Читать книгу Butler Parker Paket 2 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 13

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Sie trug einen winzigen Bikini aus weißem Frotteestoff und lag wie hingegossen am Rand des großen Schwimmbeckens, das sich auf der Rückseite des großen, anderthalbstöckigen Landhauses befand. Eine große Sonnenbrille schützte ihre Augen vor der heißen Mittagssonne. Sie war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, von hinreißender Schönheit und hieß Helen Manners.

Sie schien eingeschlafen zu sein. Sie reagierte nicht auf die Reklamedurchsagen, die aus dem Kofferradio kamen und jetzt die Musiksendung unterbrachen. In ihrer entspannten und geöffneten Hand lag ein aufgeschlagenes Modemagazin. Ihre vollen, weichen Lippen hatten sich leicht geöffnet und gaben den Blick frei auf die ebenmäßigen, kleinen Zähne. Sie war eine Frau, die in der Filmindustrie Aufsehen erregt hätte.

Sie merkte nicht, daß sie beobachtet wurde.

Am Sprungturm des Schwimmbeckens erschien ein nachlässig gekleideter Mann von etwa vierzig Jahren. Er sah wie ein Stromer aus, war unrasiert und hatte einen hungrigen Ausdruck in seinen dunklen Augen. Auf Zehenspitzen schlich er sich an die Schlafende heran und blieb seitlich neben ihr stehen.

Sein schmaler Mund verzog sich zu einem abschätzenden Grinsen. Stockige Zähne wurden frei. Der Stromer beugte sich etwas vor und prüfte die geschwungenen Linien ihres Körpers. Dann richtete er sich schnell wieder auf und sah prüfend zur Rückseite des Landhauses hinüber.

Fast alle Fenster des Landhauses waren zwar weit geöffnet, doch Rolljalousien hinderten daran, in die Zimmer zu sehen. Das Haus machte einen leeren, zumindest aber schläfrigen Eindruck. Die Gefahr einer jähen Entdeckung oder Überraschung schien also nicht zu bestehen.

Der Stromer griff in seine Hosentasche und zog einen Lederbeutel hervor. Er öffnete ihn vorsichtig und nahm den Kopf sofort angewidert zurück, als seien seine Geruchsnerven nachdrücklich beleidigt worden. Mit seitlich geneigtem Kopf beugte er sich dann erneut vor. Gleichzeitig entnahm er dem Lederbeutel einen Wattebausch. Er hatte offensichtlich die Absicht, diesen Wattebausch auf das Gesicht der liegenden Schönheit zu drücken.

Helen Manners schien instinktiv gefühlt zu haben, daß ihr Gefahr drohte. Sie fuhr plötzlich hoch, stutzte und stieß einen unterdrückten Schrei aus.

Der Stromer, gleichfalls überrascht, zuckte zurück. Er war etwas unsicher geworden.

„Mein Gott, haben Sie mich erschreckt“, sagte Helen Manners fast vorwurfsvoll.

„Halt den Mund, Süße!“ warnte der Stromer mit gepreßter Stimme.

„Was erlauben Sie sich?“ fauchte Helen Manners, „kommen Sie mir bloß nicht zu nahe!“ Dann, ohne jeden Übergang und ohne jede Vorwarnung, stieß sie einen schrillen Schrei aus.

„Halt den Mund!“ schrie der Stromer mit unterdrückter, wütender Stimme. Dann ließ er sich förmlich auf Helen Manners fallen und drückte ihr den Wattebausch auf Gesicht und Mund. Es roch penetrant nach Chloroform.

Helen Manners blieb für Bruchteile von Sekunden völlig überrascht liegen. Dann aber bäumte sie sich auf. Und sie entwickelte eine kraftvolle Geschmeidigkeit, mit der der Stromer nicht gerechnet hatte.

Sie zog die Knie an und stemmte sie unter den Leib des Mannes. Dann drückte sie den aufheulenden Mann kraftvoll und ruckartig von sich. Er wurde zurückgeschleudert, verlor das Gleichgewicht und taumelte haltlos an den Rand des Schwimmbeckens.

Wie ein Pantherweibchen glitt Helen Manners hoch. Sie setzte dem zurücktaumelnden Mann nach und trat kraftvoll gegen sein linkes Knie. Der Mann brüllte jetzt, verlor endgültig das Gleichgewicht und … fiel in das aufspritzende Wasser.

Helen Manners blieb auflachend am Rand des Schwimmbeckens stehen und wartete, bis der Stromer wieder auftauchte. Dann erinnerte sie der penetrante Chloroformgeruch, an den Wattebausch. Sie hob ihn auf, schnüffelte vorsichtig an ihm und warf ihn neben den Liegestuhl.

„Hauen Sie ab!“ sagte sie dann leise zu dem Stromer, der Wasser spuckte, „los verschwinden Sie!“ Plötzlich, wiederum ohne jeden inneren Zusammenhang, schrie Helen Manners wie um ihr Leben.

Der Stromer schwamm schnell auf die andere Seite des Beckens, stemmte sich hoch und ergriff die Flucht. Dabei stieß er fast mit einem untersetzten, korpulenten Mann zusammen, der mit einem jüngeren Begleiter aus dem Haus gerannt kam. Der Stromer schlug einen Haken, nahm die Beine in die Hand und verschwand zwischen den dichten Sträuchern seitlich neben dem Haus.

Helen Manners war inzwischen in Ohnmacht gefallen. Ausgesprochen dekorativ lag sie neben dem Liegestuhl und rührte sich nicht mehr …

*

Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß ein in Schwarz gekleideter Hotelgast auf der Kante eines tiefen Sessels in der großen Halle. Seine Hände, die in schwarzen Handschuhen staken, lagen kreuzweise auf dem Bambusgriff eines altväterlich gebundenen Regenschirms. Auf der rechten Sessellehne thronte eine Melone, die ebenfalls tiefschwarz war.

Dieser Mann, dessen glattes Pokergesicht keinen Ausdruck zeigte, musterte aus grauen Augen das Leben und Treiben in der großen Hotelhalle. Diesen Mann kümmerte nicht, daß er immer wieder amüsiert betrachtet und gemustert wurde. Er paßte einfach nicht in diese mondän ungezwungene Umgebung. Er schien ein Relikt aus einer alten, längst vergangenen Zeit zu sein.

Josuah Parker, wie dieser Mann hieß, kümmerte das alles nicht. Er wartete auf seinen jungen Herrn, mit dem er sich hier unten in der Hotelhalle treffen wollte. Zudem war sein Interesse geweckt worden. Er betrachtete einen stämmigen, muskulösen Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, der sich wie ein Pascha gab. Um ihn herum schwänzelten zwei ebenfalls stämmige Männer. Sie wirkten wie peinlich überdressierte Hunde, die ihren Herrn nicht aus den Augen lassen. Dieser Mann kam gerade aus der angrenzenden Hotelbar und fand in der Nähe Parkers einen freien Sessel. Lässig ließ er sich nieder und zog eine lange, schwarze Zigarre aus seiner Ziertuchtasche. Bevor er überhaupt nur einen Wunsch äußern konnte, reichten ihm die beiden Begleiter Feuer. Ihre Bewegungen waren devot und eilfertig. Anschließend bauten sie sich seitlich hinter ihrem Herrn auf und nahmen dabei fast so etwas wie Haltung an.

Parker erhob sich und schritt würdevoll hinüber zu den Telefonzellen. Als er an der Rezeption vorüberkam, lüftete er höflich grüßend seine Melone und wandte sich an den Empfangschef.

„Ich erwarte einen Mister Halters“, sagte er gemessen, „würden Sie ihn bitte ausrufen lassen?“

Der Empfangschef beeilte sich, Parkers Wunsch nachzukommen. Er winkte einen der herumstehenden Boys zu sich heran und ließ sich von Parker den Namen „Halters“ buchstabieren. Dieser Name wurde auf eine Tafel niedergeschrieben, die an einem langen Stiel befestigt war. Nach dieser Schreibarbeit trug der Boy die Tafel durch die Halle und kam dabei unausweichlich in die Nähe der drei Männer.

Josuah Parker beobachtete intensiv.

Der stämmige, muskulöse Mann im Sessel las den Namen und zuckte wie unter einem derben Nadelstich zusammen. Die beiden Begleiter, die ebenfalls gelesen hatten, beugten sich sofort zu ihm hinunter und tuschelten mit ihrem Chef.

Damit wußte Parker, daß er sich keineswegs getäuscht hatte. Sein Erinnerungsvermögen hatte ihn nicht getrogen. Der Mann dort im Sessel war Jeff Halters, doch er wollte davon offensichtlich nichts wissen.

Jeff Halters stand nicht auf.

Etwas gleichgültig beschäftigte er sich mit seiner Zigarre. Und ebenfalls etwas zu gleichgültig ging einer der beiden Begleiter hinüber zur Rezeption, um diskrete Erkundigungen einzuholen. Der Empfangschef deutete auf Parker, der inzwischen vor einem der Lifte stand und sich nach oben bringen ließ.

Auf dem Korridor der vierten Etage traf Parker auf Mike Rander. Sein junger Herr, Strafverteidiger aus Chikago, gut aussehend und sportlich, sah seinen Butler erstaunt an.

„Haben Sie etwa die Geduld verloren?“ fragte er amüsiert.

„Keineswegs, Sir, wie ich ehrenwörtlich versichern möchte!“

„Warum kommen Sie dann noch mal rauf? Wir wollen doch zu Manners fahren? Ich glaube, wir verspäten uns sogar!“

„Darf ich mir erlauben, Sir, Ihnen vorzuschlagen, diese Fahrt noch ein wenig hinauszuschieben?“

„Und warum, wenn man fragen darf?“

„Falls mein Gefühl mich nicht täuscht und narrt, Sir, werde ich innerhalb weniger Minuten interessanten Besuch erhalten. In meinem Zimmer, um ganz deutlich zu werden.“

„Besuch? Von wem?“

„Ich möchte als sicher unterstellen, daß ein gewisser Jeff Halters sich einfinden wird!“

„Halters? Halters? Habe ich diesen Namen schon mal gehört, Parker?“

„Gewiß, Sir! Ein Aufzählen seiner Vorstrafen würde im Moment allerdings zuviel Zeit kosten. Darf ich Sie bitten, sich unten in der Halle ein wenig zu gedulden?“

„Parker, was haben Sie vor?“ Rander sah seinen Butler prüfend an. Er hatte das Gefühl, daß irgendwelcher Ärger auf ihn zukam.

„Ich werde mich mit Mister Halters ein wenig unterhalten, Sir. Es kann sich aber, dessen dürfen Sie versichert sein, nur um wenige Minuten handeln.“

„Also gut, ich warte unten. Aber keine Extratouren! Sie wissen, weshalb wir nach Beach Haven Crest gefahren sind!“

Parker verbeugte sich knapp und ging dann hinüber in sein Zimmer, während Mike Rander sich anschickte, hinunter in die Hotelhalle zu fahren. Er hatte seinen Lift noch nicht betreten, als ein Parallellift erschien und drei entschlossen aussehende Männer ausspuckte. Es handelte sich um die Herren Jeff Halters, Mel und Hank. Sie schritten suchend an den Türen entlang und verschwanden dann hinter einer Korridorecke …

*

Parker war keineswegs überrascht, als diese drei Herren sein Hotelzimmer betraten. Sie kamen herein, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich an die Regeln der Höflichkeit zu halten. Sie klopften nicht einmal an.

Mel und Hank bauten sich sofort links und rechts von der Tür auf und sperrten den Ausgang. An der Art ihrer Haltung war unschwer abzulesen, daß sie bereit waren, in Sekundenbruchteilen nach ihren Schußwaffen zu greifen.

Jeff Halters kam zu Parker hinüber und baute sich vor dem Butler auf. Dabei achtete er darauf, nicht in eine eventuelle Schußlinie zu geraten.

„Wer sind Sie?“ fragte er knapp und scharf, „woher kennen Sie meinen richtigen Namen?“

„Aus einschlägigen Kriminalgeschichten“, antwortete der Butler, „entschuldigen Sie, wenn ich Ihre zweite Frage damit vorweggenommen habe. Zur ersten Frage ist zu sagen, daß mein Name Parker ist, Josuah Parker!“

„Nie gehört!“

„Dies ist keine Bildungslücke, Sir.“

„Werden Sie bloß nicht frech, Parker. Weshalb schnüffeln Sie hinter mir her?“

„Sie überschätzen sich, Mister Halters“, gab der Butler kühl zurück. „Ich erkannte Sie nur rein zufällig, wie ich betonen möchte.“

„Warum ließen Sie mich dann ausrufen, he?“

„Um an Ihrer Reaktion zu erkennen, ob ich mich auch wirklich nicht täuschte.“

„Nun hören Sie mal genau zu, Parker.“ Halters gab sich jovial, was nicht recht zu ihm paßte. „Gut, ich bin Halters, aber das braucht nicht an die große Glocke gehängt zu werden. Haben wir uns verstanden?“

„Durchaus. Sie möchten, wenn ich Sie recht verstanden habe, jede unnötige Publicity vermeiden.“

„Sie sind ein kluges Kind, Parker. Wenn Sie den Mund halten, zeige ich mich erkenntlich. Auf ein Trinkgeld soll es mir nicht ankommen. Wenn Sie aber quatschen, dann werden Sie was erleben!“

„Sie erregen überflüssigerweise meine Neugier.“

„Ich glaube, Sie haben noch immer nicht verstanden“, meinte Halters, „was halten Sie davon, wenn meine beiden Jungens Ihnen das mal auseinandersetzen?“

„Ich meine, das ist keine besonders glückliche Idee, Mister Halters.“

„Nerven haben Sie, das muß ich zugeben. Aber davon habe ich nichts. Mel … Hank … Sagt ihm mal, was ich meine … Aber laßt ihn ganz, vielleicht wird er noch gebraucht!“

Mel und Hank freuten sich. Sie hatten sich schon seit Tagen nach etwas Training gesehnt. Nun fand sich hier eine Gelegenheit, etwas für die Muskeln zu tun. Sie waren überhaupt nicht abgeneigt.

Halters trat noch etwas mehr zur Seite und grinste süffisant. Er wußte aus Erfahrung, was jetzt folgte, er war bereit, sich unterhalten zu lassen.

Mel und Hank fühlten sich verständlicherweise völlig überlegen. Sie machten sich noch nicht einmal die Mühe, ihre Schußwaffen zu ziehen. Das, was zu tun war, wollten sie mit ihren harten Fäusten erledigen.

Parker rührte sich nicht.

Er hatte selbstverständlich mit diesen Argumenten gerechnet und seine Vorbereitungen getroffen. Er hatte nicht die Absicht, sich in einen zeitraubenden Kampf verwickeln zu lassen.

„Ich hoffe nicht, daß Sie tätlich werden wollen“, sagte er würdevoll und abweisend.

„Warten Sie es doch ab“, erwiderte Halters von der Wand her, gegen die er lehnte.

Mel und Hank grinsten neutral. Für sie war diese Lektion bereits erteilt und gelaufen. Reine Routinesache. Eigentlich konnte einem dieser Bursche nur leid tun.

Parker wich zum Wandtisch zurück, ohne dabei aber etwa Angst zu zeigen. Sein glattes Pokergesicht blieb nach wie vor ohne jeden Ausdruck. Er stützte sich mit der linken, freien Hand gegen die Tischkante ab. Dabei suchten und fanden seine behandschuhten Finger genau das, was er vorbereitet und angebracht hatte.

Bruchteile von Sekunden später, als Mel und Hank bereits ihre Hände anhoben, war eine scharfe Stimme zu hören, die ohne Umschweife verlangte, schleunigst die Hände zu heben.

Diese Stimme wirkte wie ein Blitzstrahl.

Mel und Hank wurden völlig überrascht. Sie blieben sofort stehen und gehorchten. Sie hatten keine Lust niedergeschossen zu werden. Sie wußten erst nach einigen Sekunden deutlich und einwandfrei, daß diese Stimme aus dem Zimmer kam, in dem sie sich befanden.

Jeff Halters gehorchte ebenfalls.

Er schaute sich zwar verzweifelt nach dem Sprecher um und konnte ihn nicht entdecken, hielt es aber für richtig, sich an die Weisung zu halten. Im Grunde seines Wesens war Halters ein Feigling, der nur selten ein Risiko einging.

„Waffen auspacken und zu Boden fallen lassen“, kommandierte die harte Stimme weiter. Sie klang nach einem ausgekochten Profi, was die drei Gangster sofort herausgehört hatten.

Mel und Hank zupften mit spitzen und vorsichtigen Fingern ihre Schußwaffen aus den Haltern und ließen sie zu Boden poltern. Jeff Halters beeilte sich, es seinen beiden Leuten nachzutun.

Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms schob Parker die drei Schußwaffen unter den Wandtisch und nickte seinen Gästen kühl zu.

„Sie können gehen“, sagte er dann, „Sie werden inzwischen bemerkt haben, daß Ihre Anwesenheit nicht sonderlich erwünscht ist.“

Halters, Mel und Hank wandten sich zögernd um und schlichen zur Tür. Unterwegs hielten sie Ausschau nach dem Sprecher der Kommandos, ohne ihn aber entdecken zu können. Sie fühlten sich geleimt und hochgenommen, brachten jedoch nicht den Mut auf, es darauf ankommen zu lassen, das Blatt noch einmal zu wenden. Wie begossene Pudel verschwanden sie nach draußen.

Parker schloß die Tür und gestattete sich ein feines, andeutungsweises Lächeln. Dann stellte er das kleine Miniaturtonbandgerät ab, das sich im Vorraum auf der Garderobe befand. Er rollte die dünne Kabelschnur auf und löste den Klingelknopf unter der Tischplatte. Parker verstaute die Gerätschaften, die er vorsorglich auf gebaut hatte und ließ das Tonbandgerät in seinem Spezialkoffer verschwinden.

Nun beschäftigte er sich mit den drei Schußwaffen. Er entlud sie, leerte die Magazine und sah einen Moment lang nachdenklich auf die tödliche Munition. Er nahm sich vor, sie bei nächstbester Gelegenheit in den Atlantik zu werfen. Dann beeilte er sich, seinen jungen Herrn aufzusuchen, der gewiß schon ungeduldig auf ihn wartete.

Als er unten in der Halle war, sah er die drei Gangster. Sie standen in der Nähe der Rezeption und bezahlten gerade ihre Rechnungen. Sie schienen es eilig zu haben, das Hotel zu verlassen.

Mike Rander ging gerade nach draußen vor das Hotel. Wahrscheinlich wollte er dort auf diese drei Männer warten und sie verfolgen. Josuah Parker und Mike Rander waren schließlich ein erstklassig eingespieltes Team, das sich ohne große Konferenzen auf Anhieb verstand …

*

„Ich habe Angst“, sagte Helen Manners mit leiser Stimme und warf einen ängstlichen Blick hinüber zu den jetzt geschlossenen Türen, die hinaus zur Terrasse führten. Sie saß mit angezogenen Beinen in einer Couchecke und sah ihren Vater hilfesuchend an.

„Ob wir nicht zusätzlich noch die Polizei verständigen sollten?“ gab Herbert Manners zurück. Er war untersetzt, korpulent und etwa fünfundfünfzig Jahre. Sein eiförmiger Kopf wies nur noch schütteres, rötliches Haar auf. Herbert Manners stand vor der geöffneten Hausbar und ließ sich von einem etwa dreißigjährigen Mann ein gefülltes Glas reichen.

„Zusätzlich?“ fragte dieser Mann, der einfach zu gut aussah. Er war ein sportlich durchtrainierter Playboy, der an einen Leinwandhelden aus der Glanzzeit Hollywoods erinnerte. Auf seiner Oberlippe befand sich ein strichschmales Bärtchen à la Menjou.

„Nun ja, ich habe uns abgesichert“, gestand Herbert Manners etwas verlegen.

„Wieso abgesichert, Daddy?“ fragte Helen erstaunt und streckte ihre langen, schlanken Beine aus.

„Das möchte ich auch wissen, Mister Manners!“ Der Playboy war sich seiner Wirkung vollkommen bewußt. Seine Bewegungen und seine nachlässige Sprechweise wirkten einstudiert. Er hieß übrigens Larry Fielding und war mit Helen Manners verlobt. In Kürze sollte sogar geheiratet werden.

„Geschäftsfreunde haben mir da eine Adresse gegeben“, antwortete Herbert Manners, „es handelt sich um zwei erstklassige Männer, die sich mit Verbrechen befassen.“

„Privatdetektive also“, stellte Larry Fielding lest. Seine Oberlippe kräuselte sich angewidert.

„Eigentlich nicht“, korrigierte Herb Manners, „Rander und Parker, wie sie heißen, sind keine Privatdetektive im eigentlichen Sinn …“

„Und im uneigentlichen?“ wollte Helen Manners ironisch wissen. Ihre eben erst noch gezeigte Angst schien sie inzwischen vergessen zu haben.

„Mike Rander ist Strafverteidiger in Chikago“, redete Herbert Manners weiter, „er hat einen Butler, der sich Parker nennt. Diese beiden Leute sind reine Amateure, die sich nur für interessante Fälle engagieren.“

„Sind diese Burschen etwa schon im Land?“ wollte Larry Fielding lässig wissen.

„Ich erwarte sie in einer Stunde.

„Und was versprichst du dir davon, Daddy?“ fragte Helen Manners verärgert. „Du weißt doch ganz genau, daß die Anrufer uns vor Nachschnüffelei gewarnt haben!“

„Aber wir können doch nicht warten, bis etwas passiert“, gab Herbert Manners verzweifelt zurück. „Denk doch an den Überfall eben! Diesmal hast du noch Glück gehabt, Helen …“

„Das stimmt“, räumte sie nachdenklich ein, „Der Kerl war widerlich. Mir wird jetzt noch ganz schlecht, wenn ich nur an ihn denke!“

„Ich werde dich in Zukunft keinen Moment aus den Augen lassen“, erklärte Larry Fielding nachdrücklich, „hilf mir aber dabei, Helen! Du darfst nicht wie bisher allein herumfahren oder ausgehen. Die Gefahr ist einfach zu groß.“ „Ich lasse mich doch nicht an die Kette legen“, erwiderte Helen Manners gereizt. „Ich kann schon auf mich aufpassen, Larry. Das würde dir so passen, den ganzen Tag bei mir zu sein. Du weißt genau, wie ich darüber denke.“

Sie stand auf und ging mit bewußt schaukelnden Hüften aus dem großen Raum. Sie wußte, daß Larry Fielding ihr verlangend nachsah, und sie genoß es mit fast sadistischer Freude.

*

Der Mann in Helen Manners Zimmer hörte Schritte auf dem Korridor und verbarg sich schnell im angrenzenden Badezimmer. Er ließ die Tür spaltbreit geöffnet, um das Zimmer besser übersehen zu können.

Die Tür öffnete sich.

Helen trat ein und ließ den kurzen Frotteemantel von den Schultern gleiten. Sie ging über den tiefen, weichen Teppich hinüber zum Toilettentisch und zündet sich dort eine Zigarette an. Sie setzte sich und starrte nachdenklich in den Spiegel.

Der Mann im Badezimmer stieß die Tür vorsichtig weiter auf und betrat das Zimmer. Er räusperte sich diskret und sagte schnell und eindringlich: „Nicht schreien, Miss Manners!“

Helen Manners fuhr überrascht herum und sah den Eindringling an.

„Ich bin bestellt“, sagte der Mann. Er mochte fünfundzwanzig Jahre alt sein, war mittelgroß, schlank und sah durchschnittlich aus. Er hatte ein nichtssagendes Dutzendgesicht. Nur Mund und Augen verrieten andeutungsweise, daß er hart und brutal sein konnte.

„Sie können wieder gehen“, sagte Helen und stand auf, „Ihr Besuch hat sich erledigt.“

„Aber wir …“

„Sie können verschwinden“, sagte sie leise und scharf, „Ihr Besuch hat sich erledigt, haben Sie nicht verstanden? Ich werde mich wieder melden.“

„Wie Sie wollen“, antwortete der Mann mit dem Dutzendgesicht und hob die Schultern, „dann werde ich mich jetzt wieder absetzen … Bis dahin!“

Er nickte Helen Manners zu und wollte zum Fenster hinübergehen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde.

Larry Fielding stürmte herein und blieb wie angewurzelt stehen, als er den Mann am Fenster entdeckte.

„Was geht hier vor?“ rief Fielding kampflustig, „bleiben Sie bloß stehen, mein Junge, sonst geht es Ihnen dreckig!“

„Hauen Sie ab“, sagte der Mann mit dem Dutzendgesicht und zog die Rolljalousie hoch.

„So haben wir nicht miteinander gewettet“, drohte Larry Fielding und stürzte sich auf den Eindringling. Helen Manners war etwas zurückgetreten und schaute fast ruhig und gelassen zu. Ihr schien es sogar Freude zu machen, als Larry Fielding sich einen bösen Magenhaken einhandelte, der ihn zurück auf das nahe Bett beförderte.

Der Eindringling warf Helen einen kurzen Blick zu und schickte sich an, auf das Fensterbrett zu steigen. Dabei achtete er einen Moment lang nicht auf Larry Fielding.

Fielding hatte plötzlich einen kleinen 22er in der Hand. Er richtete sich auf und feuerte in schneller Folge einige Schüsse auf den Eindringling ab.

