Читать книгу Butler Parker Paket 2 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 19
ОглавлениеJosuah Parker war mit der Straßenlage des Mietwagens keineswegs zufrieden. Gewiß, unter der Motorhaube befand sich ein starker Motor, der eine passable Geschwindigkeit zuließ, doch die Radaufhängung war für ihn eine einzige Beleidigung. Vor jeder der vielen Kurven mußte er den Wagen scharf abbremsen. Eine Spezialslalomfahrt nach seinem Herzen war auf keinen Fall möglich. Er bedauerte es also wieder ungemein, daß er seinen Privatwagen in Chikago zurückgelassen hatte.
Es war dunkel geworden.
Parker sah sich gezwungen, die Geschwindigkeit weiter zu drosseln, zumal ein leichter Nebel auf kam, der die Hänge und Gipfel der Berge verschwinden ließ. Er befand sich im Sherman-Massiv, einige hundert Meilen südwestlich von Denver in Colorado.
Um sich ein wenig zu erfrischen, wie es so seine Art war, hatte er das Wagenfenster heruntergedreht. Trotz des Nebels war die frischwürzige Luft der Bergwälder zu spüren. Und dann plötzlich auch der Geruch nach Brand, Unfall und Tod …
Parker bremste den Wagen sofort weiter ab, um dann langsam anzuhalten. Er stieg aus, richtete sich steif und würdevoll auf, setzte sich die schwarze, steife Melone zurecht und griff nach seinem Universal-Regenschirm, den er auf dem Rücksitz des Wagens deponiert hatte.
Der penetrante Geruch nach brennenden Reifen, Lack und Benzin wurde intensiver.
Parker orientierte sich. Darm entschloß er sich, zu Fuß weiterzugehen. Seinem stets wachen Gefühl nach konnte die Quelle dieser Gerüche nicht weit sein. Er setzte sich also in Bewegung, schritt gemessen ein Stück die Straße hinunter und entdeckte plötzlich auf dem Asphalt deutliche Bremsspuren, die radierende Reifen hinterlassen haben mußten.
Parker brauchte diesen Bremsspuren nur zu folgen. Sie führten ihn auf einen abschüssigen Hang und hörten hier auf. Parker schnupperte und wußte, daß dort unten am Fuß des Hangs ein brennender Wagen liegen mußte. Vom Feuer selbst wär allerdings nichts zu sehen. Selbst der obligatorische Widerschein fehlte.
Als hilfreicher Mensch machte der Butler sich an den Abstieg, der schwieriger ausfiel, als er ihn sich ausgerechnet hatte. Der Hang bestand aus losem Geröll, das nach jedem Schritt nachrutschte Parker ließ sich davon selbstverständlich nicht beeindrucken, zumal er seinen Universal-Regenschirm wirkungsvoll als Bergstock einsetzte.
Plötzlich sah er den brennenden Wagen, der auf dem Dach lag und im Grund nur noch ein zerbeulter Blechhaufen war. Parker arbeitete sich vorsichtig an dieses Wrack heran und hielt Ausschau nach Überlebenden.
Um ein Haar hätte er den jungen Mann nicht gesehen, der wie gekreuzigt auf niedrigem Buschwerk lag. Er rührte sich nicht und schien zumindest ohnmächtig zu sein.
Josuah Parker brauchte nur wenige Sekunden, bis er sich um diesen jungen Mann kümmern konnte, der 25 Jahre alt sein mochte. Zu helfen war ihm nicht mehr. Er war tot und hatte sich offensichtlich das Genick gebrochen.
Parker barg die Brieftasche des jungen Mannes und fand heraus, daß er laut Fahrerlizenz Glenn Harpers hieß und aus Heartville stammte. Parker fand aber nicht nur die Brieftasche, sondern zusätzlich noch ein silbernes Zigarettenetui, in dem drei eigenartig aussehende Zigaretten waren.
Der Butler wußte schnell Bescheid. Es handelte sich um Marihuana-Zigaretten. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Parker schob das Etui zurück in die Innentasche des Sportsakkos und stieß dabei auf eine Getränkerechnung, die auf den heutigen Tag ausgestellt war. Schnell überflog er die einzelnen Posten. Glenn Harpers, so schien es, hatte nur zwei Whisky und einen Daiquiri getrunken. Nicht genug auf jeden Fall, um von sich aus vom Weg abzukommen. Parker merkte sich den Namen des Lokals, in dem der Tote verkehrt hatte. Dann schaute er vorsichtig in den Wagen und suchte nach Mitfahrern. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, daß das Fahrzeug leer war.
Die sengende Hitze trieb den Butler zurück.
Er entschloß sich, schleunigst weiterzufahren und die Behörden zu alarmieren. Hier am eigentlichen Unfallort war für ihn nichts mehr zu tun.
Er schritt zurück zum Geröllhang und hätte beinahe die junge Dame übersehen, die wohl aus dem sich überschlagenden Wagen gestürzt war.
Sie lag auf dem Rücken und war noch ohnmächtig. Sie trug einen knapp sitzenden Hosenanzug, hatte blonde Haare und mochte etwa 20–25 Jahre alt sein.
Parker, erfahren in Erster Hilfe, untersuchte sie. Ja, sie lebte! Gewiß, sie mochte sich einige Knochen gebrochen haben, aber sie lebte und brauchte ärztliche Hilfe.
Parker sah den Geröllhang hoch. Es würde sicher schwierig sein, die junge Dame hinauf zu seinem Mietwagen zu schaffen. Vorher mußte er aber noch die Brüche notdürftig schienen.
Parker erhielt schneller Hilfe, als ihm lieb sein konnte.
„Nehmen Sie die Hände hoch!“ sagte nämlich eine harte, kalte Stimme hinter ihm. Parker stellte keine Fragen. Er kam dem Wunsch sofort nach. Er kannte sich in Stimmen und Nuancen aus. Er wüßte sofort, daß eine falsche Bewegung ausreichen würde, ihn ins Jenseits zu befördern …
*
„Ich darf noch einmal wiederholen, daß mein Name Parker ist, Josuah Parker …!“
Der Butler befand sich im Büro des Sheriffs von Heartville und schaute mißbilligend auf die Handschellen, die man ihm unnötigerweise angelegt hatte. Er hatte die Fahrt nach Heartville im Dienstwagen des Sheriffs hinter sich gebracht.
Sheriff Andrew, etwa 45 Jahre alt, mittelgroß und wohlbeleibt, sah keineswegs gemütlich aus. Er hatte ein fuchsschlaues Gesicht mit. Augen, die von jäher Härte zu milder Freundlichkeit überwechseln konnten. Im Moment spiegelten sie Härte wider.
Hale Andrew zündete sich eine Zigarette an. Er musterte den Butler prüfend und schien aus diesem so seltsam gekleideten Mann nicht klug zu werden, was im Grund nicht weiter verwunderlich war. Parker widersprach der Norm. Er trug ein schwarzes Jackett zu gestreiften Hosen. Über dem gestärkten Eckkragen befand sich ein Plastron, das die Krawatte ersetzte. Auf dem Kopf thronte die schwarze, steife Melone. An den Händen befanden sich schwarze Zwirnhandschuhe. Sein volles Gesicht glich dem eines raffinierten Pokerspielers. Seine grauen Augen blickten aufmerksam, kühl und gelassen. Angst oder Unruhe war in ihnen nicht zu erkennen.
„Wie Sie heißen, Parker, interessiert mich einen Dreck“, sagte Sheriff Andrew und inhalierte den Rauch tief in sich hinein. „Ich will nur wissen, für wen Sie Glenn Harpers umgebracht haben. Nicht mehr und nicht weniger!“
„Sie gestatten, daß ich gegen diese Unterstellung in aller Form Protest einlege“, erwiderte Parker gemessen. „Ich bestehe ferner darauf, daß mir die Handschellen abgenommen werden. Weiterhin wünsche ich meinen Anwalt zu sprechen.“
„Halten Sie den Mund, Parker!“ Andrew hatte mit seiner Zigarette zu tun. Sein scharfer Ton hatte sich etwas gemildert. Er sah zu den beiden Männern hinüber, die hinter Parker Aufstellung genommen hatten. Es handelte sich um seine Polizeistreitmacht, die er befehligte. Es waren zwei stämmige, nicht gerade durchgeistigte Typen.
„Fangen wir noch mal an, sagte Andrew fast geduldig, „warum haben Sie Glenn Harpers umgebracht? Wer hat Sie dafür bezahlt?“
„Chef, sollen wir ihn mal fragen? mischte sich der muskulösere der beiden Hilfssheriffs ein.
„Noch nicht, Dave“, sagte Andrew, „du und Joe, ihr kommt schon noch an die Reihe, keine Sorge! Holt mal erst sein Gepäck aus dem Wagen!“
Dave Culpers und Joe Higgins verließen das Amtsbüro, Andrew drückte seine Zigarette aus. Er baute sich dicht vor dem Butler auf.
„Wollen Sie unbedingt von diesen beiden Typen behandelt werden?“ fragte er dann Parker.
„Darauf bin ich aus verständlichen Gründen nicht sonderlich erpicht, Sir.“
„Dann rücken Sie endlich mit der Wahrheit ’raus, Parker! Warum haben Sie Glenn Harpers umgebracht?“
„Ich fürchte, Sie wiederholen sich unnötig, Sir.“
„Gut, wie Sie wollen, Parker … Darin werde ich kaum noch etwas für Sie tun können.“
„Darf ich eine Frage stellen, Mr. Andrew?“
„Warum nicht, schießen Sie schon los!“
„Befinde ich mich in einer Gemeinde, die sich ihrerseits in den Vereinigten Staaten von Amerika befindet?“
„Darauf können Sie Gift nehmen!“
„Sind Sie dann nicht an die herrschenden Gesetze gebunden?“
„Ach so, darauf wollen Sie hinaus, Parker!“ Andrew sah den Butler kopfschüttelnd und fast erstaunt an. „Wer sagt Ihnen, daß ich mich nicht an die Gesetze halten werde? Wollen Sie mir später das Gegenteil beweisen?“
„Ich habe das untrügliche Gefühl, daß Sie unbedingt einen Täter brauchen, gleich, woher Sie ihn nehmen müssen.“
„Gefühle können täuschen, Parker – Sie kommen sich wohl verdammt schlau vor, weil Sie aus der Stadt kommen, ja?“
„Sie werden das, was man unsachlich nennt, Mr. Andrew.“
„Sie werden hier bei uns in Heartville noch Ihr blaues Wunder erleben, Parker. Schön, man mag uns Hinterwäldler nennen, aber hier gelten noch unsere eigenen Gesetze.“
„Sie sind ungewöhnlich offen.
„Kann ich auch sein. Haben wir Zeugen, Parker? Na, sehen Sie!“
Andrew zündete sich eine weitere Zigarette an und nickte Dave Culpers und Joe Higgins zu, die das Gepäck des Butlers hereintrugen. Es handelte sich um den schwarzen Spezialkoffer des Butlers und um eine Reisetasche. Beide Gegenstände wurden auf den schäbigen Schreibtisch des Sheriffs geknallt.
„Ist der Koffer abgeschlossen?“ fragte Andrew.
„Das ist nicht notwendig, Sir, weil …“
Parker kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu bringen. Dave Culpers ließ die Schlösser aufspringen und, – sprang entsetzt und völlig überrascht zurück, als aus dem Koffer eine Art Stichflamme aus Staub hervorschoß.
Sekunden später husteten Sheriff Andrew sowie die Herren Culpers und Higgins. Sie hatten derart mit leichten Erstickungsanfällen zu tun, daß sie nicht weiter auf den Butler zu achten vermochten …
*
Parker, der die kleinen Überraschungen seines Koffers natürlich kannte, hatte sich zum Fenster hinüberbegeben und es geöffnet. Er hielt sich an die frische Luft. Er hatte nicht die Absicht, sich wie die drei Herren zu einem kleinen Nickerchen niederzulegen.
Um ungestört arbeiten zu können, holte er sein Zigarrenetui hervor, nahm eine der spezialpräparierten Zigarren und schob sie sich in den Mund. Von diesem Moment an versorgte er sich nur noch durch die Zigarre mit Frischluft. Der eingebaute Spezialfilter in der Zigarre absorbierte den feinen, herumflirrenden Staub, der so schnell zum Tiefschlaf führte.
Zuerst bat Parker den Sheriff um den Schlüssel für die Handschelle. Als Andrew nicht antwortete, unterstellte Parker dessen Einverständnis und befreite sich erst einmal. Anschließend befaßte er sich mit dem Dienstapparat und bat die Ortsvermittlung um ein Dienstgespräch mit Salida. Es dauerte nur wenige Zeit, bis Salida sich meldete.
Parker hatte sich das Wildpark-Hotel geben lassen, in dem sein junger Herr abgestiegen war. Leider war Mike Rander nicht zu erreichen. Der Butler hinterließ eine entsprechende Mitteilung. Er legte auf und kontrollierte die Waffen der drei Amtsvertreter. Aus Gründen der Sicherheit und Menschlichkeit nahm er schnell und geschickt einige an sich harmlose Manipulationen vor.
Die frische Luft, die durch das Fenster in das Amtsbüro eindrang, brachte die stämmigen Männer schnell wieder auf die Beine. Sie rührten sich, hüstelten noch leicht beklommen und brauchten einige Sekunden, bis sie begriffen.
Dave Culpers rappelte sich hoch und ballte die Fäuste. Sie sahen jetzt aus wie ansehnliche Schmiedehämmer. Er stakste auf Parker los und schlug zu Der Butler hatte dies natürlich vorausgesehen.
Er nahm sich die Freiheit, diesem Schlag auszuweichen. Culpers vorschnellende Faust landete krachend an der Wand und zersplitterte ein Brett der Verkleidung. Culpers’ Nase nahm eine grau-weiße Färbung an. Er stöhnte, schaute fast interessiert auf seine Faust und fiel dann stöhnend in einen Drehsessel.
Joe Higgins war zwar beeindruckt, doch er blieb deswegen nicht untätig.
Durchaus gekonnt riß er seinen 45er aus der Schulterhalfter und richtete den Lauf auf den Butler.
„Flossen hoch!“ kommandierte er in einem Ton, den Parker als unangebracht und rüde empfand.
„Sollten wir jetzt nicht endlich die Prinzipien der Vernunft obwalten lassen?“ fragte Parker und hielt sich ausschließlich an Sheriff Andrew, der den Butler aus nachdenklichen Augen ansah.
„Steck die Kanone weg, Joe“, befahl Andrew und hüstelte wieder ein wenig. Er deutete auf den Koffer, „stecken da noch weitere Überraschungen drin?“
„Nicht, wenn ich ihn öffne, Sir!“
„Sie sind gerissen, wie?“
„Sie erlauben, daß ich darauf nicht antworte. Würden Sie mir jetzt endlich erklären, warum Sie meine bescheidene Wenigkeit für einen Mörder halten?“
„Scheren Sie sich ’raus, Parker“, sagte Sheriff Andrew fast gelangweilt und wandte sich ab, „Sie halten sich aber zu meiner Verfügung, ist das klar? Nehmen Sie sich ein Hotelzimmer und versuchen Sie bloß nicht abzuhauen! Ich würde Sie noch in der Hölle suchen und erwischen …!“
„Chef … Das können Sie doch nicht machen …!“ rief Joe Higgins enttäuscht. „Wir haben ihn ja noch nicht mal richtig gefragt.“
„Hauen Sie ab, Parker“, wiederholte Sheriff Andrew noch einmal. „Nehmen Sie das ‚Penelope‘! Ich lasse dort ein Zimmer für Sie reservieren. Noch etwas … Ein guter Rat, den Sie sich hinter die Ohren schreiben sollten … Gehen Sie möglichst nicht auf die Straße. Sie wissen vielleicht nicht, wieviele gute Freunde Glenn Harpers hier in Heartville hatte. Die werden etwas gegen Sie haben …!“
*
Vom Hotelfenster aus ließ Heartville sich gut überblicken. Es lag im Zentrum und an den Hängen eines großen Bergkessels. Viel Wald und Wiesen, abzweigende Bergtäler und Bäche rundeten das Bild eines friedlichen Ferienortes ab. Parker erinnerte sich an die freundlichen Hinweis- und Reklametafeln bei der Einfahrt. Er hatte die Aufschrift im Licht der Scheinwerfer deutlich erkennen können. Heartville nannte sich rätselhafterweise „Die Stadt mit Herz und Charme“. Davon hatte er seit seiner Festnahme nichts bemerkt. Aber das alles beruhte wohl auf einem Mißverständnis.
Parker gab sich keinen Illusionen hin. Sein Instinkt hatte ihm längst deutlich gesagt, daß er von Haß, Intrige, Brutalität und Tod umgeben war. Was mochte sich unter der Oberfläche dieser kleinen Stadt abspielen?
Zu sehen war davon selbstverständlich nichts.
Da war die breite Haupt- und Durchgangsstraße, an der auch dieses Hotel lag. Da waren die vielen Geschäfte, Tankstellen, Bars und Imbißlokale. Rechts und links hinter diesen Häusern, große Gärten mit freundlich angestrichenen Holzhäusern.
Drüben an dem Steilhang schien so etwas wie die örtliche Prominenz zu wohnen. Rote Ziegeldächer von Landhäusern schimmerten durch die grünen Blätterkronen der Bäume.
Es gab auch so etwas wie eine einheimische Industrie. In den großen Trichtern zweier abzweigender Seitentäler entdeckte er Sägewerke, eine Möbelfabrik und flachgedachte Fabrikbetriebe. Der Verkehr auf der Hauptstraße war nur gering.
Es klopfte an der Tür.
„Herein“, sagte Parker und wandte sich um. Die Tür öffnete sich. Ein kleiner, magerer Mann schob sich verstohlen und hastig ins Hotelzimmer. Vorsichtig schloß er die Tür hinter sich.
„Sie sind noch hier?“ fragte er verärgert. „Warum verschwinden Sie nicht? Hier, das hier soll ich Ihnen geben, Draußen vor dem Hotel steht ein grüner Lincoln. Setzen Sie sich ans Steuer und brausen Sie los, als säße Ihnen der Teufel im Nacken …!“
Parker sah auf die Banknoten, die ihm der Magere sehr formlos in die Hand gedrückt hatte.
„Eigentlich hab ich mir Sie aber ganz anders vorgestellt“, sagte der Magere weiter und grinste, „scheint Ihre Tarnung zu sein, wie?“
„Würden Sie mir freundlicherweise erklären, wovon Sie zu sprechen belieben?“
„Mann, mir brauchen Sie doch nichts vorzumachen.“ Der Magere grinste vertraulich. „Erstklassige Arbeit, die Sie geleistet haben … Aber überziehen Sie nichts, verschwinden Sie …! Der alte Harpers ist nämlich im Anmarsch … So, und jetzt bin ich schon wieder weg!“
Der Magere nickte Parker zu und drückte sich aus dem Zimmer. Parker schaute wieder auf die Banknoten und blätterte sie anschließend durch. Er fand, heraus, daß man ihm aus unverständlichen Gründen Fluchtgeld in Höhe von tausend Dollar gezahlt hatte.
Dem Butler paßte dieses Geld keineswegs. Ja, es schien ihm sogar in den Händen zu brennen. Er rollte es dicht zusammen und bemühte sich anschließend um seine Spezial-Gabelschleuder, die er aus dem Koffer holte. Er band die Banknotenrolle mit einigen Gummibändern fest zusammen, schob die Rolle in die Lederschlaufe der Gabelschleuder und strammte die beiden Gummistränge. Bruchteile von Sekunden später schoß die harte, feste Rolle durch die Luft und landete auf dem Flachdach eines benachbarten, etwas aus der Flucht ragenden Hauses.
Er trat ans Fenster und sah hinunter auf die Straße. Auf dem Parkplatz vor dem Hotel stand tatsächlich ein grüner Lincoln, wie der Magere es behauptet hatte.
Wollte man ihn zur Flucht einladen, um ihn ohne Gewissensbisse und völlig legal aus dem Weg zu räumen?
Parkers Blick wurde von einem heranpreschenden Jeep abgelenkt, der dicht vor dem Hoteleingang anhielt. Ein großer, schlanker Mann mit weißgrauem Haar stieg aus und verschwand im Hotel. Er wunde von zwei schlanken Männern begleitet, die wie Profis aussahen. Wie Profis aus der Stadt, um ganz genau zu sein.
*
Parker verschwand für wenige Augenblicke im Badezimmer und füllte dort eine Blumenvase mit Wasser. Diese Vase montierte er anschließend gewinnbringend im eigentlichen Hotelzimmer. Er präparierte sich auf den Besuch. Es stand für ihn fest, daß er diesen bald bekommen würde.
Er wurde nicht enttäuscht.
Ohne anzuklopfen, wurde die Tür förmlich aufgewuchtet.
Die beiden schlanken Profis hatten sich gegen das Türblatt geworfen, ein alter Trick, um das Überraschungsmoment für sich zu nutzen. Sie hatten allerdings nicht mit der Blumenvase gerechnet, die der Butler auf die obere Kante der nur angelehnten Tür gestellt hatte. Da sie ihren Halt verlor, machte sie sich selbständig und ergoß ihren Inhalt auf die beiden zu Recht verdutzten Profis, die mit diesem Kaltwasserguß nicht gerechnet hatten.
Sie vergaßen vor lauter Überraschung, nach ihren Waffen zu greifen, wie sie es an sich vorgehabt hatten. Als sie sich an diese Absicht erinnerten, schauten sie in die kanonengroße Mündung von Parkers Colt, der noch aus der Zeit der Goldgräberei in Kalifornien stammte.
„Ich darf wohl unterstellen, daß Sie mich zu sprechen wünschen“, sagte der Butler höflich und würdevoll, „bitte nehmen Sie Platz, meine Herren! Man freut sich als alter, müder und relativ verbrauchter Mann über jede noch so kleine Abwechslung.“
Die beiden Profis sahen sich verdutzt an. Solch eine Tonart hatten sie sicher nicht erwartet. Dann aber starrten sie unangenehm berührt auf den Colt in Parkers Hand, der für ihr Gefühl etwas zu sehr in Bewegung war. Die Mündung schlug kleine Kreise und wanderte von einem Profi zum anderen.
„Was ist denn hier los?“ erkundigte sich wenig später eine rauhe, baritonal gefärbte Stimme. Mit diesen Worten schob sich der weißhaarige Mann aus dem Jeep ins Zimmer. Er trug einen rustikalen Anzug im Farmerstil und schien sich seiner Würde vollauf bewußt zu sein. Dieser Mann hatte ein braun gegerbtes, faltenreiches Gesicht und wasserblaue Augen.
„Darf ich Sie ebenfalls herzlich einladen näherzutreten?“ Parker deutete eine leichte Verbeugung an.
Der Eintretende verstand die Welt nicht mehr. Er starrte zuerst auf den Colt in Parkers Hand, dann auf seine beiden Begleiter, die das machten, was der Volksmund einen belämmerten Eindruck genannt hätte.
„Verschwindet“, raunzte der Mann die beiden Profis an.
Sie widersprachen nicht. Sie beeilten sich, das Zimmer zu verlassen und zogen die Tür hinter sich zu. Der Weißhaarige übersah den Colt in Parkers Hand und ließ sich in einem Sessel nieder.
„Ich bin Walt P. Harpers“, sagte er, „Sie wissen, weshalb ich hier bin?“
„Ich errate es, wenn ich mich so ausdrücken darf. Sie dürften der Vater des verunglückten Glenn Harpers sein, nicht wahr?“
„Richtig …!“ Walt P. Harpers wirkte unbeteiligt, „für wen haben Sie meinen Jungen umgebracht?“
„In dieser Stadt scheint es Mißverständnisse zu geben, Sir. Ich habe Ihren Jungen selbstverständlich nicht umgebracht. Mir scheint, daß Sie dies längst erkannt haben müssen.“
„Die Handlanger eines Mordes interessieren mich nicht. Ich will wissen, wer die Hintermänner sind.“
„Ich ebenfalls, wenn ich dies vermerken darf.“
„Haben die Farewells Sie gekauft …?“ Walt P. Harpers’ Stimme blieb ruhig.
„Farewell …? Heißt so nicht die junge Dame, die ich am Unfallort fand?“
„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“ Walt P. Harpers stand unvermittelt auf und erwies sich trotz seiner etwa 55 Jahre als durchtrainiert. Er wollte Parker einen bösen Boxhieb verpassen, hatte aber das Pech, in die Luft zu schlagen, da Josuah Parker verständlicherweise zur Seite getreten war.
Walt P. Harpers sah den Butler verdutzt an, verzichtete aber auf einen zweiten Angriff.
„Ich werde die Wahrheit aus Ihnen herausbekommen“, sagte er mit nach wie vor erstaunlich ruhiger Stimme. „Ich schwöre Ihnen, daß Sie Ihres Lebens nicht mehr froh werden …“
Ohne jeden weiteren Kommentar wandte er sich ab und verließ das Zimmer. Ein jetzt alter Mann, angefüllt mit Haß und Todesdrohung. Parker war fest davon überzeugt, daß Walt P. Harpers nicht geblufft hatte …
*
„Hier scheint das zu herrschen, was man gemeinhin Durchgangsverkehr nennt“, sagte Josuah Parker einige Minuten später, als Sheriff Hale Andrew das Zimmer betrat. Auch er verzichtete darauf, sich durch höfliches Anklopfen bemerkbar zu machen.
