Читать книгу Butler Parker Paket 2 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 16
ОглавлениеDer Angler, ein Mann von etwa 45 Jahren, untersetzt und kompakt, hatte es sich in dem kleinen Außenborder bequem gemacht. Das Boot war im Schilf vertäut worden und von der nahen Straße aus nicht zu sehen. Der Angler rauchte eine Zigarette und döste keineswegs vor sich hin, wie man es vielleicht vermutet hätte. Er war im Gegenteil hellwach und kümmerte sich überhaupt nicht um die Angelrute, die jetzt verdächtig vibrierte, dann in Schwingungen geriet und sich anschließend bogenförmig straffte. Irgendein Fisch mußte ganz eindeutig den Köder angenommen haben, doch den Angler focht das nicht an.
Er suchte mit einem Fernglas den See ab und schien sich ausschließlich um einen zweiten Angler zu kümmern, der in der Mitte des malerisch gelegenen Waldsees fischte. Auch dieser Sportangler saß in einem Außenborder, aber im Gegensatz zu seinem Beobachter kümmerte er sich sehr wohl um die Angelrute. Er schien einen starken und großen Fisch angeschlagen zu haben, denn er drehte die Schnur auf und brachte den Fisch Zentimeter für Zentimeter näher an sein Boot heran.
Der Angler im Schilf nahm sein Fernglas von den Augen und griff nach einer Kleinbildkamera mit einem Teleskopobjektiv. Er visierte den Angler in der Seemitte durch den Sucher an, um dann in schneller Reihenfolge eine Aufnahme nach der anderen zu schießen.
Plötzlich zuckte dieser Amateurfotograf wie unter einem Peitschenhieb zurück, ließ die Kamera blitzschnell sinken und sah fassungslos auf das Boot in der Seemitte, das sich inzwischen in einen orangeroten Feuerball verwandelt hatte. Bruchteile von Sekunden später erst war die scharfe, reißende Detonation zu hören.
Aus dem orangeroten Feuerball wurden Wrackteile hoch in die Luft katapultiert. Brennender Treibstoff aus dem Tank des Bootes bildete eine hohe Wand aus Feuer und Rauch.
Der Angler im Schilf dachte erstaunlicherweise nicht daran, seinen Außenborder anzuwerfen und hinaus zur Unglücksstelle zu rasen. Er nahm erneut seine Kamera hoch und schoß eine weitere Reihe von Aufnahmen. An dokumentarischen Aufnahmen schien er besonders interessiert zu sein.
Wenig später allerdings weiteten seine Augen sich erneut. Kalter Schweiß bildete eine klebrige Schicht auf seiner Stirn. Sein Atem ging flach und schnell. Wie hypnotisiert starrte er auf das gegenüberliegende Ufer, wo plötzlich ein äußerst ungewöhnlich aussehender Wagen erschien.
Dieser Wagen war hochbeinig, kantig und schien aus einem anderen Jahrhundert zu stammen. Dieser Wagen preschte ungewöhnlich schnell von der Straße herunter, jagte ohne jede Rücksicht über die Uferwiese und sprang förmlich in den See hinein. Vorn am Kühler bildete sich eine hohe Bugwelle.
Der Angler im Schilf war unwillkürlich aufgestanden. So etwas hatte er noch nie in seinem Leben gesehen. Er wartete darauf, daß der seltsam anzusehende Wagen wegsackte und auf Grund ging, doch genau das Gegenteil war der Fall. Der Wagen schien über den See zu schweben, bis der Angler endlich erkannte, daß dieses seltsame Vehikel durchaus schwimmtauglich war. Mit beachtlicher Schnelligkeit hielt der Wagen auf die Unglücksstelle zu.
Hastig griff der Angler im Schilf nach seiner Kamera. Diesen Anblick wollte er unbedingt festhalten. Doch seine Bewegungen fielen zu hastig aus. Er verlor das Gleichgewicht und landete im aufklatschenden Wasser. Die Kamera entglitt seinen Händen und lagerte sich bald darauf im tiefen Uferschlick des Sees ab …
*
„Ich bin fast sicher, Sir, daß es sich keineswegs um einen normalen Unfall handelte“, sagte Josuah Parker, der am Steuer seines schwimmfähigen Monstrums saß und die Unglücksstelle anvisierte, „ein glücklicher Zufall ließ mich alle Einzelheiten hier auf dem See beobachten …!“
„Sacken wir auch wirklich nicht ab?“ erkundigte sich Mike Rander skeptisch. Er suchte den Wagenboden nach eindringendem Wasser ab. Obwohl kein Wassertröpfchen zu sehen war, konnte Mike Rander seine Vorbehalte nicht überwinden.
„Ich möchte mir erlauben, für eine ungestörte Fahrt zu garantieren“, antwortete Josuah Parker gemessen und würdevoll, „die Schwimmfähigkeit meines Wagens wurde nach meinen bescheidenen Privatplänen hergestellt.“
„Warten wir’s ab!“ Rander konzentrierte sich jetzt wieder auf die Unglücksstelle in der Mitte des Sees. Die Bootstrümmer kamen schnell näher. Die Feuerwand war bereits um gut zwei Meter in sich zusammengerutscht. Parker steuerte sein Monstrum dicht an diese Feuerwand heran.
„Darf ich Sie höflichst auf jenen Mann dort aufmerksam machen?“ bat er dann seinen jungen Herrn.
„Was haben Sie entdeckt, Parker?“
„Jenen Herrn dort, Sir … Rechts von den Resten der Bootsspitze …!“
„Natürlich! Jetzt sehe ich ihn auch. Fahren Sie noch näher heran, Parker. Mehr nach rechts!“
„Wie Sie befehlen, Sir!“ Parker manövrierte sein schwimmfähiges Monstrum noch näher an den Bootsrest heran. Mike Rander kurbelte inzwischen das Wagenfenster auf seiner Seite herunter und wollte den treibenden Mann bergen.
„Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, Sir, aber vielleicht erzielen Sie mit meinem Regenschirm ein besseres Resultat …“
Parker reichte seinem jungen Herrn den Universal-Regenschirm. Mike Rander hatte schnell Erfolg und konnte den Bambusgriff stützend unter den Kopf des treibenden Opfers schieben. Parker wendete seinen Schwimmwagen fast auf der Stelle und fuhr dann vorsichtig zurück ans Ufer.
„Er lebt noch!“ Rander hatte den Mann untersucht und sah den Butler verblüfft an. „Damit hätte ich wirklich nicht mehr gerechnet.“
Parker hielt bereits einen kleinen Koffer in der Hand, in dem sich eine komplette Erste-Hilfe-Ausstattung befand. Er versorgte den immer noch bewußtlosen Mann und nutzte die Wartezeit, um sich die Brieftasche des Fischers anzusehen.
„Ein gewisser Cyril Hacklett, Sir“, meldete Parker seinem jungen Herrn, „den Papieren zufolge ein Motelbesitzer aus Detroit.“
„Er scheint zu sich zu kommen, Parker.“ Rander beugte sich über das Opfer.
Der Motelbesitzer aus Detroit öffnete die Augen und schien angestrengt nachzudenken. Dann öffneten sich seine Lippen. Er murmelte Worte und Satzfetzen, die nicht genau artikuliert waren. Der Sinn dieses Murmelns blieb verborgen.
„Wer wollte Sie umbringen?“ erkundigte Parker sich rundheraus und kniete neben dem Sportangler nieder. „Bitte, antworten Sie! Wer wollte Sie umbringen? Antworten Sie, wenn ich höflichst darum bitten darf!?“
„Carter … Billy Carter!“ stammelte der Sterbende jetzt ungewöhnlich deutlich, „Carter … Paßt auf …! Sie sind hinter uns her …!“
Parker richtete sich auf und nahm die schwarze Melone vom Kopf. Er sah auf den jetzt toten Mann hinunter und wußte, daß ihm wieder einmal ein wahrscheinlich interessanter Fall über den Weg gelaufen war.
*
„Wie kommen Sie darauf, daß er ermordet wurde?“ Mike Rander sah seinen Butler verdutzt an.
„Darf ich auf die Explosion verweisen, die das Boot in Trümmer verwandelte, Sir?“
„Sie dürfen, aber das genügt nicht.“
„Der Außenbordmotor war offensichtlich abgestellt, als Mister Hacklett fischte, Sir. Wieso, so frage ich mich bescheiden, konnte dieser abgestellte Motor samt Tank ohne fremde Einwirkung explodieren?“
„Da ist was dran, Parker!“ Rander schüttelte sich eine Zigarette aus der Packung. Parker reichte seinem jungen Herrn prompt Feuer.
„Meiner bescheidenen Ansicht nach, Sir, wurde die Explosion durch Fernzündung verursacht.“
„Sehr aufwendig, wie?“
„Technisch weniger, Sir, im Hinblick auf einen Sportangler doch ziemlich ungewöhnlich. Ich möchte unterstellen, daß Mister Hacklett nicht nur einer der vielen Touristen ist, die dieses herrliche Fleckchen Erde zur Zeit bevölkern.“
„Sie werden ja fast lyrisch, Parker … Freuen Sie sich nicht zu früh! Dies hier ist kein Fall für uns. Wir fahren gleich weiter nach Chikago.“
„Wie Sie wünschen, Sir! Ich stelle allerdings die Frage zur Diskussion, ob man diesen Unfall samt tödlichem Ausgang nicht den zuständigen Behörden melden müßte.“
„Daran werden wir kaum vorbeikommen, Parker. Fahren wir los! Hier können wir doch nicht mehr helfen.“
„Sollte man den Toten wirklich allein zurücklassen, Sir?“
„Die Frage erübrigt sich, Parker. Wir bekommen Besuch!“
Während Mike Rander noch sprach, deutete er hinüber zur nahen Straße, wo jetzt ein Jeep hielt, dem drei Männer entstiegen, die allerdings keinen offiziellen Eindruck machten. Sie trugen Jeans, kurze Jacken und Fischerkappen. Sie kamen schnell zu Rander und Parker an den Strand hinunter.
„Hat’s Ärger gegeben?“ fragte der untersetzte stämmige Mann, der einen sehr selbstsicheren Eindruck machte.
„So kann man es allerdings ausdrücken“, erwiderte Parker. Er deutete auf seinen jungen Herrn, „Mister Rander aus Chikago, Anwalt …“
„Hallo“, begrüßte Rander die drei Männer, „Sie kommen leider zu spät … Diesem Mann ist nicht mehr zu helfen!“
Die drei Männer sahen auf Hacklett hinunter und sagten vorerst kein Wort.
„Falls Sie Einzelheiten zu hören wünschen, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung“, erbot Parker sich.
„Nicht nötig“, sagte der Stämmige, „wir haben den Unfall oben von den Hügeln aus gesehen.“
„Kennen Sie besagtes Opfer?“
„Möglich, daß wir uns hier schon mal gesehen haben. Was wollen Sie jetzt tun?“
„Die Behörden verständigen“, schaltete Mike Rander sich ein. „Würden Sie freundlicherweise hier Zurückbleiben?“
„Okay, läßt sich machen. Aber beeilen Sie sich, viel Zeit haben wir nicht!“
Mike Rander und Josuah Parker gingen zu dem hochbeinigen Monstrum hinüber. Ein Anruf des Stämmigen stoppte sie.
„Hallo, Sie … Hat er noch was sagen können?“
„Er hat … Rander wollte spontan und ziemlich arglos antworten. Josuah Parker nahm sich die Freiheit, seinen jungen Herrn zu unterbrechen.
„… einige Namen geflüstert, an die Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit sich erst wieder erinnern müssen“, erklärte Parker und mied den empörten Blick seines jungen Herrn.
„Was sollte denn das?“ fragte Rander, als sie im Wagen saßen und losfuhren, „wenn Sie glauben, mich in einen Fall hineinziehen zu können, dann sind Sie aber mächtig auf dem Holzweg, Parker! Sobald wir die Polizei informiert haben, werden wir weiterfahren!“
„Wie Sie wünschen, Sir …!“ Parker nickte andeutungsweise, „ich möchte nur hoffen, daß die drei Herren Ihnen und meiner Wenigkeit dies gestatten.“
„Wie kommen Sie denn darauf?“
„Falls Sie sich umwenden, Sir, wird Ihnen kaum entgehen, daß der Jeep folgt. Eine gewisse Ahnung sagt mir, daß die drei Herren den verunglückten Sportangler sehr wohl kannten!“
*
Lieutenant Madison vom Büro des Sheriffs sah dem davonfahrenden Krankenwagen nach. Dann wandte er sich wieder an Rander und Josuah Parker.
„Sieht ziemlich trostlos aus“, meinte er und deutete auf den See hinaus, „ich brauche Taucher, um an die Bootstrümmer heranzukommen. Nur so kann ich beweisen, ob das Boot absichtlich in die Luft gejagt wurde. Wenn überhaupt!“
„Aber dazu brauchen Sie uns ja nicht mehr, oder?“ Rander kam es darauf an, so schnell wie möglich nach Chikago zurückzukommen. Noch hoffte er, einem neuen Kriminalfall entwischen zu können.
„Von mir aus können Sie losfahren“, sagte Madison, ein schlanker, harmlos aussehender Mann von 40 Jahren, „falls ich Sie brauche, weiß ich ja, wo ich Sie erreichen kann.“
„Kommen Sie, Parker!“ Rander ging bereits voraus. Er konnte nicht schnell genug zum und in den Wagen kommen.
„Darf ich noch einmal wiederholen, Sir …“ Parker hatte weniger Eile und unterhielt sich mit Lieutenant Madison, „Mister Hacklett war also tatsächlich ein Tourist und wohnte im Recreation Center jenseits des Waldes dort?“
„Stimmt … Das steht einwandfrei fest.“
„Kennen Sie dieses Recreation Center, Sir?“
„Natürlich. Ein sehr attraktiver Bau. Neu, erst vor einigen Jahren errichtet worden. Tolle Einrichtung und erstklassiges Personal!“
„Sie waren demnach schon dort, Sir?“
„Selbstverständlich. Bei der Einweihung und später auch noch einige Male.“
„Ist Ihnen der Name Carter bekannt Sir?“
„Ein Dutzendname, würde ich sagen.“
„Leider, Sir, leider …!“
„Hat dieser Name etwas mit dem Toten zu tun?“ Madisons Gesicht nahm einen wachsamen Ausdruck an.
„Aber keineswegs, Sir. Es handelte sich nur um eine Frage, die man belanglos nennen muß. Ich bedanke mich sehr herzlich für die freundlichen Auskünfte.“
Madison sah dem Butler nach, der nun ebenfalls zum hochbeinigen Monstrum hinaufstieg, das am Rand der Uferstraße stand.
„Was war denn noch?“ fragte Rander mißtrauisch.
„Ich erkundigte mich diskret nach einem gewissen Mister Carter, Sir.“
„Sagte ich Ihnen nicht schon, daß Sie sich auf dem Holzweg befinden, Parker? Diesmal steigen wir nicht ein! Ich habe die Nase voll. Ich will mich nicht weiter mit Gangstern und Ganoven herumschlagen. Ich habe schließlich noch einen Beruf.“
„Sehr wohl, Sir!“ Parker schloß die Wagentür hinter seinem jungen Herrn und setzte sich steif und würdevoll ans Steuer. Sekunden später dröhnte und röhrte der Motor los. Das hochbeinige Monstrum verschwand in einer Wolke aus Staub, aufgewirbeltem Sand und Auspuffwolken.
„Halten Sie vor dem nächstbesten Schnellimbiß“, sagte Mike Rander und räkelte sich entspannt im Sitz, „ich denke, wir haben es geschafft, Parker.“
„Sehr wohl, Sir!“ entgegnete Parker nur und zuckte mit keiner Wimper, als er am Straßenrand eine Hinweistafel entdeckte, die auf ein gewisses Recreation Center hinwies. Seiner Ansicht nach war dieses Haus gewiß der richtige Ort, um eine Zwischenstation zu machen. Es mußte ja nicht unbedingt ein üblicher Schnellimbiß sein.
*
„Na, dieser Schnellimbiß ist aber ziemlich groß ausgefallen“, sagte Mike Rander eine knappe Viertelstunde später, als Parker das hochbeinige Monstrum vor einem Hotel anhielt, das im altenglischen Landhausstil erbaut war und überraschend einladend und appetitlich aussah.
„Ich bin sicher, Sir, daß hier ein blutfrisches Steak gereicht wird. Wenn Sie erlauben, werde ich vorher aber Erkundigungen einziehen.“
„Ich komme gleich mit“, sagte Rander arglos, „sieht wirklich sehr nett aus. Scheint zu dem Bau da oben auf dem Hügel zu gehören.“
Rander deutete auf einen Gebäudekomplex, der sich an den bewaldeten Hang eines mittelhohen Hügels anschmiegte. Um ein Herrenhaus, ebenfalls im altenglischen Stil, gruppierten sich kleine, stilsaubere Einzelhäuser. Parker fühlte sich zurückversetzt in die englische Provinz und, mußte sich gewaltsam einreden, daß hier keine Originale, sondern Nachschöpfungen standen. Das Schloß eines englischen Herzogs hätte nicht echter aussehen können. Allein die gepflegten Rasenflächen zwischen den Häusern und die Baumgruppen darauf vollendeten die Illusion.
„Sehr nett“, wiederholte Rander noch einmal, als sie auf den Gasthof unten an der Straße zugingen. Zu beiden Seiten dieses Gasthofes erhoben sich hohe Mauern aus Bruchsteinen, die beiderseits im nahen Wald verschwanden und wahrscheinlich das gesamte Areal umschlossen.
„Ich muß gestehen, daß mich das anwandelt, Sir, was man etwas schwärmerisch heimatliche Gefühle nennt“, bekannte der Butler, als sie die Halle des Gasthofes betraten. Hier gab es niedrige Deckenbalken, viel Zinngeschirr, Butzenscheiben und alte, natürlich ebenfalls stilechte Möbel.
„Irgendwann werde ich mit Ihnen wieder nach England müssen“, spottete Mike Rander arglos, „Sie scheinen es mit dem Heimweh zu haben!“
„Ich möchte Ihre Zeit nicht unnötig in Anspruch nehmen, Sir!“
Rander kam zu keiner Antwort.
Hinter der Anmeldung erschien ein kompakter Mann von etwa fünfzig Jahren, etwas zu gutmütig und zu arglos aussehend.
„Da sind Sie ja!“ rief er Rander und Parker entgegen, „Sie sind schon seit ’ner halben Stunde überfällig!“
„Wieso?“ fragte Mike Rander ehrlich verblüfft zurück.
„Ein kleiner Unfall, der den allgemeinen Verkehrsfluß hemmte“, erläuterte Josuah Parker schnell.
„Kommt ja auf die genaue Stunde gar nicht an“, sagte der kompakte Empfangschef, „Sie können gleich durch ins Gästehaus Nr. 6 fahren. Ich laß’ die Barriere hoch … Moment!“
Rander und Parker gingen zurück zum hochbeinigen Monstrum. Rander fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.
„Was soll dieser Unsinn?“ fragte er den Butler ärgerlich, „es ist doch offensichtlich, daß der Mann uns mit anderen Gästen verwechselt.“
„Selbst auf die Gefahr hin, mir Ihren Unmut zuzuziehen, Sir, möchte ich dringend raten und vorschlagen, vorerst auf diesen Irrtum einzugehen.“
„Was versprechen Sie sich denn davon, zum Henker?“
„Information, Sir, zumal der Tote hier wohnte.“
Die Fortsetzung der Unterhaltung konnte zu Parkers Freude nicht stattfinden, denn der Empfangschef erschien an der großen Einfahrt rechts vom Restaurant und sperrte das Tor auf. Dahinter war in einem Abstand von etwa drei Metern eine schwere Barriere aus Stahlrohr, die er nun hochgehen ließ.
Rander und Parker — bereits im Wagen — durchfuhren die Sperre und gelangten über eine schmale Asphaltstraße hinauf zum Gästehaus Nr. 6, einem wirklich reizend anzusehenden Bau, dessen Fenster einladend geöffnet waren.
„Ich werde Ihnen gleich das Personal schicken“, sagte der Empfangschef, der mitgekommen war, „hören Sie, darf ich mal ’ne Frage stellen?“
„Natürlich!“ Rander nickte zurückhaltend.
„Warum fahren Sie eigentlich so einen komischen Schlitten? So was fällt doch auf?“
„Ein Tick“, murmelte Rander, „sonst noch Fragen?“
„Ich wollt’ nicht neugierig sein“, sagte der Empfangschef fast ängstlich.
„Schon gut, schon gut … Wann werden wir den Chef des Center sehen?“
„Der wird erst in einer Stunde kommen. Zuerst sollen unsere Gäste sich mal richtig eingewöhnen. Übrigens, Sie haben doch keine Schußwaffen bei sich, oder?“
„Wie bitte …?“ Rander kniff die Augen zusammen und sah seinen Butler kurz an.
„Waffen, mein’ ich. Die müssen nämlich abgegeben werden, aber das wissen Sie ja wohl …
„Äh … Natürlich!“ Rander nickte. Sein gerade gewecktes Interesse steigerte sich bereits, „gibt es sonst noch Spielregeln, an die man sich hier halten muß?“
„Das war schon alles, Sir … Das heißt, gepokert werden darf nur oben im Spielsaal, aber das alles sagt Ihnen der Manager. Bis dahin! Ich wünsche gute Erholung!“
Rander und Parker betraten das kleine Einzelhaus und wunderten sich erneut über die stilvolle und sicher teure Einrichtung. Hier war nicht gespart worden. Dieses Bungalow-Hotel gehörte eindeutig zur Spitzenklasse.
„Komisches Hotel“, sagte Rander, als er mit seinem Butler allein war, „ich glaube, es war doch richtig, hier eine kleine Zwischenstation einzulegen.“
„Die Frage nach etwaigen Waffen fand ich, offen gesagt, Sir, recht eigenartig. Sie gehört einfach nicht in ein gut geführtes Hotel.“
„Mit wem mag man uns nur verwechselt haben?“ Rander zündete sich schnell eine Zigarette an, bevor Parker ihm mit Feuer zu dienen vermochte, „hoffentlich bekommen wir durch diesen Schwinde] keinen Ärger. Wissen Sie, Parker, irgendwie habe ich ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend … Hier stimmt etwas nicht!“
„Ich möchte mich beeilen, Sir, mich Ihrer Meinung anzuschließen“, antwortete Josuah Parker und starrte dann etwas indigniert in Richtung Tür. Was sich dort seinen Augen bot, war durchaus geeignet, sein Staunen zu wecken.
*
Sie sahen reizend aus in den langen Netzstrümpfen, den knappen Höschen darüber und der Corsage, die den Oberkörper nicht unnötig einzwängte. Um den Hals lag ein blendend weißer Eckkragen mit einer schwarzen, groß gebundenen Schleife. Auf dem Kopf saß ein eng anliegendes Käppchen, aus dem zwei große Hasenohren hervorragten.
Die beiden Häschen in Menschengröße knicksten gleichzeitig und produzierten ein gekonntes Lächeln, das jeder Zahnpastareklame zur Ehre gereicht hätte.
„Wir möchten Ihnen helfen“, sagte der erste Hase und kümmerte sich um Mike Rander, der äußerst wohlwollend zurücklächelte.
„Sie werden sich bestimmt wohl fühlen“, sagte der zweite Hase und kümmerte sich um Josuah Parker.
„Würden Sie die Freundlichkeit haben und uns die Räumlichkeiten zeigen?“ Parker schüttelte seinen Hasen ab, der ihm zu routiniert wirkte.
„Das ist schnell getan“, sagte der Hase, der etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte und dem weiblichen Geschlecht angehörte, wie ganz offensichtlich zu erkennen war, „hier unten haben Sie den Salon, die Pantry, wo Sie sich selbst einen Imbiß außerhalb der Essenszeiten herstellen können und ein Arbeitszimmer. Oben befinden sich drei Schlafräume, die Toilette und das Bad!“
„Das hier ist das Grundprogramm“, sagte der zweite Hase und drückte Mike Rander eine Mappe in die Hand, die in rotem Saffianleder eingebunden war, „Sie können sich heraussuchen, worauf Sie Spaß und Lust haben. Obligatorisch ist nur der wöchentliche Arztbesuch, aber auf den werden Sie freiwillig wohl kaum verzichten.“
„Bestimmt nicht“, erwiderte Rander lächelnd. Er gestand sich ein, daß ihm dieses Hotelpersonal ausnehmend gut gefiel. Es erinnerte ihn an den Playboy-Club in Chikago, den er einmal zusammen mit Geschäftsfreunden besucht hatte.
„Sollten Sie aber Sonderwünsche haben, Sir“, schaltete der zweite weibliche Hase sich ein, „so wenden Sie sich bitte an den Manager Ich bin sicher, daß man Ihnen alle Wünsche erfüllen wird. So, dürfen wir uns jetzt um das Gepäck kümmern?“
Sie durften.
