Читать книгу Das Ende der Knechtschaft - Günter Billy Hollenbach - Страница 28

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War das jetzt ein Fehler? Das anzusprechen?

Nein. Es ist ein Teil von mir.

In der einsetzenden Pause empfinde ich eine bange Erwartung, wie Corinnas Urteil ausfällt. Sie beginnt langsam – unsicher oder behutsam.

„Bitte versteh das jetzt nicht falsch, Robert. Wie soll ich sagen? Das klingt alles ziemlich fremd und ungewöhnlich für mich. Und mein skeptischer Kriminalistenverstand fragt sich ... ist es nicht denkbar, ... dass diese Stimme, diese Augen ... Einbildung sind ...?“

„Verstehe ich,“ unterbreche ich sie. „Früher habe ich manchmal den gleichen Gedanken gehabt. Aber heute bin ich sicher, Corinna. Wenn ich meine Intuition rufe, beginnt es über den Augenbrauen in der Mitte der Stirn, im Dritten Auge mit einem kreisenden, kribbelnden Druckgefühl, sehr zuverlässig. Dann erscheinen ihr Augen und ich höre ihre Stimme.“

Nach kurzem Zögern ergänze ich: „Du siehst, ich lebe nach dem Leitspruch: Ich bin nicht abergläubisch – das bringt nur Unglück.“

Es dauert ein paar Sekunden, bis ihr jappendes Schnaufen in offenes Lachen übergeht:

„Du bist mir ein Spinner, wirklich.“

„In Ernst, das Thema ließ mir keine Ruhe.“

Gut hundert Meter Bücher habe ich dazu gelesen, meist von amerikanischen Fachleuten. Es gibt kaum ernstzunehmende deutsche Veröffentlichungen darüber. Naheliegend; in dem großen Amerika leben mehr Menschen, die solche Energieerscheinungen kennen – zum Beispiel indianische Schamanen – und ähnliche Erfahrungen machen.

„Mann, Robert, das müsstest Du anderen Leuten beibringen; wäre bestimmt ein tolles Geschäft.“

„Es gibt tatsächlich Trainer dafür.“

Vor vier Jahren war ich Sedona im Bundesstaat Arizona. Das gilt als ein spirituelles Zentrum in den USA, früher ein heiliger Ort der Hopi-Indianer. Heute leben dort jede Menge New-Age-Fans. Das Stärkste war mein Besuch bei einer hellsichtigen Frau, eine ganz normale Person in Jeans und Rollkragenpulli. Ich habe ihr kein Wort über mich gesagt, ungelogen. Die Frau hat mich nur angeschaut, kurz meine Hand gehalten und dann massig Dinge aus meinem Leben erzählt, Vertrauliches seit meiner Kindheit. Bei der Frau habe ich anschließend das Sehen des menschlichen Energiekörpers, der sogenannten Aura, gelernt.

„Aura, sagt dir das was, Corinna?“

„Ja, na klar. Ich hab dir doch gesagt, Mona interessiert sich für solche Themen. Mein Mädchen. Von mir hat sie das nicht. Egal. Du musst unbedingt mit ihr reden; nach dem, was Du sagst. Da fällt mir ein: Weißt Du, was der Name Mona auf Deutsch bedeutet? Kommt doch auch vom Lateinischen, wie Corinna, oder?“

„Ganz sicher bin ich nicht. Viele Namen bei uns haben einen jüdisch-arabischen Hintergrund wie Benjamin oder Gabriele. Mona – könnte die „Alleinige“, „Einzigartige“ bedeuten.

Corinna seufzt vernehmbar: „Mona, alleinig ... das passt.“

Sie schnalzt leise mit der Zunge, will etwas anhängen.

„Stell dir mal vor, Du gibst deinem Kind einen Namen, bloß weil er hübsch klingen soll. Und dann bestimmt der Name heimlich das Wesen des Kindes. Schon komisch. Aber, eigenwillig wie Mona ist – ich glaube, wenn wir sie „Eintracht Frankfurt“ genannt hätten, sie wäre trotzdem so geworden wie sie ist. Ach, was beklage ich mich; ich brauche ja nur mich selbst anzuschauen.“

„Danke, Corinna, für die vorteilhafte Beschreibung deiner Tochter.“

„Wie gesagt, sie beschäftigt sich auch mit Engeln und Geistern und deren Treiben. Ich kann damit nichts anfangen, mit diesem Übersinnlichen. Für mich ist das entweder Aberglaube oder Sinnestäuschung.“

Wer nicht offen dafür ist, lässt sich nicht überzeugen. Eine neuen Versuch ist es mir dennoch wert. Corinna ist es mir wert.

