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Einzug der Gladiatoren

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Sonntag, 27. Oktober, wenig später

Die ersten Routinemaßnahmen waren erledigt. Der Polizeiarzt hatte den Toten, so gut dies vor Ort möglich war, untersucht und vorläufig auf Tod durch einen Bruch der Schädeldecke infolge eines heftigen Schlages oder eines Sturzes entschieden. Eine endgültige Beurteilung war ihm natürlich nicht zu entlocken. Darauf mussten die Ermittler bis nach der eingehenden Prüfung durch die Gerichtsmedizin warten, den detaillierten schriftlichen Bericht würden die Herren schon rechtzeitig erhalten. Der Doktor hatte auch schon den einen oder anderen Tatort im Fernsehen verfolgt und den Standardspruch für solche Fälle daher auswendig auf Lager.

Inzwischen war es bereits acht Uhr. Da eine Fremd-einwirkung zwar noch nicht eindeutig feststand, aber auch nicht mit der nötigen Sicherheit ausgeschlossen werden konnte, wurden die für Gewaltdelikte zuständigen Beamten zugezogen. Die beiden reichlich schläfrig wirkenden Kriminalkommissare Erwin Schindler und Heinz Havranek standen nun schon eine ganze Weile mit den Kollegen vom Kriminaldauerdienst auf der vom Tau feuchten Wiese neben dem Fundort der Leiche beisammen und ließen sich die bisherigen Erkenntnisse vortragen. Alles war jahrelang geübte Routine, bis sie an die Stelle kamen, wo erstmals die Zeugen erwähnt wurden, die den armen Toten aus dem eiskalten Wasser gezogen hatten.

„Kleinlein? Habe ich richtig gehört? Sie haben doch eben Kleinlein gesagt, oder?“

„Ja genau, Peter Kleinlein und Simon Bräunlein“, las einer der beiden Dauerdienstler aus seinen handschriftlichen Aufzeichnungen vor, „beide aus Röthenbach, das ist ungefähr dreizehn Kilometer von hier entfernt und …“

Der junge Beamte hätte den neu dazugekommenen Kollegen gerne noch mehr erzählt, wurde aber durch eine eigenartige Reaktion des erfahrenen Hauptkommissars einstweilen davon abgehalten. Verblüfft betrachtete er den Kollegen, an dem offenbar eine seltsame Veränderung stattfand. Dem schien es urplötzlich gar nicht gut zu gehen. Schindlers Kopf hatte innerhalb der letzten zehn Sekunden dreimal die Farbe gewechselt, von dunkelrot über leichenblass bis zu käseweiß und zurück, wobei der Mann so heftig nach Luft schnappte, als wäre er selbst das bedauernswerte Opfer eines Mordanschlags geworden.

„Kann ich ihnen helfen, Herr Hauptkommissar? Wollen sie sich setzen, dann wird’s vielleicht schneller wieder besser? Ja, wenn man auf nüchternen Magen so früh raus muss, das kann einen schon belasten. Das kenn ich!“

Gar nichts wusste er, der Jungspund. Schindlers Beinahekollaps hatte einen völlig anderen, geradezu traumatischen Grund.

„Danke, es geht schon“, erwiderte der immer noch sichtlich angegriffene Kommissar. „Es war nur der erste Schreck. Oh mein Gott, nicht schon wieder dieser Hobbyschnüffler!“

Die Männer von Dauerdienst zuckten unverständig mit den Schultern. Kriminalobermeister Havranek dagegen, der die letzten drei Begegnungen mit Peter Kleinlein und seinen skurrilen Helfern hautnah miterlebt oder besser gesagt zusammen mit seinem Vorgesetzten durchlitten hatte, wusste genau, weshalb dieser erfahrene Kriminaler derart geschockt auf die Nachricht reagierte. Dicker hätte es nun wirklich nicht kommen können. Schon wieder dieser Kleinlein! Der giftige Stachel der letzten Blamage saß einfach noch zu tief, um das eben Gehörte mit angemessener Fassung wegstecken zu können.

Dem Hobbydetektiv war es vor nicht einmal einem Jahr gelungen einen vermeintlichen Jagdunfall als gezielten Mordanschlag zu enttarnen und das obwohl die Profis den Fall schon längst als erledigt betrachtet hatten. Ein neuer Wettlauf Hase gegen Igel stand also bevor, wobei man bei genauer Betrachtung zugeben musste, dass der Vergleich sogar gewaltig hinkte, denn angesichts der ungleich besseren und vielfältigeren Möglichkeiten, die der Polizei zur Verfügung standen, müsste das Rennen hier schon eher Hase gegen Schnecke lauten. Trotzdem hatte es bisher jedes Mal so geendet, dass die vermeintliche Schnecke den ungleichen Wettbewerb für sich entschieden hatte. Doch dieses Mal sollte es nicht so weit kommen. Hauptkommissar Schindler war nicht gewillt, sich noch einmal geschlagen zu geben. Entsprechend entschlossen reagierte der leitende Beamte, sobald er sich wieder etwas besser im Griff hatte.