Als Josuah Parker, höflich wie immer, die Koffer tragen wollte, wurden die beiden reizenden Häsinnen fast böse. Sie bestanden darauf, daß Parker sich wie Mike Rander in einen Sessel verfügte und sich bedienen ließ.
Während die beiden Hasen das Gepäck hinauf in die Schlafräume trugen, schüttelte Rander zweifelnd den Kopf.
„Sie können mich bei Gelegenheit mal kneifen“, sagte er zu Parker, „ich weiß nämlich nicht genau, ob ich nur träume. Das hier ist doch einfach sagenhaft.“
„Ich bin beglückt, Sir, daß Sie sich bereits eingelebt haben.“
„Warum haben wir vorher nie von diesem Hotel gehört“, fragte Rander weiter, „diese Adresse scheint als eine Art Geheimtip behandelt zu werden. Haben Sie sich diese ausgesuchten Hasen mal aus der Nähe angesehen? Nichts Billiges, wie man vermuten sollte. Durch und durch seriös, distanziert, aber nett.“
„Sehr wohl, Sir … Und in diesem Hotel wohnte Mister Hacklett vor seinem tödlichen Unfall.“
„Sie können einem auch jede Stimmung vermiesen“, gab Rander unwillig zurück, „müssen Sie mich ausgerechnet jetzt daran erinnern?“
„Ich möchte darum bitten, Sir, daß Sie meine Worte vergessen. Wenn Sie erlauben, sehe ich nach den beiden Damen. Sie könnten Überraschungen erleben, falls sie sich um meinen Privatkoffer kümmern!“
Rander nickte, stand auf und wanderte lächelnd durch das Erdgeschoß. Er fühlte sich wohl und wollte an diesen Unglücksfall, der vielleicht sogar ein Mord war, nicht mehr erinnert werden. Er nahm sich vor, seine Pläne schleunigst zu ändern. Chikago hatte wohl doch noch Zeit. Ein paar Erholungstage konnten auf keinen Fall schaden.
*
Die beiden reizenden Hasen betätigten sich als ausgesprochene Wühlmäuse, wußten aber nicht, daß sie von Josuah Parker von der Tür aus beobachtet wurden.
Sie hatten die wenigen Koffer geöffnet, legten Wäsche in den Schrank und schoben Kleiderbügel in die Anzüge. Dabei vergaßen sie aber nicht, jede Tasche gründlich zu durchsuchen und die Koffer nach Geheimfächern abzuklopfen. Sie mußten sich in diesen Praktiken auskennen, denn sie arbeiteten schnell und routiniert.
„Komischer Kerl, dieser Mann mit der Melone“, sagte der erste Hase, „so was haben wir hier bisher noch nie gehabt, Liz.“
„Der andere Mann sieht aber sehr gut aus, Helen“, meinte Liz. „So was sieht man hier auch selten!“
„Woher mögen Sie wohl kommen?“ „Keine Ahnung. Und ich werde mich hüten, irgendwelche Fragen zu stellen. Hast du was gefunden?“
„Nichts. Und wie sieht’s bei dir aus?“ „Auch nichts. Das heißt, dort den Koffer bekomme ich nicht auf. Dort den … dieses abgewetzte, schäbige Ding!“
Liz und Helen kümmerten sich um Parkers Privatkoffer, in dem der Butler seine vielen Überraschungen mit sich herumschleppte. Daß sie ihn nicht zu öffnen vermochten, bedurfte keiner Erklärung, denn nur Parker allein kannte den Trick, die Schlösser gefahrlos zu öffnen. Um Schaden an Leib und Seele der beiden Hasen zu vermeiden, betrat Parker geräuschvoll das Zimmer. Er hüstelte dabei mittelschwer.
Die beiden Hasen in Netzstrümpfen wirbelten überrascht herum und wirkten ein wenig verlegen.
„Könnten wir vielleicht den Schlüssel haben?“ sagte dann Liz, die sich schnell fing.
„Ich denke, den Rest werde ich durchaus allein schaffen, meine Damen.“
Liz und Helen sahen sich einen Moment lang zögernd an, dann kamen die obligaten Knickse, und plötzlich verschwanden die Damen nach unten. Vom Flurfenster aus sah Parker ihnen nach. Sie saßen auf einem Elektrokarren, wie er auf großen Golfplätzen von fußlahmen Spielern nur zu gern benutzt wird. Geräuschlos, aber erstaunlich schnell fuhren sie über den asphaltierten Weg hinauf zum Hauptgebäude. Der Fahrtwind spielte dabei neckisch mit ihren langen Stoffohren.
*
Parker wollte sich vom Fenster abwenden, als ein zweiter Elektrokarren in Sicht kam, der noch schneller war und in Richtung Einzelhaus Nr. 6 preschte. Auf der Sitzbank dieses Dreirad-Rollers saßen Bekannte.
Josuah Parker begab sich relativ eilig hinunter zu seinem jungen Herrn und kündigte ihm diesen Besuch an.
„Die drei Männer aus dem Jeep?“ fragte Rander erstaunt zurück, „das ist eine Überraschung.“
„Ein gut geführtes Hotel, in dem die Gäste sich über Langeweile kaum beklagen können, Sir. Wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, einen gewissen Irrtum richtig zu stellen?“
„Gute Idee …!“
Die Unterhaltung zwischen Rander und seinem Butler konnte nicht weitergeführt werden, da die drei Männer bereits im Hausflur waren und sich jetzt in den großen, salonartigen Wohnraum schoben.
Der untersetzte, stämmige Mann vom Seeufer rang sich ein gequält-freundliches Lächeln ab.
„Norman Hallway mein Name“, stellte er sich vor.
„Rander, aber ich habe mich wohl schon vorgestellt. Das hier ist mein Butler, Mister Parker …!“
„Meine beiden Mitarbeiter Jerry und Hale“, sagte Hallway und deutete auf die betreffenden Männer, „mir scheint, daß hier ein Irrtum vorliegt!“
„Tatsächlich?“ Rander wunderte sich gespielt.
„Sie sind mit angekündigten Gästen verwechselt worden“, redete Hallway weiter, „da wir aber vollbesetzt sind, werden Sie verstehen, daß wir Sie bitten, das Hotel …“
„Sie wollen uns an die frische Luft setzen?“ wunderte Rander sich laut, „haben Sie das gehört, Parker? Wie finden Sie das?“
„Außerordentlich, Sir … Ich möchte fast sagen, einmalig …“
„Wir werden selbstverständlich dafür sorgen, daß Sie in einem anderen Hotel untergebracht werden“, sagte Hallway. Seine beiden Mitarbeiter Jerry und Hale, schmal, fast mager, sehr wachsam, an Zwillinge erinnernd, sagten kein Wort. Sie warteten ganz offensichtlich auf ihr Stichwort.
„Wir fühlten uns hier bei Ihnen aber besonders wohl“, meinte Mike Rander.
„Muß man bei Ihnen, falls ich fragen darf, vorausbuchen?“ wollte Josuah Parker wissen.
„Richtig“, gab Hallway schnell und fast erleichtert zurück.
„Hatte auch Mister Hacklett vorgebucht?“ stellte der Butler seine nächste Frage.
„Natürlich!“
„Wie Mister Billy Carter?“ Parkers Frage verursachte diesmal eine erstaunliche Reaktion. Hallway musterte den Butler aus starren Augen. Die beiden Mitarbeiter Jerry und Hale schienen sich bei der Nennung dieses Namens zu spannen.
„Wer ist Billy Carter?“ fragte Hallway jetzt betont harmlos.
„Nur ein Dutzendname“, erläuterte der Butler, „messen Sie diesem Namen keine Bedeutung bei …“
„Hören Sie, Mister Hallway, ich möchte den Manager des Hotels sprechen“, sagte Rander, „wenn es sich eben einrichten läßt, möchten wir natürlich bleiben. Die beiden reizenden Häschen waren so freundlich, uns das Grundprogramm zu überreichen. Überraschend und frappierend, was Ihren Gästen so geboten wird!“ Mike Rander klappte die Saffianmappe auseinander und las vor: „Sauna … Thermalbäder … Massagen … Wasser- und Kneippkuren … Wirklich, einfach erstaunlich!“
„Darf ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, daß man von Ihrem Recreation Center noch nichts gehört hat?“ schaltete der Butler sich ein, „darf und muß ich unterstellen, daß Sie mit Ihren Kuren nur einen ganz bestimmten Kundenkreis ansprechen?“
Hallway war überfragt. Er schluckte und fühlte sich in seiner Haut nicht sonderlich wohl.
„Nein, wir machen keine Reklame“, sagte er schließlich und der Tonfall seiner Stimme wurde knapp und schärfer, „ich muß Sie noch einmal bitten, das Haus zu räumen … Es wurde bereits gebucht und ist nicht mehr frei.“
„Wir bringen die Koffer zum Wagen“, sagte Jerry.
„Sie brauchen keinen Handschlag zu tun“, versprach Hale.
„Nun kann ich verstehen, warum besagter Motelbesitzer aus Detroit bei Ihnen abgestiegen war“, sagte Parker wohlwollend, „wo begegnet man schon solch einem Service? Sie gestatten, daß ich Ihnen meine Anerkennung ausspreche.“
„Gehen Sie endlich!“ sagte Hallway und holte tief Luft, „ich hoffe nicht, daß wir Gewalt an wenden müssen!“
Ein erstes Stichwort für die beiden schmalen Mitarbeiter. Jerry und Hale strafften sich und dachten nicht mehr an das Gepäck. Sie dachten vielmehr an die Schußwaffen in den Schulterhalftern. Ein Fachmann wie Josuah Parker hatte die Waffen längst ausgemacht und mit den Augen registriert.
In diesem Moment, als die Lage sich offensichtlich zuspitzte, ertönte ein feines und diskretes Summen in der Ziertuchtasche des Mister Hallway, der daraufhin zusammenzuckte.
Ein Empfänger in seiner Ziertuchtasche mußte ein Signal aufgefangen haben. Hallway wandte sich sofort um und verließ den Wohnraum. Er wollte draußen im Flur wohl ungestört mit dem Sender sprechen.
„Darf ich fragen, wo Sie arbeiten lassen?“ fragte Parker, sich an die beiden Männer wendend.
„Was … was meinen Sie?“ wollte Hale wissen.
„Die Schulterhalfter“, redete der Butler sachlich weiter, „sie drücken sich nämlich durch den Anzugstoff. Wenden Sie sich in Zukunft einmal an die Firma Lonsdale! Ausgezeichnete Könner, wie man durchaus sagen darf. Sie werden bestimmt zufrieden sein!“
Rander grinste in sich hinein. Auch er hatte die Schulterhalfter entdeckt, war aber nicht auf den Gedanken gekommen, solch eine offensichtliche Frechheit an den Mann zu bringen. So etwas konnte eben nur sein Butler.
Hale und Jerry waren sichtlich beeindruckt und griffen fast gleichzeitig nach ihren Halftern. Dann merkten sie, wie man sie hereingelegt hatte. Ihre Gesichter färbten sich rot.
„Mister Rander … Mister Rander!“ Hallway kam zurück und strahlte plötzlich wie ein Honigkuchenpferd, wie der Volksmund es wohl ausgedrückt hätte, „ich habe gute Nachrichten für Sie … Sie können bleiben. Mister Les Paulsen, unser Manager, hat das arrangiert. Ich bekam gerade die Nachricht durch. Fühlen Sie sich wie zu Hause! Und bleiben Sie, solange Sie wollen! Ich wünsche Ihnen erholsame Tage und viel Vergnügen. Kommt!“ Er nickte Hale und Jerry zu, verbeugte sich gekonnt und verschwand mit seinen beiden Begleitern.
„Was sagen Sie dazu?“ Rander sah seinen Butler kopfschüttelnd an, „so schnell ändern sich die Vorzeichen!“
„Ich würde sagen, Sir, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit als Gäste interessant geworden sind“, sagte Josuah Parker, „vielleicht hängt dies damit zusammen, daß der sterbende Mister Hacklett noch die Kraft und Konzentration aufbrachte, Ihnen und mir einige Hinweise zu geben!“
Mike Rander wollte verständlicherweise widersprechen, da dies ja nicht stimmte. Doch als Parker betont seinen Zeigefinger senkrecht vor die Lippen legte, verstand der Anwalt. Hier im Haus mußte sich eine gut installierte Abhöranlage befinden, Grund genug also, mit den Worten sehr vorsichtig zu sein …
*
Parker fand die Kleinstsender samt eingebauten Mikrofonen innerhalb einer knappen Viertelstunde. Zwei davon befanden sich im Wohnraum und zwar je in der Stehlampe neben der Wandcouch und im Wandlautsprecher. Weitere Geräte waren diskret in den Schlafräumen und sogar in der Pantry versteckt worden. Die Überwachung der Gäste war demnach also lückenlos.
„Darf ich Ihnen das Bad bereiten, Sir?“
„Natürlich, natürlich!“ Rander folgte seinem Butler in das Bad, wo Parker die Brause voll aufdrehte. Nachdem ein gewaltiges Rauschen den gekachelten Raum füllte und ein Abhören unmöglich machte, berieten Parker und sein junger Herr die Lage.
„Was machen wir mit den Abhöranlagen?“ fragte Rander.
„Ich erlaube mir vorzuschlagen, Sir, sie an Ort und Stelle zu belassen. Man hat dann die erfreuliche Möglichkeit, den Abhörern Nachrichten zuzuspielen, die man aus taktischen Gründen richtig placieren möchte.“
„Gut, einverstanden.“ Rander nickte. „Und was halten Sie von diesem Hotel?“
„Es dürfte nicht den Normen entsprechen, die man für gewöhnlich an Häuser dieser Art legt, Sir.“
„Ich komme mir schon jetzt wie in einer Räuberhöhle vor.“
„Dieser Vergleich, Sir, entspricht durchaus den Tatsachen. Es macht mich ausgesprochen stutzig, daß man auf Durchreisende nicht eingerichtet ist.“
„Man müßte sich die Gäste hier einmal aus der Nähe ansehen, Parker. Was halten Sie von einem kleinen Spaziergang?“
Parker ließ sich nicht lange bitten. Nachdem er seinen Spezialkoffer geöffnet und seine Ausrüstung vervollständigt hatte, schloß er sich seinem jungen Herrn an, der bereits das Haus Nr. 6 verließ.
Der Park war größer, als sie vermutet hatten. Die Durchgangsstraßen und Kieswege waren bestens gepflegt. Die Geschäftsleitung des Recreation Center hielt augenscheinlich auf Ordnung.
Gästen begegneten sie allerdings nicht. Der weite Park war wie ausgestorben.
„Eine unheimliche Atmosphäre“, sagte Rander, als sie stehenblieben, „überbelegt scheint dieses Hotel nicht zu sein.“
„Ich kann es nicht beweisen, Sir, doch fühle ich mich seit einiger Zeit intensiv beobachtet.“
„Mir geht’s nicht anders, Parker. Kümmern wir uns doch mal um unsere Hausnachbarn! Irgendwer muß doch schließlich aufzutreiben sein.“
Sie gingen auf das Haus Nr. 9 zu, klingelten und warteten auf Antwort. Im Haus blieb alles vollkommen ruhig. Ebenso war es vor den anderen beiden Häusern, die sie besuchten.
„Darf ich Vorschlägen, Sir, das Haupthaus zu besuchen?“
Rander nickte und hielt auf das große Haus zu, das im Stil eines herzoglichen Landsitzes erbaut war. Der Duft einer gut geführten Küche wehte ihnen entgegen. Als sie den weiten Vorplatz mit der Freitreppe erreicht hatten, die hinauf zum Portal und Eingang führte, kamen ihnen plötzlich vier Männer entgegen, die Trainingsanzüge trugen und im Dauerlauf an ihnen vorbeitrabten, ohne sich um sie zu kümmern.
„Sport scheint hier eine wichtige Therapie zu sein“, meinte Rander und sah den Läufern nach. „Von Formen scheint man hingegen wenig zu halten!“
Sie betraten die große Halle, die sich über drei Stockwerke erstreckte. Eine mittelgroße Büffelherde hätte sich in dieser Halle wahrscheinlich verloren, so groß war sie.
Es gab Hinweistafeln, die die Orientierung erleichtern sollten. Aber es gab keine menschliche Seele, die sich um sie kümmerte. Die Stille war schon fast penetrant. Parker sah seinen jungen Herrn erwartungsvoll an. Mike Rander fühlte sich unbehaglich. Jetzt bezweifelte er wieder, ob es richtig gewesen war, um jeden Preis in diesem Hotel zu bleiben.
Ein dumpfer Gongschlag dröhnte!
Mike Rander fuhr wie ein ertappter Dieb zusammen. Seine Nerven schienen demnach etwas angekratzt zu sein. Josuah Parker hingegen zeigte keine Reaktion. Er schien die Atmosphäre fast genießerisch in sich hineinzusaugen.
„Du lieber Himmel!“ sagte Rander leise und deutete mit dem Kinn hinauf zur Freitreppe, die die einzelnen Etagen miteinander verband.
Eine Gruppe von Männern, die fast alle über einen mehr oder weniger ausgeprägten Spitzbauch verfügte, erschien auf der Treppe. Sie trugen kniekurze, weiße Bademäntel mit Kapuzen, die sie sich über ihre Köpfe gezogen hatten.
Unter der Führung einer jungen Dame, die nur ein eng anliegendes Trikot trug, marschierten sie hinunter in die Halle, an Rander und Parker vorbei und verschwanden hinter einer Tür, die höchstwahrscheinlich in die Kellerräume hinunterführte.
Auch hier und jetzt keine Begrüßung, kein freundliches Kopfnicken. Nichts!
„Wie finden Sie das?“ fragte Mike Rander.
„Völlig normal“, sagte in diesem Moment nicht Josuah Parker, sondern ein schlanker, großer Mann, der eine Brille mit dicken Gläsern trug. Der Mann stak in einem weißen Arztkittel und lächelte so dünn wie der Rücken eines Messers. „Würden Sie mir bitte folgen, meine Herren?“
*
„Dr. Clyde“, stellte der Mann sich vor, nachdem sie in seiner Praxis waren, einem großen Raum mit Milchglasscheiben vor den Fenstern, der nach dem neuesten Stand der medizinischen Spezialinneneinrichtung ausgebaut war, „machen Sie sich bitte frei!“
„Ich begleite Mister Rander nur als Butler“, stellte Parker schnell und listig richtig, „Mister Rander speziell wünscht eine generelle Untersuchung!“
„Davon kann überhaupt keine Rede sein“, protestierte Rander, „mir geht es um meinen Butler … Der Ärmste ist völlig überarbeitet und braucht dringend Erholung.“
„Vielleicht einigen sich die Herren, wer nun eine Erholung braucht oder nicht!“ Dr. Clyde gab sich kühl und gelassen. Die grauen Augen hinter den dicken Brillengläsern schienen dabei ironisch zu funkeln.
„Ich denke, wir verzichten beide auf eine Untersuchung“, sagte Rander.
„Sie möchten demnach nur als normale Hotelgäste auf treten?“
„So ungefähr …
„Das läßt sich leider nach unseren Satzungen nicht einrichten“, erklärte Dr. Clyde mit einer gewissen Schadenfreude, „wir sind ja, wie Sie inzwischen wissen, kein gewöhnliches Hotel, sondern ein Recreation Center. Untersuchung und Behandlung sind obligatorisch.“
Parker stand bereits hinter seinem jungen Herrn und zupfte ihm diskret, aber sehr nachdrücklich das Jackett von den Schultern. Rander wollte sich wehren, aber gegen Parkers Höflichkeit hatte er keine Chance. Innerhalb weniger Sekunden stand er mit nacktem Oberkörper vor seinem Arzt, während Josuah Parker sich zufrieden zurückzog.
„Schwester Kathy!“ Dr. Clyde hatte kaum seine Stimme erhoben, und prompt erschien aus einem Nebenzimmer ein langbeiniges, reizendes Geschöpf in kniekurzem Kittel.
„Wir beginnen mit dem Blutstatus“, sagte Clyde kühl, „anschließend Elektrokardiogramm und so weiter … Sie wissen Bescheid, bereiten Sie alles vor!“
„Werde ich noch gebraucht?“ Parker fand es angebracht, sich möglichst schnell zu empfehlen.
„Sie können gehen, Mister Parker“, sagte Dr. Clyde. „In etwa einer Stunde können Sie Ihren Herrn wieder abholen!“
„Ich erlaube mir, eine gute Untersuchung zu wünschen!“ Parker übersah die anklagend-wütenden Blicke seines jungen Herrn, lüftete seine schwarze Melone und verließ gemessen das Zimmer. Draußen vor der Tür jedoch überzog für den Bruchteil einer Sekunde ein amüsiertes Lächeln sein sonst unbewegliches Gesicht. Parker schien sich zu freuen, daß er noch einmal davongekommen war.
Er ging zurück in die Halle und hielt Ausschau nach Kurgästen. Wieder war weit und breit nichts zu sehen. Die Hotelgäste schienen in einen sehr ausgefüllten Fahrplan eingespannt zu sein. War das etwa eine günstige Möglichkeit, sich ein wenig im Haus umzusehen?
Parker zögerte nicht lange.
Ihn interessierten die Kellerräume. Er drückte die Tür auf, durch die die Bademantel-Herren gegangen waren. Eine breite, strahlend hell erleuchtete Treppe führte nach unten. Sauberkeit war hier Trumpf. Ein Hygieniker hätte hemmungslose Lobpreisungen von sich gegeben.
Parker brachte die Treppe hinter sich und stand dann in einem breiten, weißgekachelten Korridor, von dem aus einige Pendeltüren abzweigten.
Durch eine dieser Pendeltüren kamen zwei stämmige Männer, die weiße Kittel trugen. Sie stürzten sich ohne jede Ankündigung auf den Butler und machten sich daran, ihn zu verschleppen, wogegen Josuah Parker einiges einzuwenden hatte …
*
„Schon allein die primitive Form Ihrer Annäherung mißfällt mir sehr“, sagte Parker und setzte dem Mann rechts von sich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms diskret unter das eckige Kinn.
Der Mann verzichtete auf jede Erklärung. Er verdrehte die Augen und rutschte haltlos in sich zusammen.
Der zweite Mann wollte verständlicherweise Gegenmaßnahmen ergreifen, doch als sich die Spitze des Universal-Regenschirms auf seine nackten Zehen drückten — er trug offene Sandalen und keine Strümpfe —, da kickste er mit brechender Stimme auf, verdrehte ebenfalls die Augen und verzichtete auf Entschuldigungen. Er knickte in der Mitte seines Leibes, etwa in Höhe der Taille, leicht ein und bot seinen Nacken dar.
Parker wollte und konnte nicht widerstehen.
Seine Hand fiel fast zufällig auf den Nacken, worauf der Mann nicht mehr kickste, sondern nur erstaunt aufstöhnte und sich beeilte, ebenfalls auf dem Boden Platz zu nehmen.
Parker untersuchte die beiden Männer und wunderte sich kaum, als er unter den weißen Kitteln je eine Schulterhalfter samt Schußwaffe fand.
Er entlud beide Waffen gründlich, schob die leeren Magazine zurück in die Waffen und warf die Patronen in einen Ventilatorschacht oben in der Wand. Dann betrat er ohne jede Begleitung den Raum hinter der Pendeltür.
Es schien sich um einen Umkleideraum zu handeln.
Links und rechts an den Wänden sowie in der Mitte gab es je eine Reihe von weiß gestrichenen Spinden. Aus einer zweiten Tür am Ende des Raumes drang unrhythmisches Schlagen und Klopfen, das er anfänglich nicht zu deuten vermochte.
Wenig später wußte der Butler mehr.
Er hatte nämlich auch diese Tür geöffnet und sah sich den Boxring in dem großen Kellerraum genauer an. Im Ring standen zwei austrainiert wirkende Männer von schätzungsweise je einhundertachtzig Pfund. Sie droschen aufeinander los und wurden angefeuert von etwa fünf, sechs Männern in Ringkleidung, die das Seilviereck umstanden.
Als Parker erschien, wurde es im Raum ruhig. Alle Männer wandten sich ihm zu. Parker lüftete höflich seine Melone.
„Ich möchte auf keinen Fall stören“, sagte er.
„Ach, Sie sind es! Aber kommen Sie doch näher, Mister Parker!“ Der Manager-Stellvertreter Norman Hallway strahlte den Butler an und führte ihn an den Ring heran. „Sie kommen gerade zurecht, um sich unsere Trainingsstunde anzusehen …
„Das Recreation Center bietet sehr viel“, sagte Parker höflich.
„Unsere Gäste werden hier eben wieder richtig fit für den harten Alltag gemacht“, meinte Hallway. Dann dämpfte er die Stimme und fügte neugierig hinzu, „wo haben Sie denn meine Assistenten gelassen?“
„Von wem sprechen Sie, Sir?“ Parker spielte den Ahnungslosen.