Andrew stieß sich den breitkrempigen Hut ins Genick und ließ sich im Sessel nieder.
„Hauptsache, Sie verlieren Ihren Humor nicht“, sagte er. „Der alte Harpers war eben bei Ihnen, ja?“
„Sie fragen, obwohl Sie es bereits mit letzter Sicherheit wissen. Sir.“
„Ein Wunder, daß Sie ohne Kratzer davongekommen sind.“
„Ist Mr. Walt P. Harpers derart gefährlich?“
„Wenn es um seinen Augapfel geht, pfeift er sogar auf Logik.“
„Diesen Eindruck hatte ich allerdings auch. Er scheint damit anderen Leuten in dieser Stadt nachzueifern.“
„Das geht wohl auf mich, ja?“ „Glauben Sie wirklich und in der Tat, daß ich Glenn Harpers umgebracht habe?“
„Was ich glaube, spielt keine Rolle.“
„Machen Sie sich die Dinge nicht etwas zu einfach?“
„Die Dinge hier in Heartville sind nicht einfach, wenn Sie das meinen, Parker … Ich habe übrigens Ihre Angaben überprüft. Sie kommen tatsächlich aus Chikago.“
„Ändert dies etwas an den Tatsachen?“
„Der alte Harpers wird Sie umbringen, wenn Sie nicht sehr vorsichtig sind. Er glaubt, daß Sie seinen Augapfel umgebracht haben.“
„Darf ich Ihrem Tonfall entnehmen, daß Sie von dem bewußten Augapfel nicht sonderlich viel hielten?“
„Ich werde Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, Parker.“ Andrew zündete sich die unvermeidliche Zigarette an. „Vor vielen Generationen siedelten die ersten Harpers sich hier in der Gegend an. Sie schafften es in sehr kurzer Zeit, überall den Ton anzugeben. Ihre Methoden, sich durchzusetzen, waren bestimmt nicht immer fein, aber sie schafften es. Sie sind noch heute das, was man ungekrönte Könige nennt. Walt P. Harpers ist nun seit vielen Jahren Witwer und vergötterte seinen einzigen Sohn, sein einziges Kind. Versetzen Sie sich jetzt mal in seine Lage!“
„Warum muß Harpers annehmen und unterstellen, daß sein Sohn ermordet worden ist? Dafür muß es meiner bescheidenen Ansicht nach gravierende Gründe geben.“
„Richtig, Parker, stimmt haargenau … Die Harpers sind hier im Bezirk die ungekrönten Könige, aber sie haben Konkurrenz.“
„Die Farewells …?
Hale Andrew sah den Butler interessiert an und grinste.
„Sie wissen Bescheid“, meinte er dann, „nein, nein, erklären Sie mir nicht, woher Sie den Namen Farewell kennen … Bleiben wir bei der Geschichte, die ich Ihnen erzählen wollte … Was die Farewells angeht, so liegen Sie richtig. Die Farewells und die Harpers sind Todfeinde, schon seit vielen Generationen.“
„Um so erstaunlicher, daß sich in dem vom Wege abgekommenen Wagen Glenn Harpers und Miß Farewell befunden haben, finden Sie nicht auch?“
„Wie kommen Sie denn darauf, daß die junge Dame Miß Farewell gewesen sein soll?“ Sheriff Andrew wunderte sich.
„Nun, wenn mich nicht alles täuscht, fiel dieser Name, nachdem Ihre beiden Hilfssheriffs mich am Geröllhang festnahmen.“
„Ach so, daher das Mißverständnis! Diese Miß Farewell ist es nicht … Es handelt sich bei Gloria Farewell um eine entfernte Verwandte, die mit den wirklichen Farewells überhaupt nichts zu tun hat.“
„Darf ich etwas mehr über die richtigen Farewells hören, Sir?“
„Warum denn nicht?“ Sheriff Andrew gab sich keineswegs zurückhaltend. „Die Farewells haben ebenfalls nur einen Sohn, das einzige Kind … Etwa so alt wie Glenn Harpers … Richard heißt der Junge, ein ausgekochter Bursche, der Glenn Harpers glatt in die Tasche steckt. Er dürfte fast noch härter sein als sein Vater Cliff, der sich auch schon sehen lassen kann.“
„Miß Gloria Farewell ist also eine verarmte Verwandte aus einer Seitenlinie der Familie, oder irre ich mich?“
„Sie haben die Lage genau erfaßt, Parker. Gloria Farewell stammt aus einer Seitenlinie der Familie, hat sich aber von dieser Sippe abgesetzt. Sie leitet ein komfortables Berghotel drüben am Hang. Müßten Sie sich einmal ansehen.“
„Dieses Hotel gehört wem, wenn ich fragen darf?“
„Einigen Geldgebern, die im Moment keine Rolle spielen. Sie stammen aus Denver …!“
„Miß Gloria Farewell scheint nach Lage der Dinge gewisse Beziehungen zu den Erbfeinden der Farewells unterhalten zu haben.“
„Weil sie mit Glenn Harpers im Wagen saß?“
„Drängt dieser Schluß sich nicht förmlich auf, Sir?“
„Sie vergessen, daß Gloria mit den eigentlichen Farewells kaum etwas zu tun hat. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, daß Gloria, von den Farewells sogar verachtet wird. Sie lebt ihr eigenes Leben.“
„Eine interessante Familiengeschichte“, faßte Parker zusammen. „Auf der einen Seite hat man es mit den Harpers’ zu tun, auf der anderen Seite mit den Farewells. Beide Familien hassen sich, wenn ich Sie richtig verstanden habe.“
„Sie haben’s begriffen, Parker …“
„Sie hassen sich derart, daß sie sich gegenseitig umbringen würden?“
„Wahrscheinlich. Zumindest nicht ausgeschlossen. Hoffentlich haben Sie auf das richtige Pferd gesetzt, als Sie auf die Farewells gesetzt haben.“
„Ich fürchte, Sir, Sie wollen unbedingt eine ganz bestimmte Vermutung, die Sie sich in den Kopf gesetzt haben, aktualisieren. Darf ich Sie offen fragen, ob Sie mich wirklich für den Mörder von Glenn Harpers halten?“
„Gegenfrage, Parker! Was wollte Steven Landly bei Ihnen?“
„Steven Landly …?
„Dieser magere Bursche, der sich zu Ihnen ins Hotel stahl.“
„Jetzt begreife ich …“ Parker erinnerte sich noch sehr wohl dieses mageren Mannes, der ihm immerhin tausend Dollar verabreicht hatte.
„Also, was wollte er von Ihnen? Sheriff Andrew war gut informiert. Es war selbstverständlich, daß er das Hotel überwachen ließ. In Heartville entging ihm wohl kaum etwas von Belang.
„Jener bewußte Mr. Landly, wie Sie ihn nennen, Sir, beschwor mich, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Er warnte mich freundlicherweise vor Mr. Harpers senior.“
„Landly hatten Sie natürlich vorher noch nie gesehen, wie?“
„In der Tat, Sir.
„Sie wissen selbstverständlich auch nicht, daß er aus Denver stammt und ein Gangster ist!?“
„In der Tat, Sir, auch wenn ich mich wiederhole …“
„Schade, daß Sie nicht gefahren sind“, meinte Andrew und ging zur Tür. „Sie hätten sich damit wahrscheinlich viel Ärger erspart. Aber Sie müssen natürlich wissen, was Sie tun …“
Andrew öffnete die Tür.
„Es bleibt bei meiner Auflage“, warnte er, „Sie verlassen Heartville nicht ohne meine Genehmigung … Halten Sie sich daran …!“
*
Parker stand am Fenster und sah dem davonfahrenden Sheriff nach. Er versuchte sich ein Bild von diesem Mann zu machen. Auf welcher Seite stand Sheriff Andrew? Sorgte er sich nur um seine Wiederwahl, die ja irgendwann einmal stattfand? Vertrat er, gewollt oder ungewollt, die Interessen von Walt P. Harpers? Oder galten seine Sympathien der Sippe der Farewells? Wollte er sich die Arbeit erleichtern? Suchte er nur nach einem passenden Schuldigen?
Parker war interessiert worden. Dies lag nicht daran, daß er für einen Mörder gehalten wurde. Sein Interesse galt dieser Stadt mit Herz und Charme, wie die Reklametafeln behaupteten. In dieser Stadt schien der Ungeist der Angst, des Terrors und des Hasses zu herrschen. Diese kleine Stadt brauchte frischen Wind aus allen Richtungen! Zudem galt es, einen Mörder zu finden.
Einen Mörder …?
Wieso war Walt P. Harpers so fest davon überzeugt, daß sein Sohn Glenn ermordet worden war? Warum übersah dieser Mann alle Anzeichen eines offensichtlichen Autounfalls? Warum redete auch Sheriff Andrew von Mord? Wußte er mehr, als er zugeben wollte? Warum hatte dieser Steven Landly ihm tausend Dollar in die Hand gedrückt? Ließ das darauf schließen, daß man in ihm versehentlich einen Mörder sah, der entlohnt worden war?
Parker beschloß, eine Antwort auf jede einzelne Frage einzuholen und zu bleiben. Gewisse Dinge spielten sich nach eigenen Gesetzen ab. Er wußte im vorhinein, daß sich bald neuer Besuch einstellen würde.
Er wurde nicht enttäuscht …
Das Telefon läutete.
„Parker“, meldete der Butler sich ungewöhnlich knapp.
„Hören Sie“, sagte eine undeutliche Stimme, „Sie sitzen doch im Druck, ja? Man hält Sie doch für einen Mörder, oder? Passen Sie auf, ich habe da ein paar tolle Informationen für Sie …! Wenn Sie wollen, können Sie sich in der nächsten Stunde schon ’reinwaschen … Sie brauchen sich nur mit mir zu treffen.“
„Wann und wo sollte dieser Treffpunkt sein?“
„Im Zederntal … Ich mache mich da schon bemerkbar … Aber kommen Sie allein! Und zu keinem Menschen ein Wort! Sagen wir, in einer Stunde …!“
Es klickte in der Leitung. Die Gegenseite hatte aufgelegt, ohne eine Antwort abzuwarten. Parker legte den Hörer auf und trat wieder ans Fenster.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand Hilfssheriff Dave Culpers in der Tür zu einer Bierbar und stocherte mit einem Streichholz zwischen seinen Zähnen herum. Er tat nichts, um im Hintergrund zu bleiben.
Parker überdachte den Anruf. Wer wollte ihn sprechen? Welche Informationen wollte man ihm zukommen lassen? Handelte es sich um eine Falle?
Josuah Parker war gewiß nicht ängstlich. Er dachte diesmal aber nicht daran, Informationen einzuholen. Wer ihn sprechen wollte, sollte sich gefälligst zu ihm bemühen. Zudem mußte es sich in gewissen Kreisen inzwischen herumgesprochen haben, daß man tausend Dollar vollkommen falsch investiert hatte. Diese tausend Dollar würde man sich mit Sicherheit wieder zurückholen.
Der Butler entschloß sich zu einer schöpferischen Ruhepause. Er nahm steif und würdevoll im Sessel am Fenster Platz und schloß die Augen. Er zuckte mit keiner Wimper, als nach etwa dreißig Minuten leise Schritte vor der Zimmertür zu hören waren.
Der Drehknopf bewegte sich.
Parker riß an dem dünnen Nylonseil, das er am Drehknopf vorsorglich befestigt hatte. In Bruchteilen einer Sekunde öffnete sich so die Tür. Der Besucher wurde völlig überrumpelt und starrte den Butler entgeistert und verdutzt an.
„Darf ich Sie herzlichst einladen näher zu treten?“ sagte Parker. Großzügig übersah er die Waffe in der Hand dieses Mannes, der vorher noch nie seinen Weg gekreuzt hatte. Eine neue Figur im Spiel erschien somit auf der Bildfläche.
Der Mann steckte den 38er ein, schloß die Tür, grinste, als er die dünne Nylonschnur entdeckte und kam dann langsam auf den Butler zu.
„Hier ist irrtümlich was abgegeben worden“, sagte er mit sanfter Stimme, die zu seinem Aussehen paßte. Der Mann war runde 35 Jahre alt, schlank, etwas über mittelgroß. Er hatte ein ovales Gesicht ohne jede Sonnenbräune, dunkelbraune Augen. Er trug einen grauen Einreiher und schwarze Halbschuhe.
„Darf ich erfahren, wovon Sie sprechen?“
„Von ein paar Banknoten“, sagte der sanfte Mann höflich. „Sie haben sie doch noch hoffentlich, oder?“
„Ich fürchte, ich muß Sie enttäuschen, Mr. …?“
„Nennen Sie mich Smith“, sagte der Sanfte, „dieser Name ist so falsch wie jeder andere, den ich Ihnen nennen würde.“
„Versteht sich, Mr. Smith …“
„Schön, Sie kapieren. Hoffentlich begreifen Sie auch, daß ich auf mein Geld nicht verzichten möchte.“
„Ich begreife nicht, wie man mich mit Ihnen verwechseln konnte. Mr. Landly scheint da einen Kapitalfehler begangen zu haben.“
„Wer macht nicht mal Fehler, Mr. Parker? Wie steht’s jetzt mit meinem Geld? Hoffentlich machen Sie keinen Fehler?“
„Nur, wenn sich solch ein Fehler einfach nicht vermeiden läßt. Sind Sie möglicherweise in der Stimmung, sich mit meiner bescheidenen Wenigkeit zu unterhalten?“
„Nein, ich habe keine Zeit … Das Geld …!“
„Ich nahm mir die Freiheit, es außer Haus zu schaffen. Und dies aus Gründen der Sicherheit.“
„Wo kann ich es mir abholen?
„Woher nehme ich die Sicherheit, daß Sie der rechtmäßige Eigentümer dieser tausend Dollar sind, Mr. Smith?“
„Sie gehören mir …!“ Der Sanfte ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Demnach sollten also Sie Heartville möglichst schnell verlassen, bevor Mr. Walt P. Harpers hier erscheint?“
„Kann schon sein … Sagen Sie, warum wollen Sie Schwierigkeiten machen? Ich bekomme mein Geld. So oder so!“
„Sind die Farewells nicht bereit, diese Summe noch einmal aufzubringen und erneut dazu?“
„Farewells? Wer ist das?“
„Schon gut“, sagte Josuah Parker, „ich kann verstehen, daß Sie den Namen Ihres Auftraggebers nicht preisgeben wollen. Diskretion ist eben doch Ehrensache, auch in Gangsterkreisen!“
„Bestimmt! sagte Mr. Smith und hatte plötzlich ungemein gekonnt seinen 38er in der Hand. Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß er die Mündung der Waffe auf den Butler gerichtet hatte.
*
„Darf ich höflichst fragen, was Sie sich von einem Schuß versprechen?“ erkundigte Parker sich freundlich. „Er würde die Männer des Sheriffs alarmieren. Ganz zu schweigen davon, daß Sie dann Ihre Dollars nie bekommen werden, wenigstens nicht von meiner Wenigkeit.“
Mr. Smith ließ die Waffe sinken und lächelte.
„Sie haben erstaunlich gute Nerven“, stellte er dann fest, „sind Sie wirklich nur auf der Durchreise?“
„Mein Wort darauf, falls Ihnen daran gelegen ist.“
„Dann reisen. Sie schleunigst weiter, bevor Ihre Nerven ausfransen!“
„Wie darf ich diese freundliche Warnung deuten?“
„Hier in Heartville kann die Luft verdammt bleihaltig sein. Lassen Sie es darauf besser nicht ankommen!“
„Ich werde mir Ihren Rat durch den Kopf gehen lassen, Mr. Smith.“
„Sie sollten die tausend Dollar aber lieber nicht mitnehmen. Sie wissen, daß sie Ihnen nicht gehören.“
„Sondern dem Mann, der Glenn Harpers verunglücken ließ, wenn ich mich so ausdrücken darf!“
„Denken Sie, was Sie wollen. Fahren Sie nicht, ohne mir mein Geld zu geben! Ich würde Sie überall finden! Ich lasse mich nicht ’reinlegen!“
„Gewiß nicht, Mr. Smith. Darf ich erfahren, wo ich Sie erreichen kann?“
„Das ist kein Geheimnis. Rufen Sie mich im ‚Sherman‘ an.“
„Sie werden ganz sicher von mir hören, Mr. Smith.“
Der Mann mit der sanften Stimme nickte dem Butler grüßend zu, bevor er das Hotelzimmer verließ. Parker trat wieder ans Fenster und wartete, bis besagter Mr. Smith unten auf der Straße erschien. Er setzte sich in einen Ford und fuhr davon, ohne sich um den immer noch beobachtenden. Hilfssheriff Dave Culpers zu kümmern, der sich gerade das Wagenkennzeichen notierte.
Parker beschloß, Hilfssheriff Culpers etwas zu beschäftigen. Er verließ sein Hotelzimmer und begab sich zu seinem Mietwagen hinunter, der auf dem Hotel-Parkplatz stand. Als Parker sich ans Steuer setzen wollte, erschien Culpers neben dem Wagen.
„Sie wollen doch nicht etwa verschwinden, wie?“ fragte er überflüssigerweise.
„Selbstverständlich nicht, Mr. Culpers“, gab der Butler zurück, brachte den Wagen auf Touren und fuhr los, einen völlig verblüfften Hilfssheriff zurücklassend. Als er in den Rückspiegel sah, eilte Culpers auf seinen Wagen zu, um die Verfolgung aufzunehmen.
An einer Tankstelle erkundigte der Butler sich nach dem Zederntal. Es konnte auf keinen Fall schaden, wenn Culpers ebenfalls dieses Ziel erfuhr. Daß er sich beim Tankstellenwart nach dem Gespräch erkundigen würde, lag auf der Hand.
Parker fuhr in das östliche Seitental hinein, passierte eine Sägefabrik und einen Betrieb, in dem Lampenschirme hergestellt wurden, wie laut Firmenaufschrift zu lesen war. Die Straße war sehr gut ausgebaut und asphaltiert. Parker brauchte sich keine Beschränkungen hinsichtlich der Geschwindigkeit aufzuerlegen.
Er war gespannt darauf, wie der Anrufer sich bemerkbar machen würde. Ob es wirklich stimmte, daß er einige Informationen weiterreichen wollte? Man mußte sich wie immer überraschen lassen. Es konnte sich selbstverständlich um eine tödliche Falle handeln. Diese Möglichkeit wollte der Butler nicht ausschließen.
Etwa hundert Meter voraus entdeckte Josuah Parker einen Wagen, dessen Motor offensichtlich eine Panne hatte. Die Motorhaube war hochgestellt worden. Eine junge Dame in knappsitzenden Shorts hatte ihren Oberkörper unter die Haube gesteckt und versuchte wohl, den Defekt zu finden. Als hilfsbereiter Mensch hielt der Butler sofort hinter dem Wagen an, zumal er sicher war, daß diese Wagenpanne mit dem geheimnisvollen Anruf zusammenhing.
„Darf und kann ich möglicherweise helfen, Madam?“ erkundigte er sich und lüftete seine Melone.
„Dieser verflixte Wagen will nicht mehr“, sagte die junge, äußerst reizvoll anzusehende Dame und strich sich eine vorwitzige blonde Haarlocke aus der Stirn. Während sie redete, sah sie die Straße hinunter.
„Darf ich Ihnen einen Sitz in meinem Wagen anbieten, Madam?“
„Aber gern“, gab sie sofort zurück, als habe sie nur darauf gewartet, „den Wagen da kann ich später abschleppen lassen … Nett, daß Sie mir helfen wollen.“
„Haben nicht auch Sie diese Absicht, Madam?“ Parker schloß die Wagentür auf ihrer Seite, ging um den Wagen herum und setzte sich ans Steuer. Als er in den Rückspiegel schaute, tauchte gerade der Ford von Hilfssheriff Dave Culpers auf. Er hatte den Anschluß also endlich geschafft.
„Kommen wir sofort zur Sache“, sagte sie. Sie war jetzt selbstsicher und energisch. „Man glaubt, Sie hätten Glenn Harpers umgebracht, nicht wahr?“
„Woher beziehen Sie Ihr Wissen, Madam?“
„Spielt das eine Rolle …? „Wahrscheinlich nicht, Madam.“
„Na, also … Ich wundere mich, daß man Sie noch frei herumlaufen läßt.“
„Vielleicht ist Sheriff Andrew von meiner Unschuld überzeugt?“
„Andrew?“ Ihr Tonfall war verächtlich, „Andrew tut das, was die Harpers ihm sagen. Oder die Farewells. Er steht eigentlich zwischen zwei Fronten und kommt mir vor wie ein Hochseilartist, der ohne Netz arbeitet.“
„Sie scheinen die örtlichen Verhältnisse sehr gut zu kennen, Madam.“
„Ich kenne sie. Und darum möchte ich Ihnen aus der Patsche helfen, Mr. Parker.“
„Waren Sie es, mit der ich am Telefon sprach?“
„Ja, ich hatte meine Stimme verstellt. Wollen Sie nun endlich zuhören, Parker, oder nicht?“
„Ich bin das, Madam, was man ganz Ohr nennt.“
„Falls Glenn Harpers überhaupt ermordet wurde, dann nur von einem raffinierten Gangster.“
„Der von den Farewells damit beauftragt wurde?“
„Von den Farewells? Lächerlich, Parker!“ Sie schlug die langen, schlanken und nackten Beine lässig übereinander. „Von Ernest Litch!“
„Ernest Litch? Ich muß bedauern, Madam, diesen Namen habe ich noch nie gehört.“
„Sie werden Ernest Litch bald kennenlernen. Er ist Assistent bei Gloria Farewell!“
„Die ihrerseits das bekannte Berghotel leitet?“
„Das ‚Sherman‘“, sagte die junge Dame. „Litch, ihm dürfen Sie nicht über den Weg trauen, hat es auf Gloria abgesehen, davon bin ich fest überzeugt. Und wissen Sie auch, warum?“
„Ich werde es innerhalb weniger Sekunden erfahren, hoffe ich.“
„Litch will der Manager des ‚Sherman‘ werden, das ist der Grund! Aber mit diesen Methoden wird er nichts erreichen. Sprechen Sie mal mit Sheriff Andrew darüber, aber nennen Sie nur ja nicht meinen Namen! Ich möchte von Litch nicht auch noch verfolgt werden. Dieser Mann ist ein Mörder, davon bin ich fest überzeugt!“
*
Das Sherman-Hotel war ein Prachtbau, der sich harmonisch in die Berglandschaft einfügte. Zweistöckig, flachgedeckt, im Stil an eine riesige Almhütte aus der Schweiz erinnernd, bot das Hotel selbstverständlich allen Luxus.
Auf der weiten Terrasse vor dem Haus standen unter Sonnenschirmen Tische, die durchweg von Touristen und Feriengästen besetzt waren. Auf dem Parkplatz standen Wagen, die aus allen Bundesstaaten stammten. In den Liegestühlen auf den Balkons sonnten sich Hotelgäste. Ein insgesamt ungemein friedliches Bild, das dem Auge guttat.
„Sie haben mich nur zufällig gesehen und mitgenommen“, schärfte Kathy Windham ihm ein, bevor sie ausstieg, „ich will keinen Ärger haben. Ich hänge am Leben!“
„Sie können sich fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen, Miß Windham“, antwortete Parker, bevor er ihr aus dem Wagen half. Sie winkte ihm gekonnt dankbar zu und verschwand in einem Eingang unterhalb der Terrasse.
„Nun hören Sie mal genau zu, Parker“, sagte Culpers, der neben dem Butler auftauchte und einen grimmigen Eindruck machte, „wenn Sie mich ’rumscheuchen wollen, erleben Sie Ihr blaues Wunder!“
„Ich lade Sie zu einem Whisky auf meine Kosten ein“, sagte Parker höflich, „inzwischen werden Sie sich ja per Sprechfunk mit Sheriff Andrew in Verbindung gesetzt haben. Hatte er etwas gegen diesen harmlosen Ausflug?“
„Stecken Sie sich Ihren verdammten Whisky an den Hut“, knurrte Culpers und stampfte ohne jeden weiteren Kommentar davon. Parker kümmerte sich nicht weiter um den Hilfssheriff, ging hinauf auf die Terrasse und fragte bei einem Kellner nach Mr. Ernest Litch.
Wenige Minuten später stand er Ernest Litch gegenüber, der laut Kathy Windham der Mörder, der zufällige Mörder, von Glenn Harpers sein sollte.
Ernest Litch war groß, breitschultrig und sah fast zu gut aus. Er hatte ein markant geschnittenes Gesicht, pechschwarzes Haar und dunkle Augen, die den Butler verbindlich ansahen. Litch wirkte sportlich durchtrainiert.
„Mr. Parker?“ fragte er ab wartend.
