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Schindlers Liste

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Montag, 28. Oktober, Vormittag

Es war eines dieser täglichen Routinetreffen, bei dem die beiden Kriminalkommissare in ihrem gemeinsamen Büro zusammensaßen und mit Hilfe einer stimulierenden Tasse Kaffee versuchten, wenigstens ein kleines bisschen Ordnung in das bestehende Chaos aus offenen Fragen und ungeklärten Hinweisen zu bringen. Heute natürlich hatte diese Sitzung eine gewisse zusätzliche Brisanz dadurch gewonnen, dass es wieder einmal um eine Röthenbacher Leiche ging, die, wie sollte es auch anders sein, diesen verdammten Hobbyschnüffler Kleinlein auf den Plan gerufen hatte. Dieser Kerl fühlte sich anscheinend verpflichtet, wann immer ein Bewohner des Dorfes in den Fall verwickelt war, sei es als Opfer oder Täter, der Polizei zuvorzukommen, sozusagen einen Heimsieg einzufahren. Doch die Polizei, in Person von KHK Schindler und KOM Havranek war schließlich auch nicht auf den Kopf gefallen.

„Wenigstens der Kaffee ist ein Lichtblick. Die neue Sektretärin scheint ja nicht ganz unbegabt zu sein. Wurde aber auch höchste Zeit, das Automatengesöff war ja nicht mehr zu ertragen. Also! Was haben wir bisher?“

Die letzte Frage hatte Erwin Schindler mehr oder weniger an sich selbst gerichtet, rein rhetorisch also und daher ohnehin nicht zur Beantwortung vorgesehen. Havranek kannte das und hatte auch gar keinen Versuch in diese Richtung unternommen. Vielmehr fuhr der Kommissar ohne Unterbrechung fort, unter Zuhilfenahme seiner, aufgrund seiner fürchterlichen Klaue schwer leserlichen Notizen, seine Sicht der Dinge im Fall Alfred Leipold zu schildern.

„Alfred, genannt Fredi, Leipold, geboren 1972 in Fürth, KFZ-Mechaniker, Vorsitzender des FCN-Fanclubs „ewige Treue Röthenbach“, unbescholten, nach Auskunft seiner Freunde relativ gesund, jedenfalls nicht zu Selbstmordgedanken neigend, wenn man die ersten Stunden nach Niederlagen in Derbys, also gegen Bayern oder Fürth, einmal ausnimmt, bei denen er mit großer Regelmäßigkeit völlig aus dem Gleichgewicht geriet. Aber das stand im Augenblick seines Todes ja nicht zur Debatte, denn bis zu seinem Tod hatte er immerhin eine ganze Woche Zeit gehabt, über den jüngsten dieser gefühlten Weltuntergänge hinwegzukommen, dieser Spinner.“

Kollege Havranek nickte zustimmend. Er teilte die Einschätzung seines Vorgesetzten. Als gebürtiger Franke kannte er die Problematik noch aus seiner Zeit bei der Schutzpolizei und wusste, dass solche Kurzschlusshandlungen entweder sofort oder gar nicht mehr erfolgten. Meistens bestanden sie ohnehin maximal in einem gehörigen Rausch inklusive unangenehmer Erinnerungslücken und eventuell der einen oder anderen verbrannten Vereinsfahne, die dann auch nach überstandenem Kater ungehend durch eine neue ersetzt wurde.

Etwas anders verhielt es sich allerdings mit der jüngsten Pokalniederlage gegen die Spielvereinigung vor gerade mal einer Woche, die sein Vorgesetzter eben angesprochen hatte und in deren Folge auch Übergriffe auf die Fangruppen des Gegners gemeldet wurden. Der Polizeibericht sprach von über hundert Nürnberger Anhängern, die nach dem Spiel den Nachbarstädtern aufgelauert, sie im Zuge eines erbittert geführten Zermürbungsfeldzugs bis zur Stadtgrenze hinübergetrieben und die im weiteren Verlauf das sportliche Ergebnis völlig auf den Kopf gestellt hatten. Aus einer tatsächlichen peinlichen 0:1-Niederlage war innerhalb einer knappen Stunde ein gefühlter 3:0-Sieg geworden, etwas, das sie auf dem Platz seit Monaten nicht mehr geschafft hatten. Eine Art virtuelle, nur in den Köpfen stattgefundene Ergebniskorrektur in der Nachspielzeit außerhalb des Stadions!