Bevor Hallway nähere Erläuterungen zu seiner Frage geben konnte, erschienen seine beiden Assistenten, nämlich jene beiden Männer, die Parker im Korridorgang ausgeschaltet hatte. Sie machten einen leicht lädierten Eindruck. Ihr Selbstvertrauen schien erschüttert worden zu sein.
„Meinten Sie diese beiden Herren dort?“ erkundigte Parker sich.
„Richtig …,!“ Hallway ging ihnen entgegen, worauf sie ihm einige Details mitteilten, wie Parker schnell merkte. Während sie nämlich redeten, sah Hallway sich überrascht nach dem Butler um.
„Sie müssen einem Mißverständnis zum Opfer gefallen sein“, sagte Hallway, nachdem er schnell zu Parker zurückgekehrt war.
„Mir scheint, Ihre beiden Assistenten wurden das Opfer dieses Mißverständnisses“, stellte der Butler richtig. „Ich fühlte, das räume ich offen ein, mich angegriffen!“
„Ob Sie auch im Ring so gerissen sind?“ fragte Hallway rundheraus.
„Meine Kenntnisse in der edlen Kunst der Selbstverteidigung sind äußerst bescheiden“, meinte Parker zurückhaltend.
„Dann lernen Sie doch noch dazu! Solch eine günstige Gelegenheit ergibt sich selten, Mister Parker. Der Herr dort in der Ringecke ist ein bekannter Boxlehrer. Er wird Ihnen gern einiges beibringen.“
„Ich fürchte, daß ich überhaupt nicht in Form bin“, entschuldigte der Butler sich erneut.
„Ihr Partner wird sich darauf bestimmt einstellen. Trainingszeug stellen wir Ihnen gern zur Verfügung!“
„Ich denke, es wird auch so gehen“, sagte Parker und ließ sich nun nicht länger nötigen. Er stieg über die kleine Treppe hinauf in den Boxring und stellte seinen Universal-Regenschirm hinter sich in die Ecke. Er stülpte sich die schweren Trainings-Handschuhe über, behielt seine Melone aber selbstverständlich auf dem Kopf. Selbst auf seinen schwarzen Zweireiher verzichtete er nicht. Korrekte Kleidung ging dem Butler über alles.
Die Zuschauer grinsten unverhohlen, als der Boxlehrer kurz mit der Faust in Parkers Richtung grüßte. Sie wußten bereits im vorhinein, was nun kommen mußte.
„Ich bin bereit“, rief Parker seinem Gegner zu und begab sich würdevoll und gemessen in die Ringmitte.
Sein Gegner tänzelte auf ihn zu, fintierte, pendelte mit dem Oberkörper und … schoß dann urplötzlich einen rechten Haken auf den Butler ab …
*
„Vegetative Dystonie!“ entschied Dr. Clyde, nachdem Mike Rander sich wieder angekleidet hatte und vor ihm am Schreibtisch saß, „wir werden Sie gründlich regenerieren müssen, Mister Rander. Falls Sie selbstverständlich einverstanden sind.“
„Und wie soll das vor sich gehen?“ Randers Augen irrten immer wieder hinüber zu der reizenden Arzthelferin.
„Zuerst einmal gründliche Bettruhe, medikamentöse Behandlung und dadurch bedingte Ruhigstellung, anschließend leichte Bewegungstherapie, selbstverständlich entsprechende Diät und später dann leichte Kräuterbäder …“
„Und wie lange soll diese Kur dauern?“
„Sie müssen wenigstens mit vier Wochen rechnen. Eine grundlegende Wandlung ist aber selbst dann noch nicht zu erwarten!“
„Ich denke, daß ich mich Ihnen anvertrauen werde“, sagte Mike Rander.
„Sehr schön, Mister Rander, dann begeben Sie sich bitte hinüber ins Sekretariat und unterschreiben Sie dort die Formblätter. Anschließend wird Ihnen dann Ihre Kuranweisung zugestellt werden.“
Mike Rander nickte Dr. Clyde zu, der sich schon wieder mit Krankenberichten befaßte. Die reizende Helferin kümmerte sich um Rander und erbot sich, ihn zum Sekretariat zu bringen. Mike Rander war mit dieser Führung sofort einverstanden.
„Wir können den Elektroroller benutzen“, sagte sie freundlich, „ab sofort müssen Sie sich sehr schonen, Mister Rander.“
„Wie schade“, bedauerte Rander, „in Anbetracht der Lage ist es wohl sinnlos, Sie zum Essen einzuladen, wie?“
Sie lächelte nur und antwortete nicht. Sie übernahm das Steuer des Elektrorollers, während Rander neben ihr Platz nahm. Doch kaum hatte der Dreiradroller sich in Bewegung gesetzt, da sprach sie auch schon. Und zwar in einer Art und Weise, die den jungen Anwalt stutzig werden ließ. Die Arzthelferin bemühte sich nämlich, die Lippen nicht zu bewegen.
„Gehen Sie, solange noch Zeit ist“, sagte sie hastig, „man wird Sie umbringen, Mister Rander!“
„Wo bin ich eigentlich?“ erkundigte sich Rander.
„In einem Hornissennest“, erwiderte sie fast ohne jede Bewegung der Lippen. „Unterschreiben Sie nichts, damit würden Sie nur Ihr eigenes Todesurteil abzeichnen!“
„Warum warnen Sie mich?“ fragte Rander.
„Ich kann bald nicht mehr“, sagte sie verzweifelt, „was ich hier sehe und erlebe, übersteigt alle Vorstellungen.“
„Schnell, nennen Sie mir einige Details!“
„Hier werden … Vorsicht! Nicht mehr sprechen!“
Rander mußte auf die Details verzichten, denn ein zweiter Elektroroller kam ihnen entgegen. In ihm saßen zwei Kurgäste, die sich Bademäntel übergeworfen hatten.
„Hallo, Schwester Kathy!“ riefen sie der Arzthelferin zu, „Dr. Clyde erwartet uns. Kommen Sie, steigen Sie zu uns über!“
Sie wollte dies ganz offensichtlich nicht, wagte aber nicht zu widersprechen. Sie lächelte etwas verkrampft, nickte Rander zu und stieg in den anderen Roller über. Rander sah der Arzthelferin nach und rollte dann weiter auf den langgestreckten Seitenflügel zu. Er hatte dabei ein flaues Gefühl in der Magengegend und kam sich wie ein Verräter an Schwester Kathy vor.
Am Eingang zum Seitenflügel erwarteten ihn zwei Bekannte. Es handelte sich um die Mitarbeiter Hallways, Jerry und Hale.
„Wir sind bereits vom Doktor verständigt worden“, sagte Jerry, ohne zu große Freundlichkeit, „kommen Sie, im Sekretariat wartet man bereits auf Sie!“
Sie nahmen ihn zwischen sich, wie es zwei ausgekochte Gangster tun, die ihr Opfer möglichst unauffällig abführen wollen. Mike Randers flaues Magengefühl weitete sich jetzt zu einem leichten Magenkrampf aus. Er hatte die dumpfe Ahnung, daß er nicht nur Formblätter unterschreiben sollte …
*
Der geplante rechte Haken zischte wirkungslos in die Luft und richtete weiter keinen Schaden an. Vom Schwung allerdings mitgerissen, fiel der Meisterboxer nach vorn und … damit gleichzeitig in die leicht erhobene Hand des Butlers.
Der Erfolg war erstaunlich.
Der Meisterboxer blieb in der leicht waagerechten Haltung für Bruchteile von Sekunden stehen. Dann ging ein schwaches Beben und Zittern durch seinen Körper und schließlich knickte er in den Beinen ein. Schraubenartig drehte der Boxer sich hinunter auf den Ringboden, wo er bewegungslos liegen blieb.
„Ich fürchte, Mister Hallway, hier hatte der Zufall seine unberechenbare Hand im Spiel“, entschuldigte Parker sich und lüftete höflich seine Melone.
Hallway war in den Ring geklettert und kümmerte sich um seinen Meisterboxer. Nach kurzer Untersuchung schaute er fassungslos hoch zu Parker.
„Total ausgeknockt“, sagte er dann in das Schweigen der Zuschauer hinein, „Mann, Parker, wie haben Sie das gemacht?“
„Ich stehe vor einem Rätsel“, sagte Parker, „Sie haben ja mit eigenen Augen gesehen, daß ich überhaupt nicht boxen kann!“
Hallway war an weiteren Experimenten nicht mehr interessiert. Er hatte es plötzlich sogar eilig, daß Parker den Trainingskeller verließ.
„Besteht die Möglichkeit, daß ich mir noch die übrigen Übungsgruppen ansehe?“ erkundigte sich Parker.
„Wie wäre es mit unserem unterirdischen Schießstand?“
„Sehr interessant“, antwortete Parker, „aber ich möchte gleich betonen, daß ich mich keineswegs an solchen Übungen beteiligen werde. Schußwaffen herkömmlicher und normaler Bauart sind mir verhaßt, wenn ich das ehrlich eingestehen darf.“
Hallway und Parker fuhren mit einem schmalen Lift hinunter in einen zweiten Keller. Als sie aus dem Lift stiegen, waren Schüsse zu hören, die in schneller Reihenfolge abgefeuert wurden. Hinter einer dick wattierten Tür, die die Schüsse aber nicht völlig hatte dämpfen können, lag der Schießstand.
Es handelte sich um eine vollautomatische Anlage.
Durch elektronische Zeitsteuerung konnten die Ziele bewegt und ausgetauscht werden. Vorn vor einer Barriere standen einige Herren, die aus Pistolen ganze Serien von Geschossen auf diese Ziele abfeuerten, die von Scheinwerfern angestrahlt wurden. Diese Männer trugen Trainingsanzüge, in Schnitt und Farbe genormt.
„Das Sportschießen soll die Nervenreflexe wieder auf Vordermann bringen“, erklärte Hallway, „wir haben mit dieser Therapie gute Erfolge gehabt.“
Er nahm eine Pistole hoch, visierte ein Ziel an und schoß in rasend schneller Reihenfolge. Anschließend fuhr das Ziel auf geölten Schienen nahe an ihn heran, damit er die Trefferzahl selbst kontrollieren konnte.
„Wir haben hier Zehnerscheiben“, sagte Hallway und zählte seine Treffer. Er nickte zufrieden. „Fünf Schuß … 42 Ringe!“
„Ich erlaube mir, Sie zu Ihren Kenntnissen zu beglückwünschen“, sagte Parker höflich. „Wie sieht denn der Trefferdurchschnitt Ihrer Patienten aus, wenn ich fragen darf?“
„Fünf Schuß … 45 Ringe“, sagte Hallway. Er lächelte den Butler an, „wollen Sie’s mal versuchen?“
„Ich weiß nicht recht“, zögerte Parker.
„Na, versuchen Sie’s doch mal!“ Hallway drückte dem Butler eine Pistole in die Hand, nachdem er sie höflicherweise vorher sorgfältig abgewischt hatte, was den Butler insgeheim stutzig werden ließ.
Parker ließ sich selbstverständlich nichts anmerken. Er streifte sich ruhig und gemessen seine schwarzen Zwirnshandschuhe über und übernahm dann die Waffe. Dabei wischte er sie seinerseits gründlich, aber scheinbar absichtslos ab und begab sich in Schußposition.
Die Herren in ihren Trainingsanzügen legten eine Pause ein und beobachteten den Butler, der jetzt ebenfalls in schneller Reihenfolge schoß.
„Viel zu schnell“, sagte Hallway verkniffen lächelnd, als Parker die Waffe absetzte. „Auf diese Art und Weise werden Sie niemals über den Durchschnitt kommen!“
Das Ziel zischte über die gut geölten Schienen heran und konnte begutachtet werden.
„Eine Zahl“, meldete Hallway, „ich habe Ihnen ja gleich gesagt, daß Sie zu schnell geschossen haben. Die übrigen vier Schüsse müssen in die Deckung gegangen sein.“
„Wie Sie meinen, Sir“, sagte Parker, der es natürlich besser wußte.
„Wenn Sie Lust haben, können Sie jederzeit hier unten trainieren“, sagte Hallway, „auf eigene Rechnung und Gefahr, was wohl verständlich ist.“
„Gewiß, Sir! Darf ich Ihnen die Waffe zurückgeben?“
Einer der Männer wandte sich an Hallway, zog ihn zur Seite und flüsterte mit ihm einen kurzen Moment. Diesem Patienten schien etwas aufgefallen zu sein.
„Sollte meine bescheidene Wenigkeit gegen irgendwelche ungeschriebenen Regeln verstoßen haben?“ erkundigte Parker sich, als Hallway leicht betroffen zu ihm zurückkehrte.
„Der Herr dort meint, Sie hätten alle fünf Schüsse durch die Zehn gejagt“, antwortete Hallway und sah den Butler eigenartig an.
„Das kann ich mir kaum vorstellen“, untertrieb der Butler in seiner bekannten Art, „falls dies aber doch der Fall gewesen ist, so muß ich erneut den Zufall zitieren.“
„Sie sollten noch eine Serie schießen, Parker!“
„Wenn Sie darauf bestehen. Bitte schön!“
Parker übernahm eine andere Pistole, visierte das Ziel an und feuerte die Schüsse ab.
Erstaunliches tat sich.
Die herumirrenden Geschosse zerfetzten leider nicht das Ziel, sondern einen Teil der Anlage. Querschläger zwitscherten singend und schrill pfeifend durch den Schießstand und zwangen die verdutzten Patienten in volle Deckung.
„Ich fürchte, Sir, daß ich mich gründlich blamiert habe“, meinte Josuah Parker verschämt, „hoffentlich lassen die Schäden sich bald und kostensparend reparieren.“
„Gehen wir“, meinte Hallway mißmutig, „die Kosten werden natürlich vom Haus übernommen!“
„Wenn Sie gestatten, möchte ich jetzt nach Mister Rander sehen!“ Parker nickte den Patienten freundlich, aber distanziert zu, lüftete grüßend seine Melone und verließ zusammen mit Hallway den unterirdischen Schießstand.
„Aber das hat doch noch Zeit“, lenkte Hallway ab, „ich möchte Ihnen vorher noch unseren Body Building Room zeigen, Sie werden überrascht sein.“
Parker willigte ein, wenngleich sein Gefühl ihm vage und undeutlich sagte, daß er seinen jungen Herrn nicht länger allein lassen durfte …
*
Les Paulsen, der leitende Manager des Recreation Center, ein seriöser, schlanker Mittfünfziger, war nicht allein in seinem Büro. Neben seinem Schreibtisch stand eine langbeinige, dunkelblonde Frau von schätzungsweise dreißig Jähren und exotischer Schönheit.
„Miss Friday“, stellte Paulsen vor, „meine Privatsekretärin … Sie haben sich also entschlossen, Mister Rander, hier bei uns zu kuren?“
„Richtig!“
„Es warten damit harte Tage auf Sie“, erläuterte Paulsen weiter, während Miss Friday sich schweigend verhielt, den jungen Anwalt aber intensiv und abschätzend musterte. „Die Anstrengungen lohnen sich, das kann ich Ihnen schon jetzt garantieren.“
„Ich will es sehr hoffen.“ Rander lächelte neutral.
„Sie werden sich dem Rahmenprogramm unterziehen müssen“, redete Les Paulsen weiter, „darüber hinaus können Sie nach Rücksprache mit dem Kurarzt weitere Kurse belegen.“
„Ich fühle mich schon jetzt wohl“, behauptete Rander unverfroren. „Gibt es Bedenken, daß mein Butler bei mir bleibt?“
„Das allerdings, Mister Rander. Les Paulsen hob bedauernd die Schultern. „Wir bestehen darauf, daß unsere Kursanten jede Verbindung mit ihrem gewohnten Alltag abbrechen. Ein Butler, das werden Sie zugeben, wäre solch eine Verbindung.“
„Ich denke, mein Butler wird als Kursant bleiben. Auch er braucht dringend eine Generalüberholung. Ich werde das veranlassen.“
„Dann kann Mister Parker selbstverständlich bleiben. Ach, richtig, ich brauche von Ihnen noch eine Abtretungserklärung!“
„Worum handelt es sich dabei?“
„Wir können natürlich keine rechtlichen Verpflichtungen übernehmen, falls Sie gesundheitlichen Schaden erleiden, der sich nach Lage der Untersuchung nicht vorausberechnen ließ.“
„Mit anderen Worten, falls mir etwas passiert, sind Sie aus dem Schneider, ja?“
„So ungefähr, Mister Rander. Miss Friday, die Unterlagen, bitte!“
Die langbeinige Dunkelblonde zauberte einige Formular herbei, die Mike Rander sorgfältig durchlas. Wohl verpackt in einem Wust von Worten befand sich die Abtretungserklärung. Der junge Anwalt hatte es richtig ausgedrückt, regreßpflichtig konnte das Recreation Center nicht gemacht werden, falls ihm während der Kur ein gesundheitlicher Schaden zustieß.
Rander dachte an die Warnung von Schwester Kathy und … unterschrieb. Er war jetzt vollkommen sicher, daß Parker und er wieder einmal durch Zufall auf einen interessanten Fall gestoßen waren.
„Demnach haben Sie also keinen Ärger, weil Ihr Kurgast Hacklett umgekommen ist, nicht wahr?“ Rander schob die unterschriebenen Formulare an Miss Friday weiter, die sich die Unterschriften sehr genau ansah.
„Mister Hacklett kam unten auf dem See ums Leben“, sagte Paulsen geschmeidig und höflich, „für solch einen Unglücksfall hätte man uns niemals verantwortlich machen können.“
„Wohnte Mister Hacklett schon seit längerer Zeit bei Ihnen?“
„Seit fast drei Wochen. Und ich muß sagen, der Arzt war mit seiner Regeneration sehr zufrieden.“
„Hoffentlich wird er das bald auch von mir sagen können.“ Rander stand auf und nickte Paulsen und Miss Friday lächelnd zu. „Ich darf mich empfehlen, ja?“
„Ich wünsche Ihnen gute Erholung, Mister Rander … Paulsen brachte seinen neuen Kurgast bis an die Tür seines Privatbüros. Als Rander im Vorzimmer war, stießen Jerry und Hale, die draußen gewartet hatten, wie Habichte auf ihn zu.
„Schwitzbad und Massage“, sagte Hale grinsend. „Man wartet bereits auf Sie!“
„Aber doch nicht schon jetzt, so ohne jeden Übergang.“
„Wer sich den Anordnungen des Personals widersetzt, muß mit seiner sofortigen Entlassung rechnen. Kommen Sie, Mister Rander! So unangenehm ist das alles gar nicht. Hauptsache, Sie halten’s durch!“
Mike Rander mußte wohl oder übel folgen. Doch er ahnte nicht, was ihn erwartete, sonst hätte er möglicherweise einen schnellen und gekonnten Fluchtversuch unternommen.
*
Die Wände waren blendend weiß gestrichen, die Decke rosa getönt. Auf dem roten Fußboden aus Kunststofffliesen standen Marterinstrumente aller Art, die der Körperbildung dienten. Da waren Streckbretter mit Zugfedern, Stemmgalgen, stationäre Fahrräder, Rudergeräte und Endlosbänder, auf denen man das Laufen in allen Gangarten trainieren konnte.
Auch in diesem Raum waren Kurgäste, die sich nach allen Regeln der Kunst abstrampelten. Auch diese Herren trugen Trainingsanzüge oder Turnzeug. Sie waren durchweg im Alter zwischen dreißig und fünfundvierzig Jahren und durchweg etwas zu dick.
Sie achteten überhaupt nicht auf Josuah Parker, der zusammen mit Norman Hallway den großen Kellerraum betrat. Sie mühten sich angestrengt ab, ihr Pensum zu erfüllen.
Überwacht wurden sie von äußerst reizenden Assistentinnen, die ihrerseits durchweg zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alt waren und in engen schwarzen Trikots steckten. Dennoch konnte von einer auch nur annähernd erotisch aufgeladenen Atmosphäre nicht die Rede sein. Es roch nach Schweiß und Anstrengung.
Zwei dieser jungen, langbeinigen Damen kamen geschmeidig auf den Butler zu und wollten ihm Melone, Schirm und Jackett abnehmen. Parker wehrte lächelnd ab.
„Ich habe das Vergnügen, nur als Zuschauer hier zu sein“, entschuldigte er sich, „zudem fürchte ich, daß ein alter, müder und relativ verbrauchter Mann wie meine bescheidene Wenigkeit kaum reelle Chancen hat, eines dieser Geräte bedienen und beherrschen zu können.“
„Stellen Sie Ihr Licht nur nicht unter den Scheffel“, zitierte Hallway ein international bekanntes Sprichwort. Er deutete auf ein poliertes Brett, über dem sich ein Doppelgalgen befand, auf dessen Querstange ein Stemmgewicht lag. „Diese Hantel werden Sie doch wohl schaffen, oder?“
„Ich fürchte, ich muß Sie enttäuschen, Sir!“
„Vielleicht versuchen Sie es doch einmal, Parker.“ Hallway nickte den beiden jungen Langbeinern zu, die den Butler daraufhin entschlossen in den Griff nahmen, ihn auf das Brett ausstreckten und ihm die verchromte Querstange der Riesenhantel in die Hand drückten.
„Ich protestierte gegen diese Form der Besichtigung“, sagte Parker. Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als er das volle Gewicht der freigewordenen Hantel verspürte.
Parker befand sich in einer keineswegs erfreulichen Lage. Wenn er das Gewicht nicht hielt, rutschten seine noch ausgestreckten Arme samt den schweren Gewichten auf seine Brust herunter. Und zwar blitzschnell. Mit mittelschweren Quetschungen war dann mit Sicherheit zu rechnen.
Parker stemmte also notgedrungen die Gewichte hoch und sah mit Mißfallen, daß die beiden jungen Langbeiner sich daran machten, Zusatzgewichte einzuhängen.
Er schien hier unten so etwas wie einen einsamen Rekord zu stemmen. Die übrigen Kurgäste hörten mit ihrer Arbeit auf und versammelten sich um das Liegebrett. Sie starrten hinunter auf diesen seltsam gekleideten Mann, der nach wie vor nicht auf seine Melone und auf seinen schwarzen Zweireiher verzichtet hatte. Sie amüsierten sich insgeheim über den Eckenkragen und die schwarze Krawatte.
„Donnerwetter“, krächzte Hallway, als Parker sich von den Zusatzgewichten nicht verblüffen ließ, „entweder arbeiten Sie mit irgendeinem faulen Trick, oder aber sie sind tatsächlich so stark wie’s aussieht.“
Parker nickte jetzt freundlich und … wischte dann blitzartig unter dem Gewicht hervor, das krachend und donnernd haarscharf an ihm vorbei auf dem Brett landete und es zersplittern ließ. Einige Kunststoffkacheln zerbrachen, und im Zementboden, der so freigelegt worden war, bildete sich eine kleine Vertiefung.
Diskreter Beifall erfolgte, die Kurgäste waren begeistert. Als Parker sich erhob, trafen ihn kritisch-interessierte und sehr aufmerksame Blicke.
„Aus welcher Ecke kommen denn Sie?“ fragte ihn einer der Kurgäste vertraulich.
„Aus Chikago, wie ich freundlichst vermelden darf …“
„Welchem Laden gehören Sie da an?“
„Äh, darf ich weiterbitten?“ Hallway unterbrach die Unterhaltung und maß den Kurgast mit einem schnellen, strafenden Blick. „Dort, Mister Parker. Dort hätten wir zwei Zuggewichte, die mittels der Expanderstränge hochgezogen werden müssen …“
„Ich möchte betonen, daß ich absolut nichts dagegen habe“, erwiderte der Butler wahrheitsgemäß.
„Versuchen Sie doch mal Ihr Glück, Parker!“ Hallway trat ironisch lächelnd zurück und deutete auf die beiden Handbügel. Durch Zug der Expanderstränge konnte man die Kilograde feststellen, die man erreichte.
Parker, der sich relativ albern vorkam, ließ sich diesmal nicht nötigen.
Er faßte nach den Griffen und … strengte seine Muskeln ein wenig an.
Die beiden Gewichte, die in Schienen lagen, schnellten wie Gummibälle hoch und rasten durch die obere Absperrung. Der Lack der Decke splitterte ab, unter dem Deckenverputz wurde die Betondecke sichtbar. Die aus den Fugen geratenen Gewichte sprangen aus den Schienen und landeten krachend und führungslos auf dem Boden, der zum zweitenmal lädiert wurde.
„Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß dies keineswegs meine Absicht war“, stellte Parker richtig, bevor ihn Vorwürfe treffen konnten. „Möchten Sie mich mit weiteren Trainingsgeräten bekanntmachen, Sir?“
„Lieber nicht“, hüstelte Hallway, „ich denke, ich zeige Ihnen jetzt die Massage- und Sauna-Abteilung. Wahrscheinlich werden Sie dort jetzt Ihren Chef treffen!“
*
Mike Rander steckte hilflos und wie angeschmiedet in einem der vielen eckigen Schwitzkästen und litt wie ein Tier. Wallende Nebel umgaben ihn. Hin und wieder erschien eine Badeassistentin, um ihm die nasse Stirn abzutrocknen.
