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1 Was ist eigentlich ein Taschenbuch?

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Was haben das Taschenbuch der Wasserwirtschaft und Der verbotene Liebesbrief gemeinsam? Der erste Titel ist ein gebundenes Buch im Format 17,5 cm x 24,6 cm mit einem Umfang von 1.305 Seiten und ist in der neunten Auflage im wissenschaftlichen Verlag Springer ViewegSpringer Vieweg zum Preis von 99,99 Euro erschienen. Der zweite Titel ist ein Unterhaltungsroman aus dem GoldmannGoldmann-Taschenbuchprogramm im Standardformat 13,2cm x 18,5 cm zum Preis von 10,99 Euro, der einige Zeit auf Platz 1 der Bestsellerliste stand. Auf den ersten Blick wird man die Frage nach der Gemeinsamkeit der beiden Bücher mit „Nichts“ beantworten. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass sich das erste Buch – obwohl gebunden – „Taschenbuch“ nennt, also den Begriff als Titelbegriff führt, dass aber das zweite Buch nach der heutigen Konvention ein Taschenbuch ist, ohne so benannt zu werden.

Damit sind wir beim Kerndilemma, wenn man sich der Frage stellt, was eigentlich ein Taschenbuch sei, denn „Taschenbuch“ hat historisch zwei Bedeutungen, die völlig verschieden sind. Zum einen begegnet uns das Wort als Titelbegriff im Sachtitel von Büchern, zum anderen bezeichnet es einen Buchtyp, der im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts entstand und der dem heutigen Verständnis von Taschenbuch entspricht, ohne so genannt worden zu sein.

Bereits im 16. Jahrhundert, vor allem aber vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bezeichnet „Taschenbuch“ in der Regel kleinformatige gebundene Bücher – eben für die Tasche. Sie erscheinen einmal pro Jahr – in der Regel zur Herbstmesse – und enthalten Originaltexte verschiedener Autoren. 1774 taucht der Begriff in dieser Verwendung erstmals im Taschenbuch für Dichter und Dichterfreunde (1774–1780) auf. Rasch folgten unter anderen die langlebige Reihe Leipziger Taschenbuch für Frauenzimmer zum Nutzen und Vergnügen (1784–1816), das Taschenbuch für 1798, das Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1798, das Rheinische Taschenbuch (1812) und das Frauentaschenbuch (1814).

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ist diese Form als „literarisches Taschenbuch“ klar definiert; oft wird „Taschenbuch“ synonym mit „Almanach“ und „Kalender“ verwendet. Bücher dieses Typs haben in der Regel einen Umfang von 400 bis 500 Seiten. Exemplarisch dafür steht Wilhelm Gottlieb Becker’s Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1817. Es enthält bei einem Umfang von 448 Seiten Gedichte, Prosa, dialogisierte Texte und Betrachtungen sowie acht Seiten „Tanztouren“ und 32 Seiten Noten. Zeitweise wurden bis zu 50 Titel dieses Typs im Jahr auf den Markt gebracht. Sie wurden ein „literarischer Modeartikel“ (Mix 1998, S. 185). Hauptzielgruppe waren, worauf manche Titelformulierungen verweisen, Frauen.

Doch der handliche Buchtyp wurde auch sehr schnell mit Nonfiction-Inhalten belegt, so etwa das Militärische Taschenbuch (1780), der Almanach oder Taschen-Buch für Scheidekünstler und Apotheker (1780–1828), das Physikalische Taschenbuch für Freunde der Naturlehre und Künstler (1785) oder das Historische Taschenbuch (1830–1892). Noch 1935 definiert das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm „Taschenbuch“ ausschließlich in diesem Sinn: „ein jährlich erscheinendes buch in taschenformat mit unterhaltendem oder praktisch belehrendem inhalt, almanach u. dgl.“ (Grimm 1984, Sp. 151).

Das moderne Verständnis von „Taschenbuch“ ist geprägt durch eine Reihe von Merkmalen und verfestigte sich in den Anfangsjahren des Taschenbuchs in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst zu einer normativen Definition, die das System Taschenbuch beschrieb.

Eine Geschichte des Taschenbuchs kann man nicht entlang einer allgemein gültigen und überhistorischen Definition erzählen, sondern es braucht einen historischen Begriff vom Taschenbuch. Dieser wird vom seriellen Buch im 19. Jahrhundert abgeleitet und dient angesichts der übersichtlichen Forschungslage in erster Linie der Materialerschließung. Das gilt für das lange 19. Jahrhundert bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs und weiter bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Danach war die Zahl der Taschenbuchverlage und der Taschenbuchreihen so stark angewachsen, dass für die Zeit zwischen 1945 und der Gegenwart ein historisch-struktureller Zugriff gewählt wurde. Ob daraus „eine verlässliche Gesamtdarstellung der Entwicklung des Taschenbuchs“ geworden ist, die Karl H. Pressler vor mehr als drei Jahrzehnten vermisst hatte (Pressler 1985: 1), möge der Leser entscheiden.

Es wird der Versuch unternommen, die Fülle der Verlage und Reihen nach 1945 in drei Chronologien im Anhang zu erfassen. Die Abbildungen zeigen Umschläge von Taschenbuchreihen, die bislang eher selten oder gar nicht in der Forschung behandelt wurden. Daher ist hier auch die Nr. 1 von Reclams Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek, Goethes Faust I, nicht zu finden. Und das bedeutet auch, dass es kaum Doppelungen zu den Abbildungen in dem nicht zu übertreffenden Werk Reihenweise von Reinhard Klimmt und Patrick Rössler gibt (Klimmt/Rössler 2016). Soweit nicht anders angegeben, sind die Originale um 50 Prozent verkleinert.

Allen, die durch Informationen, Hinweise, Kritik und technische Unterstützung zu diesem Buch beigetragen habe, danke ich herzlich.

München, im Mai 2019 Günther Fetzer

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