Im Nachgang der Ereignisse gab es zwar etliche Anzeigen wegen Körperverletzung unterschiedlich schwerer Art, Bedrohung, Beleidigung und dergleichen, die sich aber im Gegensatz zu der Heftigkeit der Kampfhandlungen überraschenderweise in geradezu bescheidenem Rahmen hielten. Bis auf wenige unverschuldet zwischen die Fronten geratene Pechvögel hatten sich im Prinzip ohnehin lediglich zwei gleichgesinnte Banden auf einander gestürzt. Der Unterschied bestand allenfalls in der Farbe der Uniformen und den aufgestickten Emblemen auf denselben. Weinrot gegen grün. Dabei hätte die Eskalation völlig vermieden werden können, wenn der Schiedsrichter den lächerlichen Elfmeter für die Kleeblättler erst gar nicht gegeben und auch auf die rote Karte für den sowohl unschuldigen, als auch leider sehr impulsiven südamerikanischen Gerechtigkeitsfanatiker in Nürnberger Diensten verzichtet hätte. Es wäre vielleicht sogar dann noch gut gegangen, wenn nicht völlig unnötig auch noch der Fürther Torschütze in provizierender Manier vor der Nürnberger Fankurve in maßlos übertriebenen Jubel ausgebrochen wäre. Somit, und da waren sich die einheimischen Fans ausnahmslos einig, hatten die Gäste das nachfolgende Debakel inklusive Einsatz einer ganzen Reihe aufgebrachter Racheengel weitgehend selbst herauf beschworen.

Die Frage, die Schindler und Havranek in diesem Zusammenhang bewegte war die, ob Fredi Leipold an der nachfolgenden Ergebniskorrektur zwischen Stadion und Stadtgrenze beteiligt war und ob bei einem oder mehreren der Gegner daraus ein genügendes Maß an Rachegedanken erwachsen sein konnte, ausreichend, um ihm eine geschlagene Woche später einen Denkzettel zu verpassen.

„Die könnten ihm ja auf der Brücke aufgelauert und ihn über das Geländer geworfen haben“, ging Havranek auf seines Chefs neueste Theorie ein. „Das würde wenigstens erklären, warum das Opfer an dieser Stelle abrupt und im rechten Winkel abgebogen ist. Allerdings, woher haben sie dann von der beschädigten Brücke gewusst oder haben sie das auch inszeniert?“

„Vor allem, woher soll irgendein Mensch gewusst haben, dass der Unglücksrabe mitten in der Nacht an dieser Stelle aufkreuzen würde. Nein, ich glaube, so kann es nicht gewesen sein. Aber die Fanschlacht müssen wir schon im Auge behalten. Dieses Feld können wir ganz sicher nicht diesem Kleinklein kampflos überlassen, von dem ich überzeugt bin, dass er schon wieder überall herumschnüffelt. Ich schreibe es auf jeden Fall mal auf meine Liste.“

Der Kommissar tippte die entsprechende Notiz in seinen Computer. Schindlers Liste war zwar inzwischen lang genug, um für mindestens eine ausgefüllte Woche anstrengender Ermittlungsarbeit zu sorgen. Eine vielversprechende Spur war jedoch noch nicht dabei.