Diese Assistentinnen sahen beneidenswert unterkühlt aus. Attraktiv waren sie noch dazu. In Anbetracht der Hitze, die hier herrschte, trugen sie hellblaue, sehr leichte Kittel, die in der Taille eng geschnürt waren und die ein erfreuliches Dekolleté freigaben. Die schwitzenden und unter der Hitze leidenden Kurgäste sollten wohl wenigstens optisch etwas von ihren Qualen abgelenkt werden.
Rander hatte das Gefühl, daß man die Hitzegrade seines Schwitzkastens wohl zu weit aufgedreht und gesteigert hatte. Er glaubte zu ersticken und suchte krampfhaft nach einer Möglichkeit, diesen Schwitzkasten verlassen zu können. Doch das war nicht möglich. Nur sein Kopf ragte aus dem Kasten hervor, sein Körper stak unverrückbar fest in diesem Folterinstrument, das der Gesundheit dienen sollte. Der Kasten war nur von außen zu öffnen.
„Ich … ich halte es nicht mehr aus“, stöhnte Mike Rander, als eine der Assistentinnen vor seinem Schwitzkasten erschien und sich ungemein höflich nach seinem werten Befinden erkundigte.
„Das glaubt man zuerst immer“, sagte die Badeschönheit. „Sie werden sich mit der Zeit daran gewöhnen.“
„In welcher Zeit?“ stammelte Rander und verdrehte die Augen, „wie lange soll ich denn noch in dieser Miniaturhölle schmoren?“
„Noch genau eine Viertelstunde“, lautete die keineswegs erfreuliche Antwort.
„Bis dahin bin ich gestorben und zerflossen“, sagte Rander und warf seinem weiblichen Folterknecht einen flehenden Blick zu, „können Sie nicht mal eine Ausnahme machen? Ich möchte hier ’raus …!“
„Das wäre gegen die Bestimmung“, erwiderte die Badeschönheit und tupfte ihm fast zärtlich den Schweiß von der Stirn. „Ich glaube sogar, daß ich die Temperaturen jetzt leicht anheben kann!“
„Sind Sie wahnsinnig?“ keuchte Mike Rander und strampelte sich in dem relativ geräumigen Schwitzkasten wie ein trotziges Kleinkind ab, „lassen Sie die Finger von dem Ventil, oder ich werde mich beschweren!“
„Das steht Ihnen selbstverständlich frei, Sir“, meinte die junge, leichtgeschürzte Schönheit, „aber man wird Ihnen sagen, daß hier keine Ausnahmen gemacht werden.“
Mike Rander stierte auf die schlanken Arme der jungen Dame, auf die Hände vor allem, die jetzt ein kleines Handrad bewegten. Augenblicklich schoß noch heißerer Dampf in den Schwitzkasten. Rander brüllte und wollte hochspringen, doch der Halskragen mit der dichten Gummimanschette hinderte ihn daran.
„Ich werde gleich wieder nach Ihnen sehen“, verhieß ihm die Schönheit, knickste erstaunlich höflich und verschwand daraufhin in den dichten Nebelschwaden, die den Raum immer mehr ausfüllten.
Mike Rander versuchte die Hitze zu ertragen, die sich in seinen fast nackten Körper hineinfraß. Von Sekunde zu Sekunde wurden die Schmerzen unerträglicher.
Plötzlich erfaßte ihn so etwas wie nackte Panik. Wollte man ihn auf raffinierte Art und Weise umbringen?
„Hallo … Hallo …!“ rief er in die ziehenden Nebelschwaden hinein und wartete ungeduldig auf das Erscheinen einer Assistentin. Er rief noch oft, doch seine Rufe wurden vom Nebel verschluckt und aufgesogen.
Rander zwang sich zur Ruhe. Nur jetzt nicht durchdrehen! Er mußte und wollte sich selbst helfen. Er mußte irgendwie aus diesem teuflischen Schwitzkasten heraus.
Er stemmte sich mit den Schultern gegen die Halsmanschette, stieß sich mit den Beinen ab und versuchte den Kasten anzuheben. Nichts …!
Der Schwitzkasten saß unverrückbar im Kachelboden fest. Er bewegte sich noch nicht einmal um Millimeter. Erschöpft, nach Luft schnappend, sackte Rander wieder zurück und schöpfte neue Kräfte für einen zweiten Versuch.
Er stierte in den Nebel und wunderte sich schon nicht mehr, keine Stimmen zu hören. Man schien ihn hier vollkommen isoliert zu haben. Und er erinnerte sich plötzlich, daß der Schwitzkasten in einem Nebenraum stand, der durch eine Tür vom Haupt- und Massageraum abgetrennt werden konnte.
War diese Tür geschlossen worden?
Im Nebel glaubte Rander golden glitzernde Sterne zu sehen. Er schloß die Augen, in denen bereits der hinabrinnende Schweiß brannte. Er riß sie wieder weit auf, um wenigstens irgendeine Andeutung eines Menschen zu erkennen.
Nichts …!
Ihm wurde schlecht. Sein Atem ging immer schneller. Seine Lungen gierten nach Sauerstoff, der hier immer spärlicher wurde. Schwindelgefühl erfaßte ihn. Er hörte sich rufen, leise, schwach und ohne jede Energie. Er schnaufte, riß sich noch einmal zusammen und wurde dann plötzlich ohne jeden Übergang ohnmächtig.
Er sah nicht mehr die beiden Badeschönheiten in ihren mehr als leichten Kitteln, die nun vor seinem Schwitzkasten auftauchten. Sie vergewisserten sich kurz, daß er tatsächlich ohnmächtig war. Dann lächelten sie sich neutral zu.
„Noch mehr …?“ fragte die erste junge Dame.
„Nicht mehr notwendig“, erwiderte die zweite, „die jetzige Temperatur reicht! Ich gebe ihm höchstens noch fünfzehn Minuten!“
„Soll ich Hallway Bescheid sagen?“
„Der muß gleich mit dem zweiten Schnüffler kommen“, war die Antwort, die mehr als aufschlußreich war. „Gegen Abend sind wir endlich wieder unter Uns. Der Chef wird zufrieden sein, eleganter kann man so etwas doch nicht lösen, oder?“
*
„Das hier sind unsere Einzelsauna-Objekte“, erläuterte Hallway dem Butler und deutete auf die Schwitzkasten, die entlang der Kachelwand standen, „dort hinter der Tür ist die Gemeinschaftssauna und dort ist die Massage-Abteilung …!“
„Die Stimmung scheint ausgezeichnet zu sein“, stellte Josuah Parker wohlwollend fest. Leichte, gefällige Unterhaltungsmusik rieselte aus versteckt angebrachten Lautsprechern auf die schwitzenden Kurgäste herab.
Die Badeassistentinnen huschten aufmerksam umher und bedienten ihre Kunden. Hier trockneten sie Schweiß, dort reichten sie Erfrischungen und nebenbei bedienten sie die Handräder der Dampfzuleitungen. Ein durchaus friedliches Bild.
„Möchten Sie die übrigen Abteilungen noch genauer sehen?“ erkundigte sich Hallway.
„Das erübrigt sich wohl“, meinte Josuah Parker, „wenn es sich allerdings einrichten läßt, würde ich gern Mister Rander sprechen, der sich ja hier in einer dieser Abteilungen befinden soll.“
Hallway wandte sich an eine der Assistentinnen.
„Dort im zweiten Raum“, sagte Hallway anschließend zu Parker, „nun, Mister Parker, hätten Sie nicht Lust, auch ein wenig zu kuren …?“
„Ich weiß nicht, ob mein allgemeiner Kreislauf damit einverstanden wäre“, antwortete Parker höflich und folgte Hallway, der die Tür zum zweiten Saunaraum ansteuerte.
Zwei der langbeinigen Badeschönheiten folgten ihnen, doch Parker schien das fatalerweise nicht zu bemerken. Es handelte sich um jene reizenden Wesen, die Mike Rander in arge Verlegenheit gebracht hatten.
Hallway öffnete die schwere Tür zum zweiten Saunaraum. Dichter und feuchter Nebelschwaden drang schwallartig nach draußen, Parker wich unwillkürlich einen halben Schritt zurück.
„Nach Ihnen!“ sagte Hallway als höflicher Gastgeber.
„Keineswegs, Sir“, protestierte der Butler entschieden. „Nach Ihnen selbstverständlich!“
Anschließend passierte dem Butler ein dummes Mißgeschick. Er glitt auf dem feuchten Kachelboden aus und fiel gegen Hallway, der mit diesem Zusammenstoß keineswegs gerechnet hatte, aus dem Gleichgewicht kam und klatschend auf dem Boden landete.
„Oh, wie peinlich“, entschuldigte sich Parker und beugte sich als hilfsbereiter Mensch sofort zu Mister Hallway hinunter. Er tat es genau im richtigen Augenblick, denn die beiden Assistentinnen hatten gerade zum Handkantenschlag ausgeholt, um den Butler blitzartig von den Beinen zu bringen.
Vom Schwung ihrer gedachten Schläge mitgerissen, fielen sie nun über Parkers Rücken und landeten kopfüber ebenfalls auf dem Kachelboden.
Parker schloß die Tür hinter sich und seinen Gastgebern und half ihnen auf die Beine. Sein Mißgeschick, daß dabei sein ansehnlicher, aber sehr altertümlicher und verschnörkelter Siegelring die Haut seiner Gastgeber oberflächlich schürfte oder ritzte.
Das Resultat war frappierend.
Die beiden Schönheiten und Hallway verloren jedes Interesse am Aufstehen und streckten sich zu einem kurzen, aber intensiven Tiefschlaf aus.
Parker brachte seinen Siegelring wieder in Ordnung. Er schob die Platte mit dem Stein zurück und rückte damit automatisch einen kleinen Stachel in seine Lage. Es war genau der Stachel, der die Haut seiner Gastgeber geritzt hatte.
Anschließend kümmerte Parker sich um die Schwitzkasten. Er wußte eigentlich im vorhinein, daß er hier seinen jungen Herrn finden würde.
Rander merkte nicht, daß sein Butler ihn freilegte. Parker öffnete schnell den Schwitzkasten und kümmerte sich um Mike Rander, dessen Atem bereits bedrohlich flach war.
Erfreulicherweise befand sich in einer Ecke dieses Raumes ein Sauerstoffgerät. Es war wohl für Kurgäste gedacht, denen während der Schwitz- und Heißluftbehandlung flau geworden war. Nach wenigen Minuten war Mike Rander wieder in der Lage, seine Augen zu öffnen.
„Zum Teufel, man wollte mich umbringen“, sagte er wütend und genehmigte sich einen weiteren Schluck aus der Sauerstoffdusche, „ich Kamel hätte damit rechnen müssen!“
„Meine bescheidene Wenigkeit ebenfalls, Sir! Ich bin untröstlich, Sie in solch eine Lage gebracht zu haben. Ich werde die Abreise selbstverständlich sofort in die Wege leiten.“
„Ausgeschlossen!“ Rander stand versuchsweise auf und mußte sich leicht mitgenommen gegen die Kachelwand lehnen, „ausgeschlossen, Parker, jetzt will ich es wissen! Jetzt will ich herausfinden, was mit diesem eigenartigen Recreation Center eigentlich los ist!“
„Ich beuge mich selbstverständlich Ihren Entschlüssen, Sir …
„Stecken wir Hallway in den Schwitzkasten?“ erkundigte sich Rander, in dessen Augen ein fast teuflisches Leuchten zu erkennen war, „ich bin sicher, daß er die beiden Damen angestiftet hat.“
„Darf ich ergebenst empfehlen, Sir, davon Abstand zu nehmen?“
„Warum denn?“
„Solch eine Handlungsweise ließe den Schluß zu, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit das gerochen haben, was man gemeinhin Lunte nennt! Mit anderen Worten, die Gastgeber könnten vielleicht noch mißtrauischer werden, als sie es ohnehin schon sind.“
„Stimmt! In Ordnung, aber aufgeschoben ist noch lange nicht aufgehoben, Parker, irgendwann präsentiere ich Hallway die Gegenrechnung!“
„An dieser Rechnung, Sir, hoffe ich mich beteiligen zu dürfen …“
„Was machen wir jetzt also?“
„Vielleicht könnte man die Kur vorzeitig abbrechen und zurück ins Apartment gehen, Sir …“
„Falls man uns überhaupt noch läßt, Parker. Ich glaube, daß man uns entweder umbringen will, oder aber alles daransetzt, uns so schnell wie möglich zu vergraulen.“
*
Jerry und Hale, die beiden engsten Mitarbeiter Hallways, starrten ungläubig auf Mike Rander und Josuah Parker, die durch die Tür kamen. Mit Sicherheit hatten sie wohl ihren Chef erwartet, nicht aber die beiden Opfer.
„Erfreulich, Sie zu treffen“, sagte Parker gemessen, „mir scheint, daß Mister Hallway dringend Hilfe benötigt. Die feuchtwarme Luft in der Sauna scheint ihm nicht sonderlich bekommen zu sein!“
Jerry und Hale wischten wie zwei auf gescheuchte Hasen durch die Tür. Parker sah ihnen durchaus freundlich nach und schloß als ordnungsliebender Mensch die Tür hinter ihnen. Er wollte Hallway und die beiden Badehäschen nicht der Kaltluft aussetzen und so Erkältungen provozieren.
Mike Rander lächelte bereits wieder. Und sein Lächeln wurde breit und breiter, als Josuah Parker ein schwarzes, abgewetzt aussehendes Lederetui aus der Tasche holte und mit einem Spezialschlüssel das Türschloß zusperrte. Anschließend ließ er einen kleinen Bleistreifen in das Türschloß gleiten, den er mit dem Spezialschlüssel auswalzte. Ein Öffnen der Tür mußte nun auf gewisse Schwierigkeiten stoßen.
„Sehr schön“, meinte Rander, als Parker seine schnelle Arbeit beendet hatte, „das tut meiner Seele gut. Hoffentlich schwitzen sie sich alle Bösartigkeiten aus dem Leib!“
Die Assistentinnen im Hauptraum wurden auf Rander und Parker aufmerksam. Das war deutlich zu erkennen. Sie schielten leicht verzweifelt nach Hallway, Hale und Jerry, taten aber nichts, um die beiden Ehrengäste etwa aufzuhalten. Ihnen fehlten die klaren Anweisungen. Sie waren im Moment etwas richtungs- und führungslos.
„Möchten Sie die übrigen Kurräume noch besichtigen, Sir?“ Parker schritt höflich voraus und machte den Führer.
„Mein Bedarf an Kurmitteln ist reichlich gedeckt“, gab Rander zurück. Sie hatten inzwischen die Haupthalle erreicht, die nach wie vor menschenleer war, „wie soll es weitergehen, Parker? Ich denke, der Krieg ist nun offiziell erklärt worden.“
„Vielleicht darf ich zu einem Erfrischungsschluck raten“, sagte Parker und deutete auf eine Hinweistafel, „in dieser Richtung scheint die Bar zu liegen!“
„Gute Idee … Gehen wir!“
Sie verließen die Halle, durchmaßen einen kleinen Korridor und landeten in einem riesigen Wintergarten, in dem sich üppig wuchernde Tropenpflanzen aller Art breitmachten. Eingebettet in diese grüne Wildnis befand sich die Hausbar, die überraschend gut besucht war.
Hinter einer langen und hohen Bartheke bedienten zwei Servierhasen in den hier im Haus üblichen Kostümen. Auf Barhockern davor saßen fünf Männer, ebenfalls in der üblichen Haustracht. Sie trugen kniekurze, weiße Bademäntel und schienen sich äußerst wohl zu fühlen.
Sie grinsten Parker an, der höflich seine schwarze Melone lüftete.
Während Mike Rander auf einen Barhocker kletterte, blieb Josuah Parker gemessen hinter seinem jungen Herrn stehen.
„Neu hier, wie?“ Einer der Bargäste, ein relativ schlanker Mann von etwa vierzig Jahren, etwas über mittelgroß, wandte sich an den Anwalt.
„Ich kure seit heute“, erwiderte Rander.
„Tolle Sache, das, wie …?“
„Ich bin überrascht, was einem hier so geboten wird“, sagte Rander.
„Sie werden sich noch am laufenden Band wundern“, redete der Kurgast weiter und zündete sich eine Zigarette an, „wenn Sie nach vier Wochen wieder auf die Menschheit losgelassen werden, platzen Sie vor Energie aus allen Nähten!“
„Und das bei dieser Bedienung hier!“ Mike Randers Stimme klang etwas ironisch, zumal ihm eines der Barhäschen gerade einen Drink servierte.
„Das ist der einzige Nachteil“, meinte der Kurgast melancholisch, „die Hasen hier sind tabu …! Nichts zu machen! Kein Flirt, keine Mätzchen!“
„So streng sind hier die Bräuche?“ wunderte Rander sich.
„Noch strenger“, lautete die Antwort, „die Häschen sind hier erstklassig geschult, ein falsches Wort, ein falscher Griff, und schon hat man sich irgendeinen Knochen gebrochen. Ich möchte nur wissen, woher Paulsen diese Girls hat. Sagenhafte Klasse! Voll ausgebildet in allen Sparten der Selbstverteidigung!“
„Darf man fragen, woher Sie kommen?“
„Wie, wissen Sie noch nicht, daß wir darüber grundsätzlich nicht sprechen dürfen?“
„Muß ich überhört haben.“
„Name und Herkunft sind ebenfalls tabu“, klärte ihn der Kurgast auf, „hier herrscht strengste Diskretion … Ist auch vollkommen richtig, wenn Sie mich fragen …“
„Wahrscheinlich“, gab Rander sparsam zurück. „Aber in welcher Branche Sie arbeiten, das können Sie mir doch sagen, oder?“
„Erst sind Sie mal an der Reihe …“
„Im Wirtschaftsfach“, erklärte Mike Rander, „ich habe mich auf juristische Beratungen spezialisiert …“
„Ich bin Gunner“, sagte der Kurgast leichthin, als sei das ein ganz normaler Beruf, „ich muß ehrlich sagen, ich war mit den Nerven restlos fertig. Worauf muß man heutzutage alles achten? Keinen Lärm! Unauffällige Arbeit! War das früher schön, als man einfach draufhalten durfte. So mit Maschinenpistole und Schießeisen …“
„Wo sind die guten alten Zeiten geblieben!?“ Mike Rander seufzte gekonnt auf.
„Sagen Sie mal, was für ’ne komische Type haben Sie sich da mitgebracht?“ wollte der Kurgast wissen. Er deutete diskret auf den Butler, der regungslos wie ein Standbild hinter seinem jungen Herrn stand.
„Mein Butler“, erläuterte Rander.
„Ihr was?“
„Mein Butler“, wiederholte Mike Rander.
„Mensch, müssen Sie ’ne tolle Nummer sein“, wunderte sich der Kurgast. „Sie müssen ja sagenhaft verdienen.“
„Es reicht gerade für die täglichen Brötchen“, gab Mike Rander ernst zurück. Er rutschte von seinem Barhocker herunter und nickte dem Gesprächspartner freundlich zu, „wir sehen uns ja noch … Auf bald!“
Er ging zusammen mit Josuah Parker aus dem Wintergarten und blieb im Korridor stehen.
„Was sagen Sie jetzt?“ wandte er sich an Parker. „Haben Sie alles mitbekommen?“
„Ich bin außerordentlich überrascht“, sagte Parker, „wenn mich nicht alles täuscht, Sir, scheint es sich bei diesem Recreation Center um ein Sanatorium für kreislaufgeschädigte Gangster und Killer zu handeln …
*
Les Paulsen, der Chefmanager des Recreation Center, sah mißbilligend auf Hallway, der noch einen angeschlagenen und kurzatmigen Eindruck machte.
„Unsinn“, sagte Paulsen, „einen Doppelmord können wir uns einfach nicht leisten, das würde zuviel Wirbel verursachen …“
„Aber es steht doch inzwischen fest, daß Rander und sein Butler gefährliche Schnüffler sind“, widersprach Hallway, „wenn Sie mich fragen, Paulsen, dann sollten wir Rander und Parker in die Luft jagen. Wie Hacklett!“
Hale und Jerry, Hallways Assistenten, nickten zustimmend und begeistert. Sie waren für eine schnelle Lösung. Einmal, weil es ihrer gewalttätigen Natur entsprach, zum anderen, weil sie auf Rander und Josuah Parker ausgesprochen sauer waren. Sie konnten ihnen nicht vergessen, daß man sie in den überhitzten Saunaraum gelockt und darin auch noch eingeschlossen hatte.
„Ich bin gegen jede Form von Gewalt“, sagte Doktor Clyde leise, aber sehr nachdrücklich. „Gewalt bringt nichts ein, mit feinen Methoden geht es wesentlich besser und schneller.“
Clyde war in Les Paulsens Büro gekommen, wo eine Konferenz der Hotelleitung stattfand. Miss Jane Friday, unterkühlt und streng wirkend, hob die Hand. Sie hatte ebenfalls etwas zu sagen.
„Ja, Jane?“ Paulsen sah sie erwartungsvoll an.
„Publicity jeder Art können wir uns einfach nicht leisten“, sagte sie. „Polizei im Recreation Center, ein unmöglicher Gedanke. Ich erinnere nur an Hacklett. Peinlich genug, daß er immerhin noch in der Nähe unseres Hauses ausgeschaltet wurde …“
„Dann lassen wir die beiden Schnüffler also weiter frei herumlaufen“, faßte Hallway ärgerlich zusammen, „dann dürfen sie uns also weiterhin auf dem Kopf herumtanzen und herumspionieren.“
„Natürlich nicht“, meinte Paulsen lächelnd.
„Und wie wollen wir das verhindern, Chef?“ Hallway blieb hartnäckig.
„Durch Geschicklichkeit … Wir lassen diese beiden Herren leerlaufen. Sie sollen sich ruhig frei bewegen und sich alles ansehen. Geheimnisse im engsten Sinn des Wortes werden sie nicht entdecken, weil wir keine haben. Ich bin sicher, daß sie nach vierzehn Tagen spätestens wieder verschwinden werden.“
„Die Frage ist doch wohl, warum Rander und sein Butler hier auf tauchten“, gab Miss Friday zu überlegen, „ein Zufall kann es ja wohl nicht gewesen sein. Zudem erschienen sie in dem Moment, als Hacklett beseitigt wurde …“
„Richtig, Jane“, pflichtete Doktor Clyde ihr bei. „Besteht hier ein Zusammenhang? Steckte Hacklett mit ihnen unter einer Decke?“
„Selbst wenn …!“ Les Paulsen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, „Hacklett wurde von uns isoliert. Er kann nichts herausgefunden haben …“
„Wie aber isolieren wir Rander und diesen verdammten Butler?“ Hallway sah seinen Chef grimmig an, „wir sind uns doch wohl klar darüber, daß dieser Parker es faustdick hinter den Ohren hat, oder? Dieser Mann ist gefährlich!“
„Da gehe ich mit Ihnen einig, Hallway.“ Les Paulsen nickte. „Vor allem muß dieser Parker mattgesetzt werden …
„Aber wie denn, Chef?“
„Ich denke, daß ich da helfend einspringen kann“, sagte Doktor Clyde lächelnd, „wir werden ihn derart beschäftigen, daß er vorzeitig abreisen wird!“
„Wie wäre es denn damit, die beiden Schnüffler hier fertigzumachen und sie dann irgendwohin aufs Land zu schaffen? Weit weg von hier?“ Hallway ließ nach wie vor nicht locker.
„Ihr Verschwinden würde Schlagzeilen machen …“ Les Paulsen schüttelte kategorisch den Kopf, „es bleibt bei Doc Clydes Vorschlag. Parker und Mike Rander werden derart durcheinandergewirbelt, daß sie sich darum reißen, von hier verschwinden zu können. Ich denke, wir gehen jetzt in die Einzelheiten. Ich bitte um passende Vorschläge!“
*
„Es wird sich inzwischen herumgesprochen haben, Sir, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit nicht den Normen dieses Hauses entsprechen.“
Josuah Parker stand mit seinem jungen Herrn im Badezimmer des Gästehauses Nr. 6. Sie unterhielten sich über ihre Lage. Das Rauschen der vollaufgedrehten Dusche sollte verhindern, daß versteckt angebrachte Mikrofone das Gespräch weitertrugen.
„Und ob sich das herumgesprochen hat, Parker …!“ Rander lächelte schwach. „Wir müssen ab sofort mit massivem Druck rechnen. Denken Sie an Hacklett!“
„Gewiß, Sir, aber ich glaube nicht, daß die Hotelleitung es auf weitere Unglücksfälle ankommen lassen wird. Ein Haus wie dieses hier ist an Publicity nicht interessiert. Man wird versuchen, Sie und meine Wenigkeit zu vergraulen, wie der Volksmund es ausdrücken würde.“
„Vergraulen? Wie stellen Sie sich das vor?“
„Nun, die Möglichkeiten bieten sich dazu an, Sir … Man wird Ihnen und mir Kuren verordnen, die kaum zu schaffen sind …“
„Also, wenn ich an diese Schwitzkästen nur denke, wird mir wieder schwach in den Beinen“, erinnerte sich Rander und verzog sein Gesicht.
