht mehr aus ihr herausholen, keinen Namen, keine Adresse, und so redete sie so lange auf sie ein, bis der Anruf zurückverfolgt war. Als die Polizisten eintrafen, fanden sie Emily auf dem Küchenfußboden kauernd vor, die Augen fest zusammengekniffen, den Telefonhörer an sich gedrückt ...«
Er wandte sich von ihr ab, hieb mit geballten Fäusten auf das Autodach und fuhr fort: »Sie erlitt einen schweren Schock, war völlig weggetreten ... Und mich konnten sie auch nicht erreichen. Ich war weit weg in Syracuse. Das einzige Mal, daß ich mit dieser Firma dort zu tun hatte, aber ausgerechnet an diesem Tag mußte ich fort sein.« Er verstummte und riß sich wieder zusammen. »Emilys Psychiater, Dr. Strickler, erklärte mir, daß ihre Abwehrmechanismen versagten, da sie einfach nicht mehr in der Lage war, mit dem fertig zu werden, was sie gesehen hatte. Ihre Reaktion ist weder atypisch noch notwendigerweise ungesund – Kinder verdrängen oft Erinnerungen, mit denen sie nicht umgehen können. Es wäre vielleicht alles nicht so schlimm, hätte sie sich nicht gar so weit zurückgezogen.« Jetzt erst drehte er sich wieder zu Lauren um. »Seitdem ist sie in der Bateman-Klinik und versucht, ihren Weg zurück zu finden.«
Die Bateman-Klinik, die westlich von Boston lag, war eine psychiatrische Anstalt für psychisch gestörte Kinder und Jugendliche und nach allem, was Lauren bisher gehört hatte, eine der besten Einrichtungen ihrer Art im ganzen Land, und auch eine der teuersten. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Jonathan«, meinte sie und trat endlich näher an ihn heran. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Es tut mir so leid.«
»Zur Zeit geht es ihr ein wenig besser«, erklärte er, sich zu einem etwas muntereren Tonfall zwingend. »Wirklich. Es gab eine Zeit, da wollte sie nicht einmal mehr reden ... mit keinem, mich eingeschlossen. Aber in den vergangenen paar Monaten habe ich den einen oder anderen Fortschritt an ihr bemerkt. Sogar ihr Arzt hat es zugegeben, und Sie wissen doch, wie zurückhaltend diese Herren mit solchen Äußerungen sind. Natürlich gibt es keine Garantie, und ich verlange auch keine. Ich wünsche mir nur, daß sie eine Chance bekommt, eine einzige Chance. Und vielleicht denken Sie ja, daß ich mir etwas vormache, aber ich habe so ein Gefühl in mir, daß mein Mädchen bald wieder nach Hause kommen wird.«
Fern war noch wach und wartete auf Lauren und Chelsea, als die beiden in ihr Haus in dem nahe gelegenen Middletown kamen. Während sie eine Kanne mit Tee aufsetzte, trug Lauren Chelsea zu der Liege im Gästezimmer, zog sie aus und brachte sie ins Bett ... Dabei konnte sie an nichts anderes als an Jonathan denken.
Sie fühlte sich total ausgelaugt, als hätte sie eine zutiefst intime Begegnung mit diesem Mann hinter sich, allerdings auf emotionaler Ebene; noch nie zuvor hatte sie eine ähnliche Erfahrung gemacht. Er hatte ihr nicht sagen müssen, was er für seine Tochter empfand. Die Liebe war ein Teil von ihm. Sie konnte seinen Schmerz und seine Trauer spüren, und auch wenn das Wort »Schuld« nicht ein einziges Mal gefallen war, war es ständig präsent gewesen. Während er mit einem Kollegen auf einer Geschäftsreise gewesen war, war in sein Haus eingebrochen worden; die Logik sagte ihm zwar etwas anderes, aber seitdem wurde Jonathan Grant von der Vorstellung gepeinigt, daß er irgend etwas hätte unternehmen können oder müssen, um seine Familie zu retten.
Nachdem er Lauren in den Wagen geholfen hatte, hatte er vorsichtig die Tür geschlossen, um Chelsea nicht zu wecken, ehe er sich zum Abschied zu ihr hinunterbeugte. Sie dachte, er würde sie küssen. Sie konnte sich nicht erinnern, einen Mann jemals so sehr begehrt zu haben wie ihn. Aber er drückte nur den Sicherheitsknopf von Chelseas Tür hinunter und strich ihr dann mit den Knöcheln sanft über die Wange. »Gute Nacht«, sagte er.
