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Eine Begegnung der besonderen Art

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Sonntag, 27. Oktober, eine Stunde später

Mittlerweile war es fünf nach halb Fünf. Es war nicht mehr gar zu weit hin bis zu der Stelle, welche Simon als Operationsbasis für den heutigen Fischzug bestimmt hatte. Vielleicht noch einen knappen Kilometer. Die Vögel des Waldes waren mittlerweile ebenfalls erwacht und begannen in den Büschen und Bäumen, die das gemütlich dahin meandernde schmale Flüsschen zu beiden Seiten säumten, ihre morgendlichen Stimmübungen. Gelegentliche Schreie der Krähen, die sich im Nebel auf die Jagd machten, klangen wie aufgebrachte Protestrufe eines unzufriedenen Publikums, nicht unähnlich den Kommentaren von Waldorf und Statler aus der Muppet Show.

Die beiden Radler hatten auf dem schmalen Pfad rechts des entgegenkommenden Flusses viel zu viel mit sich selbst und dem enormen Gewicht zu tun, das vor allem Simon ziehen musste, um sich dem uneingeschränkten Genuss des Frühkonzerts hingeben zu können. Das heftige Schnaufen des übergewichtigen Metzgermeisters mit gelegentlichen Pfeiftönen war absolut dazu angetan, die fehlenden Schlaginstrumente des gefiederten Orchesters zu ersetzen. Äh-Pffff, äh-pfff, äh-pfff. Jede hervorstehende Wurzel brachte Simon aus dem Rhythmus, so dass er all seine Kraft aufwenden musste, um wenigstens in Bewegung zu bleiben.

„Hald amal, Beder! Stobb! Ich brauch aweng a Bause, sonst glaabi falli nu vom Rad. Maansd nedd, dass des ungsund is, wemmer glei am Anfang äsu a Affndembo vorleechd?“

„Wassd woss, Simon, ich glaub es is besser, wemmer für den Resd des Wegs die Räder dauschn. Ich hobb hald doch aweng mehr Drähning als wäi dou!“

Einen willkommeneren Vorschlag hätte Peter nicht machen können. Jedenfalls nahm sein Freund das Angebot freudig an. Um den Umstieg zu bewerkstelligen, lehnte Peter sein Fahrrad kurz an eine der Erlen, die in großer Zahl den Weg begleiteten, während Simons Gespann aufgrund des Anhängers von alleine stand, allerdings mitten im Weg. Just in diesem Moment näherte sich von hinten ein Mofa oder Moped, was auch immer, jedenfalls ein motorisiertes Zweirad, wie die knatternden Geräusche unzweifelhaft verrieten. Da es an der bewussten Stelle etwas eng wurde, konnte man den Lenker des Fahrzeugs schon von weitem schimpfen hören.

„Herrschafdszeidn, sinn denn blouß nu lauder Bläide underwegs? Abber eich Radler kommer ja ka Rücksichd mehr beibringer, ihr seid ja alle äsu gscheid! Debbnhaufn!“5

Und schon war er vorbei, wenn es auch sehr knapp zugegangen war. Peter hatte eine, ob der kühlen Morgenluft reichlich vermummte Gestalt erkannt, sonst nichts, außer der auffälligen Aufschrift auf dem Benzintank des aggressiven Schlachtrosses. Die Legende lebt, hatte dort in weiß umrandeten, weinroten Buchstaben auf schwarzem Grund gestanden, da war er sich ganz sicher. Wahrscheinlich zierte die andere Seite ein aufgemaltes Club-Logo, was Peter von seiner Warte aus allerdings nicht sehen konnte. Ein übel gelaunter Club-Fan mitten in der friedlichen Natur. Wo der wohl zu dieser nachtschlafenden Zeit hin wollte? Wohl kaum zum Angeln, denn dafür fehlte es dem Drängler an der elementarsten Grundvoraussetzung, an Geduld.

Als sich die zwei Freunde wieder einigermaßen von dem erlittenen Schreck erholt hatten, radelten sie mit umgekehrten Rollen los. Peter fiel aufgrund seiner häufigen Radtouren das Treten nicht annähernd so schwer wie zuvor dem doch völlig untrainierten und stark übergewichtigen Simon. Bald mussten sie ihr Ziel erreichen. Da erblickten sie rechter Hand, etwa fünfzig Meter abseits auf einer Wiese hingeduckt, unmittelbar vor dem im frühen Morgenlicht noch wie eine drohend schwarze Wand wirkenden Wald, ein einzelnes, kompaktes Zwei- oder Dreimannzelt. Eines von den Modellen, die man in Windeseile auf- und abbauen konnte, sofern man das entsprechende technische Verständnis mitbrachte und die man für Touren mit häufig wechselndem Standort bevorzugte. Es handelte sich jedenfalls um keines der geräumigen Einfamilienhäuser aus Stoff, wie man sie auf Campingplätzen gerne vorfand. Daneben parkte ein Toyota Geländewagen in olivgrüner Tarnfarbe mit Fürther Kennzeichen. Die Nummer fiel Peter sofort auf, denn mit Ausnahme des FÜ vor dem Bindestrich bildete sie exakt die Initialen und das Geburtsdatum seiner Ehefrau ab, MK512, Marga Kleinlein, geboren am 5. Dezember. Wahrscheinlich ein weiterer Petrijünger, der es vorgezogen hatte, gleich vor Ort zu übernachten, um sich die frühe Anfahrt zu ersparen. Peter und Simon hatten keine Zeit, sich abseits des Weges umzusehen, da nun immer häufiger Schlaglöcher und freiliegende Wurzeln ihre ganze Aufmerksamkeit erforderlich machten.