„Ich hoffe, Sie sind in der Lage, meine verständliche Neugier zu befriedigen“, schickte der Butler voraus, „ich hatte den Vorzug und das Glück. Miß Gloria Farewell neben dem verunglückten Wagen des Mr. Harpers zu finden und ihre Überführung in das Hospital zu veranlassen.“
„Ach, Sie waren das also!“
„Wie geht es Miß Farewell inzwischen? Man ist ja interessiert, wie ich offen bekunden darf.“
„Nur Prellungen und ein paar Hautrisse … Miß Farewell hat riesiges Glück gehabt. In ein paar Tagen wird sie ganz sicher wieder hier sein können. Die vermuteten Knochenbrüche ließen sich, Gott sei Dank, nicht feststellen.“
„Sie ahnen nicht, wie beruhigt ich bin, Sir.“
„Darf ich mich für Miß Gloria Farewell bedanken, Mr. Parker?“
„Ich tat nur das, was man gemeinhin die Pflicht eines jeden Staatsbürgers nennt. Ich passierte zufällig die Unglückastelle.“
„Und werden dafür jetzt von Sheriff Andrew verdächtigt, nicht wahr?“ Ernest Litch lächelte etwas mokant, „machen Sie sich nichts daraus, Mr. Parker! Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, daß Andrew eine Niete ist … Entschuldigen Sie diesen harten Ausdruck, aber er entspricht der Wahrheit.“
„Wieso kann eine Niete, um mich Ihrer Ausdrucksweise zu bedienen, Sheriff werden?“
„Weil der alte Harpers ihm die notwendigen Stimmen zur Wahl besorgt bat. Mehr möchte ich dazu lieber nicht sagen. Das ist jetzt etwa ein Jahr her!“
„Ließen die Farewells dies zu?“
„In den vergangenen Jahren schienen die Harpers stärker zu sein als die Farewells. Glenn hatte sehr viele Freunde in Heartville.“
„Er war vor dem Unglück hier bei Ihnen im Sherman-Hotel, nicht wahr?“
„Weil Miß Farewell bei ihm im Wagen saß?“
„In der Tat.
„Ja, er war hier, trank aber nicht viel. Er fuhr dann mit meiner Chefin los. Ich dachte sofort ’runter nach Heartville, aber sie müssen einen Bogen nach Norden gemacht haben.“
„Wissen Sie unter Umständen, welches Ziel angesteuert worden war? Oder warum dieser so scheinbar sinnlose Bogen nach Norden unternommen wurde? Es herrschte dichter Nebel!“
„Da müssen Sie schon Miß Gloria fragen, Mr. Parker. Vielleicht haben sie noch einen Drink im Fairplay genommen …“
*
„Fairplay … Fairplay …?“ Mike Rander schüttelte ratlos den Kopf und sah seinen Butler dabei fast vorwurfsvoll an. „Sie überschütten mich mit einer Flut von Namen, Parker. Was halten Sie davon, wenn Sie mal sortieren?“
„Das Fairplay, Sir, ist ein Motel mit einer großen Bar. Sehr exklusiv!“
„Dachte ich mir schon fast. Wir haben es also mit zwei Familien zu tun, die sich bis aufs Blut hassen, ist das richtig?“
„Gewiß, Sir … auf der einen Seite die Familie Farewell …!“
„Der Nebel lichtet sich, Parker. Und das einzige Kind des Witwers Walt P. Harpers ist verunglückt und dabei zu Tode gekommen. Harpers nimmt an, daß sein Sohn Glenn ermordet wurde, und zwar auf sehr geschickte Art und Weise.“
„In der Tat, Sir!“
„Die Farewells sollen laut Walt P. Harpers hinter diesem Mord stehen. Sohn Richard soll ein sehr cleverer und ausgekochter Bursche sein. Weder ihn noch seinen Vater haben Sie bisher kennengelernt, Richtig?“
„Durchaus, Sir …!“
„Ein gewisser Steven Landly drückte Ihnen tausend Dollar in die Hand, hielt Sie wahrscheinlich für einen Gangster und riet Ihnen, schleunigst abzuhauen.“
„Auch dies, Sir, entspricht vollkommen den Tatsachen.“
„Worauf wenig später ein gewisser Smith auftauchte und die tausend Dollar kassieren wollte. Man scheint Sie mit ihm verwechselt zu haben. Richtig?“
„Sehr wohl, Sir!“
„Zum Schluß folgen Sie einem anonymer. Anruf, lernen eine junge Dame kennen, die sich Kathy Windham nennt, und hören von ihr, daß es bei dem geplanten Unglück überhaupt nicht um Glenn Harpers, sondern um Gloria Farewell ging. Miß Windham hält Ernest Litch für den Täter. Immer noch richtig?“
„Sie treffen den Sachverhalt ausgezeichnet, Sir, falls ich mir diese Bemerkung erlauben darf.“
„Ein schöner Schlamassel!“ Rander nahm einen Schluck aus dem Glas und schüttelte nachdenklich den Kopf, „jetzt kann ich verstehen, warum Sie mich alarmiert haben. Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen. Ich sorge dafür, daß Sheriff Andrew seine Beschränkungen aufhebt und daß Sie mitkommen. Ich kann unmöglich bleiben, Parker, meine Verhandlungen sind über das Anfangs-Stadium noch nicht fortgediehen.“
„Sir, ich möchte es wagen, Ihnen zu widersprechen.“
„Bleiben kann ich nicht!“
„Ich wäre Ihnen ungemein verbunden, Sir, wenn Sie sich bei Sheriff Andrew für mich verwenden würden, doch hege ich keineswegs die Absicht, Heartville freiwillig zu verlassen.“
„Wollen Sie in diesem traurigen Nest umkommen?“
„Keineswegs, Sir, ich möchte nur verschiedene Dinge klarstellen.“
„Sie wollen also klären, ob der Unfall ein Mord war und wer der Mörder ist, falls es so war, oder?“
„Ich gestehe ein, Sir, daß dies meine Absichten sind.“
„Ich glaube, Sie fühlen sich beleidigt, weil Andrew Sie für einen Mörder hielt, wie?“
„Auch dies dürfte eine gewisse Rolle spielen, Sir …! Aber da sind die drei Zigaretten, von denen ich Ihnen berichtete. Es handelte sich meiner bescheidenen Ansicht nach um Marihuanazigaretten. Von diesen Zigaretten wurde nichts erwähnt, selbst Sheriff Andrew verhielt sich mehr als zurückhaltend!“
„Ich werde ihm auf den Zahn fühlen!“
„Ich bin glücklich, Sir, daß Sie dies für mich übernehmen wollen. Dies war der Grund, warum ich Sie hierher bat.“
„Wie, bitte?“ Rander sah seinen Butler perplex an.
„Nun, Sir, ich brauchte eine neutrale Person, die scheinbar ahnungslos von den bewußten drei Zigaretten redet. Mit anderen Worten, Sheriff Andrew und gewisse andere Kreise sollen auf Umwegen erfahren, daß ich durchaus von diesen Zigaretten weiß.“
„Ich weiß, Sie lieben den taktischen Umweg …“ Rander schmunzelte, „gut Parker, diesen Gefallen werde ich Ihnen erweisen, aber dann fahre ich auf dem schnellsten Weg zurück nach Salida … Man braucht mich dort als Anwalt … Und das ist schließlich mein Beruf …“
„Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet … Darf ich noch eine Zusatzbemerkung hinzufügen?“
„Reden Sie schon, Parker!“
„Wenn es sich eben einrichten läßt, Parker, sollte nur Sheriff Andrew von diesen drei Zigaretten erfahren … Aus dieser Tatsache lassen sich dann später vielleicht wichtige Schlüsse ziehen!“
„Sie trauen Andrew nicht über den Weg?“
„Sein Ruf scheint nicht besonders gut zu sein, Sir.“
„Sie sprechen immerhin von einem Sheriff, Parker, der das Gesetz vertritt.“
„Gewiß, Sir, aber auch ein Sheriff ist nur ein Mensch, der durchaus fehlen kann … Es wäre nicht der erste Amtsvertreter, der wegen begangener Unregelmäßigkeiten aus dem Dienst entlassen wird …“
*
Es war dunkel geworden.
Parker lüftete dem davonjagenden Wagen seines jungen Herrn noch einmal grüßend die schwarze Melone nach, um sich dann abzuwenden. Dabei stieß er fast mit einem schmalen, großen Mann zusammen, der in jedem Westernfilm eine gute Figur gemacht hätte. Er trug hochhackige Stiefel, die mit viel Silber beschlagen waren, eine graue Hose und über dem reich bestickten Hemd eine kurze Lederjacke, die mit Lammfell gefüttert war.
„Sie sind dieser Butler Parker?“ fragte der junge Mann etwas hochnäsig.
„Und mit wem habe ich die Ehre?“
„Richard Farewell“, sagte der junge Mann, der etwa 25 Jahre alt sein mochte. „Kommen Sie, Parker, ich muß mich mit Ihnen unterhalten!“
„Sie können mich begleiten, Sir“, erwiderte Parker höflich, „ich beabsichtige, zurück ins Hotel zu gehen.“
„Sie kommen mit mir …!“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, beging Richard Farewell den Kardinalfehler, nach Parkers Oberarm zu greifen.
Richard hatte Bruchteile von Sekunden später das Gefühl, auf Granit gegriffen zu haben. Seine an sich harten und durchtrainierten Finger schienen vom Oberarm des Butlers abzuprallen.
„Ich fürchte, Sir, Sie werden aufdringlich“, sagte Parker und schüttelte mißbilligend den Kopf, „ich habe nach wie vor keineswegs die Absicht, mit Ihnen zu gehen.“
„Dann eben nicht“, sagte Richard Farewell, drehte sich halb um und … versuchte anschließend einen gemeinen Magenhaken bei dem Butler anzubringen.
Josuah Parker kannte junge Männer wie Richard Farewell. Er hatte mit solch einem niederträchtigen, ja fast heimtückischen Angriff gerechnet. Entsprechend waren seine Vorkehrungen.
Richard Farewell konnte seinen Schlag nicht mehr abbremsen. Die kräftige und harte Faust kam aber nur mit dem bleigefütterten Griff des Universal-Regenschirms in Berührung, woraufhin Richard einen seufzenden Klagelaut ausstieß.
Der Schmerz in seinen Fingerknöcheln war derart stark, daß er dabei leicht in die Knie ging. Die Nasenspitze färbte sich weiß.
„Gut, Parker … Sie wollen es nicht anders“, stieß er hervor, „dann sage ich Ihnen jetzt und hier, wie die Dinge stehen. Sie haben meine Verlobte Gloria nicht umsonst im Auftrag der Harpers umbringen wollen … Dafür werden Sie büßen, mein Wort darauf …! Wenn Sie nicht umgehend verschwinden, bringe ich Sie irgendwann völlig legal um …!“
„Sie scheinen meiner bescheidenen Ansicht nach das Stadium Ihrer Pubertät noch nicht überwunden zu haben“, sagte Parker kühl, „wie kommen Sie, wenn ich fragen darf, zu solch wahnwitzigen Anschuldigungen, Mr. Farewell …?“
„Die Frechheiten zahle ich Ihnen noch Wort für Wort zurück“, fuhr Richard Farewell ihn mit mühsam gebändigter Wut an. „Wieso ich zu dieser Anschuldigung komme …? Glenn war doch wahnsinnig vor Eifersucht, als Gloria ihm den Laufpaß gab … Sein Pech, daß er zu Gloria in den Wagen stieg und Sie nicht wußten, daß Gloria in Begleitung Ihres Auftraggebers war … Das kostete ihn den Hals …!“
„Mr. Glenn Harpers saß demnach im Wagen der Miß Gloria Farewell?“
„Selbstverständlich! Aber das wußten Sie ja nicht …! Sie haben sich nur auf den Wagen konzentriert, nicht auf die Insassen! Glenn kam in seiner eigenen Todesfälle um …!“ Richard Farewell brachte ein tückisch, schadenfrohes Lachen zustande, das sein Gesicht verzerrte.
„Ein interessanter Umstand, der mir bisher nicht bekannt war“, sagte der Butler, „ich bedanke mich für diesen Hinweis, Mr. Farewell … Sagen Ihnen die Namen Steven Landly und Smith etwas?“
„Nie von gehört“, erklärte Richard Farewell, „Moment, das heißt, Landly, den kenne ich, glaube ich … Er muß im Sherman als Hausmechaniker arbeiten. Was sollen diese blöden Fragen? Wollen Sie mich ablenken?“
„Keineswegs, Sir“, schloß Parker die Unterhaltung auf dem Parkplatz seines Hotels, „ich zog gerade das ein, was man Erkundigungen nennt … Nehmen Sie meinen tiefempfundenen und herzlichen Dank entgegen. Und was Ihre Hand anbetrifft, so rate ich zu kalten Umschlägen mit essigsaurer Tonerde!“
*
Parker befand sich auf dem Weg zum „Fairplay“, jener Bar, von der Ernest Litch gesprochen hatte. Die Richtung war nicht zu verfehlen. Reklameschilder am Straßenrand wiesen immer wieder auf diese Bar hin.
Nach etwa 35 Minuten scharfer Fahrt hatte der Butler das „Fairplay“ erreicht und war, gelinde ausgedrückt, etwas enttäuscht. Von Exklusivität konnte, rein äußerlich gesehen, nun wirklich nicht die Rede sein.
Vor einem Steilhang aus nacktem Fels befand sich die lange Reihe der Motelapartments, die durchweg besetzt zu sein schienen, wie die vielen parkenden Wagen auswiesen. Die Bar, links von den ebenerdigen Apartments, war aus dicken Bruchsteinen hochgemauert und sah aus wie die Mauer einer alten Bergfestung. Zur Straße hin gab es nur ein paar schmale Fenster, die an Schießscharten erinnerten. Die sehr solide aussehende Tür war mit dickem Kupferblech beschlagen.
Parker drückte sie auf, stand in einem Vorraum mit Garderobe, gab hier seine Melone ab und betrat die eigentliche Bar. Auch hier sehr viel Bruchsteine und die Atmosphäre eines Pferdestalls. Bei gedämpftem Licht saßen die Gäste der Bar an weiß gescheuerten Tischen und ließen sich mit Delikatessen aller Art verwöhnen, wie der Butler schnell und mit wenigen prüfenden Blicken feststellte. Selbst hier erregte er einiges Aufsehen. Sein Aussehen paßte wohl nicht in den Rahmen.
„Ja, bitte …?“ Der Oberkellner, ein schlanker Mann mit schmalem Bärtchen auf der Oberlippe, baute sich vor dem Butler auf.
„Ich möchte den Geschäftsführer sprechen“, sagte der Butler, „würden Sie die Liebenswürdigkeit besitzen, ihn umgehend zu informieren.“
Der Oberkellner merkte sofort, daß er es mit einem Mann zu tun hatte, dem Respekt zu zollen war. Er nickte, wollte sich abwenden, wurde aber durch einen leisen Ruf des Butlers zurückgehalten.
„Ich bin fast sicher, daß Sie und meine Wenigkeit sich kennen.“
„Ich … ich wüßte nicht.“
„Darf ich Ihr Gedächtnis auffrischen, Mr. Belmont?“
„Sie … Sie kennen mich?“
„Detroit …! Blenden wir drei Jahre zurück, Mr. Belmont! Sie wurden damals wegen Erpressung in drei Fällen angeklagt und zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt.“
„Kommen Sie schon, Parker … Weiß der Teufel, welcher Wind Sie hergeweht hat …!“
Jerry Belmont zog ein Gesicht, als habe er gerade in eine besonders saure Zitrone gebissen. Er fühlte sich erkannt und durchschaut, sonst hätte er den Butler nicht mit dem regulären Namen angeredet. Belmont führte den Butler an der langen Bartheke vorbei in einen kleinen Flur hinein, der in einem langen Korridor mündete. Vor der zweiten Tür rechts blieb Belmont stehen und klopfte an.
„Herein“, sagte eine Männerstimme. Belmont öffnete, trat zur Seite und ließ den Butler vorausgehen. Parker betrat ein Büro, das wie ein Salon eingerichtet war. Hinter einem großen Schreibtisch, auf dem sich Papiere und Akten stapelten, saß ein mittelgroßer, korpulenter Mann von etwa 55 Jahren.
„Ja, das ist aber eine Überraschung“, sagte dieser Mann, als er Parker sah, „wie kommen Sie denn hierher?“
„Ich wünsche einen guten Abend, Mr. Cliburn, darf ich gestehen, daß ich meinerseits überrascht bin?“
„Kann ich mir vorstellen, Parker.“ Cliburn wandte sich an Belmont. „. Besorgen Sie uns einen guten Cognac, Jerry …! Dieses Wiedersehen muß gefeiert werden.“
Parker nahm in einem tiefen, bequemen Sessel Platz. Mike Cliburn zündete sich eine Zigarette an und kam um den Schreibtisch herum.
„Sind Sie zufällig hier in der Gegend?“ fragte Cliburn.
„In der Tat, das heißt, inzwischen bin ich durchaus absichtlich drüben in Heartville geblieben.“
„Ich wette, Sie sind wieder mal hinter irgendeinem Fall her, ja?“
„Notgedrungen, Mr. Cliburn. Darf ich Ihnen übrigens mein Kompliment ausdrücken? Sie scheinen sich inzwischen etabliert zu haben.“
„Endlich habe ich es geschafft, Parker … Wurde ja auch langsam Zeit. Einmal muß man ja vernünftig werden.“
Belmont kam zurück und servierte den Cognac. Er ließ die Flasche gleich da. Er ging zur Tür, blieb dort zögernd und abwartend stehen.
„Ist noch was?“ erkundigte sich Cliburn.
„Das möchte ich ja gerade wissen, Chef.“
„Ist etwas?“ fragte Cliburn, sich nun an den Butler wendend. „Kommen Sie als Zufallsgast oder verfolgen Sie eine bestimmte Spur?“
„Ich verfolge Spuren!“
„Wenn ich Ihnen helfen kann, Parker, soll das geschehen. Vergessen wir, daß Sie mich damals hochgenommen haben. Ich wußte schließlich, welches Risiko ich einging, als ich den Tresor knackte.“
„Zeiten, die längst vergangen sind“, meinte Parker, „damals hatte man es wenigstens noch mit Gegnern zu tun, die sich an gewisse Spielregeln hielten. Heute aber …!?“
„Ich wette, Sie kommen wegen der Harpers-Geschichte …“
„Stellen Sie sich vor, ein gewisser Sheriff Andrew hielt mich für den Mörder des jungen Harpers …“
„Andrew muß verrückt gewesen sein.“ Cliburn lächelte und rief Belmont zu: „Wir möchten jetzt ungestört sein, Jerry, übernimm du den Laden solange!“
Belmont ging zögernd. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben. Cliburn drückte seine Zigarette aus und kam zur Sache.
„Was kann ich also für Sie tun, Parker?“
„Sie werden die örtlichen Verhältnisse in Heartville kennen, Mr. Cliburn. Mich interessieren die Familien Harpers und Farewell, mich interessieren aber auch die internen Vorgänge im Sherman-Hotel …!“
„Schön, Sie sollen eine Menge hören“, sagte Cliburn lächelnd.
„Vergessen wir über diese Geschichten nicht gewisse Marihuana-Zigaretten“, erklärte Parker beiläufig.
„Marihuana-Zigaretten …!?“ Cliburn starrte den Butler überrascht an. „Ich glaube, Parker, jetzt erst haben Sie die Katze aus dem Sack gelassen …!“
*
Als Parker das „Faireplay“ verließ und zurück zu seinem Wagen ging, sah er sich plötzlich den beiden Profis gegenüber, die zu Walt P. Harpers gehörten.
„Können Sie uns ein Stück mitnehmen?“ fragte einer der beiden Männer. Er grinste und fühlte sich durchaus als Herr der Lage, zumal er seine Hand in die rechte Hosentasche gesteckt hatte. Daß diese Hand eine Schußwaffe umspannte, war dem Butler natürlich klar.
„Aber ich nehme Sie selbstverständlich gern mit“, sagte Parker, „Höflichkeit und Hilfsbereitschaft sind Tugenden, die man immer wieder pflegen sollte.“
Er durfte sich ans Steuer des Mietwagens setzen. Einer der beiden Profis nahm neben ihm Platz, der zweite Profi verfügte sich auf den Rücksitz.
„Haben Sie was gegen einen kleinen Umweg?“ fragte der erste Profi.
„Mitnichten“, erwiderte Parker, „ich darf wohl annehmen, daß Mr. Walt P. Harpers mich zu sprechen wünscht, nicht wahr?“
„Sie sind ein kluger Bursche“, sagte der zweite Profi, „ich glaube, wir werden uns verstehen …
Parker verzichtete auf eine Unterhaltung, bei der doch nichts herausgekommen wäre. Die beiden Profis waren nur Handlanger und wußten wohl nichts zu sagen, was ihn hätte weiterbringen können.
Sie bogen nach fast dreißig Minuten und kurz vor Heartville von der Hauptstraße nach Westen ab und fuhren in ein zuerst enges, dann weites Seitental hinein. Im Mondlicht ließen sich Details erkennen. Das Tal war eine einzige große Weide, durchsetzt mit kleinen Waldstücken.
Hinter solch einem Waldstück lag das große Herrenhaus der Harpers, gewaltig in seinen Dimensionen, selbstbewußt und irgendwie auch kraftprotzend.
„Auf diesen Augenblick habe ich gewartet“, sagte Walt P. Harpers, als die beiden Profis den Butler in der großen Wohnhalle ablieferten. Er baute sich vor Parker auf und sah ihn aus haßerfüllten Augen an. „Jetzt werden Sie Farbe bekennen müssen, Parker. Jetzt werde ich die Wahrheit aus Ihnen herausprügeln lassen, falls Sie nicht gleich den Mund aufmachen.“
„Würden Sie Ihre Fragen noch einmal formulieren?“ fragte der Butler, ohne sich einschüchtern zu lassen.
„Wer hat Sie zum Mord an meinem Jungen angestiftet?“ fragte Harpers, der sich nur mühsam beherrschte und offensichtlich stets unter Druck zu stehen schien. „Wenn Sie auspacken, können Sie von mir aus ziehen, an Ihnen bin ich nicht interessiert. Ich will nur genau wissen, ob Farewell Sie bezahlt hat.“
„Welcher der Familie Farewell, Mr. Harpers?“
„Cliff oder Richard …
„Wer könnte es Ihrer Meinung nach sein?“
„Richard natürlich.“ Harpers nackte. „Er hat Glenn immer gehaßt …
„Derartiges habe ich tatsächlich gehört“, pflichtete der Butler dem massigen Mann bei, „ging es im Grund nicht um Miß Gloria Farewell?“
„Was wissen Sie von Gloria Farewell …?“ Harpers trat hinter einen schweren Sessel. Seine Hände umspannten die Lehne. Parker glaubte, das Stöhnen des Holzes zu hören.
„Miß Gloria Farewell soll mit Ihrem Sohn liiert gewesen sein“, erklärte der Butler, „später muß es zu einer Trennung gekommen sein. Miß Gloria orientierte sich um und fand Richard Farewell kurzweiliger.“
„Von wem haben Sie das alles?“ Das Holz der Lehne stöhnte jetzt lauter.
„Mr. Richard Farewell war so freundlich, mir diese Hinweise zu geben.“
„Farewell … Farewell …“ Harpers stöhnte fast auf. Dann wandte er sich an die beiden Profis. „Nehmt ihn mit in die Scheune und peitscht ihn so lange aus, bis er die Wahrheit gesagt hat …! Los, worauf wartet ihr noch …!?“
„Sie wissen, daß ich Sie anzeigen werde, Mr. Harpers?“
„Falls Sie’s überhaupt noch können, soll’s mich nicht kratzen, Parker …“
Er drehte sich um und stampfte aus der großen Wohnhalle. Der erste Profi tippte Parker auf die Schulter.
„Kommen Sie, Alterchen“, sagte er dazu, „ich bin gespannt, wann Sie weich werden … Man erlebt da immer so seine Überraschungen.“
*
In der Scheune bauten sie sich mit langen Treckpeitschen vor dem Butler auf. Sie ließen die geflüchteten Lederschnüre prüfend in der Luft herumzischen.
„Also, reden Sie, Alterchen“, sagte der erste Profi, „gleich werden Sie dazu kaum noch Zeit haben …!
Sie hatten den Butler gründlich durchsucht, aber die Kugelschreiber übersehen, die in der Innentasche des Zweireihers staken. Ihnen hatten sie verständlich erweise keine Bedeutung beigemessen.
Parker hatte solch einen Kugelschreiber in die Hand genommen. Er war nicht gewillt, sich von diesen beiden Schlägern mißhandeln zu lassen.
Es wurde ernst …!
Die ersten Peitschenschnüre zischten auf. Parker zuckte zwar mit keiner Wimper, doch er hielt es für an der Zeit, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Er drückte auf den Clip des unscheinbar aussehenden Kugelschreibers. Angetrieben von einer Miniaturpreßluftpatrone, zischte ein gefiederter Bolzen vorn aus der Schreiböffnung.
Der erste Profi, der zugeschlagen hatte, zuckte Bruchteile von Sekunden später überrascht zusammen. Er faßte nach seinem Oberarm und … zog den Bolzen hervor. Er starrte ihn entgeistert an.
Der zweite Profi hatte von alledem noch nichts mitbekommen. Er ließ die lange Lederschnur in der Luft herumschnalzen und nahm dann Maß. Nun wollte er seinen Schlag anbringen.
Da zuckte auch der zweite Profi zusammen.
Er griff nach seinem linken Oberschenkel und sah dabei zufällig auf seinen Partner, der bereits in Korkenzieherbewegung langsam zu Boden rutschte.
