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Arbeitslosigkeit
ОглавлениеNicht immer muss Arbeitslosigkeit zu Alkoholabhängigkeit
oder einer anderen Form der Sucht führen. Der Anteil der
Arbeitslosen, insbesondere der Langzeitarbeitslosen ist je-
doch in der Suchtberatung wesentlich höher als in der übri-
gen Bevölkerung. Hierbei muss bedacht werden, dass der
Verlust der Arbeitsstelle nicht nur Ursache, sondern oft auch
Folge von gewohnheitsmäßigem, überhöhtem Alkoholkon-
sum sein kann.
Die hohe Zahl der Arbeitslosen in Deutschland und das im-
mer mehr sinkende Alter, ab dem es schwieriger wird, eine
neue Arbeitsstelle zu finden, lässt viele Menschen verzwei-
feln. Immer mehr Arbeitslose glauben bereits mit über 45
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keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt zu haben, ob-
wohl sie über eine Ausbildung und Berufserfahrung verfü-
gen. Trotzdem halten sich immer noch Vorurteile wie „wer
arbeiten will, der findet auch Arbeit“ oder „wer keine Arbeit
hat, ist nur zu faul zum Suchen“. Diese Vorurteile sind eine
zusätzliche psychische Belastung für jeden Arbeitslosen,
der sich in der Regel selbst genug eigene Vorwürfe macht,
arbeitslos zu sein. Es gehört schon eine hohe Frustrations-
toleranz dazu, nach der vierzigsten Absage nicht zu resig-
nieren und sich weiter um eine Arbeit zu bemühen. Arbeit
strukturiert den Alltag, trägt zum allgemeinen Wohlbefinden
bei und stärkt das Selbstwertgefühl. Fehlt diese Strukturie-
rung, kommt es bei vielen Arbeitslosen zur anhaltenden
Leere, zu Depressionen und zu Langeweile.
Nicht bewältigte sogenannte Lebensumbrüche, Schicksals-
schläge bzw. kritische Lebensereignisse
Der Übergang ins Rentenalter, Frühberentung, Trennung
des Partners, Auszug der Kinder aus dem Elternhaus, Ver-
lust des Partners durch Krankheit oder Unfall, plötzlicher
Verlust der Arbeitsstelle sind Beispiele für natürliche Leben-
sumbrüche und Schicksalsschläge, die jeden Menschen
treffen können bzw. von jedem Menschen bewältigt werden
müssen.
Viele Menschen sind auf eine Frühberentung oder auch auf
den natürlichen Wechsel vom Berufsalltag ins Rentenalter
nicht oder nur ungenügend vorbereitet. Der Wegfall der Ta-
gesstruktur und das Gefühl im Beruf etwas zu leisten, führt
bei vielen zur Leere, Lethargie und zu Depressionen. Plötz-
lich den ganzen Tagen den Partner um sich zu haben, stellt
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zudem viele Paare vor ungewohnte partnerschaftliche
Schwierigkeiten.
Vielen älteren Menschen gelingt es nicht alterstypische Kri-
sen, wie zum Beispiel das Nachlassen der körperlichen
Leistungsfähigkeit, des Konzentrationsvermögens oder
Probleme mit der Selbstversorgung, angemessen zu bewäl-
tigen. Dies führt bei älteren Menschen oft zu Resignation,
Lebensunlust, Depressionen und Ängsten und in der Folge
zur Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit.
Kinder werden erwachsen und verlassen irgendwann das
Elternhaus. Für die Eltern, insbesondere die Mütter fällt
hierdurch ein großer Lebensinhalt weg. Kann dieses „Loch“
nicht durch andere Aktivitäten bzw. neue Lebensinhalte ge-
füllt werden, führt dies unter anderem zu Langeweile und
dem Gefühl nicht mehr gebraucht zu werden.
Auch Trennung und Scheidung scheinen immer mehr zu
ganz natürlichen Lebensumbrüchen zu werden. Begriffe wie
„Lebensabschnittspartner“ oder „Lebensgefährte“ zeugen
von der wachsenden Vorstellung, dass eine Ehe oder Part-
nerschaft nicht von Dauer sein kann.
Aus Angst bzw. Unfähigkeit, mit dem Alleinsein klarzukom-
men, wechseln viele Menschen sehr schnell von einer ge-
scheiterten Partnerschaft in eine neue Beziehung. Oft ohne
sich zumindest klar gemacht zu haben, was sie selbst viel-
leicht in der alten Beziehung falsch gemacht haben bzw.
hätten besser machen können oder ob sie nicht bereits ihre
Art der Partnerwahl einmal hinterfragen sollten. So kommt
es nicht selten vor, dass z. B. jemand von einer Partner-
schaft mit einem Suchtkranken in eine neue Beziehung mit
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einem Partner wechselt, der ebenfalls Probleme im Umgang
mit Alkohol hat. Das scheint nach meinen Erfahrungen auch
etwas zu tun zu haben mit „der Sucht gebraucht zu werden“,
unter der besonders Frauen oft leiden. Gut beschrieben ist
dies in dem Buch „Wenn Frauen zu sehr lieben“ von Robin
Norwood.
Schwere Krankheiten und Unfälle stellen jeden Menschen
und sein soziales Umfeld vor eine harte Bewährungsprobe.
Von einem Moment zum anderen kann das gewohnte Leben
aus den Fugen gerissen werden. Nichts ist mehr so, wie
man es gewohnt ist.