Der Mann mit dem Dutzendgesicht stöhnte überrascht auf, als eines der Geschosse seine Hüfte traf. Um ein Haar wäre er beinahe von der Fensterbank gerutscht, fing sich aber noch und drückte sich nach draußen weg. Innerhalb weniger Sekunden war er verschwunden.

Larry Fielding rannte zum Fenster und sah hinaus. Er verschoß den Rest des Magazins. Dann wandte er sich um und sagte enttäuscht: „Schade, es hat nicht gereicht!“

„Aber beinahe mit mir“, gab Helen zurück und bemühte sich offensichtlich, ängstlich und bedrückt auszusehen.

„Was hat er gewollt?“ fragte Fielding, der sich den getroffenen Magen vorsichtig massierte und dabei sein Gesicht verzog.

„Bevor er etwas sagen konnte, warst du ja schon hier“, erwiderte sie schnell.

„Ich hörte Stimmen“, berichtete Larry Fielding, „und ich dachte sofort wieder an den Stromer. Er war es aber nicht, oder?“

„Nein, das war ein anderer Mann“, stellte sie klar, „aber deswegen fühle ich mich nicht wohler, Larry!“

„Ich kann es dir nachfühlen.“ Er ging zu ihr hinüber und blieb dicht vor ihr stehen. „Was steht eigentlich zwischen uns, Helen? Früher haben wir uns doch mal sehr gut verstanden? Warum kann es nicht mehr so sein wie damals?“

„Das weißt du genau“, sagte sie kühl und abweisend, „komm mir bloß nicht mehr mit der weichen Tour, Larry. Gut, Daddy besteht darauf, daß wir heiraten. Dagegen kann ich nichts tun. Aber glaube nicht, daß sich dann zwischen uns etwas ändern wird. Ich kann dich nicht ausstehen.“

„Hör zu, Helen“, begann er mit weicher, tremolierender Baritonstimme, „ich weiß, wie du über mich nun denkst, aber …“

Er konnte seinen Satz nicht zu Ende bringen.

Ein dumpfer Schuß schnitt ihm das Wort ab, ein Schuß, der sich irgendwie böse und tödlich anhörte.

*

„Ich muß gestehen, Sir, daß ich beeindruckt bin“, sagte Parker würdevoll und schüttelte dazu leicht verweisend den Kopf, „wenn mich nicht alles täuscht, sind Sie und meine bescheidene Person gerade Zeugen eines regelrechten Kidnapping geworden.“

„Das hätten Sie auch kürzer sagen können“, erklärte Rander, der sich wie elektrisiert auf dem Beifahrersitz aufgerichtet hatte, „worauf warten sie noch?“

„Wenn Sie darauf bestehen, Sir, werde ich die erforderliche Verfolgung umgehend einleiten.“ Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum anrollen und folgte dem grauen Chrysler, der mit hoher Geschwindigkeit davonfuhr.

„Der Mann kam dort von dem Grundstück“, stellte Rander fest. Er konnte nur mühsam sprechen, denn der Andruck im Sitz war enorm. Wenn Parkers Privatwagen zu einem Blitzstart veranlaßt wurde, kam das fast einem Raketenstart gleich. „Das ist Manners Grundstück. Haben Sie die Hausnummer am Torpfosten gesehen?“

„Gewiß, Sir, ich war so frei!“

„Wer mag der Mann gewesen sein?“ Rander konnte endlich wieder freier sprechen und wandte den Kopf zum Tor zurück. „Vielleicht ein Angestellter von Manners?“

„Daran wage ich zu zweifeln, Sir“, entgegnete der Butler, der stocksteif am Steuer seines hochbeinigen und eckigen Wagens saß. „Besagte Person verließ das Grundstück mit allen Anzeichen einer hastigen Flucht. Zudem glaube ich nicht, daß Mister Manners’ Angestellte mit schußbereiten 38ern herumlaufen.“

„Na, ich bin gespannt, was sich noch herausstellen wird.“ Mike Rander setzte sich wieder zurecht und schätzte die Entfernung zwischen dem Chrysler und Parkers Privatwagen ab. Der Abstand schmolz von Sekunde zu Sekunde, obwohl der Chrysler mit Höchstgeschwindigkeit über die asphaltierte Straße raste.

„Der Mann mit dem 38er wurde offensichtlich erwartet und überrascht“, faßte der Butler zusammen, „er wurde nach seinem Schuß von zwei Männern in den Chrysler gezerrt. Ein klassisches Beispiel für eine Entführung.“

Rander antwortete nicht mehr.

Seine Nerven strammten sich bereits, denn der Abstand war noch geringer geworden. Die Männer im Chrysler hatten natürlich längst herausgefunden, daß sie verfolgt wurden. Eine Hand schob sich durch das linke Seitenfenster. In dieser Hand befand sich eine Handfeuerwaffe, deren Lauf auf das hochbeinige Monstrum gerichtet war.

„Ein interessanter Mittag“, stellte der Butler ungerührt fest, „ein Mittag, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Zufälle. Zuerst Mister Halters im Hotel, und nun diese Entführung. Beach Haven Crest findet langsam aber sicher meinen Beifall!“

„Wie wollen Sie den Chrysler stoppen?“ Rander duckte sich unwillkürlich ab, als der erste Schuß auf sie abgefeuert wurde. Das Geschoß sirrte dicht am Wagen vorbei.

„Ich möchte unnötiges Blutvergießen vermeiden, Sir! Wenn Sie gestatten, werde ich den Chrysler fahruntüchtig machen.“

Rander rutschte noch tiefer in den Beifahrersitz, denn der nächste Schuß schrammte gegen den rechten Kotflügel des Monstrums, rutschte von der leichten Panzerung ab und zwitscherte als Querschläger in die Landschaft hinein.

„Ich schätze es nicht sonderlich, wenn man meinen Wagen unnötig beschädigen will“, erklärte Parker. Dann löste er die rechte behandschuhte Hand vom derben und großen Steuerrad und ließ die Finger über die Hebel und Knöpfe des reichhaltig ausgestatteten Armaturenbretts spielen.

Was sich Bruchteile von Sekunden später ereignete, war faszinierend.

Aus einem Luftansaugschlauch unterhalb des hohen und eckigen Kühlers zischte eine schlanke Rakete hervor. Sie war schnell und überbrückte die Entfernung zum Chrysler innerhalb weniger Sekundenbruchteile.

Mike Rander verfolgte das geflügelte Geschoß, das einen langen Rauchschweif hinterließ. Er beugte sich vor, um besser sehen zu können.

Und kam wieder einmal auf seine Kosten.

Die Rakete krachte in den Kofferraum des Chryslers und platzte dort ohne Spreng- oder Splitterwirkung auseinander. Dafür füllte sie aber das Innere des getroffenen Wagens mit einer riechenden Qualmwolke.

Der Chrysler schlingerte plötzlich auf der breiten Straße herum, kam offensichtlich aus dem Kurs und wurde nun scharf abgebremst. Schließlich rutschte er mit blockierten Rädern in einen flachen Graben hinein und beendete damit seine Fahrt.

Rander und Parker stiegen aus dem hochbeinigen Monstrum und näherten sich vorsichtig dem Chrysler. Doch sie hatten nichts zu befürchten. Drei Männer befanden sich bereits im Tiefschlaf und hatten nichts dagegen, geborgen zu werden …

*

„Der Entführte scheint an der Hüfte verletzt worden zu sein“, stellte Parker nach kurzer Prüfung fest. „Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich mich ein wenig um den Verletzten kümmern!“

„Was sagen Sie zu diesen beiden Typen?“ Rander deutete auf die beiden Männer, die regungslos schlafend auf dem Boden lagen, „sie müssen Ihnen doch bekannt vorkommen, oder?“

„Gewiß, Sir! Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt oder Täuscht, waren es die beiden Begleiter von Mister Halters!“

„Eben, eindeutig, Parker. Ich möchte nur wissen, weshalb sie den Burschen dort entführen wollten.“

Parker verzichtete auf eine Antwort. Er kümmerte sich um den verletzten Mann mit dem Dutzendgesicht. Es handelte sich um einen harmlosen Streifschuß, der schnell versorgt war.

Mike Rander entwaffnete parallel dazu die beiden Halters-Mitarbeiter und zupfte ihnen drei Schußwaffen aus den Anzügen. Zwei schwere 45er staken in Schulterhalftern, eine dritte Waffe, es handelte sich um einen 38er ruhte in der Rocktasche eines der Gangster.

„Aus dieser Kanone ist eben erst geschossen worden“, stellte Rander fest und schnüffelte am Lauf, „scheint dem Verletzten dort zu gehören.“

„Möglicherweise hat dieser Herr sich gegen seine Entführung gewehrt Sir“, antwortete Parker, „dieser Schuß muß vor Ihrem und meinem Erscheinen vor dem Grundstück abgefeuert worden sein. Darf ich mir erlauben, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten?“

„Machen Sie es nicht so spannend.“

„Man sollte diese drei Herren erst einmal an einen sicheren Ort bringen.“

„In Ordnung, Parker, verfrachten wir sie. Ein Wunder, daß Ihr Raketengeschoß noch kein Aufsehen erregt hat. Beeilen wir uns!“

Mike Rander und Josuah Parker trugen ihre drei Gäste in den Fond des hochbeinigen Monstrums. Nachdem die Türen verriegelt worden waren, befanden die drei Männer sich in einem unentrinnbaren Gefängnis. Eine Panzerglasscheibe zwischen Fond und Fahrersitz machte es ihnen unmöglich, störend einzugreifen. Und sollte es gewünscht werden, konnte Parker den Fahrgastraum seines Privatwagens mit einigen zusätzlichen Überraschungen versorgen.

Parker setzte sich ans Steuer und bugsierte seinen Spezialwagen an dem stark mitgenommenen Chrysler vorbei. Dann nahm er Fahrt auf und beeilte sich, den Schauplatz zu verlassen.

Er schaltete die im Fond versteckt installierte Übertragungsanlage ein und wartete darauf, daß die drei Fahrgäste sich früher oder später zu Wort meldeten.

*

Mel kam als erster zu sich, schaute sich leicht verwirrt im Fond um und wußte nicht, was er von der ganzen Situation halten sollte. Er entdeckte seinen Partner Hank und rüttelte ihn so lange durch, bis er zu sich kam.

„Komm schon!“ flüsterte er eindringlich, „los, Hank … wir sitzen in der Tinte!“

„Was ist denn, Mel?“ Hank richtete sich auf und strich sich über die Stirn. Dann, blitzartig, merkte er, daß irgend etwas nicht stimmte. Er schoß hoch und sah seinen Partner verblüfft an. „Wo sind wir …?“

„Die beiden Schnüffler haben uns erwischt“, erklärte Mel leise und deutete verstohlen auf die Glasscheibe, die sie von Rander und Parker trennte.

Der junge Anwalt und sein Butler taten selbstverständlich so, als könnten sie nichts hören. Parker saß stocksteif am Steuer und schien von den Vorgängen hinter sich nichts zu bemerken. Mike Rander hatte es sich bequem gemacht und rauchte eine Zigarette. Auch er wirkte völlig unbeteiligt.

„Wir müssen hier raus“, flüsterte Mel weiter. „Aber sie haben uns die Kanonen weggenommen.“

„Wenn schon!“ Hank gab sich optimistisch, „wozu haben wir schließlich unsere Hände.“ Dann deutete er auf den noch schlafenden Mann mit dem Dutzendgesicht und grinste. „Immerhin haben wir den Vogel da nicht verloren, das ist die Hauptsache!“

Der Mann mit dem Dutzendgesicht lag auf dem Wagenboden vor den Rücksitzen und rührte sich nicht. Für die beiden Gangster Mel und Hank stellte er im Augenblick kein Problem dar.

„Wir schieben die Scheibe zur Seite und machen sie fertig“, redete Hank leise weiter, „das muß blitzschnell gehen, Mel. Ich wette, sie tragen Schulterhalfter. Du weißt also, wohin du greifen mußt.“

„Wie konnte das eigentlich passieren?“ gab Mel nachdenklich zurück. „Plötzlich krachte es im Kofferraum, und dann war es aus. Wie haben die Schnüffler uns wohl erwischt?“

„Das werden sie uns noch sagen, darauf kannst du Gift nehmen.“ Hank schob sich vorsichtig nach vorn und nickte dann seinem Partner zu. „Los jetzt, Mel … wir dürfen keine Zeit verlieren, sonst bekommen wir noch Ärger mit dem Boß.“

Mel und Hank machten sich an die Arbeit. Sie griffen nach dem Schieber der Panzerglasscheibe und wollten sie ruckartig öffnen. Doch zu ihrer Überraschung erhielten sie nur einen elektrischen Schlag, der sie zurück in die Polster warf.

Entgeistert sahen sie sich an und neben verdutzt die Hände.

„Verflixter Mist“, schimpfte Mel, „das Ding steht unter Strom.“

„Du merkst aber auch alles“, höhnte Hank wütend, „komm, reißen wir wenigstens die Seitentüren auf, dann müssen sie zwangsläufig stoppen!“

Jeder der beiden Gangster beschäftigte sich mit einer Seitentür. Sie griffen jetzt wieder fast gleichzeitig zu und brüllten überrascht auf.

Starke, elektrische Schläge brachten sie in Stimmung. Fluchend ließen sie sich zurück auf die Polster rutschen. Sie merkten langsam, daß sie in einem spezialausgerüsteten Wagen saßen.

„Die Kerle bringe ich um!“ schimpfte Hank, der sich etwas beruhigt hatte, „komm, Mel, die Scheiben! Irgendwas muß sich doch schaffen lassen!“

Sie rammten ihre Ellbogen gegen die Seitenscheiben, doch sie zogen sich nur leichte Verstauchungen zu. Die Scheiben hingegen saßen unverrückbar fest und dachten nicht daran, sich in erwartete Glaskrümel aufzulösen.

„Die haben uns festgesetzt“, faßte Hank enttäuscht zusammen, „ich möchte bloß wissen, was sie mit uns Vorhaben!“

Mel konnte nicht antworten, denn der Mann mit der verletzten Hüfte und dem Dutzendgesicht war zu sich gekommen und richtete sich jäh auf. Kriegerisch sah er die beiden Gangster an.

„Frag erst gar nicht“, sagte Mel und grinste neutral, „du sitzt genauso fest wie wir, mein Junge. Wäre eigentlich ganz passend, wenn wir uns vorerst nicht gegenseitig an die Gurgel springen, oder?“

„Okay“, sagte der Mann mit dem Dutzendgesicht, „wir verschieben das, aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.“

„Worauf du dich verlassen kannst“, schloß Hank grimmig, „aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Was wolltest du eigentlich bei den Manners?“

„So fragt man die Leute aus“, erwiderte der Mann mit dem Dutzendgesicht und grinste abfällig, „weshalb seid ihr denn hinter mir her?“

„So fragt man Leute aus“, sagte nun Mel und schüttelte den Kopf, „ist im Moment doch völlig egal, was wir wollten. Sorgen wir lieber dafür, daß wir hier rauskommen!“

„Die Tür“, flüsterte der Mann mit dem Dutzendgesicht hoffnungsvoll.

Hank wollte ihn warnen, er verfügte inzwischen ja über einschlägige Erfahrung, doch Mel schüttelte ganz vorsichtig den Kopf.

„Natürlich, die Tür!“ sagte er dazu, als sei ihm dieser Gedanke überhaupt noch nicht gekommen.

„Das werden wir gleich haben“, meinte der dritte Mann hoffnungsvoll und legte seine Hand auf den bewußten Türgriff.

Ja, und dann brüllte der Mann entsetzt auf und riß seine Hand zurück, als habe er gerade glühendes Eisen berührt. Er hatte sich nun ebenfalls einen starken elektrischen Schlag eingehandelt und rieb sich die brennende Hand.

Mel und Hank grienten freudig.

„Das habt ihr gewußt?“ heulte der Mann mit dem Dutzendgesicht auf.

„Natürlich“, sagte Hank und griente noch breiter.

„Klar“, sagte Mel und sah den Mann schadenfroh an.

„Warum habt ihr mir denn nichts gesagt?“ wollte der dritte Mann wissen.

„Warum wohl nicht?“ höhnte Mel und fühlte sich endlich etwas erleichtert. Es gab doch so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit. „Streng mal deine Phantasie an, dann wirst du schon dahinter kommen!“

*

Bevor es zu einem Streit zwischen Mel und Hank und dem Mann mit dem Dutzendgesicht kommen konnte, wurden die drei Männer plötzlich von einer nicht zu erklärenden Müdigkeit erfaßt. Sie gähnten ausgiebig, kuschelten sich zurecht und waren bald darauf ein geschlafen. Sie glichen satten, großen Säuglingen, so friedlich und harmlos sahen sie ans.

Sie hatten nichts davon gesehen oder bemerkt, daß Parker ihnen vom Fahrersitz seines hochbeinigen Monstrums aus eine kleine Dosis Schlafgas verabreicht hatte.

„Was machen wir jetzt mit den drei Burschen?“ fragte Mike Rander. „Wir brauchen eine neue Unterkunft, Parker. Etwas, wo wir vollkommen ungestört sind.“

„Wenn ich mich recht erinnere, Sir, gibt es zwischen Beach Haven Crest und Branch Beach komfortabel eingerichtete Ferienbungalows. Wenn Sie erlauben, werde ich solch einen Bungalow mieten.“

Mike Rander hatte selbstverständlich nichts dagegen. Er konnte sich wieder einmal auf seinen Butler verlassen. Nach knapp einer halben Stunde besaß er die Schlüssel zu einem dieser Ferienbungalows. Er hatte ihn sich völlig legal verschafft und dazu einen Nutzungs- und Mietvertrag mit einer entsprechenden Gesellschaft abgeschlossen. Mike Rander stieg aus dem Wagen und nickte anerkennend, als sein Butler auf den flachgedeckten Bungalow verwies, der ein gutes Stück abseits von den übrigen Ferienhäusern in einem kleinen Wald- und Buschgelände stand.

„Wie für uns geschaffen“, stellte Rander lächelnd fest.

„Ich war so frei, auf eine dringende juristische Arbeit hinzuweisen, Sir, die Sie hier in aller Abgeschiedenheit und Ruhe erledigen müssen.“

„An plausiblen Begründungen hat es bei Ihnen ja noch nie gefehlt“, entgegnete der junge Anwalt, „was wir jetzt noch brauchen, ist ein guter, solider Keller für unsere Gäste.“

Nun, auch dieses Problem regelte sich zufriedenstellend. Der ebenerdige Bungalow wies sogar zwei kleine Kellerräume auf, in denen ein Öltank für die Heizung und Gartengeräte und Gartenmöbel untergebracht waren.

Josuah Parker fuhr sein hochbeiniges Monstrum dicht an das Haus heran. Anschließend schaffte er die drei Gäste hinunter in die beiden Keller. Aus Gründen der allgemeinen Sicherheit trennte er die drei Männer. Der Mann mit dem Dutzendgesicht und der leichten Hüftverletzung kam in den Tankkeller, die beiden anderen Männer in den Raum mit den Gartenmöbeln. Bevor Parker wieder hinauf zu seinem jungen Herrn ging, der sich im Ferienbungalow interessiert umschaute, installierte der Butler eine kleine Spezialsicherung an der Kellertreppe. Er wollte nicht durch einen dummen Zufall von seinen Gästen überrascht werden.

„Darf ich höflich nachfragen, Sir, ob die Räume Ihren Beifall finden?“ wandte er sich dann an seinen jungen Herrn.

„Sehr nett“, erwiderte Rander und lächelte, „bis hinunter zum Wasser sind es nur ein paar Meter. Ich denke, wir werden uns eine Motorjacht mieten. Wir sind dann beweglicher.“

„Ihre gütige Erlaubnis voraussetzend, Sir, habe ich mich bereits um solch ein Boot bemüht. Es müßte noch im Verlauf dieser Stunde angeliefert werden.“

„Ausgezeichnet, Parker … Damit sind wir unabhängig. Aber jetzt sollten wir erst einmal eine Zwischenbilanz ziehen. Die Frage ist, was sich tut. Wir haben Mister Manners noch nicht gesprochen, aber wir stecken bereits bis zum Hals in netten kleinen Abenteuern. Hängen die nun bereits mit Manners zusammen?“

„Ich wage nicht, Sir, diese Frage zu bejahen oder zu verneinen.“

„Eben! Aber denken wir an den Mann mit der Hüftverletzung! Er kam aus dem Grundstück der Manners und wurde eindeutig gekidnappt. Wer ist dieser Mann, wer sind die Entführer?“

„Sie nennen sich mit Vornamen Mel und Hank, Sir, und sie sind eindeutig die Leibwächter des Gangsters Jeff Halters.“

„Vielleicht weiß Manners bereits mehr.“ Rander nickte nachdenklich. „Es wird Zeit, sich dort sehenzulassen. Wir sollten losfahren, Parker. Unsere drei Gäste brauchen uns ja vorerst nicht.“

„Darf ich eine gewisse Arbeitsteilung Vorschlägen, Sir?“

„Und wie soll, die aussehen?“

„Könnten Sie sich mit Mister Manners in Verbindung setzen, Sir?“

„Natürlich. Aber was wollen Sie erledigen, Parker?“

„Ich würde zu gern Kontakt zu Mister Halters aufnehmen. Erfreulicherweise konnten Sie ja die Adresse des Gangsterbosses herausfinden, nachdem die drei Männer mein Hotelzimmer verließen.“

„Da haben Sie sich mal wieder die dicksten Rosinen herausgesucht, wie?“

„Sie bringen mich mit Ihrer Vermutung in einige Verlegenheit“, gestand Parker leicht verschämt, „darf ich allerdings darauf hinweisen, daß es sich wohl kaum schickt, wenn ich, ein einfacher Butler, bei einem Dollarmillionär erscheine, um Fragen zur Sache zu stellen? Die soziale Rangordnung, wenn ich mich so ausdrücken darf, könnte dadurch gestört werden.“

„Ich möchte nur wissen, seit wann Sie solche Skrupel kennen“, schloß Rander auflachend, „geben Sie schon zu, daß Ihnen ein Gangsterboß interessanter erscheint als ein Millionär!“

*

Parker verließ seinen Privatwagen und wußte, daß er längst beobachtet wurde. Doch er machte sich nichts daraus. Umständlich schloß er die Wagentür ab und lustwandelte dann würdevoll und gemessen auf das Bootshaus zu, in dem der Gangsterboß Jeff Halters sich einlogiert hatte.

Hinter diesem Bootshaus gab es einen langen Steg, der weit hinaus in die Bay führte. Dieses Haus lag für einen Gangsterboß recht günstig, was Parker sofort registrierte. Der Zufahrtsweg ließ sich leicht kontrollieren und blockieren. Wenn es notwendig wurde, konnte man sich auf dem Wasserweg absetzen, zumal am Bootssteg natürlich ein großer, starker Außenborder lag.

Er dachte nicht im Traum daran, vorn an der Haustür zu klingeln. Er ging um den anderthalbstöckigen Steinbau herum und durchschritt den kleinen Garten, in dem tropische Pflanzen aller Art etwas wild wucherten. Dann betrat er den Bootssteg und sah sich den Außenborder interessiert und mit Kennerblick an.

„Was wollen Sie hier?“ wurde er wenig später von einer ärgerlichen Stimme angerufen. Parker drehte sich gelassen um und lüftete höflich grüßend seine schwarze Melone.

„Einen wunderschönen, friedlichen Nachmittag erlaube ich mir zu wünschen“, grüßte er.

„Was suchen Sie hier?“ grollt ihn der Mann an, der schnell näher kam. Es handelte sich um den Stromer, der Helen Manners am Rand des Schwimmbeckens belästigt hatte, doch das wußte Parker selbstverständlich nicht. Er sah sich einem etwa vierzigjährigen Mann, der weiße Jeans und ein Polohemd trug.

„Sollte ich mich in der Adresse geirrt haben?“ fragte Parker.

„Wieso?“ wollte der Mann wissen.

„Ist dieses Haus möglicherweise doch nicht zu mieten?“ erkundigte Parker sich …

„Natürlich nicht, das heißt … Sie sollten mal mit dem Besitzer sprechen. Kommen Sie, er ist gerade zu Hause.“

„Ich bedanke mich für die freundliche Einladung“, erwiderte Parker und lüftete erneut seine Melone. Er wirkte umständlich, bieder und sah harmlos aus.

Der Mann grinste amüsiert. Er war überzeugt, daß er einen Menschen wie Josuah Parker noch nie gesehen und erlebt hatte. Der Mann fühlte sich vollkommen sicher.

Er wartete, bis Parker ihn passiert hatte. Dann blieb er dicht hinter dem Butler und zeigte damit allein schon an, daß er seinen Gast völlig unterschätzte. Doch das ahnte er noch nicht einmal.

Jeff Halters, der Parker in der Diele des Hauses empfing, war wesentlich vorsichtiger. Er hielt eine schußbereite Waffe in der Hand, deren Mündung auf den Leib des Butlers gerichtet war. Halters sah böse und gereizt aus. Er übersah die erstaunten Blicke seines Mitarbeiters, der sich die Pistole in der Hand seines Chefs noch nicht zu erklären wußte.

