Читать книгу Das Ende der Knechtschaft - Günter Billy Hollenbach - Страница 26

Dienstag, 2. August

Оглавление

Natürlich fällt mir die ungeschriebene amerikanische Dating-Regel ein, von der mir Claudia in Santa Fe erzählt hat. Danach muss Er Sie spätestens am Abend nach der ersten Verabredung anrufen, wenn er sich Hoffnung auf ein Wiedersehen macht. Allerspätestens. Für „Bräute“ im Teenager-Alter sei das Ausbleiben einer Elektronischen Kurznachricht – SMS – innerhalb einer Stunde bereits Beweis genug, dass der Kerl nichts taugt und sie sich einem anderen zuwenden kann.

Ob Corinna Sandner diesen Unfug auch kennt und das Gleiche erwartet? Wenn romantische Regungen ins Spiel kommen, können Mädchen sehr eigen sein; und Buben ungewöhnlich unsicher. Lasse ich es darauf ankommen? Und werde fortan von ihr mit dürren Ausreden abgewimmelt. Oder flüstere ich ihr tags darauf ins Ohr, wie gut mir ihre erlesen hübschen Schuhe gefallen haben?

Bescheuerte Überlegungen, die mich am Montag gelegentlich und am Dienstag beständig mehr beschäftigen. Aber unvermeidlich, wenn du, wie ich, Facebook und Twitter mit entschiedener Missachtung strafst. Als ich ihre Nummer gegen sieben Uhr abends – zugegeben mit einem ungewohnten Zucken im Finger – das erste Mal tippe und etwas ungeduldig dem Wählzeichen lausche, bleibt es dabei.

Erleichtert, keinen Anrufbeantworter mit einem heiteren „Leider sind wir gerade nicht zu Hause ...“ losquaken zu hören, lege ich den Hörer wieder auf. Anscheinend ist sie unterwegs. Bei ihrer Tochter? Quatsch, wahrscheinlich kämpft sie immer noch heldenhaft für Recht und Gesetz. Um die Uhrzeit? Wie mag eine Beziehung zu einer Frau mit diesem Beruf aussehen? Falls das zarte Pflänzchen unserer privaten Gemeinsamkeit überhaupt weiter gedeiht. Geregelte Arbeitszeit, fester Dienstschluss wie beim Postamt? Stell dich nicht dümmer als du bist. Selbstverständlich dauernd in Abrufbereitschaft; auch nach Feierabend. Mit grauenhaften Verbrechensbildern im Kopf? Und einer Pistole unter dem Kopfkissen? Das dämpft jede Erwartung an traute Zweisamkeit. Bei ihr vielleicht ebenfalls. Weil sie die Eigenheiten ihrer Tätigkeit genug belasten und sie sich die Mühen der Beziehungspflege besser gleich spart?

Oder ist die Sache viel einfacher? Ihr Telefon zeigt meine Nummer an und die Dame hat längst beschlossen, ich möge ihr gefälligst den Buckel runterrutschen?!

Kurz vor neun probiere ich es noch einmal. Schließlich ist auch die Tagesschau längst vorbei. Es klickt in der Leitung, gefolgt von einem trockenen, auffordernden:

„Sandner.“

*

Mann, ich habe ja richtig Herzklopfen.

„Guten Abend, äh ... Corinna, hier ist Berkamp, Ro....“

„Hey, Robert“, fällt sie mir hörbar erfreut ins Wort; „schön, gerade wollte ich dich anrufen; warte mal ..., ich hole mir nur meinen Tee.“

Klappern, leises Rauschen in der Leitung, dann wieder Klappern.

„So, bin wieder da. Ich bin erst vor zehn Minuten heimgekommen.“

Hörbares Schlürfen.

Bis vor einer Stunde, erklärt sie, war ihre Wenigkeit bei einer Personenüberprüfung in einer Rotlicht-Bar gefragt. Die Zielpersonen kamen später als angekündigt. Das reicht ihr für heute.

„Hast Du Zeit zum Reden? Bist Du gut heimgekommen? Am Sonntag, nach unserem Spaziergang? Na klar, das war wirklich schön, mal was ganz anderes. Vielleicht hätten wir doch noch weiterlaufen sollen, Bienenstich futtern.“

Ob sie auch mal Atem holt?

„Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal diese Art Naturgenuss hatte und obendrein mit jemandem, der nicht aus meinem Arbeitsfeld stammt.“

Allmählich wird sie ruhiger, unterbricht sich selbst: „Oh, Gott, ich rede und rede“, fragt schließlich: „Gibt ’s was, ich meine, hast Du einen bestimmten Grund, dass Du anrufst?“

Auch wenn es anfangs etwas holpert, wir telefonieren beinahe vier Stunden lang miteinander. Es wird das erfreulichste Telefonat seit langem für mich. Bei dem ich mich sogar traue, Dinge zu sagen, über die ich sehr selten spreche. Weil ich oft erlebt habe, dass sie meine Zuhörer in Angst und Schrecken versetzen und mich nachdenklich, traurig und allein zurücklassen.

„Ja, klar gibt es einen Grund. Ich möchte deine Stimme hören.“

Stille. Schlürfen, verhaltenes Schmatzen.

„Du siehst mich erröten.“

„Leider nein. Schön, ich stelle es mir vor.“

„Ja, ja, was Männer sich vorstellen, wenn sie an eine Frau denken.“

„Wenn das so ist; ohne meinen Rechtsanwalt sage ich nichts mehr. Jedenfalls fand ich unseren Spaziergang sehr schön.“

„Danke, ebenfalls. Also laufen wir demnächst wieder. Pech,“ kichert sie, „kein Sekt unter südlicher Sonne sondern Bienenstich auf dem Fuchstanz. Vorausgesetzt, Du bist schön artig und nimmst Rücksicht auf meine zarte Seele.“

„Corinna, reden wir lieber vom Wetter. Ne zarte Seele habe ich selbst.“

„Oh nein, bisschen albern, wir zwei. Dabei finde ich mich zu alt für kindisches Flirtgeschwätz. Lieber ein gutes Gefühl und eine klare Ansage.“

Auf die Gefahr hin, dass es Männer ängstigt. Wie ist das bei mir?, fragt sie. Lasse ich mich dadurch abschrecken?

Sehr gern, wenn sie das möchte, gebe ich zurück.

Nein, natürlich nicht. Mein Vorteil sei, dass ich kein Kollege bin. Mit einem von denen fängt sie nichts an. Und mit Zivilisten ...? Weil ... Privat kennt sie kaum noch Menschen aus anderen Lebensbereichen. Ihre Dienstzeiten sind nicht besonders sozialverträglich. Und der Beruf? Für Außenstehende mag das aufregend klingen. Wenn du damit lebst, wird es gelegentlich traurig. Trotzdem, sie ist gern Polizistin, kann nicht aus ihrer Haut.

„Erklär mal, bitte. So kann ich damit wenig anfangen.“

„Wie soll ich sagen, das ist kein normaler Beruf.“

Du bist Polizistin, selbst wenn du nicht im Dienst bist. Ihre Nachbarn im Haus sind wirklich nette Leute; der Herr Wagner in der Wohnung zwei Stockwerke unter ihr kümmert sich um ihre Post, wenn sie verreist ist. Er kauft sogar für sie ein, wenn sie ihn bittet. Aber wenn sie sich zufällig begegnen, was sagt er? ,Dann legen Sie mal wieder schön den schweren Jungs das Handwerk, Frau Sandner.’

„Er muss sich ja nicht unbedingt nach meinem Liebesleben erkundigen. Aber es gibt doch mehr, was man sagen kann, oder?“

Geht es mir eigentlich viel anders?

„Na ja, Arbeit und Beruf sind nun mal wichtig für die meisten Menschen. Da liegt es nahe, darüber zu reden. Mit meiner Tochter in Santa Fe, wir telefonieren einmal im Monat miteinander. Spätestens Claudias zweite Frage betrifft die Arbeit, zum Beispiel, ob sich ein neuer Klient zu mir verirrt hat.“

„Was fragt sie vorher?“

„Ob am Horizont eine Frau aufgetaucht ist, die sich unter meine Bettdecke traut?“

„Und, was antwortest Du darauf?“

„Claudia, der Horizont ist weit und wandert beständig vor mir her.“

„Nett. Ihr mögt euch, stimmt ’s, deine Tochter und Du?“

„Ja, kann man wohl sagen.“

„Das sollte ich meinem Mona-Mädchen mal erzählen. Abgesehen von ihr – bei mir ist nicht viel mehr Privatleben.“

Schon wegen der oft unvorhersehbaren Einsatzzeiten. Du willst das den Leuten nicht dauernd zumuten, den Freunden ... die werden nach und nach sowieso weniger.