»Ihr Jackett«, antwortete sie und drehte sich um. Aber er legte ihr die Hand auf den Arm und hielt sie zurück.
»Das nächste Mal«, meinte er.
Sie mußte schlucken – o ja, es würde ein nächstes Mal geben. Ganz bestimmt sogar.
»Okay, jetzt leg schon los«, forderte Fern Lauren auf, als sie endlich in die Küche zurückkam und auf einen Stuhl sank. Sie stellte eine Tasse mit süßem Tee vor sie hin. »Fang schon an zu reden.«
Lauren betrachtete ihre Schwester – eine ältere Ausgabe von sich selbst, wie Leute, die sie beide kannten, meinten. Sie waren beide hochgewachsen und blond, mit markanten Gesichtszügen, einer schönen Haut und großen, weit auseinanderstehenden Augen, deren Farbe je nach Stimmung und Laune intensiver oder blasser wurde. Fern, fünfzehn Jahre älter als ihre Schwester, war immer eher eine Mutter als eine Schwester für sie gewesen, da ihre Mutter gestorben war, als Lauren gerade sechzehn war. Fern hatte zum Teil Laurens Collegeausbildung finanziert und sie sogar ermutigt, Schauspielunterricht zu nehmen – wenn es denn unbedingt sein sollte.
Lauren hatte es zwar ernsthaft mit der Schauspielerei versucht, aber bald gemerkt, daß sie weder genügend Talent noch Hingabe für diesen Beruf besaß. Außerdem arbeitete sie viel lieber hinter den Kulissen. Erst als Fern von Manhattan wegzog, um eine Immobilienfirma zu betreiben, fand Lauren, die eben an der City University ihren Abschluß in Kommunikationswissenschaften gemacht hatte, endlich die Stelle, die sie sich immer vorgestellt hatte, und konnte so ihre heißersehnte Unabhängigkeit erringen.
Aber das bedeutete nicht, daß Fern nicht weiter häufig an der Strippe hing, neugierige Fragen stellte, Laurens Leben überwachte und – gewollt oder ungewollt – ihren Rat offerierte. Und es hielt Lauren auch nicht davon ab, eine kurzlebige Ehe in den Sand zu setzen, als deren einzig positives Produkt ein kleines Mädchen namens Chelsea hervorgegangen war. Lauren schlug Ferns Rat zwar meistens in den Wind, sah darin aber auch einen Gradmesser für die Anteilnahme ihrer Schwester an ihrem Leben und hätte deren Ratschläge zweifelsohne auch vermißt, wenn sie sie ihr eines Tages nicht mehr aufgedrängt hätte.
»Tja, laß mich mal überlegen«, erwiderte Lauren jetzt, als wälzte sie tatsächlich in ihrem Kopf alle Ereignisse dieses Nachmittags und Abends hin und her. »Was würdest du denn gerne hören? Okay, wie wäre es damit? Als er Chelsea und mich endlich auf dem Rummelplatz verließ und zu seinem eigenen Wagen zurückging, verschloß er erst alle unsere Türen und wartete so lange, bis wir weggefahren waren. Auf dem halben Weg hierher habe ich dann seinen Wagen im Rückspiegel entdeckt. Er ist uns bis hierher gefolgt, hat drüben auf der Straße geparkt und ist dann wieder gefahren, als Chelsea und ich sicher im Haus waren.« Fern nickte. »Du hast recht, das höre ich gern. Was mich allerdings überrascht, ist, daß es auch dir gefällt.«
Lauren war stolz auf ihre Fähigkeit, seit dem Tag, an dem sie Chelsea aus der Klinik nach Hause gebracht hatte, für sich und ihre Tochter zu sorgen. Gleich am Tag nach der Geburt hatte sie damals eigenmächtig beschlossen, sich selbst vorzeitig aus dem Krankenhaus zu entlassen; da sie ihren unaufmerksamen Ehemann jedoch telefonisch nicht erreichen konnte, nahm sie schließlich ein Taxi. Zu Hause spazierte sie mit Chelsea auf dem Arm ins Schlafzimmer, nur um festzustellen, daß er gerade mit einer anderen Frau zugange war. Der Telefonhörer lag neben dem Apparat.