Der zweite Profi hielt den Bolzen in der Hand, starrte ihn verzweifelt und irgendwie nachdenklich an. Dann wurde ihm schwarz vor Augen. Auf seufzend legte er sich ebenfalls nieder und vergaß sein Opfer.
Josuah Parker barg die beiden Bolzen, drückte sie zurück in das Magazin des Kugelschreibers und nahm daran eine kleine Manipulation vor. Er hob die beiden Peitschen auf und zerbrach sie. Parker zupfte die Schußwaffen aus den Halftern der beiden Profis, entlud sie und warf Waffen samt Patronen irgendwohin ins Heu. Dann legte er sich den bleigefütterten Griff des Universal-Regenschirms über den linken Unterarm und verließ die Scheune, um Mr. Harpers einen weiteren Besuch abzustatten.
Harpers stand an einem der Fenster der Wohnhalle. Er hörte die Schritte des Butlers, dachte aber wahrscheinlich an die beiden Profis.
„Nun …?“ fragte er, ohne sich umzuwenden.
„Ich muß Sie enttäuschen, Mr. Harpers“, sagte Parker höflich, „es ist nicht zu der Art Befragung gekommen, die Sie sich vorgestellt haben.“
Harpers schnellte herum. Er sah den Butler überrascht an.
„Ihre beiden Profis, wenn ich es so ausdrücken darf, haben das eingelegt, was man eine kurzfristige Betriebspause nennt. Sie lassen sich entschuldigen …
„Wer … wer sind Sie eigentlich?“ Mehr bekam Harpers nicht hervor.
„Keinesfalls der Mörder Ihres Sohnes“, antwortete Parker, „aber es dürfte wohl sinnlos sein, es Ihnen immer wieder zu versichern.“
„Aber wer hat Glenn dann umgebracht …?“ Verzweiflung klang in der Stimme auf.
„Ich werde Ihnen früher oder später den Mörder benennen können, Mr. Harpers. Sie müssen etwas Geduld haben … Und Sie sollten sich an die Gesetze halten, die für alle geltend sind … Sie können sich nicht zum Richter in eigener Sache auf schwingen, so etwas wird sich niemals auszahlen.“
„Ich brauche Ihre verdammten Ratschläge nicht, Parker.“
„Dann werden Sie trotz Ihres Alters noch sehr viel Lehrgeld zahlen müssen!“ „Wieviel verlangen Sie für den Namen Ihres Auftraggebers? Ich zahle jeden Betrag!“
„Sie sind ein haßerfüllter, verbitterter Mann“, erwiderte der Butler. „Sie denken einspurig, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich wünsche Ihnen keineswegs eine gute Nacht.“
Parker ging. Als er die Tür fast erreicht hatte, hörte er draußen schnelle, harte Schritte. Parker hielt es für richtig, sich ein wenig zur Seite zu begeben. Mit anderen Worten, er verschwand hinter einem Schrank in der Diele.
Sheriff Andrew kam schnell herein.
„Na …?“ fragte er Harpers. „Na, hat er gestanden …!? Haben Sie die Wahrheit aus ihm herausgeholt? Hoffentlich haben Sie nicht übertrieben, Harpers … Von einem gewissen Punkt an kann ich für Sie nichts mehr tun!“
„Sie können völlig beruhigt sein, Sheriff“, ließ Parker sich vernehmen und trat ins Licht, „er hat nicht gestanden, weil es nichts zu gestehen gibt …!“
*
Mitternacht …
Josuah Parker war noch unterwegs. Er hatte seinen Wagen in einem kleinen Wäldchen abgestellt und war zu Fuß bis hinauf zum Sherman-Hotel gegangen. Ihm ging es darum, ungesehen dort zu fahnden. Immerhin hatte eine gewisse Kathy Windham ihm zugeflüstert, der Mörder des jungen Harpers könne nur Ernest Litch sein.
Bis auf wenige Fenster war das Hotel um diese Zeit dunkel. Die Hotelgäste lagen sicher schon in ihren Betten. Parker erreichte die Terrasse und ging zur Tür hinüber, hinter der Kathy Windham verschwunden war.
Die Tür war verschlossen.
Parker wollte sich schon abwenden, als er einen Lichtschein wahrnahm, der unter der Tür jetzt sichtbar wurde. Der Butler drückte sich schnell hinter einen der Stützpfeiler, die die Terrasse hielten. Wenig später wurde die Tür aufgeschlossen und geöffnet. Zwei junge Damen traten heraus und stützten einen älteren Mann, der einen zumindest stark angetrunkenen Eindruck machte.
Sie führten ihn etwas mühsam hinüber zum nahen Parkplatz und verstauten ihn in einem Wagen. Anschließend nahm eine der jungen Damen Platz am Steuer, während die zweite Hotelangestellte im Fond Platz nahm. Der Motor wurde Eingelassen. Der Wagen setzte sich ohne Einschalten der Scheinwerfer in Bewegung und verschwand bald darauf in der Dunkelheit.
Parker blieb hinter dem Stützpfeiler stehen und überlegte. Schafften die beiden Hotelangestellten einen Gast weg? Falls ja, wohin und aus welchem Grund? Parker bedauerte es, daß er den Wagen so weit vom Hotel zurückgelassen hatte. So war eine diskrete Verfolgung leider nicht möglich.
Aber da war immer noch die Tür, die die beiden Damen nicht abgeschlossen hatten. Parker drückte sie auf und blinzelte einen Moment lang geblendet in das Licht einer grellen Deckenlampe, die einen langen, schmalen Korridor ausleuchtete. Die Treppe rechts, in der Mitte des Korridors, führte offensichtlich hinauf in die Hotelräume. Der Korridor selbst endete vor einer Tür, die mit Stahlblech beschlagen war.
Josuah Parker, interessiert und neugierig wie immer, hielt auf diese Tür zu. Sie erwies sich als verschlossen. Lagen hinter ihr nur Kellerräume? Barg die Tür irgendein Geheimnis?
Parker verzichtete darauf, sich mit dem Türschloß zu befassen. Er schritt zurück zur Treppe, ging hinauf und erreichte einen viereckigen Lichthof, der nur schwach erleuchtet war. Von diesem Lichthof aus zweigten Korridore und Türen ab. Wie sollte er sich jetzt entscheiden?
Er entschloß sich für den linken Korridor, der seiner Schätzung nach tiefer ins Haus führen mußte. Parker lustwandelte also ungeniert darauflos und hörte plötzlich Gelächter, das Geklirr von Gläsern und roch frischen Tabakqualm. Irgendwo schienen sich noch Gäste zu befinden, die feierten und wahrscheinlich bei bester Laune waren.
Er sollte sich nur geringfügig getäuscht haben …
Hinter einer nur angelehnten Tür fand tatsächlich so etwas wie eine Mitternachtsparty statt, doch die Feiernden waren Hotelangestellte.
Durch den Türspalt konnte der Butler die Frohgestimmten gut beobachten. Ihm fielen die schlanken Blondinen auf, die durchweg die Tracht von Zimmermädchen oder Hotelhostessen trugen. Sie umstanden die hohe Theke einer Kellerbar und konsumierten erstaunliche Mengen Alkohol.
Die Blondinen waren natürlich nicht unter sich. Es gab eine Reihe mehr oder weniger junger Männer, die mit ihnen feierten und offensichtlich bereits leicht angetrunken waren. Es handelte sich um Kellner, Hausdiener und um einen gewissen Ernest Litch, der offensichtlich den Ton angab.
Wie gesagt, die Feiernden waren bester Stimmung, die gerade ihren Höhepunkt erreicht zu haben schien. Leicht indigniert nahm Josuah Parker nämlich zur Kenntnis, daß die jungen Damen sich offensichtlich sehr ungeniert ihrer Oberkleidung entledigten …
*
„Wie sind Sie denn hier ’reingekommen?“ fragte leider in diesem Augenblick eine mehr als erstaunte Stimme hinter dem Butler. Parker kam diese Stimme recht bekannt vor. Wenn ihn nicht alles täuschte, gehörte sie zu Steven Landly, der ihm freundlicherweise, aber ohne jeden Grund immerhin tausend Dollar zugesteckt hatte.
„Ich erlaube mir, Ihnen einen schönen Abend zu wünschen“, sagte Parker und drehte sich langsam zu Landly um.
„Los, gehen Sie schon ’rein“, sagte Landly ungnädig und fuchtelte mit einer Pistole herum, „wir haben was gegen Einbrecher …“
Notgedrungen mußte Parker die Tür aufstoßen.
Die jungen Damen, die beruhigenderweise Badeanzüge trugen, Einteilige und Bikinis, sahen den Butler erstaunt an, mußten dann aber durchweg kichern. Parker paßte nicht in die ausgelassene Umgebung. Er sah aus wie ein Leichenbitter.
Die feiernden Männer reagierten erheblich anders. Sie umringten blitzschnell den Butler und nahmen das an, was der Volksmund eine drohende Haltung genannt hätte.
„Parker …?“ fragt Ernest Litch. Er hatte sich vorgeschoben und sah den Butler kopfschüttelnd an.
„Ich bin der Ansicht, daß ich Ihnen eine Erklärung schuldig bin, Mr. Litch!“
„Nur, wenn Sie wollen, Parker.“ Litch lächelte. Eine knappe Kopfbewegung genügte vollkommen, um die neugierigen Herren zu verscheuchen. „Kommen Sie, ich lade Sie zu einem Drink ein …! Wenn Sie schon mal hier sind, können Sie ja auch mitfeiern …!“
„Ich nehme Ihre freundliche Einladung dankbar an“, gestand der Butler, während er mit Litch zur Bartheke ging, „darf ich fragen, wo ich mich hier befinde …?“
„In der Saunaabteilung des Hotels … Wir führen hier Gesundheitskuren jeder Art durch … Da, sehen Sie … dort sind die Saunakabinen … Für Einzelpersonen und für den Massenbetrieb … Dort sind die Tauchbecken … Dort die Bäderabteilung … Und dort drüben die Schwitzkästen … Wenn Sie Bedarf haben, brauchen Sie sich nur anzumelden. Gute Behandlung wird zugesichert …!“
Parkers Gesicht verzog sich zu einem pflichtschuldigen Lächeln. Litch hatte übrigens die Wahrheit gesagt. Hier im Souterrain des Sherman-Hotels gab es tatsächlich eine sehr modern eingerichtete Bäderabteilung.
Die jetzt mehr als leicht bekleideten Damen hüpften gerade in das große, rechteckige gekachelte Tauchbecken und spielten darin wie ausgelassene Kinder. Die Herren der Schöpfung wichen zurück, als sie naßgespritzt wurden.
„Was darf ich Ihnen anbieten?“ fragte Litch, der neben Parker auf einen Barhocker gestiegen war.
„Falls vorhanden, würde ich einen Cognac vorziehen.“
„Bekommen Sie …! Ist doch selbstverständlich. Sie wundern sich wohl, warum wir feiern, wie?“
„In der Tat, wenngleich ich einräumen möchte, daß es mich natürlich nichts angeht. Ich möchte nicht neugierig erscheinen.“
„Einmal in der Woche feiern wir hier … Wir, das Hotelpersonal … Man braucht diese Entspannung, sonst dreht man bei diesem Betrieb einfach durch.“
„Man scheint gern zu feiern …!“
„Und ob … So, hier wäre Ihr Cognac, Parker! Kamen Sie zufällig vorbei?“
„Ich sah Licht, fand die unter der Terrasse befindliche Tür geöffnet und folgte dem fröhlichen Lärmen, wenn ich es so ausdrücken darf.“
„Treiben sich noch weitere Gäste in der Gegend herum?“ Die Frage wurde beiläufig gestellt, doch Parker ahnte, daß Litch auf die beiden jungen Damen anspielte, die den betrunkenen Herrn aus dem Hotel gebracht hatten.
„Ich glaubte zwei Personen gesehen zu haben, doch dann stellte sich dies als eine offensichtliche Täuschung der Sinne heraus“, antwortete Parker. Er nippte am Cognac und sah den jungen Damen zu, die herumtollten und nun von den wie gesagt leicht angetrunkenen Hotelangestellten gejagt wurden.
„Alles vollkommen harmlos und jugendfrei“, sagte Litch ironisch. „Sie haben doch hoffentlich nicht den Eindruck, daß Sie in eine Orgie geraten sind …!?“
„Meine privaten Vorstellungen von Orgien unterscheiden sich erheblich von diesem harmlosen Treiben“, erklärte Parker. Dann deutete er auf Landly, der in einer Ecke stand und ihn nicht aus den Augen ließ, „dieser Herr dort scheint sich aber nicht sonderlich gut zu amüsieren …“
„Landly …? Ein Außenseiter … Paßt überhaupt nicht zu uns …!“
„Wieso kann dieser Mann sich dann halten, wenn ich fragen darf?“
„Miß Gloria Farewell hat ihn engagiert, und dagegen ist nichts zu machen.“
„Befindet er sich schon seit längerer Zeit in diesem Hause?“
„Seit ein paar Monaten … Aber lange wird er nicht bleiben, die übrigen Angestellten schneiden ihn … Noch einen Cognac, Parker …?“
„Sie sind sehr liebenswürdig …!“
„Man lebt schließlich nur einmal … Auf Ihre Gesundheit!“
„Ich bedanke mich für den Toast …
„Wir gehen gleich ’rüber in die Gemeinschaftssauna … Haben Sie Lust mitzumachen?“
„Auf keinen Fall“, erwiderte Parker sofort und spontan, „ich fürchte, daß mein an sich schwacher Organismus diesen Belastungen nicht gewachsen ist …!“
Parker wurde abgelenkt.
Einige langbeinige Blondinen, die nach wie vor die Badeanzüge trugen, hatten es sich in den Kopf gesetzt, ihn in das Tauchbecken zu werfen. Sie versprachen sich davon einen tollen Spaß. Parker ergriff sein Heil in der Flucht Dieser geballten Weiblichkeit war er nicht gewachsen. Oder suchte er nur nach einem passenden Abgang? Er ließ sich darüber natürlich nicht aus.
„Ich bedanke mich für die Gastfreundschaft“, verabschiedete er sich von Litch und setzte sich ab. Litch begleitete ihn und lächelte amüsiert. Die langbeinigen Blondinen blieben Parker dicht auf den Fersen und fanden ihn süß.
Mit knapper Not entwischte der Butler. Er nickte Litch noch einmal grüßend zu und stand dann endlich wieder in der schützenden Dunkelheit unterhalb der Terrasse.
Er hörte deutlich, daß die Tür diesmal laut und vernehmlich abgeschlossen wurde. Die feiernden Hotelangestellten wollten wohl nicht mehr gestört werden, was ihnen ja im Grund auch nicht zu verdenken war …
*
„Sie treiben sich aber verdammt lange in der Weltgeschichte herum“, sagte Sheriff Andrew. Er stemmte sich aus dem Sessel in der Hotellounge und baute sich vor dem Butler auf.
„Ich liebe die Nacht, die frische Luft und die reine, unberührte Natur“, antwortete Parker, „haben Sie etwa auf mich gewartet? Ich würde das ungemein bedauern.“
„Reden Sie keinen Quatsch! Ich will wissen, wo Sie waren!“
„Aus einem ganz bestimmten Anlaß?“ „Ich stelle hier die Fragen, Parker!“ Andrew redete so laut, daß der Nachtportier jedes Wort mitbekam.
„Dann, bitte, stellen Sie die Fragen!“ „Wo haben Sie in der vergangenen Stunde gesteckt?“
„Ich sah mich in einem Motel um, das sich Fairplay nennt. Anschließend unterhielt ich mich mit Mr. Litch vom Sherman-Hotel.“
„Das läßt sich ja feststellen und nachkontrollieren. Gnade Ihnen Gott, wenn Sie gelogen haben …!“
Bevor der Butler weitere Fragen zu stellen vermochte, kamen die beiden Hilfssheriffs Dave Culpers und Joe Higgins in die Hotelhalle. Sie schritten wichtigtuerisch aus und waren sich ihrer Würde vollauf bewußt.
Sie winkten Sheriff Andrew an die Seite, tuschelten einen Moment lang mit ihm und nahmen Parker anschließend zwischen sich.
„Wir gehen ’raus und sehen uns mal Ihren Wagen an“, sagte Andrew.
„Darf ich nicht endlich erfahren, was Sie mir schon wieder und erneut vorwerfen?“
„Halten Sie den Mund, Parker, sie werden es schon früh genug erfahren!“
Parker sah zur Uhr, die sich über den beiden Lifttüren befand. Es ging auf 1.30 Uhr zu.
„Wollen Sie mir mal sagen, was das hier ist …?“ Andrew, Parker und die beiden Hilfssheriffs standen vor dem geöffneten Kofferraum von Parkers Mietwagen.
Oben am Hoteleingang hatte der Nachtportier sich aufgebaut. Er sah neugierig auf die Szene herunter und bekam sicher jedes Wort mit.
„Dies dürfte eine Reisedecke Sein, die allerdings ungemein verschmutzt ist.“
„Genau, Parker … Verschmutzt und mit Blutspuren übersät … Haben Sie mir was zu sagen?“
„Was, wenn ich höflich fragen darf?“
„Zum Henker, ich will wissen, wie das Blut an die Decke gekommen ist …!“
„Diese Decke habe ich vorher noch nie gesehen. Aber es ist wohl sinnlos, dies beteuern zu wollen.“
„Und ob das sinnlos ist, Parker …! Vollkommen sinnlos …! Diesmal haben wir Sie erwischt … Diesmal kommen Sie uns nicht mehr aus.“
„Sie scheinen mir eine ganz bestimmte Tat vorzuwerfen.“
„Sie haben Ray Fenmore ermordet!“
„Wen, bitte …?“
„Ray Fenmore …! Dafür wird man Sie hängen …! Los, kommen Sie mit, Parker …!“
„Ich sehe mich gezwungen, wieder einmal und erneut gegen solch eine Unterstellung zu protestieren.“
„Sagen Sie das später Ihrem Anwalt! Dave … Joe, klopft ihn nach Waffen ab, diesem scheinheiligen Burschen ist alles zuzutrauen!“
„Sie werden äußerst geschmacklos.“
„Was ich wirklich werde, erleben Sie gleich bei mir im Büro …“
Dave Culpers und Joe Higgins klopften den Butler gekonnt nach möglichen Waffen ab, übersahen dabei aber Kleinigkeiten wie Zigarrenetui, Kugelschreiber, Pillendose und Krawattennadel. Verständlicherweise übrigens, denn ein Mann wie Josuah Parker war ihnen noch nie begegnet.
Parker mußte sich zu Andrew in den Streifenwagen setzen. Culpers schob sich hinter den Butler und ließ ihn nicht aus den Augen. Für ihn schien der Butler bereits ein überführter Mörder zu sein.
„Wollten Sie mich nicht in Ihr Büro bringen?“ erkundigte Parker sich, als der Streifenwagen am Amtsgebäude vorbeirollte.
„Warten Sie’s ab …!“ knurrte Andrew. Wenig später hielt er vor einem flachen Steinbau, der die Funktion eines Leichenschauhauses von Heartville ausübte.
„Aussteigen“, kommandierte Sheriff Andrew. Parker gehorchte und folgte Andrew in das Leichenschauhaus hinein. Minuten später stand er vor einer Bahre, auf der ein Toter lag. Parker wußte schon nach dem ersten Blick mit einiger Sicherheit, daß es sich um den Mann handelte, den die beiden Blondinen aus dem Sherman-Hotel geführt hatten …
*
„Ray Fenmore“, sagte Andrew und zog das Leinentuch wieder über das Gesicht des Toten.
„Wer, bitte, ist Mr. Ray Fenmore? erkundigte Parker sich in seiner höflichen Art und Weise.
„Ein Detektiv aus Denver“, antwortete Andrew grimmig, „jetzt kann ich es ja sagen … Er war ’runtergeschickt worden und hatte mich um Amtshilfe gebeten.“
„Ein Detektiv …!? Das ist interessant, wenn ich so sagen darf.“
„Warum haben Sie ihn umgebracht?“
„Mr. Andrew, Sie wiederholen sich in einer Art und Weise, die mir schon fast peinlich ist …! Ich betone grundsätzlich, daß ich diesen Mann nicht umgebracht habe …!“
„Lügen, nichts als Lügen …! Aber damit kommen Sie bei mir nicht weiter.“
„Verdammt, Chef, warum sind wir eigentlich so friedlich?“ wunderte sich Culpers. „Sollen Joe und ich mal …!?“
„Wie ist dann die Decke in Ihren Wagen gekommen, wenn Sie angeblich unschuldig sind?“ Andrew schien Culpers’ Worte überhaupt nicht mitbekommen zu haben.
„Man wird die Decke in meinen Mietwagen hineinpraktiziert haben.“
„Eine faulere Ausrede ist Ihnen wohl nicht eingefallen, wie?“
„Die Wahrheit erinnert häufig an eine faule Ausrede, Mr. Andrew. Im übrigen sind Sie ausgesprochen beleidigend. Als Mörder dieses Mannes hätte ich die Decke selbstverständlich vernichtet, wenn ich sie nicht sogar am Tatort zurückgelassen hätte.“
„Jeder Gangster macht seinen ganz persönlichen Fehler.“ Andrew blieb unzugänglich.
„Dann möchte ich hiermit unsere Unterhaltung für beendet erklären“, sagte Parker, wandte sich ab und verließ das Leichenschauhaus.
Andrew sah ihm aus zusammengekniffenen Augen nach. Culpers und Higgins schnauften wie Dampfloks an einer Steigung und verstanden die Welt nicht mehr. Warum, so fragten sie sich synchron und insgeheim, wurde dieser komische Bursche nicht verhaftet und eingelocht? Warum setzte man ihn nicht so lange unter Druck, bis er die Wahrheit sagte.
„Gehen wir“, meinte Andrew zu seinen beiden Hilfssheriffs, „er entkommt uns nicht … So lange er frei herumläuft, haben wir die Chance, daß er einen Fehler macht …!“
*
Parker befand sich endlich in seinem Hotelzimmer.
Er war, das muß wahrheitsgemäß gesagt werden, redlich müde und sehnte sich nach einem erquickenden Schlaf. Dennoch nahm er sich Zeit, bevor er ins Bett schlüpfte. Als vorsichtiger Mensch, der er nun einmal war, wollte er jeder Eventualität aus dem Weg gehen.
Um völlig ungestört sich der Nachtruhe hingeben zu können, räumte er erst einmal die einteilige Matratze aus dem Bett und schob sie in eine gegenüberliegende Zimmerecke. Hier baute er sich ein warmes Nest, von dem aus später einige hauchdünne und fast unsichtbare Nylonfäden zur Tür und zu verschiedenen anderen Orten des Zimmers abzweigten.
Endlich begab der Butler sich zur Ruhe. Er hoffte auf einen ungestörten Schlaf. An weiteren Sensationen und Überraschungen war er im Moment nicht interessiert.
Doch aus dieser geplanten Nachtruhe wurde nichts, wie sich bald zeigen sollte.
Nach einer knappen Stunde wachte Parker auf. Er blieb unbeweglich liegen, öffnete nur die Augen und setzte seine Ohren als Frühwarnsystem ein.
Draußen vor der Hotelzimmertür tat sich irgend etwas.
Dort mußte sich ein neugieriger Besucher befinden, der jetzt sogar alle Anstalten traf, das Türschloß zu öffnen.
Der Besucher überwand dieses Hindernis wie ein echter Profi. Fast geräuschlos bekam er das Schloß auf, um dann die Tür langsam aufzudrücken. Er nahm sich dabei die notwendige Zeit und überhastete nichts.
Schließlich hatte er es geschafft.
Er stand im Zimmer, drückte die Tür gegen den Rahmen Zurück und verschmolz mit der Dunkelheit, die im Hotelzimmer herrschte. Er hatte jetzt wieder eine kleine Pause eingelegt und wartete, ob sein Opfer etwas gemerkt hatte.
Dieses Opfer hatte nicht nur etwas gemerkt, es wußte durch und durch Bescheid.
Parker zupfte an der ersten Nylonschnur.
Ein blendend helles Blitzlicht, der Tür genau gegenüber angebracht, flammte auf.
Die zweite Nylonschnur …!
Der erstarrte, überraschte Eindringling, der zu diesem Zeitpunkt nichts als grellrote Punkte sah und noch mit dem Überraschungsmoment kämpfte, fühlte einen Schlag mitten auf der Nase. Gleichzeitig breitete sich auf dem Gesicht ein weicher, widerlich klebender Brei aus, der eine Mischung aus Honig und zähem Teig zu sein schien.
Die dritte Nylonschnur …!
Der nächtliche Besucher, der nun vollends die Fassung verloren hatte, spürte einen stechenden Schmerz in der Gegend der rechten, unteren Gesäßhälfte.
Das alles war zuviel!
Er gurgelte, schlug mit den Händen in der Luft herum und verlor dabei sein Schießeisen. Der nächtliche Besucher rutschte aus, als er einen bestimmten Punkt im Zimmer überschritten hatte. Seine Beine wurden förmlich hochgerissen. Krachend landete der Eindringling auf seinen vier Buchstaben und stöhnte gepeinigt auf. Welcher Mensch setzt sich auch schließlich gern oder freiwillig in peinlich spitze Heftzwecken?