„Und in deiner Freizeit ...?“

„Ich lese viel. Oder trödele durch Geschäfte. Am Obststand im Supermarkt nasche ich eine Weintraube, ohne dafür zu bezahlen.“

Sie kichert aufgekratzt; ich freue mich, dass wir reden.

„Das mache ich nämlich mindestens einmal die Woche. Mein Ausbruch aus den Zwängen der Gesetzeshüterin. Womit ich nicht nur einen Hinweis auf meine untadelige Berufsauffassung gebe, sondern auch meine vorzügliche Haushaltsführung nebst gesundheitsbewusster Nahrungsaufnahme gestehe.“

„Corinna, deine Offenheit macht mich verlegen.“

„Wehe Du verrätst mich! Fortgesetzter schwerer Raub. Ist schließlich mein Sachgebiet. Was soll ’s, das mache ich eh nicht mehr lange.“

Sie seufzt vor sich hin.

„Hörst Du auf? Oder wirst Du etwa weggemobbt?“

Das soll ja schon vorgekommen sein in hessischen Polizeikreisen!

Das Stichwort erheitert sie.

„Oh toll, weggemobbt?! Prima Idee. Super, morgen früh verklage ich den Innenminister. Nein, Quatsch. Ich will wieder rüber in den Bereich K 11, Kapitalverbrechen gegen Leib und Leben. Gleiche Stelle, gleiche Welle; ich war da schon bis vor sechs Jahren, damals noch etwas anders organisiert und weniger computerisiert. Mein Wechsel dahin ist schon bewilligt.“

Sie zögert, ergänzt bewusst betonend, bei ihnen gibt es kein Mobbing, amtlich beschlossen. Bösartige Verleumdung seitens des politischen Gegners. Sie und die Kollegen wissen nicht einmal, wie man das Wort schreibt.

„Na logisch.“

Ich frage mich, wie sich ihr Umgang mit dem Kollegen Schuster gestaltet, halte es aber für klüger, den Namen unerwähnt zu lassen.

„Die neue Stelle, wird deine Arbeit dort gefährlicher?“

„Nöh, bringt aber mehr Blut und Abscheu mit sich.“

Sie überlegt hörbar, bevor sie anhängt:

„Nebenbei ist damit das Rätsel gelöst, wieso eine Frau wie ich ohne einen Mann im Haus lebt. Falls Du daraus auf erotischen Vorlieben schließt, vergiss es?!“

Seltsamer Gedankensprung. Sie spricht unbekümmert weiter. Und es wird klarer, was dahinter steckt.

„Ich warne dich, ich bin so unnormal normal, das ist beinahe schon strafbar. Übrigens: Ich finde es gut, dass Du mich noch nicht gefragt hast, wie viele Leute ich erschossen habe.“

Der Hinweis überrascht mich.

„Wie bitte? Der Gedanke ist mir noch nicht gekommen.“

„Freut mich für dich.“

Sie schweigt. Ich warte, denke Vorsicht, wunder Punkt !

„Du wolltest dazu noch etwas sagen, Corinna?!“

Sie zögert. Dann kommt es lauter, unerwartet heftig.

„Ich finde die Frage echt widerwärtig. Eklig.“

Vor ein paar Jahren ist sie noch gelegentlich in die Disko gegangen. Klar erkundigen sich die Typen gleich nach ihrem Beruf. Um rauszukriegen, ob sie anschaffen geht. Anfangs, wenn sie Polizistin geantwortet hat, kriegten die meisten das Zittern und mussten dringend aufs Klo. Auch eine dieser wenig erheiternden Erfahrungen.