„Havranek, wir müssen so schnell wie möglich die Umgebung absuchen. Der Fundort der Leiche ist keinesfalls der Tatort, so viel ist sicher. Irgendwo müssen Spuren zu finden sein, die uns hoffentlich helfen, festzustellen, wie der Unglückliche in diesen verfluchten Fluss gekommen ist. Wir haben keinerlei Zeit zu verschenken, wer weiß, was dieser penetrante Amateur schon wieder plant.“

Das Wort Amateur hatte er ausgespuckt wie eine von Maden befallene Pflaume oder eine versehentlich verschluckte Fliege. Der angesprochene Assistent war in einem ungewohnten Anfall von Diensteifer und in vorauseilendem Gehorsam bereits dabei einen Suchtrupp aufzustellen und sich flussabwärts in Bewegung zu setzen, als ihn sein Chef zornig zurück rief.

„Mensch Havranek, wollen sie unbedingt, dass wir uns schon wieder blamieren! Denken sie doch erst mal nach, bevor sie einfach blind davonrennen! Glauben sie etwa, dass der Tote entgegen der Strömung den Fluss heraufgeschwommen kam? Also hopp, ab in die andere Richtung und achten sie peinlichst genau auf jeden niedergetrampelten Grashalm oder jedes andere Anzeichen menschlicher Anwesenheit. Müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir diesmal wieder etwas Wichtiges übersehen würden.“

Der Chef hatte sich offensichtlich einigermaßen erholt und war schon wieder voll in seinem Element. Es dauerte nicht länger als eine gute Viertelstunde bis sein Handy klingelte: „da-daratta, da-daratta-taaa!“ Die gute alte, reißerische Erkennungsmelodie aus der Stahlnetz-Krimiserie der sechziger Jahre übertönte das geschäftige Treiben des Ermittlungsteams.

„Havranek, was gibt’s? Sind sie fündig geworden?“

„Ja Chef, knapp einen Kilometer flussaufwärts gibt es eine Brücke, von der der Geschädigte offensichtlich gestützt ist. Sie müssen unbedingt kommen und sich das mal ansehen!“

„Klar Havranek, sehr gut! Halten sie die Stellung und lassen sie die Umgebung weiträumig absperren. Wir sind gleich bei ihnen!“

Nur wenig später traf Schindler zusammen mit den in weiße Ganzkörperanzüge gekleideten Herren der Spurensicherung ein. Ein abwechselnd rot und weiß gefärbtes Plastikband mit der aufgedruckten Aufschrift Polizeiabsperrung verhinderte, dass Unbefugte den vermeintlichen Absturzort betreten und weitere wertvolle Spuren zerstören konnten. Daher fiel es dem Kommissar erst nicht gleich auf, dass eines dieser Bänder, das direkt an den Resten des Brückengeländers angebracht und mittlerweile durchgerissen war, nicht zu den übrigen passen wollte. Erst als ihn sein Mitarbeiter Havranek darauf aufmerksam machte, dass dieser Teil der Absperrung schon vor seinem Eintreffen vorhanden gewesen sei, wurde Schindler stutzig.

„Heißt das, dass der Schaden am Geländer schon länger besteht und nur notdürftig mit diesen windigen Plastikdingern, die dann doch nichts ausgehalten haben, geflickt wurde? Was wissen wir darüber, Havranek?“

„Nicht viel, Chef, es ist halt noch sehr früh am Morgen und dazu noch Sonntag. Aber die Einsatzzentrale hat bestätigt, dass heute früh gegen zwei Uhr ein anonymer Anruf herein kam, der einen Autounfall auf der Brücke gemeldet hat. Der Mann rief aus einer öffentlichen Telefonzelle an und hat keinen Namen genannt. Er wollte nur sicherstellen, dass wegen seines Missgeschicks kein weiterer Schaden entstehen kann. Wenn sie mich fragen, dann war der Kerl besoffen oder er wollte sich nicht zu erkennen geben, weil die Brücke eigentlich für PKWs gesperrt ist und er keine Strafe riskieren wollte. Ein Streifenwagen ist dann vorbeigefahren, hat Aufnahmen vom Schaden gemacht und notdürftig die Lücke mit Absperrband zugeklebt. Um diese Zeit kommt ja keiner, um ein paar Holzbalken zu ersetzen.“