„Los, Parker, die Hände hoch“, kommandierte Halters. Dann wandte er sich an seinen Mitarbeiter, „durchsuch ihn, Ben! Dieser Bursche steckt voller Tricks!“

„Der hier?“ fragte Ben Lovell ungläubig zurück, denn er hatte den Butler ja noch nicht erlebt.

„Nun mach schon!“ Halters ließ den Butler nicht aus den Augen. Ben Lovell beeilte sich, Parker nach Waffen zu durchsuchen. Er fand natürlich nichts.

„Vollkommen sauber“, meldete Ben Lovell, der Stromer vom Rand des Schwimmbeckens, der jetzt natürlich nicht mehr wie ein Stromer aussah und selbstverständlich auch sauber rasiert war.

„Was suchen Sie hier?“ fragte Halters und dirigierte den Butler in einen karg ausgestatteten Raum hinein, von dem aus man die Gartenseite erreichen konnte, „woher wissen Sie, daß ich hier wohne?“

„Das ist leicht zu erklären“, antwortete der Butler und nahm in einem der einfachen Sessel Platz, „nachdem Sie zusammen mit Ihren Mitarbeitern Mel und Hank das Hotel verließen, nahm mein junger Herr sich die Freiheit, Ihnen heimlich zu folgen.“

„Ist das etwa ein Schnüffler?“ erkundigt sich Ben Lovell und sah den Butler ungläubig an.

„Und was für einer“, antwortete Jeff Halters sofort, „ich hab inzwischen Erkundigungen eingezogen. Er und sein Chef sind gefährlicher als Klapperschlangen.“

„Wie darf ich diesen Vergleich verstehen?“ fragte Parker indigniert.

„Wie er gemeint ist“, brauste Halters auf. „Warum schnüffeln Sie hinter mir her, her?“

„Es handelt sich, wie ich versichern darf, um das, was man einen reinen Zufall nennt“, erläuterte der Butler gemessen und umständlich wie immer. „Inzwischen glaube ich zu wissen, daß Ihr Aufenthalt in Beach Haven Crest durchaus kein Zufall ist.“

„Los, reden Sie schon weiter!“ Halters zündete sich eine Zigarette an, während Ben Lovell sich ein Grinsen nicht verbeißen konnte. Er weigerte sich innerlich, in diesem Mann einen Schnüffler zu sehen. So etwas konnte doch nicht wahr sein. Dieser Parker kam seiner Ansicht nach direkt aus einem Museum.

„Ich wurde ausgesprochen stutzig, wenn ich es so ausdrücken darf, als Ihre beiden Mitarbeiter vor dem Grundstück eines gewissen Mister Herbert Manners erschienen und sich als Kidnapper betätigten!“

Halters schnappte hörbar nach Luft. Um ein Haar hätten seine Lippen die lässig hängende Zigarette verloren. Er beugte sich vor und starrte den Butler an.

„Wiederholen Sie das noch mal“, forderte er dann.

Parker kam diesem Wunsch nach und sprach in einer Art und Weise, als habe er eigentlich überhaupt nicht begriffen, um was es ging.

„Wo, wo stecken, meine beiden Leute jetzt?“ fragte Halters weiter.

„Sie befinden sich an einem sicheren Ort“, beruhigte Parker den Gangsterboß, „wenngleich ich eingestehen möchte, daß der Chrysler, den die beiden betreffenden Herren benutzten, Schaden erlitt.“

„Sie, Sie haben Mel und Hank?“ Halters ließ die Frage in der Luft hängen.

„Ich habe die beiden Herren Mel und Hank vorübergehend eingeladen“, präzisierte der Butler, „bei dieser Gelegenheit lud ich gleich einen dritten Mann mit ein, dessen Hüfte eine leichte Schußverletzung davontrug!“

Halters stand auf und sah den Butler grimmig an. Er nickte seinem Mitarbeiter Lovell zu und sagte dann: „Es ist Ihnen doch wohl klar, Parker, daß Sie hier nicht mehr herauskommen. Für wie dumm halten Sie mich eigentlich, he?“

„Bestehen Sie darauf, daß ich die unverblümte Wahrheit sage?“ fragte nun Parker höflich zurück, „bitte, zwingen Sie mich nicht, unhöflich zu werden!“

Er hatte noch nicht ganz ausgeredet, als er zwischen seinen Schulterblättern die Mündung einer Schußwaffe spürte. Ben Lovell, der Mitarbeiter Halters, der als Stromer auf getreten war, der von Helen Manners in die Flucht geschlagen worden war, Ben Lovell also handelte entsprechend seiner Erziehung. Er wartete nur auf ein Zeichen, den Schuß lösen zu können. Er freute sich bereits im voraus darauf!

*

„Wir wissen seit heute, daß die Anrufe in den vergangenen Tagen ernst gemeint waren“, sagte Herbert Manners nervös, „zwei Überfälle heute, braucht es da noch weitere Beweise?“

Mike Rander saß im Salon der Manners und ließ sich alles gründlich erzählen. Immer wieder sah er interessiert zu Helen hinüber, die nach wie vor nur ihren oberschenkellangen Frotteemantel trug und überhaupt nicht zu merken schien, daß dieser an sich schon recht kurze Kittel verwegen hochrutschte.

Hinter Helen stand Larry Fielding, ihr Verlobter. Er machte auf Rander einen mürrischen Eindruck. Irgend etwas schien ihm an der ganzen Sache nicht zu passen. Vielleicht, so überlegte der junge Anwalt, hatte er sich auch nur mit seiner Verlobten gestritten. Ihm fiel auf, daß Helen diesen Beau völlig übersah.

„Die Einzelheiten, die heute passierten, kenne ich nun“, antwortete Mike Rander, „darf ich noch etwas über die Vorgeschichte hören? Am Telefon waren Sie sehr zurückhaltend, Mister Manners.“

„Seit gut zwei Wochen kommen hier Telefonanrufe an, die die Entführung meiner Tochter ankündigen.“ Manners wirkte aufgeregt und zappelig. „Wie gesagt, zuerst haben wir diese Anrufe auf die leichte Schulter genommen. Es gibt ja immer und überall Verrückte, die sich wichtig machen wollen.“

„Setzten Sie sich nach den ersten Anrufen bereits mit der Polizei in Verbindung?“

„Natürlich. Der Anrufer verlangte die Bereitstellung von hunderttausend Dollar in kleinen Scheinen. Er sprach wie ein richtiger Profi!“

„Woher wissen Sie denn das?“ fragte Rander belustigt.

„Na ja, vom Fernsehen her“, meinte Herbert Manners und grinste verlegen. „Die reden da doch immer so in einer harten, lässigen Sprache. Um aber aufs Thema zurückzukommen, Mister Rander: Wir informierten sofort die Polizei. Sie erschien hier auf der Bildfläche, verhörte uns stundenlang und ließ dann eine Doppelwache zurück. Doch diese Wache wurde vor drei Tagen wieder eingezogen!“

„Warum denn das?“

„Weil sich einfach nichts tat. Die Polizei war zu dem Schluß gekommen, daß wir es mit einem Verrückten zu tun haben. Es war nicht festzustellen, woher er anrief, doch diese Anrufe kamen regelmäßig, über den Tag verteilt.“

„Und es handelte sich immer nur um Vorankündigungen der geplanten Entführung?“

„Es waren fast immer die gleichen Worte, Rander. Und immer der Hinweis auf die hunderttausend Dollar. Wir kennen diese Sätze schon fast auswendig.“ Herbert Manners sah zu seiner Tochter Helen und zu seinem Schwiegersohn in spe hinüber, die sofort nachdrücklich nickten.

„Ich darf also annehmen, daß nicht nur die Polizei diese Anrufe auf die leichte Schulter nahm?“

„Richtig!“ Helen Manners lächelte Mike Rander gewinnend an, „mit der Zeit gewöhnten wir uns an diesen Unsinn. Bis heute, bis heute diese Sache mit dem Stromer passierte. Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich nur an diesen scheußlichen Kerl denke!“

„Sie warfen ihn ins Bassin, und er entwischte“, faßte Rander zusammen.

„Nachdem er mich mit Chloroform einschläfern wollte!“

„Und eine knappe Stunde später erschien ein anderer Mann in Ihrem Zimmer!“

„Stimmt. Ebenfalls ein scheußlicher Kerl!“

„Dem ich aber gehörig eingeheizt habe“, warf Larry Fielding etwas großspurig ein, „ich bin sicher, daß ich ihn erwischt habe … Sollte er noch einmal auftauchen, ziele ich genau, darauf kann er sich verlassen.“

„Natürlich, du bist eben ein Held“, sagte Helen spöttisch zu ihm.

„Ich bin …!“ Larry Fielding brachte den Satz nicht zu Ende. Er biß sich wütend auf die Lippen und senkt den Kopf.

„Wir haben natürlich bereits die Polizei verständigt“, schaltete Herbert Manners sich schnell ein, „sie war bereite hier und nahm alles auf. Jetzt sind draußen wieder zwei Kriminalbeamte postiert. Ich weiß aber nicht, ob das reichen wird.“ Er wandte sich an Helen und fuhr fort, „wenn es nach mir ginge, würden wir Beach Haven Crest sofort verlassen. Hier sitzen wir für die Kidnapper doch wie auf einem Präsentierteller!“

„Unsinn, Daddy, ich bleibe, ich lasse mich nicht vertreiben.“ Helen Manners schüttelte nachdrücklich und wütend zugleich den Kopf.

„Nimm diese beiden Überfälle nicht auf die leichte Schulter“, warnte Larry Fielding.

„Wenn du Angst hast, kannst du ja fahren“, blaffte sie ihn gereizt an, „ich werde bleiben!“

„Was meinen Sie dazu, Mister Rander?“ Manners drehte sich zu dem jungen Anwalt um.

„Wer es auf Ihre Tochter abgesehen hat, wird ihr auch folgen.“

„Eben!“ pflichtete Helen dem Anwalt schnell bei.

„Auch dann, wenn wir die Staaten ganz verlassen?“ gab Larry Fielding zu überlegen.

„Ich bleibe!“ wiederholte Helen Manners starrköpfig, „ich werde der Gewalt niemals weichen!“ Sie lächelte plötzlich Mike Rander in einer Art an, die Larry Fielding das Blut ins Gesicht trieb, „jetzt, wo Sie hier sind, Mister Rander, glaube ich nicht, daß ich etwas befürchten muß. Es kommt nur darauf an, daß Sie immer in meiner Nähe bleiben!“

Bevor Rander antworten konnte, schrillte das Telefon. Larry Fielding zuckte zusammen und eilte an den Apparat. Er hob ab und meldete sich. Er hörte einen Moment zu, machte dann schnelle, aufgeregte Handzeichen und legte auf, bevor Rander am Telefon war.

„Nun?“ fragte Rander gedehnt.

„Das war dieser Anrufer“, sagte Fielding betroffen, „er warnt vor der Polizei und Tricks. Er will in dieser Woche noch sein Geld haben. Wir sollen auf seinen nächsten Anruf warten!“

*

„Nun, Parker, Sie sind an der Reihe!“ Halters lehnte mit dem Rücken gegen die Wand und nickte Parker freundschaftlich zu. Doch in seinen Augen stand nackter Haß, wie es so treffend heißt. Er wußte, daß dieser Mann da vor ihm im Sessel seine Pläne zerstören wollte.

„Ich denke, ich brauche nicht sonderlich weit auszuholen“, schickte Parker gelassen voraus und kreuzte seine behandschuhten Hände über dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms. „Wie Sie vielleicht längst geahnt haben, halten Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit uns nicht rein zufällig in Beach Haven Crest auf. Ein gewisser Mister Herbert Manners, der Ihnen nicht unbekannt sein dürfte, befindet sich in Schwierigkeiten, die es angeraten ließen, Hilfe zu erbitten.“

„Von welchen Schwierigkeiten reden Sie da?“

„Wenn ich richtig informiert worden bin, was ich aber unterstellen möchte, so soll Mister Herbert Manners’ Tochter Helen entführt werden. Gewisse Drohungen lassen deutlich darauf schließen. Drohungen übrigens, die mir recht eigenartig und inkonsequent Vorkommen.“

„Los, drücken Sie sich schon deutlicher aus.“ Halters beugte sich etwas vor.

„Kidnapper, so lehrt die vergleichende Kriminalgeschichte, pflegen ihre Opfer erst einmal zu entführen. Nach dieser Voraussetzung setzt man sich dann normalerweise erst mit den Angehörigen zusammen und spricht vom Lösegeld.“

„Weiter!“ Halters grinste etwas und lehnte sich wieder zurück. Sein Mitarbeiter Lovell gähnte inzwischen gelangweilt. Das, was hier gesprochen wurde, interessierte ihn nicht.

„Das Erscheinen Ihrer beiden Mitarbeiter Mel und Hank vor dem Grundstück der Manners und die gleichzeitige Entführung eines verletzten Mannes der aus dem Grundstück kam, deutet daraufhin, daß Sie, Mister Halters, irgendwie an der geplanten Entführung beteiligt sind.“

„Glauben Sie, wie?“

„In der Tat, oder ließe sich möglicherweise eine andere Schlußfolgerung ziehen?“

„Kein Kommentar“, sagte Halters und grinste wieder, „kommen wir zur Sache, Parker. Wo halten Sie meine Jungens Mel und Hank fest? Je schneller Sie reden, desto besser!“

„Sie wollen mich zu einer Aussage zwingen?“

Lovell, der seinen Namen hörte, wurde schlagartig wach und marschierte um den Butler herum. Gleichzeitig erkundigte er sich bei seinem Chef, ob er loslegen solle.

„Geben wir Parker eine Chance“, meinte Halters großzügig, „sechzig Sekunden müßten reichen, um sich die Sache gründlich zu überlegen. Sie werden reden, Parker, so oder so! Wo stecken meine Jungens Mel und Hank?“

„Ich, ich fürchte, meine Nerven sind diesem grausamen Spiel kaum noch gewachsen“, beklagte Parker, sich plötzlich und griff nach seiner Herzgegend, „haben Sie etwas dagegen einzuwenden wenn ich mir eine entsprechende Gegenpille verabreiche?“

„Lovell, paß genau auf!“ warnte Halters, ohne aber auf besondere Vorsicht zu schalten. Seiner Ansicht nach konnte jetzt nichts mehr passieren. Diesen Parker hatte er ausgeschaltet. Was wollte dieser herzkranke Mann schon mit irgendeiner Pille anstellen?“

„Nehmen Sie schon diese Pille“, sagte Halters ungeduldig, „und dann möchte ich was hören, klar?“

Ben Lovell beobachtete Josuah Parker, wie er eine leicht zerbeulte Pillendose aus einer der vielen Westentaschen zog. Er paßte sogar höllisch auf, als Parker diese kleine viereckige Blechdose öffnete und betont langsam und suchend hineingriff. Doch weder Lovell noch Halters, der jetzt ebenfalls mißtrauisch zuschaute, achteten dabei dummerweise auf den Regenschirm, den Parker neben sich auf die breite Lehne des Sessels gelegt hatte. Die Zwinge deutete auf Halters.

Parker schob sich betont abgezirkelt eine kleine Pille in den Mund. Dann schloß er die Dose und ließ sie wieder in der Westentasche verschwinden. Seine Hände griffen nach dem Regenschirm.

Halters und Lovell entspannten sich. Sie hatten mit einer Überraschung, mit einem Trick gerechnet, doch nun zeigte es sich, daß dieser Butler doch nicht so raffiniert war, wie er geschildert wurde.

„Die sechzig Sekunden sind um“, sagte Halters spöttisch, „reden Sie, Parker!“

„Nun denn“, sagte der Butler, „empfehlen Sie bitte Ihrem Mitarbeiter, die Schußwaffe zu Boden fallen zu lassen.“ „Sind Sie verrückt?“ brauste Halters wütend auf.

„Ich rate dazu in Ihrem eigenen Interesse, Mister Halters. Bei meinem Regenschirm handelt es sich um ein Stockgewehr, wie ich bemerken möchte. Ein leichter Druck, und schon wird ein Geschoß den getarntem Lauf verlassen und Sie mit tödlicher Sicherheit treffen!“

Lovells Zeigefinger spannte sich. In seinen Augen glitzerte selbstverständlich die obligate Mordlust. Das war er sich und seiner Stellung schließlich schuldig.

„Soll ich?“ fragte er Halters, ohne dabei aber seinen Kopf zu wenden.

„Mir wird im jedem Fall Zeit genug verbleiben, Sie, Mister Halters, zu treffen“, warnte Parker im seiner höflichen Art und Weise.

„Sie bluffen“, erwiderte Halters mit besiegter Stimme. Er wollte sich vorsichtig zur Seite Schiebern.

„Tun Sie es nicht, Mister Halters, bleiben Sie, wo Sie sind. Und was den von Ihnen vermuteten Bluff anbetrifft, so würde ich es an Ihrer Stelle nicht darauf ankommen lassen. Aber bitte, die Entscheidung liegt bei Ihnen.“

Halters schwitzte Blut und Wasser und blieb wie festgenagelt stehen. Ben Lovells Zeigefinger hatte längst Druckpunkt genommen. Er zitterte förmlich vor Erregung. Er konnte es nicht erwarten, den tödlichen Schuß zu lösen.

„Laß die Waffe fallen“, sagte Halters jetzt mit fast versagender Stimme. Auf seiner Stirn sammelten sich dicke Schweißtropfen. Er hatte einfach nicht die Nerven, gegen Parkers Drohung anzugehen.

Anders Lovell.

Er wollte nicht aufstecken, er wollte nicht um seinen Schuß betrogen werden. Parker, der den Mann die ganze Zeit über scharf beobachtet hatte, lächelte in Richtung Halters, als bestehe plötzlich eine geheime Übereinkunft.

Lovell fiel auf diesen Trick herein.

Für den Bruchteil eines Augenaufschlags wurde er unsicher, drehte den Kopf um Millimeter zur Seite. Dies genügte dem Butler. Der Universal-Regenschirm schnellte hoch und schlug dem Mann die Waffe aus der Hand.

Dennoch fand Lovell Zeit genug, den Schuß zu lösen. Peitschend kam das Geschoß aus dem Lauf, verfehlte den Butler nur um Zentimeter und grub sich dann krachend in die Wand.

Bevor Lovell weitere Dummheiten begehen konnte, legte sich der bleigefütterte Bambusgriff des Universal-Regenschirms kurz und nachdrücklich auf seine Stirn, worauf Lovell sich beeilte, sich auf dem Teppichboden zu einem kurzen Schläfchen zusammenzurollen.

*

Mike Rander wollte sich gerade von Herbert Manners verabschieden, als Josuah Parker frisch und munter erschien. Ihm war nicht anzusehen, daß er äußerst gefährliche Minuten hinter sich gebracht hatte.

Er lüftete seine schwarze Melone, deutete eine knappe Verbeugung an und wurde von seinem jungen Herrn vorgestellt. Manners wollte gerade einige Fragen an Parker richten, als Larry Fielding und Helen Manners auf der Bildfläche erschienen.

„Mein Butler“, stellte Mike Rander weiter vor, „Miss Manners, Mister Fieldings.“

„Ich bin mir der Ehre bewußt, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen“, sagte Parker und bemühte erneut die schwarze Melone, „leider bringe ich keine guten Nachrichten!“

„Wieso, was ist passiert?“ Rander sah seinen Butler besorgt an.

Ich machte die mehr oder weniger erfreuliche Bekanntschaft mit einigen Gangstern“, berichtete Parker. Dann, bevor Rander abwinken oder ihm ein Zeichen machen konnte, erzählte der Butler von seinem Kontakt mit Halters.

„Moment mal, Parker. Sie glauben, dieser Gangster könnte etwas mit den Anrufen zu tun haben?“ fragte Manners, der hellhörig geworden war.

„Er streitet jeden Zusammenhang selbstverständlich ab“, antwortete Parker gemessen und würdevoll, „aus humanitären Gründen verzichtete ich darauf, ihm das anzulegen, was man gemeinhin Daumenschrauben nennt. Dennoch bin ich nach wie vor der Ansicht, daß Mister Halters’ Auftauchen vor diesem Grundstück hier nicht zufällig war. Auch die Entführung eines bisher nicht identifizierten Mannes scheint in diesen Rahmen zu passen.“

Nun wollte Fielding wissen, was mit der Entführung war. Parker ließ sich nicht lange nötigen. Er erzählte auch diese Geschichte in allen Einzelheiten. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten legte er diesmal all seine Karten offen auf den Tisch. Es schien ihm sogar Freude zu machen, keine Details zu verschweigen. Nach knapp zwölfeinhalb Minuten waren Manners, seine Tochter und Larry Fielding ausgiebig informiert.

„Wir müssen sofort die Polizei verständigen“, schlug Herbert Manners vor.

„Und würden damit das Leben von Helen gefährden“, warf Fielding vorwurfsvoll ein, „wir sind immerhin eben erst per Telefon davor gewarnt worden.“

„Was wollen Sie tun?“ Helen Manners wandte sich an Parker und sah ihn aufmerksam an. Sie wirkte sehr konzentriert und aufgeschlossen. Zu Parker schien sie großes Vertrauen gefaßt zu haben.

„Ich werde mich nach der Rückkehr in den Bungalow mit den Herren Mel und Hank befassen“, sagte Parker, „ich denke, daß ich sie zu gewissen Aussagen überreden kann. Anschließend wird der Mann mit der Hüftverletzung Rede und Antwort stehen müssen.“

„Das ist der Bursche, den ich in Helens Zimmer mit meinem 22er erwischt habe“, sagte Fielding und grinste, „ich wußte doch, daß ich getroffen hatte. Sagen Sie, kann ich nicht mitkommen, Parker? Was meinen Sie, Mister Rander?“

„Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, so möchte ich Sie bitten, von diesem Besuch vorerst Abstand zu nehmen“, antwortete Parker kühl, „man sollte diesen verletzten Mann nicht unnötig einschüchtern.“

„Wir rufen Sie an, wenn wir Sie brauchen“, schloß Mike Rander schnell. Er spürte, daß sein Butler irgend etwas plante und dabei keine Zeugen benötigte, „ich denke, wir klammern diese Geschichte vorerst mal aus. Wir werden dann von uns aus schon die Polizei benachrichtigen. Im übrigen wissen Sie ja, wo wir zu finden sind. Adresse und Telefonnummer, Mister Manners, habe ich ja angegeben!“

Fielding stellte keine weiteren Fragen. Helen Manners schwieg sich aus und wirkte nachdenklich. Herbert Manners war nach wie vor nervös und durchgedreht. Dennoch schien er irgendwie erleichtert zu sein, als Mike Rander und Josuah Parker das Feld räumten.

*

Starker Wind war aufgekommen.

Dunkle, regenschwere Wolken kamen vom Meer her, quollen über Long Beach Island und wurden tief ins Land getrieben. Von weither war das Grollen eines schweren Gewitters zu hören. Aus dem Lautsprecher des eingeschalteten Kofferradios kam in kurzen Abständen Sturmwarnung.

„Was ist los mit Ihnen?“ fragte Rander, der sich an einem von Parker servierten, eisgekühlten Drink delektierte, „sitzt Ihnen das Gewitter in den Knochen?“

„Es handelt sich um die letzten Vorbereitungen, Sir“, stellte der Butler richtig, „ich fürchte, Sie und meine bescheidene Wenigkeit könnten ungebetenen Besuch erhalten.“

„Von wem denn?“

„Von Kidnappern, Sir!“

„Woher sollen denn die wissen, wo wir jetzt wohnen? Oder haben Sie Halters einen entsprechenden Tip gegeben?“

„Selbstverständlich nicht, Sir!“

„Na, also! Oder … warten Sie, glauben Sie, daß die Manners’ nicht dicht halten werden?“

„Möglich, Sir, ist vieles, wenn nicht sogar alles.“

„Aber warum sollten Sie? Das würde doch bedeuten, daß sie die Kidnapper kennen?“

„Gewiß, Sir, dann ja.“

„Worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Haben Sie bereits einen bestimmten Verdacht?“

„Keineswegs, Sir. Meine Hoffnungen, wenn ich mich so ausdrücken darf, kreisen um Mister Halters. Er allein ist vorerst der Schlüssel zu den Drohanrufen, die Mister Manners erhielt. Darf ich Sie in diesem Zusammenhang um etwas bitten?“

„Schießen Sie schon los!“

„Könnten Sie über Ihr Büro in Chikago Erkundigungen über den Verlobten von Miss Manners einholen lassen?“

„Sie trauen Larry Fielding nicht über den Weg?“

„Das wäre schon fast zuviel gesagt Sir.“

„Okay, ich werde Chikago anrufen, Parker. Aber lassen Sie sich gesagt sein, diesmal befinden Sie sich auf dem Holzweg. Welcher Verlobter legt schon Wert darauf, daß seine Braut gekidnappt wird?“

„Möglich, Sir, ist vieles …“

„Wenn nicht sogar alles … ich weiß schon, Parker, haben Sie ja gerade erst gesagt! Gut, warten wir auf das Ergebnis der Nachforschung. Und jetzt werde ich mich hinlegen. Mitternacht ist längst vorüber!“

„Haben Sie noch besondere Wünsche, Sir?“

„Ja, schleichen Sie nicht länger herum! Ich wette mit Ihnen, daß Ihre ganze Vorsicht diesmal übertrieben ist! Gute Nacht, Parker!“

Mike Rander trank sein Glas leer und begab sich hinüber in seinen Schlafraum. Josuah Parker schien noch keine Müdigkeit zu verspüren. Er geisterte noch lange durch den Bungalow und achtete kaum auf das schnell näher kommende Gewitter.