„Mal ehrlich, das waren nicht alles Kunden meiner Firma.“

„Oh je. Das finde wirklich doof von den Männern.“

„Ja, nur, dabei blieb es nicht. Die besonders abgefahrenen Kerle kriegten schlagartig einen ganz komischen Blick. Prompt kam dann diese Frage. Einmal habe ich einem Typ spontan eine geknallt. Heute bin ich in der Hinsicht gelassener.“

Trotzdem! Wer ist sie denn?! Eine Killerin? Als ob es diese Kerle aufgeilt, ein wahres Monsterweib vor sich zu haben, das um sich schießt.

„Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nie nachgedacht. Klingt reichlich merkwürdig.“

Kunststück; Frau Hauptkommissarin ist die erste Ausübende dieses Berufs, mit der ich zu tun habe.

Sie hängt immer noch an dem Thema.

„Vor allen Dingen – es hat rein gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun.“ Nicht die Spur. Über 90 Prozent aller Polizisten geben in ihrer gesamten Dienstzeit, an die vierzig Jahre, keinen einzigen Schuss aus ihrer Dienstwaffe ab. Außer auf der Trainingsbahn natürlich. Auch die Kollegen, die draußen arbeiten. Nebenbei: Die meisten Kriminellen ballern genauso wenig in der Gegend rum. Die halbwegs etwas auf dem Kasten haben ohnehin nicht.

„Und die anderen sind zu doof, weshalb wir sie meistens auch schnell schnappen. Jedenfalls kein Vergleich zu der Zahl der Toten im Straßenverkehr.“

„Das dürfte wenig bekannt sein. Wenn man den Fernsehkrimis glaubt, dann ist die Welt voll ...“

„Hör mir damit auf!“ unterbricht sie mit aufgebrachter Stimme.

„Fernsehen, für mich wird das langsam zu einem Skandal. Erst die Privatsender mit ihren bescheuerten amerikanischen Krimiserien. Inzwischen auch in den öffentlichen Sendern; kein Tag mehr ohne Krimi, weniger schießwütig, aber meist mit anschaulicher Darstellung der Taten. Betriebsanleitung für Mord und Totschlag als Hobby, möglichst jeden Abend frei Haus. Da kann mich die Wurt packen.“

Sie schlürft unbekümmert laut Tee, – „bah, inzwischen ist der kalt“ – spricht aber sogleich angeregt weiter.

„Oder Computerspiele, der reine Wahnsinn!“

Laut Statistiken der Kriminologen in Hannover, berichtet sie, führt das zu Verrohung und innerer Abstumpfung. Gerade bei jungen Menschen, wenn das Gehirn sehr aufnahmebereit ist. Wie soll bei denen eine Hemmschwelle gegen Gewalt entstehen? Das muss die doch geradezu kitzeln, findet sie, es in Echt zu probieren. Sie hält es für ein mittleres Wunder, dass nicht viel mehr passiert.

„Obwohl, wenn Leute heutzutage ausrasten, dann immer blindwütiger. Robert, ... langweilt dich das, was ich daherrede?“

„Im Gegenteil, Corinna. Erlebst Du das auch, Gewalttätigkeiten mit jungen Leuten?“

„Mann, Robert, Gewaltkriminalität wird hauptsächlich von jungen Männern begangen. Ich selbst? Ne, das überlasse ich den Kollegen von der Fahndung. Die beherrschen ihr Handwerk bei Zugriffen.“

„Neulich habe ich einen Schimanski-Film gesehen. Da ging es um Gewalt zwischen Polizisten, die sich Schmiergeld zustecken ließen oder erpressten. Ziemlich harte Geschichte. Gibt es so etwas bei euch auch, im richtigen Leben?“

Ihre Antwort lässt etwas auf sich warten.

„Dazu sage ich jetzt nichts. Gelegentlich wird gemunkelt. Für unsere Verdeckten Ermittler würde ich nicht unbedingt die Hand ins Feuer legen. Aber bei mir, in meinem Umfeld ...? Nöööh! Du weißt doch: Wir sind die Guten.“

„Ah ja? Findet deine Tochter das auch?“

„Du, werd nicht unfair! Wenn ich daran nicht glauben würde – dass wir die Guten sind –, könnte ich nicht jeden Morgen neu zum Dienst antreten. Während der Woche jedenfalls.“

„Wunderbar, Corinna! Schon freue ich mich doppelt auf unseren nächsten Spaziergang. Warte mal eine Sekunde, ich muss Pipi.“

Das Ende der Knechtschaft

Подняться наверх