„Man wird wahrscheinlich noch einfallsreicher werden, Sir.“
„Dann danke ich bestens, Parker. Wir sollten doch lieber verschwinden und uns an die Polizei wenden.“
„Wegen des Mordes an Mister Hacklett, Sir, der wohl kaum bewiesen werden kann?“
„Die Polizei und das FBI werden erfreut sein zu hören, daß die Syndikate hier ein Erholungszentrum für kreislaufgeschädigte Gangster eingerichtet haben.“
„Eine völlig legale Maßnahme, Sir.“
„Natürlich, ich weiß!“ Rander winkte matt ab, „solange die Kurgäste polizeilich nicht gesucht werden, kann ihnen überhaupt nichts passieren.“
„Es sei denn, Sir, diese Kurgäste organisieren sich gegen Sie und meine Wenigkeit, weil sie sich in ihrer Ruhe gestört fühlen.“
„Was wollen Sie damit erreichen?“
„Mörderische Maßnahmen, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf … Die Kurgäste samt der Hotelleitung müssen derart schockiert werden, daß sie einen zweiten Fall Hacklett riskieren. Dann könnte man anschließend zu diversen Verhaftungen schreiten.“
„Und dazu müssen wir uns natürlich anbieten, wie?“
„Ich sehe leider keine andere Möglichkeit, Sir.“
„Und wie stellen Sie sich das alles vor?“
„Wenn Sie erlauben, Sir, unterbreite ich Ihnen Anschließend einen Katalog der ersten Möglichkeiten. Ich hoffe, daß ich Sie damit zunächst einmal zufriedenstellen werde …!“
*
Es war dunkel geworden …!
Parker hatte die Haustür gesichert und die Fenster im Erdgeschoß des Gästehauses entsprechend präpariert. Er rechnete zwar nicht mit einem massiven Überfall, wollte aber jedes unnötige Risiko vermeiden.
„Woran basteln Sie denn herum?“ erkundigte sich Rander, als Parker sich mit seiner Schnellerfindung befaßte, er konnte offen reden, er und Parker hielten sich wieder im Badezimmer auf.
„Ich möchte die Kurgäste ein wenig in ihrem Schlaf stören, Sir!“
„Brauchen Sie dazu Ihre Hosenträger?“
„In der Tat, Sir … Daraus läßt sich im Handumdrehen eine Riesen-Gabel-Spezialschleuder herstellen, wie ich es in der Vergangenheit schon häufig ausprobieren konnte. Ich hoffe, Sie werden gleich mit mir zufrieden sein.“
„Wie weit soll das Ding denn reichen?“
„Eine Distanz von annähernd hundert Meter müßte sich leicht überbrücken lassen, Sir …“
„Und was wollen Sie als Munition verschießen?“
„Ich werde mir erlauben, Sir, Ihnen gleich passende Vorschläge zu unterbreiten. Darf ich Sie nun bitten, das Tonbandgerät im Wohnraum anzuschließen. Unsere Gastgeber sollten nicht einen Moment daran zweifeln, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit sich der Unterhaltung ergeben haben!“
Nachdem Mike Rander gegangen war, um das Tonband einzuschalten, auf dem eine präparierte Unterhaltung festgehalten war, baute der Butler die Riesengabelschleuder schnell und geschickt zusammen. Die soliden Beine eines rustikalen Stuhles ersetzten die Gabel, die Hosenträger übernahmen die Funktion der Gummistränge. Als Munition wählte Parker aus einer zerbeulten Blechdose, die er seinem Spezialkoffer entnommen hatte, eine Geschoßart, wie sie noch heute in gut geführten Schulen immer wieder anzutreffen ist.
*
Im Gästehaus Nr. 9 hatten sich Hallway, Jerry, Hale und einige Kurgäste zu einem leichten Umtrunk versammelt. Die Kurgäste waren Profis … Killer aus New York, Los Angeles und Milwaukee. Sie unterhielten sich selbstverständlich über die beiden Schnüffler im Gästehaus Nr. 6.
„Wer die beiden sind?“ fragte Hallway rhetorisch zurück, „der Chef hat Erkundigungen in Chikago eingeholt. Rander und Parker sind Gangsterjäger reinsten Wassers … Und jetzt kommt die große Sensation. Sie stehen auf unserer Liste auf der ersten Seite. Ihr wißt ja, was das zu bedeuten hat!“
„Die gefährlichsten Schnüffler“, sagte Hale andächtig, „und so was hier bei uns. Warum läßt der Chef sich so was entgehen?!“
„Warum wohl …!?“ gab Hallway zurück. Doch als er weiterreden wollte, zerplatzte plötzlich die Fensterscheibe hinter ihm und löste sich in wenigstens eintausendachthundert Splitter auf.
Wie durchtrainiert Kurgäste und Hauspersonal waren, ergab sich aus der fast gleichzeitigen Reaktion. Die Männer warfen sich schlagartig zu Boden und gingen in volle Deckung.
„Was … was war das?“ fragte Hallway und hob vorsichtig den Kopf an.
„Die Scheibe …!“ flüsterte Hale zurück.
„Natürlich, du Nachtwächter! Das hab’ ich selbst gemerkt. Aber wer hat …!?“
„Du lieber Himmel, stinkt es hier!“ Jerry hielt sich die Nase zu und sah seine Freunde strafend an, „wo bleibt denn eure gute Erziehung?“
Die übrigen Herren merkten erst jetzt den penetranten Geruch nach faulen Eiern. Sie fächelten sich frische Luft zu, hüstelten und wichen voreinander zurück. Keiner von ihnen achtete auf die kleine Kapsel, die zerbrochen am Boden lag und die den penetranten Geruch verströmte.
„Luft …!“ stöhnte Hallway, „ich … ich ersticke …!“
„Nicht zu ertragen!“ röchelte Hale und kroch in das angrenzende Zimmer.
„Wie in einer Kloake!“ hechelte Jerry und stürzte sich ans zerbrochene Fenster.
Die Kurgäste drängten bereits elastisch hinaus in den schützenden Korridor und japsten nach Luft.
*
Doktor Clyde und Jane Friday, Privatsekretärin von Les Paulsen, machten einen kleinen Spaziergang durch den weiträumigen, jetzt dunklen Park. Dabei näherten sie sich gewollt-ungewollt dem Gästehaus Nr. 6.
„Könnte der Aufenthalt dieser beiden Schnüffler für uns gefährlich werden, Doktor?“ erkundigte sich Jane Friday.
„Im Augenblick bestimmt nicht … Man muß nur Geduld haben, Jane … Gegner dieser Art muß man psychologisch ausschalten, muß sie leerlaufen lassen. Ich denke, daß dieser Spuk schon in den nächsten Tagen vorüber sein wird …“
Jane Friday hatte die feste Absicht, ihrem väterlichen Freund zu antworten, doch es kam ganz anders.
Irgend etwas zischte deutlich hörbar durch die Zweige eines schützenden Strauches. Jane Friday spürte deutlich, daß ihre nackten Arme von dem feinen Schleier einer Feuchtigkeit besprüht wurden. Unwillkürlich zuckte sie zurück.
„Was war das?“ fragte sie entgeistert.
„Keine Ahnung …“ Doktor Clyde hob die Schultern, „wahrscheinlich ein Nachttier. Kommen Sie, Jane, gehen wir weiter …!“
„Doktor!“ Janes Stimme klang plötzlich gepreßt, „Doktor, spüren Sie nichts?“
„Was denn, Jane …?“
„Diesen fürchterlichen Juckreiz!“
„Aber nein, wieso soll … Oh … Jane jetzt spüre ich ihn auch … Nein!“
„Ich … werde verrückt!“ behauptete Jane und kratzte sich hingebungsvoll zuerst den linken, anschließend den rechten Arm. „Das ist ja noch schlimmer als Nesselfieber. Doc, bitte, helfen Sie mir! Es wird immer schlimmer!“
„Bei mir auch!“ Doktor Clydes vornehme Würde ging in die Binsen, wie der Volksmund es so plastisch ausgedrückt hätte. Er riß sich sein Freizeithemd auf und kratzte sich die leicht behaarte Brust.
„Schnell, den Rücken!“ Jane streifte die leichte Bluse herunter und drehte Clyde ihren schönen Rücken zu. Sie hegte die stille Hoffnung, daß ihr väterlicher Freund ihr den Rücken kratzen würde.
Doch Doktor Clyde fand dazu keine Zeit.
Er stand mit dem Rücken an einem kleinen Baumstamm und schrubbte sich an der rauhen Baumborke. Er tat das mit dem Wohlbehagen, wie man es bei suhlenden Wildschweinen antreffen kann. Dazu grunzte er fast vor Zufriedenheit.
„Doktor, mein Rücken … Bitte …!“
„Nehmen Sie den Baum!“ schlug Clyde ohne jede Ritterlichkeit vor, „das hilft und tut gut. Ahhh … Wunderbar!“
Jane Friday ging auf das Angebot ein. Auch sie schrubbte sich den Rücken an einem der vielen Baumstämme und verdrehte dabei lustvoll die Augen. Sie war ein Bild der reinen Verzückung.
„Es … Es wird immer schlimmer“, sagte Clyde plötzlich.
„Wunderbar … hauchte Jane Friday, „wunderb … Oh ja, Doktor, jetzt spüre ich es an den Beinen …“
Doch Clyde hörte nicht mehr zu, denn er trabte bereits im Schweinsgalopp hinauf zum schloßähnlichen Hauptbau. Jane Friday spurtete ihm nach, vergaß darüber aber nicht, sich schnell zwischendurch zu kratzen …
*
„Die feine englische Tour ist das aber gerade nicht“, sagte Mike Rander grinsend, als er das Fenster schloß, „dieses Reizmittel muß ja fürchterlich wirken.“
„Da ich Blutvergießen und nackte Gewalt verabscheue, Sir, mußte ich mich notgedrungen nach Mitteln umgehen, die gewaltlos wirken.“
„Bei mir brauchen Sie sich auf keinen Fall zu entschuldigen“, lachte Rander laut los, „wie lange wirkt dieses Juckmittel?“
„Etwa zwölf Stunden. Und ich darf versichern, Sir, daß es keinerlei gesundheitliche Schäden hinterlassen wird.“
„Sie werden sich noch totkratzen, Parker …!“
„Sicher nicht, Sir! Aber wenn Sie erlauben, möchte ich mich nun den übrigen Gästehäusern widmen.“
„Die Reichweite Ihrer Gabelschleuder ist nur begrenzt, das werden Sie kaum schaffen.“
„Ich werde, wenn es genehm ist, kurzfristig das Gästehaus hier verlassen, Sir.“
„Ich komme selbstverständlich mit, Parker.“
„Sir, darf ich auf das Tonbandgerät verweisen, das bedient werden muß.“
„Schon gut, schon gut … Sie haben wieder das Vergnügen, während ich arbeiten muß … Lassen Sie sich nicht erwischen!“
„Ich werde mir Mühe geben, Sir … Darf ich mich jetzt verabschieden?“
Josuah Parker legte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms um das Fensterkreuz des Badezimmerfensters und schwang sich erstaunlich leichtfüßig auf die Fensterbank. Während er das dünne, aber ungemein zähe und starke Nylonseil aus dem Griff abspulte, ließ er sich nach unten in den Garten. Ein geschickter Ruck, und der Schirm fiel nach unten in seine Arme. Innerhalb weniger Sekunden war das Nylonseil wieder aufgespult, der Schirm sah normal und unauffällig aus. Parker legte sich den Griff über den linken Unterarm und verschwand in der Dunkelheit …
*
Die weiblichen Häschen des Recreation Center wohnten im schloßähnlichen Hauptgebäude in einer Reihe von Zweierräumen, die komfortabel und modern eingerichtet waren.
Um diese Zeit hatten sie Dienstschluß.
Da es für die allgemeine Bettruhe noch zu früh war, hielten sie sich in den Freizeiträumen für das Personal auf. Hier konnten sie sich vor einem Farbfernseher die Zeit vertreiben, Musik hören, Billard spielen, oder sonst tun, wozu sie Lust und Laune hatten. Es war ihnen nur verboten, das Parkgelände zu verlassen. Sie sollten in der Öffentlichkeit überhaupt nicht auftreten, das gehörte zu den Vorschriften, denen sie sich unterworfen hatten.
Die langbeinigen Geschöpfe langweilten sich redlich. Ein Tag verging in diesem Center wie der andere. Da es ihnen außerdem streng verboten war, persönliche Beziehungen zu den Kurgästen zu unterhalten, sahen die Abende eigentlich recht trist aus.
Es handelte sich um etwa ein Dutzend Häschen, die Frotteemäntel trugen und froh waren, ihre Einheitstracht vergessen zu dürfen. Sie merkten überhaupt nicht, daß draußen vor dem Fenster ein gewisser Josuah Parker auf tauchte, der die Damen aus nächster Nähe beobachtete. Aus moralisch verständlichen Gründen hatte man sie im Obergeschoß untergebracht, unerreichbar für abenteuerlustige Kurgäste.
Parker hingegen hatte die Fassade leicht bezwungen und dazu seinen Universal-Regenschirm als Bergstock benutzt. Er stand auf einem Ziersims rechts von einem der Fenster und schob gerade einen dünnen Gummischlauch in das Ablaufröhrchen des Fensters, durch welches Schwitzwasser hinaus ins Freie geleitet wurde.
An diesem dünnen Gummischlauch befand sich ein handgroßer Stahlzylinder, in dem ein gewisses Schlafgas unter Druck stand. Parker öffnete das Sperrventil und wartete geduldig und gemessen zugleich.
Das ungefährliche Schlafgas strömte fast unhörbar in den großen Aufenthaltsraum und breitete sich dort unsichtbar aus.
Der Erfolg war erstaunlich.
Die Hasen weiblichen Geschlechts litten wie auf Kommando plötzlich unter leichten bis mittelschweren Gähnkrämpfen. Sie räkelten sich in den Sesseln zurecht oder suchten schleunigst den Fußboden auf. Innerhalb von zwei, drei Minuten fielen sie in einen erquickenden Tiefschlaf und merkten nicht, daß das Fenster nun geöffnet wurde. Parker hatte den Riegel des Fensters auf seine Art überredet, schnell und geschickt. Er stieg in den Aufenthaltsraum und schritt an den Schlafenden vorüber. Ihn interessierten die Schlafzimmer der Damen
Hier entwickelte er nun eine Tätigkeit, die zumindest ungewöhnlich war. Er sammelte nämlich die Kleidungsstücke ein und trug sie zum Müllschacht in der Teeküche. In diesem Raum konnten die Häschen sich einen Schnellimbiß und heiße Getränke zubereiten.
Die Kleidungsstücke wanderten nacheinander durch den Müllschacht hinunter in die Abfallverbrennungsanlage. Hier lösten sich die leichten Gewänder in Feuer und Rauch auf, vollkommen automatisch, wie der Erbauer der Anlage es sich gedacht hatte.
Nachdem der Butler die Schränke leergeräumt hatte, was etwa zehn Minuten gedauert hatte, holte er eine Art Zahnpastatube aus einer der vielen Taschen seiner Butlerkleidung. Er schraubte die Verschlußkappe ab und verstrich eine fast wasserhelle Flüssigkeit auf die Rahmen der Schranktüren. Anschließend drückte er die Türen zu und verschloß sie vollkommen regulär.
Parker warf einen abschließenden, freundlich-gemessenen Blick auf die schlafenden Häschen und verließ den Trakt der jungen Damen. Er öffnete die Etagentür und begab sich hinaus auf die Galerie der großen Empfangshalle.
Er horchte in das schloßähnliche Haus hinunter, in dem nur ein paar Notlampen brannten.
Nichts zu hören …!
Parker wandte sich ab und suchte nach den Räumen des Mister Les Paulsen.
Weit brauchte er nicht zu gehen.
Paulsen wohnte ebenfalls im Obergeschoß. Hinter einer Art Etagentür mußte sich sein Apartment befinden. Er spielte einen kurzen Moment mit dem Gedanken, Paulsen einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, verzichtete dann aber darauf.
Er bemühte noch einmal die Zahnpastatube und drückte die wasserhelle Flüssigkeit zwischen Tür und Rahmen. Er ging sorgfältig und konzentriert zu Werke, denn was er tat, tat Parker stets richtig.
Nach diesem Ausflug im schloßähnlichen Hauptbau verließ Parker das Haus wieder durch das bewußte Fenster, schloß den Riegel sorgfältig und hütete sich, irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Die Herrschaften sollten am anderen Tag vor einem Rätsel stehen und sich Gedanken machen.
Aber Parker war mit seiner Arbeit noch nicht so recht zufrieden. Er fand, daß man die Dinge noch etwas weiter auf die Spitze treiben konnte und mußte …
*
Im Seitenflügel links befand sich die großzügig und modern eingerichtete Küche des Recreation Center.
Um diese Zeit hielt sich nur noch der Chefkoch in der Küche auf und kontrollierte noch einmal abschließend die Vorbereitungen für den Morgenkaffee.
Seine beiden Mitarbeiter hatten bereits ihre Privaträume hinter der Küche aufgesucht und gaben sich dem Fernsehen hin. Chefkoch Anders, ein überraschend kleiner und sehr schlanker Mann mit kleinem französischem Bärtchen auf der Oberlippe, nickte zufrieden. Auf der langen Anrichte standen die kleinen Tee- und Kaffeekannen, die Tassen, umgestülpt auf den Untertassen, die vielen Milch- und Zuckerbehälter.
Chefkoch Ralph Anders schaltete das Licht aus und verließ die Küche mit dem angrenzenden Anrichteraum. Bald darauf verhallten eine Schritte auf dem Zwischenkorridor.
Dafür trat nun ein gewisser Josuah Parker in Erscheinung, der das Licht einer Kugelschreiber-Taschenlampe eingeschaltet hatte. Parker kontrollierte nun seinerseits die Vorbereitungen und zusätzlich noch die elektrischen Bratpfannen, die großen Kessel und Frittiergeräte. Peinliche Sauberkeit, stellte er zufrieden fest. Im Recreation Center wurde auf Ordnung gehalten.
Diese Ordnung gedachte Parker nun etwas zu manipulieren.
Da war die zahnpastaähnliche Tube, von der er sich an diesem Abend einfach nicht trennen wollte. Parker blieb vor der großen Anrichte stehen und interessierte sich vor allen Dingen für die umgestülpten Tassen, die mit der Öffnung nach unten auf den Untertassen standen. Schnell und geschickt tropfte der Butler nun pro Tasse und Unterteller je einen kleinen Tropfen auf und an den Rand.
Anschließend kümmerte er sich um die Porzellandeckel der Tee- und Kaffee-Portionskannen. Die diversen Deckel wurden ebenfalls auf gleiche Art und Weise behandelt. Nach knapp sechseinhalb Minuten hatte der Butler diese etwas eintönige Arbeit beendet.
Er konzentrierte sich auf die Bratgeräte und Kochkessel. Zu diesem Zweck bemühte er einen Kugelschreiber, in dem allerdings die Schreibmine fehlte. Dieser Kugelschreiber enthielt eine Flüssigkeit, die es in sich hatte.
Der erste Tropfen landete auf dem Boden der großen elektrischen Bratpfanne.
Erstaunliches tat sich.
Es zischte im und auf dem Metall, leichter Rauch kräuselte sich hoch, und schon fraß sich der Tropfen unnachgiebig durch das Metall und durchbohrte es gewissermaßen.
Weitere Tropfen folgen.
Nach wenigen Sekunden dampfte der Pfannenboden, nach weiteren Sekunden verwandelte der Boden sich in ein Feinsieb.
Parker nickte wohlgefällig. Genau so hatte er sich die Wirkung der Säure vorgestellt.
Er bemühte sich um die beiden großen Kochkessel.
Hier sorgte er für etwas größere Löcher, damit das Kochwasser schon beim Einfüllen sich selbständig machen konnte.
Nach einem letzten, prüfenden Blick verließ Parker die Großküche des Erholungszentrums und begab sich hinaus in die Dunkelheit. Er wollte vorerst Schluß machen.
Er schritt würdevoll und gemessen auf einem Kiesweg und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, als er sich einer Gestalt gegenübersah, die ihn an einen großen Hasen erinnerte.
Dieser Hase hielt etwas in der rechten Hand, was der Butler im ersten und zweiten Augenblick als eine Handfeuerwaffe identifizierte …
*
„Ich erlaube mir, einen guten und erholsamen Abend zu wünschen“, sagte Parker zu dem Hasen und lüftete höflich seine, schwarze Melone. „Kann und darf ich Ihnen irgendwie behilflich sein …?“
Er war auf der Hut, seine Höflichkeit sollte im Augenblick nur ablenken. Parker wußte nicht, wem er gegenüberstand und wie der Hase reagieren würde.
„Mister Parker?“
„In der Tat, Parker mein Name!“
„Können Sie mich zu Mister Rander bringen? Ich bin Kathy.“
„Die Arzthelferin des Dr. Clyde?“
„Schnell, beeilen Sie sich. Ich darf nicht gesehen werden.“
„Vertrauen Sie sich meiner Führung an“, bat der Butler und lüftete erneut höflich die Melone, „in wenigen Minuten werden Sie Mister Rander gegenüberstehen.“
Mike Rander hatte von Kathys Warnung gesprochen, Parker war also informiert. Er führte Kathy, die sehr große Angst zu haben schien, hinunter zum Gästehaus Nr. 6.
„Wohin gehen wir?“ fragte sie erstaunt, als der Butler auf die Haustür verzichtete.
„Darf ich Ihnen zumuten, durch das Fenster zu steigen?“
„Aber warum denn?“
„Aus Gründen der Sicherheit. Die Haustür dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach präpariert worden sein.“
„Präpariert?“ Sie verstand nicht.
„Man wird irgendwelche Maßnahmen getroffen haben, die am Morgen beweisen werden, ob jemand das Gästehaus verlassen hat. So etwas läßt sich sehr leicht und unauffällig durchführen. Bitte, darf ich Sie zu einer an sich völlig harmlosen Kletterparty einladen?“
Rander stand bereits am geöffneten Fenster und griff nach dem Universal-Regenschirm, den Josuah Parker hochgeworfen hatte. Rander hakte den Patent- und Universalgriff am Fensterkreuz ein. Daraufhin schickte die junge Dame sich an, hinauf ins Obergeschoß zu klettern. Parker mußte diskret nachhelfen, da Kathy nicht sonderlich geschickt war.
„Passen Sie auf, Mister Rander! In jedem Gästehaus befinden sich Mikrofone“, flüsterte sie ängstlich.
„Begeben wir uns in das Badezimmer“, schlug Parker vor, der nun ebenfalls wieder im Haus war und das Fenster geschlossen hatte, „eine Vorstellung erübrigt sich wohl?“
„Ich kann nicht lange bleiben“, sagte Kathy, als sie im Badezimmer waren, „ich will Sie nur warnen.“
„Sehr nett von Ihnen, Kathy.“
„Man wird Sie umbringen.
„Und warum, wenn ich fragen darf?“ Rander lächelte Kathy an, die übrigens keinen Hasenanzug, sondern einen bequemen Hausanzug trug.