*

Halters und sein Mitarbeiter Lovell befanden sich in der Nähe des Bungalows. Sie hatten den Wasserweg benutzt und waren froh, daß sie jetzt anlegen konnten. Das Wasser in der Bay zwischen Long Beach Island und dem Festland war vom Sturm aufgewühlt worden. Selbst dicht im Windschatten der langgestreckten Insel gingen die kurzen Wellen hoch.

Halters und Lovell pirschten sich über den kurzen Landungssteg näher an den jetzt völlig dunklen Bungalow heran. Sie wußten genau, wo sie Mike Rander und Josuah Parker finden konnten. Schon während der Anfahrt hatten sie nicht einen Moment lang gezögert und prompt den richtigen Steg erwischt.

„Wir knacken die Küchentür neben der Terrasse“, flüsterte Jeff Halters seinem Mitarbeiter zu, „diesmal darf uns keine Panne passieren, Lovell. Sobald wir die beiden Schnüffler ausgemacht haben, sofort schießen, aus allen Rohren schießen! Bei dem Gewitter wird die Schüsse hier draußen kein Mensch hören!“

„Und ob ich schießen werde“, gab Ben Lovell zurück, „auf diesen Parker freue ich mich schon ganz besonders.“

„Mel und Hank müssen im Keller sitzen“, flüsterte Halters weiter, „Kleinigkeit, sie ’rauszuholen. Los, packen wir’s jetzt! Je schneller wir die beiden Schnüffler erledigen, desto besser. Die vermasseln uns sonst noch die ganze Tour.“

Die beiden Gangster hatten die Terrassenseite des Ferienbungalows erreicht. Lovell, ein Spezialist im Knacken von Türschlössern, machte sich sofort an die Arbeit. Er brauchte nur knapp dreißig Sekunden, bis er sich wieder aufrichtete und Halters zunickte.

„Geschafft!“ flüsterte er, „wir können, Chef!“

Halters entsicherte die kurzläufige Maschinenpistole und drückte mit dem Lauf vorsichtig die Tür auf. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. In ihm kroch eine Nervosität hoch, die er sonst nicht kannte und die er sich jetzt nicht zu erklären vermochte. Vielleicht wußte er instinktiv, daß er sich mit einem Gegner auseinandersetzen wollte, dem er sich nicht gewachsen fühlte. Am liebsten hätte er sich plötzlich auf dem Absatz umgedreht und wäre zurück zum Bootshaus gefahren.

„Was ist, Chef?“ flüsterte Lovell, der den feinen Instinkt seines Chefs nicht besaß.

„Nichts“, gab Halters fast hauchend zurück, „alles in Ordnung!“

Er war direkt froh, als Lovell die abgeblendete Taschenlampe einschaltete. Der starke, scharf gebündelte Lichtstrahl wies ihm den Weg durch die Küche. Neben einem Besenschrank befand sich die Tür, die seiner Schätzung nach in eine kleine Diele führte. Es war nur noch eine Frage von Minuten, bis Mike Rander und Josuah Parker erledigt werden konnten. Die beiden Schnüffler mußten ja ahnungslos sein. Mit nächtlichem Besuch rechneten sie ganz gewiß nicht.

„Worauf wartest du noch?“ fragte Halters leise zurück, als sein Mitarbeiter Lovell nicht nachkam. Er hatte die Tür zur Diele fast erreicht und streckte die Hand nach der Klinke aus.

In diesem Moment passierte es!

Halters schrie entsetzt auf, als sein Kopf und Oberkörper von einem von der Decke herabfallenden Netz eingehüllt wurden. Er riß den Abzug der Maschinenwaffe durch und fetzte eine ganze Serie von Geschossen ungezielt hoch zur Küchendecke. Dann schlug er wie wild um sich und verhedderte sich dabei nur noch mehr in dem dünnen, zähen Gespinst eines Netzes, das die ganze Zeit über auf ihn gewartet hatte. Nach wenigen Sekunden stürzte Halters bereits zu Boden und spürte, daß das Netz nun auch noch seine Beine einhüllte, die vorläufig noch in der Luft strampelten.

„Lovell! Lovell!“ brüllte Halters, „los, schneid mich los! Lovell, wo steckst du denn?“

*

Ben Lovell hörte bereits nichts mehr.

Im gestreckten Schweinsgalopp setzte er sich ab und trabte zurück zum Steg. Panische Angst saß ihm im Nacken. Er steigerte das Tempo und konnte nicht schnell genug zurück zum Boot kommen. Selbst im Traum dachte er nicht mehr daran, gegen Butler Parker aktiv zu werden. Sein Bedarf war wieder einmal reichlich gedeckt.

Dennoch ahnte er nicht, welche Überraschungen noch auf ihn warteten. Er hatte es schließlich mit einem Gegner namens Josuah Parker zu tun, mit einem Mann also, der sich stets im rechten Moment etwas einfallen ließ.

Dumpf hallten und dröhnten die dicken Bohlenbretter wider, als Ben Lovell den Steg betreten hatte. Zum grollenden Gewitter kamen nun noch erste Blitze hinzu, die die Nacht sekundenlang erhellten. Das aufgewühlte Wasser klatschte dröhnend gegen die stämmigen Pfähle, die die Bohlen trugen. Vom Himmel kamen die ersten schweren Regentropfen.

Lovell rannte weiter und damit in seine nächste Niederlage hinein, denn plötzlich gaben zwei Bohlen unter seinen Füßen nach und klappten falltürartig nach unten auseinander.

Ben Lovell stieß einen lauten Schrei des Entsetzens, aus, warf beide Arme hilfe- und haltesuchend in die Luft und rutschte wie auf Schmierseife blitzschnell hinunter ins Wasser.

Er tauchte unter, arbeitete sich verzweifelt nach oben und merkte erst jetzt, als er mit den Händen nach Halt tastete, daß er in einer raffinierten Falle saß, beziehungsweise herumschwamm.

Seine Falle war eine große Fischreuse, deren Maschen sich um seine Glieder wickelten. Lovell brüllte verzweifelt und laut um Hilfe. Er wurde von dem aufgepeitschten Wasser immer wieder überspült und glaubte ertrinken zu müssen. Je mehr er sich abmühte, desto böser verhedderte er sich in den Maschen.

Er schluckte Wasser wie ein Verdurstender und glaubte bereits an sein nahes Ende. Er merkte überhaupt nichts von der Gestalt, die oben auf dem sonst noch heilen Steg stand und jetzt eine kleine Taschenlampe anknipste …

*

„Darf man höflichst fragen, woher Sie die jetzige, neue Adresse Mister Randers erfuhren?“

Josuah Parker stand vor Jeff Halters, der einen leicht gebrochenen Eindruck machte und tief und unglücklich in einem Sessel des Wohnraums saß. Halters trug jetzt Spezialhandschellen, die Josuah Parker zur Verfügung gestellt hatte.

In einem zweiten Sessel saß der pitschnasse Ben Lovell. Selbstverständlich zierten auch seine Gelenke solide Handschellen. Lovell starrte finster zu Boden und war offensichtlich sauer.

„Sie glauben doch nicht, daß ich Ihre Fragen beantworten werde“, antwortete Halters wütend, „geben Sie sich erst gar keine Mühe.“

„Vielleicht erübrigen sich wirklich Ihre Antworten“, führte der Butler weiter aus. „Wenn man in der Lage ist, gewisse Dinge in einem logischen Zusammenhang zu sehen, findet man selbst die Antworten. Ein Hinweis auf die Polizei dürfte Sie wohl nicht schrecken, wie?“

„Was wollen Sie mir anhängen?“ fragte Halters und grinste. Er glaubte an Boden zu gewinnen, „Lovell und ich sahen verdächtige Gestalten am Haus und sahen nach. Leider verwechselten wir diese Diebe mit Ihnen. Klingt zwar nicht toll, reicht aber vollkommen aus, um die Polizei leerlaufen zu lassen.“

„Möglicherweise haben Sie recht“, räumte Mike Rander lächelnd ein, „wir dürfen also noch froh sein, wenn Sie den Spieß nicht umdrehen, oder?“

„Natürlich“, redete Halters weiter und hob die gefesselten Handgelenke an, „schließen Sie das verdammte Ding auf, Rander!“

„Was meinen Sie, Parker?“

„Man sollte den Wunsch Mister Halters erfüllen“, sagte Parker freundlich, „eine weitere Befragung erübrigt sich. Das Erscheinen Mister Halters bestätigte ja bereits die Vermutung, die Sie und meine Wenigkeit gehegt hatten!“

„Was für eine Vermutung?“ brauste Halters auf. Er wurde etwas unsicher.

„Die Vermutung, wer Ihr Auftraggeber ist. Oder aber auch, mit wem Sie Zusammenarbeiten, Mister Halters. Sie erlauben?“

Parker sperrte die Handschelle auf und deutete dann eine leichte Verbeugung an.

„Und was ist mit Lovell?“ fragte Halters und wies auf seinen Mitarbeiter.

„Mister Lovell wird mit einer Verspätung von höchstens zehn Minuten nachkommen“, erwiderte Parker.

„Kommen Sie, Halters, ich bringe Sie ’raus ans Boot!“ Rander grinste den Gangsterboß an und deutete nach draußen. „Für diese zehn Minuten werden Sie ja wohl auf Begleitung verzichten können.“

„Ich bestehe darauf, daß Lovell sofort mitkommt“, brüllte Halters wütend.

„Sie sollten jetzt gehen“, sagte Parker in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Halters merkte das sofort, schluckte weitere Frechheiten hinunter und beeilte sich, den Raum zu verlassen.

Mike Rander blieb ihm dicht auf den Fersen. Da er eine Schußwaffe in der Hand trug, riskierte Halters nichts. Gehorsam ließ er sich nach draußen in die stürmische Nacht bringen.

„Nun zu Ihnen, Mister Lovell“, begann Parker und wandte sich an den Mitarbeiter von Halters. „Halten Sie es Ihrer Gesundheit für zuträglich, weiterhin für Mister Halters zu arbeiten?“

„Das lassen Sie meine Sorge sein“, plusterte Lovell sich auf.

„Sie ahnen wohl nicht, daß Sie mit Ihrem Leben spielen“, redete Parker höflich, fast beiläufig weiter, „ein Mister Halters denkt nur an seinen eigenen Nutzen. Er wird Sie bei erstbester Gelegenheit ausbooten.“

„Wollen Sie mich etwa gegen meinen Boß auf hetzen?“ fragte Lovell höhnisch zurück.

„Beurteilen Sie es selbst und allein, falls Sie dazu überhaupt in der Lage sind“, meinte Josuah Parker, „ich erlaube mir aber, Ihnen Wachsamkeit zu empfehlen. Es stirbt sich schnell, wenn man mit einem Mann wie Halters zusammenarbeitet.“

Während er noch sprach, sperrte er auch Lovells Handschelle auf und deutete nach draußen.

„Wir sprechen uns noch“, drohte Lovell, „noch einmal legen Sie mich nicht ’rein, darauf können Sie sich verlassen, Parker! Mich legt man immer nur einmal aufs Kreuz!“

„Mister Halters dürfte warten. Lassen Sie ihn nicht ungeduldig werden!“

Lovell schluckte eine scharfe Antwort hinunter und verließ den Raum. Sekunden später verloren seine Schritte sich im Toben und Grollen des Regengewitters.

Bald darauf erschien Mike Rander.

Er schmunzelte und nickte. Er strich sich durch das regennasse Gesicht und schloß die Terrassentür.

„Sie sind losgefahren“, sagte er, „sie hatten es sehr eilig. Hoffentlich unterschätzen Sie nicht den Sturm.“

„Ich glaube, Sir, man darf zufrieden sein“, antwortete der Butler und zog die Vorhänge vor. „Das prompte Erscheinen Mister Halters läßt erfreuliche Rückschlüsse zu.“

„Finde ich auch, Parker. Nur Manners, seine Tochter und Larry Fielding wußten von unserer Adresse. Einer von ihnen muß also mit Halters unter einer Decke stehen. Falls wir nicht doch beschattet wurden, seitdem wir das Hotel verließen.“

„Diese Möglichkeit sollte man selbstverständlich nicht ausschließen, Sir. Aber das Augenmerk muß tatsächlich auf Mister Manners, Helen Manners und Larry Fielding gerichtet werden. Wobei anzunehmen ist, daß Mister Manners wohl kaum mit Gangstern in Verbindung steht, die seine Tochter entführen wollen!“

„Helen Manners scheidet ebenfalls aus“, führte Mike Rander weiter aus, „wer arbeitet schon mit Kidnappern zusammen, um sich entführen zu lassen. Ich tippe auf Larry Fielding, Parker. Ich bin gespannt, was wir über ihn erfahren werden. In spätestens zwei Tagen wissen wir mehr über ihn.“

„Bleibt immer noch jener Mann, der eine Hüftverletzung durch Mister Fieldings 22er davontrug“, gab Parker zu überlegen, „wer ist dieser Mann? Arbeitete er auf eigene Rechnung, wie es so treffend heißt? Oder aber ist er der Repräsentant einer Gruppe, die wir noch nicht kennen?“

„Das würde ja bedeuten, daß wir es mit zwei Gangstergruppen zu tun haben?“

„Dies, Sir, möchte ich sicherheitshalber keineswegs ausschließen“, beendete Parker die Unterhaltung, „haben Sie noch spezielle Wünsche, bevor Sie sich wieder niederlegen? Darf ich Ihnen einen kleinen Schlaftrunk reichen?“

Bevor Mike Rander antworten konnte, splitterte die Scheibe der Terrassentür auseinander. Fast synchron damit ploppte eine Reihe von schallgedämpften Schüssen in den Raum.

Mike Rander und Josuah Parker hatten riesiges Glück. Sie konnten sich im letzten Moment noch zur Seite werfen und so den tödlichen Geschossen entwischen. Dafür wurde die Wand völlig demoliert. Kalk- und Steinsplitter sirrten durch den Raum, der Putz stäubte auf und nahm die Sicht. Sie ging restlos verloren, als eines der Geschosse die Deckenlampe traf und sie zerfetzte!

*

„Weit und breit kein Boot“, meldete Mike Rander, der nach wenigen Minuten zurück ins Haus kam, „Halters und Lovell können nicht geschossen haben. Und ich glaube, ich habe sogar einen davonjagenden Wagen gehört, Parker!“

„Dies, Sir, deckt sich durchaus mit meinen Eindrücken“, antwortete der Butler höflich und gelassen. Im Gegensatz zu seinem jungen Herrn, der einen energischen und aufgekratzten Eindruck machte, wirkte er völlig beherrscht, was bei ihm ja auch wohl selbstverständlich war.

„Ich tippe auf Larry Fielding“, sagte Rander und ließ sich von Parker Feuer für seine Zigarette geben. „Vergessen wir nicht, daß er mit Halters und Lovell unter einer Decke stecken könnte.“

„Man sollte, wenn ich mir einen bescheidenen Rat erlauben darf, Mister Fielding anrufen, Sir.“

„Und ob ich das tun werde.“

Bevor Mike Rander jedoch nach dem Telefonhörer zu greifen vermochte, erledigte sein Butler dies bereits. Nach knapp einer Minute hatte er Larry Fielding, den Verlobten Helen Manners, in der Leitung.

„Mister Rander möchte Sie gern sprechen, Sir“, sagte Parker, „ich übergebe, gedulden Sie sich bitte einen kleinen Moment.“

„Hallo, Fielding“, meldete sich Rander, „fein, daß ich Sie noch erreiche!“

„Was ist denn los?“

„Ich vergaß Sie bei den Manners nach einem gewissen Jeff Halters zu fragen“, redete Mike Rander weiter, den Namen des Gangsterchefs ganz bewußt nennend. „Wissen Sie mit diesem Namen etwas anzufangen?“

„Sollte ich?“ fragte Fielding vorsichtig zurück.

„Mein Butler und ich hatten eben Besuch“, erläuterte Mike Rander und zwinkerte seinem Butler gleichzeitig dabei zu, „dieser Halters muß eine doppelläufige Type sein. Er behauptete, Sie zu kennen.“

„Mich?“ kam es gedehnt zurück. Gedehnt, aber auch etwas unsicher. „Woher will dieser Halters mich denn kennen? Wieso ist dieser Mann eine finstere Type? Ich verstehe nicht, was das alles soll?“

„Parker und ich wurden überfallen. Als wir uns durchgesetzt hatten, berief dieser Bursche sich auf Sie!“

„Aber das ist doch eine Frechheit“, gab Larry Fielding wütend zurück, „nehmen Sie jedem Strolch jede Geschichte ab?“

„Sie klang tatsächlich unglaubwürdig!“

„Na, sehen Sie, Rander. Also noch einmal, ich kenne diesen Mann nicht. Was hat er denn sonst noch behauptet?“

„Eine Menge dummes Zeug, Fielding, aber darüber will ich erst gar nicht reden. Entschuldigen Sie den Anruf. Hoffentlich können Sie bei diesem Gewitter schlafen! Gute Nacht also!“

Bevor Rander auflegte, hörte er auf der Gegenseite ein unterdrücktes Quietschen, das nach dem amüsierten Aufschrei einer jungen Dame klang.

„Es war Fielding“, meinte Rander und nickte seinem Butler zu, „und Fielding war immerhin in seiner Stadtwohnung zu erreichen. Ein paar gute Meilen von hier. Er kann also nicht auf uns geschossen haben.“

„Mister Fielding demnach also nicht, Sir“, pflichtete der Butler seinem jungen Herrn bei, „aber er könnte irgendeinen Schützen mit dieser Aufgabe betraut haben.“

„Natürlich, Parker. Schade, daß wir noch nicht wissen, wer dieser Fielding ist. Möglich, daß irgendeine Überraschung auf uns wartet.“

„Haben Sie etwas dagegen, Sir, wenn ich mir noch ein wenig die Beine vertrete?“ fragte Parker statt einer Antwort bei seinem jungen Herrn an.

„Die Beine vertreten? In diesem Wetter?“ Rander musterte seinen Butler mehr als kritisch und skeptisch.

„Nun, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Sir, würde ich mich gern noch einmal mit Mister Halters befassend

„Sie wollen hinüber zu seinem Haus? Was versprechen Sie sich davon? Was planen Sie?“

„Ich hege die Befürchtung, Sir, daß der Schütze, der die Deckenbeleuchtung verwüstete, dort noch einmal in Erscheinung treten wird.“

„Nach diesem Anruf hier, wie?“ Rander wußte, worauf sein Butler hinaus wollte.

„In der Tat, Sir. Mister Halters und sein Mitarbeiter Lovell schweben möglicherweise bereits in Lebensgefahr.“

„Kommen Sie, Parker, gehen wir“, sagte Mike Rander da nur und nickte Josuah Parker unternehmungslustig zu, „hoffentlich kommen wir nicht schon zu spät.“

„Vor dem gemeinsamen Aufbruch, Sir, möchte ich doch dringend raten und empfehlen, einige Verteidigungswaffen mitzunehmen“, schloß der Butler die Unterhaltung, „nur wer sich unbewaffnet in Gefahr begibt, kann leicht darin umkommen! Ich rate zu handlichen 38ern.“

*

Das hochbeinige Monstrum kämpfte sich mühsam durch den nächtlichen Sturm. Die an sich erstklassigen Scheibenwischer waren kaum in der Lage, das Wasser von der Frontscheibe wegzuschaufeln. Die aufgeblendeten Scheinwerfer versickerten im peitschenden Regen. Josuah Parker konnte nur relativ langsam fahren.

Er war übrigens allein.

Mike Rander hatte sich von seinem Butler überzeugen lassen, daß die drei Gäste im Keller des Hauses betreut werden mußten. Es war damit zu rechnen, daß Halters mit Verstärkung erschien, um seine beiden Männer Mel und Hank zu befreien. Es galt zu verhindern, daß der an der Hüfte verletzte Mann mit dem Dutzendgesicht endgültig entführt wurde.

Nach halbstündiger Fahrt erreichte der Butler das ihm bereits bekannte Bootshaus. Es war unbeleuchtet und schien im Moment nicht bewohnt zu sein. Parker brachte seinen Wagen dicht an das Haus heran und entfaltete seinen riesigen Universal-Regenschirm, als er ausstieg.

Würdevoll, als bewege er sich über ein glattes Parkett, schritt er dann durch Sturm und Regen auf die Haustür zu. Er läutete nachdrücklich und wußte eigentlich schon im voraus, daß ihm nicht geöffnet werden würde. Sein Gefühl sagte ihm, daß Halters entweder nicht da war, oder aber nicht mehr in der Lage war, sich zu melden.

Parker drückte leicht gegen die Tür. Sie war verschlossen. Doch dieser Zustand dauerte nur wenige Sekunden. Mit seinem kleinen Spezialbesteck öffnete er das einfache Türschloß und blieb sofort wie angewurzelt stehen.

Es roch deutlich nach Pulverschmauch.

Parker kannte diesen Geruch. Er war ihm im Verlauf seiner Auseinandersetzungen mit Gangstern nur zu vertraut geworden. Parker schaltete das Dielenlicht ein und sah sich in den Räumen um.

Er brauchte nicht lange zu suchen.

In einem großen Wohnraum fand er Ben Lovell. Der Mitarbeiter des Gangsterchefs Halters lag auf dem Rücken und starrte aus weit geöffneten Augen zur Decke. Er merkte nichts von Parkers Auftauchen. Er war dazu auch kaum in der Lage, denn er lag im Sterben und hatte höchstens noch einige Minuten.

Parker kniete neben Lovell nieder und rief ihn an. Er rüttelte ihn leicht an der Schulter und registrierte gleichzeitig die schweren Verletzungen des Mannes. Ben Lovell war von drei Schüssen niedergestreckt worden. Diese Schüsse mußten aus nächster Nähe abgefeuert worden sein.

Von Halters? Das war kaum anzunehmen! Warum hätte der Gangsterchef seinen Mitarbeiter umbringen sollen? Der Schütze mußte dennoch ein guter Bekannter des Sterbenden gewesen sein, sonst hätte Lovell den Schützen niemals so nahe an sich herankommen lassen.

„Mister Lovell … Master Lovell!“ sagte Parker eindringlich, „wer hat Sie niedergeschossen? Antworten Sie. Wer hat auf Sie geschossen?“

Ben Lovells Augen gerieten in Bewegung. Im Unterbewußtsein nahm er wohl noch die Worte wahr. Er versuchte sich aufzurichten, doch dazu fehlten ihm bereits die Kräfte. Seine Lippen bewegten sich.

„Chef …“, flüsterte Lovell mit versagender Stimme, „Chef … Vorsicht.“

„Wer hat geschossen?“ wiederholte der Butler seine Frage noch einmal.

„Vorsicht“, flüsterte Lovell und war kaum noch zu verstehen, „Vorsicht, Chef … Die Handtasche … die Tasche!“

Mehr war leider nicht zu erfahren, wie Parker schnell feststellte, denn Lovell lebte schon nicht mehr. Der Butler richtete sich auf und sah sich im Raum nach einer Handtasche oder Tasche um. Was mochte Ben Lovell damit gemeint haben?

Nun, den gesuchten Gegenstand entdeckte er zwar nicht, dafür aber seitlich neben dem freistehenden Ledersessel einen deutlichen Wasserfleck auf dem Veloursteppich. Hatte der Mörder ihn zurückgelassen?

Parker ging ans Telefon und wählte noch einmal die Nummer von Larry Fielding.

Diesmal meldete der Verlobte von Helen Manners sich nicht. Auf der Gegenseite der Leitung blieb alles ruhig. Fielding meldete sich entweder absichtlich nicht, oder aber er war zu so später Stunde noch ausgegangen.

Nachdenklich legte der Butler auf. So etwas hatte er sich fast schon gedacht. Der erste Anruf schien den Verlobten von Helen Manners hochgescheucht zu haben. Trieb er sich vielleicht sogar hier in der Nähe des Hauses herum? Wo aber war Jeff Halters? Warum war er noch einmal weggegangen? Was mochte ihn aus dem Bootshaus getrieben haben?

Mike Rander befand sich im kleinen Keller des Ferienbungalows und sah nach den Gästen. Mel und Hank schliefen fest. Sie schienen sich mit ihrer Lage abgefunden zu haben.

*

Der Mann mit der Hüftverletzung und dem Dutzendgesicht war wach. Er sah den eintretenden jungen Anwalt erstaunlich gelassen an.

„Alles in Ordnung?“ erkundigte sich Rander, „was macht die Verletzung?“

„Halb so schlimm!“ erwiderte der Mann, „in ein paar Tagen bin ich wieder richtig auf dem Damm. Ihr Butler versteht sich auf so etwas!“

„Stimmt, auch darauf“, antwortete Rander lächelnd, „sagen Sie, wollen Sie mir noch immer nicht sagen, wer Sie sind und was Sie auf dem Grundstück der Manners gesucht haben?“

„Darauf antworte ich nicht!“

„Die Polizei wird hartnäckigere Fragen stellen.“

„Und ebenfalls keine Antwort bekommen!“

„Immerhin haben Sie Miss Manners in ihrem Zimmer überfallen.“

„Unsinn, von Überfall war keine Rede, ich suchte nach etwas Bargeld, das ist alles.“

„Daraufhin wird man Sie mit Sicherheit einsperren.“

„Wenn schon, das überstehe ich!“

„Sie fühlen sich in Ihrer Lage sehr sicher, wie?“

„Was habe ich schon zu befürchten, Mister Rander? Jede Einbuchterei geht mal vorüber.“

„Ich kann mir nicht helfen, ich habe das Gefühl, daß sich für Sie diese ganze Geschichte lohnen wird.“

„Darauf antworte ich nicht. Geben Sie’s doch auf, Mister Rander.