Weitere fünf Minuten später hatten sie die Stelle erreicht, die Simon als Standplatz auserkoren hatte beziehungweise, von dem er als Belohnung für mehrere großzügige Runden Freibier und Obstler und der daraus resultierenden guten Ratschläge seiner neuen Kollegen vom Fischereiverein erfahren hatte. Genug Raum, um die Fahrräder sicher abzustellen, die Klapphocker zu platzieren und die unvermeidlichen Anglerwerkzeuge auszubreiten. Und angeblich der Ort, an dem sich Forelle und Co. mit Vorliebe und in selbstmörderischer Absicht in ausgeworfene Angelhaken verbissen.

„Mensch, isss dess eine Wohldaad, ganz alaans in der unberührdn Nadur, ka Grawall, ka Gschdank, des Gezwidscher von di Vöcherler. Warum binni dou nedd scho längsd drauf kummer. Gibbds denn überhaubds woss schönners?“

Simon ließ sich tief in seinen Klappstuhl sinken und schloss für einen kurzen Moment die Augen, während sich auf seinem Gesicht ein zufriedenes Grinsen ausbreitete.

„Ja“, brummte Peter, „dou hossd scho rechd. Abber von mir aus müsserds nedd middn in der Nachd sei. Im Momend wär mei warms Bedd endschiedn läiber.“

Auch er schien kurzzeitig eingenickt zu sein, doch wenig später fing er erneut an.

„Hommer etz des ganze Graffl den weidn Weeech bis dou raus gschlebbd, dass mer aweng philosophiern odder willsd endlich amal die Angl auswerfn? Von selber wern die Forelln wahrscheinlich nedd in dein mordsdrummer Blasdiggeimer neihubfn.“

Mühsam erhob sich der von den Anstrengungen der Anfahrt noch immer geschaffte Simon. Er hatte noch nicht einmal genug Zeit gehabt, den Köder anzubringen und die Angelrute auszuwerfen, als ein ebenso unerwarteter wie schrecklicher Zwischenfall die Ruhe und Beschaulichkeit eines ruhigen Morgens in friedlicher Natur empfindlich störte. Peter fühlte sich beinahe in seinen nächtlichen Alptraum zurück versetzt, als ein überdimensionales Objekt kieloben den Fluß herab geschwommen kam. Bei näherem Hinsehen konnte er jedoch weder Flossen, noch besonders scharfe Zähne erkennen, so wie bei dem Hai, der ihn des Nachts erschreckt hatte, dafür aber einen dicken, aufgedunsenen Bierbauch und einen weinrot-schwarzen Schal, der sich um den Hals des schwimmenden Etwas wand. Das Ding hatte so gar nichts von einem Fisch an sich. Lediglich seine leblosen Augen glotzen wie die eines verendeten Karpfens.

So viel wusste selbst Simon, der das meiste, was er für die Fischerprüfung lernen musste, schon wieder vergessen hatte: Ein Fisch, der mit dem Bauch nach oben schwimmt, ist tot. So auch der etwa vierzigjährige Mann, der soeben regungslos auf dem Wasser liegend an ihnen vorbeitrieb. Sie hatten ihn beide sofort erkannt, auch wenn er im Augenblick nicht seine gewohnten Schimpftiraden von sich gab und die gleich darauf daher dümpelnde Fanmütze des ruhmreichen 1. FC Nürnberg hätten sie auch nicht für die Identifizierung benötigt. Es handelte sich zweifellos um den Vorstand des Röthenbacher FCN-Fanclubs „ewige Treue“, den Leipold Fredi. Wie oft hatten seine Mitstreiter sich gewünscht, dass er endlich einmal die Klappe halten würde, aber so wörtlich hatten sie es denn doch nicht gemeint. Ja, der Fredi! Selbst im Angesicht des Todes schien er in seiner Daueranklagepose zu verharren. Sein starrer Blick wirkte wie zu Lebzeiten vorwurfsvoll, dabei gleichzeitig entsetzt, wie nach einer skandalösen Niederlage des Ruhmreichen gegen die verhassten Balltreter der Spielvereinigung Greuther-Fürth. Nicht einmal bei der Heimpleite im einzigen gemeinsamen Bundesligajahr mit den teetrinkenden, Fruchtgummi kauenden Färdder Kleeblättern, war sein Entsetzen auch nur annähernd so spürbar wie in diesem Augenblick. Seine Welt war offenbar aus den Fugen geraten. Doch was hatte den Mann in dem Moment, da er sein Amt für immer abgegeben musste, so sehr verschreckt?

Über die Identität der Leiche konnte es kaum einen Zweifel geben und so war anzunehmen, dass es sich bei dem Toten auch um den grantigen Mopedfahrer handelte, der sie kurz zuvor noch überholt und in seiner unvergleichlich belehrenden Art über ihre Unzulänglichkeiten aufgeklärt hatte. Typisch Fredi, daran hätten sie ihn eigentlich sofort erkennen müssen. „Die Legende lebt“ hatte er auf seinen Mopedtank gepinselt, eine Aussage, die jetzt leider nur mehr teilweise zutraf. Der FCN lebte zwar noch, soweit man angesichts eines siebzehnten Tabellenplatzes noch von Leben sprechen konnte, aber sein wohl glühendster Anhänger, Alfred Leipold, genannt Fredi, eine Legende der Nürnberger Fanszene, weilte definitiv nicht mehr unter den Lebendigen. Um es im gängigen Jargon auszudrücken: Der Fredi war für immer und ewig abgestiegen.

Mords-Kerle

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