Mark Brewer gehörte mittlerweile der Vergangenheit an; er hatte sie zwar um eine zweite Chance angefleht, aber in ihrem Herzen waren keine Gefühle mehr für ihn übriggeblieben. Sie reichte die Scheidung ein und nahm ihren Mädchennamen wieder an. Doch das war noch der leichtere Teil, schwieriger war es schon, die Ansprüche eines Kindes, einer Karriere und eines Haushalts unter einen Hut zu bringen – und das alles ganz allein. Um die Wahrheit zu sagen – die ersten beiden Jahre von Chelseas Leben verbrachte Lauren ständig am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Keiner blickte jedoch hinter die Fassade, zumindest keiner außer Fern. »Habe ich eigentlich schon gesagt, daß er mir gefällt?«
»Das mußt du gar nicht, ich sehe es dir auch so an. Wie alt ist er?«
» Einundvierzig.«
»Fast mein Alter. Tja, Lauren, das ist zu alt.«
Sie grinste und schüttelte den Kopf. »Irgendwie wußte ich, daß du das sagen würdest.«
»Woraus ich schließe, daß du nicht die Absicht hast, auf mich zu hören.«
Das Schöne oder auch weniger Schöne an jeder engen, tiefen Beziehung ist doch, daß die gegenteilige Meinung für keinen der Beteiligten ein Geheimnis mehr ist. Wenn Lauren gewollt hätte, hätte sie Ferns Sprüchlein an ihrer Stelle aufsagen können: Er ist klüger, gesetzter, hat mehr Erfahrung ist sich seiner selbst sicherer. Er wird schon alt sein, wenn sie erst so richtig in Schwung kommt; er ist nur ein Ersatz für den Vater, den sie nie hatte, aber immer haben wollte. Nichts davon traf zu ... außerdem hätte es nichts geändert. »Ich habe mir deine Meinung angehört, Schwesterherz«, entgegnete Lauren kühl. »Ich weiß, was du denkst. Doch in diesem Fall stimme ich nicht mit dir überein.«
»Ich sage ja nicht, daß er kein netter Mensch ist –«, setzte Fern an, aber Lauren schnitt ihr das Wort ab. Jonathan war nicht nur nett und nicht nur attraktiv, er hatte darüber hinaus etwas an sich, das ihn unwiderstehlich für sie machte. Natürlich war er ein Individualist, der seinen eigenen Kopf hatte, aber er war auch warm, liebevoll, sanft und aufmerksam ... Nein, ganz und gar nicht wie Mark. Was das betraf, da konnten nicht viele Männer, die sie kennengelernt hatte, Jonathan das Wasser reichen. »Und, willst du mir jetzt endlich verraten, was du über ihn weißt, oder muß ich das allein herausfinden?«
Fern schüttelte den Kopf und fuhr schließlich grummelnd fort: »Wer sagt denn, daß ich überhaupt etwas weiß?«
Lauren streckte die Hand aus versetzte ihrer Schwester einen spielerischen Klaps. »Würdest du jetzt bitte endlich aufhören, mir das Leben schwerzumachen? Du hast doch sofort gewußt, wer er ist, als ich dir seinen Namen nannte, also mußt du doch etwas Klatsch über ihn gehört haben.«
Fern gab schließlich doch nach und fing zu erzählen an. »Also, ich weiß, daß er ein paar hundert Meilen weiter nördlich in Rochester aufgewachsen ist und mit seiner Frau hierherkam, als er seinen Collegeabschluß hatte. Offensichtlich hat er eine Menge Geld geerbt, als seine Eltern starben.«
Das erschien Lauren nur logisch angesichts seiner Lincoln-Continental-Limousine, der teuren Kleidung, die er trug, und natürlich der Einrichtung, in der seine Tochter untergebracht war.
»Und ich stelle mir vor, daß er mit seinem Job auch nicht gerade schlecht verdient. Aber es hat ihm nicht sehr geholfen, sein vieles Geld ...«
Lauren nickte und deutete an, daß sie wußte, was seiner Familie zugestoßen war. »Ja, eine schreckliche Geschichte«, meinte sie.