„Sie wissen, daß man Sie wegen versuchten Kidnappings anklagen kann?“

„Unsinn!“

„Miss Manners wird angedroht, man wolle sie entführen. Es sind schon eine Menge Anrufe erfolgt. Die Polizei hat sich bereits mit dieser Sache befaßt.“

„Mir kann man nichts nachweisen, Mister Rander … Wollen Sie mich ins Bockshorn jagen?“

„Kaum“, entgegnete der Anwalt lächelnd, „dazu sind Sie zu clever. Na ja, Sie müssen wissen, was Sie tun.“

„Weiß ich auch, Mister Rander, bestimmt.“

Rander wollte eine weitere Frage stellen, doch in diesem Moment hörte er oben im Haus ein Geräusch, als sei ein hölzerner Gegenstand umgestoßen worden.

Sofort schaltete Rander auf Alarm.

Er hatte blitzschnell die Schußwaffe in der Hand und horchte zur Kellertreppe hinüber. Das Geräusch wiederholte sich nicht.

„Ziemlich nervös, wie?“ Der Mann mit dem Dutzendgesicht lächelte spöttisch.

„Sie etwa nicht?“ Rander behielt die Nerven, „vielleicht ist Halters zurückgekommen. Der scheint aus irgendwelchen Gründen nicht gut auf Sie zu sprechen sein.“

Der Mann mit dem Dutzendgesicht, der um keinen Preis seinen Namen nennen wollte, lauschte zur Treppe hinüber.

„Da ist irgend jemand“, flüsterte er dann. Das spöttische Lächeln war ihm offensichtlich vergangen. Er hatte jetzt nur noch Angst.

„Ich höre nichts“, gab Rander leise zurück, doch er sicherte sich ab und baute sich seitlich neben der Tür auf. Er lauschte angestrengt, doch außer dem Toben des Sturms und dem Peitschen des Regens konnte er hier unten im Keller nichts wahrnehmen.

„Da kommt einer die Treppe ’runter“, flüsterte der Mann eindringlich. „Da!“

Mike Rander hätte sich später ohrfeigen können, als er an diese Panne dachte. Er fiel nämlich prompt auf den Trick des Mannes herein und ließ ihn einen Moment aus den Augen.

Diese knappen Sekunden reichten dem Zwangsgast vollkommen. Er warf sich auf den völlig überraschten Mike Rander und schmetterte ihm mit einem Handkantenschlag die Waffe aus der Hand.

Rander rutschte gegen die rauhe Wand, handelte sich einen ärgerlichen Fußtritt ins Gesäß ein und knallte anschließend mit dem Kopf gegen den Boden. Ihm wurde grauschwarz vor Augen.

Als er wieder richtig schalten konnte, hatte sein Zwangsgast längst das Lokal geräumt und stürmte erstaunlich leichtfüßig über die Treppe nach oben. Was gleichbedeutend mit seinem Verschwinden war, denn Mike Rander konnte diesen Vorsprung nicht mehr einholen.

Der Anwalt strich sich vorsichtig über den schmerzenden Kopf, griff nach dem 38er und verließ den Kellerraum.

Er hatte die Treppe halb hinter sich gebracht, als die ersten Schüsse auf ihn abgefeuert wurden. Rander warf sich rücksichtslos zurück, kollerte über die Stufen hinab und landete auf dem Zementboden. Erfreulicherweise hatte er nicht seine Waffe verloren. Er brachte sich in Deckung und wartete. Um seinen Gegner unsicher zu machen, produzierte er ein gekonntes Stöhnen. Er hoffte, daß der Schütze auf diesen Trick hereinfallen würde.

„Kommen Sie hoch, Rander!“ rief eine verzerrte, undeutliche Stimme, „stecken Sie auf! Sie sitzen in der Falle!“

Rander dachte nicht daran, auf diese Aufforderung zu antworten. Er stöhnte noch einmal, röchelte zusätzlich und verhielt sich dann vollkommen ruhig. Er überlegte, wer der Schütze oben an der Treppe sein mochte.

War Halters zurückgekehrt? War das eingetroffen, was Parker befürchtet hatte? Wollte Halters seine beiden Mitarbeiter Mel und Hank befreien? Aber was war dann aus dem Mann mit der Hüftverletzung geworden? Er mußte Halters dann direkt in die Arme gelaufen sein?

Oder gab es in diesem Spiel plötzlich eine neue Unbekannte? War der entwischte Mann mit der Hüftverletzung gar nicht der Einzelgänger, für den man ihn gehalten hatte?

Rander schreckte aus seinen Gedanken hoch. Was nicht weiter verwunderlich war, denn er roch intensiven Benzingeruch und stellte wenig später fest, daß über die Treppenstufen ein kleines Rinnsal herunterfloß, das diesen Geruch verströmte.

Man wollte ihn also ausräuchern. Gelinde ausgedrückt! Der kleine Keller mit den beiden Räumen sollte in eine Feuerhölle verwandelt werden.

Rander spürte, daß ihm der Mund staubtrocken wurde!

*

Als Parker sich abwendete, um den toten Lovell zu verlassen, sah er direkt in die Mündung einer Schußwaffe.

Halters stand in der geöffneten Tür und wußte längst, daß sein Mitarbeiter Lovell tot war. Sein Gesicht war eine böse, haßerfüllte Maske.

„Dafür werden Sie büßen?“ sagte er mit rauher Stimme und deutete mit dem Lauf kurz hinüber auf Lovell.

„Soll ich Ihren Worten entnehmen, daß Sie mich für den Mörder Mister Lovells halten?“

„Etwa nicht?“

„Sie befinden sich da in einem grundlegenden Irrtum“, stellte der Butler richtig. Er sprach ruhig, gemessen und ohne jede Hast. Die Waffe in Halters Hand ignorierte er. „Als ich kam, war Mister Lovell bereits tödlich verwundet worden.“

„Sie können mir viel erzählen, Parker. Ich glaube Ihnen kein Wort. Ich weiß inzwischen längst, daß Sie ein verdammt raffinierter Bursche sind.“

„Sie schmeicheln einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann“, antwortete der Butler, „aus weichem Grund aber sollte ich Ihren Mitarbeiter niedergestreckt haben, zumal er im Sterben eindeutig und unüberhörbar vor einer Handtasche warnte!“

„Wie, bitte?“

Halters war verblüfft. Er nahm den Köder an, den Parker ihm vorgesetzt hatte.

„Mister Lovell läßt Sie durch mich warnen, wenn ich es so umschreiben darf. Er scheint seinen Mörder sehr gut gekannt zu haben. Demnach, müssen auch Sie ihn kennen!“

„Ich? Reden Sie keinen Unsinn!“

„Nun, immerhin schien mir, als sei der Name Larry Fieldings gefallen.“

„Er kann’s nicht gewesen …!“ Halters merkte viel zu spät, daß er sich verplappert hatte. Röte stieg in sein Gesicht. Er preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.

„Selbst wenn! Wir sind unter uns, es kommt also nicht mehr darauf an. Und mit dem, was Sie wissen, werden Sie nichts mehr anfangen können. Dafür garantiere ich!“

„Sie wollen mich also umbringen, wenn ich Sie richtig interpretiere?“

„Warum sollte ich nicht! Und es wird wunderbar zusammenpassen. Sie haben sich mit Lovell geschossen und sind ebenfalls dabei draufgegangen.“

„Abgesehen einmal von Ihrer Sprechweise, die ich als rüde bezeichnen möchte, muß ich darauf hin weisen, daß dieser von Ihnen an mir geplante Mord sinn- und nutzlos sein wird.“

„Und warum?“

„Sie vergessen meinen jungen Herrn, Mister Mike Rander! Er teilt meine Theorie, nach der Sie von Mister Fielding gekauft und bezahlt werden.“

„Ihren Boß werde ich mir auch noch kaufen, verlassen Sie sich darauf!“

„Ihr Geschäft mit Mister Fielding muß sich ja ungemein lohnen. Sie sind ohne weiteres bereit, dafür zwei Morde zu begehen? Wieviel Prozent von den geforderten einhunderttausend Dollar sind Ihnen denn versprochen worden?“

„Genug!“ gab Halters böse lächelnd zurück, „ich lasse mir auf jeden Fall nicht die Tour vermasseln, Parker.“

„Ich denke, Mister Halters, ich habe Sie bereits verstanden.“ Parker, nickte und lächelte den Gangsterboß andeutungsweise an, „es ist Ihre feste Absicht, das ganze geforderte Lösegeld einzustecken und Mister Fielding durch das blicken zu lassen, was man in Volkskreisen die Röhre nennt. Nun gut … es hätte mich auch gewundert, wenn Ihre Pläne anders ausgesehen hätten!“

„Sie sind viel zu gerissen, Parker. So was muß bestraft werden.“

„Hoffentlich unterschätzten Sie Mister Fielding nicht“, redete der Butler weiter, um Zeit zu gewinnen.

„Bestimmt nicht! Sonst noch Fragen, Parker? Ich habe keine Zeit mehr für Sie!“

„Ich verstehe nicht, wenn ich diese Frage noch stellen darf, warum Mister Fielding seine Verlobte, Miss Helen Manners, entführen lassen will. Warum er, um dies weiter auszuführen, von einem Lösegeld von einhunderttausend Dollar spricht? Sobald er Miss Manners doch geheiratet hat, wird er über ausreichende Geldmittel verfügen.“

„Glauben Sie?“ Halters grinste höhnisch. „Die schöne Helena ist gerissen und clever, Parker, aber das wissen Sie ja nicht.“

„Schöne Helena?“

„So heißt sie, wußten Sie das noch nicht? Als Schnüffler sind Sie aber verdammt schlecht orientiert.“

„Jetzt nicht mehr“, sagte Parker und lächelte, „dies trifft auch für Mister Rander zu!“

„Rander?“ Um ein Haar hätte Halters sich umgewendet, doch im letzten Augenblick behielt er seine Muskeln unter Kontrolle. Er grinste jetzt ausgesprochen tückisch.

„No, mit mir nicht!“ sagte er dann langsam, „diese Tricks ziehen bei mir nicht. Dachten Sie, ich würde mich, jetzt um drehen?“

„Allerdings, Mister Halters. Schade, es wäre wohl doch zu schön gewesen!“

„Eben!“ Halters beugte sich etwas vor. Eis war klar, daß er schießen wollte. Ihm ging es darum, den lästigen Butler aus dem Weg zu räumen. Zudem war er nun gezwungen, um jeden Preis zu schießen. Parker wußte einfach zuviel.

Der Butler wußte längst, daß er in eine schier ausweglose Situation geraten war. Wie konnte er Halters überlisten, ihn daran hindern, gezielt zu schießen? Es ging jetzt nur noch um Bruchteile von Sekunden.

„Ich denke, demnach brauche ich jetzt meinen Schirm nicht mehr“, sagte Parker in einem fast elegischen Ton und warf seinen Universal-Regenschirm auf die Couch.

Das lenkte Halters ab.

Schon einmal hatte ihn dieser Schirm in Verlegenheit gebracht. Er glaubte wahrscheinlich an einen Trick des Butlers und wollte sich nicht erneut hereinlegen lassen. Kurz, er schaute unwillkürlich auf den Schirm und vergaß darüber, auf den Butler zu schießen.

Was sein Pech war.

Wie durch Zauberei hielt der Butler plötzlich seinen alten, vorsintflutlichen Colt in der Hand. Ein Wildwestheld wäre vor Neid erblaßt, wenn er dies mitverfolgt hätte. Solch ein Gunman hätte sich nach dieser Kostprobe des schnellen Ziehens wahrscheinlich vom Geschäft zurückgezogen und wochenlang bitter über seine Langsamkeit geweint.

„Waffe gegen Waffe“, stellte der Butler kühl fest, „ich glaube nicht, Mister Halters, daß Sie es darauf ankommen lassen wollen, oder?“

„Sie verdammter

„Keine Injurien, wenn ich bitten darf!“ Parkers Stimme klang nun streng, „benehmen wir uns doch zivilisiert. Bestehen Sie auf einem Kugelwechsel oder nicht? Ich stehe zur Verfügung!“

Halters brach der kalte Angstschweiß aus, zumal er ganz sicher fühlte, daß dieser Butler ihm haushoch überlegen war. Dennoch wollte er nicht aufstecken.

„Wenn Sie schießen, schaffe ich es, Sie zu treffen. Soviel sitzt immer noch bei mir drin!“

„Umgekehrt wird auch ein Schuh daraus, wenn ich dieses Sprichwort zitieren darf!“

„Hauen Sie ab!“ sagte Halters plötzlich und ließ den Lauf seiner Waffe sinken.

„Nach Ihnen, Mister Halters!“

„Ich soll einfach abhauen?“

„Sie können gehen, von abhauen war niemals die Rede! Sie wissen sehr genau, daß ich niemals grundlos schießen werde.“

„Na, schön. Diese Runde geht an Sie! Aber wir treffen uns noch, Parker! Dann mache ich sofort reinen Tisch. Und was unsere Unterhaltung anbetrifft. Beweisen Sie mir erst mal, was ich gesagt habe!“

„Selbstverständlich, dies ward mein Bestreben sein, wie ich Ihnen sagen darf.“

Halters wandte sich ab und warf in im Aufbrüllen eines Schusses die Arme hoch in die Luft und brach zusammen. Worauf Parker es für angebracht hielt, die Beleuchtung mittels seines Colts zu löschen, zumal er nicht daran interessiert war, wie Halters niedergestreckt zu werden.

Er hörte schnelle Schritte, dann das Zuschlägen einer Tür. Sekunden später war alles ruhig.

Parker schaltete das Licht seiner Kugelschreibertaschenlampe ein und begab sich hinüber zu Halters. Erfreulicherweise war der Gangsterboß nicht tödlich getroffen worden. Parker erkannte das mit einem schnellen Blick.

Während er sich mit Halters befaßte, dachte er an seinen jungen Herren. Er fragte sich, ob er von diesem geheimnisvollen und tödlichen Schützen auch schon heimgesucht worden sein mochte!

*

Mike Rander war klar, daß er in einer lodernden Flammenhölle verbrannt und erstickt werden sollte.

Das Benzinrinnsal floß stetig über die Stufen hinunter in Richtung Betonboden. Dieses Rinnsal wurde sogar breiter und floß schneller als eben noch.

Gab es für den jungen Anwalt überhaupt noch eine Alternative? Blieb er im Keller, würde er von den Flammen erfaßt werden, die jeden Moment hochzüngeln, ja explodieren mußten. Lief er aber über die Treppe hinauf ins Erdgeschoß, wurde er mit Sicherheit von dem dort lauernden Mörder niedergeschossen.

Mike Rander dachte an seinen Butler. Wie hätte ein Josuah Parker sich wohl in solch einer Lage geholfen?

Rander handelte wie unter einem Zwang.

Er griff in die Rocktasche und holte ein Briefchen Streichhölzer hervor.

Er setzte alles auf eine Karte und rechnete damit, daß der Mörder noch immer den Benzinkanister in Händen hielt und das Rinnsal daraus speiste.

Das angerissene Streichholz flammte auf.

Mike Rander warf es hinauf auf die Treppenstufen. Zugleich hechtete er in den leeren, geöffneten Kellerraum hinein, in dem der Mann mit der Hüftverletzung sich aufgehalten hatte.

Seine Rechnung ging auf.

Das schnell verdunstete Benzin hatte sich mit der Außenluft zu einem hochexplosiven Gemisch verbunden. Das Streichholz ließ dieses Gemisch explodieren. Eine gewaltige Stichflamme zischte hoch und raste in Sekunden über die Treppenstufen und verschwand im Erdgeschoß. Das Benzinrinnsal war dabei zur Lunte geworden, die unfehlbar zum Ziel hinführte.

Ein wilder Aufschrei!

Rander war schon wieder aus dem Keller und stand unten an der Treppe. Hoffentlich, so dachte er innerlich, kollert der Benzinkanister nicht herunter in den Keller. Dann war alles verloren.

Ohne diese Möglichkeit aber geduldig abzuwarten, öffnete er blitzschnell den Keller, in dem Mel und Hank saßen.

„’raus!?“ brüllte er seine Warnung den beiden verdutzten Gangstern zu, „’raus, schnell!“

Ohne sich dann um Mel und Hank zu kümmern, stürmte er über die rauchenden und brennenden Stufen nach oben, warf sich durch eine Flammenwand und erreichte den kleinen Korridor des Bungalows. Da seine Kleider Feuer gefangen hatten, blieb ihm keine Zeit, sich nach Gangstern und Mördern umzusehen. Er hatte nur ein Ziel: er mußte hinaus zum Bootssteg und sich ins Wasser werfen. Nur so konnte er seine heile Haut bewahren.

*

„Ziehen wir Bilanz“, sagte Mike Rander am anderen Morgen und ließ sich von seinem Butler den Kaffee servieren. „Wir haben auf der ganzen Linie sagenhaftes Glück gehabt!“

„Ich schließe mich nur zu gern Ihrer Betrachtungsweise an, Sir.“

Mike Rander und Josuah Parker befanden sich nach wie vor im gemieteten Bungalow, der erfreulicherweise nicht abgebrannt war, da der junge Anwalt nach dem Löschen seiner Kleider zwei Feuerlöscher bemüht hatte, um den Dielen- und Kellerbrand im Keim noch zu ersticken. Im Bungalow roch es zwar noch nach Rauch und Ferner, auch deutliche und ausgeprägte Brandspuren waren nicht zu übersehen, dennoch war der Bungalow bewohnbar geblieben.

Bevor Mike Rander sich weiter mit seiner Privatbilanz befassen konnte, läutete es an der Tür. Josuah Parker hob langsam den Kopf.

„Diesem stürmischen Läuten nach zu urteilen, Sir, dürfte es sich um Vertreter der zuständigen Behörden handeln.“

„Machen Sie schon auf, Parker! Ich bin gespannt, was die Polizei herausgefunden hat.“

Parker verschwand für ein paar Minuten. Dann kam er mit zwei Männern, die in Grau gekleidet waren. Es handelte sich um drahtige Männer, die einen energischen Eindruck machten. Einer von ihnen war etwa fünfzig, der zweite etwa fünfunddreißig Jahre alt.

„Ich bin Sheriff Anderson“, stellte der fünfzigjährige Mann sich vor und nickte Parker zu, „Mister Rander, wir haben uns ja in der vergangenen Nacht hier im Bungalow kennengelernt.“

„Und ich bin Assistent Ball“, stellte der fünfunddreißigjährige Mann sich vor und nickte dem Butler zu, „Mister Parker, wir sahen uns im Bootshaus, nachdem Halters angeschossen wurde.“

„Ich freue mich, Sie zu sehen, Sir.“ Parker nickte würdevoll.

„Fein, daß Sie gekommen sind.“ Mike Rander wies auf die freien Sessel, „Kaffee? Ich denke, wir haben noch genug, oder, Parker?“

„In der Tat, Sir, ich habe mir erlaubt, eine zusätzliche Menge Kaffees aufzugießen, zumal ich mit dem Besuch dieser beiden Herren fest rechnete.“

Während Parker den Kaffee aus der kleinen Küche holte, kam Sheriff Anderson sofort zur Sache.

„Diese beiden Gauner Mel und Hank sind leider wie vom Erdboden verschwunden“, berichtete er, „inzwischen werden sie längst wissen, daß ihr Boß Halters im Krankenhaus liegt und für die nächsten Wochen mehr als gründlich ausfällt. Ich fürchte, Mister Rander, im Moment ist da nichts für uns zu holen.“

„Was ich noch nicht einmal bedaure“, antwortete Mike Rander, „ich hatte schon Sorge, diese beiden Gangster Mel und Hank hätten mir ein Verfahren wegen Kidnapping angehängt. Immerhin hielten wir sie hier im Bungalow fest.“

„Davon weiß ich nichts, will ich auch nichts wissen, solange diese beiden Gauner den Mund halten“, meinte Sheriff Anderson großzügig. „Bleibt der Mord an Ben Lovell! Glauben Sie wirklich, daß er auf das Konto dieses Fielding kommt?

„Schwer zu sagen.“ Rander massierte sich das Kinn. Josuah Parker erschien mit dem Kaffee und servierte ihn formvollendet. Assistent Ball sah interessiert, fast hochachtungsvoll zu. Solch eine vollendete Zeremonie des Servierens hatte er wohl bisher noch nie erlebt.

„Halten Sie Fielding für schuldig?“ fragte Sheriff Anderson weiter.

„Halters hat immerhin mehr oder weniger deutlich zugegeben, daß er für Fielding arbeitet, daß Fielding also hinter den verlangten einhunderttausend Dollar steht. Kennen Sie Fielding, Sheriff?“

„Ball, jetzt sind Sie dran.“ Sheriff Anderson wandte sich an seinen Mitarbeiter. Ball räusperte sich und kam zum Thema.

„Larry Fielding ist ein, sagen wir, berüchtigter Bursche hier an der Küste“, berichtete Ball sachlich und präzise. „Wovon er lebt, wissen wir nicht. Er hat aber stets Geld und spielt den großen Mann. Wieso er ausgerechnet an Helen Manners geraten ist, bleibt mir vorerst ein Rätsel. Die ,schöne Helena‘ hätte sich einen besseren Mann aussuchen können.“

„Schöne Helena. Diesen Ausdruck habe ich schon mal gehört. Waren Sie es nicht, Parker?“

„In der Tat, Sir. Mister Halters sprach davon. In der Art und Weise, wie er diese Umschreibung zitierte, dürfte dieser Titel nicht nur eine Anerkennung enthalten haben.“

„Kennen Sie Miss Manners näher?“ Rander sah Ball aufmerksam an.

„Sie ist sehr eigenwillig und spielt in der Gesellschaft eine Rolle“, gab Ball zurück, „für die Eingeweihten war es wie eine kalte Dusche, als sie sich mit Fielding verlobte!“

„Können Sie das näher erläutern, Ball?“

„Nun, Miss Manners war mit jungen Leuten aus der ersten Gesellschaft liiert. Geld wäre zu Geld gekommen. Manners hat ja, was er will. Aber Fielding ist doch ein Nichts! Ich glaube, Helen Manners lernte ihn auf einer Party kennen!“

„Bleibt die Frage, wieso Fielding den Vater seiner Verlobten mit der Entführung Helens erpressen will. Immer vorausgesetzt, daß Halters und Fielding unter einer Decke stecken.“

„Das wäre zu erklären“, sagte Sheriff Anderson nachdenklich, „Fielding braucht Geld … Der alte Manners wird nichts herausgerückt haben. Also versucht Fielding, auf dem Umweg über dieses drohende Kidnapping an Geld zu kommen.“

„Wäre möglich“, meinte Anwalt Rander und nickte langsam, „Herbert Manners hängt an seiner Tochter, wie?“

„Und ob … Er vergöttert sie. Das ist allgemein bekannt.“

„Warum läßt er dann die geplante Heirat mit Fielding zu. Er muß doch wissen, was mit diesem Burschen los ist!“

„Ist anzunehmen.“ Sheriff Anderson zündete sich eine Zigarette an und trank von seinem Kaffee, „das ist der Punkt, über den ich nicht wegkomme!“

„Vielleicht, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis gestatten darf, kann Mister Manners es sich nicht leisten, gegen diese geplante Verbindung anzugehen.“ Parker stand dienstbereit seitlich neben der Tür. Er sprach gemessen, würdevoll und barock wie immer.

„Wie meinen Sie?“ erkundigte sich Ball, der Parkers Ausdrucksweise natürlich nicht kannte.

„Vielleicht besitzt Fielding irgendeine Handhabe gegen Herbert Manners“, erläuterte Rander lächelnd, „er kann damit Manners zwingen, der geplanten Heirat zuzustimmen.“

„Das wäre eine Möglichkeit“, sagte Sheriff Anderson und nickte heftig, „und Helen spielt mit, um ihren Vater nicht in Schwierigkeiten zu bringen.“

„Klingt logisch“, pflichtete Ball seinem Chef bei. „Nur, wenn Fielding Manners unter Druck setzen kann, warum zapft er ihm dann nicht direkt das benötigte Geld ab. Wäre doch ein Aufwaschen?“

„Ein Einwand, der zieht, finden Sie nicht auch.“ Anderson sah Parker und Rander fragend an.