„Sagt dir der Name Stanford Universität in Palo Alto etwas?“

„Nein, was ist damit?“

„Das ist eine private Spitzen-Universität in Kalifornien.“

An einem kleinen Institut dort wurde seit Ende der 1970-er Jahre fast zwanzig Jahre lang „Remote Viewing“ entwickelt und angewendet. Auf Deutsch „Sehen auf Entfernung“; finanziert vom US-Geheimdienst CIA. Eine Handvoll talentierter Forscher haben gegnerische Gebäude und unterirdische militärischen Anlagen „ausspioniert“ – in Russland oder China, sogar U-Boote unter Wasser – allein mit Bewusstseinsarbeit, ansonsten keinerlei technischen Hilfsmitteln. Über Tausende Meilen Entfernung, nur mit Gedankenkräften, ohne ihr Arbeitszimmer in Stanford zu verlassen.

„Das gibt ’s doch nicht!,“ unterbricht Corinna, „wie soll das denn gehen?!“

„Doch; ich weiß, das klingt völlig irre, ist aber Tatsache. Wie es geht – die Leute hatten selber keine schlüssige Erklärung. Aber getan haben sie es, und es hat funktioniert, tausendfach. Das waren hochintelligente, stocktrockene Wissenschaftler und einige stramme Soldaten. Mit New Age oder Engeln hatten die nichts am Hut. Übrigens, indianische Schamamen fanden nichts Besonders dabei. Viele von ihnen heilen allein durch Gedankenkraft fremde Menschen, die hundert Meilen entfern leben.“

„Pah, Mann! Irre! Geht das ähnlich wie hypnotisieren?“

„Damit fängt man an, mit tiefer innerer Entspannung. Dann schickt man das Bewusstsein auf die Reise. Vor einigen Jahren gab es eine Meldung über eine Mutter in Boston, Massachusetts. Die Frau hat schlagartig gewusst, dass ihre Tochter in den Bergen Chiles einen lebensgefährlichen Unfall hatte, genau im selben Augenblick, trotz Zeitverschiebung und über achttausend Kilometer Entfernung. Ohne Handy oder Internet. Da waren ähnliche Kräfte am Werk.“

„Entschuldige, Robert, wenn ich da einhakte, Mutter und Tochter. Beim nächsten Spaziergang muss Mona unbedingt mit. Notfalls in Handschellen. Du musst ihr davon berichten. Vielleicht erzählt sie dann ein bisschen, was sie in letzter Zeit beschäftigt.“

„In Ordnung. Aber bitte freiwillig. Zum Wochenende soll es noch mal schönes Wetter werden.“

„Gut, Robert, ich frage sie.“

Als ich bereits annehme, „mein“ Thema ist beendet, fragt Corinna nach:

„Du selbst: Hast Du eine Erklärung für ...; bist Du noch katholisch?“

„Nein, Corinna, mit Religion hat das nichts zu tun. Aus der Kirche bin ich längst ausgetreten. Auch wegen unserem Pfarrer.“

Was ich heute glaube? Die Frage hat mich so oft beschäftigt, dass ich mühelos einen Kurzvortrag dazu halten kann. Mir geht es wie den Stanford-Leuten. Die waren mehr und mehr von etwas überzeugt, das sie als „feinstoffliche Energie“ bezeichneten. Daran hat bereits der deutsche Atomwissenschaftler Max Planck geglaubt und es „Matrix“ genannt. Eine schöpferische Ur-Energie – extrem hohe Lichtschwingungen –, die alles durchdringt, in der menschliche Gedankenenergie weitergeleitet und gespeichert werden kann, in der Raum und Zeit keine Rolle spielen. Dass Menschen über die Fähigkeit verfügen, die darin enthaltenen Energiesignale zu empfangen und zu nutzen, muss ich nicht glauben. Weil ich es weiß und erlebe.