„Man sagt, Sie seien Schnüffler, ich meine Detektive …“
„Das ist aber erheblich übertrieben.“
„Paulsen will nicht, daß bekannt wird, wer hier im Recreation Center verkehrt.“
„Und wer verkehrt hier?“
„Gangster …!“ platzte sie heraus, „Gangster und Killer. Aus allen Bundesstaaten kommen sie. Sie sollen sich hier erholen und werden trainiert. Karate, Schießen, moderne Tötungsarten, die keine Spuren hinterlassen!“
„Diesen Unterricht erteilt wohl Dr. Clyde, wie?“
„Richtig. Clyde ist ein kalter Sadist, wenn Sie mich fragen. Er denkt sich immer wieder neue Mittel aus, wie man einen Menschen umbringen kann, ohne daß Spuren Zurückbleiben.“
„Paulsen ist der Manager dieses Center?“
„Er leitet das Center, Mister Rander, aber er wird bezahlt von den Syndikaten!“
„Woher wissen Sie das alles, Kathy? Vor allen Dingen, wie sind Sie in dieses Center geraten?“
„Ich bin Privatdetektivin“, berichtete sie, „ich arbeitete für Hacklett!“
„Der Mann, der mit seinem Boot unten auf dem See in die Luft flog?“
„Mister Hacklett und ich wollten ermitteln, was sich hier im Center tut. Zuerst schmuggelte ich mich als Krankenschwester ein. Später folgte dann Hacklett als Sportlehrer.“
„Sehr aufschlußreich, Kathy. Für wen sammelten Sie die Informationen?“
„Hacklett arbeitete auf eigene Rechnung. Sie können nicht wissen, wie sehr er die Gangster haßte. Das hing wohl mit seinem Jungen zusammen, der auf die schiefe Bahn geriet und in Los Angeles bei einer Bandenschießerei ums Leben kam. Damals schwor Hacklett sich, die Hintermänner der Gang hochzunehmen. War daraus wurde, wissen Sie ja.“
„Sagt Ihnen der Name Billy Carter etwas? Davon sprach Hacklett noch, bevor er starb.“
„Billy Carter …“ Sie nickte spontan. „Natürlich kenne ich ihn. Er ist Fachmann für Sprengstoffe hier im Center. Ich glaube, daß er die Sprengladung im Boot anbrachte und sie fernzündete.“
„Wo finden wir ihn?“
„Er wohnt drüben im Hauptgebäude. Er versteht sich mit Paulsen nicht besonders gut. Ich glaube, so munkelt man auch im Haus, daß er die Stelle von Paulsen anstrebt. Er ist sehr gefährlich!“
„Haben Sie eine Ahnung, warum man uns bisher noch ungeschoren ließ, Kathy?“
„Ich habe einiges mitbekommen“, antwortete die Krankenschwester, „man will jedes weitere Aufsehen vermeiden, aber Sie und Ihr Butler sollen auf andere Art und Weise fertiggemacht werden, bis Sie entweder freiwillig gehen, oder irgendeinen Unfall erleiden. Sie wissen wohl, wie solch ein Unfall aussieht.“
„Besteht irgendein vager Verdacht, daß Sie mit Hacklett zusammengearbeitet haben?“
„Ich glaube nicht. Ich bin da aber nicht ganz sicher, Mister Rander. Ehrlich, ich habe Angst.“
„Warum gehen Sie nicht? Sie sollten das Center hier so schnell wie möglich verlassen, Kathy.“
„Ich weiß nicht, ob man mich überhaupt noch gehen läßt, Mister Rander.“
„Soll mein Butler Sie hinausbringen?“
„Würden Sie das wirklich tun?“ Sie schien erleichtert zu sein. „Aber das ganze Gelände ist hermetisch abgesichert. Ich glaube kaum, daß Sie …“
„Parker schafft es! Haben Sie irgendwelche Unterlagen, die Hacklett gesammelt und Ihnen vielleicht gegeben hat?“
„In meinem Zimmer. Er hat Namen und Adressen gesammelt.“
„Können Sie sie holen?“
„Natürlich. Und was soll ich tun, wenn ich draußen bin? Mich an die Behörden wenden?“
„Ans FBI. Wir werden Ihnen eine gute Adresse geben. Alles weitere läuft dann automatisch. Soll mein Butler mit Ihnen gehen?“
„Das wäre mir sehr lieb“, sagte sie, „ich traue mich nicht mehr allein ins Haus zurück. Irgendwie fühle ich, daß die Gangster wissen, was mit mir los ist. Es ist vor allen Dingen Carter. Er ist dauernd hinter mir her und läßt mich kaum noch aus den Augen.“
„Wir können gehen“, sagte Parker, der schweigend zugehört hatte, „das heißt, ich erkläre mich gern bereit, allein zu gehen. Sie könnten dann hier bei Mister Rander Zurückbleiben.“
„Sie wissen nicht, wo ich Hackletts Unterlagen versteckt habe“, meinte sie, „mit Ihnen riskiere ich es …
Mike Rander sah zu, wie Kathy und Josuah Parker erneut durch das Fenster stiegen und bald darauf in der Dunkelheit verschwanden. Er zündete sich eine Zigarette an und fragte sich, ob man dieser Kathy wohl trauen durfte. Im Grund war sie Zu offen und zu vertrauensselig gewesen. Hatte sie wirklich nur aus einer panischen Angst heraus gehandelt, oder aber war es ihr darauf angekommen, Parker und ihm eine Falle zu stellen?
*
Kathy wohnte im rechten Seitenflügel des schloßähnlichen Hotels und verschwand durch ein Erdgeschoßfenster in einem Korridor. Sie wollte in wenigen Minuten wieder zurück sein.
Parker wartete in der Dunkelheit. Er hatte sich hinter einen hohen Strauch verfügt und beobachtete den Seitenflügel, der völlig im Dunkeln lag.
Auch Parker fragte sich, ob man dieser Kathy trauen durfte. Die Tatsache, daß sie seinen jungen Herrn gewarnt hatte, besagte nicht viel. Dabei konnte es sich um einen Trick gehandelt haben, um Vertrauen zu erwecken.
Hatte sie hinsichtlich dieses Billy Carter die reine Wahrheit gesagt? Dies mußte erst noch genau festgestellt werden. Wieso hatte Kathy ihn vor dem Küchenflügel abfangen und eigentlich überraschen können? Wenn sie solch große Angst hatte, dann war sie das Risiko nicht eingegangen, sich im nächtlichen Park herumzutreiben? War Kathy nur ein netter, reizender Lockvogel?
Sie ließ auf sich warten.
Seit ihrem Verschwinden waren jetzt schon über fünf Minuten verstrichen. Parker beschloß, noch genau sechzig Sekunden zu warten. Dann wurde es Zeit, nach ihr im Haus selbst Ausschau zu halten.
Die Sekunden vergingen.
Parker stand zu seinem eigenen Wort und pirschte sich vorsichtig an das nur angelehnte Fenster heran. Er lauschte in die Dunkelheit des Hauses hinein und glaubte plötzlich ein leises Stöhnen zu hören.
Ein Trick …?
Er mußte es darauf ankommen lassen, er mußte nach wie vor damit rechnen, daß Kathy nicht gelogen hatte. Brauchte sie Hilfe? War sie überrascht worden?
Parker zögerte nicht lange. Er stieg durch das Fenster und … erhielt im gleichen Moment einen harten Schlag über den Kopf, der ihm die Melone tief in die Stirn trieb.
Parker, obgleich nicht bewußtlos, da die Stahlblechfütterung der Melone den Schlag abgefangen hatte, beschloß daraufhin, sich ohnmächtig zu stellen. Gegenwehr war im Augenblick sicher wenig gesundheitsfördernd …
*
Sie hoben ihn auf eine Krankentrage und rollten ihn durch den Korridor hinüber in das nahe Behandlungszimmer. Parker hielt während dieser Zeit die Augen fest geschlossen und konzentrierte sich auf seine Ohren.
„Wir müssen schnell machen“, sagte eine glatte, weiche und irgendwie höfliche Stimme.
„Und wohin bringen wir ihn?“ Es war eindeutig Kathy, die sprach.
„Hinunter in den Gymnastikraum.“
„Er ist mir doch wunderbar auf den Leim gegangen“, stellte Kathy fest. Ihren Worten folgte ein leises Auflachen, „sie haben meine Geschichte geschluckt wie gut gemixte Drinks.“
„Jetzt ist Paulsen reif für die Ablösung“, meinte die glatte, höfliche und weiche Stimme, „diesen zweiten Mord wird man ihm nicht abnehmen.“
„Und den dritten ganz sicher nicht“, sagte Kathy, „nach Parker nehme ich mir Rander vor.“
Parker wußte, wie der Hase lief. Kathy — sein Instinkt hatte ihn nicht umsonst gewarnt — war ein raffinierter Hase, der mit diesem Mann mit der weichen Stimme unter einer Decke stak. Parker unterstellte, daß der Besitzer dieser Stimme nur jener Billy Carter sein konnte, den der sterbende Hacklett erwähnt hatte.
„Hast du die Spritze?“ fragte die weiche Stimme.
„Gleich, ich muß sie nur noch aufziehen.“ Kathy schien die Trage verlassen zu haben. Parker riskierte es, ein Auge zu öffnen, was sich lohnen sollte.
Kathy stand vor einem Glastisch und war dabei, eine Rekordspritze aufzuziehen.
Neben ihr stand ein etwa vierzigjähriger, etwas korpulenter Mann, der ungefähr 1,75 m groß war. Er trug einen saloppen Freizeitanzug und schaute Kathy interessiert zu.
„Ich bin gleich soweit, Billy“, sagte Kathy. „Paulsen wird annehmen, daß Clyde seine Hand im Spiel hatte.“
„Sobald Clyde und Paulsen ausgeschaltet sind, können wir die Leitung des Center übernehmen“, meinte Billy, „auf diesen Moment habe ich die ganze Zeit über gewartet. Mit dem Syndikat werde ich mich schnell einigen.“
Parker schloß schleunigst die beiden inzwischen geöffneten Augen, als Kathy und Billy sich um wandten. Sie kamen zurück zur fahrbaren Trage und wollten ihm die Spritze setzen.
Parker hatte verständlicherweise einiges dagegen, zumal er ja nicht wußte, mit welchem Präparat die Spritze gefüllt war.
„Darf ich einen Blick darauf werfen?“ fragte er und richtete sich auf.
Kathy, völlig überrascht und überrumpelt, reichte ihm die Spritze. Billy schnappte nach Luft und litt noch unter seiner Schrecksekunde.
„Sehr interessant“, stellte Parker fest und rammte Billy die Spritze in den Oberarm.
Billy brüllte auf und warf sich zurück.
Kathy warf sich hingegen auf den Butler und wollte ihm mit einigen gekonnten Handkantenschlägen zusetzen.
Parker war damit keineswegs einverstanden. Er sah sich zu seinem Leidwesen gezwungen, seinen Universal-Regenschirm einzusetzen, den er selbstverständlich mitgenommen hatte. Kathy war diesem Schirm nicht gewachsen. Sie setzte sich ziemlich perplex auf den hygienisch gepflegten Boden und merkte nicht, daß Parker ihr die Spritze ins Gesäß drückte.
Billy hatte nichts dagegen, denn er schlief bereits. Die wenigen Kubikmillimeter, die er abbekommen hatte, reichten vollkommen aus, ihn in das Land irgendwelcher Träume zu schicken.
Parker kam erst jetzt dazu, sich die Glasampulle anzusehen, aus der Kathy die Spritze gefüllt hatte. Erleichtert nahm der Butler zur Kenntnis, daß es sich um ein zwar starkes, aber im Grunde ungefährliches Schlafmittel handelte, das im Endeffekt allerdings einem K.o.-Schlag gleichkam.
Er legte Kathy und Billy zusammen auf die fahrbare Tragbahre und rollte sie hinaus in den Korridor. Ungeniert steuerte er den Ausgang an und rollte Trage samt Doppelbesatzung hinaus in die warme, stille Nacht. Er deponierte sie unter irgendeinem blühenden Strauch und begab sich dann zurück zu seinem jungen Herrn, um ihm Bericht zu erstatten.
*
Les Paulsen stand auf und griff nach dem Telefon, eine Prozedur, der er sich jeden Morgen unterzog. Er wollte von seinen Mitarbeitern wissen, ob alles in Ordnung war.
Hallway meldete sich nicht.
Paulsen schüttelte überrascht den Hörer in der Hand und konnte nicht begreifen, wieso und warum Hallway nicht abhob. Er wußte doch, daß um diese Zeit der Bericht fällig war.
Paulsen rief dann Jerry und schließlich Hale an.
Aber auch hier verzeichnete er Fehlanzeige, die beiden Assistenten Hallways waren nicht zu sprechen. Sie schienen wichtigere Dinge zu tun zu haben.
Paulsen geriet in leichte Wut.
Er rief Dr. Clyde an. Als er gerade auflegen wollte, meldete sich der Kurarzt.
„Was, was ist denn?“ fragte Clyde mit einer Stimme, die mehr als unwillig klang.
„Paulsen“, meldete sich der Manager ebenfalls verärgert, „haben Sie Hallway oder Jerry und Hale gesehen?“
„Ihre, ihre Sorgen … äh … ah möchte ich haben.“
Paulsen glaubte über der Stimme des Arztes ein Scharren und Kratzen zu hören, als würde ein Reibeisen über dicken Cordstoff gezogen.
„Was ist denn bei Ihnen los?“ erkundigte sich Paulsen irritiert.
„Rufen Sie später wieder an“, sagte Clyde und legte auf. Paulsen legte ebenfalls auf, doch er schüttelte jetzt den Kopf. Das Benehmen des sonst sehr höflichen Arztes verwunderte ihn.
Er rief seine Privatsekretärin Jane Friday an.
„Hallo, Jane, was ist los?“ fragte er, als sie sich endlich meldete. Ihm fiel auf, daß auch hier dieses seltsame Geräusch durch die Leitung drang. Nur schien das Reibeisen hier noch größer ausgebildet zu sein.
„Was los ist?“ fragte Jane Friday keuchend zurück, „ich werde wahnsinnig. Das ist los. Lassen Sie mich doch in Ruhe, Chef! Stören Sie mich nicht! Ich muß mich kratzen.“
„Jane …“ schrie Paulsen in den Hörer, „Jane, hören Sie, Sie kommen sofort!“
„Zum Teufel mit Ihnen, Chef“, sagte sie herzlich und legte auf. Paulsen ließ seinerseits den Hörer in die Gabel fallen und hatte das Gefühl, daß seine Leute verrückt spielten. Was mochte vorgefallen sein? Jane Friday hatte noch nie mit ihm in diesem Ton geredet.
Er rief seinen Konkurrenten Billy Carter an, doch Carter meldete sich nicht.
Paulsens Ärger steigerte sich zur Wut. Er warf sich seinen Frotteemantel über, jenes Kleidungsstück, das hier im Recreation Center zu jeder Tag- und Nachtzeit salonfähig war, und ging zur Tür seines Apartments. Schwungvoll riß er die Tür auf.
Das heißt, er wollte die Tür schwungvoll aufreißen, doch sie rührte sich nicht. Dafür hielt Paulsen die Klinke in der Hand und landete krachend auf dem Fußboden.
Schnaubend vor Zorn stand er auf und befaßte sich erneut mit der Tür. Sie ließ sich nicht öffnen. Sie saß wie festgeschmiedet im Rahmen und konnte vermutlich nur mit einem Schweißbrenner oder mit einer Säge geöffnet werden.
Paulsen verstand die Welt nicht mehr. Die wohlgefügte Ordnung im Center machte plötzlich einen Kopfstand. Er rannte zurück in seinen Schlafraum und rief die Küche an. Irgendwer mußte doch schließlich zu erreichen sein.
*
Chefkoch Ralph Anders und seine beiden Mitarbeiter bereiteten das Frühstück.
Anders überwachte die Arbeit seiner Helfer. Joe Rimers stand vor der elektrisch geheizten Schwenkpfanne und warf ein pfundschweres Stück Butter in die vorgeheizte Pfanne. Er wollte Würzwürstchen — eine Spezialität der Gegend — anbraten.
Will Storge, der zweite Helfer, füllte den großen Kochkessel mit Wasser, um anschließend Kaffee zu kochen. Während das Wasser einlief, kümmerte er sich schon um die Tee- und Kaffeekannen auf der großen Anrichte. Er wollte die diversen Kännchen einfüllbereit machen. Und dazu mußten die Deckel abgehoben werden, wie sich versteht.
Storge griff automatisch nach dem ersten Deckel und bekam ihn nicht hoch. Er stutzte, wandte sich dieser Kanne ausschließlich zu und versuchte es erneut.
Der Deckel saß unverrückbar auf der Kanne fest.
Storge versuchte es mit Gewalt. Er riß und zerrte an dem unschuldigen Deckel herum, bis sein Gesicht sich rot färbte. Doch der Deckel rührte sich nicht. Er schien mit der Kanne ein inniges Verhältnis eingegangen zu sein.
Er versuchte es mit dem zweiten Deckel.
Auch er saß eisern fest.
„Was ist denn …?“ rief Chefkoch Anders, der aufmerksam geworden war.
„Die verdammten Deckel!“ beschwerte sich Storge, „ich bekomme sie nicht ab!“
„Das gibt es doch gar nicht“, sagte Anders, eilte herbei und … bekam nach einer halben Sekunde einen roten Kopf. Verständlicherweise vermochte auch er die Deckel nicht zu lösen. Die Spezialklebemasse, die Josuah Parker verwendet hatte, war ein Spitzenerzeugnis der chemischen Industrie.
„Los, die anderen!“ Anders wollte es jetzt wissen. Zusammen mit Storge stürzte er sich förmlich auf die lange Reihe der Tee- und Kaffeekannen. Sie rissen, zerrten und wuchteten an den kleinen, unschuldigen Deckelchen herum, ohne sie lösen zu können.
„Das, das verstehe ich nicht“, stöhnte Storge, „gestern waren sie doch noch alle in Ordnung.“
„Hexerei …!“ murmelte Anders, „schnappen Sie sich die Tassen, Storge, damit wir weiterkommen!“
Storge griff nach den umgestülpten Kaffeetassen und sah seinen Chef entgeistert an.
„Sir, die sitzen ebenfalls fest“, stöhnte er, „hier, sehen Sie, die rühren sich nicht.“
Anders schnappte erneut nach Luft, geriet in eine leichte Panik und warf sich auf die Tassen. Er versuchte es verschiedentlich, doch die Tassen klebten fest auf den Untertassen, leider mit den Öffnungen nach unten.
„Chef, der Kessel!“ Joe Rimers Ruf glich einem Schreckensschrei.
Chefkoch Anders und Will Storge wirbelten herum. Sie starrten auf den Kessel, der deutlich leckte. Das heißt, er leckte schon nicht mehr, er war durchlässig wie ein Sieb. Das einströmende Wasser beeilte sich, auf dem schnellsten Weg durch die kleinen Löcher zu laufen und sich auf dem Boden auszubreiten. Dort hatte sich nicht nur eine Wasserlache, sondern ein fast bootsgängiger See gebildet, der die Füße von Rimers freundlich umspielte.
„Abstellen! Abstellen!“ Anders rannte durch den kleinen See und langte nach dem Wasserhahn. Er drehte ihn zu und schaute dann verdutzt in den völlig leeren Kessel.
„Das, das verstehe ich nicht“, murmelte er, „seht mal, Jungens, das reinste Sieb!“
Parkers Konzentratsäure hatte sich wieder einmal bewährt, wie hier deutlich zu sehen war.
„Die Bratpfanne …!“ rief jetzt zur Abwechslung Will Storge und zeigte entsetzt auf die schwenkbare Bratpfanne.
Das heiße Fett rann geschmeidig und flüssig aus der Pfanne und erreichte den Kachelboden. Hier vermengte es sich zischend und brodelnd mit dem Kaffeewasser.
In diesem erregenden Moment schrillte das Telefon.
Anders hechtete zum Wandapparat und meldete sich. Als er die Stimme von Paulsen hörte, unterbrach er den Chef des Hauses.
„Hier ist die Hölle los!“ brüllte er, „Mister Paulsen, hier bei uns in der Küche steht alles köpf.“
„Was, zum Henker, glauben Sie, was bei mir los ist?“ brüllte Paulsen zurück, „besorgen Sie sich ein Beil und sausen Sie hierher zu meinem Apartment. Man hat mich eingesperrt! Los, schnell! Bevor noch mehr Unsinn passiert!“
*
Die langbeinigen Häschen lagen wohl verstreut im Aufenthaltsraum und schliefen tief und fest. Langanhaltendes Telefonklingeln brachte die ersten Damen hoch. Sie schauten sich verwirrt um, weckten die Kolleginnen und konnten sich nicht erklären, wieso sie alle im Aufenthaltsraum so fest und plötzlich eingeschlafen waren.
Eines der Häschen lief zum Telefon und hörte sich das Gebrüll von Paulsen an.
„Wir kommen sofort“, antwortete es in einer kleinen Pause hastig, „wir ziehen uns nur schnell an, Sir. Wir können uns nicht erklären, wieso wir alle so plötzlich eingeschlafen sind!“
Sie hasteten hinüber in ihre Zweibettzimmer und erlebten die nächste Überraschung. Die Schranktüren waren fest verschlossen, sie ließen sich selbst mit Gewalt nicht öffnen. Die jungen, langbeinigen Hasen rackerten und mühten sich ab, doch es wollte nicht gelingen. Parkers Patentpaste wirkte auch hier souverän.
Man entschloß sich, erst einmal auf die Häschentracht zu verzichten und hinüber zu Paulsen zu laufen. Die Frotteemäntel mußten es im Moment tun.
Die Damen stürzten hinaus aus ihren Räumen und wichen entsetzt zurück, als Hallway, Jerry und Hale ihren Weg kreuzten. Die drei Mitarbeiter Paulsens stanken wie eine Ansammlung von Kloaken.
„Habt euch bloß nicht so“, brüllte Hallway gereizt, „kümmert euch lieber um Carter und um Kathy. Sie liegen auf einer Trage im Park und scheinen hinüber zu sein. Los, beeilt euch! Wir müssen zum Chef. Hier im Center ist der Teufel los!“
*
„Hoffentlich haben Sie nicht übertrieben, Parker“, sagte Mike Rander, der in aller Gemütsruhe sein Frühstück einnahm, das sein Butler ihm aus eigenen Beständen zubereitet hatte, „was Sie da angerichtet haben, muß ja selbst einen gutmütigen Menschen auf die Palme bringen.“
„Mir ging es darum, die Selbstsicherheit der Herren etwas zu erschüttern“, antwortete Josuah Parker gemessen und würdevoll, „allerdings will ich zugeben und einräumen, daß meine Methoden vielleicht nicht sonderlich vornehm gewesen sind.“
„Sie erinnern mich manchmal an einen Lausejungen, der einen Streich nach dem anderen verübt“, sagte Rander und grinste, „ich fürchte nur, Paulsen und seine Leute werden schnell dahinterkommen, wer ihnen diese Streiche gespielt hat.“
„Die Türsicherung draußen vor der Tür ist völlig unversehrt, Sir.“
„Existierte wirklich so etwas, Parker?“
„In der Tat, Sir. Als ich von meiner nächtlichen Exkursion zurückkehrte, nahm ich mir die Zeit sowie die Freiheit, die bewußte Tür einer genauen Untersuchung zu unterziehen. Ich fand, fast wie erwartet, wie ich hinzufügen möchte, schwarze Zwirnsfäden, die man mittels Klebestoff zwischen Tür und Rahmen eingespannt hatte. Beim Öffnen der Tür wären sie unweigerlich zerrissen worden.“
„Sie glauben nicht, daß die Herrschaften drüben auf den Gedanken kommen werden, daß wir durch eines der Fenster hinausgeklettert sind?“
„Dies liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit, Sir, jedoch wäre dies unbeweisbar.“
„Und was ist mit diesem Billy Carter und mit Miss Kathy?“
„Ich glaube kaum, daß sie etwas von ihren nächtlichen Erlebnissen erzählen werden, Sir.“
„Na ja, stimmt auch wieder, Parker.“ Rander stand auf und zündete sich nach dem Frühstück eine Zigarette an. „Warten wir also, was sich tun wird. Besuch werden wir auf jeden Fall erhalten.“
„Er ist bereits im Anmarsch, wie ein Blick durch das Fenster zeigt, Sir.“
„Ach nee!“ Rander trat ans Fenster und sah hinaus in den weiträumigen Park. Auf einem der bequemen Elektrokarren saßen Les Paulsen, sowie zwei der Center-Hasen, die allerdings im Gegensatz zu ihrer sonstigen Aufmachung nur Frotteebademäntel trugen.
„Ich erlaube mir, einen wunderschönen Morgen zu wünschen, Sir“, begrüßte Parker den Manager des Center, nachdem geklingelt worden war und er geöffnet hatte. „Ich möchte annehmen und unterstellen, daß Sie Mister Rander zu sprechen wünschen.“
„Allerdings!“ sagte Paulsen grimmig.
„Wenn Sie erlauben, werde ich vorausgehen, Sir!“ Parker setzte sich gemessen in Bewegung. Paulsen und die beiden jungen Damen folgten ihm. Rander kam ihnen bereits im Korridor entgegen und nickte grüßend.
„Erfreut, Sie zu sehen“, begrüßte er Paulsen, „Sie wollen sich sicher erkundigen, wie wir uns inzwischen schon eingelebt haben, oder?“
„Morgen! Waren Sie in der Nacht unterwegs? Ich meine, haben Sie das Gästehaus verlassen?“
„Wie kommen Sie zu dieser Frage?“ Rander sah den Manager des Center erstaunt an.
„Das spielt im Moment keine Rolle. Beantworten Sie meine Frage.“
„Hat es irgendwelchen Ärger gegeben?“ fragte Rander, ohne Paulsens Frage zu beantworten.
„Der Teufel ist los“, entrüstete sich Paulsen, „seitdem Sie und Ihr Butler hier sind, haben sich ziemlich eigenartige Dinge zugetragen.“
„Was Sie nicht sagen, Paulsen! Was denn …?“
„Ich sage Sabotage dazu!“
„Wozu? Wollen Sie sich nicht deutlicher ausdrücken?“
Paulsen schnappte eine gehörige Portion Luft, bevor er sich in Einzelheiten erging. Mike Rander erfuhr so aus zweiter, ebenfalls authentischer Hand, was sein Butler angestellt hatte. Und verständlicherweise mußte der junge Anwalt zuerst grinsen, dann lauthals lachen. Es war zu komisch, was sich im Center zugetragen hatte.