„Vielleicht weiß er, daß Manners in diesem Punkt nicht mitspielen würde.“ Rander suchte, nach weiteren Gründen. „Vielleicht will Fielding auch den Schein waren. Vielleicht will er sich bei dieser Schönen Helena nicht völlig unbeliebt machen. Man müßte Fielding mal ordentlich in die Zange nehmen, Sheriff! In diesem Zusammenhang eine Frage: Wann ist Jeff Halters vernehmungsfähig?“

„In den nächsten zwei, drei Tagen bestimmt nicht. Ich habe bereits mit dem Arzt gesprochen. Aber auch danach ist es fraglich, ob er reden wird. Er weiß, daß es dabei um seinen Kopf geht. Eine Arbeitsgemeinschaft mit Fielding zum Zweck eines Kidnapping wird er niemals zugeben. Auch dann nicht, wenn Fielding tatsächlich auf ihn geschossen hat.“

„Richtig“, bestätigte Mike Rander, „solch ein Geständnis kann er sich nicht leisten. Und was ist mit Fielding?“

„Ein abgebrühter Bursche“, schaltete Ball sich ein, „freiwillig wird der niemals reden. Er hält sich nach wie vor in seiner Wohnung und bei den Manners’ auf, habe ich bereits feststellen lassen. Er gibt sich harmlos und gelassen.“

„Vielleicht scheucht ihn dieser Mann mit der Hüftverletzung auf“, warf Sheriff Anderson ein, „wenn man nur wüßte, wer dieser Mann ist. Eines steht fest, er arbeitet gegen Halters. Und damit ja wohl auch gegen Fieldings Interesse!“

„Dieser Mann ist leider verschwunden“, sagte Mike Rander halb ärgerlich, halb elegisch, „wir wissen nur, daß er bei Helen Manners war und von Fielding angeschossen wurde!“

„Es dürfte sich, wenn ich mich in aller gebotenen Bescheidenheit einschalten darf, um den Vertreter einer zweiten Gruppe handeln, die an einer Entführung von Miss Manners interessiert ist.“ Parker war die Würde und Gemessenheit selbst.

„Eine zweite Kidnapperbande?“ Ball schnappte nach Luft. Dieser Gedanke schien ihm noch nicht gekommen zu sein.

„Könnte sein“, sagte Sheriff Anderson vorsichtig, „aber diesen Mann werden wir bestimmt niemals Wiedersehen. Er weiß doch inzwischen, daß wir Miss Manners abschirmen. Ausgeschlossen, daß dieser ,schönen Helena‘ jetzt noch etwas passieren wird. Dafür wird schon Fielding sorgen. Ich wette, er läßt die goldene Gans nicht einen Moment lang aus den Augen!“

*

Parker inspizierte nach dem Weggang der beiden Behördenvertreter das frisch angelieferte Mietboot.

Es handelte sich um einen großen, starken Inborder, der zwei gut eingerichtete Kabinen auf wies. Weiterhin gab es an Bord eine kleine Pantry, in der Speisen angerichtet werden konnten. Frischwassertanks, ein kleiner Vorratsraum und ein bequemes Sonnendeck hinter dem Ruder und Motorstand vervollständigten die Einrichtung.

„Ich frage mich nur, was wir mit diesem Schlachtschiff anstellen wollen“, sagte Rander amüsiert. Er hatte Parker hinaus ans Boot begleitet und saß jetzt auf dem Sonnendeck in einem bequemen Korbsessel. „Aber ich sage Ihnen gleich, Parker, ich habe nichts dagegen, wenn wir ein paar nette Urlaubstage einschieben. Im Moment können wir doch nur warten. Die Ratten haben sich in ihre Löcher zurückgezogen. So schnell werden die sich nicht mehr blicken lassen.“

„Leider, Sir. Man müßte diese Ratten dazu bringen, freiwillig ihre Verstecke zu verlassen.“

„Das schaffen wir nicht, Parker. Machen wir uns nichts vor. Mel und Hank sind längst untergetaucht. Halters ist durch seine Verletzung handlungsunfähig. Und Fielding wird sich hüten, vorerst etwas zu unternehmen.“

„In der Tat, Sir.“

„Der geheimnisvolle Mann mit der Hüftverletzung ist ebenfalls wie von der Bildfläche verschwunden, Parker. Rechnen Sie wirklich damit, daß er noch einmal eingreifen wird?“

„Ich fürchte, ich muß diese Frage verneinen, Sir. Es sei denn …?“

„Es sei denn …?“ Rander schmunzelte, „wie ich Sie kenne, haben Sie natürlich wieder mal etwas ausgeheckt, oder?“

„Als ehrlicher Mensch möchte ich dies nicht abstreiten, Sir.“

„Darf man Einzelheiten erfahren?“

„Sir, ich möchte Sie damit auf keinen Fall belasten, zumal die Möglichkeit besteht, daß die Herren Anderson und Ball unwillig werden könnten.“

„Wie, bitte? Parker, lassen Sie die Finger von Heimlichkeiten! Ich bin heilfroh, daß Sheriff Anderson so großzügig ist und von unseren drei Gästen im Keller nicht mehr spricht. Fordern Sie ihn bloß nicht heraus!“

„Ich werde mich bemühen, Sir“, antwortete der Butler. „Ich darf aber vorausschicken, Sir, daß Sie mit meiner bescheidenen Wenigkeit später durchaus zufrieden sein werden.“

Mike Rander wollte antworten, doch er wurde abgelenkt. Auf dem Bootssteg, an dem der Kabinenkreuzer festgemacht war, erschien Besuch.

„Miss Manners?“ rief der junge Anwalt erstaunt aus, „das ist aber eine Überraschung.“

Sie sah bezaubernd aus und war wirklich die schöne Helena“, wie man sie nur zu gern nannte. Sie trug ungemein knappe Shorts, eine leichte Bluse und hochhackige, weiße Schuhe. Sie war sich ihrer Wirkung vollkommen bewußt.

„Darf man an Bord kommen?“ fragte sie.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen“, antwortete Rander und bemühte sich um Helen Manners. „Sind Sie allein?“

„Ich habe mich von meinen Bewachern abgesetzt“, gab sie lachend zurück, „diese Polizeidetektive gehen mir auf die Nerven. Die haben ja mehr Angst als ich.“

„Und Mister Fielding?“

„Wartet drüben im Auto. Ich habe von Sheriff Anderson gehört, daß sich einiges getan hat. Sie haben die Kidnapper erwischt?“

„Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit müssen Sie leider enttäuschen“, schaltete Parker sich ein, „wenn Sie erlauben, Sir, werde ich schnell für einige Erfrischungen sorgen!“

„Aber wir haben doch.“

„Gewiß, Sir, aber es handelt sich um Getränke, die ich Miss Manners unmöglich anbieten darf und kann. Innerhalb weniger Minuten werde ich mir erlauben, eisgekühlte Drinks zu servieren.“

Mike Rander verzichtete auf eine Antwort. Er wußte genau, daß alles an Erfrischungen an Bord war, was man sich nur wünschen mochte. Parker verließ das Boot also aus einem ganz bestimmten Grund. Aus einem Grund, über den er in Gegenwart der , schönen Helena“ nicht reden wollte.

„Ihr Butler ist ein Schatz“, sagte Helen Manners und ließ sich in einem der Decksessel nieder, „nur seine Redeweise geht mir auf die Nerven. Kann er nicht wie ein normaler Mensch reden?“

„Schon, aber dann wäre er nicht mehr Josuah Parker“, antwortete der junge Anwalt lächelnd, „ich merke es nicht mehr, wenn er seine Sätze drechselt“

*

Larry Fielding saß in seinem großen, offenen Wagen und wartete auf die Rückkehr seiner Verlobten.

Jetzt, wo er allein war, sah er nicht mehr strahlend und überlegen aus. Er rauchte hastig und nervös seine Zigarette und dachte angestrengt nach. Er machte sich Sorgen um seine augenblickliche Position. Es war nicht so gelaufen, wie er es sich gedacht hatte. Seit dem Auftauchen dieses Anwalts und des Butlers hatte er eigentlich eine Niederlage nach der anderen einstecken müssen.

Es war genauso, wie Parker es zuerst vermutet, dann aber praktisch bewiesen hatte. Halters und seine Mitarbeiter Mel, Hank und Lovell hatten für ihn gearbeitet. Der Gangsterboß lag nun schwer angeschossen in einem Krankenhaus. Er, Fielding, hatte auf ihn geschossen, um einen inzwischen gefährlich gewordenen Mitwisser auszuschalten. Mochte Halters das auch ahnen, sagen würde er gewiß nichts. Das konnte er sich einfach nicht leisten, sonst würde er sich ebenfalls den Behörden ausliefern. Mel und Hank stellten keine Gefahr dar. Sie wußten ja überhaupt nicht, daß es eine Zusammenarbeit zwischen ihrem Boß und ihm gegeben hatte.

Wer aber, so fragte Fielding sich seit einigen Stunden, mochte Lovell umgebracht haben? Halters? Das war mehr als fraglich. Warum hätte der Gangsterboß diesen Mann umbringen sollen? Weil Lovell immerhin wußte, daß Halters es auf Helen Manners abgesehen hatte? Lovell war schließlich in der Rolle eines Stromers auf dem Grundstück der Manners’ gewesen und hatte versucht, Helen zu entführen.

Fielding nahm sich vor, diese Frage früher oder später zu klären. Er wollte klarsehen, wollte wissen, was da im Hintergrund gespielt wurde. Wenn Halters nämlich nicht auf Lovell geschossen und ihn umgebracht hatte, wer mochte dann der Mörder sein?

Jener Mann etwa, den er in Helens Zimmer überrascht hatte? Jenen Mann also, den er an der Hüfte erwischt hatte? War dieser Mann ein Einzelgänger, der nur hatte stehlen wollen? Oder gab es da noch Zusammenhänge, die er jetzt noch nicht übersah? Gab es eine zweite Gruppe, die sich für Helen interessierte? Falls ja, welche Männer mochten diese Gruppe bilden? War es nicht mehr als ein Zufall, daß dann solch eine Gruppe ebenfalls versuchte, Helen zu kidnappen?

Fielding schnippte seine Zigarette durch das geöffnete Wagenfenster hinaus auf die Auffahrt und setzte sich zurecht. Ihm wurde immer bewußter, auf welch gefährliches Spiel er sich da eingelassen hatte. Und dabei hatte zu Anfang alles so wunderbar harmlos ausgesehen, war alles so einfach zu berechnen gewesen.

Wo blieb Helen? Fielding wußte nicht, was sie hier draußen bei diesem Anwalt wollte. Sie hatte darauf bestanden, daß er im Wagen zurückblieb. Fielding hatte sich gerade entschlossen, auszusteigen und nachzugehen, als seitlich neben dem Bungalow ein Mann erschien.

Er war mittelgroß, schlank und trug einen grünen Overall, wie Gärtner ihn verwenden. Auf dem Kopf dieses Mannes saß ein leicht ausgefranster Strohhut. In der rechten Hand hielt dieser Gärtner einen Rechen.

Er kam direkt auf den Wagen zu und zog dann höflich den Strohhut.

„He, hören Sie mal“, Fielding lehnte sich mit dem Oberkörper aus dem geöffneten Wagenfenster hinaus und winkte den Gärtner zu sich heran.

„Ja?“ fragte der Gärtner gedehnt. Er sprach in einem fast schaurigen Südstaatendialekt.

„Wollen Sie sich ein Trinkgeld verdienen?“ fragte Fielding weiter. Er wartete, bis der Gärtner den Wagenschlag erreicht hatte.

„Immer“, antwortete der Mann. Dann, bevor Fielding überhaupt merkte, was eigentlich passierte, hörte er ein scharfes Zischen und spürte gleichzeitig einen feuchten, nebelartigen Niederschlag auf seinem Gesicht.

Fielding schnappte nach Luft. Ihm wurde schlecht, er spürte, daß ihm die Sinne schwanden, wie es so treffend heißt, und anschließend rutschte er besinnungslos hinunter auf den Seitensitz.

Der Gärtner nickte zufrieden und machte sich daran, Larry Fielding im Kofferraum des Wagens zu verstauen.

*

Mike Rander und die ,Schöne Helena‘ gingen über den Bootssteg zurück zum Ferienbungalow. Helen Manners zeigte sich von ihrer charmanten Seite. Sie war aufgeschlossen, kokettierte ungeniert mit Mike Rander und schien jede Angst vor einem eventuellen Kidnapping verloren zu haben.

„Wir sollten uns öfter sehen“, sagte sie lächelnd, „an Ihrer Seite verliere ich jede Angst, Mister Rander.“

„Dann sind Sie besser dran als ich, Miss Manners“, erwiderte Mike Rander. Als sie ihn etwas überrascht und fragend anschaute, sagte der junge Anwalt schmunzelnd. „Mir scheint, daß Sie gefährlich sind. Oder es sein können. Wenigstens mir“

„Ein nettes Kompliment. Helen Manners strahlte Mike Rander an, und der Anwalt mußte zugeben, daß er noch nicht einmal sehr stark übertrieben hatte. Helen Manners besaß eine starke Ausstrahlung. Und gerade deswegen war es ihm wieder einmal unverständlich, wieso Fielding ihr Verlobter war.

„Woran denken Sie gerade?“ wollte sie wissen. Sie hatte den wechselnden Gesichtsausdruck von Rander bemerkt.

„An Ihren Verlobten Fielding“, sagte Rander offen. „Ich kann’s einfach nicht verstehen, warum Sie sich mit ihm verlobt haben. Verzeihen Sie mir meine Offenheit!“

„Schon geschehen“, gab sie zurück und wurde ernst, „aber bestehen Sie nicht darauf, daß ich Ihnen antworte.“

Mike Rander hätte dazu aber auch ohnehin keine Zeit gefunden, denn plötzlich trat hinter einem mannshohen Strauch eine Gestalt hervor, die an einen Gärtner erinnerte. Dieser Gärtner war jetzt völlig unrasiert und sah dazu noch ungepflegt und abgerissen aus. Er hielt einen Colt in der Hand, dessen Lauf auf den Anwalt gerichtet war.

„Keine Zicken!“ sagte der Gärtner mit harter Stimme, „ich werde sonst verdammt unangenehm.“

Helen Manners wich vor dem Gärtner unwillkürlich zurück und klammerte sich an Randers Oberarm fest.

„Umdrehen!“ sagte der Gärtner zu Helen und zu Rander. Dann, als Anwalt Rander diesem Befehl sofort nachkam, schlug er mit dem Lauf seines Colts zu.

Mike Rander fiel auf die Knie, wollte sich noch einmal erheben, schaffte es aber nicht mehr. Er sackte seitlich auf den Boden und blieb regungslos liegen.

Helen Manners schien den Befehl des Gärtners vergessen zu haben. Sie starrte auf den jungen Anwalt und wirkte wie versteinert.

„Los, ’rüber zum Boot!“ kommandierte der Gärtner.

„W … w … was wollen Sie von mir?“ stöhnte Helen Manners mit versagender Stimme, wie es sich für solche Situationen nun einmal gehört.

„Was wohl schon?“ gab der Gärtner zurück, „los, Mädchen, rühren Sie sich! Beeilung, wenn ich bitten darf!“

„Sind Sie von Roy …?“ fragte Helen und leckte sich die Lippen wie eine Katze.

„Na, und?“ Der Gärtner war nicht in Stimmung, Konversation zu machen. „Machen Sie endlich, ich habe keine Zeit! Jeden Moment können hier die Bullen auftauchen!“

Aber … ich … Roy hat doch gesagt.“

„Wird’s bald!“

„Nein!“ Helen Manners war nicht gewillt, die Einladung auf das Boot draußen am Steg anzunehmen. Sie stampfte mit dem linken Fuß auf den Boden und sah jetzt aus wie ein trotziges Kind. „Nein … es hat sich überholt. Hat Roy Ihnen nichts gesagt?“

„Dann eben nicht. Der Gärtner hielt plötzlich in der freien Hand eine Art Sprühdose, die allerdings nicht größer und dicker war als ein handelsüblicher Filzschreiber. Bevor Helen Manners eine schützende oder abwehrende Arm- und Handbewegung machen konnte, fühlte sie auf ihrer Gesichtshaut einen feuchten, nebelartigen Niederschlag, der ihr sofort den Atem benahm. Sie stöhnte leise, wurde schwach in den Knien und fiel anschließend haltlos in die vorsorglich ausgebreiteten Arme des Gärtners.

Dieser Gartenbauarbeiter trug sie schnell und kraftvoll hinüber zum Boot, brachte sie unter Deck, löste die beiden Leinen des Bootes, warf den Motor an und steuerte den Kabinenkreuzer hinaus in die Bay.

Weder Helen Manners, die noch tief und fest schlief, noch der Gärtner sahen Mike Rander, der sich gerade erhob, sich nachdenklich über den Kopf strich und kopfschüttelnd dem schnell davonjagenden Boot nachschaute.

*

„Nun haben die Kidnapper es also doch geschafft“, sagte Herbert Manners eine knappe Stunde später. Er saß im Salon seines großen Hauses und sah unbeweglich zum Fenster hinaus. Er hatte gerade von Mike Rander und Sheriff Anderson erfahren, was sich draußen am Ferienbungalow des jungen Anwalts zugetragen hatte.

„Es steht einwandfrei fest, daß Ihre Tochter und Fielding meine Beamten absichtlich abgeschüttelt haben“, antwortete Anderson, „absichtlich, Mister Manners, ich wiederhole das noch einmal …!“

„Ich mache Ihnen ja keine Vorwürfe. Herbert Manners drehte sich langsam um und machte eine müde Bewegung mit der Hand, „wenn Helen sich etwas in den Kopf setzt, führt sie es auch aus. Ich kenne doch meine Tochter.“

„Und die Entführer haben sich wirklich noch nicht gemeldet?“ wunderte Sheriff Anderson sich laut und sah Mike Rander dabei unsicher und irgendwie verstohlen an.

„Nein“, lautete Manners Antwort. „Bisher haben diese Leute sich nicht gerührt. Ich weiß aber, daß ich die verlangte Summe zahlen werde. Und daran wird mich kein Mensch hindern, verstehen Sie mich, Sheriff?“

„Sie wollen also, daß wir uns ’raushalten?“

„Richtig, Anderson! Ziehen Sie Ihre Leute zurück! Ich will nicht, daß die Polizei sich einmischt. Sie müssen mich verstehen … Das geht wirklich nicht gegen Sie … Im Grund bin ich eigentlich froh, daß die Würfel jetzt gefallen Bind. Jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin.“

„Okay, Mister Manners …! Sheriff Andersons war einsichtig und hatte Verständnis, „sollten Sie mich vielleicht doch noch brauchen, wissen Sie ja, wo ich zu finden bin. So long!“

Er nickte Manners und Mike Rander zu, um dann den Raum zu verlassen. Wenig später hörte man seinen Wagen, der sich schnell entfernte. Mike Rander hatte nun endlich Gelegenheit, sich mit Herbert Manners privat zu unterhalten, zumal Larry Fielding noch nicht eingetroffen war.

„An Ihrer Stelle, Mister Manners“, schickte er voraus, „würde ich mir nicht zu große Sorgen machen!“

„Versuchen Sie es erst gar nicht, mich trösten zu wollen.“

„Ich weiß sehr genau, was ich sage, Mister Manners …“

„Wie soll ich das verstehen?“ Manners war aufmerksam geworden und sah den jungen Anwalt prüfend an.

„Darüber werden wir gleich reden“, meinte Anwalt Rander, „vorerst liegt mir daran, mit Ihnen einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Kommen Sie!“

„Was soll das alles? Und das Telefon? Wenn die Kidnapper mich sprechen wollen?“

„Sie werden sich vorerst nicht melden. Verlassen Sie sich auf mich! Kommen Sie, Manners, draußen sind wir ungestört! Ich muß jetzt von Ihnen erst einmal ungeschminkt hören, was mit Fielding los ist.“

„Mit Larry? Warum fragen Sie nach ihm?“

„Weil Fielding mir nicht gefällt“, sagte Rander offen, als er zusammen mit Manners hinaus zum Swimmingpool „ich kann nicht verstehen, wieso Ihre Tochter sich an diesen Burschen gehängt hat.“

„Das ist doch wohl ihre eigene Sache, oder?“

„Machen Sie mir nichts, vor, Manners!“ Mike Rander schüttelte ernst den Kopf, „ohne zwingende Notwendigkeit würde Helen sich niemals diesem Burschen angeschlossen haben. Warum hat er Sie in der Hand?“

„Larry? Mich!? Sagen Sie, Rander, sind Sie verrückt?“

„Wahrscheinlich nicht, Manners. Ich wiederhole noch einmal, wieso hat Fielding Sie oder Ihre Tochter in der Hand? Womit zwingt er Ihre Tochter zur geplanten Heirat? Wenn ich Ihrer Tochter helfen soll, muß ich die ganze Wahrheit kennen.“

Herbert Manners antwortete nicht sofort. Er ging eine Weile schweigend neben Mike Rander her und rang mit sich, die Wahrheit zu bekennen. Sie schien ihm unangenehm genug zu sein. Schließlich aber kam er zu einem Entschluß.

Er deutete auf die Gartenstühle neben dem Umkleidezelt am Schwimmbecken und begann dann mit seiner Erklärung.

„Es stimmt, Fielding hat mich in der Hand“, sagte er in einem fast unbeteiligten Tonfall, als spräche er von einem anderen Menschen, „er hat mich in der Hand und zwar auf dem Umweg über Helen. Sie ist und war schon immer ein schwieriges Mädchen. Sehr impulsiv und auch, wenn ich ehrlich sein soll, sehr starrköpfig. Vielleicht habe ich mir niemals die Zeit genommen, mich um sie zu kümmern. Nach dem Tod ihrer Mutter lebte sie ihr eigenes Leben … und dieses Leben war nicht immer sehr korrekt.“

„Sie rutschte also zu irgendeinem Zeitpunkt aus, wie?“

„So ungefähr, Rander. Helen geriet in schlechte Gesellschaft, trieb sich mit Beatnicks herum und leistete sich einen Skandal nach dem anderen.“

„Können Sie nicht deutlicher werden?“

„Okay. Ich weiß, daß Sie darüber nicht reden werden. Ich habe Vertrauen zu Ihnen, Rander. Helen finanzierte LSD-Parties … Sie besorgte Marihuana und wurde dabei erwischt. Nur dank meiner Verbindungen konnte ich sie damals vor einer Anklage bewahren.“

„Bis Fielding sie in die Hand bekam, wie?“

„Richtig. Fielding weiß, daß Helen vor einigen Monaten während oder kurz nach solch einer Party einen Menschen getötet hat.“

„Wie bitte?“ Rander war ehrlich überrascht. Mit solch einer Enthüllung hatte er nicht gerechnet.

„Sie feuerte mit sogenannten Freunden irgendwo an der Küste in einem verschwiegenen Strandhotel. Auf der Rückkehr überfuhr sie einen Sportfischer.“

„Einen Sportfischer?“

„Der Mann angelte in einem Flußarm. Er saß in einem leichten Boot. Helen rammte ihn mit ihrem Außenborder, und der Mann ertrank. Ersparen Sie mir Einzelheiten, Rander!“

„Steht der Tod dieses Mannes einwandfrei fest?“ Rander war sehr hellhörig geworden.

„Eindeutig“, antwortete Herbert Manners, „irgendein Zweifel ist ausgeschlossen. Helen wußte genau, was passiert war.“

„Und Larry Fielding ebenfalls, ja?“

„Leider. Er befand sich an diesem frühen Morgen an Bord des Außenborders und überredete Helen, schnell weiterzufahren. Sie ging bedenkenlos darauf ein. Die Polizei nahm an, der Sportfischer sei von einem Feriengast hier an der Küste überrollt worden, fahndete nach Unbekannt und schloß schließlich die Akten. Fielding machte sich unentbehrlich. Er hatte die richtigen Leute an der Hand, die Helens Boot wieder aufpolierten. Und seit dieser Zeit hat er Helen und mich in der Hand. Einzelheiten können Sie sich ja leicht vorstellen.“

„So ungefähr, Manners. Sie sind niemals auf den Gedanken gekommen, zusammen mit Ihrer Tochter zur Polizei zu gehen?“

„Ich weiß, daß das ein Fehler war.“

„Ich bin nicht Ihr Richter!“ Rander hatte einen bitteren Geschmack im Mund. „Aber glauben Sie nur ja nicht, daß Sie sich vor Ihrer Verantwortung drücken können. Irgendwann werden Ihre Tochter und Sie Farbe bekennen müssen!“

„Es war bisher die Hölle! Überlegen Sie, Fielding wird Helen heiraten. Ich bekomme einen Schwiegersohn, den ich hasse, den ich nicht ausstehen kann!“

„Das kann ich zur Abwechslung mal gut verstehen“, entgegnete der Anwalt, „hat Fielding niemals versucht, Bargeld aus dieser Geschichte herauszuschlagen?“

„Nie. Hatte er ja auch nicht nötig. Nach der Heirat wäre er ja ein gemachter Mann gewesen. Er weiß ja, was Helen als Mitgift mitbekommt.“

„Na, ja … ein kleines Vorschußgeschäft hat er deswegen aber nicht abgelehnt“, meinte Rander nachdenklich. Als Manners ihn fragend ansah, machte Rander eine schnelle, ablenkende Handbewegung. „Später, Manners, später … bleiben wir erst mal bei dieser geplanten Heirat. War Helen damit sofort einverstanden?“

„Was sollte sie tun? Wenn Fielding redet, wandert sie ins Gefängnis. Sie mußte also auf Fieldings Idee eingehen. Und ich ebenfalls. Ich will nicht, daß meine Tochter eingesperrt wird. Die Angehörigen dieses toten Sportfischers leiden keine Not. Ich habe mich natürlich danach vorsichtig erkundigt. Der Tote war ein gut versicherter Geschäftsmann, der hier an der Bay seinen Urlaub verbrachte. Wem ist damit geholfen, wenn Helen eingesperrt wird?“

„Sie erlauben doch wohl, daß ich Ihrer Logik nicht folge“, sagte Mike Rander, „als Anwalt habe ich von der Gerechtigkeit eine andere Vorstellung. Noch einmal zu Helen, Manners. Hat Sie sich damit abgefunden, Fielding zu heiraten?“

„Was bleibt ihr denn übrig, Rander? Sie muß, wenn Sie nicht vor Gericht kommen will. Ich glaube aber, daß Sie Fielding haßt. Sie ist ein sehr selbstbewußtes, unabhängiges Mädchen. Offen gesagt, ich wundere mich noch immer, daß sie Fielding so ohne weiteres akzeptiert hat. Ich hatte schon Mord- und Totschlag erwartet.“

„Wieso?“

„Als Fielding mit seinem Vorschlag herauskam, Helen heiraten zu wollen, da hätte sie ihn am liebsten zuerst umgebracht. Sie ist sehr impulsiv. Erst als ich ihr gut zuredete, begriff sie, um was es ging. Erst danach willigte sie ein. Aber ich glaube, sie haßt ihn, und er weiß das auch.“

*

Helen Manners sah sich in der Kabine um.