„Ende meiner Antwort auf deine einfache Frage.“

„Huff! Robert, ich gestehe, ... Matrix-Energie? Für mich klingt das alles unglaublich, beängstigend, Geschichten aus einer Welt, die mir völlig fremd ist.“

„Ich finde es toll, Corinna, dass Du mir zuhörst. Du brauchst mir nichts zu glauben. Googele einfach „Remote Viewing“ und lies ...“

Sie geht dazwischen:

„Nee, Robert, lass mal. Ich kann dir auch sagen, was mich daran stört. Ich habe es gern praktisch. Ich halte mich an das, was ich kenne und verstehe. Unsere Kriminaltechnik zum Beispiel ...“

„Wieso? Siehst Du die Funkenergie in der Luft? Trotzdem klingelt dein Mobiltelefon und Du benutzt es. Glaubst Du an diese Energiewellen?“

Lange Pause.

„Ja, schon. Sagen wir mal so: Ich suche nach Sachen, die für meine Arbeit brauchbar sind. Selbst wenn ich dir das alles glaube, in Bezug auf meine Arbeit fällt mir dazu nichts ein.“

„Na ja, jetzt weißt Du, was für eine komische Nummer ich bin. Was deine Polizeiarbeit betrifft – wenn ich darüber nachdenke, fällt mir sicher einiges ein. Etwa zum Thema Lügen erkennen.“

„Dass ich nicht lache. Vergiss es, Mann. Gerade die übelsten Typen, Psychopathen, tricksen locker jeden Lügendetektor aus.“

„Aber vielleicht nicht den kinesiologischen Muskeltest.“

„Was für ein Ding? Nein, Robert, jetzt hör auf! Nicht noch ein esoterisches Zauberding. Dann können wir gleich mit Schwarzer Magie anfangen. Hast Du eine Ahnung, was das für die Öffentlichkeit bedeutet, wenn das bekannt würde?! Ich sehe schon die Schlagzeilen in der Bild-Zeitung: „Polizei ermittelt mit der Kristallkugel und verfolgt Täter auf fliegenden Besen.“ Super!“

Sie unterbricht sich selbst kichernd.

„Das hätte noch gefehlt!“

Sie auf einem fliegenden Besen – die Vorstellung gefällt mir.

„Wieso? Das könnte euch ein großes Stück voran bringen.“

Lachen an beiden Enden der Telefonverbindung.

Schließlich Corinna, schnaufend:

„Stell dir mal vor, uns hört jetzt jemand zu. Völlig irre.“

Worauf mir einfällt:

„Na, hör mal! Wir diskutieren bloß ganz cool zukunftsweisende Methoden der polizeilichen Verbrechensbekämpfung.“

Jetzt lacht sie richtig laut:

„Ganz genau ... oh Gott, Robert ... das ist es .... zukunftsweisende Methoden der ... ich hoffe nur ... ich hoffe nur, ich komme nie in die Verlegenheit, auf dich und deine Methoden der Verbrechensbekämpfung angewiesen zu sein. Mann, Mann, Du bist ... Du bist ein unmöglicher Typ, weißt Du das?! Das musste mal gesagt werden. Und jetzt ist Schluss. Corinna muss ins Bett. Und wegen dem Spaziergang mit Mona – ich melde mich, okay?“

„Corinna, danke dir noch mal, für dein geduldiges Zuhören, wirklich. Danke für das ganze Gespräch. Schlaf gut.“

„Du auch. Danke dir.“

*

Sei vorsichtig mit dem, was du wünschst. Die Götter könnten es dir geben. Für mich ist dies mehr als eine alte Volksweisheit. Wenige Tage später kommt mir unser Telefongespräch noch einmal in den Sinn und der Wunsch, den Corinna zum Schluss lachend geäußert hat. Wünsche gehen öfter in Erfüllung als man denkt, auch wenn sie in der Verneinung ausgesprochen werden. In dieser Nacht haben wir beide uns nicht vorstellen können, wie schnell wir in die „Verlegenheit“ kommen, bei ungewöhnlichen Methoden der Verbrechensbekämpfung Zuflucht nehmen zu müssen.

Falsch – dass wir längst mitten drin waren in der Verlegenheit.

Wir wussten es nur noch nicht.

Das Ende der Knechtschaft

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