Parker schaltete das reguläre Deckenlicht ein und begutachtete seinen Besucher. Es handelte sich um einen jetzt reichlich bekleckerten jungen Mann, schmal wie ein Knabe, gekleidet in einen hautengen Trikotanzug.
„Wenn Sie sich einen kleinen Augenblick gedulden, werde ich Ihnen gern zu Diensten sein“, sagte Parker und barg erst einmal die Waffe seines Gastes. Es handelte sich um eine 22er, eine vom Kaliber her erstaunlich kleine Waffe.
Dies brachte den Butler auf einen Gedanken, der ihm bisher überhaupt noch nicht gekommen war. Er fühlte sich veranlaßt, seinen Besucher etwas anzusehen.
Er staunte nicht schlecht, als er gewisse sekundäre Geschlechtsmerkmale erkannte, die eindeutig darauf hinwiesen, daß er es mit einer jungen Frau zu tun hatte …
*
„Sie können selbstverständlich die Dusche benutzen“, sagte Parker sehr bald darauf, „hoffentlich haben Sie sich nicht zu sehr verletzt.“
„Was Sie da getan haben, war sehr unfair“, sagte Kathy Windham schluchzend und rieb sich die immer noch schmerzende Kehrseite, „wer ahnt denn schon, daß Sie mit solchen Tricks arbeiten …“
„Wer ahnt schon, daß er auf diese Art und Weise besucht wird?“ gab der Butler zurück, „was, so möchte ich fragen, haben Sie sich von dieser Aufwartung versprochen?“
„Darüber reden wir, wenn ich wieder wie ein Mensch aussehe“, erklärte sie, „du lieber Himmel, wie sehe ich aus …! Zum Fürchten, Mr. Parker …!“
Sie hatte gewiß nicht übertrieben. Ihr verklebtes Gesicht erinnerte an die Maske einer Amazonas-Gottheit. Das lange Haar war strähnig und zerzaust. Sie beeilte sich also, ins angrenzende Badezimmer zu gelangen.
Während sie duschte, rollte der Butler seine diversen Fangvorrichtungen ein. Er entfernte die ferngesteuerte Gabelschleuder, die die Klebemasse in das Gesicht der Kathy Windham geschleudert hatte, er entfernte den Kugelschreiber mit der Treibgaspatrone und den schmerzhaften Dornen und sprühte ein wenig Antirutschspray auf jene Stelle des Bodens, die er vorher entsprechend präpariert hatte. Selbstverständlich, daß er die Heftzwecken einsammelte. Er wollte Kathy Windham keine weiteren Überraschungen bereiten. Seiner bescheidenen Ansicht nach hatte sie bereits mehr als genug erdulden müssen.
Sie kam ungewöhnlich schnell zurück in das Hauptzimmer und trug über dem sonst nackten Körper eine Pyjamajacke, die Parker ihr aus seinen Privatbeständen zur Verfügung gestellt hatte. Kathy Windham sah jetzt wieder frisch und ausgesprochen appetitlich aus. Parker musterte sie distanziert, dennoch mit Wohlgefallen.
„Wenn Sie erlauben, möchte ich Ihnen gern einen Cognac anbieten, Miß Windham.“
„Und ob ich erlaube“, gab sie lächelnd zurück. Sie schlüpfte in einen Sessel und zog ihre langen, schlanken Beine unter den Körper. Sie benahm sich wie selbstverständlich, völlig unbefangen. Parker schraubte die Flachflasche auf und servierte formgerecht einen Cognac, den sie sofort trank und auch offensichtlich genoß.
„Stellen Sie, bitte, keine Kragen“, sagte sie dann, „ich werde Ihnen alles erzählen.“
„Sie spannen mich auf das, was man die Folter nennt, Madam.“
„Ich weiß jetzt, daß Sie wirklich Mr. Josuah Parker aus Chikago sind.“
„Und wie, wenn ich fragen darf, haben Sie dies herausgefunden?“
„Durch die Überraschungen hier im Zimmer.“
„Sie waren also verräterisch?“
„Sie entsprachen genau dem, was ich durchgesagt bekam. Ich komme damit schon zu meiner Erzählung, Mr. Parker. Ich bin wirklich Kathy Windham, stamme aus Denver und arbeite in einer Detektivagentur. Ich werde Ihnen gleich meine Papiere und Ausweise zeigen. Ich kam hierher nach Heartville und speziell ins Sherman-Hotel, um gewisse Erkundigungen anzustellen.“
„Die sich worauf beziehen, wenn ich diesen Einwurf machen darf!?“
„Der Sohn eines unserer Klienten verunglückte vor zwei Monaten tödlich bei einer an sich völlig harmlosen Kletterpartie. Unser Klient war der Ansicht, daß dieser Unfall gestellt worden war. Er glaubt nach wie vor an einen Mord.“
„Woraus bezieht jener Klient seine Ansicht und Meinung?“
„Dieser junge Mann telefonierte kurz vor dem Unfall mit seinen Eltern und ließ durchblicken, er sei, ich zitiere jetzt fast wörtlich, einer riesigen Schweinerei auf der Spur. Anderthalb Tage später verunglückte er tödlich …!“
„Haben die betroffenen Eltern sich nicht mit der Polizei in Verbindung gesetzt?“
„Selbstverständlich. Mr. Andrew, den Sie ja kennen. Sheriff Andrew, der zuständig war und ist, konnte natürlich nichts Ungewöhnliches feststellen und ließ die Ermittlungen ein schlafen. Daraufhin wurde ich von meiner Agentur hierher geschickt.“
„Seit wann, wenn ich fragen darf, arbeiten Sie bereits an diesem Fall, Miß Windham?“
„Seit knapp einem Monat …
„Haben Sie irgendwelche Spuren finden können?“
„Ich glaube, alle Spuren laufen oben im Sherman-Hotel zusammen. Deshalb habe ich mich dort auch als Aushilfskraft einstellen lassen.“
„Um welche Spuren handelt es sich, wenn ich eine zusätzliche Frage stellen darf?“
„Ich traue diesem Ernest Litch nicht über den Weg. Es ist offensichtlich, daß er Miß Farewell verdrängen will. Ich traue ihm durchaus einen Mord zu. Und ich glaube weiterhin, daß nicht Glenn Harpers, sondern Gloria Farewell ermordet werden sollte.“
„Das sind, wie es so treffend heißt, schwere Anschuldigungen. Aus welchen Gründen wollten Sie mir und meinem Hotelzimmer einen unangekündigten Besuch abstatten?“
„Ich wollte herausfinden, ob Sie wirklich dieser Butler Parker sind, von dem man bei uns in der Agentur schon oft gesprochen hat. Sie sind es, das weiß ich jetzt mit letzter Sicherheit.“
„Was halten Sie, um den Fall bewußt einzuengen, von den Familien Harpers und Farewell?“
Kathy Windham ließ sich einen zweiten Cognac verabreichen. Sie hatte es sich im Sessel bequem gemacht und redete ohne Scheu oder Vorsicht.
„Eine reine Familienstreiterei, die nur in einem Ort wie Heartville bestehen kann …!“ Der Ton ihrer Stimme klang etwas abfällig. „Ich glaube nicht an die Gerüchte, die hier im Umlauf sind. Glenn Harpers ist nicht von Richard Farewell umgebracht worden. Und Harpers hat auch ganz sicher nicht Gloria Farewell umbringen wollen, weil sie zu Richard übergelaufen war.“
„Ich neige dazu, mich Ihrer Ansicht anzuschließen, Miß Windham“, erklärte der Butler. „Darf ich fragen, ob Sie sich das ‚Fairplay‘ schon einmal aus der Nähe angesehen haben?“
„Selbstverständlich.
„Ist Ihnen dort etwas aufgefallen?“
„Sie spielen auf Cliburn und Belmont an …?“
„Sollte ich dies tun?“
„Ich weiß längst, daß sie sich früher straffällig gemacht hatten, aber jetzt scheinen sie sich eine weiße Weste zugelegt zu haben.“
„Bleiben wir also beim Sherman-Hotel“, wechselte der Butler wieder das Thema, „bleiben wir bei den Spuren, die Sie entdeckt zu haben glauben. Um welche Spuren handelt es sich detailliert?“
„Denken Sie doch bitte einmal an die vielen jungen und hübschen Damen, Mr. Parker!“
„Sie sind in der Tat bemerkenswert …“
„Dann addieren Sie dazu die vielen Gäste, die nur für ein paar Tage bleiben.“
„Ich addiere, Miß Windham. Zu welcher Summe kommen Sie, wenn ich unbescheiden fragen darf?“
„Das eben weiß ich nicht.“ Sie sah ihn kläglich an. „Zuerst dachte ich an eine Art Absteige … An Erpressungen … Doch das alles scheint nicht der Fall zu sein.“
Kann man dort verbotene Glücksspiele betreiben?“
„Das wird es wohl sein, aber ich habe keine Beweise, Mr. Parker. Haben Sie vielleicht inzwischen etwas herausgefunden?“
„Ich glaube und hoffe, Miß Windham. Mein Geheimtip, wenn ich mich so ausdrücken darf, lautet auf Rauschgift. Ich werde Ihnen ein Geheimnis verraten. Ich fand in der Tasche des verunglückten Glenn Harpers Marihuana-Zigaretten. Das mag ein Zufall gewesen sein, der mit dem Sherman-Hotel nichts, aber auch gar nichts zu tun hat, aber dies muß nicht ein Zufall gewesen sein …
*
Ein strahlender Morgen.
Josuah Parker verließ das Hotel, um in einem nahen Restaurant das Frühstück einzunehmen. Daß ihm dabei Sheriff Andrew über den Weg lief, konnte selbstverständlich kein Zufall sein.
„Ich habe mit Ihnen zu reden“, knurrte Andrew.
„Sie können sich mir und meinen Absichten anschließen“, erwiderte der Butler, „ich habe vor, ein frugales Frühstück zu mir zu nehmen.“
Andrew ging mit ins Restaurant. Er sah zu, was Josuah Parker unter einem frugalen Frühstück verstand. Der Butler bestellte sich schwarzen Kaffee. Porridge, zwei gebratene Eier auf Schinken, gegrillten Seelachs, eine gehörige Portion Stilton-Käse und schließlich einige Scheiben Toast. Er aß mit gutem Appetit und übersah die finstere Miene des Amtsvertreters.
„Ich kann nicht warten, bis Sie das alles gegessen haben“, sagte Andrew schließlich. „Ich muß noch einmal genau wissen, was Sie in der vergangenen Nacht getrieben haben.“
„Haben Sie sich inzwischen nicht im Sherman-Hotel erkundigt, ob ich die Wahrheit gesagt habe?“
„Ich habe Sie etwas gefragt, Parker.
„Darf ich mit einer Gegenfrage antworten?“
„Na, los schon …!“
„Warum handeln Sie eigentlich wider alle Regeln der Logik, Sir?“
„Werden Sie bloß nicht frech, Parker!“
„Falls Sie damit eine bestimmte Reaktion erzielen wollen, so sollten Sie daran denken, daß Übertreibungen häufig schädlich sind.“
„Wie meinen Sie das, Parker? Los, reden Sie weiter!“
„Ich glaube, Sie richtig einzuschätzen, Sir. Ich halte Sie keineswegs für so borniert, wie Sie sich nach außen hin zeigen und geben. Mit anderen Worten und positiv ausgedrückt, ich halte Sie für einen Mann, der genaue Ziele verfolgt, der Umwege einschlägt, weil sie schneller ans Ziel führen.“
„Und weiter …!?“ Andrew grinste grimmig.
„Sie müssen wahrscheinlich so agieren, weil Sie den heimlichen und offenen Einfluß zweier miteinander befeindeter Familien genau und richtig einschätzen. Doch ich darf meine Warnung noch einmal wiederholen, Übertreibungen können schaden.“
„Jetzt erwarten Sie wohl, daß ich mich an Ihrer Brust ausweine, wie?“
„Dies würde Ihnen kaum stehen, Mr. Andrew. Ich frage mich nur, ob die von Ihnen geplanten und eingeschlagenen Umwege vielleicht nicht etwas zu verschlungen sind.“
„Sie reden mal wieder in Rätseln.“
„Ich fühle genau, daß Sie dabei sind, die Macht der beiden Familien zu brechen. Ich ahne ferner, daß Sie hinter einem großen Fall her sind … Aber man kann sich taktisch verzetteln, wenn ich es so umschreiben darf. Irgendwann werden Sie Ihre Reserve verlassen und angreifen müssen, doch diesen Zeitpunkt wollen Sie wohl so lange und spät wie möglich hinausschieben.“
Andrew zündete sich eine Zigarette an und musterte den Butler aus zusammengekniffenen Augen.
„Sie griffen ausgesprochen freudig zu, Mr. Andrew, als ich Ihnen als Auswärtiger über den Weg lief. Sie hatten damit eine Person gefunden, die sie Ihren Gegnern zum Fräße vorwerfen wollten und konnten. Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen keineswegs paßt, daß diese Figur sich inzwischen selbständig gemacht hat.“
„Sie bilden sich eine Menge ein, Parker …!“
„Sie wissen inzwischen sehr genau, wer ich bin, woher ich komme und daß ich zusammen mit meinem jungen Herrn hin und wieder heikle Staatsaufträge übernehme. Das macht mich zwar grundsätzlich und von vornherein nicht unschuldig, aber die Wahrscheinlichkeit, daß meine Wenigkeit ein Mörder ist, wird dadurch doch mehr als gering … Warum sträuben Sie sich? Warum wollen Sie sich meiner Arbeit nicht anschließen!?“
„Ich brauche keine fremde Hilfe …“
„Unterschätzen Sie Rauschgifthändler nicht, Mr. Andrew …!“
„Rauschgifthändler …!?“
„Mein junger Herr wird Ihnen ja mit größter Sicherheit von den drei Marihuana-Zigaretten berichtet haben, die ich bei Glenn Harpers fand.“
„Wie kommen Sie auf diesen Blödsinn …? Marihuana-Zigaretten …! Ich habe nichts gefunden. Prägt sich also, wer wen bluffen will …! Mich legen Sie nicht aufs Kreuz, Parker, mich nicht …! Ich kenne die Verhältnisse hier besser als Sie …!“
Andrew stand auf und wollte gehen.
„Einen kleinen Moment noch, Sir.“ Parker erhob sich ebenfalls höflich, „wollen Sie wirklich behaupten, keine Marihuana-Zigaretten bei Glenn Harpers gefunden zu haben? Sie staken in seinem Zigarettenetui …!“
„Glenn Harpers hatte überhaupt kein Etui bei sich“, sagte Andrew und sah den Butler verkniffen an, „lesen Sie’s im Bericht nach, darin ist alles genau auf geführt! Und dieser Bericht ist schließlich amtlich … Mahlzeit …!“
Andrew drehte sich um und stampfte aus dem Restaurant. Die beiden Kellner sahen ihm erstaunt nach. Parker setzte sich wieder und widmete sich seinem frugalen Frühstück. Dabei gingen ihm verständlicherweise allerlei Gedanken durch den Kopf.
Nach dem Frühstück ging er zurück zum Hotel, um seinen Mietwagen zu holen. Auf dem Parkplatz wurde er bereits von Richard Farewell erwartet. Die wahrscheinlich noch leicht lädierte Hand des jungen Mannes stak in einem schwarzen Lederhandschuh.
Richard Farewell war übrigens nicht allein.
Neben einem parkenden Personen-Combi standen drei leicht krummbeinige Cowboys, die ganz offensichtlich zu ihm gehörten.
„Mein Vater will Sie sprechen“, sagte Richard Farewell, „meine Jungens und ich werden Sie zu ihm bringen, falls Sie nichts dagegen haben.“
„Welch ein erfreulicher Zufall“, antwortete der Butler, „ich hatte ohnehin die Absicht, mich einmal auf der Farewell-Ranch umzusehen. Ich nehme Ihre Einladung mit Freude und Dank entgegen und an. Ich verspreche mir davon einen erholsamen Vormittag, der dazu noch abwechslungsreich verlaufen könnte …“
*
Das Ranchhaus der Farewells konnte sich ebenfalls sehen lassen. Von der Anlage und Dimension her war es um keinen Deut kleiner als das der Harpers. Der Farewell-Besitz befand sich ebenfalls in einem Tal und bot riesige Weideflächen und gutes frisches Quellwasser.
Parker stieg aus dem Combi und ging dann zusammen mit Richard Farewell auf das Ranchhaus zu. Die drei leicht krummbeinigen Cowboys blieben zurück. Sie warteten wohl auf das Einsatzzeichen.
„Hat er Schwierigkeiten gemacht?“ fragte ein schmaler, drahtiger Mann von etwa 60 Jahren, dessen Haar schlohweiß war. Vom Typ her erinnerte er trotz seiner Schmalheit an Walt P. Harpers. Auch Cliff Farewell war es gewohnt zu kommandieren. Er war der Herr dieses Tals und sein Wort war sicher so etwas wie das Gesetz, wenn auch auf sich und seine Bedürfnisse zugeschneidert.
„Hätte er gar nicht riskiert“, sagte Richard Farewell etwas großmäulig.
„Sind Sie so sicher, Mr. Farewell?“ sagte der Butler höflich. Dabei sah er wirklich zufällig auf die Hand, die im schwarzen Handschuh steckte.
„Sie sind also dieser komische Butler“, schaltete Cliff Farewell sich ein. Er musterte den Butler amüsiert. „Daß es so was überhaupt noch gibt, hätte ich niemals gedacht.“
„Selbst ein Cliff Farewell lernt also noch dazu“, antwortete der Butler gemessen, „ein hoffnungsvolles Zeichen, wie ich bemerken möchte.“
„Setzen Sie sich, Parker! Ich habe einige Fragen an Sie.“ Cliff Farewells Gesicht zeigte keinen Humor mehr. Die Bemerkung des Butlers schien ihn verstimmt zu haben. „Ich denke, wir können es kurz machen, Mr. Parker. Mit Geld läßt sich vieles regeln … Wieviel verlangen Sie für ein paar Auskünfte?“
„Um welche Auskünfte soll es sich handeln, Sir?“
„Wer hat Sie angestiftet, Gloria Farewell umzubringen? Daß es nicht klappte, steht ja auf einem anderen Blatt.“
„Weshalb sollte ich Miß Gloria umbringen?“
„Das habe ich Ihnen doch schon erklärt“, brauste Richard auf. „Glenn war sauer, daß ich ihm Gloria ausgespannt hatte. Er engagierte Sie, um Gloria aus dem Weg zu räumen. Sein Pech, daß er in der betreffenden Nacht zu ihr in den Wagen stieg, ohne Ihnen etwas zu sagen. Als Sie diesen Unfall inszenierten, wußten Sie nichts davon. Glenn Harpers ging drauf, aber Gloria kam mit dem Leben davon.“
„Sie machen es sich sehr einfach, junger Mann.“
„Ich bin nicht Ihr junger Mann.“
„Dann eben sehr junger Mann, wenn ich es so umschreiben darf. Ich begreife offen gesagt nicht, daß hier wechselseitig von Mord gesprochen wird, einmal von der Familie Harpers, dann wieder von der Familie Farewell … Noch weniger begreife ich, daß ausgerechnet meine Wenigkeit der Mörder sein soll. Dies schmeichelt mir keineswegs, ich möchte doch nicht hoffen, daß ich der Prototyp eines Mörders bin, schon rein äußerlich gesehen.“
„Sie waren am Tatort, als Culpers und Higgins eintrafen.“ Cliff Farewell hatte das Gespräch übernommen, „Sie, Parker, wurden auf frischer Tat ertappt …!“
„Dies ist mir allerdings neu … Um welche frische Tat soll es sich denn gehandelt haben?“
„Sie sorgten dafür, daß Glorias Wagen von der Straße abkam.“
„Und wie, wenn ich höflichst fragen darf?“
„Durch irgendeinen Trick, der hier überhaupt nicht zur Debatte steht.“
„Ähnliches behauptet auch die Familie Harpers. Nur soll ich hier der Mörder von Glenn sein, und zwar im Auftrag der Farewell.“
„Typisches Ablenkungsmanöver …! Parker, hören Sie genau zu! Ich biete Ihnen eine ansehnliche Summe, falls Sie mir sagen, daß Glenn Harpers hinter dem Unfall stand. Mehr will ich überhaupt nicht wissen …!“
„Das gleiche Angebot erhielt ich bereits von der Familie Harpers, Mr. Farewell. Ich mußte dort schon einmal dankend ablehnen.“
„Sie haben es nicht anders gewollt, Parker. Wenn Sie nicht freiwillig gestehen, muß ich die Wahrheit mit anderen Mitteln aus Ihnen herausholen lassen. Rich… Hol’ die Jungens …!“
Richard Farewell verließ den Raum, in dem Parker stand. Der Butler war deshalb aber nicht die Spur beunruhigt. Er wandte sich an den alten, weißhaarigen Farewell.
„Dieser Haß zwischen Ihnen und den Harpers soll ja schon seit Generationen bestehen“, schickte er gemessen voraus, „ich begreife allerdings nicht, wieso er sich solange erhalten konnte. Welcher Anlaß dazu liegt vor, Sir? Würden Sie mir einen Hinweis liefern?“
„Das hängt mit einer alten Silbermine zusammen“, sagte Farewell, „sie liegt genau zwischen unseren beiden Tälern und sie gehörte schon immer uns … Als wir auf das Seitental ’rüberbohrten, regte Harpers sich auf. Nicht dieser Harpers hier, seine Urgroßeltern … Und dabei ist es bis heute geblieben.“
„Ein wahrlich aktueller Anlaß, um den Haß zu konservieren und zu pflegen“, meinte Josuah Parker und schüttelte mißbilligend den Kopf, „auf ein paar Morde mehr oder weniger scheint es dabei nie angekommen zu sein.“
„Wer angegriffen wird, wehrt sich eben.“
„Sind Sie sicher, daß Mr. Harpers nicht auch so denkt …?“
„Was Harpers denkt und tut, interessiert mich nicht. Jetzt hat er versucht, seinen Einfluß in der Stadt auszuweiten. Aber warten wir die nächsten Wahlen ab, dann sind die Farewells wieder oben. Dann weht ein anderer Wind.“
„Sie betrachten Heartville als Ihr Eigentum?“
„Wer hat Heartville zu dem gemacht, was es heute ist?“
„Sind Sie wirklich so stolz darauf, Mr. Farewell? Heartville, dies habe ich inzwischen deutlich gemerkt, duckt sich unter den Farewells und Harpers … Ein wunderschöner Zustand …! Eine Stadt, die unter psychologischem Terror steht. Sie können stolz darauf sein, was Sie aus Heartville gemacht haben.“
„Ihnen als Fremdem steht da überhaupt kein Urteil zu“, schnauzte Cliff Farewell, „bleiben wir beim Thema … Wollen Sie Ihren Auftraggeber nicht freiwillig preisgeben, werden wir Sie dazu zwingen. Ich gebe Ihnen eine Minute …!“
Die drei leicht krummbeinigen Cowboys schienen über eine gute, innere Antenne zu verfügen. Sie erschienen jetzt im Ranchhaus und bauten sich unauffällig an der Tür auf. Sie warteten wohl nur noch auf ein Zeichen ihres Herrn und Meisters.
Parker hatte keineswegs die Absicht, sich an der geplanten Auseinandersetzung zu beteiligen. Er entschloß sich, zu drastischen Maßnahmen zu greifen. Er wollte gewisse Verfahren abkürzen und griff daher nach seinem Zigarrenetui.
„Sie gestatten“, sagte er in Richtung Cliff Farewell, „bei einer guten Zigarre läßt es sich besser nachdenken, wie schon der Duke of Lonsdale zu sagen pflegte!“ Parker nahm die pechschwarze Zigarre, die an einen Torpedo erinnerte, in die Hand, um sie dann plötzlich in der Mitte durchzubrechen. Die beiden Zigarrenhälften landeten auf dem Boden und entpuppten sich in der Folge als unangenehme Überraschung …
*
Die drei leicht krummbeinigen Cowboys griffen automatisch nach ihren Colts, doch als sie ihr Ziel an visieren wollten, war es schon nicht mehr vorhanden.
Dichte Nebelschwaden wallten durch den großen Raum und hüllten alles ein. Cliff Farewell schrie unverständliche Satzfetzen in diesen Nebel hinein, Richard Farewell, der sich auf den Butler hatte werfen wollen, stieß gegen eine Tischkante und fluchte ausgiebig. Die drei Cowboys spritzten auseinander und suchten Parker zu erwischen. Sie rammten Stühle, Schrankecken und zogen sich leichte bis mittelschwere Prellungen zu. Das Durcheinander war vollkommen und komplett.
Parker setzte sich derweil gemessen und würdevoll ab.
Er beging nicht den Fehler, hinaus ins Freie gelangen zu wollen. Er schritt Stufe für Stufe hinauf ins Obergeschoß, leise wie eine Katze. Im Gegensatz zu seinen Gegnern brauchte er nicht zu husten oder zu würgen. Er atmete durch den Filter einer Spezialzigarre und hatte nicht die geringsten Schwierigkeiten.
An der Galeriebrüstung oben blieb er stehen und sah in den wallenden Nebel hinunter. Die Farewell-Männer schienen inzwischen aneinander geraten zu sein. Man hörte harte, dumpfe Schläge, Fluchen, Stöhnen und Aufschreie. Die Farewell-Männer waren prächtig miteinander beschäftigt und kamen überhaupt nicht auf die Idee, ihr Opfer könnte sich inzwischen höflich abgesetzt haben.