»Soweit ich weiß, war seine Frau eine nette Person. Ein liebevoller, hübscher, häuslicher Typ«, fügte Fern hinzu. »Die Leute hier in der Gegend fühlen sich normalerweise ziemlich sicher – aber noch Monate nach dem Vorfall waren alle ängstlich, kannten kein anderes Thema mehr, verriegelten alle Türen, ließen ihre Kinder nicht mehr aus den Augen und warnten sie eindringlich vor allen Fremden ...«
»Seine kleine Tochter sah doch mit an, was geschah. Sie ist in einer privaten psychiatrischen Anstalt in Massachusetts untergebracht. Man fährt fast zwei Stunden bis dorthin, aber er besucht sie jede Woche.«
»Trotz der goldenen Löffel im Mund, mit denen er aufgewachsen sein mag, war er meines Wissens immer ein hingebungsvoller Vater und Ehemann – das, was die Leute eben einen grundanständigen Burschen nennen würden.« Fern stieß einen tiefen Seufzer aus. »Wie heißt es gleich noch mal: Das Unglück trifft immer die Tüchtigen ...?«
Lauren war in Gedanken bereits ein Stück weiter; sie war fest entschlossen, Jonathan Glück zu bringen. Als ihre erste Ehe gescheitert war, hatte sie es für unwahrscheinlich gehalten, jemals wieder zu heiraten, aber plötzlich ertappte sie sich dabei, wie sie sich eine Zukunft mit Jonathan ausmalte und sich fragte, wie es wohl wäre, in seinen Armen aufzuwachen.
Aber ganz so einfach verhielt es sich mit der netten kleinen Anekdote, die sie Fern über ihn erzählt hatte, auch wieder nicht. In dem Punkt hatte Fern nur teilweise recht. Gut, er hatte sie bis nach Hause begleitet, und Lauren hatte seine Fürsorglichkeit ihr und Chelsea gegenüber als recht schmeichelhaft empfunden, aber gleichzeitig war sie doch auch ein wenig merkwürdig berührt gewesen. Ganz deutlich waren Jonathan seine Furcht und seine Besorgnis anzumerken, daß jederzeit, wenn er nicht auf der Hut wäre, wieder etwas Ähnliches geschehen könnte, wie es seiner Familie zugestoßen war.
Jonathans übertriebene Fürsorglichkeit sollte sich denn auch als einer der schwierigsten Aspekte ihrer Beziehung erweisen. Lauren hatte mittlerweile eine gute Stellung in der Redaktion der CBS-Morgensendung Home Show, die in Manhattan produziert wurde, aber Jonathan sah es gar nicht gerne, daß sie in einer Stadt mit einer so hohen Verbrechensrate lebte, und drängte sie, ihre Arbeit dort aufzugeben und nach Elmwood Valley zu ziehen – ein Wunsch, der ganz in Ferns Interesse war. Aber sie konnte ihren Job nicht einfach so aufgeben, vor allem schon deswegen nicht, weil Stellen auf diesem Gebiet ziemlich dünn gesät waren.
Und so verlieh Jonathan seiner Besorgnis täglich über das Telefon Ausdruck und deckte sie mit guten Ratschlägen ein: »Nimm nie nach Einbruch der Dunkelheit die U-Bahn, geh nicht in die Nähe von Port Authority, sprich nicht mit Fremden.«
»Du hörst dich ja schon an wie Fern«, zog Lauren ihn dann immer auf und versuchte, seine Befürchtungen mit Humor zu zerstreuen. Aber in Wahrheit waren seine Ängste nicht grundlos – mehr und mehr verkam die Stadt zu einem regelrechten Kriegsgebiet. Wenn Jonathan sie einmal in der Woche besuchen kam, brachte er jedesmal tütenweise Lebensmittel und hübsche Kleider oder Kleinigkeiten für sie und Chelsea mit.
Während sie in der Küche dann ihr Bestes gab, um eine perfekte Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, schraubte er Sicherheitsschlösser an alle Türen, überprüfte ihren Rauchmelder und ihre Fenster und heiterte Chelsea mit lustigen kleinen Geschichten auf. Und wenn Chelsea dann endlich im Bett lag, ließ er Laurens Träume wahr werden. Er war ein wunderbarer Liebhaber – zärtlich, leidenschaftlich; er wußte genau, wo und wie er sie zu berühren hatte ... Keiner schien sie je so gekannt zu haben wie Jonathan.
Und jeden Freitagabend um sechs Uhr holte sie Chelsea von ihrer Tagesmutter ab und fuhr, so schnell sie konnte, über das Wochenende ins Haus ihrer Schwester, nur daß sie dort mittlerweile nur noch den kleinsten Teil des Wochenendes verbrachte. Sonntag war dann Besuchstag in der Bateman-Klinik; sie und Chelsea begleiteten Jonathan selbstverständlich auf seiner wöchentlichen Fahrt in den Norden, wo er die beiden normalerweise im Kinderkino zur Filmmatinee, am Spielplatz gleich um die Ecke oder im Museum absetzte, während er Emily besuchte.