„Wie sieht es denn mit persönlichen Feindschaften aus? Haben sie da schon etwas erfahren können, Havranek?“

„Leider noch nicht. Die Brüder von diesem Röthenbacher Fanclub halten zusammen wie Pech und Schwefel. Ich habe den Eindruck, die lügen, sobald sie den Mund aufmachen. Wenn man deren Aussagen Glauben schenken kann, dann war der Tote eine Art männliche Mutter Teresa und in Punkto Beliebtheit stand er in seinem Umfeld auf der gleichen Stufe wie ein erfolgreicher Popstar bei 14-jährigen Teenies.“

„Trotzdem, bleiben sie an diesem Thema dran. Gehen sie nochmal hin und bohren sie nach. Irgendeiner wird schon mal was ausplaudern. Gerade wenn jemand so sehr als Heiliger dargestellt wird, dann stinkt das doch meilenweit gegen den Wind. Man muss nur ein bisschen an der Oberfläche kratzen, dann kommen oftmals wahre Abgründe zum Vorschein.“

Auch dieser Aspekt wurde in die offene Punkteliste aufgenommen.

„Ach übrigens, Chef, der Bericht aus der kriminaltechnischen Abteilung ist gekommen. Demnach hatte Leipold zum Zeitpunkt seines Todes 1,8 Promille Alkoholgehalt im Blut. Nicht schlecht für diese frühe Tageszeit und vor allem, wenn man bedenkt, dass am Vortag nicht einmal ein Heimspiel des FCN stattgefunden hat.“

„Das deutet für mich daraufhin, dass er sicher nicht von zuhause gekommen ist, sondern eher von einem Gelage in der Nähe der Absturzstelle. Klappern sie die Gaststätten in der Umgebung ab und stellen sie fest, welche von denen wie lange offen hatte und ob der Tote eventuell dort gesehen wurde. Wir müssen seine letzten Stunden so gut wie möglich rekonstruieren, wenn wir eine Chance haben wollen, Licht in dieses Dunkel zu bringen.“

Havranek nickte ergeben, wenngleich man ihm eine gewisse Verärgerung über die zusätzliche Aufgabe ansah. Alle unangenehmen Aufgaben blieben wieder einmal ausnahmslos an ihm hängen. Was Schindler selbst beitragen wollte, hatte er bisher noch nicht entdecken können. Das war zwar nicht neu, regte ihn aber jedesmal von neuem auf.

Dennoch wahrte er die Contenance und trug weiterhin in ruhigem, geschäftsmäßigem Ton zu der Bestandsaufnahme bei.

„Da wäre noch was, Chef! Die KTU hat in der tödlichen Wunde am Hinterkopf von diesem Leipold einen winzig kleinen Holzsplitter entdeckt, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem der Geländerbalken stammt. Jedenfalls sind die Farbproben von dem gefundenen Splitter identisch mit der Probe, die unsere Techniker vom Brückengeländer genommen haben. Der Form der Wunde nach zu schließen, kann sie nur von einem massiven, höchstwahrscheinlich rechtwinkligen Stück Holz, zum Beispiel von einem Balken, verursacht worden sein. Zudem sind eine Reihe von Blutspuren, die eindeutig dem toten Leipold zugeordnet werden können, an den Geländerresten gefunden worden.“

Wenn Havranek für seine Ausführungen Lob erwartete hatte, dann sah er sich bitter enttäuscht. Ganz im Gegenteil. Schindler reagierte äußerst ungehalten und brüllte zur Überraschung seines Assistenten wild drauf los.

„Warum sagen sie das denn nicht gleich, Mann? Mann oh Mann, von welchen Dilettanten bin ich denn da umgeben!“

Und seine Erregung erklärend fügte er etwas sachlicher hinzu:

„Damit ist doch klar, dass der Tod durch den Aufprall auf das Geländer herbeigeführt wurde. Was brauchen wir dann noch diese ganze Aufgabenliste? Ein Betrunkener fährt in eine ungesicherte Unfallstelle, rammt seinen vollgesoffenen Schädel dabei gegen einen der kreuz und quer hängenden Balken und stürzt kopfüber in das Wasser. Aus die Maus. Fall geklärt. Daran kann nicht einmal dieser Nerv tötende Kleinlein etwas ändern, diesmal nicht!“

Mords-Kerle

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