Sie lag in einer der beiden Längskojen, richtete sich auf und strich sich ratlos über das Haar. Bis sie sich erinnerte, daß sie entführt worden war.

Sie schwang ihre Beine von der Koje herunter und lauschte nach oben. An Deck war alles ruhig. Nur das Schlagen der Wellen gegen den Schiffsrumpf erinnerte sie deutlich daran, daß sie nicht träumte.

Sie schaute durch eines der großen Bullaugen. Und staunte. Das hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Das Boot, auf dem sie sich befand, war an einem schmalen, reichlich brüchigen und zerfallenen Steg festgemacht worden. Dieser Steg gehörte zu einem einfachen, flachen Haus, das wie eine Fischerhütte aussah. Dichtes Unterholz, Wald und nackter Fels bildeten die Umgebung. Helen ahnte, daß die Entführer sie in ein sicheres Versteck gebracht hatten.

Sie erinnerte sich deutlich an den Gärtner, der sie außer Gefecht gesetzt hatte. War dieser Mann oben an Deck? Hatte sie eine Chance, ihn auszuspielen?

Helen sah an sich herunter. Sie trug nach wie vor die knappen Shorts, die leichte, offene Bluse und die hochhackigen Schuhe. Sie lächelte unwillkürlich. Wie unter einem inneren Zwang ging sie hinüber zur geschlossenen Schiebetür, öffnete sie und stieg dann wie selbstverständlich über den schmalen Niedergang hinauf an Deck.

Völlig verdutzt und verblüfft blieb sie auf den oberen Stufen stehen.

„Sie?“ fragte sie dann gedehnt und hätte sich am liebsten die Augen gerieben.

„Ich darf mir höflichst gestatten und erlauben, Sie an Bord der ,Nike‘ zu begrüßen“, sagte Josuah Parker und lüftete seine schwarze Melone, „ich darf ferner hoffen, daß Sie einen guten Schlaf hatten, Madam?“

„Sie?“ wiederholte Helen Manners noch einmal, „ich verstehe nicht. Wieso sind Sie an Bord?“

„Dies, Madam, ist eine recht lange Geschichte, die ich Ihnen aber auf Wunsch gern erzählen werde.“

Helen Manners betrat das Deck und warf sich in einen Deckstuhl.

„Haben Madam irgendwelche Wünsche? Das Frühstück ist in wenigen Minuten serviert. Ich habe mir erlaubt, die erforderlichen Vorbereitungen bereits zu treffen.“

„Einen Drink könnte ich jetzt vertragen“, antwortete Helen Manners und strich sich über das Haar, „haben Sie diesen fürchterlichen Burschen schon aufgespürt und in die Flucht geschlagen?“

„Wie meinen, Madam?“

„Ich rede von dem Individuum, das mich entführt hat.“

„Dieses Individuum, Madam, von dem Sie zu sprechen belieben, befindet sich nach wie vor an Bord.“

„Woher wußten Sie, wo ich festgehalten wurde? Ich muß schon sagen, Sie haben sehr schnell geschaltet, Parker.“

„Das war, um ehrlich zu sein, Madam, nicht sonderlich schwer. Seit Ihrer sogenannten Entführung, Madam, befand ich mich stets in unmittelbarer Nähe Ihrer geschätzten Person.“

„Ja, wie denn?“ Sie wußte nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Sie hatte noch immer nicht begriff en.

„Das bewußte Individuum, Madam, von dem Sie sprechen, war und bin ich!“

„Sie, Parker? Ausgeschlossen! Was soll dieser Unsinn?“

„Ich hoffe, Madam, Sie können einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann noch einmal verzeihen. Ich darf wiederholen, das bewußte Individuum war und bin ich. Ich hatte mir erlaubt, ein wenig Maske zu machen.“

„Dann haben also Sie mich entführt?“

„In der Tat, Madam!“

„Das ist doch …!“ Helen Manners schluckte eine scharfe Antwort hinunter und brauchte einige Sekunden, bis sie sich wieder gefaßt hatte. „Warum haben Sie mich in dieser scheußlichen Maske gekidnappt?“

„Um Ihre Sicherheit garantieren zu können, Madam.“

„Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.“

„Nun, ich war, um offen zu sein, der hoffentlich richtigen Ansicht, daß die wirklichen Kidnapper umdisponieren müssen, falls sie noch an einem Geschäft interessiert sind!“

„Ah, jetzt geht mir ein Light auf.“ Helen Manners lächelte. Sie hatte sofort verstanden, „das hier soll eine Falle sein, wie? Sie wollen die wirklichen Kidnapper aus ihrer Reserve herauslocken. Aber wie?“

„Es geht darum, Madam, die echten Kidnapper für ein Geschäft zu interessieren. Während diese Gesetzesübertreter mit meiner bescheidenen Person verhandeln, befinden Sie sich hier an Bord in Sicherheit.“

„Wissen Sie denn, wer die wirklichen Kidnapper sind? Darauf kommt es doch wohl an, wie?“

„Ich … ahne es, Madam. Und ich hoffe, daß ich Wege und Mittel finden werde, um diese Herren überzeugen zu können, daß ich über Sie verfügen kann. Nun hängt alles davon ab, ob Sie mitspielen wollen, Miss Manners.“

„Aber selbstverständlich. Weiß mein Vater Bescheid?“

„Bisher noch nicht.“

„Mister Fielding?“

„Auch Mister Fielding konnte ich bisher nicht verständigen, aber das alles läßt sich ja gewiß nachholen, denke ich. Wenn Sie das möglicherweise übernehmen würden, Madam? Drüben vom Haus aus könnten Sie diese beiden Anrufe erledigen.“

„Seit wann befinde ich mich an Bord?“

„Seit fast zwei Stunden. Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, so sollten Sie die beiden Anrufe nicht länger hinauszögern. Ihr Herr Vater und Ihr Verlobter könnten sich sonst beunruhigen.“

„Okay, Parker.“ Helen Manners erhob sich und lächelte, „mit solch einem Abenteuer hätte ich nicht gerechnet. Aber ich mache mit! Ich will endlich wissen, wer mich entführen will. Hoffentlich klappt Ihr Plan.“

„Dessen, Madam, bin ich fast sicher.“

*

„Bitte, Madam, das Telefon!“

Parker hatte Helen Manners hinüber zum vergammelt aussehenden Fischerhaus am Ende des Bootsstegs begleitet und öffnete die Tür zu der kleinen Wohnhalle.

Im Innern dieses Hauses sah es sauber und aufgeräumt aus. Auf einem Wandschrank stand das Telefon.

„Klappt es auch?“ fragte Helen ungläubig.

„Selbstverständlich, Madam. Ich mietete ein Haus, in dem Sie sich wohlfühlen werden, falls Sie darauf bestehen, hier zu wohnen. Sie können selbstverständlich auch wieder zurück an Bord. Ich richte mich völlig nach Ihren Wünschen.“

Helen wählte die Nummer ihres Vaters und setzte ihm knapp auseinander, was sich ereignet hatte und wo sie sich befand. Dann schien sie eine Frage bekommen zu haben. Sie wandte sich schnell zu Parker um, der den Raum diskret, wie er es nun einmal war, verlassen wollte.

„Wo sind wir hier eigentlich?“ fragte sie dann, „mein Vater möchte es genau wissen!“

„Oh, ich vergaß. Auf der Südseite von Long Point. Unmittelbar hinter dem alten Leuchtturm, Miss Manners. Darf ich Sie bitten, Ihrem Herrn Vater meine respektvollen Grüße auszurichten?“

Helen lächelte und setzte ihrem Vater auseinander, wo sie sich befand.

„Nein“, sagte sie, nachdem sie einen Moment zugehört hatte, „du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Ich bin hier vollkommen sicher. Ich könnte mir keinen besseren Beschützer wünschen. Mister Parker meint, daß die Kidnapper ihm in die Falle gehen werden. Wirklich, Daddy, sorg’ dich nicht. Wie bitte, natürlich … ich bin wirklich freiwillig hier. Möchtest du Mister Parker sprechen?“

Sie sah sich nach dem Butler um, doch Josuah Parker hatte das kleine Haus inzwischen verlassen. Helen Manners konnte ihn durch das Fenster sehen. Parker stand auf dem Steg und wartete respektvoll auf die Rückkehr seines Schützlings.

„Er wird dich später anrufen“, sagte sie daher, „mach’ dir keine Sorgen. Es ist alles in bester Ordnung.“

Sie legte auf, sah noch einmal durch das Fenster und wählte dann eine andere Nummer.

Diesmal sprach sie schnell und hastig. Sie brauchte nur knapp eine halbe Minute, um das zu sagen, was sie zu sagen hatte. Dann legte sie auf und wählte eine dritte Nummer. Sie lächelte, als sie dabei zum Fenster hinausschaute. Parker schlenderte gerade zurück zum Haus.

„Hallo, Larry!?“ rief sie etwas zu laut, „fein, daß ich dich erreiche. Natürlich hast du dir Sorgen gemacht. Ich glaube Dir jedes Wort. Ich bin mit Butler Parker unterwegs, den du ja wohl kennst. Wir sind hier draußen am Long Point in einem Fischerhaus, ganz in der Nähe des alten Leuchtturms. Warum? Das kann ich dir jetzt nicht auseinandersetzen. Daddy weiß Bescheid. Parker möchte die Kidnapper herausfordern und anlocken. Wie er das schaffen will? Keine Ahnung! Nein, alles in bester Ordnung. Ich melde mich wieder. Bis dahin!“

Sie legte auf und nickte Parker zu, der nach kurzem Anklopfen eintrat.

„So“, meinte sie, „Mein Vater und mein Verlobter wissen jetzt Bescheid. Ich glaube, wir gehen wieder zurück an Bord, was meinen Sie? Sind wir dort sicherer?“

„Ich möchte es meinen, Madam. Zur Not kann man sich immer noch auf dem Wasserweg empfehlen, falls die Lage es erfordert. Möchten Sie schon vorausgehen?“

„Ich warte lieber auf Sie“, sagte Helen Manners, „so ganz wohl fühle ich mich doch nicht. Sagen Sie, Parker, wußte Ihr Herr eigentlich Bescheid?“

„Selbstverständlich, Madam, wenn auch mit einer gewissen Verspätung.“

„Verspätung? Wie soll ich das verstehen?“

„Erst als ich Mister Rander in der Maske des Gärtners niederschlug, wußte mein junger Herr Bescheid“, erläuterte der Butler würdevoll, „ich deutete diesen Niederschlag selbstverständlich nur an.“

„Gut. Aber wie sollen die wirklichen Kidnapper nun erfahren, daß die Konkurrenz schneller war?“

„Man wird Mittel und Wege finden, die dies gewährleisten“, antwortete der Butler ausweichend. „Sie können sich, dessen möchte ich Sie versichern, fest auf meine bescheidene Person verlassen. Ich hoffe dabei zusätzlich, daß meine Pläne und Absichten Ihren Wünschen entsprechen werden.“

*

Es war dunkel geworden.

Josuah Parker saß an Deck des Kabinenkreuzers und rauchte eine seiner spezialangefertigten Zigarren.

Ein Moskitoschwarm versammelte sich in einem verrotteten Strauch unmittelbar am etwas brackigen Wasser und beratschlagte, wie man dieses Opfer drüben auf dem Boot am besten konzentrisch angreifen konnte. Dieses Opfer sah ungemein verlockend aus. Die Moskitos konnten es kaum erwarten, sich auf diesen Leckerbissen zu stürzen.

Sie einigten sich darauf, ihren Schwarm in drei Geschwader auf Zuteilen. Der erste Schwarm sollte die Aufmerksamkeit des Opfers erregen und es ablenken. Die beiden anderen Schwärme wollten anschließend von der linken Flanke und van hinten aus das Opfer überraschen und bis auf den letzten Blutstropfen aussaugen.

Diese Überlegungen waren nicht ungeschickt. Sie entsprechen alter Moskitotradition und hatten sich bisher immer noch als äußerst erfolgreich erwiesen.

Man verglich so etwas wie die allgemeine Uhrzeit, einigte sich auf eine X-Zeit und trennte sich. Während der Schwarm für den Frontalangriff noch etwas verharrte, strebten die beiden anderen Moskitogeschwader mit Höchstgeschwindigkeit in ihre Ausgangsstellungen.

Parker ahnte selbstverständlich von alledem überhaupt nichts. Er beobachtete das dunkler werdende Ufer und fragte sich, wann Fielding wohl erscheinen würde.

Der Butler rechnete fest damit, daß Fielding versuchen würde, sich in den Besitz seiner Verlobten zu setzen. Helen Manners, die schöne Helena, bedeute immerhin 100 000 Dollar. Soviel Geld ließ Fielding sich bestimmt nicht entgehen.

Seine Taktik, die wohl aus einem gewissen Zwang heraus geboren worden war, lag eindeutig auf der Hand. Gewiß, er würde nach seiner Hochzeit mit Helen Manners viel Geld bekommen, doch wußte er mit letzter Sicherheit, ob es dazu überhaupt kam? Fielding brauchte Geld, und zwar unmittelbar und sofort. Brachte er Helen in seinen Besitz, konnte er sofort 100 000 Dollar kassieren. Es war selbstverständlich, daß Helen und ihr Väter dann nicht wissen durften, daß er, Larry Fielding, hinter diesem Kidnapping stand.

Nachdem Fielding und sein Partner Halters bisher nichts erreicht hatten, nachdem Helen nun im Grunde leicht zu erreichen war, würde Fielding sich beeilen, den Entführungsversuch zu wiederholen.

Diesmal aber mußte Fielding seine Reserve verlassen. Halters lag im Spital, Lovell war erschossen, und Hank und Mel, die beiden Mitarbeiter von Halters, hatten sich abgesetzt. Hielten sie sich überhaupt noch hier in der Gegend auf? Hatten sie es nicht vorgezogen, einen anderen Bundesstaat aufzusuchen? Parker war gespannt, wie Fielding vorgehen würde. Er mußte alles daransetzen, daß Helen niemals erfuhr, von wem sie entführt worden war.

Parkers Ohren registrierten in diesem Stadium seiner Überlegungen ein anschwellendes Sirren, das irgendwie unheimlich wirkte. Zuerst dachte er an einen hochtourigen Außenborder, der mit Höchstgeschwindigkeit die Bay befuhr. Dann, für einen kurzen Moment, glaubte er an einen Wagen. Dann aber, ehrlich überrascht, nahm er das Moskitogeschwader zur Kenntnis, das aus der langsam aufsteigenden Dunkelheit heraus zu einem Frontalangriff ansetzte.

Parker setzte sich zur Wehr.

Er sog an seiner schwarzen Zigarre, die von seinem jungen Herrn stets gemieden wurde. Dann genoß er einen kurzen Moment das feine Aroma und blies den Rauch zentral in die Formation hinein.

Der Erfolg war frappierend.

Die Geschwaderführung wurde voll erwischt, verlor augenblicklich die Orientierung und hatte mit Luftschwierigkeiten zu kämpfen. Bevor entsprechende Anweisungen an die Mitmoskitos gegeben werden konnten, züngelte weiterer Zigarrenqualm in dos Geschwader hinein, das daraufhin sofort in große Unordnung geriet.

Es gab die ersten Abstürze und Bauchlandungen. Die verwirrten Moskitos prallten mit ihren sirrenden Flügeln gegeneinander und behinderten sich. Nachdem Parker zum dritten Mal eine Dosis Zigarrenrauch ausgestoßen hatte, drehte, das bereits heftig dezimierte Geschwader ab und sirrte völlig verwirrt zum Brackwasser zurück.

Die beiden übrigen Geschwader, die nicht mehr gewarnt werden konnten, flogen ahnungslos und direkt in eine Abwehrfront, die Parker mittels dicker Qualmwolken aufrichtete.

Auch hier tat sich Fürchterliches.

Die beiden Moskitogeschwader flogen in die Rauchfalle. Die Angreifer wurden auseinandergerissen, kollidierten und stürzten reihenweise ins Wasser, wo interessierte Fische bereite ungeduldig warteten. Kurz, nach wenigen Sekunden war der Angriffsplan gebrochen. Die Moskitos traten taumelnd und unsicher den Rückflug an und waren sich klar darüber, daß ihnen so etwas noch nie passiert war.

Parker hatte das überhaupt nicht mitbekommen.

Er rauchte genußvoll, blies den Zigarrenrauch verteilt in die Dämmerung hinein und beschäftigte sich wieder mit seinem Problem. Er hatte nicht die geringste Ahnung, daß er gerade eine Luftschlacht eindeutig gewonnen hatte.

Plötzlich beugte er sich etwas vor.

Aus dem kleinen Kofferradio, das nicht größer war als eine Zigarettenschachtel, kam ein feines Piepsen. Dieses Spezialgerät kündigte heimlichen Besuch an. Es übernahm und verstärkte die Impulse von kleinen kirschgroßen Mikrosendern, die der Butler um das Fischerhaus herum verteilt hatte.

Der Fall der „Schönen Helena“ trat somit in ein entscheidendes Stadium!

*

Parker begab sich nach unten in die erste Kabine.

Helen Mannes lag in einer der beiden Kojen. Sie schlief, was übrigens kein Wunder war. Sie schlief sogar tief und fest und merkte überhaupt nicht, daß sie besucht wurde. Was ebenfalls kein Wunder war, denn Parker hatte Mir sicherheitshalber ein leichtes, harmloses Schlafmittel in den abendlichen Tee gemischt.

Der Butler öffnete seinen Spezialkoffer und zog eine kleine Stahlflasche hervor. Über die schlanke Spitze dieser Stahlflasche, die nicht größer war als eine kleine Spraydose stülpte er eine Art Handschuh. Er drehte den Verschluß der Flasche auf und nickte andeutungsweise, als ein feines, hohes Zischen zu vernehmen war. Der Handschuh füllte sich augenblicklich mit Treibgas und weitete sich innerhalb weniger Sekunden zu einer Figur aus, die der eines Menschen in Größe und Breite völlig entsprach. Diese Figur war bereits voll bekleidet. Auf dem gummierten Stoff war ein schwarzer Zweireiher aufgemalt. Im Dämmerlicht des Tages sah diese Gummigestalt wie Parker aus. Die Übereinstimmung war verblüffend. Selbst die schwarze Melone fehlte nicht.

Parker trug diese Gestalt über den Niedergang hinauf an Deck und stellte sie geschickt auf. Vom nahen Ufer und Fischerhaus aus mußte man den Eindruck gewinnen, daß ein Mann namens Josuah Parker auf den oberen Stufen des Niedergangs stand und das Ufer beobachtete.

Parker selbst blieb nicht an Bord.

Er hatte die Deckstühle und den Tisch so geschickt aufgestellt, daß er ungeniert von Bord gehen konnte. Natürlich von der Seite, die dem Steg abgewendet war. Der Butler stieg in ein kleines Schlauchboot über und tauchte das Stechpaddel ins Wasser. Dann paddelte er kraftvoll, lautlos und geschickt auf einen Baumstamm zu, der quer im Wasser lag. Das noch dichte, gut erhaltene Geäst schuf eine erstklassige Tarnung. Er kam so ungesehen ans Ufer und baute sich hier interessiert auf.

Lange brauchte er nicht zu warten.

Das kleine Empfangsgerät in seiner Jackettasche zirpte und piepte wie ein kleiner munterer Vogel. Der oder die Besucher waren bereits erheblich näher gekommen. Jetzt mußte sich bald zeigen, um welche Zaungäste es sich da handelte …

*

Fielding hatte den Butler ausgemacht. Der Verlobte der ,Schönen Helena‘ stand an der Ecke des kleinen Fischerhauses und beobachtete seinen Gegner. Fielding hielt ein Gewehr in der Hand, auf das er ein Zielfernrohr geschraubt hatte.

Er grinste unverhohlen.

Genau so hatte er sich das hier in der Nähe des Leuchtturms vorgestellt. Parker bewachte seine Verlobte, aber er ahnte natürlich nicht, daß er gleich ins Fadenkreuz seines Zielfernrohrs wandern würde.

Fielding zögerte nicht lange. Er wollte gewisse Dinge so schnell wie möglich hinter sich bringen. Für sein Gefühl wurde es höchste Zeit, 100 000 Dollar in die Hand zu bekommen. Dazu mußte er Helen in seine Hand bringen. Nur auf diesem Umweg ließen sich gewisse Dinge auch für die Zukunft regeln.

Fielding hatte sich für seinen nächtlichen Ausflug zurechtgemacht. Er trug im Gegensatz zu seiner sonstigen, teuren, wenn auch auf Pump gekauften Kleidung Räuberzivil. Um seinen Hals lag ein abgeschnittener Nylonstrumpf, den er sich in dem Moment über das Gesicht ziehen wollte, wenn er seiner Braut gegenüberstand. In seiner Tasche befand sich in einer Blechdose eine zwar alte, aber noch gebrauchsfähige Rekordspritze. Der Inhalt dieser Spritze reichte aus, Helen für wenigstens einen Tag in Tiefschlaf fallen zu lassen.

Fielding hob das Gewehr und ließ sein Ziel ins Fadenkreuz wandern. Er nahm sich Zeit und überhastete nichts. Der erste Schuß mußte bereits zu einem tödlichen Treffer werden. Er traute diesem Butler Parker nicht über den Weg. Er wußte inzwischen, wie listenreich und gefährlich dieser Mann war.

Es war soweit!

Fielding nahm Druckpunkt, korrigierte ein wenig die Seite … zog den Stecher sanft durch. Das Gewehr bäumte sich in seinen Händen auf. Peitschend kam der Schuß aus dem Lauf. Und verwandelte sich in Sekundenbruchteilen in einen lauten, explosionsartigen Knall. Was durchaus verständlich war, da Josuah Parkers Zweitausgabe auseinandergeplatzt war.

*

Im Original aber stand Parker inzwischen auf gleicher Höhe mit Fielding. Der Butler verschmähte seine Schußwaffe. Sie benutzte er immer nur dann, wenn es sich überhaupt nicht mehr anders einrichten ließ.

Hier und jetzt bediente er sich seiner zusammenlegbaren Gabelschleuder, in deren Lederschlaufe ein handlicher Kieselstein lag. Parker strammte die beiden Gummis, visierte seinen Gegner an und schickte durch jähes Loslassen der Lederschlaufe den Stein auf die Luftreise.

Lautlos brach Fielding im sich zusammen. Er hatte wohl überhaupt nicht mitbekommen, was ihn da von den Beinen gebracht hatte.

Parker ging gemessen, fast würdevoll zu Fielding hinüber und kümmerte sich um den Verlobten der „Schönen Helena“. Er untersuchte die Beule, die sich bereits seitlich am Hinterkopf des Mannes bildete, lud sich anschließend den Mann auf die Schulter und trug ihn über den Laufsteg an Bord des Kabinenkreuzers. Nachdem er Fielding Handschellen angepaßt hatte, ließ Parker sich in einem Deckstuhl nieder und wartete auf das Erwachen seines zweiten Bordgastes.

Fielding stöhnte, als er soweit war. Dann kam er ohne jeden Übergang zu sich und starrte den Butler völlig verdutzt an. Er wollte jäh aufspringen, doch er rutschte auf schwachen Knien wieder in sich zusammen und entdeckte bei dieser Gelegenheit die Handschellen an seinen Gelenken.

„Ich hoffe, daß ich Sie nicht zu sehr inkommodiert habe“, begann Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art, „ich sah mich leider gezwungen, Sie außer Gefecht zu setzen, Mister Fielding.“

„Was … was sollen die Handschellen?“ Fielding sprach leise, als habe er Kopfschmerzen, was nur zu verständlich gewesen wäre.