Vier Monate später, nachdem er Lauren mit Liebe und Aufmerksamkeit im Überfluß völlig den Kopf verdreht hatte, zückte Jonathan einen dreikarätigen, pfirsichförmigen Diamanten – den schönsten Ring, den Lauren jemals gesehen hatte – und bat sie, ihn auf der Stelle zu heiraten. Mit Tränen in den Augen sagte sie ja. Trotz ihrer anfänglichen Skepsis – Lauren kannte ihn doch erst einige wenige Monate – hatte auch Fern ihn mit der Zeit schätzen und respektieren gelernt und konnte nicht länger leugnen, wie zufrieden sie über die Aussicht war, ihre kleine Schwester bald wieder in ihrer Nähe zu haben.
Jonathan war zwar überall in der kleinen Gemeinde bekannt und wurde von vielen Menschen bewundert, aber sein Leben hatte sich immer ausschließlich um seine Arbeit und seine Familie gedreht, so daß ihm kaum Zeit geblieben war, irgendwelche Freundschaften zu pflegen. Mit einer Ausnahme: Jerry Reardon, ein immer gutgelaunter, großzügiger Bursche, der fünfundsechzig Meilen weiter nördlich eine Firma für Industriebau besaß und leitete. Es war Jerry gewesen, der Jonathan am Anfang seiner Karriere geraten hatte, an verschiedenen wichtigen Ausschreibungen teilzunehmen, und der ihm anschließend den einen oder anderen Auftrag hatte zukommen lassen.
Wie es das Schicksal wollte, sollte Lauren Jerry Reardon nur ein einziges Mal treffen. Jonathan und sie waren Wochenendgäste in seiner eindrucksvollen Junggesellenbude, einer Zwölfzimmervilla außerhalb von Albany. Zu Jonathans großer Freude verstanden sich die beiden auf Anhieb. Aber bereits sechs Wochen später, gerade als Jonathan ihre Hochzeitspläne verkünden und Jerry bitten wollte, sein Trauzeuge zu werden, erhielt er einen Anruf, daß Jerry bei einem Unfall auf der Baustelle tödlich verunglückt sei. Jonathan litt schwer unter dem Verlust seines Freundes. Aus diesem Grund, und auch angesichts der großen Enttäuschung, daß Emily nicht an der Zeremonie würde teilnehmen können, beschlossen sie, Ende November eine weniger aufwendige Trauung bei sich zu Hause abzuhalten, ein knappes Jahr, nachdem sie sich kennengelernt hatten.
Jerrys Tod war eine Tragödie, die Jonathan mit Sicherheit noch die nächsten Jahre nachhängen würde, aber was die Tatsache betraf, daß Emily leider nicht an ihrer Hochzeit teilnehmen konnte, wollten sie sich nicht lange mit negativen Gedanken belasten, sondern lieber hoffen, daß sie bald nach Hause käme. Daran mußten Jonathan und Lauren einfach ganz fest glauben. Aber wenn es um so etwas Zerbrechliches wie das Gefühlsleben eines Kindes ging, dann schienen für jeden Schritt nach vorne erst einmal tausend Hürden überwunden werden zu müssen. Emily hatte zwar endlich die Tatsache akzeptiert, daß ihre Mutter tot war, aber allein die bloße Erwähnung der Möglichkeit, die Sicherheit der psychiatrischen Anstalt zu verlassen und wieder in die Welt hinauszutreten, versetzte sie bereits in hellsten Aufruhr.
Obwohl der Arzt Jonathan endlich grünes Licht gegeben hatte, seiner Tochter von seiner bevorstehenden Eheschließung mit Lauren zu erzählen, verlief das eigentliche Gespräch nicht so reibungslos, wie sie es gerne gehabt hätten: Emily hatte sich mit beiden Händen die Ohren zugehalten und sich abrupt von ihrem Vater abgewandt, nicht bereit, eine neue Familie, geschweige denn eine Stiefmutter oder eine neue Schwester zu akzeptieren.
Erst vier Monate nach der Hochzeit lernten Lauren und Chelsea sie dann endlich kennen – an dem Tag, an dem Emily nach Hause kam.