„Wie, wie kommen Sie darauf, daß wir dies alles getan haben könnten?“ fragte Rander schließlich amüsiert und wischte sich ungeniert einige Lachtränen aus den Augenwinkeln.
„Weil ich Erkundigungen über Sie eingezo … Ich meine, weil Sie, ach, das spielt keine Rolle, warum ich so denke. Aber weswegen ich gekommen bin: Ich bestehe darauf, daß Sie das Center sofort verlassen. In spätestens einer Stunde haben Sie das Haus hier geräumt!“
„Ich werde Sie verklagen“, sagte Rander kühl.
„Was werden Sie?“ Paulsen sah den jungen Anwalt entgeistert an.
„Verklagen“, wiederholte Mike Rander noch einmal, „ich darf Sie wohl an den Vertrag erinnern, den ich mit Ihnen geschlossen habe. In diesem Vertrag verpflichten Sie sich, mich gesundheitlich wieder fit zu machen. Eine einseitige und grundlose Kündigung erkenne ich nicht an.“
„Mann, wissen Sie überhaupt, was Sie da sagen?“
„Selbstverständlich! Sie haben Erkundigungen über mich und meinen Butler eingezogen, wie Sie eben sagen wollten. Sie wissen demnach sehr genau, daß ich Strafverteidiger und Anwalt bin. Wollen Sie es auf einen Schadenersatzprozeß ankommen lassen?“
„Das werden Sie nicht wagen. Äh, ich meine, Sie werden damit nicht durchkommen.“
„Lassen wir es darauf ankommen, Mister Paulsen! Ich werde die Öffentlichkeit auf meiner Seite haben.“
„Die Öffentlichkeit …
„Selbstverständlich! Ich werde einigen Massenzeitungen Tips geben und dafür sorgen, daß man dieses Center einmal gründlich unter die Lupe nimmt.“
„Nun gut, ich werde mir die Sache noch einmal überlegen“, erklärte Paulsen, der etwas nachdenklich geworden war, „hoffentlich begehen Sie mit Ihrer Sturheit keinen Fehler.“
„Bestimmt nicht, Mister Paulsen.“ Rander lächelte jungenhaft, „ich darf Ihnen sagen, daß mein Butler und ich uns hier im Center ungemein wohl fühlen.“
*
„Ohne Passierschein kann ich Sie nicht durchlassen“, sagte der gutmütig aussehende Mann unten am Tor und vor der Barriere. „Strenge Anweisung vom Chef!“
„Wie schade“, meinte Parker höflich, „Sie können nicht kurz bei Mister Paulsen anrufen?“
„Doch, ich denke, das läßt sich machen. Warten Sie einen Moment!“
Er verschwand im rückwärtigen Teil des Gasthofes und schlug die Tür hinter sich zu.
„Glauben Sie, daß Paulsen uns fahren läßt?“ erkundigte Rander sich bei seinem Butler.
„Er befindet sich in einer Lage, die einer Zwickmühle gleichen dürfte, Sir.“
„Scheint mir allerdings auch so, Parker. Auf der einen Seite möchte er uns am liebsten ab sofort und für immer loswerden. Auf der anderen Seite fürchtet er Publicity. Wissen Sie, Parker, ich möchte nur wissen, welche Gangster und Killer sich hier regenerieren lassen. Müßte doch eigentlich sehr interessant sein.“
„Ein Auswertung der von mir angefertigten Bildserie müßte diese Frage beantworten, Sir.“
„Sie haben …?“
„In der Tat, Sir. Ich war so frei, Reihenaufnahmen mit meiner Spezialkamera zu schießen.“ Während Parker antwortete, holte er diese Spezialkamera hervor. Es handelte sich um eine Art Pillendose, die rein äußerlich völlig harmlos aussah.
„Sehr gut“, sagte Rander, „das FBI sollte die Bilder auswerten. Ich wette, hier kuren Gangster, die dringend gesucht werden.“
„Dies möchte auch ich annehmen, Sir. Umsonst ist das Center nicht so hermetisch gegen die Außenwelt abgeschirmt.“
Sie mußten ihre Unterhaltung beenden, da der Gutmütige mit dem breiten Gesicht zurückeilte.
„Sie können durch“, sagte er zu Randers und Parkers Überraschung und ließ die Barriere ungemein eilfertig hochgehen.
Parker lenkte sein hochbeiniges Monstrum hinaus auf die Straße und fuhr in Richtung See.
„Eigenartig“, wunderte sich Mike Rander, „irgendwie macht mich das mißtrauisch, Parker. Warum geht Paulsen das Risiko ein, uns fahren zu lassen?“
„Wahrscheinlich, Sir, weil er einen Mord plant. Es könnte sein, daß er an einen tödlichen Unfall denkt.“
*
„Was ist los?“ fragte Rander schon nach knapp fünf Minuten, als Parker sein hochbeiniges Monstrum in Seenähe anhielt.
„Ich könnte mir vorstellen, Sir, daß Sie an einer nicht geplanten Luftreise kaum interessiert sind.“
„Wieso?“
„Ich vermute und nehme sogar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an, daß die Kurleitung des Center den Wagen präpariert hat.“
„Eine Sprengladung?“ Rander hüstelte nervös.
„In der Tat, Sir. Wenn Sie erlauben, werde ich nach ihr suchen.“
„Und ich werde die Straße beobachten, Parker, seien Sie sehr genau, ich habe etwas gegen Höllenmaschinen, dagegen bin ich direkt allergisch.“
Mike Rander beobachtete die Straße und wartete, bis Josuah Parker das Monstrum von der Straße herunter in einen schmalen Seitenweg gelenkt hatte. Er zündete sich eine Zigarette an und überprüfte die Überlebenschancen.
An sich spielten Parker und er mit dem Feuer.
Sie blieben freiwillig und hartnäckig in einer mörderischen Umgebung und mußten damit rechnen, daß die Gangster die Geduld verloren und zuschlugen. War es nicht richtiger, ab sofort auf das Center zu verzichten?
Er trat schnell hinter einen Strauch am Straßenrand zurück, als ein Jeep auftauchte.
Seine Vorsicht erwies sich als richtig. In dem Jeep saßen Hallway, Hale und Jerry. Sie fuhren sehr schnell und wollten wahrscheinlich Anschluß an den vermeintlich durchgegangen Wagen des Butlers herstellen.
„Sir, darf ich einen kleinen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“
Rander wandte sich ab. Parker hielt ihm eine flache Blechschachtel entgegen, die vollkommen harmlos aussah, auch wenn zwei dünne Drähte aus ihr hervorbaumelten.
„Ist das etwa die Sprengladung?“ fragte Rander und musterte sie mißtrauisch.
„In der Tat, Sir. Ein Zeitzünder darin würde die Ladung in etwa zehn Minuten in die Luft jagen.“
„Sind Sie auch sicher, daß Sie das Ding abgestellt haben?“
„Sehr wohl, Sir!“
„Und was machen wir jetzt mit dem Ding? Ich würde es am liebsten unter Paulsens Stuhl anbringen.“
„Ich kann Ihren Ärger durchaus verstehen Sir, doch erlaube ich mir, davon dringend abzuraten. Gewalt gegen Gewalt! Ein Verfahren, daß sich selten im Endeffekt lohnt!“
„Natürlich, ich weiß. Machen Sie mir Vorschläge, Parker!“
„Man könnte die bewußte Sprengladung für sich und allein hochgehen lassen.“
„Dann haben wir Hallway und Jerry auf dem Hals. Sie kamen eben hier im Jeep vorbei.“
„Ausgezeichnet, Sir!“
„Wie ich Sie kenne, planen Sie wieder einen Ihrer Scherze, wie?“
„Irgendwie, Sir, muß ich meine Aggression abreagieren.“
„Gut, dann reagieren Sie mal schön ab, Parker! Und wo soll diese Explosion stattfinden?“
„Würde es Ihnen hier passen, Sir?“
„Natürlich, nichts dagegen einzuwenden. Vor allen Dingen schön unübersichtlich, wie?“
Parker verschwand mit der Blechschachtel im dichten Gestrüpp, vergewisserte sich, daß keine unschuldigen Waldläufer in Gefahr gebracht wurden und traf anschließend seine Vorbereitungen. Rander sah seinem Butler interessiert zu, er ahnte bereits, was Josuah Parker vorschwebte.
*
„Die können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben“, meinte Norman Hallway grimmig, „irgendwo müssen die beiden Schnüffler doch stecken.“
Hale und Jerry wollten gerade ihre Kommentare geben, als eine reißende, knappe Detonation die Luft erschütterte. Jerry, der den Jeep steuerte, trat sofort auf die Bremse.
„Zurück!“ stieß Hallway hervor. Er hatte sich umgewendet und über dem Waldstück eine grau-schwarze Rauchwolke ausgemacht. Sie konnte nur von einer flachen Blechdose verursacht worden sein.
Jerry wendete den Wagen und raste zurück zur vermeintlichen Unfallstelle. Dort angekommen, hüpften Hallway, Jerry und Hale aus dem Wagen und arbeiteten sich durch das dichte Gestrüpp an die Rauchwolke heran, die jetzt von einem schwachen Luftzug verweht wurde.
Dann sahen sie das hochbeinige Monstrum, das heißt, sie sahen nur die Umrisse dieses Wagens. Schwarze Nebelwolken hüllten das Gefährt ein und schufen die Illusion eines brennenden Wagens. Hallway, Hale und Jerry steuerten dieses vermeintliche Wrack an und freuten sich wie Kinder.
„Toll, wie …?“ Hallway wandte sich an Hale, der rechts von ihm stand oder stehen mußte, aber nicht mehr vorhanden war.
„He, Hale!“ rief Hallway, leicht stutzig werdend, sah sich um und entdeckte Hale neben sich zu seinen Füßen. Hale schlief bereits tief und fest.
„Was soll denn das?“ Hallway wandte sich an Jerry, der links von ihm Stellung bezogen hatte. Doch auch Jerry war im Moment nicht ansprechbar. Er sackte gerade langsam zu Boden und reagierte nicht.
Hallway beschlich ein unheimliches Gefühl. Irgend etwas stimmte doch hier nicht. Hale und Jerry, ansonsten die Zuverlässigkeit in Person, konnten sich nicht, aus freien Stücken zu einem Schläfchen niedergelegt haben.
Bevor Hallway in der Lage war, diese Frage näher zu ventilieren, zuckte er zusammen und faßte unwillkürlich nach seinem Hinterkopf. Gleichzeitig verspürte er einen harten Schlag in dieser Höhe, eine gewisse Schwäche in den Beinen und ebenfalls ein dringendes Schlafbedürfnis.
Er sah schon nicht mehr den Butler, der hinter einem dichten Strauch hervortrat und seine Gabelschleuder zusammenlegte, die er gerade erst als Fernwaffe benutzt hatte.
„Ich denke, Sir, daß dieses kleine Problem zufriedenstellend gelöst werden konnte“, sagte er zu seinem jungen Herrn, der nun ebenfalls erschien, „falls Sie einverstanden sind, könnte man sich jetzt dem zweiten Teil des Unternehmens widmen.“
*
Weder Mike Rander noch Josuah Parker ahnten, daß sie sehr intensiv beobachtet wurden.
Dieser Beobachter männlichen Geschlechts war identisch mit jenem Angler aus dem Schilf, der schon einmal eine Detonation miterlebt und mitverfolgt hatte. Dieser Mann, der jetzt Zivil trug, saß auf einem Baumast und sah intensiv durch ein kleines, aber leistungsstarkes Glas.
Er konnte sich nicht erklären, wieso und warum die drei Männer des Recreation Center so plötzlich zu Boden gegangen waren, zumal er nicht das leiseste Geräusch eines Schusses gehört hatte.
Von Sekunde zu Sekunde steigerte sich sein Staunen. Die beiden Männer trugen gerade die drei schlafenden Männer näher an diesen seltsamen, hochbeinigen Wagen heran und verstauten ihre Opfer im Kofferraum. Anschließend verschwanden sie vorn im Wagen und fuhren zurück auf die Straße.
Der Mann auf dem Baumast notierte sich die Nummer des hochbeinigen Wagens, den er schon einmal inmitten des Sees gesehen hatte. Dann rutschte er am Baumstamm hinunter auf den Waldboden und suchte seinen Ford auf, der auf einem Parkplatz hart am See stand.
Der Mann schaltete das Radio ein und holte unter dem Beifahrersitz ein Mikrofon hervor. Wenig später setzte er einen Spruch ab, wiederholte ihn sicherheitshalber und fuhr dann mit dem Ford von dannen.
*
„Ob es Ihnen nun paßt oder nicht, Paulsen, Hauptsache, das Problem ist gelöst.“ Billy Carter zuckte die Achseln und zündete sich eine Zigarette an, „Pech, daß die Ladung hier in der Nähe des Centers hochging!“
„Wie konnte das passieren?“ erkundigte sich Dr. Clyde nervös und kratzte sich intensiv den Nacken.
„Sie muß vor der eingestellten Zeit hochgegangen sein.“ Carter schien diese kleine Panne nicht besonders tragisch zu nehmen.
„Wozu sind Sie eigentlich Spezialist?“ ärgerte sich Paulsen. Er hielt mit seinen engsten und wichtigsten Mitarbeitern Kriegsrat ab.
„Sagen Sie schon, daß Sie sich im Grunde freuen, Paulsen! Sie warten doch die ganze Zeit darauf, daß ich einen Fehler mache, oder?“
„Sie überschätzen sich, Carter.“ Paulsen grinste, „ich werde die Panne natürlich ans Syndikat weitermelden müssen … Eines steht ja wohl einwandfrei fest, wir werden es wieder mit der Polizei zu tun bekommen.“
„Lieutenant Madison ist doch ein ausgemachter Trottel“, behauptete Paulsens Privatsekretärin. Miss Jane Friday kratzte sich ebenfalls ungeniert den verlängerten Rücken. Die Spuren der nächtlichen Überraschung hatten sich noch immer nicht gegeben.
„Diese zweite Explosion in der Nähe des Center wird Schlagzeilen machen“, sagte Paulsen. Er sah Carter an, der ihm die Stellung als leitender Manager streitig machen wollte. „Ich bin gespannt, was das Syndikat dazu sagen wird.“
„Wer hat die beiden Schnüffler denn erst ins Center hereingelassen?“ entrüstete sich Carter, „den Fehler haben doch Sie begangen, Paulsen!“
„Warum wollen wir uns gegenseitig zerfleischen?“ fragte Dr. Clyde und kratzte sich jetzt den Rücken, „mit etwas Geschick werden wir jede Publicity vermeiden. In ein paar Tagen können wir den Schulbetrieb unserer Gäste wieder voll aufnehmen.“
„Das meine ich auch.“ Jane Friday sah Dr. Clyde bewundernd an. „Hacklett hat mit seinem ausspionierten Wissen nichts anfangen können. Und nun sind auch Rander und Parker ausgefallen. In Zukunft werden wir eben noch vorsichtiger sein.“
„Wir können …“ Panische unterbrach sich und sah ungnädig hinüber zur sich öffnenden Tür. Kathy, die Krankenschwester Dr. Clydes, außer Atem und irritiert wirkend, stürzte herein.
„Die beiden Männer … Sie sind wieder zurück!“
„Welche beiden Männer?“ Paulsen ahnte es zwar, doch er, wollte es nicht wahrhaben.
„Rander und Parker! Ich habe sie gerade im Wagen gesehen. Sie sind vor ihrem Gästehaus ausgestiegen.“
„Zum Teufel, wer ist denn dann in die Luft gegangen?“ fragte Paulsen leise. „Wir müssen sofort feststellen, wo Hallway, Hale und Jerry geblieben sind.“
„Und zwar werden uns das Rander und Parker sagen“, fügte Carter hinzu, „ich werde sie schon zum Reden bringen, darauf können Sie Gift nehmen, Paulsen!“
*
„Eigentlich heller Wahnsinn, daß wir zurückgekehrt sind“, sagte Mike Rander, als sie im Gästehaus Nr. 6 waren. „Nach dieser Sprengstoffpanne werden die Gangster kaum noch Rücksicht nehmen.“
„Womit der Zweck wohl endlich erreicht sein dürfte, Sir.“
„Es soll schon Köder gegeben haben, Parker, die auf gefressen wurden.“
„In der Tat, Sir, weil die Köder nicht auf paßten. Wenn Sie gestatten und mir erlauben, werde ich Ihnen meinen Plan entwickeln, der sich erneut durch Humanität auszeichnet.“
Rander und Parker standen selbstverständlich im Badezimmer des Gästehauses und ließen die Brause rauschen. Rander hörte interessiert zu, als Parker auf gewisse Details zu sprechen kam. Als sein Butler geendet hatte, mußte der junge Anwalt lachen.
„Was Sie sich wieder ausgedacht haben“, meinte er dann in einer Mischung aus Anerkennung und Amüsiertheit, „damit bringen Sie Paulsen und seine Freunde doch auf die Palme …
„Mein bescheidener Plan findet demnach Ihre Billigung, Sir?“
„Natürlich, für einen Spaß bin ich immer zu haben. Hauptsache, wir überleben.“
„Dafür möchte ich eine gewisse Garantie übernehmen, Sir. Wenn es gestattet ist, werde ich mich auf den Weg machen. Man könnte vielleicht …“
„Moment mal, Parker, war das nicht das Telefon?“ Rander öffnete die Tür des Badezimmers und nickte dann. Er verschwand im Wohnraum.
Als Parker ihm folgte, kam Rander ihm schon wieder entgegen.
„Komische Geschichte“, meinte der Anwalt, „eines der Häschen hat angerufen.“
„Miss Kathy?“
„Nein, sie nennt sich Helen.“
„Ist das nicht das Girl, Sir, das Sie und meine Wenigkeit beim Einzug ins Gästehaus begrüßte?“
„Genau, das sagte sie. Sie nannte den Namen Hacklett und will uns unbedingt sprechen.“
„Hacklett?“
„Ich weiß, das erinnert an den Trick unserer kleinen Krankenschwester Kathy. Scheint mir oberfaul zu sein, Parker. Man will uns wieder in eine Falle locken.“
„Darf ich mir erlauben zu widersprechen, Sir?“
„Sie rechnen nicht mit einer Falle?“
„Grundsätzlich ja, Sir, in diesem speziellen Fall hingegen nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, Sir, daß die Herren Gastgeber nacheinander mit ein und demselben Trick arbeiten. Miss Helen scheint Ihnen und meiner Wenigkeit wirklich etwas mitteilen zu wollen. Wo, sagte sie, kann man sie treffen?“
„Im Frühstückssaal. Sie wartet im Verbindungsflur auf uns. Sollen wir gehen?“
„Vielleicht könnte ich mich dort einmal umsehen, Sir.“
„Ich gehe selbstverständlich mit. Kommen Sie!“
Rander und Parker, wohlausgerüstet, verließen das Gästehaus und schritten hinauf zum schloßähnlichen Hauptbau des Recreation Center. Unterwegs suchten sie vergebens nach Kurgästen. Die Herren schienen heute einen freien Tag zu haben, der Park war leer.
„Daß wir beobachtet werden, dürfte Ihnen ja klar sein“, meinte Rander, als sie den Hauptbau erreicht hatten.
„Gewiß, Sir! Darf ich aus diesen Gründen ein kleines Ablenkungsmanöver vorschlagen?“
„Sie wollen mich wieder einmal loswerden.“
„Ich werde mich zu Dr. Clyde bequemen, Sir. Sie könnten Miss Helen sprechen.“
„Das hört sich schon besser an, Parker.“ Rander nickte Parker zu und verschwand im Hauptbau. Josuah Parker lustwandelte gemessen und würdevoll hinüber zum rechten Seitenflügel des Hauses, wo er prompt auf Dr. Clyde traf, der sich ungeniert kratzte.
„Ich wünsche einen schönen Tag, Sir“, sagte Parker und lüftete seine Melone. „Darf ich Sie konsultieren?“
„Der Teufel soll Sie holen, Parker“, stöhnte Dr. Clyde, „sagen Sie schon, was Sie mir da auf den Pelz gebrannt haben. Ich werde noch verrückt, so juckt’s mich!“
„Ich weiß leider nicht, wovon Sie reden, Sir?“
„Tun Sie bloß nicht so, Sie alter Gauner, ich weiß, daß ich dieses verdammte Jucken Ihnen zu verdanken habe! Verraten Sie mir das Gegenmittel! Mit den üblichen Antihistaminen habe ich bisher keinen Erfolg gehabt!“
„Verständlicherweise“, sagte Parker frei heraus, „es handelt sich um ein neues Präparat, das in der Fachwelt noch nicht bekannt ist. Das Gegenmittel dürfte noch unbekannter sein!“
„Rücken Sie schon heraus mit der Sprache! Kommen Sie, Parker! Schnell! Ich halte das nicht mehr aus. Und Miss Friday ebenfalls nicht!“
Parker folgte Clyde in die Ordination.
„Vielleicht könnte man sich vorher noch ein wenig unterhalten“, schlug der Butler vor, „freimütig und offen. Ich hoffe, von Ihnen einige interessante Informationen zu bekommen!“
*
Mike Rander war ehrlich betroffen.
Er sah auf den langbeinigen Hasen hinunter, der auf der niedrigen Treppe lag und sich nicht rührte, sich nicht rühren konnte, weil ein Messer im Rücken hinderlich zu sein schien.
Rander beugte sich zu Helen und rief sie an.
„Miss Helen!“ sagte er leise, „Miss Helen …“
Sie öffnete die Augen, stöhnte und flüsterte etwas, doch Rander konnte nichts verstehen.
„Helen!“ rief er sie erneut an und brachte, sein Ohr dicht vor ihren Mund, „wer hat das getan?“
„Kathy … Vorsicht“, murmelte Helen, „Kathy und Carter … Transistorradio. Schnell!“
Mike Rander richtete sich auf. Wenn Helen geholfen werden sollte, dann mußte dies schnell geschehen. Er untersuchte die Verletzung und sah, daß Helen bereits sehr viel Blut verloren hatte.
Plötzlich hörte er hinter sich leise Schritte.
Mike Rander reagierte spontan und geistesgegenwärtig zugleich. Er rollte sich zur Seite ab, rutschte über die wenigen Stufen hinunter und riß gleichzeitig seine Schußwaffe aus der Halfter.
Billy Carter und Krankenschwester Kathy hatten sich herangepirscht und hielten je einen massiven Totschläger in der Hand.
„Aber nicht doch!“ sagte Rander und stand vorsichtig auf, „so was gehört hoffentlich nicht zum Erholungsprogramm?“
„Warum … Warum haben Sie Helen umgebracht?“ schnauzte Carter, der etwas aus der Fassung geraten war und auf Randers Schußwaffe schielte.
„Alarmieren wir den Arzt“, sagte Rander und deutete auf Helen, „beten Sie zu Gott, daß wir sie durchbekommen, sonst stehen Sie in ein paar Stunden unter Mordanklage!“
Kathy war nicht zu bremsen. Sie wollte sich auf Rander stürzen, die Schußwaffe schien sie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben.
„Bist du verrückt?“ Carter bremste sie, „laß das! Für den Mord hier wird Rander hängen, darauf kannst du dich verlassen!“
Rander dirigierte die beiden Gastgeber des Center zurück in den Frühstückssaal und griff nach dem Telefon der Hausanlage. Er warf Carter einen schnellen, drohenden Blick zu.
„Die Nummer von Clyde!“ sagte er hart. Carter schien zu spüren, daß er sein Konto nicht überziehen durfte. Hastig nannte er die Hausnummer. Rander wählte sie, während er das saubere Pärchen nicht aus den Augen ließ.
„Praxis Dr. Clyde!“ meldete sich zu Randers Erleichterung eine ihm wohlvertraute Stimme.
„Parker! Schnell! Helen ist schwer verletzt worden! Ich brauche den Arzt! Bringen Sie ihn her, tot oder lebendig!“
Leider konnte Mike Rander die Antwort nicht mehr hören. Ein harter Schlag, der seinen Hinterkopf traf, hinderte ihn daran …
*
Parker und Dr. Clyde erschienen im Speisesaal, der leer war. Der Butler sah sich suchend nach Helen um und kam dabei auch in die Nähe der kleinen niedrigen Treppe.
Von Helen war nichts zu sehen.
„Was ist denn eigentlich los?“ jammerte Dr. Clyde, „warum geben Sie mir das Antimittel nicht, Mister Parker? Sie sehen doch, wie ich mich abquäle.“
Parker sah etwas anderes.
Nämlich einige Blutspuren auf dem Treppenläufer.
Blitzschnell arbeitete sein innerer Präzisionscomputer. Es stand fest, daß Helen etwas passiert war. Mike Rander hatte dies am Telefon deutlich genug gesagt. Mike Rander hatte ihn hierher in den Speisesaal beordert. Da Helen verschwunden war, mußten die Gastgeber des Recreation Center das inszeniert haben. Wollten sie einen Mord vertuschen?