Parker verließ die obere Galerie und betrat eines der Zimmer. Er hatte ausgesprochenes Glück und stand in einem sehr männlich eingerichteten Schlafraum, in dem Mr. Cliff Farewell wohl schlief. Neben dem mächtigen Bett im altenglischen Kolonialstil stand ein großer Arbeitstisch, da war ein klotziger Schrank und ein Sekretär schließlich, dessen Lade weit geöffnet war. Auf dieser Schreibunterlage bewegten sich Schriftstücke und Papiere in einem leichten Luftzug, der durch das halb hochgeschobene Fenster eindrang.
Parker, stets interessiert und zu interessieren, warf einen schnellen, aber intensiven Blick auf die Schriftstücke. Es handelte sich um Abrechnungen, Kontoauszüge und um einige Schreiben einer Anwaltfirma aus Denver.
Parker wollte schon weiter zum Fenster geben, als sein Blick von einem Namen abgelenkt wurde. Er blieb stehen, beugte sich zurück über die Schriftstücke und nahm ein besonderes Schreiben hoch, um den Text besser lesen zu können.
Die Anwaltfirma teilte Cliff Farewell mit, es sei ihr gelungen, weitere Aktienpapiere aufzukaufen. Es bestehe ferner die große Wahrscheinlichkeit, daß Mr. Farewell noch im Lauf dieses Jahres die Aktienmajorität erreichen würde. Besonders aufschlußreich war die Tatsache, daß es sich um Aktienanteile handelte, die sich auf das Sherman-Hotel bezogen.
Cliff Farewell war also dabei, sich in das Sherman-Hotel einzukaufen. Heimlich und über die bewußte Firma in Denver.
Parker las weiter.
Die Herren Anwälte sprachen in einem weiteren Absatz davon, es ergäben sich gewisse Schwierigkeiten beim Ankauf dieser speziellen Papiere. Ein anonymer Aufkäufer sei gleichfalls bestrebt, das Sherman-Hotel an sich zu bringen. Man versuche, den Namen dieses Interessenten herauszufinden.
Parker schob das Papier zurück auf die Lade des Sekretärs und trat nun endgültig ans Fenster.
Er stutzte …!
Weit hinter einem kleinen Waldstück erschienen gerade zwei Personen-Combis, die in schneller Fahrt heranpreschten. Hatte Farewell Verstärkung herbeordert oder erhielt er Besuch?
Schritte vor der Zimmertür …!
Josuah Parker hielt es für angebracht, sich erst einmal in Deckung zu begeben. Er verschwand in einer schmalen Nische, die von einem Schrank und von der Wand gebildet wurde. Wenig später kam Cliff Farewell hustend und röchelnd in sein Zimmer.
Er sah mitgenommen aus, ging zum Bett und warf sich auf die bunte Indianerdecke.
Parker wollte schon mitfühlende Worte an den erschöpften Mann richten, als Cliff Farewell wieder aufsprang, den Hörer aus der Telefongabel riß und eine Nummer wählte.
„Farewell …!“ trompetete er hustend in die Sprechmuschel. „Hören Sie, Andrew … ich verlange, daß Sie diesen Parker aus dem Verkehr ziehen. Wie, das ist Ihre Sache …! Dieser verdammte Butler bringt ja alles durcheinander. Wie, bitte, ob ich etwas erreicht habe? Er hat etwas erreicht … Er hat uns alle ausgetrickst … Dieser Mann ist gefährlich, falls Sie das noch nicht begriffen haben sollten. Tun Sie also etwas, oder ich pfeife in Zukunft auf Ihre Hilfe …! Ende!“
Cliff Farewell knallte den Hörer in die Gabel und trat ans Fenster, um etwas frische Luft zu schöpfen. Sein Reizhusten legte sich bereits. Er zuckte allerdings wie unter einem Peitschenhieb zusammen, als er draußen vor dem Haus etwas ausgemacht hatte, was ihm wohl nicht sonderlich paßte.
Cliff Farewell rannte zurück zur Tür, riß sie auf und brüllte nach unten ins Erdgeschoß: „Die Harpers …! Paßt auf, Jungens! Die Harpers …! Jagt sie zum Teufel …!“
*
Parker saß wie in einer Loge und sah sich das Schauspiel an. Vor dem Haus der Farewells war es inzwischen zu einer solennen Prügelei gekommen. Die Harpers-Leute schlugen sich mit den Farewell-Männern herum. Dies alles spielte sich unmittelbar vor dem Fenster ab, an dem der Butler stand.
Josuah Parker hatte seinen Standort gewechselt und befand sich in einer Art Wintergarten. Vor ihm auf langen Fensterbänken standen Blumenkästen, in denen Kakteen wucherten. Um wüstenähnliche Bedingungen zu schaffen, waren die Kästen mit Kiesgeröll aufgefüllt worden. Parker sah wohlgefällig auf diese runden Kiesel. Man schien sie extra für ihn angeschafft zu haben.
Walt P. Harpers und Cliff Farewell waren vor dem Haus dabei, sich mittelschwere Verletzungen beizubringen. Mit der verbissenen Wut haßerfüllter Männer schlugen sie aufeinander ein. Der Kampf stand zur Zeit noch unentschieden.
Richard Farewell drosch sich mit den beiden Harpers-Profis und drohte zu unterliegen, zumal seine Rechte ja nicht ganz einsatzfähig war. Das Fußvolk der Harpers und Farewells schenkte sich nichts. Erfreulicherweise hatte man aber bisher darauf verzichtet, nach den Schußwaffen zu greifen, ein gewisser Sportgeist schien noch zu herrschen.
Parker wollte jedes Risiko vermeiden.
Er hatte seine zusammenlegbare Gabelschleuder aufmontiert und eine Reihe schöner, glatter, runder Kiesel bereitgelegt. Das erste Geschoß lag bereits abwartend in der Lederschlaufe der Gabelschleuder.
Richard Farewell wußte sich plötzlich nicht mehr zu helfen. Er warf sich zurück, griff in die Hosentasche und zog eine Schußwaffe.
Parker beeilte sich daraufhin, den ersten Kiesel auf den Weg zu schicken.
Richard Farewell wurde voll am Hinterkopf getroffen, bevor er blankziehen konnte. Er blieb für Bruchteile von Sekunden steif und starr stehen. Dann sackte er in sich zusammen und schaltete ab.
Die beiden Harpers-Profis waren mehr als überrascht, als der junge Farewell nicht mehr mitspielte. Da sie jetzt aber frei waren, wollten sie sich zusätzlich auf Cliff Farewell stürzen und ihren Boß entlasten.
Zwei runde, glatte Kiesel beendeten dieses Unternehmen, bevor es überhaupt entwickelt werden konnte. Die beiden Profis legten sich schlafen und zeigten kein Interesse mehr.
Walt P. Harpers und der alte Farewell stutzten. Ihnen war nicht entgangen, daß drei Männer zu Boden gegangen waren, ohne daß es zu einem vorherigen Schlagabtausch gekommen war.
Es blieb bei diesem Stutzen …!
Zwei Kiesel beendeten die rauhe Unterhaltung der beiden Streithähne. Walt P. Harpers und Cliff Farewell fielen sich im Niedergehen fast freundschaftlich in die Arme. Sie blieben dicht nebeneinander auf dem Boden liegen.
Die übrigen Kämpfer gerieten dadurch etwas aus dem Gleichgewicht. Sie stellten die Prügelei ein und sahen zu den am Boden liegenden Männern hinüber und hinunter. Sie konnten sich diese plötzliche Schlappheit nicht erklären.
Als sie begriffen, war es für sie ebenfalls schon zu spät.
Parkers Schleuderaktion war nicht mehr zu bremsen. Nacheinander kippten die harten Faustkämpfer und Profis aus den Schuhen. Es hatte insgesamt nur zweieinhalb Minuten gedauert, bis das Schlachtfeld einer Liegewiese glich. Josuah Parker konnte wieder einmal restlos zufrieden sein. Doch seine Arbeit war noch nicht getan …!
*
Steif, gemessen und würdevoll begab er sich vor das Haus und sichtete die Schlafenden. Das Schlägerfußvolk interessierte ihn selbstverständlich nicht. Gewiß, er barg die diversen Schußwaffen, Schlagringe und Klappmesser, doch die Männer selbst ließ er liegen. Ihm ging es ausschließlich um Cliff Farewell und Walt P. Harpers. Parker fuhr seinen Mietwagen an die Liegewiese heran und verlud die beiden alten Streithähne. Anschließend bemühte er auch noch Richard Farewell. Ihm ging es darum, die führenden Köpfe der beiden Streitmächte aus dem Verkehr zu ziehen.
Nach etwa fünf Minuten befanden die drei Männer sich an Bord des Wagens. Parker setzte sich ans Steuer und verließ erst einmal das Gelände der Farewells. An der Hauptstraße hielt er und studierte die Karte.
Er fand, wonach er suchte.
Er fuhr ein Stück gen Norden, verließ die Hauptstraße und steuerte den Wagen auf einen schmalen Schotterweg, der steil anstieg. Es zeigte sich wieder einmal, wie gut der Butler zu fahren verstand. Er schaffte es, den schweren, weich gefederten Wagen bis hinauf auf eine Art Hochebene zu bringen. Hier konnte er wieder schneller fahren. Nach knapp einer Stunde hielt er und kümmerte sich um die drei Männer, die natürlich längst wieder zu sich gekommen waren und ihn mit ohnmächtiger Wut anstarrten. Da sie an Händen und Füßen gefesselt waren, mußten sie sich auf diese Wut beschränken. Unternehmen konnten sie nichts. Das stand ihnen noch bevor.
„Ich beglückwünsche Sie zu diesem herrlichen, wunderschönen Wetter“, sagte Parker, während er die drei Männer aus dem Wagen zog und hob. „Sie werden es hoffentlich so recht genießen …!“
„Parker, dafür schneide ich Sie in Stücke!“ drohte Harpers, der vor Wut fast erstickte.
„Dafür lasse ich Ihnen sämtliche Knochen brechen!“ verkündete nun auch Cliff Farewell, der seinem Konkurrenten nicht nachstehen wollte.
„Warten Sie nur, bis ich wieder am Drücker bin!“ sagte Richard Farewell vage.
„Ich kann Ihre Erregung nicht verstehen“, antwortete Josuah Parker, „ich zeige Ihnen die Schönheiten dieses Landes, den tiefen Frieden der Natur, und Sie erregen sich …
„… soll der ganze Quatsch!?“ Walt P. Harpers sah mißtrauisch auf den Butler.
„Sehr einfach, Sie alle werden zu Fuß zurück nach Hause gehen. Nicht mehr und nicht weniger!“
„Sind Sie wahnsinnig, Parker?“ Cliff Farewell stöhnte schon bei dem Gedanken daran auf. „Dazu brauchen wir Stunden!“
„Sie haben mir vor kurzer Zeit noch deutlich bewiesen, wie sportlich und durchtrainiert Sie sind, meine Herren! Ich hege keine Befürchtung, daß Sie es nicht schaffen!“
„Was … was versprechen Sie sich von diesem verdammten Unsinn?“
„Nichts … Oder besser ausgedrückt, genau soviel wie Sie von Ihrer Familienstreiterei, die im Grunde ja ebenfalls sinnlos ist. Wenn Sie möchten, können Sie sich noch ein wenig laben. Wasser wird Ihnen in den kommenden Stunden kaum zur Verfügung stehen.“
Sie wollten sich laben, womit der Butler natürlich fest gerechnet hatte. Dementsprechend hatte er die Wasserflasche auch mit einem kleinen harmlosen Schlafmittel versetzt.
Sie tranken ausgiebig und fühlten sich bald darauf müde. Sie setzten sich in den Schatten des Wagens und waren bald eingeschlafen. Nun konnte Parker mit seiner eigentlichen Arbeit beginnen. Unter dem Beifahrersitz des Mietwagens hatte er diverses Kleingerät deponiert, das man zur Arbeit so brauchte. Darunter befanden sich auch zwei brandneue Handschellen, die der Butler jetzt opferte.
Er schloß Walt P. Harpers an Cliff Farewell, der seinerseits mit seinem Sohn Richard innigst verbunden wurde. Anschließend entlieh der Butler sich das Schuhwerk der drei Streithähne und warf es in einen nahen und tiefen Felsspalt.
Parker setzte sich zurück in den Wagen, ließ die Geländekarte zur besseren Orientierung neben den Schlafenden und fuhr zurück zur Hauptstraße. Er war sicher, ein gutes Werk getan zu haben. Die drei Streithähne hatten jetzt Zeit und Gelegenheit, sich alles vorzuwerfen, sich noch einmal auszusprechen und vielleicht auch zu erkennen, wie idiotisch sie sich benommen hatten.
*
„Was war denn draußen auf der Farewell-Ranch los?“ fragte Sheriff Andrew etwa eine Stunde später. Er stand wie absichtslos im Vorraum des Hotels.
„Die Herren Cliff und Richard Farewell waren so freundlich, mich zu einer Betriebsbesichtigung einzuladen“, antwortete Parker.
„Ich habe mir sagen lassen, daß dort allerhand losgewesen sein muß.“
„Ein stattliches Anwesen, das man meiner bescheidenen Wenigkeit zeigte!“
„Reden Sie doch nicht um den heißen Brei herum, Parker! Sagen Sie schon, wo Sie die Farewell und Harpers gelassen haben. Die werden nämlich von ihren Angestellten seit ein paar Stunden vermißt.“
„In der Tat?“ wunderte Parker sich höflich.
„Ich will wissen, was passiert ist, Parker …!!“
„Lassen Sie sich das von den bewußten Herren doch selbst berichten“, schlug der Butler vor, „ich fühle mich nicht befugt, Erklärungen abzugeben, die vielleicht mißverstanden werden könnten.“
„Sie spielen verdammt hoch, Parker! Sheriff Andrew wirkte mißmutig.
„Nur wer einsetzt, hat auch die vage Möglichkeit, einen Gewinn einzustreichen“, erklärte Parker. „Haben Sie weitere Fragen, Sir?“
„Ich möchte wissen, wieso alle Angestellten von Farewell und Harpers dicke Beulen an den Köpfen haben. Kommt mir ziemlich rätselhaft vor.“
„Allerdings, Sir … Hat man schon herausgefunden, woher diese kleinen, sicher harmlosen Verletzungen stammen?“
„Nein, man hat nicht“, sagte Andrew ärgerlich. „Aber ich werde schon noch dahinterkommen. Ich wette, Sie haben Ihre Hand wieder im Spiel gehabt.“
„Ich möchte Ihnen ehrlichkeitshalber nicht widersprechen, Sir. Darf ich mich jetzt verabschieden?“
„Gehen Sie, Parker! Und fühlen Sie sich nicht zu sicher … Heartville hat schon ganz andere Leute kleinbekommen …!“
„Nicht Heartville, Sir, die Familien Harpers und Farewell, wie ich wohl vermuten darf. Darf ich übrigens fragen, ob Sie mit der Entwicklung der Dinge zufrieden sind?“
„Wie meinen Sie das?“
„Nun, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß ich Ihnen in die Hand arbeite … Bleiben nur noch die beiden Morde, falls Glenn Harpers wirklich ermordet wurde.“
„Er wurde ermordet“, sagte Andrew leise.
„Sie besitzen Beweise, Sir?“
„Er wurde ermordet“, wiederholte Sheriff Andrew noch einmal. „Ich habe eine Autopsie vornehmen lassen. Raten Sie mal, woran Glenn starb?“
„Ich möchte Ihnen nicht vorgreifen, Sir.“
„Er wurde erschossen … Der Arzt fand das Geschoß im Schädel des Toten. Eigentlich durch einen Zufall, wenn man es richtig nimmt. Die äußeren Verletzungen hatten die Einschußöffnung ungewollt getarnt.“
„Also tatsächlich zwei Morde … Einmal Glenn Harpers, dann Ray Fenmore …“
„Der wie Harpers erschossen wurde, wahrscheinlich mit derselben Waffe.“
„Ob Harpers und Fenmore Dinge entdeckten, die vertuscht werden sollten? Wie im Falle jenes jungen Mannes, der bei einer Bergtour verunglückte?“
„Woher wissen Sie von dieser Geschichte?“ fauchte Andrew den Butler sofort an und kniff wieder einmal seine Augen zusammen.
„Ich ließ mich von berufener Seite informieren, Sir … Versuchte Detektiv Fenmore diesen Unglücksfall aufzuklären?“
„Möglich!“ Andrew wurde wortkarg. „Hatten Sie ihn von Denver aus angefordert, nachdem Sie allein nicht weiterkamen?“
„Was geht das Sie an, Parker! Kümmern Sie sich nicht um fremde Angelegenheiten!“ Andrew wurde giftig, musterte den Butler mit seinen Augen. Er wandte sich ab und verließ die Hotelhalle. Parker schaute ihm nach, und die Andeutung eines sehr feinen Lächelns umspielte dabei seinen Mund …
*
„Endlich komme ich dazu, mich bei Ihnen zu bedanken“, sagte Gloria Farewell, die Leiterin des Sherman-Hotels. Sie hatte den Butler in ihrem Büro empfangen und lächelte ihm entgegen. Sie reichte ihm spontan beide Hände und bat ihn dann, Platz zu nehmen.
„Es war selbstverständlich, was ich tat“, gab Parker zurück. „Darf ich mich nach Ihrem werten Befinden erkundigen?“
„Es geht mir überraschend gut“, sagte sie, „die paar Prellungen und Kratzer sind bald vergessen … Ich glaube, ich habe im Gegensatz zu Glenn Harpers wohl großes Glück gehabt, wie?“
„In der Tat, Madam … Mr. Glenn Harpers war leider nicht mehr zu helfen. Macht es Ihnen etwas aus, mir einige
Fragen zu beantworten, die Sie vielleicht schockieren könnten?“
„Lassen wir es darauf ankommen … Darf ich Ihnen etwas servieren lassen?“
„Einem guten alten Cognac wäre ich nicht abgeneigt, wie ich ehrlicherweise gestehen möchte.“
Gloria Farewell telefonierte mit der Bar und sah den Butler dann fragend an. Sie hatte sich von dem Unglück tatsächlich erholt, trug ein kniefreies, weichfließendes Jerseykleid und sah sehr attraktiv aus.
„Nun denn, Madam, hörten Sie kurz vor dem Unglück, das wir alle so sehr bedauern, einen Schuß?“
„Danach fragte mich Sheriff Andrew schon … Nein, ich hörte nichts. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß auf uns geschossen worden sein sollte.“
„Wie kam es zu dem bewußten Unfall, Madam? Könnte ich Details erfahren?“
„Glenn und ich waren im Fairplay. Wir hatten dort eine sehr private Aussprache und fuhren dann zurück nach Heartville. Es war neblig, dunkel. Ein scheußliches Wetter. Ich sagte Glenn immer wieder, er solle nicht so schnell fahren. Plötzlich verriß er aus unerklärlichen Gründen das Steuer und verlor die Gewalt über den Wagen. Wissen Sie, Mr. Parker, es ging alles so furchtbar schnell … Ich glaube, ich muß sehr geschrien haben, als wir auf den Geröllhang zuschossen, Sekunden später war bereits alles geschehen.“
„Sie hatten eine private Unterhaltung mit Mr. Glenn Harpers. Madam … Ging es darum, daß Sie ihm gestanden, sich mit Richard Farewell zusammentun zu wollen?“
„Ja!“ sagte sie nur. „Ich mochte Harpers, aber auf die Dauer war er mit seiner Eifersucht unerträglich … Er … er erstickte mich mit seinen Fragen und Vorwürfen. Ich wollte mich in aller Freundschaft von ihm trennen.“
„Wie nahm Glenn Harpers diese Nachricht auf?“
„Nun ja, er war erregt, was ich verstehen kann. Schließlich sah er aber ein, daß eine Freundschaft zwischen uns wichtiger war als eine endgültige Trennung.“
„Ist Ihnen inzwischen bekanntgeworden, daß man meine Wenigkeit für einen Mörder hielt? Einmal soll ich für die Familie Harpers, dann wieder für die Farewells diese Tat begangen haben.“
„Andrew deutete so etwas an. Ich halte das für ausgemachten Unsinn.“
„Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen, Madam …“
„Und ich muß mich noch einmal dafür bedanken, daß Sie mich gerettet haben, Mr. Parker. Das werde ich Ihnen nie vergessen. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen. Hätten Sie nicht Lust, mein Gast zu sein? Hier oben im ‚Sherman‘ …?“
„Oh, Madam … Sie beschämen mich zutiefst, zumal ich wirklich die Neigung verspüre. Ihre Einladung anzunehmen.“
„Das ist ja wunderbar“, sagte sie lächelnd. „Wenn Sie erlauben, werde ich wegen des Gepäcks alles regeln. Sie könnten sofort hier oben bleiben.“
„Ich weiß nicht, Madam, wie ein alter, müder und relativ verbrauchter Mensch sich dafür revanchieren soll!“
„Aber das alles ist doch selbstverständlich“, entgegnete Gloria Farewell. „Ohne Ihr Eingreifen wäre ich draußen in der Schlucht umgekommen.“
„Sie erlauben, daß ich widerspreche, Madam … Sie vergessen die beiden Hilfssheriffs Culpers und Higgins. Sie überraschten mich immerhin am Wrack. Sie hätten Sie sicher ebenfalls gefunden.“
„Möglich, Mr. Parker … Aber, jetzt wollen wir das alles vergessen. Ich lebe und freue mich, daß es so ist. Wenn Sie einverstanden sind, zeige ich Ihnen jetzt Ihr Apartment … Sie können so lange bleiben, wie Sie wollen.“
„Ich weiß Ihre Gastfreundschaft zu schätzen, Madam … Ich habe gehört, daß man im Sherman-Hotel gewisse Gesundheitskuren durchführen kann.“
„Selbstverständlich, Mr. Parker, das ist ja die Spezialität unseres Hauses … Setzen Sie sich mit Mr. Litch in Verbindung! Er hat da so seine bestimmten Erfahrungen und wird Sie mit unserem Hausarzt bekannt machen.“
Parker folgte Gloria Farewell, die er wirklich und in der Tat äußerst bezaubernd fand …
*
Die beiden langbeinigen Blondinen nahmen ihn in Empfang. Ernest Litch lächelte breit und zufrieden.
„Sie können sich unseren beiden Hostessen ruhig anvertrauen“, sagte Litch. „Sie werden sehen, nach der Sauna und Massage fühlen Sie sich wie neugeboren. Bis bald!“
Parker nickte den beiden jungen Damen freundlich zu und ließ sich zusammen mit ihnen vom Lift in das Souterrain des Hotels bringen. Er hatte eine mehr als oberflächliche Untersuchung durch Doktor Frazer hinter sich, der ihn für völlig gesund erklärte und keine Bedenken hatte, daß Parker die Hotelsauna besuchte.
Parker sah die beiden kühlen Blondinen verstohlen an. Waren es jene beiden Frauen, die den später ermordet aufgefundenen Ray Fenmore in der bewußten Nacht hinaus ins Freie geschafft hatten?
In der Bäderabteilung des Hauses wurde er an zwei weitere Blondinen weitergereicht. Diese Mädchen trugen oberschenkellange Frottemäntel, tailleneng gebunden. Sie sahen in dieser Verpackung sehr frisch und lebenswarm aus.
„Darf ich Ihren Laufzettel sehen?“ fragte eine der Blondinen. „Ach ja. Zuerst Einzelsauna, dann Massage, anschließend eine halbe Stunde Ruhe. Wir wünschen Ihnen gute Erholung, Sir …! Wenn Sie uns bitte folgen wollen …“
Parker befand sich nicht allein im Souterrain des Sherman-Hotels.
Im Grunde herrschte hier unten ein reger Betrieb. Herren aller Altersklassen, meist angetan mit Bademänteln, wurden von Blondinen betreut und umhegt. Es herrschte eine etwas freie, ausgelassene Atmosphäre, wie man sie in Bäderhotels häufig antreffen kann.
Parker hatte inzwischen seine Einzelsauna erreicht und betrat den kleinen Raum, der völlig mit Holz ausgeschlagen war. In einer Ecke stand ein mit Draht geschützter Spezialofen. Elektrostäbe heizten dicke Steine auf, die nach dem automatischen Abschalten mit Wasser übergossen wurden. Der entstehende Heißdampf sollte dann anschließend die Körper zum totalen Schwitzen bringen.
Parker hatte bisher genau beobachtet und nichts festgestellt, was auf Taktlosigkeiten des weiblichen Personals oder der Badegäste schließen ließ. Wenn der Ton auch frei war, so gestatteten sich die Anwesenden keinesfalls Freiheiten, die über das normale Maß hinausgingen.
„Falls es Ihnen zu heiß wird, Sir, oder Sie spüren, daß Ihnen vielleicht etwas schlecht wird, so drücken Sie bitte dort auf die Klingel. Die Tür läßt sich selbstverständlich auch von innen öffnen. Dazu brauchen Sie nur diesen Hebel hier aufzudrücken. Und nun wünsche ich Ihnen eine angenehme Sauna …!“
Parker blieb im kleinen Vorraum zurück, in dem die Kleidung abgelegt werden konnte. Er dachte nicht im Traum daran, sich der Sauna hinzugeben. Ihm war es nur darum gegangen, gewisse Ortsstudien zu betreiben. Er wollte herausfinden, was sich im Souterrain des Hotels tat, wollte testen, ob die langbeinigen Blondinen sich an die Spielregeln menschlichen Zusammenseins hielten, und zwar unter den strengen Richtlinien, die Parker anzulegen bereit war.