„Tja!“, meinte KHK Schindler, wobei er sich abwesend am Hinterkopf kratzte, „dann ist unser guter Sportsfreund wohl aufgrund der schlecht gesicherten Unfallstelle durch die Lücke gefahren, hat das Alibi-Absperrband durchbrochen und ist kopfüber ins Wasser gestürzt. Im Fallen hat er sich dann den Kopf an diesem Stützpfeiler hier eingeschlagen. Sehen sie das Blut hier, Havranek? Lassen sie prüfen, ob es seins ist. Wenn ja, dann ist die Sache wohl klar. Am besten wir hängen das Ganze nicht an die ganz große Glocke. Die Kollegen von der Streife werden ohnehin noch genug Probleme wegen der windigen Absicherung kriegen.“

„Klar Chef! Aber es wurde doch ein Holzsplitter in der Kopfwunde gefunden.“

„Na und! Nehmen sie halt nicht immer alles so wortwörtlich. Dann ist er eben zuerst gegen einen der lose herumhängenden Querbalken geschlagen und dann erst baden gegangen. Das ändert nichts an der grundlegenden Tatsache, dass er wegen dieses Geländerschadens abgestützt ist.“

Havranek war ebenso froh wie sein Vorgesetzter, dass sich die Sache so schnell lösen ließ und man nicht schon wieder in Konkurrenz mit diesem Kleinlein treten musste. Eine Frage musste er aber der Ordnung halber noch stellen.

„Aber eines frage ich mich die ganze Zeit schon. Wie kann man eigentlich so sehr von der Bahn abkommen, dass man fast im rechten Winkel gegen das Geländer fährt? Schon komisch, oder Chef?“

„Ja“, brummte Schindler unwillig, „schon seltsam. Aber vielleicht war der Kerl ja besoffen. Lassen sie das auf jeden Fall gleich nachprüfen. Guter Punkt, Havranek, muss ich schon sagen, sie machen sich.“

Die Annahme des Kommissars bestätigte sich wenigstens insoweit, als dass der anwesende Arzt ein enormes Maß an Atemalkohol festgestellt hatte. Die genaue Promilleangabe aber, wie sollte es auch anders sein, konnte er erst nach einer eingehenden Laboruntersuchung versprechen. Auf jeden Fall war er sich sicher, dass man eine derartige Fahne nicht von einem harmlosen Löffelchen Rum im Tee entwickeln konnte.

Fredis Moped wurde vorsichtig geborgen und sichergestellt. Es würde schwierig werden eindeutig zu klären, ob die diversen Beschädigungen durch den Aufprall auf dem steinigen Flussgrund oder durch das defekte Geländer verursacht wurden. Zumindest konnten keine schwarzen oder roten Farbreste an den losen Balken festgestellt werden, dafür aber silbergraue Lackspuren, die vermutlich von dem Pkw stammten, der nur Stunden zuvor die Brücke gerammt hatte. Schindler und Havranek hatten erst mal genug gesehen und beabsichtigten sich in ihr Büro zurück zu ziehen und über mögliche weitere Schritte nachzudenken. Eine Spur, der man nachgehen konnte, war sicher die auffällig FCN-lastige Kleidung des Toten, Schal, Mütze, sogar die Boxershorts trugen das Club-Emblem, von der Aufschrift, betreffend die lebende Legende auf seinem Mopedtank ganz zu schweigen. Das nämlich ließ den Herrn Kommissar messerscharf darauf schließen, dass man es hier offenbar mit einem eher radikalen Fan zu tun hatte, der sich wahrscheinlich aufgrund seiner einseitigen Ausrichtung den einen oder anderen Feind gemacht hatte. War da nicht erst vor einer Woche etwas von einem richtiggehenden Fankrieg in der Zeitung gestanden? Allerdings war das alles aber nur dann interessant, wenn die spätere Obduktion eine Fremdeinwirkung nahelegen würde, was beide Beamten nicht gerade herbeisehnten. Bis dahin hatten die beiden Herren nämlich auch noch jede Menge andere Aufgaben, derer sie sich widmen konnten, denn selbst im äußerlich so friedlichen Franken macht das Verbrechen niemals Pause.

Jetzt mussten erst mal die Laborratten ihre Arbeit tun, wie es Schindler so treffend formulierte. Dann würde man weitersehen.

Mords-Kerle

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