„Mir ging es darum, einen weiteren Mordversuch zu verhindern. Übrigens möchte ich Ihnen mein Kompliment aussprechen, Mister Fielding … Sie haben meinen Doppelgänger erstaunlich gut getroffen, wenn man das an sich bereits schwache Büchsenlicht berücksichtigt.“

„Ich … ich soll auf Sie geschossen haben?“ Fielding war wach geworden und sah den Butler konsterniert an. „Wie kommen Sie denn darauf? Sie müssen sich irren, Parker.“

„Es gibt einige Infrafotos, die ich im entscheidenden Moment anfertigte, Mister Fielding“, erwiderte der Butler, „aber halten wir uns nicht mit diesen Kleinigkeiten und Feinheiten auf … Mir scheint, daß Sie Ihr Spiel verloren haben!“

„Wovon reden Sie eigentlich?“

„Von Ihrem Entführungsversuch an Miss Manners. Damit dürften gewisse 100 000 Dollar für Sie in weite Ferne gerückt sein.“

„Ich … ich habe niemals versucht, meine Verlobte zu entführen. Warum sollte ich auch?“

„Schulden, würde ich mir erlauben zu sagen! Gier nach Geld! Ungeduld! Meiner bescheidenen Person reichen diese Motive, der Polizei werden Sie allerdings detaillierter berichten müssen.“

„Sie … Sie wollen mich der Polizei übergeben, Parker? Das würde ich mir an Ihrer Stelle aber sehr gründlich überlegen. Sie arbeiten immerhin für die Manners!“

„In der Tat, Mister Fielding.“

„Dann sollten Sie diese Familie auch schützen. Wenn Sie mich der Polizei übergeben, wird die Familie Manners ihr blaues Wunder erleben!“

„Ah, ich glaube zu verstehen. Mister Rander informierte mich bereits per Telefon. Mein junger Herr unterhielt sich ausgiebig und rückhaltslos mit Mister Manners.“

„Hoffentlich hat Manners’ Ihrem Chef nichts verschwiegen.“

„Keineswegs, Mister Fielding. Mister Rander und meiner bescheidenen Wenigkeit ist inzwischen bekannt, daß Miss Manners einen Todesfall verschuldete, begangen an einem Sportfischer. Sie benutzten diese Tatsache zu einer gewissen Erpressung!“

„Das hat Manners alles erzählt? Er muß verrückt geworden sein!“

„Die Darstellung Mister Manners entspricht also den Tatsachen?“

„Und ob, Parker. Wenn ich auspacke, wandert Helen ins Gefängnis.“

„Wenn Sie hingegen weiter geschwiegen hätten, wären Sie zumindest der unwillkommene Ehemann von Miss Manners geworden, nicht wahr?“

„Immer noch besser als Bau, oder?“ Fielding grinste zynisch.

„An Miss Helenes Stelle würde ich Bau vorziehen, um in Ihrer Terminologie zu sprechen. Aber das dürfte wohl Geschmackssache sein.“

„Sie können mich nicht beleidigen. Ich wiederhole noch einmal, falls Sie mich der Polizei übergeben, packe ich aus! Das ist keine leere Drohung!“

„Davon bin ich inzwischen fest überzeugt. Warum, wenn ich fragen darf, wollen Sie dieses zusätzliche Erpressergeschäft mit der Entführung Ihrer Verlobten aufziehen?“

„Warum wohl?“ Fielding grinste und räkelte sich jetzt im Deckstuhl bequem zurecht, „weil ich Geld brauchte. Viel Geld. Schließlich hat man so seine Verpflichtungen. Bis zur Hochzeit konnte ich nicht mehr warten. Und Helen spuckte keinen Cent mehr aus.“

„Sie sind also zwischenzeitlich mit kleineren Geldbeträgen bedient worden?“

„Darf man von seiner Verlobten und von seinem zukünftigen Schwiegervater kein Geld nehmen, he?“ Fielding lachte. Er fühlte sich als Herr der Situation, glaubte sich völlig sicher. „Natürlich habe ich so zwischendurch kleinere Darlehen und Vorschüsse auf die Mitgift bekommen, aber das reichte doch nicht vorn und hinten. Ich brauchte eine richtige Menge, mit der sich etwas anfangen ließ.“

„Und diese Quellen flössen nicht mehr?“

„Genau, Parker. Helen bekam von ihrem Vater nur noch ein Taschengeld. Für meine Zwecke viel zu wenig. Daher diese Kidnappergeschichte.“

„In die sich doch, wenn ich recht vermute, eine Konkurrenzgruppe einschaltete, nicht wahr?“

„Stimmt!“

„Es handelt sich um den Mann mit der Hüftverletzung, die auf Ihr Konto ging!“

„Ja, erstaunlich, daß noch andere Leute diese goldene Gans rupfen wollen, wie?“ Fielding lachte wieder zynisch auf und schien sich zu amüsieren.

„Sie ahnen nicht, um welche Konkurrenzgruppe es sich handeln könnte?“

„Keine Ahnung, ist aber auch nicht mehr so wichtig. Dieser Bursche läßt sich bestimmt nicht mehr sehen.“

„Unterschätzen Sie diesen Burschen vielleicht doch? Sie gestatten, daß ich zu diesem Ausdruck greife, der mir im Grund meines Wesens zuwider ist.“

„Soll ich ihn etwa überschätzen?“

„Er hat immerhin Mister Halters Mitarbeiter Lovell ermordet, wenn Sie sich recht erinnern. Falls Sie es nicht gewesen sind! Wie im Falle Halters, den Sie ja lebensgefährlich verletzten!“

„Den Schuß auf Halters müssen Sie mir erst nachweisen! Ich habe aber ganz sicher nicht auf Lovell geschossen! Bestimmt nicht!“

Während Fielding redete, wurde seine Stimme leiser und nahm einen nebulösen Unterton an. Er schien plötzlich über diesen Mord nachzudenken, was er wohl bisher noch nicht getan hatte.

Bevor Josuah Parker weitere Fragen zu stellen vermochte, beendeten zwei schallgedämpfte Schüsse die Konversation. Fielding stöhnte, faßte nach seiner Brust und blieb dann röchelnd im Deckstuhl liegen.

Parker verspürte einen ungemein harten Schlag gegen die linken Rippen. Ihm wurde schwarz vor Augen. Er kämpfte einen kurzen Moment gegen eine Ohnmacht an, verlor dabei auf der ganzen Linie und streckte sich ebenfalls in seinem bequemen Stuhl aus.

*

Als Parker wieder zu sich kam, hatte die Lage sich grundlegend verändert. Er blinzelte in ein grelles Licht, merkte, daß man ihm Hände und Füße zusammengeschnürt, hatte und wußte, daß er sich in der Gewalt eines gefährlichen Gegners befand.

„Arbeiten Sie immer mit einer Schußweste?“ fragte eine ironische Stimme, die einem Mann gehörte, „Sie sind noch raffinierter, als ich dachte, Parker.“

„Man soll nichts verschmähen, was der Verlängerung des, Lebens dient“, erwiderte Parker, „ich darf annehmen, daß ich es mit dem Vertreter der Konkurrenz von Mister Halters zu tun habe, ja?“

„Richtig, Parker. Mit mir haben Sie nicht gerechnet, was?“

Deckenlicht flammte auf. Parker sah sich ungeniert um. Er befand sich in der zweiten Kabine, die wesentlich kleiner als die erste war. Sie befand sich im Bug des Kabinenkreuzers und stellte wegen der sehr kleinen Bullaugen ein ideales Gefängnis dar.

Neben der Koje stand der Mann mit dem Dutzendgesicht und der bereits bekannten Hüftverletzung. Er machte einen aufgekratzten Eindruck und schien seine Verletzung bisher gut überstanden zu haben.

„Mit wem, wenn ich fragen darf, habe ich das zweifelhafte Vergnügen?“ erkundigte der Butler sich ungeniert, wie es seine Art nun einmal war.

„Roy Caspan … aber dieser Name besagt nichts.“

„Wie geht es Mister Fielding?“

„Sehr gut … er wird keinen Ärger mehr haben, Parker!“

„Muß ich dieser Umschreibung entnehmen, daß Mister Fielding seinen Verletzungen erlegen ist?“

„Müssen Sie nicht, können Sie aber, Parker. Das heißt, er wird innerhalb der nächsten Stunde sterben. Viel Aussicht hat er nicht. Und sollte er es schaffen, dann werde ich etwas nachhelfen, daß er sich nicht zu früh freut!“

„Sie wollen auch meine bescheidene Person umbringen?“

„Worauf Sie sich verlassen können! Sie haben schon viel zu sehr gestört, Parker. Um ein Haar wäre alles schiefgegangen.“

„Sie denken jetzt an die Entführung von Miss Manners?“

„Natürlich. Ohne Sie und ihren Chef hätten wir längst die 100 0000 Dollar.“

„Sie sprechen in der Mehrzahl?“

„Ich habe eben noch einen Teilhaber.“

„Darf man Einzelheiten erfahren?“

„Jetzt noch nicht. Sobald Ihr Chef aber hier ist, können Sie zum Abschied hören, wie alles gelaufen ist. Ich bin ja kein Unmensch.“

„Wie beruhigend“, antwortete der Butler ernst, „da Sie kein Unmensch sind, wie Sie behaupten, geht der Mord an Lovell wohl nicht auf Ihr Konto?“

„Das hat mein Partner erledigt.“

„Und was war mit den Schüssen aus der Maschinenpistole, die meinem jungen Herrn und meiner Wenigkeit galten?“

„Wie sollte ich denn?“ Der Mann mit dem glatten Dutzendgesicht lächelte und schüttelte dazu vorwurfsvoll den Kopf, „Ihre Logik scheint gelitten zu haben. Erinnern Sie sich doch! Als die Maschinenpistole losratterte, befand ich mich doch noch im Keller des Bungalows.“

„Ich bitte um Entschuldigung. Das stimmt selbstverständlich. Wie konnte ich nur so irren. Ich fürchte, ich werde mir diesen Denkfehler kaum verzeihen können. Dann darf ich wohl unterstellen, daß diese Maschinenpistole ebenfalls von Ihrem Partner bedient wurde.“

„Natürlich … er wollte mich ja aus dem Keller holen.“

„Aber woher wußte Ihr Partner davon, Mister Caspan? Von dieser Tatsache hatten nur Mister und Miss Manners erfahren, von Larry Fielding einmal ganz zu schweigen!“

„Na, und?“

„Ich verstehe!“ Parker nickte langsam. Gewisse Verdachtsmomente bestätigten sich bereits. „Geht das Benzin, das meinem jungen Herrn zugedacht war, ebenfalls auf das Konto Ihres Partners, öder waren Sie dafür zuständig?“

„Diesmal war’s Fielding“, erklärte der Mann mit der Hüftverletzung, „um ein Haar wäre ich ihm in die Arme gelaufen. Fielding war aber ganz versessen darauf, Sie und Ihren Chef um die Ecke zu bringen. Ich ließ ihn gewähren, ich habe nichts dagegen, wenn man mir die Arbeit abnimmt!“

„Fielding hätte immerhin Halters’ Mitarbeiter Mel und Hank zusätzlich umgebracht.“

„Was ihm das schon ausgemacht hätte!“ Roy Caspan grinste geringschätzig.

„Ich muß Ihnen beipflichten.“ Parker nickte. „Mister Fielding hatte ja auch keine Bedenken, als er Lovell erschoß.“

„Den hat er nicht erschossen! Das weiß ich nun ganz genau!“

„Sie etwa?“

„Auch nicht!“

„Dann Ihr Partner, nicht wahr?“

„Jetzt liegen Sie richtig, Parker. Hat aber sehr lange gedauert, bis Sie es schafften!“ Roy Caspan lächelte wieder ironisch. „Nun möchten Sie wohl wissen, wer dieser Partner ist, wie?“

„Keineswegs, Mister Caspan. Ihr Partner ist mir bereits bekannt.“

„Spielen Sie sich bloß nicht auf! Sie wollen wissen, wer mein Partner ist?“

„In der Tat. Und ich muß gestehen, daß Ihre Zusammenarbeit mit Miss Manners ausgezeichnet ist. Mir scheint, daß sich die richtigen Charaktere gesucht und gefunden haben!“

Roy Caspan, der Mann mit dem Durchschnittsgesicht, senkte verblüfft seinen Unterkiefer. Er brauchte einige Zeit, bis er Parkers Hinweis verdaut hatte.

„Wie sind Sie drauf gekommen?“ fragte er dann.

„Durch Addition von Details, wenn ich mich so ausdrücken darf. Denken Sie an die Schüsse aus der Maschinenpistole, die Mister Rander und meine Wenigkeit im Mietbungalow töten sollten. Diese Adresse war nur Mister und Miss Manners bekannt. Und Larry Fielding selbstverständlich. Nachdem Fielding und seine Leute als Schützen nicht in Betracht kommen konnten, richtete sich mein bescheidenes Augenmerk auf Miss Manners. Nur sie konnte geschossen haben. Nur sie wußte außer ihrem Vater, wo sie Mister Rander und meine Wenigkeit suchen und finden konnte!“ „Verdammt gut, daß Sie damit jetzt nichts mehr anfangen können“, sagte der Mann mit dem Dutzendgesicht. „Sie wissen doch hoffentlich, daß Sie nun ausgespielt haben!“

„Sie wahrscheinlich auch!“ Mehr sagte Parker nicht. Er hatte gesehen, daß sich die Tür zur Kabine geöffnet hatte. Im Türrahmen erschien Helen Manners. Sie hielt einen kleinen Revolver in der Hand, den sie gnadenlos auf Roy Caspan abfeuerte.

Der Mann mit dem Dutzendgesicht fiel gegen die Kabinenwand und rollte dann gegen eine der Kojen. Er blieb regungslos liegen. Dann nahm die ,Schöne Helena‘ die Waffe zur Seite und richtete den Lauf auf Parker. Ihrem Gesicht war deutlich anzusehen, daß sie nun einen endgültigen Schlußstrich setzen wollte.

*

„Man nennt Sie nicht nur die ,Schöne Helena‘, Miss Manners, Sie richten auch ebenso viel Unheil an wie ihr klassisches Vorbild!“

Helen Manners lächelte.

„Darf man erfahren, warum Sie Ihren Mitarbeiter umbrachten?“ stellte der Butler seine erste, gezielte Frage.

„Ich denke, ich muß meine Spuren verwischen“, sagte sie, „außer Ihnen brauchen nicht noch andere hinter mein Geheimnis zu kommen.“

„Ihr Geheimnis, Miss Manners?“

„Sie wissen doch. Sie lächelte erneut, doch es war ein tödliches Lächeln, „sobald Sie erledigt sind, Parker, kann man mir nichts mehr anhängen oder nachweisen.

„Sind Sie so sicher, Miss Manners?“

„Sie wollen Zeit herausschinden. Aber das wird Ihnen nicht gelingen. Wir werden dieses Versteck nun erst mal verlassen. In ein paar Minuten bin ich wieder zurück!“

Sie nickte ihm zu und verließ die Kabine. Wenig später war das Röhren des Anlassers zu hören, doch die beiden Inborder-Motoren dachten nicht daran, in Fahrt zu kommen. Sie schwiegen sich aus. Was kein Wunder war, da Parker sie unbrauchbar gemacht hatte.

Helen Manners kam zurück in die Kabine. Zorn verzerrte ihr Gesicht.

„Dann eben nicht“, sagte sie mit gepreßter Stimme, „dann wird eben hier alles erledigt. Glauben Sie nur ja nicht, Sie hätten mich jetzt an der Leine.“

„Ich nehmen an, daß ich jetzt mit Fieldings Waffe erschossen werden soll, nicht wahr?“

„Oder mit der von Roy … Kommt es darauf noch an? Ich glaube, Parker, diesmal werden Sie sich nicht mehr herausreden können!“

Sie richtete die Waffe auf den Butler und nahm Druckpunkt.

*

„Sie macht ernst“, sagte Mike Rander und sprang auf. Zusammen mit Sheriff Anderson und Assistent Ball saß er in einem Außenborder, der eine knappe Meile südlich in einer kleinen Bucht vor Anker gegangen war.

Rander, Anderson und Ball hatten jedes Wort der Unterhaltung zwischen Parker, Fielding, Caspan und Helen Manners mitbekommen. Dafür hatte die leistungsstarke Übertragungsanlage gesorgt, die der Butler in seinem Mietboot installiert hatte. Diese Anlage war der wichtigste Punkt seines Planes gewesen.

Ball hatte bereits den leichten Anker geborgen. Anderson warf den Motor an. Das Boot nahm schnell Fahrt auf. Mike Rander kontrollierte seine Schußwaffe.

Er war ungeheuer nervös. Die ganze Zeit über hatte er bereits gewußt, daß Parker sein Konto eigentlich überzog. Dieses Anbieten als Opfer, um den oder die Mörder herauszufordern und zu überführen, hatte nicht gutgehen können. Nun bekam Parker seine Quittung. Rander bezweifelte, ob sein Butler sich diesmal herauszureden vermochte, wie es bisher ja stets der Fall gewesen war.

Rander nahm den Empfänger nahe ans Ohr, um die Übertragung besser mitverfolgen zu können.

Er zuckte zusammen, als aus dem Lautsprecher der Knall eines Schusses kam. Rander brach der Schweiß aus. Dieser Schuß konnte nur seinem Butler gegolten haben!

*

Helen Manners starrte völlig entsetzt und entgeistert auf ihren nackten Unterarm.

Sie ließ die noch rauchende Waffe fallen und rutschte förmlich in sich zusammen. Sie taumelte zurück und war einer Ohnmacht nahe. Der stricknadellange, wippende Pfeil in ihrem Unterarm entnervte sie vollkommen.

Parker erhob sich aus seiner Koje und schüttelte die Stricke ab, die er längst durchschnitten hatte. Seine stets frisch gestärkten und schneeweißen Manschetten hatten es in sich, sie enthielten eine dünne Stahlblecheinlage, die wie Röhren wirkten. Durch diese Röhren waren Parkers Hände hinaus ins Freie gerutscht und hatten sich selbständig gemacht. Fielding hatte von diesem Trick natürlich nichts gewußt, als er den Butler gefesselt hatte. Er hatte Parker schon hoch eingeschätzt, doch er kannte die Trickkiste des Butlers nicht. Wie Helen Manners, die nun ebenfalls ausgespielt worden war.

Sie machte erst gar nicht den Versuch, nach der entfallenen Waffe zu greifen. Sie starrte unentwegt auf den Pfeil und traute sich nicht, ihn aus der Wunde zu ziehen.

Parker hatte diese an sich harmlose Waffe, die nur irritieren und Zeit verschaffen sollte, aus der Spitze seines linken Schuhs abgefeuert. Dies hatte Helen Manners noch nicht einmal mitbekommen. Nicht umsonst trug der Butler bei gewissen Einsätzen seine Schuhe mit Spezialfüllung- und einlagen. In der dicken Sohle jedes Schuhs befand sich eine dünne, biegsame Röhre, in der je ein Pfeil ruhte. Durch einen bestimmten Druck auf den Absatz konnten diese Pfeile auf die Reise geschickt werden. Wie gut diese Waffe war, hatte sich gerade wieder gezeigt.

„Sie erlauben, Miss Manners!“ Parker entfernte den Pfeil und nutzte die Gelegenheit, Helen Handschellen anzulegen. Dann drückte er die immer noch fassungslos ,Schöne Helena‘ auf eine schmale Sitzbank.

„Warum wollten Sie sich selbst entführen?“ fragte er, ihre Verwirrung ausnutzend, „warum engagierten Sie Caspan?“

„Wegen Daddy, wegen Fielding“, erwiderte sie mit monoton klingender Stimme, „Daddy sperrte mir meinen monatlichen Wechsel, nachdem ich diesen Mann niedergefahren hatte. Ich brauchte Geld, viel Geld!“

„Sie hängten sich also an die von Fielding inszenierte Erpressung, Miss Manners?“

„Wenn Sie nicht dazwischen gekommen wären, hätte alles geklappt. Daddy wollte schon zahlen!“

„Ging es Ihnen wirklich nur um die einhunderttausend Dollar? Engagierten Sie nicht Roy Caspan, um Fielding loszuwerden?“

„Wir hätten ihn umgebracht“, sagte sie und gewann ihre Fassung zurück. Haß zeichnete sich in ihrem Gesicht ab, „er glaubte, mich in der Hand zu haben, aber ich wollte nicht mitspielen. Mich hat Fielding immer angeekelt.“

„Wußten Sie denn, daß er hinter der ursprünglichen Entführungsabsicht gestanden ist?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Sie wollten die angedrohte Entführung also nur benutzen, Fielding aus dem Weg zu räumen. Es sollte so aussehen, als sei er von den Kidnappern umgebracht worden?“

„Ich habe ihn immer gehaßt. Er war widerlich, als er mich und Daddy in der Hand hatte!“

„Warum haben Sie sich nicht an die Polizei gewandt, Miss Manners? Sie hätten doch wegen des getöteten Sportfischers nur die Wahrheit zu sagen brauchen!“

„Und wäre dann ins Gefängnis gekommen! Oh nein! Das hätte ich niemals ertragen!“

„Sie werden sich jetzt daran gewöhnen müssen“, sagte der Butler mit neutraler Stimme, „Sie haben Lovell umgebracht. Warum eigentlich?“

„Ich war hinter Halters her“, sagte sie und senkte den Kopf, „Sie selbst haben ja in Daddys Haus seine Adresse genannt. Ich wußte seit dieser Zeit, daß er der Kidnapper war. Er sollte mir nicht in die Quere kommen. Und ich wollte schließlich auch nicht entführt werden. Schade, daß ich nur diesen Lovell erwischte!“

„Er fand immer noch Zeit, mich auf eine Handtasche aufmerksam zu machen“, erklärte der Butler, „von diesem Zeitpunkt ab wußte ich genau, daß Sie die Mörderin waren. Der Hinweis auf eine Handtasche konnte nur ein Hinweis auf eine Frau sein!“

„Hören Sie, Parker, ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.“ Sie hatte sich wieder gefaßt leckte sich die Lippen wie eine lüsterne Katze und sah ihn tief und versengend an, „warum wollen Sie mich der Polizei ausliefern?“

„Weil dem Genüge getan werden muß, was man das Gesetz nennt.“

„Entführen Sie mich doch einfach“, schlug sie vor, „wir könnten uns die 100 000 Dollar doch teilen. Glauben Sie nicht, daß das Leben an meiner Seite wunderbar sein kann?“

„Gewiß, Miss Manners“, antwortete der Butler mit feinem Lächeln, „so wunderbar wie das Zusammenleben mit einer Klapperschlange, wenn ich mir diesen Vergleich gestatten darf. Ich möchte sagen, daß Sie in einer Zuchthauszelle wesentlich besser untergebracht sein werden!“

*

„Sind Sie sicher, daß Sie mit diesem Vehikel zurück nach Chikago kommen?“

Sheriff Anderson grinste spöttisch. Sein Assistent griente breit wie ein oft zitiertes Honigkuchenpferd. Die Morgensonne strahlte, und Rander und Parker verabschiedeten sich von Anderson.

„Was meinen Sie, Parker, werden wir es schaffen?“ erkundigte Rander sich bei seinem Butler.

„Ich möchte dies doch sehr hoffen, Sir!“

„Dann Hals- und Beinbruch! Muß man bei diesem Schlitten wohl sagen. Und nochmals vielen Dank für die freundliche Unterstützung. Ohne Sie hätte uns die ,Schöne Helena‘ bestimmt Sand in die Augen gestreut.“

„Wie hat Manners das alles aufgenommen? Sie kommen ja gerade von ihm?“

„Jetzt macht er in Selbstvorwürfen, aber dazu ist es zu spät. Er hätte sich die Sache früher überlegen sollen. Ich werde Ihnen eine Kopie des Abschlußberichts zusenden.“

„Alles Gute!“ sagte Rander und nickte den beiden Behördenvertretern zu.

„Fahren Sie nicht zu schnell“, frotzelte Anderson in Richtung Parker, „aber darüber brauche ich mir ja wohl keine Sorgen zu machen.“

Er und sein Assistent sprangen entsetzt zurück, als Parker den Motor seines hochbeinigen Monstrums anspringen ließ. Ratternd und knatternd, begleitet von vielen Fehlzündungen setzte der Wagen sich in Bewegung. Eine dunkelschwarze Auspuffwolke hüllte das Vehikel ein.

„Wo, wo zum Teufel ist denn der Wagen geblieben?“ fragte Anderson verdutzt, als der Qualm sich etwas gelichtet hatte, „eben war er doch noch da!“

„Dort! Sehen Sie doch!“

Ball wies mit ausgestreckter Hand auf einen kleinen schwarzen Punkt am Horizont, wo die breite Straße sich verlief.

„Das darf doch nicht wahr sein!“ sagte Anderson andächtig.

„Das kann nicht wahr sein, Sheriff“, meinte Ball und schluckte trocken.

„Es ist wahr, Ball“, schloß Anderson und holte tief Luft, „es war unser Fehler, daß wir die Mittelstreckenrakete im Chassis dieses Monstrums übersehen haben.“

„Glauben Sie wirklich, Chef?“ Ball wußte nicht, ob Sheriff Anderson es ernst meinte oder nur scherzte.

„Ich, ich weiß es selbst nicht“, gab Anderson ernst zurück, „aber vielleicht sollte man die Luftsicherung verständigen. Die Highway Police ist dafür bestimmt nicht mehr zuständig!“

- E N D E -

Butler Parker Paket 2 – Kriminalroman

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