Identitätskrisen, Verlustängste und Depressionen sind nur
einige der möglichen Folgen. Der emotionale Schmerz bei
Verlust einer nahestehenden Person braucht meist Monate
und manchmal Jahre, um bewältigt zu werden. Alkohol ist
hierfür ein häufig benutzter, aber schlechter „Tröster“.
Auch Arbeitsplatzwechsel und Arbeitslosigkeit scheinen
immer mehr zu den natürlichen Lebensumbrüchen zu gehö-
ren. Lebenslange Beschäftigungsverhältnisse in ein und
derselben Firma sind mittlerweile immer seltener. Die Ar-
beitswelt befindet sich im Umbruch. Für den Einzelnen be-
deutet dies, sich immer mehr und immer schneller auf ge-
änderte Verhältnisse und Anforderungen einstellen zu müs-
sen. Auch dies stellt für viele Menschen eine Überforderung
dar, die Betroffene versuchen mit Alkohol zu verdrängen.
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Finanzielle Probleme und Überschuldung
Nicht erst Arbeitslosigkeit, sondern zum Beispiel auch ein zu
geringes Einkommen und der steigende Konsumzwang füh-
ren bei immer mehr Menschen zu finanziellen Problemen.
Wir leben nicht nur in einer leistungsorientierten, sondern
auch konsumorientierten Gesellschaft. Wer Konsumgüter
durch die Aufnahme von Krediten oder durch Ratenzahlun-
gen finanziert, ohne hierbei den Überblick zu behalten bzw.
darauf zu achten, dass die Raten durch regelmäßige Ein-
nahmen gedeckt sind, gerät leicht in die Überschuldung.
Plötzliche Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung führen
dazu, dass die monatlichen Raten nicht mehr gezahlt wer-
den können und Überschuldung die Folge ist. Diese führt in
Deutschland zu einer steigenden Anzahl privater Insolven-
zen. Immer mehr Schuldnerberatungsstellen sind notwen-
dig, um Menschen zu helfen, ihre Finanzen neu zu klären
und der „Schuldenfalle“ zu entfliehen.
Existenzängste, Angst vor dem Verlust der Wohnung und
der Arbeitsstelle, das Gefühl versagt zu haben und dem
Alltag nicht mehr gewachsen zu sein, sind nur einige der
möglichen psychischen Folgen dieser finanziellen Nöte.
Alkohol hilft zumindest vorübergehend, diesen Ängsten und
Versagensgefühlen zu entfliehen, verschlimmert jedoch
nicht nur die finanzielle Situation, sondern auch die psychi-
sche und körperliche Verfassung.
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Familiäre und partnerschaftliche Probleme
Manche „Erwachsene“ haben es nach meinen Erfahrungen
noch nicht geschafft, sich von ihren Eltern zu lösen. Sie
werden noch als 30- oder 40-Jährige von ihren Eltern „erzo-
gen“. Der Frust und die Enttäuschung über das eigene Ver-
halten werden dann oft in Alkohol ertränkt. Andere wiede-
rum hadern noch im Rentenalter mit sich selbst, weil sie es
nicht geschafft haben, dem „Wunschbild“ der Eltern zu ent-
sprechen.
Die hohen Scheidungsraten und die wachsende Zahl der
Alleinerziehenden zeigen, dass viele Menschen mit einer
dauerhaften Beziehung überfordert sind. Auch die steigende
Zahl der sogenannten „Patchwork Familien“, „meine Kinder,
deine Kinder und unsere Kinder“, stellen oft eine Überforde-
rung für die Eltern bzw. für die Beziehung dar. Andere Men-
schen wiederum verwechseln „Verliebtheit“ mit dem Al tag
einer Ehe.
Für das Führen eines Kraftfahrzeuges braucht man selbst-
verständlich einen Führerschein. Für die oft schwierige Be-
wältigung des Alltags einer Ehe bzw. für eine dauerhafte
Partnerschaft braucht es weit mehr. Trotzdem sind die meis-
ten Menschen hierauf nur ungenügend vorbereitet. Hat man
bei den eigenen Eltern kein gutes „Vorbild“ gehabt, ist man
auf eigene Erfahrungen angewiesen. Gerade das, was ei-
nem zu Beginn einer Beziehung am anderen gefällt, ist nicht
selten das, was irgendwann nervt bzw. zu Problemen in der
Beziehung führt. Einige Männer verwechseln Ehe mit dem
„Hotel Mama“ bzw. wol en zwar eine Partnerschaft und Kin-
der, verhalten sich jedoch eher, als seien sie noch Jungge-
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selle. Es ist erschreckend festzustellen, dass auch bei jün-
geren Menschen immer noch das klassische Rollenver-
ständnis bzw. das klassische Männer- und Frauenbild Be-
stand hat. Die Anzahl der Frauen, die dies nicht mehr als
selbstverständlich akzeptieren wollen, nimmt jedoch immer
mehr zu. Probleme in der Ehe und in der Partnerschaft füh-
ren oft bei einem und manchmal auch bei beiden Partnern
zum vermehrten Alkoholkonsum.
Auch Schwierigkeiten im sexuellen Bereich versuchen man-
che Menschen mit Alkohol zu bewältigen. Ängste, Hem-
mungen, sexueller Leistungsdruck und Gefühle der Minder-
wertigkeit werden versucht mit Alkohol zu überwinden. Ver-
mehrter Alkoholkonsum wiederum führt zu zusätzlichen
Problemen im sexuellen Bereich, wie das der alkoholbeding-
ten Impotenz oder der „Verweigerung“ des Angehörigen
aufgrund des chronischen Alkoholkonsums des Partners.