Die Haupttür schloß sich hinter ihm. Parker sah in die eigentliche Sauna hinein, wo der Elektroofen bereits arbeitete und eine schon fast erstickende Wärme verbreitete.
Parker trat in den kleinen Raum. Er hatte vor, das bereitstehende Wasser auf die heißen Steine zu stürzen, um dann schleunigst wieder in den Vorraum zurückzugehen. Wie gesagt, er wollte sich den Strapazen der Sauna auf keinen Fall unterziehen.
Er hatte die Rechnung ohne gewisse Automatiken gemacht …!
Als das Wasser auf die glühheißen Steine stürzte und sich unter gurgelndem Zischelt heißer Dampf entwickelte, schwang die Tür der kleinen Sauna automatisch zu und fiel ins Schloß. Parker merkte dies erst, als er wieder zurück in den Vorraum gehen wollte.
Er versuchte die Tür zu öffnen, doch sie rührte sich nicht.
Parker bemühte den Hebel, den die langbeinige Blondine ihm gezeigt hatte.
Die Tür rührte sich nach wie vor nicht, ja, sie schien von außen zugenagelt worden zu sein.
Die Hitze und der Wasserdampf schienen sich von Sekunde zu Sekunde zu steigern. Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß Parker bereits im wahrsten Sinne des Wortes der Schweiß ausgebrochen war, der erstaunlicherweise kalt war, was in Anbetracht der herrschenden Hitze zumindest ungewöhnlich zu nennen war …!
*
Die Hitze steigerte sich bis zur Unerträglichkeit.
Parker versuchte den Heizofen abzustellen, doch dies war nicht möglich. Schalter und Leitung führten direkt durch die Wand und befanden sich wohl auf der Außenseite der Holzkabine. Hinzu kam, daß aus einem automatisch gesteuerten Zufluß immer wieder Wasser auf die glühenden Steine fiel. In der Sauna herrschten bereits Temperaturen, die das Atmen schwierig machten.
In Anbetracht der Lage gestattete der Butler sich den Luxus, sich Jackett und Weste aufzuknöpfen. Als die Hitze sich weiter steigerte, lockerte er sogar die Krawatte, was er sich sonst niemals verziehen hätte. Korrektheit ging ihm ja über alles.
Parker hatte einige Male gegen die Tür geklopft, doch schnell eingesehen, daß draußen bestimmt nichts gehört wurde. Sein anfänglicher Verdacht wurde langsam zur Gewißheit. Man hatte ihn in eine sehr raffinierte Falle gelockt und wollte ihn hier wohl umkommen lassen. Das Sherman-Hotel hatte es eben doch in sich. Ob Gloria Farewell wohl davon wußte? Oder ob all dies auf Ernest Litch zurückging?
Parker hatte sich auf den Lattenrost gesetzt und atmete tief am Boden, wo die Luft noch einigermaßen erträglich war. Lange hielt dies aber bestimmt nicht vor. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er elend erstickte. Und genau dies hatte man mit ihm wohl vor.
Parkers Unmut steigerte sich langsam.
In einer Sauna umkommen! Dies fand er nicht besonders standesgemäß für einen hochherrschaftlichen Butler. Er machte sich ja nachträglich noch zum Gespött seiner Standesgenossen …
Die alte Energie kehrte in ihn zurück.
Es galt, erst einmal den Ofen abzustellen. Dazu mußte er sich eben etwas einfallen lassen.
Parker arbeitete sich durch den feuchten, dichten und heißen Nebel noch einmal an diesen Ofen heran und untersuchte ihn mit der Spitze seines Universal-Regenschirms.
Die Dinge lagen sehr einfach.
Der Ofen stand vor einer Asbestplatte an der Wand. Durch diese Asbestplatte führte das Stromzuführungskabel. Und dieses Kabel mußte irgendwie durchtrennt werden.
Parker schraubte einen seiner Kugelschreiber auf und schob die Mine dicht an die Asbestplatte heran. Es gelang ihm, sie auf das Panzerkabel zu bringen, das die Zuleitung schützte. Er zündete die Spitze der Kugelschreibermine mit einem Streichholz und trat sicherheitshalber zurück.
Die Mine arbeitete nach dem Prinzip einer Wunderkerze, wie man sie an Weihnachtsbäumen vorfindet, sie arbeitete auch nach dem Prinzip einer Thermitlanze. Der Vorzünder brachte die Thermitfüllung in der Mine zur Entzündung. Sekunden später entstand fast so etwas wie ein Lichtbogen. Nach wenigen Sekunden war das dicke Panzerkabel restlos durchtrennt.
Parker, nickte zufrieden und dachte voller Dankbarkeit an die vielen Bastelstunden in den Privaträumen des Penthouse seines jungen Herrn. Während dieser Bastelstunden entwickelte und bastelte er diese kleinen Hilfsmittel zusammen, die streng auf die Erfordernisse eines harten Alltags abgestellt waren. Sie hatten sich jetzt wieder einmal voll bewährt.
Nach einem automatischen Wasserguß, der die dicken Steine abkühlte und leider noch einmal einen Schwall heißer Luft entwickelte, glühten die Steine nun nicht mehr auf. Ob es Einbildung war oder nicht, der Butler verspürte bereits so etwas wie eine kleine Erleichterung, fühlte sich aber dennoch nicht gerettet. Falls er es wirklich mit Gegnern zu tun hatte, die ihn umbringen wollten, dann ließen diese Gegner sich sicher weitere Überraschungen einfallen. Diesen Überraschungen galt es im voraus zu begegnen.
Um sich erst einmal mit Frischluft zu versorgen, ging der Butler zurück zur Tür, die in den Vorraum führte. Hier kniete er nieder und setzte eine Zigarre ein.
Diese Zigarre war so etwas wie eine Sauerstofflanze modernster, aber auch kompaktester Bauart. Nach dem Anreißen des Zünders drückte Parker sie mit der Spitze seines Universal-Regenschirms gegen die dicke Türfüllung. Diese Füllung schmolz wie Schnee in der Sonne. Innerhalb weniger Sekunden fraß sich die Lanze durch das Hindernis und bahnte der Frischluft von draußen einen Weg.
Josuah Parker verspürte sofort den frischen Luftzug, der aus dem Vorraum in die immer noch überhitzte Sauna drang. Doch er wußte jetzt, daß er seinen Gegnern nicht mehr hilflos ausgeliefert war …
*
Diese Vorsorge erwies sich als überflüssig, wie Parker bald feststellen mußte.
Wenige Minuten nach dem Durchbohren der Tür bewegte sich der Verschlußhebel der Tür. Der Butler reagierte sofort. Er legte sich äußerst malerisch auf die Liegebank der Sauna, ohne dabei aber auf Haltung oder Würde zu verzichten.
Langsam wurde die Tür geöffnet.
Durch den immer noch dichten Heißnebel sah Parker zwei langbeinige Blondinen, die sehr zielbewußt auf ihn zuschritten. Hinter ihnen erkannte er die Umrisse von Ernest Litch.
„Na, bitte!“ sagte Litch. „geschafft … Man muß sich eben was einfallen lassen … Wie sieht’s mit ihm aus?“
Die beiden Blondinen in ihren weißen Bademänteln beugten sich über den Butler.
„Erstickt!“ sagte eine von ihnen.
„Dann schafft ihn weg, Kinder!“ Ernest Litch wandte sich um. Für ihn war der Fall bereits erledigt.
Die beiden langbeinigen Blondinen folgten ihm, kamen aber wenig später mit einer Rolltrage zurück. Sie mühten sich redlich ab den Butler auf diese Rolltrage zu schaffen. Verständlicherweise tat der Butler nichts, ihnen dabei behilflich zu sein. Er wollte sie nicht enttäuschen oder gar erschrecken.
Seine einzige Sorge war nur, daß sie seine handwerklichen Tätigkeiten entdeckten, doch zu solch einer Überprüfung fehlte es ihnen wohl an der Zeit.
Sie deckten ein Tuch über den Butler und rollten ihn aus der Sauna hinaus in den breiten. Verbindungskorridor. Dann ging die hausinterne Fahrt weiter und endete vor einer Tür am Ende des Korridorganges. Hier wartete Ernest Litch.
„Alles klar …?“ fragte er.
Die beiden langbeinigen Blondinen versicherten ihm, daß es keine Zwischenfälle gegeben habe. Litch öffnete die Tür, und Parker spürte sofort eine gewisse Kälte, die ihn umgab. Leider vermochte er unter der Leinendecke nichts zu sehen.
Er spürte nur, daß man der Rolltrage einen derben Stoß versetzte. Und für einen ganz kurzen Moment erfaßte ihn fast so etwas wie Panik. Beförderte man ihn samt Rolltrage in irgendeinen Abgrund? Er zwang seine Panik zurück in die Tiefen seines Bewußtseins und brachte die Nervenkraft auf, ruhig liegenzubleiben. Die Rolltrage stieß mit dem Fußende gegen ein Hindernis, drehte sich etwas um die Längsachse und blieb stehen.
„Sobald es dunkel ist, schaffen wir ihn weg“, sagte Ernest Litch, „kommt jetzt, Kinder! Ich glaube, wir haben gute Arbeit geleistet!“
Schritte entfernten sich, dann klappte eine Tür. Parker merkte unter der Leinendecke, daß das Licht über ihm erlosch. Dann war er allein …
*
Parker erhob sich und schaltete das scharf gebündelte Licht seiner Kugelschreiber-Taschenlampe ein. Damit leuchtete er den Raum aus, in dem er sich befand.
Er gestattete sich zu wundem.
Er befand sich in einem höhlenartigen Raum, der etwa drei Meter hoch war. Ihn umgab nacktes, roh behauenes Gestein. Der Boden war zementiert und bretteben. Seiner bescheidenen Ansicht nach gehörte diese Höhle entweder zu einem Stollensystem oder aber sie war natürlichen Ursprungs und war der Beginn einer großen unterirdischen Grotte.
Parker schritt die Höhle ab und gelangte so an eine schmale Tür, die aus Stahlblech bestand und ihn irgendwie an die Tür eines Tresors erinnerte. Setzte sich hinter dieser Tür der Stollen fort? Lag dahinter der rettende Weg in die Freiheit?
Neugierig wie der Butler nun einmal war, beschäftigte er sich sofort mit dem Türschloß und befragte es nach seiner Konstruktion. Das Türschloß fühlte sich angesprochen und gab sein Geheimnis preis. Daraufhin holte der Butler sein Schlüsseletui aus der Hosentasche und schob einen Universal-Patentschlüssel in das Schloß. Nach wenigen Sekunden ließ die Zuhaltevorrichtung sich aufsperren, Parker brauchte die Tür nur noch aufzudrücken.
Er stand am Anfang eines langen Ganges, der etwa zwei Meter hoch war. Unter der Decke gab es eine Lichtleitung und in gewissen Abständen verdrahtete Deckenlampen.
Wohin mochte der unterirdische Gang wohl führen? Warum war er so gut ausgebaut worden? Auch hier war der Boden glatt gestrichen und betoniert.
Parker ging der Sache auf den Grund. Müßiggang war seiner Ansicht nach ohnehin der Laster Anfang. Er schritt also im Licht seiner kleinen Taschenlampe voran und wartete auf Überraschungen aller Art.
Der Gang senkte sich leicht und mündete in eine zweite Höhle, die doppelt so hoch und so groß war wie die erste, in die man ihn samt Rolltrage hineingeschoben hatte.
Das Licht der Taschenlampe reichte nicht aus, sich einen Gesamteindruck zu verschaffen. Parker mußte diese Höhle also Schritt für Schritt abgehen und kam leicht enttäuscht zum Ausgangspunkt zurück. Er hatte nichts finden können, was ihn interessierte.
Dennoch mußte sie irgendein Geheimnis bergen. Sie führte erstens nicht weiter, was ihm ungewöhnlich erschien. Dann war sie ohne jeden erkennbaren Sinn und Zweck angelegt worden, was er einfach nicht glauben wollte und kannte.
Um das Geheimnis dieser zweiten Höhle ausfindig zu machen, nahm er sein unförmig aussehendes Taschenfeuerzeug hervor und knipste es an. Er hielt die ruhig brennende Flamme hoch in die Luft und beobachtete sie.
Ja, sie bewegte sich in einem kaum wahrzunehmenden Luftzug. Sie wurde abgelenkt und ließ Rückschlüsse zu. Parker, die Flamme weiter beobachtend, schritt nun vorsichtig durch den Höhlendom und kam so an eine Wand, die fest und massiv aussah. Dennoch bewegte sich gerade hier die Flamme des Feuerzeugs sehr deutlich von der Wand weg. Hinter dieser Wand mußte also ein starker Luftandrang herrschen, der durch feine Wandporen in die Höhle drang.
Parker untersuchte diese doch offensichtlich poröse Wand. War sie nur die Kaschierung eines getarnten Ganges? Gab es irgendeinen Mechanismus, diese Wand zur Seite schwenken zu lassen? Konstruktionen dieser Art waren dem Butler schließlich wohlvertraut.
Leider wurden seine Nachforschungen jäh beendet.
Er hörte laute Schritte, die sich der geöffneten Tür schnell näherten. Er wußte sofort Bescheid. Man hatte herausgefunden, daß er den Elektroofen der Sauna zerstört und die Tür durchschmolzen hatte. Daran hatten die langbeinigen Blondinen samt Ernest Litch wohl gemerkt, daß ein gewisser Butler Parker nach wie vor lebte und dabei war, gewisse Dinge durchzuführen.
Parker huschte zurück zur Tür und lief seinen Gegnern praktisch entgegen
Er baute sich dicht neben der Tür auf und hob seinen Universal-Regenschirm.
Ernest Litch ging zuerst zu Boden.
Die beiden nachdrängenden Blondinen stolperten fast über Litch und merkten zu spät, daß ihr Opfer aktiv war, und konnten sich nicht mehr absetzen. Parker ließ den Stockdegen hervorschnellen und schnitt den beiden jungen Damen den Weg ab.
„Ich bedaure unendlich, unhöflich sein zu müssen“, sagte er, „ich sehe mich aber leider gezwungen, sie ein wenig außer Gefecht zu setzen.“
Sie waren beeindruckt und schielten mit leichtem Silberblick auf den langen, wippenden Degen, der plötzlich aus dem unteren Teil des Regenschirms hervorgeschnellt war.
Respektvoll wichen sie zurück und … warfen sich dann wie auf ein geheimes Kommando auf den Butler, der tatsächlich überrascht wurde. Die beiden langbeinigen Damen in ihren weißen Bademänteln kannten viele Tricks und waren in Judo und Karate geschult. Parker handelte sich einige Handkantenschläge ein, die keineswegs von besonders schlechten Eltern waren. Mit Mühe erwehrte er sich der beiden Kämpferinnen, die nun gar nicht mehr sonderlich höflich waren. Sie hatten sich in gereizte Tiger verwandelt, die ihn in Stücke reißen wollten.
Parker aber besaß erfreulicherweise seinen Regenschirm, der ihm schon so häufig aus mancher Klemme herausgeholfen hatte. Mit der Degenspitze schlitzte er die Bademäntel geschickt auf. Die beiden jungen Damen wichen entsetzt zurück und versuchten die Fetzen ihrer Bademäntel zu schließen, zumal sie darunter nicht sonderlich viel an Wäsche trugen. Parker nutzte die Verwirrung aus und trieb die langbeinigen Blondinen in eine Ecke nahe der Tür.
Sie mußten sich umwenden und niederknien. Als sie es getan hatten, beeilte der Butler sich, zurück durch die Tür zu schlüpfen. Er schlug sie schnell hinter sich zu und ordnete nun erst einmal die schwarze Melone, die ihm leicht schief auf dem Kopf saß. Die beiden jungen Damen hatten ihm doch ordentlich zugesetzt.
Er sah hinauf in den Stollen, der zur ersten Höhle führte. Sollte er zurück in das Souterrain des Sherman-Hotels gehen? Lief er vielleicht weiteren blonden Damen in die Arme?
Parker blieb an der Tür und lauschte.
Er wunderte sich kaum, daß die beiden jungen Damen nicht wütend gegen die Tür klopften. Wahrscheinlich wählten sie einen Ausgang, den der Butler bisher nicht gefunden hatte. Um das Suchverfahren später abzukürzen, drückte der Butler die Tür spaltbreit auf. Seinen Augen bot sich ein interessanter Anblick.
Die beiden Blondinen schleiften Ernest Litch gerade in Richtung Tür, die von Parker sofort wieder geschlossen wurde. Mit seinem Spezialbesteck schloß und blockierte er das Schloß. Sekunden später hörte er, wie auf der Gegenseite an diesem Schloß herumgearbeitet wurde. Man wollte es aufsperren.
Natürlich gelang dies nicht. Alles, was Parker nun einmal tat, hatte Hand und Fuß. Die beiden jungen Blondinen verzichteten darauf, sich durch Schreien oder Klopfen bemerkbar zu machen, so, wie der Butler es sich schon vorausberechnet hatte. Nun würden sie wahrscheinlich den von Parker gesuchten und bisher nicht entdeckten Notausstieg benutzen.
Also öffnete der Butler die Tür, nachdem er das Schloß aufgesperrt hatte.
Die beiden jungen Damen standen gerade vor jener Wand, die der Butler für porös hielt. Ernest Litch lag bewußtlos zu ihren Füßen. Eine der jungen Damen befaßte sich mit einer Felszacke und … zog sie wie einen Hebel nach unten. Daraufhin öffnete sich unter feinem Surren ein Durchschlupf, durch den man in gebückter Haltung in einen noch dunklen Stollen hineingehen konnte. Innerhalb einer guten Minute besorgten das die jungen Damen und vergaßen selbstverständlich Ernest Litch nicht, für den sie sich jetzt wohl verantwortlich fühlten.
Parker wartete, bis das Trio verschwunden war und der Durchschlupf sich wieder geschlossen hatte. Dann ging er zurück in die zweite Höhle und versuchte es ebenfalls mit dem Felszacken.
Das Surren in der Wand bestätigte ihm, daß er auf dem richtigen Weg war. Parker schlüpfte in den Stollen und verzichtete erst einmal darauf, Licht zu machen. Er horchte auf Schritte oder sonstige Geräusche, doch im ziemlich niedrigen Stollen blieb alles ruhig.
Nun erst schaltete er die Kugelschreiber-Taschenlampe ein und orientierte sich. Der Stollen stieg sehr steil an und ging dann später in roh in den Fels geschlagene Treppenstufen über. Nach etwa zehn Minuten roch Parker frische Luft und entdeckte einen feinen Lichtschein, der von der Sonne herrühren mußte.
Parker beeilte sich, ans Sonnen- und somit auch Tageslicht zu kommen. Plötzlich aber verschwand dieses Licht, als sei eine Tür geschlossen worden.
Hatte man ihn bemerkt? Traten die blonden langbeinigen Tiger jetzt zum Gegenangriff an? Falls dies der Fall war, konnte der Butler sich noch auf einige Überraschungen gefaßt machen!
*
Parkers Regenschirmspitze berührte eine Wand, die den unterirdischen Gang abschloß und zu einer Art Sackgasse machte. Doch von hier mußte das Tageslicht in den Stollen gedrungen sein. Es galt also, eine Art Klinke zu finden, um die Schlußwand wieder freizulegen.
Der Lichtfinger der Taschenlampe tastete die Wand ab. Sie bestand eindeutig aus Beton, auf dem noch die Abdrücke der Schalbretter zu sehen waren.
Oberhalb dieser Betonwand, die sehr solide sein mußte, fand der Butler einen elektrischen Schalter, dessen Hebel er hochdrückte. Sekunden später fuhr die Betonwand langsam nach oben und verschwand im Fels. Parker blinzelte in das grelle Tageslicht. Er hatte es geschafft.
Er trat hinaus ins Freie und sondierte die Lage. Er befand sich auf einem brettebenen Plateau, in dessen Mitte ein großes Landekreuz in weißem Lack zu erkennen war. Die Bedeutung war klar. Hier handelte es sich um den Landeplatz für Hubschrauber, also mußte sich jenseits des Plateaus das Shermans-Hotel befinden. Josuah Parker überquerte das Landekreuz und blieb vor einem Steilhang stehen.
Etwa fünfzig Meter von der Kante aus gerechnet lag das Sherman-Hotel Eine kleine Gondelbahn, die noch in Bewegung war, verband das Landeplateau mit dem Hotel.
Der Butler wandte sich um und sah sich die Tarnung für den Stollenmund an.
Nun, die Anlage War ebenso einfach wie raffiniert. Zur Felsseite hin war so etwas wie ein Benzintanklager ausbetoniert worden, wo die Hubschrauber neuen Treibstoff fassen konnten. Die bewegliche Betonwand bildete den hinteren Abschluß davon. Selbst ein aufmerksamer Beobachter hätte diese bewegliche Wand nicht ausfindig machen können, zumal sie mit Schmierfett und Benzinspritzern übersät war.
Warum diese aufwendige Anlage? fragte sich Parker.
Am liebsten hätte er über das Telefon im Hotel nachgefragt. Dieses gegen Nässe gesicherte, unförmig aussehende Telefon befand sich in einem Kasten, der seinerseits in den Fels eingelassen war. Von hier oben aus konnte man wohl mit dem Hotel telefonieren.
Parker kontrollierte den Inhalt der vier Benzinfässer. Sie waren gefüllt. Sollte er sie verschwinden lassen oder leeren? Blockierte er damit gewisse Bewegungen gewisser Leute?
Er konnte die Fässer unmöglich über den Steilbang nach unten spedieren. Der Krach der auf- und abprallenden Fässer würde im Hotel mit Sicherheit gehört werden. Es ließ sich auch nicht einrichten, die Fässer anzubohren und den Inhalt ausfließen zu lassen. Der Geruch des Benzins hätte die Hotel angestellten ebenfalls aufmerksam gemacht.
Parker ging noch mit sich zu Rate, als er plötzlich von weither das typische Klatschen von Hubschrauberrotoren hörte. Das Luftfahrzeug selbst war noch nicht zu sehen, doch das hatte nichts zu bedeuten. Der Hubschrauber konnte aus einem Seitental kommen und plötzlich vor dem Plateau auftauchen.
Parker schloß schleunigst den Betonriegel vor dem Stollenmund und sah sich nach einem geeigneten Versteck um. Er kletterte vom Plateau aus ein Stück in den Felsen hinein und legte sich dort flach auf das Gestein. Dank seiner schwarzen Kleidung hob er sich von der graudunklen Umgebung kaum ab.
Und dann war der Hubschrauber auch schon auszumachen. Er kam tatsächlich aus einem Seitental und schwirrte wie eine glitzernde Libelle heran. Wenig später setzte er auf dem Plateau auf.
Parker beobachtete jede Einzelheit.
Aus dem Hubschrauber stiegen zwei ältere Damen und zwei ebenfalls etwas angejahrte Herren. Sie alle waren offensichtlich Touristen, die auf dem schnellsten und bequemsten Weg ihr Hotel erreicht hatten.
Das Rad der kleinen Gondelbahn drehte sich.
Wenig später erschien die Gondel auf dem Plateau. Zwei langbeinige Blondinen in der Tracht der Hotelhostessen kümmerten sich ungewöhnlich höflich um die neuen Gäste. Sie verfrachteten sie in die Gondel und schwebten mit ihnen hinunter zum Hotel.
Der Hubschrauberpilot, ein jüngerer Mann von etwa dreißig Jahren, hatte sich eine Zigarette angezündet und machte sich ungeniert daran, einen der Zusatztanks hinter der Plexihaube der Kanzel abzumontieren. Parker sah deutlich, daß dieser Zusatztank überhaupt nicht als Vorratsbehälter für Treibstoff benutzt wurde.
Das Rad der Gondelbahn drehte sich erneut.
Diesmal erschienen Ernest Litch und zwei andere Blondinen auf dem Plateau. Es waren jene reizende Damen, die dem Butler mit Karateschlägen zugesetzt hatten.
Litch und der Pilot redeten hastig miteinander. Die beiden langbeinigen Damen rollten den Zusatztank inzwischen auf das Tanklager zu. Dann öffnete sich die Betonwand, und Zusatztank samt Damen verschwanden im Stollen.
Litch und der Pilot hatten ihr Gespräch inzwischen beendet. Sie trennten sich und suchten das Plateau ab. Sie suchten ganz offensichtlich nach irgend, einem neugierigen und heimlichen Zuschauer. Die Schußwaffen in ihren Händen ließen darauf schließen, daß sie sich mit diesem Beobachter nicht nur freundlich unterhalten wollten …
*
Parker schätzte seine Chancen ab.
Ernest Litch und der Pilot des Hubschraubers mußten ihn mit Sicherheit entdecken, falls sie nur etwas in den Fels hineinstiegen. Im Grunde lag der Butler ja wie auf einem Präsentierteller. Parker ergriff also wieder einmal die Initiative, dann seine Pillendose und entnahm ihr eine kleine Kapsel, die vollkommen harmlos war. Diese warf er hinunter auf das Plateau und zwar in einem Moment, als die beiden Männer kurz abgelenkt wurden, da die Gondeltrommel sich wieder bewegte.