Da Mike Rander ebenfalls nicht zu sehen war, mußte er in die Hände der Gangster gefallen sein. Es bestand demnach höchste Lebensgefahr für seinen jungen Herrn. Die Gangster des Center wollten endlich reinen Tisch machen.
„Warten Sie hier“, sagte Parker äußerst knapp zu Dr. Clyde, „Sie werden gleich das bewußte Antimittel erhalten. Das heißt, ich könnte es Ihnen sofort geben, falls Sie mir dafür einen kleinen Gefallen erweisen.“
„Was denn? So reden Sie doch schon!“
„Wohin könnte man meinen Herrn, Mister Rander, gebracht haben? Er scheint nach Lage der Dinge gekidnappt worden zu sein.“
„Ich weiß es nicht, Parker.
„Ohne Information kein Gegenmittel. Bitte, legen Sie mir dieses Tauschgeschäft weder als Nötigung noch als Erpressung aus. Es sind die besonderen Umstände, die mich zu diesem Tausch zwingen.“
„Für Mord ist Carter zuständig!“
„Und wo finde ich besagten Herrn“
Dr. Clyde beschrieb den Weg. Josuah Parker ließ es darauf ankommen, daß er die Wahrheit gehört hatte. Er verabfolgte Dr. Clyde eine Ampulle.
„Sie reicht für Miss Friday und für Sie“, sagte er, „Sie werden sich nach der Injektion ein wenig müde fühlen, nach dem Aufwachen allerdings beschwerdefrei sein.“
Dr. Clyde riß ihm förmlich die Ampulle aus der Hand und rannte aus dem Speisesaal. Er vergaß darüber allerdings nicht, sich ausgiebig zu kratzen.
Josuah Parker legte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms korrekt über den linken Unterarm und begab sich auf den Kriegspfad. Seinem glatten, wohlrasierten Pokergesicht war nicht anzumerken, wie sehr er sich sorgte.
Parker stieg über die Treppe hinunter in das Kellergeschoß, benutzte ihm bereits bekannte Wege und erreichte so den großen Saal für Bodybuilding.
Vorsichtig drückte er die Tür auf und erstarrte!
*
Mike Rander lag angeschnallt auf einer Pritsche. Über seiner Brust befand sich die schwere, solide Querstange, an deren Enden bereits gewaltige Rundgewichte hingen.
Neben dieser Folterbank, die normalerweise der Ertüchtigung diverser Muskelpartien diente, standen Carter und Kathy.
„Nun sagen Sie schon, was Helen Ihnen noch zugesteckt hat“, forderte Carter gereizt, „wenn Sie nicht spuren, Rander, drücke ich Ihnen Zentimeter für Zentimeter den Brustkorb ein.“
„Soll ich die nächsten Gewichte dranhängen?“ erkundigte sich Kathy, die reizende Krankenschwester. Ohne Carters Antwort abzuwarten, befaßte sie sich mit einem schweren Rundgewicht, wuchtete es hoch und wollte es einhängen.
Parker war ernstlich böse, was bei ihm äußerst selten vorkam.
Um Kathy an ihrem verwerflichen Tun zu hindern, bediente er sich der stahlblechgefütterten Melone. Er benutzte sie als eine Art Diskus und ließ sie aus dem Handgelenk heraus durch die Luft sirren.
Kathy brüllte auf, als ihr Oberarm getroffen wurde.
Dann brüllte sie erneut auf. Diesmal schriller und entsetzter. Das Gewicht war aus der Hand gerutscht und hochkant auf den großen, rechten Zeh gefallen.
Dementsprechend hüpfte und tanzte Kathy nun durch den Gymnastiksaal und produzierte dabei Schritte und Figuren, die an den berühmten Sterbenden Schwan erinnerten.
Carter war verständlicherweise aufmerksam geworden und aktivierte sein Mißfallen gegenüber Parker. Er wollte ein Schießeisen aus der Tasche seines Jacketts ziehen, doch der Universal-Regenschirm des Butlers war schneller. Speerartig traf der bleigefütterte Griff das Kinn des Gangsters, der lautlos in sich zusammenbrach.
„Ich bitte um Entschuldigung, Sir, daß ich erst jetzt einzugreifen vermochte!“ Parker hielt in allen Lebenslagen auf Formen.
„Mensch, nun wuchten Sie schon das verdammte Ding herunter“, brüllte Mike Rander mit der letzten Luftreserve, „ich … ich ersticke!“
„Sehr wohl, Sir, ich bitte Sie, sich einen kleinen Moment gedulden zu wollen.“
Parker brauchte tatsächlich Zeit und Kraft, um die schwere Riesenhantel von Randers Brust zu bekommen.
„Darf ich mich nach Ihrem werten Befinden erkundigen, Sir?“ fragte er, als Rander sich versuchsweise aufrichtete.
„Mir langt’s!“ gab Rander knurrig zurück, „ich bin auf keinen Fall so gut gelaunt wie Kathy!“
Kathy hatte überhaupt nicht zugehört. Sie zelebrierte nach wie vor mehr oder weniger gekonnte Tanzschritte auf einem Bein, ließ sich dann auf eine weiche Sprungmatte fallen und untersuchte wimmernd ihren lädierten Zeh.
„Wo finde ich Miss Helen?“ fragte Parker höflich bei der Krankenschwester an.
„Nebenan, im Umkleideraum.“ Kathy stöhnte. „Mein Zeh … mein Zeh ist gebrochen!“
„Bis Sie das Matronenalter erreicht haben, wird dieser Schmerz längst vergangen sein“, tröstete Parker, während Mike Rander schon hinüber in den Umkleideraum lief.
Er kam nach wenigen Sekunden sehr langsam und betreten zurück.
„Nichts mehr zu machen“, sagte er, „sie ist tot!“
*
Les Paulsen hielt eine Generalversammlung ab.
Er und seine Kurgäste hatten sich im Schießstand versammelt und hörten sich Paulsens Bericht zur Lage an.
„… müssen wir diese beiden Schnüffler so diskret und so schnell wie möglich aus dem Verkehr ziehen“, sagte Paulsen militärisch knapp. „Ich dachte zuerst, wir würden es mit Höflichkeit und Tarnung schaffen, aber dies ist nicht der Fall. Ich appelliere an Ihre Geschicklichkeit und an Ihre Berufserfahrung in einschlägigen Dingen. Es muß doch eine Kleinigkeit sein, zwei Schnüffler zu überwältigen!“
„Sollen wir sie zusammenschießen?“ fragte ein rundlicher, gemütlich aussehender Kurgast, der wie seine Freunde den obligaten Trainingsanzug trug.
„Auf keinen Fall“, wehrte Paulsen fast entsetzt ab, „nur aus dem Verkehr ziehen. Hier auf dem Grundstück des Centers darf kein Mord über die Bühne gehen.“
„Und wo stecken die beiden Schnüffler jetzt?“ fragte ein anderer Kurgast, ein Profikiller wie der erste Fragesteller.
„Sie treiben sich hier im Haus herum. Also, ich fasse noch einmal zusammen, Rander und Parker werden überwältigt und außer Gefecht gesetzt. Später werden wir sie dann weitab von hier irgendwo im Gelände umbringen. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden!“
Die Kurgäste, froh über eine nette Abwechslung, gingen zum Lift, um hinauf ins eigentliche Kellergeschoß und von dort aus ins Erdgeschoß zu fahren.
Dummerweise rührte der Lift sich aber nicht.
„Das kann doch nicht sein“, schimpfte Paulsen und bahnte sich einen Weg durch die erregten Männer, etwa dreißig an der Zahl, die sich vor dem Lift versammelt hatten, „eben hat das Ding doch noch funktioniert!“
Paulsen drückte sämtliche Knöpfe, doch der Lift blieb regungslos in seinen Führungsschienen stecken.
„Die Treppe!“ kommandierte Paulsen gereizt, „ich möchte wetten, daß Parker wieder dahintersteckt. Dieser verdammte Kerl steckt voller fauler Tricks!“
Die Kurgäste mit Paulsen an der Spitze begaben sich hinüber zur sehr schmalen, dafür aber auch steilen Treppe, die hinauf in das eigentliche Kellergeschoß führte.
Paulsen blieb stehen. Seine Augen nahmen einen starren Ausdruck an.
„Parker!“ flüsterte er dann fast andächtig. Oben, am Ende der Treppe, stand der Butler und lüftete grüßend seine schwarze Melone.
„Da ist er!“ brüllte irgendein unternehmungslustiger Kurgast und raste an Paulsen vorbei auf die Treppe, die etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Stufen, aufwies.
Er preschte hinauf, schaffte etwa drei Stufen, warf dann zuerst die Beine und anschließend die Hände hoch in die Luft. Bruchteile von Sekunden später landete er krachend auf dem Zementboden des Schießstandes.
Paulsen war und blieb noch ahnungslos.
Er setzte sich an die Spitze seiner Leute und fiel wie eine Bombe zwischen die auseinanderspritzenden Männern, dabei einige von ihnen umreißend.
Bevor er eine Warnung anbringen konnte, stürmte ein Trupp aufgebrachter Kurgäste über die Stufen nach oben und … landete wenig später wieder unten.
„Die Stufen!“ brüllte einer von ihnen warnend, doch es war bereits zu spät. Ein anderer Trupp hatte die Treppenbesteigung riskiert und rutschte Hals über Kopf wieder nach unten.
„Schmierseife!“ brüllte ein aufmerksamer Kurgast. „Die Stufen sind glitschig. Aufpassen!“
Parker sah zu, wie die Kurgäste nun vorsichtig auf Händen und Füßen nach oben rutschten. Um ein wenig Leben in dieses verbissene Treiben zu bringen, opferte er ein paar Schweizer Kracher, jene kleinen, niedlichen Feuerwerkskörper, die man in einschlägigen Geschäften ohne Waffenschein erstehen kann.
Der Erfolg war frappierend.
Die Knallkörper zischten, huschten, rasten und pfiffen um die Ohren der Treppenbesteiger, brachten sie total in Verwirrung und schafften es, daß nach knapp viereinviertel Sekunden alle Kurgäste samt Paulsen wieder unten auf dem Zementboden landeten.
Die Stimmung der als Kurgäste getarnten Killer und Gangster konnte danach nicht mehr als besonders gut bezeichnet werden.
Die auf Häschen getrimmten Assistentinnen hielten sich in ihrem Aufenthaltsraum auf und warteten auf ihren Einsatz. Auch ihre Laune befand sich tief unter dem Nullpunkt. Sie brauchten eigentlich nur an die zertrümmerten Schränke in ihren Zweibettzimmern zu denken. Dank der Klebepaste, die Parker an den Schranktüren verwendet hatte, waren die Schränke nicht mehr zu öffnen gewiesen. Man hatte mit Äxten leicht nachhelfen müssen. Dementsprechend sah es in den Zimmern jetzt aus.
Die jungen langbeinigen Damen trugen ihre Zweitausstattung und entsprachen rein äußerlich wieder dem Normalbild. Sie wären große, langohrige Hasen, attraktiv, sexy und dennoch irgendwie steril-kühl.
Liz, die zusammen mit der inzwischen ermordeten Helen Rander und Parker beim Einzug in das Center begrüßt hatte, sprang plötzlich zum Telefonapparat, der sich gemeldet hatte. Sie hörte einen kurzen Moment zu, warf den Hörer rücksichtslos in die Gabel und wandte sich an ihre Mithäsinnen.
„Es ist soweit!“ sagte sie, „Rander und dieser komische Parker sollen außer Gefecht gesetzt werden. Paulsen hat gerade angerufen. Er und seine Gäste haben sich bis zur Halle durchgekämpft. Die beiden Schnüffler sind so dumm gewesen, ins Obergeschoß zu flüchten!“
Die jungen langbeinigen Hasen griffen nach Golfschlägern und anderen handelsüblichen Sportinstrumenten, die jetzt und hier als Schlaginstrumente verwendet werden sollten. Sie liefen geschmeidig und durchtrainiert und auf dem schnellsten Weg hinüber in die Halle, um es den Kurgästen, die bisher so gründlich versagt hatten, einmal gründlich zu zeigen.
*
„Lange werden wir uns wer oben nicht halten können“, sagte Mike Rander skeptisch. Er stand zusammen mit seinem Butler auf der Galerie der Halle und sah nach unten, wo die Kurgäste unter Paulsens Führung sich formierten.
Die Männer Wirkten sehr mitgenommen. Verschmiert, gestoßen, geschunden, wagten sie es im Moment nicht, über die Freitreppe nach oben zu laufen. Gegen Treppenstufen waren sie inzwischen leicht allergisch geworden.
„Rander … Parker …!“ rief Paulsen nach oben und wischte sich eine Portion Schmierseife aus dem Gesicht, „das ist eure letzte Chance! Steckt freiwillig auf!“
„Und was, wenn ich höflichst fragen darf, soll danach folgen?“ Parker bekundete Interesse.
„Mein Wort darauf, daß Sie abziehen können!“
„Sie werden verstehen, daß ich den Wahrheitsgehalt Ihrer Worte anzweifle“, sagte Parker in seiner höflichen Art, „ich fürchte, Sie werden in kürzester Frist dieses Kurzentrum schließen müssen. Mord als Therapie werden die einschlägigen Behörden kaum schätzen!“
Paulsen riß wieder einmal die Geduld.
„Mir nach!“ rief er emphatisch, trat zur Seite und ließ seine Mannen an sich vorbeilaufen. Sein Bedarf an Überraschungen war hinreichend gedeckt.
Die Angreifer glaubten leichtes Spiel zu haben. Die Treppe war breit, ließ eine gewisse Schlachtordnung zu und schien nicht präpariert zu sein.
Was durchaus stimmte. Parker hingegen, Parker war präpariert. Er hatte mit diesem Sturmangriff gerechnet und seinem jungen Herrn entsprechende Vorschläge unterbreitet.
Die ersten Angreifer hatten die ersten Treppenstufen völlig normal hinter sich gebracht, als das Desaster über sie hereinbrach!
Rander, der sich etwas im Hintergrund gehalten hatte, schritt zur Tat.
Er zweckentfremdete jene Blumenkübel aus Holz, die man aus Ziergründen über Tontöpfe zu stülpen pflegt. Er verfügte über eine handliche Anzahl dieser recht ansehnlichen Kübel, die jetzt, jeder für Sich, wie eine kleine Lawine, in die Angreifer donnerten.
Die Kurgäste wirbelten durcheinander und landeten ohne Ausnahme wieder unten in der Halle. In Paulsen stieg so etwas wie Schadenfreude auf. Er beglückwünschte sich insgeheim dazu, daß er sich an diesem Sturmlauf nicht beteiligt hatte.
Die zweite Angreiferwelle brandete nach oben. Man wollte es jetzt wissen, gefährlicher Ehrgeiz war geweckt worden.
Parker stoppte diese Welle mit dem voll aufgedrehten Feuerschlauch. Aus Gründen der Brandbekämpfung befand sich jeder Etage solch ein Brandhahn. Umtost von Wassermassen, die an einen Wildbach erinnerten, wurden die Angreifer zurück in die Halle gespült.
„Verstärkung!“ rief Rander seinem Butler zu. Er deutete nach unten, wo die langbeinigen Hasen erschienen, um das Blatt zu wenden. In ihren Netzstrümpfen, den freigiebigen Dekolletés, den mehr als nackten Schultern und Armen boten sie einen erfreulichen Anblick.
Parker tat es leid, daß er es tun mußte. Doch es gab und gibt im Leben eines jeden Mannes Momente, wo man sich nicht gehenlassen darf.
Fast aufseufzend griff er nach einem kleinen Tongefäß, das er sich im Anschluß an die Überwältigung von Hallway, Hale und Jerry im nahen Ort besorgt hatte.
Sein Pokergesicht nahm einen leicht mitleidigen Ausdruck an, als er dieses Tongefäß über die Brüstung nach unter, in die Halle warf.
Das Gefäß barst auseinander!
Gereizte Bienen, seit gut anderthalb Stunden eingeschlossen, strebten nicht nur in die Freiheit zurück, die man ihnen genommen hatte. Nein, sie trugen auch böse Rachegefühle in sich und nutzten die Chance, diese Gefühle an den Mann, beziehungsweise an die Frau zu bringen.
Die Männer waren im Grunde bevorzugt, da sie Trainingsanzüge trugen.
Die langbeinigen Hasen hingegen litten.
Sie schlugen um sich und erregten damit nur den zusätzlichen Zorn der Honigbienen. Die Insekten sahen nackte Arme, Beine, Schultern und Busen, sie sahen sich einem Dorado an blühendem Fleisch gegenüber. Schreiend und kreischend ergriffen die Hasen die Flucht, verfolgt von einem Schwärm gereizter Bienen. Es dauerte nur sechsdreiviertel Sekunden, bis keine der Häsinnen mehr zu sehen war.
„Mir ist selbstverständlich bewußt, Sir, daß dies nicht das war, was man im Volksmund die feine englische Tour nennt“, entschuldigte Parker sich bei seinem jungen Herrn.
„Ich will Ihnen in Anbetracht der Umstände noch einmal verzeihen“, sagte Rander lächelnd, „aber wie soll’s denn jetzt weitergehen? Ob man uns freiwillig gehen läßt?“
Gewiß, die Halle war leer, die Bienen hatten gründlich aufgeräumt. Aber die Lage war, insgesamt gesehen, noch nicht bereinigt. Noch befanden Rander und Parker sich auf dem Grund und Boden des Center. Es stand zu erwarten, daß die Gangster nun endgültig die Geduld verloren und ihr Heil bei diversen Schußwaffen suchten!
*
Nach wenigen Minuten wurde es ernst.
Schallgedämpfte Pistolen und Revolver kamen zum Einsatz. Rander und Parker mußten sich von der bisher behaupteten Galerie zurückziehen. Die Schüsse von unten verrieten die Könnerschaft der Kurgäste.
Rander und Parker zogen sich über eine Treppe ins Dachgeschoß zurück, wo sie sich erst einmal verbarrikadieren konnten. Die Kurgäste unter Paulsens Führung drängten nach.
Über der ganzen Szene lag, akustisch gesehen, eine Unwirklichkeit. Die schallgedämpften Schüsse „ploppten“ relativ leise und hatten fast so etwas wie Kammerspielcharakter. Laute Töne unterblieben vollständig.
Unten auf der Straße und im Durchgangsrestaurant war mit Sicherheit nichts zu hören.
Um diesem Übelstand abzuhelfen, öffnete der Butler eine Dachluke und befestigte am Rahmen eine seiner Spezialraketen. Er zündete die Lunte an und nickte seinem jungen Herrn zu.
Dann war es soweit!
Zischend, krachend und fauchend stieg die erste Rakete hinauf zum mittäglichen Himmel. Es handelte sich um eine sogenannte Lärmrakete, die das Getöse eines Schlachtfeldes täuschend nachzuahmen vermochte.
Unten auf der Straße, am See, in einem Umkreis von einigen Meilen mußte nun der Eindruck entstehen, als übe eine Panzerdivision den Ernstfall.
Rander hielt sich verzweifelt die Ohren zu. Parker hingegen sorgte für eine Abwechslung in der Geräuschfolge. Eine zweite und dritte Rakete zauberte die Illusion angreifender Phantombomber und hinhaltender Erdkampfverteidigung.
„Ich denke, Sir“, rief Parker seinem jungen Herrn zu, „daß dieser Kuraufenthalt damit sein Ende finden wird. Lieutenant Madison müßte jetzt in etwa aufmerksam geworden sein.“
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Sie waren nervös, fahrig und wirkten unkonzentriert. Die Kurgäste ließen sich von Madisons Leuten entwaffnen, zumal Madison eine gute Auswahl geeigneter Beamter mitgebracht hatte. Zu Zwischenfällen kam es nicht. Rander und Parker hatten die Nerven der Kurgäste derart strapaziert, daß Madison leichtes Spiel hatte.
„Ich … ich protestiere“, schimpfte Paulsen aufgebracht. Er hatte sich auf seine Führerrolle besonnen, „wessen klagen Sie mich und meine Gäste an, Lieutenant?“
„Wenn Sie gestatten, werde ich gern die Antwort übernehmen“, sagte der Butler, sich einschaltend, „hier wäre zuerst einmal der verbotene Waffenbesitz. Ich bin sicher, daß Ihre Gäste kaum einen regulären Waffenschein vorweisen können. Darüber hinaus erhebe ich Anzeige wegen Mordandrohung und versuchten gemeinsamen Mordes! Ganz zu schweigen von den beiden regulären Morden an Mister Hacklett und einer jungen Dame namens Helen!“
„Hallway, Hale und Jerry haben bereits gestanden, den Mord an Hacklett auf Ihren Befehl hin begangen zu haben“, sagte Madison kühl, „sie sitzen schon im Zentralgefängnis dieses Bezirks!“
„Diesen Befehl müssen Sie mir erst mal nachweisen. Wir sind hier ein Kurzentrum, das …“
„… ausschließlich für Gangster aller Grade bestimmt ist.“ Madison nickte schmunzelnd, „ein erster Vergleich mit Gesichtern auf Steckbriefen und Fahndungsblättern zeigt eindeutig, daß viele Staatsanwaltschaften vor Freude tanzen werden. Langgesuchte Gangster werden nun in ihre Zellen heimfinden
„Das haben Sie überaus schön gesagt, Sir“, schaltete der Butler sich wieder ein, „der Mord, begangen an Miss Helen, kommt auf das Konto von Mister Carter und Kathy! Sie werden beide Herrschaften in einem Wandschrank im Verbindungskorridor zwischen Speisesaal und Küche finden können. Ich sah mich leider gezwungen, sie dort in Verwahrung zu nehmen.“
„Wo steckt denn unser famoser Doktor?“ fragte Madison lächelnd. Er fühlte sich erstklassig. Solch einen Fang hatte er noch nie in seinem Leben gemacht.
„Dr. Clyde und Miss Friday werden die Details bestätigen können“, antwortete der Butler, „sie befinden sich nach einer Antihistaminspritze im Tiefschlaf, werden aber gegen Abend mit Auskünften dienen können.
„Bleiben unsere Langohren?“ Rander zwinkerte dem Butler zu.
„Ja, wo stecken eigentlich diese sagenhaften Hasen?“ wollte nun auch Madison wissen.
„Sie halten sich in der Küche auf, Sir, und betupfen diverse Bienenstiche mit essigsaurer Tonerde, wozu ich freundlichst geraten habe. Ich muß Sie allerdings enttäuschen, Sir, ansehnlich sehen die Damen zur Zeit nicht aus. Es wird gut eine Woche dauern, bis sie wieder normal wirken.“
Paßt unbemerkt war ein Mann eingetreten. Er ging zu Rander, Parker und Madison durch.
„Steve Ladbers“, stellte er sich vor, „FBI. Hier ist mein Ausweis. Ich scheine zu spät gekommen zu sein.“
„Das hängt davon ab, wen Sie suchen“, sagte Rander.
„Meine Mitarbeiterin Helen!“ Als er das Gesicht von Mike Rander sah, wußte er wahrscheinlich sofort Bescheid. Er wandte sich ab und zündete sich eine Zigarette an. Dabei zitterten seine Hände.
„In Miss Helens Zimmer befindet sich ein Transistorradio“, sagte Parker, um den Mann abzulenken, „ich möchte annehmen, daß es sich dabei um eine Art Tonbandgerät handelt. Sie werden auf dem Tondraht alle wichtigen Details finden. Ich bedaure außerordentlich, daß dieser Mord sich nicht verhindern ließ!“ Ladbers, der Mann aus dem Schilf und von der Baumgabel, nickte stumm und verließ die Halle.
„Jetzt möchte ich nur noch wissen, wer Hacklett war, der auf dem See umgekommen ist?“ Madisons Stimme brach das lastende Schweigen.
„Ein Privatdetektiv!“ erklärte Parker. „Kathy hat das bereits gestanden, Hallway ebenfalls. Hackletts Identität wurde erkannt, daraufhin war seine Ermordung eine beschlossene Sache. Kathy nutzte dieses Wissen, um Mister Rander und um meine bescheidene Person in eine Falle zu locken. Erfreulicherweise wurde nichts daraus. Sie glauben, Sir, daß dieses Recreation Center nun geschlossen werden kann?“
„Worauf Sie sich verlassen können, Parker. An Kuraufenthalten für kreislaufgeschädigte Gangster sind wir nicht interessiert. Ich könnte mir aber vorstellen, daß gewisse Gangstersyndikate nun nicht mehr gut auf Sie zu sprechen sind.“
„Natürlich nicht“, seufzte Rander. Er ahnte, was auf ihn zukommen würde.
„Ich erlaube mir. Ihnen beizupflichten, Sir“, sagte Josuah Parker, „aber das sind die erfreulichen Zugaben bei der Lösung eines Falles, sie lösen Kettenreaktionen aus, die ich auf keinen Fall verschmähe. Mit anderen Worten, ich darf beruhigt in die Zukunft sehen und sicher sein, daß es auch weiterhin interessante Kriminalfälle geben wird!“
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