Die Kapsel berührte den Betonboden und platzte mit einem kleinen Knall auseinander. Im gleichen Augenblick verbreitete sich auf dem Plateau ein stechender Geruch, der die Schleimhäute reizte.
Ernest Litch hüstelte, der Pilot hustete.
Sie sahen sich beide verdutzt an, schnüffelten herum und husteten dann wie auf Kommando bellend wie Schlittenhunde los. Sie hielten sich ihre Nasen zu und beeilten sich, an den Rand des Plateaus zu kommen, wo sie sich frische Luft erhofften.
Inzwischen traf die Hotelgondel auf dem Plateau ein.
Aus ihr stiegen zwei Hostessen des Hotels, fast genormt aussehend, langbeinig, blond, langhaarig und äußerst kriegerisch in der Aufmachung. Sie hielten Schußwaffen bereit und wollten wohl von Ernest Litch eingesetzt werden. Es war klar, daß man zur Treibjagd auf den Butler geblasen hatte. Man hatte festgestellt, daß er den Höhlenstollen verlassen hatte, konnte sich also ausrechnen, daß er sich noch im Fels oberhalb des Hotels befinden mußte.
Nun, die beiden Hotelhostessen husteten nun aus Sympathie mit und beeilten sich, hinüber zum Rand des Plateaus zu gelangen. Um die beißenden Düfte zu verstärken, opferte der Butler eine weitere Kapsel.
Sie hatte durchschlagenden Erfolg.
Aus dem Husten wurden Hustenanfälle, die den Betroffenen das Wasser in die Augen trieben. Sie pfiffen plötzlich auf die geplante Treibjagd, sprangen und zwängten sich in die Gondel und beeilten sich, hinunter zum Hotel zu kommen.
Damit war für den Butler der Weg frei.
Er stand auf, sobald die Gondel verschwunden war. Dann stieg er hinunter zum Hubschrauber, den er fachmännisch musterte und begutachtete. Als Experte in technischen Dingen nahm er an diesem Fluggerät einige Manipulationen vor. Ihm ging es darum, diese Riesenlibelle dazu zu bringen, vorerst einmal auf dem Plateau zu bleiben. Nach wenigen Minuten hatte er es geschafft und konnte sicher sein, daß nur ein ausgefuchster Mechaniker den technischen Fehler finden würde. Nach getaner Arbeit, die er im Atemschutz der Spezialzigarre hinter sich gebracht hatte, wollte er sich mit dem Betonriegel vor dem Stolleneingang beschäftigen, doch das Gondelrad kündigte ihm an, daß das Plateau Besuch erhielt. Aus Zeitgründen verschwand der Butler hinter den Benzinfässern.
*
„Jawohl, Sie haben richtig verstanden“, sagte Litch zu dem Hubschrauberpiloten, „wir bringen die ganze Ware zurück … Hier oben wird es zu mulmig, seitdem dieser verdammte Butler herumschnüffelt.“
„Seit wann kneifen wir vor einem Schnüffler?“ fragte der Pilot verärgert.
„Seit heute!“ gab Litch zurück. „Machen Sie die Mühle schon klar! Sie können in zehn Minuten losfliegen.“
„Und wohin soll ich die Ware bringen …?“
„Das wird Ihnen der Chef schon sagen … Beeilen Sie sich jetzt, wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Litch ließ den Piloten stehen und kam auf Parker zu, ohne ihn allerdings zu bemerken. Litch öffnete den Betonverschluß vor dem Stollenmund und verschwand in der Dunkelheit. Nach wenigen Minuten erschien er wieder. Diesmal wurde er von vier Blondinen begleitet, die sich mit dem eben erst abmontierten Zusatztank und mit einigen Koffern abschleppten. Sie brachten das ganze Gepäck in die Nähe des Hubschraubers und warteten wohl darauf, daß die Rotoren sich endlich in Bewegung setzten.
Litch lief zum Hubschrauber, dessen Kuppel geöffnet war.
„Was ist denn?“ fragte er den Piloten, der sich abmühte, den Motor aber verständlicherweise nicht in Gang zu bringen vermöchte. „Worauf warten Sie noch?“
„Das verdammte Ding springt nicht an …!“
„Wieso denn nicht?“
„Irgendein Defekt … Ich weiß auch nicht!“
„Dann suchen Sie nach dem Fehler, verdammt noch mal! Sie müssen mit der Ware von hier weg!“
Der Pilot mühte und plagte sich ab, doch er schaffte es nicht. Nervös geworden, schrie er den ungeduldigen Ernest Litch an, der seinerseits zurückbrüllte. Die vier Blondinen standen inzwischen tatenlos neben dem Zusatztank und den Koffern. Ob sie die Szene genossen, konnte der Butler leider nicht erkennen, zumal er sein Versteck verlassen hatte und gemessen im Stollen verschwand. Er wollte nicht weiter stören.
*
Im Souterrain des Sherman-Hotels erreichte er die Bäderabteilung und tat etwas, was ihm im Grunde verhaßt war, Er wurde ausgesprochen indiskret und öffnete eine Einzelsauna nach der anderen. Um nicht sofort aufzufallen, hatte er sich einen der Bademäntel umgehängt, den er auf einem langen Wandbrett entdeckt hatte.
Die dritte Einzelsauna war besetzt.
Eine etwas ältliche Dame kreischte auf, als Parker kurz hineinschaute. Mit Besuch schien die Dame keineswegs gerechnet zu haben. Parker murmelte eine Entschuldigung Und hastete weiter.
Die übernächste Sauna war ebenfalls besetzt. Auf den Anzeigeinstrumenten las er ab, daß sie in vollem Betrieb war, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Sie war verschlossen.
Parkers Mißtrauen wurde sofort geweckt.
Er opferte eine Thermitmine, schob sie ins Schlüsselloch und zündete sie. Nach genau zweieinhalb Sekunden tropfte die Mechanik des Schlosses zu Boden. Parker stieß die schwere Tür mit der Spitze seines Regenschirms auf, trat in den Vorraum und vermißte hier die Kleidung des Saunabenutzers, die normalerweise hier hängen mußte.
Sein Mißtrauen verstärkte sich zum handfesten Verdacht.
Eine weitere Thermitmine.
Er zog die Tür zur eigentlichen Sauna auf und … prallte fast zurück, als ihm brühheißer Wasserdampf entgegenschlug. Zu sehen war nichts. Parker holte tief Luft, drang in die Einzelsauna ein und stolperte fast über einen Körper, der auf dem Boden lag. Er griff nach ihm und zerrte ihn in den Vorraum.
„Miß Windham …!“ Parker war betroffen. Die junge Dame, die Angestellte des Denver Detektivinstitutes, gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Hoffentlich war sie nicht erstickt.
Parker hob den schlaffen, weichen Körper auf die Sitzbank und verbrannte sich an der heißen Kleidung fast die Hände. Hier mußte schnell und gründlich geholfen werden, falls überhaupt noch zu helfen war.
Parker streifte Kathy Windham die Kleidung vom Leib und hüllte die junge Frau in den ausgeborgten Bademantel ein. Dann schob er ihr eine Kreislaufpille in den Mund und wartete auf ein erstes Ergebnis.
Dieses Ergebnis fiel leider anders aus, als er es erwartet hatte. „Bringen Sie mir endlich mein Geld?“ fragte eine sanfte Stimme. Gleichzeitig bohrte sich Parker der Lauf eines Revolvers in die kurzen Rippen.
*
Mr. Smith, wie der Magere sich nannte, stand zusammen mit Landly vor dem Butler. Beide grinsten freundlich, als hätten sie einen lieben, guten und alten Bekannten wiedergetroffen. Beide trugen leider aber auch Handfeuerwaffen mit sich herum.
„Wie kann man nur, Mr. Parker …?“ sagte Mr. Smith und deutete auf Kathy Windham. „Wenn sich das ’rumspricht, daß Sie junge Damen ausziehen …
„Ich bin sicher, daß Sie die Situation mißverstehen“, erklärte der Butler, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. „Miß Windham wäre ohne mein Eingreifen sicher erstickt und verbrüht …“
„Aber genau das war doch geplant“, sagte Landly. „Müssen Sie sich denn überall einmischen?“
„Sie wollten Miß Windham umbringen …?“
„Das wollen wir nach wie vor, aber jetzt wird sie Gesellschaft erhalten, Parker …
„Ich verstehe …!“
„Na, endlich …! Seien Sie ein guter Verlierer, Mr. Parker!“ Mr. Smith, der Mann mit der sanften Stimme, lächelte zufrieden. „Sie kennen doch die alte Regel … Schnüffler müssen sterben. Und Sie beide sind eben Schnüffler!“
„Auch Miß Windham
„Auch Miß Windham … Wie Fenmore …“
„Und dies alles wegen der bewußten Ware?“
„Wegen der Ware!“ Smith nickte. „Wir können doch unsere Verteilerstation nicht auffliegen lassen!“
„Ich beginne zu begreifen, Mr. Smith. Hier im Sherman-Hotel wurde die angelieferte Ware auf Klein verteil er umgeladen, die wahrscheinlich als Kur- und Feriengäste getarnt waren und sind …
„Sie haben die Zusammenhänge schnell erfaßt“, sagte Mr. Smith und nickte lächelnd. „Sie brauchen übrigens nicht auf Rettung zu warten. Die Bäderabteilung ist geschlossen worden. Und die alte Dame drüben in der Kabine kann erst heraus, wenn wir die Tür öffnen. Sie wird sich nachher wahrscheinlich beschweren, aber man wird sie auch wieder beruhigen.“
„Ich muß Ihnen mein Kompliment aussprechen“, antwortete Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. „Haben Sie sich dieses Verteilersystem ausgedacht, Mr. Smith?“
„Ich muß Sie enttäuschen … Ich war es nicht. Denken Sie denn überhaupt nicht an Miß Farewell?“
„Miß Gloria Farewell?“
„Richtig, Parker … Sie hat den Plan ausgetüftelt …“
„Natürlich mit Billigung eines Rauschgiftsyndikats, nicht wahr?“
„Mit Billigung, natürlich!“
„Und dieses Syndikat sitzt in Denver …?“
„In Denver … Haben Sie sonst noch Fragen?“
„Dann darf ich also als richtig unterstellen, daß der seinerzeit abgestürzte junge Mann absichtlich umgebracht worden ist?“
„Er wurde aus dem Verkehr gezogen, weil er zu neugierig geworden war. Er hatte zufällig oben auf dem Plateau zugesehen, wie frische Ware ausgeladen wurde.“
„Und aus ähnlichen Gründen starb dann auch Glenn Harpers?“
„Okay, Parker! Glenn Harpers mußte ebenfalls beseitigt werden. Auch er war auf der richtigen Spur, als er sich hier unten in der Bäderabteilung umsah!“
„Bleibt noch Mr. Fenmore …“
„Fenmore war ebenfalls zu neugierig geworden. Wie konnte er denn auch das Gepäck abreisender Hotelgäste durchschnüffeln? Dabei entdeckte er Rauschgift. Man muß sich eben absichern, dafür werden Sie ja Verständnis haben.“
„Und nun sollen Miß Windham und meine Wenigkeit ebenfalls sterben?“
„Läßt sich nicht vermeiden, Parker. Aber vorher sollten Sie uns noch sagen, was Sie oben am Hubschrauber getan haben. Wir möchten nämlich flügge bleiben.“
„Ich bin im Moment nicht ganz in der Lage, Ihre Anspielung zu begreifen, Mr. Smith …
„Uns brauchen Sie doch nichts vorzumachen, Parker … Sie haben den Hubschrauber defekt gemacht. Für mich ist das sonnenklar!“
„Ich kapituliere vor Ihrer Kombination, Mr. Smith … Darf ich vorher noch einige Fragen an Sie richten?“
„Wir müssen machen!“ drängte Landly dazwischen.
„Die paar Minuten Zeit haben wir noch“, sagte Mr. Smith lächelnd. Er genoß die Situation … „Fragen Sie, Parker.“
„Wie kam es, daß Landly mir tausend Dollar auf drängte?“
„Weil Landly Ihnen eine Falle stellen sollte. Die Harpers und Farewell sollten aufeinander gehetzt werden.“
„Was Ihnen ja ungemein gut gelang, Mr. Smith! Und warum erschienen Sie nachfolgend bei mir?“
„Um diesen Trick noch zu vertiefen. Sie sollten annehmen, daß ich ein gekaufter Killer bin, der entweder für die Harpers oder für Farewell arbeitet.“
„Ein gelungenes Ablenkungsmanöver. Die Familien Harpers und Farewell haben demnach mit dieser Rauschgiftaffäre nichts zu tun?“
„Bestimmt nicht … beide Familien sind völlig ahnungslos … Und grenzenlos dumm!“
„In dieser Hinsicht möchte ich kaum widersprechen, Mr. Smith. Eine letzte Frage …“
„Ich nehme Sie beim Wort, Parker, die letzte Frage!“
„Glauben Sie nicht, daß Sheriff Andrew Ihnen auf der Spur ist?“
„Selbst wenn, er hat nicht das Format, uns in Schwierigkeiten zu bringen! Es hat sich doch längst herumgesprochen, daß er eine taube Nuß ist …“
„Und seine beiden Hilfssheriffs Culpers und Higgins …?“
„Sie hatten bereits Ihre letzte Frage, Parker … Landly, trag Miß Windham zurück in eine Sauna! Wir wollen Schluß machen!“
Landly befaßte sich nur zu gern mit Kathy Windham, deren Bademantel sich verschoben hatte und die langen Beine freigab. Er beugte sich über sie und griff nach ihr. Um im nächsten Augenblick schreiend zurückzutaumeln.
*
Mr. Smith wirbelte herum. Er war völlig überrascht und vergaß darüber Josuah Parker, vor allen Dingen aber dessen Regenschirm. Er besann sich auf das Regendach, als der bleigefütterte Bambusgriff auf seinem Kopf niedersauste.
Landly wollte retten, was noch zu retten war, doch der Bambusgriff war schneller. Sekunden später lagen beide Gangster relativ friedlich auf dem Boden.
Kathy Windham erhob sich.
„Ich erlaube mir, mich bei Ihnen sehr herzlich zu bedanken“, sagte Parker höflich und lüftete seine schwarze Melone. „Und ich denke, daß diese Schwierigkeit erst einmal aus dem Weg geräumt ist.“
„Ich bekam den letzten Teil Ihrer Unterhaltung mit diesem Smith mit“, sagte Kathy Windham und schloß wieder den Bademantel, „und wenn sich einer zu bedanken hat, dann wohl ich … Ohne Sie wäre ich jetzt wohl schon in der Sauna erstickt!“
„Fühlen Sie sich willens und in der Lage, noch weiterhin aktiv zu bleiben?“
„Und ob!“ sagte Kathy Windham. „Nehmen wir das Nest aus, Mr. Parker?“
„Nachdem wir die beiden Herren sicher untergebracht haben, Miß Windham …!“
Sie schleppten Smith und Landly in eine noch intakte Sauna. Dann verbaute der Butler die beiden Schlösser an Vor- und Haupttür. Damit saßen diese beiden Killer bombenfest und konnten mit Sicherheit nicht mehr in das Geschehen eingreifen.
„Wo hat man Ihre Kleidung untergebracht?“ fragte Parker.
„Ich weiß nicht“, sagte Kathy Windham, „aber ich werde einen dieser weißen Bademäntel nehmen, dann sehe ich wie eine Hostess aus der Bäderabteilung aus … Diese Tarnung kann nicht schaden. Was unternehmen wir jetzt zuerst …?“
„Nun, ich schlage vor, Miß Gloria Farewell festzunehmen“, erwiderte Butler Parker. „Sie wird es uns sicher nicht allzu schwer machen.“
*
Leider kamen Parker und Kathy Windham einige Minuten zu spät. Gloria Farewell saß in der Gondel, begleitet von zwei langbeinigen Blondinen. Sie befand sich auf dem Weg hinauf zum Plateau. Wahrscheinlich wollte sie sich selbst davon überzeugen, was mit dem Hubschrauber los war.
„Schade!“ seufzte Kathy Windham. „Jetzt müssen wir noch einmal durch den ganzen Stollen, um aufs Plateau zu kommen.“
„Aber mitnichten!“ widersprach Parker. Er befaßte sich kurz mit dem Sicherungskasten des elektrischen Seilzugsystems der Gondel und schob dann einen seiner Patentkugelschreiber an die Sicherungen und Schalttafel heran. Ein Druck auf den Clip, dann wandte Parker sich an Kathy Windham.
„Ich möchte vorschlagen“, sagte er, „sich ein wenig in Deckung und Sicherheit zu bringen …!“
Kathy Windham und Parker brachten sich hinter einem Stützpfeiler der Gondelbahn in Sicherheit. Sekunden später erfolgte eine nicht allzu laute Detonation, mit der die Einzelteile der Schalttafel sich in alle Winde zerstreuten.
„Ich möchte mit Sicherheit annehmen, daß Miß Gloria Farewell nun nicht mehr entkommen kann“, sagte Parker und deutete mit der Spitze seines Regenschirms auf die Gondel, die in der Mitte der Strecke auf einem Steilstück stehengeblieben war. Der Abstand zwischen Gondel und Felsen betrug dort etwa zwanzig Meter. Zuviel, um durch einen gewagten Sprung überwunden zu werden.
„Sehr gut“, sagte Kathy Windham auflachend, „auf den Gedanken wäre ich gar nicht gekommen.“
„Bleiben unsere Freunde auf dem Plateau“, sagte Parker. „Würden Sie die Freundlichkeit haben, Miß Windham, Sheriff Andrew zu verständigen. Er wird sicher froh sein, die Mitglieder und die Ware eines Rauschgiftrings verhaften und beschlagnahmen zu können.“
*
Parker haßte unnötige Anstrengung.
Nach dem Festsetzen der Gondel, dessen war er sich bewußt, mußten die Rauschgifthändler zwangsläufig durch den Stollen zurück ins Hotel. Über den Fels konnten sie sich kaum absetzen, zumal es ihnen ja an Betriebskapital fehlte.
Parker begab sich also zurück ins Souterrain des Sherman-Hotels, suchte die Bäderabteilung auf, betrat die erste Höhle und befaßte sich mit dem Verbindungsstollen.
Er brauchte nicht lange zu warten.
Zuerst war nur ein weit entferntes Schimpfen zu vernehmen, das von Sekunde zu Sekunde immer lauter wurde. Parker konnte sich dieses Schimpfen selbstverständlich sehr gut erklären. Er hatte den Verbindungsstollen zwischen den beiden Höhlen präpariert. Auf dem glatten Boden, des Stollens, der zur Höhle anstieg, in der Parker sich befand, hatte der Butler ein äußerst feines Gleitmittel aufgesprüht, das aus einer als Zigarre getarnten Sprayflasche stammte. Nun mußten die Blondinen, Litch und der Pilot sich Schritt für Schritt den rutschigen Stollen hocharbeiten. Der Sinn dieses Unterfangens war es, die einzelnen Mitglieder der Gang in zeitlichen Abständen erscheinen zu lassen.
Was wunderbar klappte …!
Zuerst brauchte Parker sich nur mit den Blondinen zu befassen. Es tat ihm zwar äußerst leid, als er sie artgemäß behandeln mußte, doch die Lage erforderte es. Mit an sich völlig harmlosen Schlägen setzte er sie kurzfristig außer Gefecht. Anschließend arbeiteten und stemmten sich Litch und der Pilot herauf. Auch sie fielen dem Bambusgriff des Universal-Regenschirms zum Opfer. Womit Parker erst einmal für Ordnung gesorgt hatte.
*
„Sie sind ungemein schnell, Sheriff Andrew“, sagte Parker eine Viertelstunde später. Er nickte Andrew und den beiden Hilfssheriffs Culpers und Higgins zu. „Sollten Sie sich während der letzten und vergangenen Stunde in der Nähe des Hotels aufgehalten haben?“
„Sie kamen, bevor ich überhaupt telefonieren konnte“, schaltete Kathy Windham sich ein.
„Weil wir den Laden hier hochnehmen wollten“, sagte Sheriff Andrew und grinste, „aber Sie scheinen uns zuvorgekommen zu sein …!“
„Sie brauchen nur noch diverse Handschellen zu verteilen“, entgegnete der Butler, „der Fall dürfte gelöst sein … Details interessieren mich nicht weiter!“
„Also war es doch die Farewell“, sagte Andrew und nickte, „dachte ich mir schon die ganze Zeit über … Wo steckt sie eigentlich?“
„In der Hotelgondel“, sagte Käthe Windham, „und damit haben Sie auch die Mörderin von Glenn Harpers. Sie nämlich erschoß ihn, als er zu neugierig geworden war, aber das wissen Sie wahrscheinlich alles schon …!“
„Ich hatte es vermutet“, sagte Andrew ungerührt und ohne jede Verlegenheit, „aber beweisen konnte ich nichts … Ich wurde gleich, skeptisch, als wir nachts angerufen und anonym auf den angeblichen Unfall von Glenn Harpers und Gloria Farewell hingewiesen wurden.“
„In der Tat?“ fragte Parker nur.
„Der Anruf kam aus dem Sherman-Hotel“, redete Andrew weiter, „und woher wollte man dort von dem Unfall wissen? Gloria Farewell erschoß Glenn Harpers, sprang aus dem Wagen und legte sich später dazu, als Sie, Parker, am Unfallort erschienen …
„Und warum sind Sie dann die ganze Zeit hinter Mr. Parker hergewesen?“ fragte Kathy Windham empört.
„Um die Gangster in Sicherheit zu wiegen, Miß Windham. Gespielte Dummheit ist oft besser als sinnloses Draufgängertum … Man muß natürlich Nerven haben, wenn man dann von der Öffentlichkeit für eine, sagen wir, taube Nuß gehalten wird, nicht wahr, Mr. Parker?“
„Ich denke, daß ich wohl gehen kann“, erklärte Parker, „der Fall scheint bei Ihnen in besten Händen zu sein. Eine Frage noch, seit wann vermuteten Sie, daß das Sherman-Hotel die Verteilerstation einer Rauschgiftbande ist?“
„Seit fast anderthalb Monaten, Mr. Parker. Der junge Mann, der angeblich abstürzte, hatte sich an mich gewandt und mir einige Tips geliefert. Diese Hinweise ließen meinen Verdacht, daß mit dem Hotel etwas nicht stimmte, zur Gewißheit werden.“
„Wieso stimmte dort im Hotel irgend etwas nicht?“ Kathy Windham sah den Sheriff etwas aggressiv an. Es ärgerte sie wohl, daß sie und Parker die Kastanien aus dem Feuer geholt hatten.
„Na, die häufig wechselnden Feriengäste, die dann immer wieder kurzfristig erschienen. Und dann die vielen Blonden …
„Puppen, die jetzt endlich verschaukelt worden sind“, warf Hilfssheriff Culpers drastisch ein. „Die waren ja kühl wie Eskimos, und das hat mich mißtrauisch gemacht!“
„Und mich erst“, sagte Higgins fachmännisch, „so was gibt’s ja sonst wohl nicht …!“
„Dann darf ich mich jetzt wohl empfehlen“, schloß Parker die aufschlußreiche Unterhaltung und lüftete grüßend seine schwarze Melone, „Sie haben jetzt wohl nichts mehr dagegen, Sheriff Andrew, daß ich die Stadt mit Charme und Herz verlasse, nicht wahr?“
„Irrtum, Parker“. Andrew schüttelte den Kopf, „gegen Sie liegen zwei Anzeigen vor, die ich erst noch bearbeiten muß.“
„Zwei Anzeigen …?“
„Sie stammen von Harpers und den beiden Farewell. Wegen Körperverletzung, Entführung und Erpressung … Sie haben wohl vergessen, daß Sie die drei Männer, draußen in der Wildnis abgesetzt haben, oder?“
Parker lächelte mild.
„Sind die Herren inzwischen eingetroffen?“ erkundigte er sich.
„Und wie sie eingetroffen sind“, sagte Culpers und grinste.
„Völlig am Boden zerstört“, warf Higgins ein, „blutende Risse, Blasen, jede Menge, halb verdurstet …!“
„Ist es wenigstens zu einer gewissen Verständigungsbereitschaft gekommen? Besteht die vage Aussicht, daß die Familien sich endlich versöhnen?“
„Sie haben sich unterwegs fast gegenseitig umgebracht. Aber einig sind sie sich jetzt“, sagte Andrew, „einig nämlich darin, Anklage gegen Sie zu erheben, Parker.“
„Nicht schlecht“, fand Parker und nickte zufrieden, „ich würde sagen, ein erster Ansatz der Verständigung … Irgendwie müssen die beiden Familien ja damit anfangen … Ich will ehrlich gestehen, daß ich zufrieden mit diesem Ergebnis bin. Schließlich bin ich ja ein bescheidener Mensch …!“
„Und ein verdammt raffinierter dazu“, sagte Andrew, kniff die Augen zusammen und grinste Parker an, der die Melone noch einmal grüßend lüftete und davonschritt, als sei in den vergangenen Tagen und Stunden überhaupt nichts passiert …!
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